I. Beschreibungen. a. Ms der <Lrd- und Völkerkunde. 1. Das Meer. (Von G. L. Krieg!.) ^as horizontal Ausgebreitete und das in die Höhe Gerichtete, oder Ebene und Berg, sind die zwei Grundformen der Erdoberfläche. Die Ebene, die einfachste Form oder vielmehr das Formlose selbst, kommt in unabsehbarer Ausdehnung mit mathematischer Vollkommenheit nur auf dem Meere vor, wenn in strömungsfreien Gegenden gänzliche Windstille daflelbe umfängt; aber diese Erscheinung ist an keinem Orte der Erde eine bleibende, und man weiß nur einige Stellen des Oceans anzuführen, an welchen sie besonders häusig eintritt. Sie ist wohl das Oedeste und am meisten Grausen-Erregende, das auf der Erde sich sindet, zumal da der Mensch inmitten derselben, wie durch einen Zauberspruch festgehalten, sich nicht einmal von der Stelle bewegen kann, und bei längerer Dauer derselben dem lang- ' samsten und von den schrecklichsten Umständen begleiteten Tode entgegensieht. „Soll meine Phantasie," sagt Chamisso, „ein Bild erschaffen, gräßlicher als der Sturm, der Schiffbruch, der Brand eines Fahrzeugs zur See: so bannt sie auf hohem Meer ein Schiff in eine Windstille, die keine Hoffnung, daß sie aufhören werde, zuläßt." Diese Erscheinung, mit welcher wir nur den verlassenen Zustand des Menschen im weiten Stein- oder Sandfeld der Wüste vergleichen können, ist indeffen als eine Ausnahme von der eigentlichen Art, wie das Meer sich darstellt, zu betrachten, und dieses ist vielmehr seinem Charakter nach als eine bewegte und so zu sagen mechanisch belebte Fläche anzusehen. Das Meer, viel größer als das Festland der Erde und die ausgedehnteste Fläche auf ihrem Runde, das in ununterbrochenem Zusammenhang von Pol zu Pol sie umschließt, ist das Abbild der Unendlichkeit und, wie Platen sagt,' der Spiegel des Weltalls. Es gewährt in der Nacht, beim klaren Schein der Sterne und des Mondes, wo das noch größere Bild der Unendlichkeit und die endlose Wasserfläche die einzigen Gegenstände sind, welche unserm Auge sich darbieten, den erhabensten Anblick, der auf der Erde sich findete Das Meer erweckt zugleich die dunkeln Vorstellungen des Erhabenen, Unend¬ lichen, Allmächtigen und Gefahrvollen, erregt Phantasie und Gefühl in hohem Grade und reißt sie in das Gebiet des Unbestimmten, Maßlosen und Grauen¬ haften fort. Daher ist der Ocean eine Heimat des Märchens und der Vorstellungen dämonischer Art. Diese verschiedenen marinen Dichtungen und Vorstellungen führen uns bald das Meer unter den Bildern des Neides, der Habgier, der Unzuverlässigkeit und des Zornes vor; bald stellen sie uns daffelbe als etwas Unendliches und Wunderbares dar, welches das ahnende Gemüth des Menschen ergreift und seinen forschenden Blick gleichsam magisch 1*