194 Edelmut. Und der fünfte: „Vater, auch ich suchte das Kostbarste und fand es — in diesem meinem Freunde. Nimm ihn gütig auf! Er ist ein Stück von mir. Mit ihm kann ich mich freuen, mit ihm weinen; mit ihm kann ich arbeiten und mit ihm beten. Fehle ich, so nehme ich seinen gerechten Tadel willig hin, und kränke ich den Guten, so reicht er mir versöhnend seine Hand. In mancher Gefahr hat er mich mit seinem Leibe gedeckt. Gerne gäbe ich mein Leben für das seine. Kein Fältchen seiner Seele ist mir un— bekannt, kein Winkel meines Herzens ihm.“ Da erhob sich der König und verkündete: „Jeder von euch ist ein ganzer Mann! Ich weiß nun auch Antwort auf meine Frage, zu deren Lösung ich euch in die Ferne gesandt habe. Die Krone dieser Insel trage der Bestel Wer echte Freundschaft wecken und dem Freunde Treue wah— ren kann, dem muß ein edles Herz in der Brust schlagen. Dem, der sich den wahren Freund errungen, sei die Krone!“ „Ihm soll sie sein!“ stimmten die Brüder neidlos ein. Joh. Lex. 133. Edelmut. Das war Timotheus Grad, der auf dem Stoppelfelde draußen hinter dem Pfluge herging. Ein schwüler Augusttag! Timoth reckte seine hohe, kräftige Gestalt und fuhr sich mit dem Hemdärmel über die wettergebräunte Stirn. Eine langweilige Arbeit, das Pflügen, und doch nicht, wenn man Augen hat für die Natur wie unser Timoth! Da fliegt eine Rebhuhn— kette auf, ängstlich, hastig, schwerfällig flatternd, dort läuft ein Häslein aus der schützenden Grube, von Timoths „Jü“ und „Hott“ aufgeschreckt. Ein flüchtiger Blick gen Himmel: am Horizonte jagen dunkle Wol— ken sichtbar näher. „Ein Gewitter! Jetzt heißt es eilen!“ Timoth lenkt den Schimmel ins Dorf und denkt an sein Daheim, einen kleinen Bauern— hof, in dem die alte Base die Wirtschaft führt und die zwei jüngeren Ge— schwister Timoths erzieht. Erst 22jährig, ist dieser für die beiden Vater und Mutter zugleich und ehrfürchtig blicken sie zum großen Bruder empor. Die Eltern würden wohl noch leben, wenn vor mehreren Jahren die Schreckensnacht nicht gewesen wäre, in der die volle Scheune lichterloh gebrannt hatte. Die Ursache des Brandes konnte nicht festgestellt werden. Man munkelte im Dorfe zwar vom Nachbarn, dem Schmied; die gerichtliche Untersuchung ergab jedoch keinen Beweis. Nun ruht jener schon unterm Rasen und sein Sohn Franz steht für ihn am Amboß. Timoths Vater aber war an den schrecklichen Brandwunden, die er in jener Nacht erlitten, gestorben; die Mutter verfiel in Siechtum und folgte bald ihrem Gatten ins Grab. Timoth blickte zum dräuenden Gewölke auf, hinter dem ja wohl seine Eltern auf den fleißigen Sohn herabsahen. Hu! Da braute sich ein tüchtiges Gewitter zusammen! Die Wolken hingen bleischwer und un— heilvoll fast bis auf den Boden hernieder, der sich vor dem Kommenden förmlich zu ducken und zu bergen schien.