866 C. Didaktische Prosa. VIII. Abhandlungen. bekannt und lieb wird, ist der schönste und werthvollste Gewinn des rüstigen Wanderers. Dies führt uns auf den letzten Punkt, auf den Einfluß, welchen Fußreisen auf die Bildung des Gemüthes üben. Vor Allem kommt nur der Fußreisende der Natur und ihren Schönheiten recht nahe; nur er kann sich ihr völlig un¬ gestört hingeben. Aber auch den Menschen kommt er näher. Er kann sie ruhig beobachten in ihrer Arbeit, in ihrer Noth und in ihrem Genuß, und zu bem eingehenden Gespräche mit den Begegnenden, welches das Gesehene erläutert und deutet, findet nur er Gelegenheit. Und wie die glückliche, heitere Reisegesell¬ schaft für die bittende Armut Herz und Hand offen haben wird, so bietet sich auch reichlicher Anlaß die Gefühle der auf der Reise angeknüpften oder befestig¬ ten Freundschaft in wechselseitiger Aushülfe und in der Unterstützung schwäche¬ rer Kameraden zu bewähren. Das freudig bewegte Gemüth aber findet seinen Ausdruck im ©efcrnge^ ein frisches Lied läßt augenblickliche Beschwerden ver¬ gessen, und unwillkürlich folgen die ermüdeten Füße seinem munteren Takte. Gar manche Deutsche Männer, welche den Ruf rüstiger Fußwanderer er¬ worben haben, mahnen durch ihr Beispiel zur Nachahmung: vor allen Goethe, der in seinen jungen Jahren vom Wandern ein so großer Freund war, daß er sich selbst den Namen Wanderer beilegte, und dessen schönste Lieder die auf den frischen Wanderfahrten empfangenen Natureindrücke wiederspiegeln; ferner Arndt, welcher in trüber Zeit einen großen Theil Europas mit dem Stabe in der Hand durchzog; Schleiermacher, welcher mit Sokratischer Herrschaft über sich selbst einen oft kränklichen Körper zu den Anstrengungen der Fußreise zu zwingen, an ihre Beschwerden zu gewöhnen und so seinem Geiste den erfrischenden Ein¬ fluß dieser naturgemäßesten Bewegung zu verschaffen wußte; endlich Seume, der rüstige „Spaziergänger nach Syrakus," welcher die Vorzüge des Wanderns vor dem Fahren etwa mit folgenden Worten kurz bezeichnet hat: „Wer geht, sieht von der Welt und vom Menschenleben mehr, als wer fährt. Fahren zeigt Ohnmacht, Gehen Kraft. Der Fahrende kann Niemand mehr fest und rein ins Angesicht sehen, wie man soll. Der Gang ist das Ehrenvollste für den selb¬ ständigen Mann, und Alles würde besser gehen, wenn man mehr ginge." 290. Nützliche Lehren. Dou Johann Peter Hebel. Werke. Karlsruhe, 1847. 1. Ein Narr fragt viel, worauf kein Weiser antwortet. Das muß zweimal wahr sein. Fürs Erste kann gar wohl der einfältigste Mensch eine Frage thun, worauf auch der Weiseste keinen Bescheid zu geben weiß. Denn Fragen ist leichter als antworten, wie Fordern oft leichter ist als Geben, Rufen leichter als Kommen. Fürs Andere könnte manchmal der Weise wohl eine Antwort geben, aber er will nicht, weil die Frage einfältig ist oder wort¬ witzig, oder weil sie zur Unzeit kommt. Gar oft erkennt man ohne Mühe den einfältigen Menschen am Fragen und den verständigen am Schweigen. Keine Antwort ist auch eine Antwort. Von dem Doctor Luther verlangte einst Je¬ mand zu wissen, was wohl Gott vor Erschaffung der Welt die lange, lange Ewigkeit hindurch gethan habe. Dem erwiderte der fromme und witzige Mann: „In einem Birkenwald hat der liebe Gott gesessen und zur Bestrafung für solche Leute, die unnütze Fragen thun, Ruthen geschnitten." 2. Gott grüßt Manchen, der ihm nicht dankt, z. B. wenn dich früh die Sonne zu einem neuen, kräftigen Leben weckt, so bietet er dir guten