170 eine Übereinstimmung gemeinsamer Grundzüge, die man als den Gesamt¬ charakter des deutschen Volkes bezeichnen kann. Man hat die deutsche Natur in Beziehung auf die Gestaltung des Bodens, landschaftlichen Charakter und atmosphärische Verhältnisse nicht mit Unrecht eine knorrige genannt. Auch unser Volk hat in seiner Erscheinung etwas Knorriges, Eckiges. Es fehlt im Ausdruck der Züge das südliche Feuer, in Bewegung und Gebärde die fran¬ zösische Raschheit und Geschmeidigkeit. Aber darum ist doch unser Volk kein unschönes. Denn wie in Wahrheit nicht die Eiche, sondern die Linde der deutsche Lieblingsbaum von jeher gewesen ist, so ist im deutschen Gesicht neben dem Schroffen und Harten auch wieder viel Lindes und Weiches. Das im Norden vorwiegend blonde, im Süden vorwiegend bräunliche, schlicht anliegende Haar, die Weiße der Haut, das zarte Wangenrot, der helle, treuherzige Blick des im Norden mehr blauen, im Süden mehr bräunlichen Auges, die meist hohe und gewölbte Stirn, bezeichnet mit dem Stempel der Intelligenz: dies alles mildert und veredelt das Derbe, Eckige der deutschen Gesichts¬ bildung. Der ganze Typus in Zügen und Haltung trägt den Cha¬ rakter der deutschen Innerlichkeit und Innigkeit, nicht minder aber auch einen gewissen Grad der Unschlüssigkeit und des kritischen Zweifels. Und wie im deutschen Gesichte die realen Schatten neben den idealen Lichtern stehen, so auch im moralischen Wesen unseres Volkes. Die Vielseitigkeit der deutschen Art hat vielfachen Zwiespalt im Gefolge und bringt eine Menge von Widersprüchen in unseren Charakter; neben herrlichen Tugenden stehen manche Schwächen. Idealismus ist die deutsche Grundstimmung, die Liebe zur Freiheit ein Grundzug deutschen Wesens, der als ewiger Antrieb des Lebens, als bewegende und gestaltende Kraft der ganzen geschichtlichen Ent¬ wickelung unseres Volkes betrachtet werden kann. Aus ihm entspringt die deutsche Begeisterung für das Edle und Schöne; was die Deutschen an Großem und Herrlichem vollbracht, kam aus diesem Brunnen ewiger Verjüngung; wie oft er auch verschüttet, vergessen schien, plötzlich in den trübsten Zeilen ließ sich sein mächtiges Rauschen wieder vernehmen, und das Volk, das schon völlig gedemütigt und rettungslos verloren schien, erhob sich dann wieder zu riesenhafter Kraft und neuer Lust des Daseins. Schön bewährt sich so die sittliche Kraft unseres Volkes in Arbeit und Ausdauer, in entsagungsvollem Ringen mit der Not des Lebens. Aber zuweilen auch bricht aus der maßvollen deutschen