Kinkel: Aus „Otto der Schütz." 55 Gestattet mir den Schuß zu proben! Ihr sollt den bessern Schützen loben." 75 Es winkt der Herr; die Bahn wird leer; Rings steht das Volk, ein brausend Meer; Durch Alle schwirrt ein leiser Ton, Mitleid bei Fraun, bei Männern Hohn, Und nur dem Förster bange pochte 80 Das Herz, wie er's auch hehlen mochte. Der fremde Jüngling neigt sich hold, Daß ihm der Locken sonnig Gold Als Schleier vor den Augen weht; Dann steht er aufrecht, fest und stet, 85 Wirft Haupt und Haar sich ins Genick Und mißt die Bahn mit freiem Blick. Die Armbrust faßt er nun mit Kraft; Es war von Ebenholz ihr Schaft, Darin von Elfenbeine weiß 90 Viel Blumen eingelegt mit Fleiß; Am Kolben reich mit Silberglanz Von Jägerspiel ein bunter Kranz: Ein Hirsch, vom Hörnerton gehetzt, Ein Hund, vom Eberzahn zerfetzt, 95 Ein Fräulein mit dem Federspiel, Auch Auerstier' und Bären viel. Des Weidwerks Pracht mit Lust und Grauen Gab schmuckes Bildniß hier zu schauen. Der Bügel, blau von Stahl und blank, 100 Wie eine Glocke hell erklang. Mit Sorgfalt prüft der Schütz die Sehne, Ob sie sich leicht und fügsam dehne; Selbst hatt' er sie in Winterstunden Aus wilden Marders Darm gewunden. 105 Inmitten, wo die Sehne faßt Des Bolzes tödtlich schwere Last, Da schürzt, daß nicht im Schuß sie springe, Zum Knoten er die Doppelschlinge. Und als die Spannung wohl vollbracht, 110 Die Sehne schnellt er nun mit Macht; Laut wie der Harfe höchste Saite Erklang' der schneid'ge Ton ins Weite. Nun aus dem Köcher nimmt er Bolze, Geschnitzt aus festem Eichenholze; 115 Er wählt den glättesten, der scharf Gekantet blanke Lichter warf. Und wie er Alles wohl erprobt, Mit Lächeln er das Schießzeug lobt. Er setzt den Bogen vor die Brust, 120 Er spannt ihn leicht mit stolzer Lust, Und staunend sehn die Schützen an Den starken Arm bei zartem Mann. Wild blitzt sein Aug', aufs Ziel ge¬ wandt, Als wollt' er's sengen mit dem Brand; 125 Doch bändigt er des Herzens Wellen, Die hoch in Siegeshoffnung schwellen; Er kühlt sich den entflammten Sinn, Klar, fest und stille schaut er hin; Er drückt — der Bügel mächtig klingt, 130 Lautschwirrend sich die Sehne schwingt, Es saust der Bolz — er hat getroffen! Da stand mit weiter Spalte offen Des Försters Bolz, ihn schnitt ins Mark Des Jünglings Schuß gerecht und stark. 135 Der Herold tritt zum Scheiben¬ haus, Er zieht die Bolze beid' heraus, Und legt sie in des Grafen Hand, Der staunend ob dem Wunder stand. Des Försters Bolz war ganz zer¬ schmettert, 140 Gleich einer Rose aufgeblättert; Es saß darin der zweite Bolz, Fest eingekeilt ins harte Holz, Und war hinfort kein Zweifel dran, Wer hier den Meisterschuß gethan.