hatte, ergötzte sich an diesen naiven Bildern, die sich ihr eben darum für immer unauslöschlich einprägten. Wo ein Puppenspiel vorhanden war, wie in Wilhelm Meisters väterlichem Haus, da wurden vor den kleinen Zuschauern nicht etwa mythologische Fabeln dargestellt, sondern man sah Samuel und Jonathan, und Saul trat auf, und der kleine David mit Schäferstab, Hirtentasche und Schleuder erlegte den Philister Goliath, und das Haupt des Riesen wurde im Triumph über die Bühne getragen. Noch näher lag den Eltern und Lehrern natürlich der Inhalt der Evangelien am Herzen: unser aller Heil hing von dem Glauben daran ab, und so wußte jedermann, der in irgend einer Schule gewesen war, im Neuen Testament Bescheid und konnte das apostolische Glaubens¬ bekenntnis, sowie die zur Bestätigung oder Erläuterung demselben bei¬ gegebenen auserwählten Bibelsprüche ohne Anstoß hersagen. Nun aber war die Bibel nicht bloß in der Sprache einer weitent- legenen Vergangenheit, sondern in der einer orientalischen, ganz anders gearteten Rasse geschrieben, und auch das uns nähere und verwandtere Griechisch in den Apokryphen und dem Neuen Testament trug immer noch eine semitische Farbe. Man mag Luthers Geisteskraft so hoch an¬ schlagen als man wolle und seine Vermittlungs- und Übersetzungsarbeit nach Gebühr verherrlichen — es strömte doch aus dem allverbreiteten Buch etwas ganz Heterogenes in die gewohnte deutsche Rede. So wurde seit der Reformation unsre Sprache eine andre: allmählich fühlten und unterschieden die Menschen nicht mehr, was in dem, was sie sagten, ein¬ geboren und was fremd war; wer in biblischen Wendungen sich aus¬ drückte, sprach ein echtes, natürliches, von den Vätern ererbtes Deutsch. Als dann um die Mitte des 18. Jahrhunderts eine Epoche neuer Geistes¬ bildung anbrach, war diese Verschmelzung schon geschehen, und während die aufgeklärten Schriftsteller sich eines abstrakten Verstandesstils be¬ dienten, mußte die dichterische Sprache der jungen rhein- und main- ländischen Genossenschaft, die sich auf dem Naturboden des Volks und der Überlieferung hielt, als eine eben so kernig-deutsche, wie hebräisch-biblische und griechisch-hebräische sich darstellen. Anders stand es bei den romanischen Völkern: bei diesen war die Neligion nicht so streng auf die Bibel gegründet und diese, als in der fremden, lateinischen Sprache belassen, ein verschlossner Schatz: ihre Ge¬ schichten wurden zwar an die Mauer und auf Leinwand gemalt, aber der formale Einfluß ihres Wortlauts auf die lebende Sprache konnte nur ein verhältnismäßig geringer sein.