296 Beginnt, geordnet, jetzt die Reis' und eilt Mit schnellen Flügeln fort und schreit vor Lust. Der Kranke nur blieb weit zurück und ruht' Auf Lotosblättern oft, womit die See Bestreuet war, und seufzt' vor Gram und Schmerz. Nach vielem Ruhn sah er das bess're Land, Den güt'gern Himmel, der ihn plötzlich heilt; Die Vorsicht leitet ihn beglückt dahin — Und vielen Spöttern ward die Flut zum Grab. E. v. Kleist. 33. Adler und Taube. Ein Adlerjüngling hob die Flügel Nach Raub aus; Ihn traf des Jägers Pfeil und schnitt Der ersten Schwinge Sennkraft ab. Er stürzt' hinab in einen Myrtenhain, Fraß seinen Schmerz drei Tage lang Und zuckt' an Qual Drei lange, lange Nächte lang. Zuletzt heilt ihn Allgegenwärt'ger Balsam Allheilender Natur. Er schleicht aus dem Gebüsch hervor Und reckt die Flügel — ach! Die Schwingkraft weggeschnitten! Hebt sich mühsam kaum Am Boden weg Unwürd'gem Raubbedürsnis nach, Und ruht tieftrauernd Auf dem niedern Fels am Bach. Er blickt zur Eich' hinauf, Hinauf zum Himmel — Und eine Thräne füllt sein hohes Aug'. Da kommt mutwillig durch die Myr¬ ten äste Dahergerauscht ein Taubenpaar, Läßt sich herab und wandelt nickend Über goldnen Sand am Bach Und ruckt einander an; Ihr rötlich Auge buhlt umher, Erblickt den innig Träumenden. DerTauber schwingt neugiergesellig sich Zum nahen Busch und blickt Mit Selbstgefälligkeit ihn freundlich an. „Du trauerst, liebelt er; „Sei guten Mutes, Freund! Hast du zur ruhigen Glückseligkeit Nicht alles hier? Kannst du dich nicht des goldnen Zweiges freun, Der vor des Tages Glut dich schützt? Kannst du der Abendsonne Schein Auf weichem Mos am Bache nicht Die Brust entgegen heben? Du wandelst durch der Blumen frischen Thau, Pflückst aus dem Überfluß Des Waldgebüsches dir Gelegne Speise, letzest Den leichten Durst am Silberquell. O Freund, das wahre Glück Ist die Genügsamkeit; Ünd die Genügsamkeit Hat überall genug!" „O Weise!" sprach der Adler, und tief ernst Versinkt er tiefer in sich selbst; „O Weisheit! Du red'st wie eine Taube!" Goethe. 34. Die Theilung der Erde. „Nehmt hin die Welt!" rief Zeus von seinen Höhen Den Menschen zu. „Nehmt, sie soll euer sein. Euch schenk' ich sie zum Erb' und ew'gen Lehen; Doch theilt euch brüderlich darein."