345 einer vollkommenen Ameise, die größte und wichtigste Veränderung in meinem Leben; ich legte mich auf die Seite und schlief ein. 6 Ich mochte wohl etwa vierzehn Tage oder drei Wochen geschlafen haben, als ich durch einen großen Lärm geweckt wurde, und Schrecken erfaßte mich. Ich fühlte mich so ganz neu und ungewohnt; Fühler und Füße und alle Gliedmaßen einer vollkommenen Arbeiter¬ ameise waren an mir schon ausgebildet, aber ich konnte sie nicht bewegen, denn sie staken alle noch in ihrer Scheide. Zudem war ich durch das Gewebe, das mich umgab, verhindert zu sehen, was die Ursache des ungewöhnlichen Tumultes sei. Plötzlich fühlte ich mich von zwei spitzigen Kiefern erfaßt und emporgehoben; ich wurde fort¬ geschleppt, aus dem Neste heraus, an das Tageslicht, das ich zum erstenmale durch meine Umhüllung hindurchschimmern sah. Was war geschehen? Wohin ging es mit mir? Sollte ich wohl in die Gewalt von Raubameisen geraten sein? So war es. Die gefürchtete Amazonenameise hatte in einiger Entfernung ihr Nest. An einem heißen Augustnachmittage war ein Trupp von 800 ihrer Kriegerinnen auf Sklavenraub ausgezogen. Sie hatten die Richtung gegen meine Heimat genommen. Wie Spürhunde durchstöberten sie jedes Löchlein in der Erde und jedes Büschlein Haidekraut und kamen schließlich anch in unsere Nähe. Wir glaubten uns wohl geborgen; denn die Eingänge zu unserem Nest waren gut versteckt und führten erst auf langen Umwegen in unsere eigentliche Behausung. Diese Vor¬ sichtsmaßregel beobachten wir Schwarzgrauen meist, wenn es in der Nachbarschaft viele Raubameisen gibt; leider waren wir diesmal trotzdem nicht gesichert. Einige Amazonen entdeckten einen Zugang zu unserem Neste; mit rasender Schnelligkeit stürmten sie hinein. Unsere Schildwache hatte kaum Zeit, das Nahen des Feindes zu verkünden, da war er schon in unserer Mitte. An ernstlichen Widerstand war nicht zu denken. Zwar waren die Unsrigen zehn¬ mal so zahlreich; aber wir kämpften mit zu ungleichen Waffen. Einige der Beherztesten stürzten sich im ersten Eifer dem Feinde entgegen und klammerten sich an den Fühlern und Beinen der vordersten Amazonen fest, um sie aufzuhalten und mit Gift zu bespritzen; doch in demselben Augenblicke drangen schon die scharfen, sichelförmigen Kiefer des Feindes in ihr Gehirn. Unbeschreiblicher Schrecken ergriff unser übriges Volk. Zum Glück verloren sie nicht alle Geistesgegenwart, und da sie die verschiedenen Windun¬ gen und Mündungen des Nestes besser kannten als die Räuber, gelang es ihnen, die Königin und den größten Teil der Eier und Larven zu einem Hintertürchen hinaus zu flüchten. Wir Puppen waren nicht so glücklich. Wir lagen gerade in den obersten Stock¬