235 biner Bahn verschlagenes Schiff segelte schon bei nächtlicher Weile über eine dallig weg, und die erstaunten Seeleute glaubten sich von Zauberei umgeben, wenn sie auf einmal neben sich ein freundliches Kerzenlicht durch die hellen Fenster iner Stube schimmern sahen, die, halb von den Wellen bedeckt, keinen andern Grund als diese Wellen zu haben schien. Aber es bricht der Sturm zugleich mit der Flut auf das bange Eiland ein. Die Wasser steigen gegen zwanzig Fuß über ihren gewoöhnlichen Stand hinauf. Die Wogen dehnen sich zu Berg und Thal, und das Meer sendet in immer neuen, langen Zügen seine volle, breite Gewalt gegen die einzelnen Werften, um sie aus seiner Bahn wegzuschieben. Der Erdhügel, der nur eine Zeitlang zitternd widerstand, giebt nach; bei den unausgesetzten Angriffen bricht ein Stück nach dem andern ab und schießt hin⸗ unter. Die Pfosten des Hauses, welche die Vorsicht eben so tief in die Werfte hineinsenkte, als sie darüber hervorstehen, werden dadurch entblößt; das Meer saßt sie, rüttelt sin Der erschreckte Bewohner des Hauses rettet erst seine besten Schafe hinauf auf den Boden, dann flieht er felbst nach; und hohe Zeit war es! Denn schon stützen die Mauern, und nur noch einzelne Ständer halten den schwankenden Dachboden, die letzte Zuflucht. Mit furchtbarem Siegesübermut schalten nun die Wogen in dem untern Teil des Hauses; sie werfen Schränke, Listen, Betten, Wiegen mit wildem Spiel durcheinander, schlagen sich immer freieren Durchgang, um alles hinauszureißen auf den weitern Tummelplatz ihrer unbändigen Kraft, und der Stützpunkte des Daches werden immer weniger, des Daches, dessen Niedersturz rettungslos einer noch vor wenigen Stunden in häus⸗ licher Geschaftigkeit mit einander wirkenden oder im sanften Arm des Schlummers neben einandee tuhenden Familie ein schäumendes Grab bereitet. Ängstlich lauscht das Ohr, ob nicht das Brausen des Sturmes abnehme; ängstlich pocht das Herz bei jeder Erschütterung; immer enger drängen die Unglücklichen sich zusammen. In der Finsternis sieht keiner das entsetzenbleiche Antlitz des andern; im Donnergeroll der tobenden Wogen verhallt das bange Gestöhn; aber jeder kann an seiner eignen Qual die marternde Angst seiner Lieben er— messen. Der Mann preßt das Weib, die Mutter ihre Kinder mit verzweiflungs⸗ voller Todesgewißheit an sich; die Bretter unter ihren Füßen werden von der drängenden Flut gehoben; aus allen Fugen quellen die Wasser auf; das Dach wird durchlöchert vom Wogensturz; ein irrer Mondstrahl dringt durch die zer— rissenen Wolken, fällt hinein auf die Jammerscene, die von seinem bleichen, zuckenden Lichte beleuchtet, in all ihrer Furchtbarkeit erscheint und die angstver⸗ zerrten Gesichter einander spiegelt. Da kracht ein Balken. Ein furchtbarer Schreckruf! Noch eine martervolle Minute! Noch eine! Der Dachboden senkt sich nach einer Seite; ein neuer Flutenberg schäumt herauf, und — im Sturm— geheul verhallt der letzte Todesschrei. Die triumphierenden Wogen schleudern sich einander Trümmer und Leichen zu. — Dennoch liebt der Halligbewohner seine Heimat; liebt sie über alles, und der aus der Sturmflut Gerettete baut sich nirgends sonst wieder an, als auf dem Fleck, wo er alles verlor und wo er in kurzem wieder alles, und sein Leben mit, verlieren kann. Wir bewundern den Sohn der afrikanischen Wüste, der sein Zelt aufschlägt —26