184 7. Der Hollunderstab. folge dir, wohin du gehst." Das Männlein sprach: „Wenn du willst." Der Löwe folgte ihm nach und fiel bald darauf in einen Strick, in dem feine Vorderfüße verwickelt wurden, daß er nicht weiter gehen konnte; da schrie er mit lauter Stimme: „Männlein, hilf mir!" Das Männlein sprach: „Was gebricht dir?" Der Löwe sprach: „Ich weiß nicht, was mir meine Vorderfüße gebunden hat, daß ich nicht gehen kann; darum bitt' ich dich, mir zu helfen." Das Männlein sprach: „Ich. habe dir geschworen, dich nicht anzugreifen, bis ich zu deinem Vater komme; darum darf ich dir nicht helfen." Also ging der Löwe, so gut er mochte, mit den Hinterbeinen. Bald darauf viel er in einen andern Strick mit den Hinterfüßen, daß er nicht weiter gehen mochte, und schrie: „Männlein hilf mir!" Das Männlein sprach: „Was gebricht dir?" Der Löwe sprach: „Ich weiß nicht, was mir meine Hinterbeine verstrickt hat, daß ich mich nicht regen mag." Tä hieb das Männlein einen Prügel im Wald und schlug ihn mit Kräften. Als der junge Löwe sah, daß er gefangen war, sprach er: „O Männlein, erbarme dich über mich und schone mein und schlag mir nicht meinen Kopf, Rücken noch Bauch, sondern schlag meine Ohren, die meines Vaters Befehl nicht hören wollten, da er mir verbot, zu dir zu gehen, und mir sagte, du wärest listig, und ich wüßte mich nicht vor dir zu hüten; schlag auch mein Herz, daß es die Lehre meines Vaters nicht annehmen wollte, da er sprach: Glaube mir, es wird dich gereuen, wenn du zu dem Männlein gehst." Das Männ¬ lein erhörte des Löwen Bitte und schlug ihn um seine Ohren und um sein Herz, daß er starb. Diese Fabel lehrt, daß wir unsern Vätern und Obern folgen und ge¬ horchen und ihre gute Lehre nicht verachten sollen. I iiitaCesn, (itt'cptsdjc KM«W>l. 7. Der fjuUuitbctftiili. Friedrich Adolf Kruin inacher. Parabeln. 8. Ausg. Essen 1850. S. 26. Ein Jäger wandelte mit seinem Knaben aus dem Felde, und es floß ein tiefer Bach zwischen beiden. Da wollte der Knabe zu seinem Vater hin¬ über, aber er vermocht' es nicht; denn der Bach war sehr breit. Sogleich schnitt er sich einen Ast aus dem Gebüsch, setzte den Stab in das Büchlein, lehnte sich keck darauf und gab sich einen gewaltigen Schwung. Aber siehe es war der Ast eines Fliederbaumes, und indem der Knabe über dem Bach schwebte, brach der Stab mitten entzwei, und der Knabe that einen tiefen Fall in das Wasser, und die Wellen brauseten und schlugen über ihn zu¬ sammen. Dieses sah ein Hirte von ferne und lies hinzu und erhob ein Ge¬