367 9 Dieses weltgerichtliche Dröhnen hörten die deutschen Reiter hinter den Gefängnismauern. Jedesmal, wenn wieder ein Donnerwort ge— fallen war, verstummte eine Batterie mehr auf den Forts. Der Donners⸗ tagabend sank über die belagerte Stadt und die deutschen Reiter brüteten in den dunkeln Zellen über ihr Schicksal. Da geschah mitten in der Nacht noch etwas anderes Unerhörtes. Ein sonderbares Brausen und Surren erfüllte die Dunkelheit. Oh! Den Ton kannten sie! Das war der Mmiral der Lüfte! Kein anderer konnte es sein. Denn durch die Fenster des Gefängnisses sahen sie plötzlich den dreieckigen Licht⸗ kegel eines Scheinwerfers leuchten. Dann klirrten die Scheiben ihrer Kerkerfenster auf den Boden. Sie meinten, die Trommelfelle müßten ihnen zerplatzen. Die Erde bebte unter ihren Füßen und aus einer gar nicht fernen Häusergruppe stieg eine gewaltige Feuergarbe zum Himmel. Zehnmal sandte das Luftschiff seine Grüße auf Stadt und Forts. Dann wurde alles still. Nur das Surren des Motors hörten sie von ferne und dann und wann Gewehrschüsse. Schwerer Schlaf übermannte die Gefangenen. Aber am Freitag morgen wurden sie durch Schlüsselgerassel geweckt. Ein deutscher Offizier trat ein als Befreier. Was war seit ihrem mißlungenen Handstreich geschehen? Anr Donnerstag mittag hatte sich als letztes der Forts des rechten Gürtels das Fort Chartreuse ergeben. Es war das stärkste und der Straße am nãchsten gelegene auf dem rechten Maasufer. Eine Stunde darauf fuhr an dem Gebäude der Provinzregierung ein Kraftwagen mit einem deutschen Offizier in Begleitung eines gefangenen belgischen Hauptmanns vor. Neben dem Fahrzeug sprengte ein Reiter mit der weißen Flagge. Bald trafen der Bürgermeister der Stadt, Kleyer, und der vom Fort Loncin herbeigerufene General Leman ein. Im Namen der Menschlichkeit bat der deutsche Parlamentär um Übergabe der Stadt. Der Bürgermeister stellte der UÜbergabe keinen Widerstand entgegen. Der General Léeman aber erklärte, die Forts bis zum letzten Mann verteidigen zu wollen. „Alles oder nichts!“ war das letzte Wort des deutschen Parlamentärs, bevor er mit der ernsten Aufforderung, bis längstens 6 Uhr eine endgültige Antwort zu geben, davonfuhr. Schon um 5 Uhr waren die Straßen Lüttichs wie aus— gestorben. Was noch den Zug nach Brüssel erwischen konnte, war geflüchtet; die anderen erwarteten in den Kellern das Unheil.