- 364 und Dichtens, der Kunst und Erfindung, des schaffenden Vorbildes in jedem Beruf gar oft den gefesselten Tagelöhner, der freilich Stunde um Stunde im Schweiße seines Angesichts arbeiten muß, dann aber auch unbedingt sein Werk beschließt, wenn die Abendglocke schallt. Den schaffenden Geist begleitet die Arbeit der Gedanken, wo er geht und steht, er legt sich mit ihr schlafen und wacht wieder auf mit ihr, er kann sie wohl gar im Traum nicht los werden; für ihn gibt es nur einen echten Feierabend — im Tode. Und wenn er auch nur mäßig, wählerisch, scheinbar spielend arbeitet: die härteste, aufreibendste Arbeit ist doch wohl, die keinen Abschluß kennt, keinen Feierabend. Manche eigentümliche Gelehrtenkrankheit der Nerven, des Bluts und des Gehirns, die man gemeinhin aus dem Stillsitzen und der Stubenluft herleitet, wurzeln gewiß nicht minder darin, daß der schaffende Kopf keinen Feier¬ abend findet und so auch die leiblichen Organe des Denkens und Empfindens unglaublich rasch abnützt. Aber nicht bloß Denker, Dichter und Künstler: jeder schaffende Meister, — und wäre er ein Bankier, dem die Dichter Geiger sind — jeder Gründer und Lenker großer Unter¬ nehmungen arbeitet so ruhelos. Dies sind die Leute, die gar keine besondere Arbeitszeit haben, weil ihnen alle Zeit zur Arbeitszeit wird. Gesellenfleiß ist nach der Zeit meßbar, nicht aber Meisterfleiß. Freilich ist in den zeitlosen, schöpferischen Arbeiten auch wieder ein Ersatz gegeben: bei ihnen birgt die Mühsal der Arbeit in sich schon Genuß, während in den gemessenen Stunden des mechanischen Arbeiters fast nur die Mühsal steckt und erst nachher in der Feierstunde der Genuß der Arbeit anhebt. So waltet die Natur überall gerecht, und wenn wir die Naturgesetze der Arbeit in all ihren feinen Zügen erkannt haben, dann werden wir selber auch neidlos gerecht werden gegen jegliche Art des Fleißes. Andrerseits aber kann es zu sozialen Revolutionen führen, wenn der Geselle jenen unmeßbaren Meisterfleiß nicht würdigen lernt. Der Haß und Neid des Proletariats gegen die großen Unternehmer beruht oft genug, ja gerade bei den edleren Naturen, auf diesem Unverständnis. Aus zwei Motiven'pflegt der kleine Handarbeiter seinen reichen Brotherrn heimlich zu hassen. Viele sind schlechtweg neidisch, ärgern sich, daß der Herr besser lebt als der Diener und meinen, auf Pasteten und Cham¬ pagner habe jeglicher ebensogut ein angeborenes Recht wie auf Luft und Wasser. Sie beneiden und wägen nicht die Arbeit, sondern nur den rohen Genuß, der aus reichem Lohn springt, auf hochdeutsch nennen