297 Schön Suschen steht noch strack und gut; Wer rettet das junge, das edelste Blut? Schön Suschen steht noch wie ein Stern, 35 Doch alle Werber sind alle fern. Rings um sie her ist Wasserhahn, Kein Schifilein schwimmet zu ihr heran. Noch einmal blickt sie zum Himmel hinauf, Da nehmen die schmeichelnden Fluten sie auf. 40 Kein Damm, kein Feld! Nur hier und dort Bezeichnet ein Baum, ein Turm den Ort. Bedeckt ist alles mit Wasser sch wall; Doch Suschens Bild schwebt überall. — Das Wasser sinkt, das Land erscheint, 45 Und überall wird schön Suschen beweint. — Und dem sei, wer’s nicht singt und sagt, Im Leben und Tod nicht nachgefragt! Wolfgang Goethe. 12. Der Lotse. 1. „Siehst du die Brigg*) dort auf den Wellen? Sie steuert falsch, sie treibt herein Und muß am Vorgebirg zerschellen, Lenkt sie nicht augenblicklich ein. 2. Ich muß hinaus, daß ich sie leite!" — „Gehst du ins offne Wasser vor, So legt dein Boot sich auf die Seite Und richtet nimmer sich empor." — 3. „Allein ich sinke nicht vergebens, Wenn sie mein letzter Ruf belehrt; Ein ganzes Schiff voll jungen Lebens Ist wohl ein altes Leben wert. 4. Gieb mir das Sprachrohr! Schifflein, eile! Es ist die letzte, höchste Not!" Vor fliegendem Sturme gleich dem Pfeile Hin durch die Scheren eilt das Boot. 5. Jetzt schießt es aus dem Klippenrande. „Links müßt ihr steuern!" hallt ein Schrei. Kiel oben treibt das Boot zu Lande, Und sicher fährt die Brigg vorbei. Ludw. Giesebrecht. *) Einmastiges Schiff.