134 der Berge ein gesetzloses Leben, als Gefährten des Wolfs und der Krähe, als Wilddiebe und Wegelagerer. So verminderte sich die Bevölkerung des flachen Landes mit reißen¬ der Schnelligkeit. Schon zur Zeit des Schwedenkönigs waren mehrere Dörfer ganz verlassen, und um die geschwärzten Balken und das Stroh der zerrissenen Dächer schlichen die Tiere des Waldes und etwa die zerlumpte Leidensgestalt eines alten Mütterleins oder eines Krüppels. Von da nahm das Unheil in solcher Steigerung zu, daß sich nichts in der neueren Geschichte damit vergleichen läßt. Zu den zerstörenden Dämonen des Schwerts kamen andere, nicht weniger furchtbare und noch gefräßigere. Das Land war wenig bebaut worden und hatte eine schlechte Ernte gegeben. Eine unerhörte Teuerung entstand, Hungersnot folgte, und in den Jahren 1635 und 1636 ergriff eine Seuche, so schrecklich, wie sie seit fast hundert Jahren in Deutschland nicht gewütet hatte, die kraftlosen Leiber. Sie breitete ihr Leichentuch langsam über das ganze deutsche Land, über den Soldaten, wie über den Bauer; die Heere fielen auseinander unter ihrem sengenden Hauch, viele Orte verloren die Hälfte ihrer Bewohner, in manchen Dörfern Frankens und Thüringens blieben nur einzelne übrig. Was noch von Kraft in einer Ecke des Landes gedauert hatte, jetzt wurde es zerbrochen. Man mag fragen, wie bei solchen Verlusten und so gründlichem Verderb der Überlebenden überhaupt noch ein deutsches Volk geblieben ist, das nach geschlossenem Frieden wieder Land bauen, Steuern zahlen und nach einem dürftigen Vegetieren von hundert Jahren wieder Energie, Begeisterung und ein neues Leben in Kunst und Wissenschaft zu er¬ zeugen vermochte. Allerdings ist wahrscheinlich, daß sich das Landvolk ganz in schwärmende Banden aufgelöst hätte, und daß die Städte niemals imstande gewesen wären, ein neues Volksleben hervorzubringen, wenn nicht drei Gewalten den deutschen Landmann vor der gänzlichen Zerstreuung bewahrt hätten: seine Liebe zu dem väterlichen Acker, die Bemühungen seiner Obrigkeit und vor allem der Eifer seines Seel¬ sorgers, des Dorfpfarrers. Des Bauern Liebe zur eignen Flur, noch jetzt ein starkes Gefühl, war im 17. Jahrhundert um vieles mächtiger. Denn der Bauer kannte außerhalb der eignen Dorfftur sehr wenig von der Welt, und die Schranken, die ihn von einem andern Lebens¬ beruf und andrer Herren Land trennten, waren schwer zu übersteigen. So lief er mit Zähigkeit immer wieder aus seinem Versteck nach dem zerstörten Hofe und versuchte immer wieder, die zerstampften Ähren