176 C. Didaktisch epische Poesie. X. Legenden. XI. Allegorien und Räthsel. > 6. „Das fleischgeborne Fleisch lebt nicht, Bis es als Geist sein Band zerbricht." 7. Zum Zeugniß drückt er der Natur- Allmächtig ein des Geistes Spur. 8. Er wandelt Wassers Eigenschaft Ln geist'ger Traube Saft und Kraft; 9. Sein Wort vertausendsältigt Brot, Sein Athem haucht hinweg den Tod; 10. Er schließt dem See den Wellenmund Und heißt ihn schweigen bis zum Grund; 11. Es streiftsein Fluch der Blätter Saum, Nachtüber dorrt der Feigenbaum. 12. Dann beut er Sündern zum Gewinn Dem Schlangenstich die Ferse hin; 13. Er heftet sich ans Kreuz als Schuld, Den Zorn verbüßt er als Geduld; 14. Er keimt als Saatkorn einer Welt, Er fliegt als Licht zum Sternenzelt. 15. Von dort besucht auf Geistespfad Er Kind um Kind im Wasserbad; 16. Von dort geht er durch Lippen ein Als Fleisch und Blut in Brot und Wein; 17. Von dort kehrt er in Herzen rein Als Demuth und als Sanftmuth ein. 18. Das Böse straft sein letzt Gericht, Es macht die Finsterniß zu nicht'. 19. Und ist. die Nacht in Tag verklärt, ! In Leben aller Tod verkehrt: 20. Dann wird der Sohn im Vater frei, Daß Alles Gott in Allem sei! XI. Allegorien und Räthsel. So legt der Dichter ein Räthsel, Künstlich mit Worten verschränkt, oft der Versammlung ins Ohr. Jeden freuet die seltne Verknüpfung der zierlichen Bilder, Aber noch fehlet das Wort, das die Bedeutung verwahrt. Ist es endlich entdeckt, dann heitert sich jedes Gemüth auf Und erblickt im Gedicht doppelt erfreulichen Sinn. I. W. v. Goethe. Alexis und Dora. (1726.) 138. Der Schnitter Tod. Aus „Der Knaben Wunderhorn. Alte Deutsche Lieder, gesammelt von Ludwig Achim von Arnim und Clemens Brentano. Heidelberg. 1808." 1. Es ist ein Schnitter, der heißt Tod, Der hat Gewalt vom höchsten Gott; Heut' wetzt er das Messer, Es schneidt schon viel besser. Bald wird er drein schneiden, Wir müssen's nur leiden. Hüte dich, schön's Blümelein! 2. Was heut' noch grün und frisch dasteht, Wird morgen schon hinweggemäht: Die edlen Narzissen, Die Zierden der Wiesen, Die schön'n Hyazinthen, Die Türkischen Binden, Hüte dich, schön's Blümelein! 3. Viel Hunderttausend ungezählt, Was nur unter die Sichel fällt: Ihr Rosen, ihr Lilien, Euch wird er austilgen, Auch die Kaiserkronen Wird er nicht verschonen. Hüte dich, schön's Blümelein! .4. Das Himmelfarben Ehrenpreis, Die Tulipanen gelb und weiß, Die silbernen Glocken, Die goldenen Flocken, Sinkt Alles zur Erden — Was wird daraus werden? Hüte dich, schön's Blümelein! 5. Ihr hübsch Lavendel, Rosmarein, Ihr vielfarbigen Röselein, Ihr stolzen Schwertlilien, Ihr krausen Basilien, Ihr zarten Violen, Man wird euch bald holen. Hüte dich, schön's Blümelein! 6. Trotz, Tod! Komm her, ich fürchk dich nit! Trotz! Eil' daher in einem Schritt! Werd' ich nun verletzet,