206 Viktor Blüthgen. Viktor Blüthgen. Geb. 1844. 179. Das erste Lied. Wer hat das erste Lied erdacht, Das in die Lüste scholl? Der Frühling fand's in lauer Nacht, Das Äerz von Wonne voll; Er sang es früh im Fliederbaum And schlug den Takt dazu: „O Maienzeit, o Liebestraum, Was ist so süß wie du?" Da kamen Mück und Käferlein, Waldvöglein sonder Zahl, Die übten sich die Weise ein Wohl an die tausend Mal. Sie trugen's durch den Limmelsraum And durch die Waldesruh: „O Maienzeit, o Liebestraum, Was ist so süß wie du?" Mir sang's am Bach die Nachtigall, Da ward mir wonnig weh; Nun folgt das Lied mir überall Durch Dust und Blütenschnee. Ich pflück' den Zweig vom Fliederbaum And sing' es immerzu: „O Maienzeit, o Liebestraum, Was ist so süß wie du?" 180. Wiegenlied. Echlafe, du kleiner, du trotziger Wicht, Schließe die Augen zu! Sonne die löscht bald ihr goldenes Licht, Legt sich in Wolken zur Ruh. Aber dem Waffer die Ente schreit, Fliegt noch im Abendschein, Aber für dich ist's späte Zeit. Schlafe, mein Schatz, schlaf ein!