Anhang II Das Nötigste aus See öeutschen Poetik.* Erster Abschnitt. Jorm der Dichtungen. 8 1. Ein Gedicht unterscheidet sich von einem Prosastücke schon äußer¬ lich, durch die eigentümliche Form, und zwar durch den Rhythmus und meistens auch durch den Reim. Vom Rhythmus. § 2. Unter Rhythmus versieht man die regelmäßige Abwechslung stärker und schwächer betonter (oder kurz: betonter und unbetonter) Silben. Die betonte Silbe heißt Hebung (Arsis), die unbetonte Senkung (Thesis). In den antiken Sprachen (griechisch und lateinisch) wurden die Silben nach ihrem Tonwerte (nach der Quantität) gemessen, und man unterschied Längen und Kürzen, sodann Mittelzeiten, die man bald als Längen, bald als Kürzen an¬ wenden konnte. Der deutsche Versbau gründet sich nicht auf die Länge und Kürze, sondern wie oben gesagt, auf die Tonstärke (den Accent) der Silben. Silben wie lah4n und Lamm, Kahn und kann rc. sind im deutschen Versbau gleichwertig. Die deutsche Sprache ist also in Bezug auf den Versbau eine acccntuierende Sprache, während die antiken Sprachen quantitierende sind. * Diese Übersicht macht keinen Anspruch auf Vollständigkeit, ja sie kann einen solchen nach ihrer Bestimmung nicht erheben. Es wollten in möglichster Kürze nur jene Belehrungen geboten werden, welche für Schüler der mittleren Klassen an Real- und verwandten Schulen faßbar und zum Verständnisse der im II. Bande enthaltenen Gedichte nötig sind. Die eingehende Theorie muß dem Unterrichte in den oberen Klassen vorbehalten bleiben, so namentlich die Belehrung über die antiken Maße, über Epos, Drama rc. rc. (Siehe Lesebuch III. Band, S. 96 sf.)