vollständigen Restauration der Demokratie, im Frühjahr 399, traf ihn die berüchtigte Anklage, daß er die Jugend verderbe und neue Götter einführe. Solche Prozesse wegen Gottlosigkeit waren in Athen nie ehr¬ lich gemeint, und er wäre auch mit einer Geldstrafe davongekommen, wenn er nicht, nach attischem Rechtsbrauch aufgefordert anzugeben, auf welche Strafe er sich einschätze, geantwortet Hütte, daß ihm die Speisung am Herde des Staates, im Prytaneion, zukäme, eine der höchsten Ehren, welche die Gemeinde vergab. Das erboste das Volksgericht, und es verurteilte ihn zum Tode. Seine Freunde wollten ihm zur Flucht ver¬ helfen, und die attische Regierung würde das ruhig haben geschehen lassen: aber Sokrates hielt es für seiner unwürdig, dem Gesetz nicht zu gehorchen, und ließ das Urteil an sich vollziehen. Sokrates hat über seine Lehre nichts geschrieben, aus dem einfachen Grunde, weil sein ganzes Denken ein konkretes war und ihm das de¬ duktive Element fehlte, ohne das eine literarische Fixierung unmöglich ist. Mit allen großen Erneuerern des ethischen Bewußtseins teilt er die Eigentümlichkeit, daß er nur bei bestimmtem Anlaß, im einzelnen Fall wirken konnte; er hat nie die Menschheit, stets nur den Menschen, den er vor sich hatte, besser machen, zum Nachdenken anregen wollen. Es konnte nicht ausbleiben, daß er andere, und besonders junge Männer, kürzere oder längere Zeit an sich fesselte; aber es fiel ihm nicht ein, eine Schule zu stiften, und es waren nicht nur unter sich sehr verschieden¬ artige Naturen, die dem eigentümlichen Zauber des Mannes sich hin¬ gaben, auch die Intensität des Einflusses, den er auf seine Umgebung ausübte, muß sehr ungleich gewesen sein, vom leichten Interesse ge¬ schwankt haben bis zur Treue fürs Leben, von oberflächlicher Anregung bis zur Erneuerung des ganzen Seins. An Sokrates' Namen und So¬ krates' Person hat sich eine reiche Literatur angesetzt. Man wird sich wohl noch einige Zeit darüber streiten, welches Gemach im Himmel der philosophischen Unsterblichkeit dem vermeintlichen Stifter von etwa einem halben Dutzend Schulen anzuweisen ist: für seine Zeitgenossen war er Sokrates der Athener und für die Athener selbst der Sohn des Handwerkers Sophroniskos aus der Gemeinde Alopeke, der Vorstadt Athens, wo die vielen Manufaktureien lagen, aus der Fabrikvorstadt also, wie wir sagen würden. Das hat ihn nicht ge¬ hindert, mit den vornehmsten kreisen auf gleichem Fuße zu verkehren; er war kein Proletarier, und die attische Demokratie ließ eine gesell¬ schaftliche Tyrannei, wie sie die politische und finanzielle Aristokratie