36 1 1 Dichtungen in metrisch ungebundener Rede. auch wieder so zu ihm, daß man sich ihn auf einem andern Schauplatze gar nicht denken konnte. Daher dichtete er auch seinen Schutz⸗ befohlenen sich und ihre Einöde vor in solch wunderlicher, zauberhafter Art und Gestalt, daß sie auch ihnen zu reden begann und sie sich immer wie inmitten eines Märchens zu schweben vorkamen. Aber vielmehr sie waren ein Märchen für die ringsum staunende Wildniß: wenn sie z. B. an dem See saßen, lange weiße Strei— fen als flatternde Spiegel ihrer Gewänder in ihn sendend, der gleichsam sein Wasser herandrängte, um ihr Nachbild aufzufassen — so glichen sie eher zwei zart gedichteten We— sen aus einer nordischen Runensage, als menschlichen Bewohnern dieses Ortes — — oder wenn sie an heißen Nachmittagen zwi— schen den Stämmen wandelten, angeschaut von den langstieligen Schattenblumen des Waldes, leise umsummet von seltsamen Fliegen und Bienen, umwallt von den stummen Harz— düften der Fichte, jetzt eine Beere pflückend, jetzt auf einen fernen Waldruf horchend, jetzt vor einem sonnigen Steine stehen bleibend, auf dem ein fremder Falter saß und seine Flügel breitete — so hätte er sie für Elfen der Einöde gehalten, um so mehr, wenn er die Geister⸗ und Zaubergeschichten gewußt hätte, die ihnen Gregor von manchen Stellen des Waldes erzählte, wodurch vor ihrer Phantasie er, sie und die Umgebung in ein Gewirre von Zauberfäden gerieth — — oder wenn sie in der bereits milder werdenden Herbstsonne auf ihrer Wiese am Rande des Gerölles saßen, auf irgend einem grauen Felsblocke ausruhend, Johanna das linder— lockige Haupt auf den Schooß ihrer Schwe— ster gelegt, und diese mit klarem, liebreichem Mutterauge übergeneigt, in einem Gespräche des sichersten Vertrauens versunken — und wenn dem Siegel des Mundes das Herz nachfloß und sie schweigend saßen, die schö— nen Hände in einander gelegt, wie zwei VLie— bende, bewußtlos ruhend in der grenzenlo— sen Neigung des Andern, und wenn Jo— hanna meinte, nichts auf Erden sei so schön als ihre Schwester, und Clarissa, nichts sei so schuldlos als Johanna: so ist mir, als schweige die prangende Wüste um sie aus Ehrfurcht, und die tausend kleinen Glimmer— taͤfelchen der Steinwand glänzen und blitzen nur so emsig, um einen Sternenbogen um die geliebten Häupter zu spannen. Oder noch märchenhafter war es, wenn eine schöne Vollmondnacht über dem unge— heuern dunkeln Schlummerkissen des Waldes stand, und leise, daß Nichts erwache, die weißen Traumkörner ihres Lichtes darauf nie— derfallen ließ, und nun Clarissens Harfe er— tönte — man wußte nicht woher, denn das lichtgraue Haus lag auf diesen großen Mas⸗ sen nur wie ein silberner Punkt — und wenn die leichten einzelnen Töne wie ein süßer Pulsschlag durch die schlafende Mitter— nachtsluft gingen, die weithin glänzend, elek⸗ trisch, unbeweglich auf den weiten schwarzen Forsten lag: so war es nicht anders, als ginge sachte ein neues Fühlen durch den ganzen Wald, und die Töne waren, als rühre er hie und da ein klingend Glied. — Das Reh trat heraus, die schlummernden Vögel nickten auf ihren Zweigen und träum⸗ ten von neuen Himmelsmelodien, die sie morgen nicht werden singen können, — und das Echo versuchte sogleich das goldene Räth— sel nachzulallen — — Und als die Harfe längst schwieg, das schöne Haupt schon auf seinem Kissen ruhte, so horchte noch die Nacht, der senkrecht stehende Vollmond hing lange Strahlen in die Fichtenzweige und säumte das Wasser mit stummen Blitzen — indessen ging die Wucht und Wölbung der Erde, unempfunden und ungehört von ihren Be— wohnern, stürmend dem Osten zu — der Mond wurde gegen Westen geschleudert, die alten Sterne mit, neue zogen in Osten auf — — und so immer fort, bis endlich mit⸗ ten unter ihnen am Waldrande ein blasser milchiger Lichtstreifen aufblühte — ein fri⸗ sches Lüftchen an die Wipfel stieß — und der Morgenschrei aus der Kehle eines Vogels drang! Adalbert Stifter. 132. Die goldene Repetiruhr. Ich war bald fünfzehn Jahr alt — so erzählt Meister Hämmerlein — ich war u meinem Oheim in die Lehre gethan und wunschte weiter Nichts, als eine solide, pünlt liche Sackuhr, wie solche die Gehilfen auch hatten. Das, meinie ich, sei erst recht das Zeichen der Großjährigkeit, wenn man selbet saͤgen bnne, was e an der Zeit sei. Auch meine ich noch jetzt, man soll in dem Lebens⸗ alter, wo der Ernst des Daseins beginnt Jeden lehren, genau auf die Zeit Acht zu