124 109. Schneemann. Seht den Mann, o grobe Not, wie er mit dem Stocke droht, gestern schon und heute noch, aber niemals sehlägt er doch! Schneemann, bist ein armer Wieht, hast den Stock und wehrst dieh nicht! Freilich ist's ein armer Mann, der nieht sehlagen noch laufen kann; schleierweiß ist sein Gesicht. Liebe Sonne, schein nur nieht, sonst wird er wie Butter weioh und zerfliebt zu Wasser gleieh! LHeʒ 110. Des Himmelschlüssels Tod. 1. Es war Winter. Die Erde lag in tiefem Schlummer. Sanst und fest schliefen ihre Blumenkinder versteckt unter der weißen Schnee— decke. Allmählich stieg die Sonne wieder höher am Himmel auf. Sie zupfte neugierig an der weißen Decke, um zu sehen, ob die Blümlein noch immer nicht erwachen wollten. Da kam eines Tages der Wind, fing Sonnenstrahlen auf, soviel er bekommen konnte, gab sich eine freundliche Stimme und rief: „Wacht auf, ihr guten Blümchen! Kommt, der Frühling hat mich als Boten ausgesandt, er ist auf dem Wege und möchte die Blümchen gern sehen! Die Sonne scheint so freundlich am Himmel, und wenn ihr euch zeigt, werden die Bienen kommen und euch umsummen, und die Vögel werden ihre schönsten Lieder singen.“ 2. Das Himmelschlüsselchen, das einen leisen Schlaf hatte, hörte die lockende Stimme. Es wachte auf und hob sein Köpfchen in die Höhe. Die Sonne hatte gerade da, wo das Himmelschlüssel ruhte, an der weißen Decke gezupft. Es sah sich um und lachte still in sich hinein und dachte: „Schlaft nur, ihr Schwestern! Mich soll der Frühling nicht schlafend finden, ich, sein kleinstes Blümchen, will ihn zuerst begrüßen.“ Leise schlich es empor, hob das zarte Köpfchen höher und höher und sah sich neugierig um. Hul! da kam der Wind daher gebraust. Aber sein Atem war kalt wie Eis; er küßte das zitternde Blümchen; er pfiff ein wildes Lied und brauste in die weite Welt hinein. Das Blümchen aber durchbebte Todesschauer, und es sank erstarrt auf die kalte Erde. Nach Julius Sturm.