408 der junge Rousseau wurde vorläufig bei Frau von Warens in Annecy untergebracht, dann in einem Kloster in Turin zum Übertritt vor¬ bereitet; bald darauf wurde der sechzehnjährige Knabe in S. Spirito in den Schoß der katholischen Kirche feierlich aufgenommen. Durch den Übertritt hatte Rousseau sein Genfer Bürgerrecht verloren, die gehoffte Versorgung aber nicht erhalten; nachdem er vier Jahre hindurch aben¬ teuernd in der Schweiz und Südfrankreich umhergeschweift, kehrte er zu Frau von Warens zurück, die inzwischen ihren Wohnsitz nach Chambéry, der Hauptstadt von Savoyen, verlegt hatte. Frau von Warens war als ganz junge Frau in einer leichtsinnigen Stunde ihrem Gatten in Vevey entlaufen, in der Nacht quer über den See nach Evian gefahren, hatte sich hier dem König Victor Amadeus von Sardinien zu Füßen geworfen und von ihm nach ihrem Übertritt zum Katholizismus eine Pension von 2000 Franken erhalten. Rousseaus Mutter war gleich nach seiner Geburt gestorben; dem verlassnen Knaben ersetzte nun Frau von Warens die Mutter; sie ließ sich seine Erziehung angelegen sein; als er zum Jüngling heranreifte, wurde sie ihm eine Geliebte, deren Anmut, Bildung und Herzensgüte seine schwärmerische Verehrung fesselten. Acht Jahr verweilte er in ihrem Haus, im Winter in der Stadt, im Sommer auf einem Landsitz, Les Charmettes, ganz in der Nähe; es war die glücklichste Zeit seines Lebens. Bei Frau von Warens trat Rousseau auch zum ersten Male der Botanik näher, freilich in wenig sympathischer Gestalt. Unter Botanik verstand man damals die Kenntnis gewisser Kräuter, aus denen die Apotheker ihre Tränke brauten; außer¬ dem vererbten sich in den Familien geheime Rezepte zur Bereitung eines besonders heilsamen Kräutertees, und auch die Klöster waren im Besitz von Geheimmitteln, die sie in Gestalt von Likören, Balsamen und Elixieren aus allerhand Pflanzen zu bereiten verstanden. Auch Frau von Warens betrieb in Chambéry ein Geschäft mit heilsamen Alpenkräutern und medizinischen Geheimmitteln; sie hatte einen jungen Landsmann zum Kammerdiener, der ursprünglich Herborist, oder, wie wir in Deutschland sagen, medizinischer Laborant gewesen und das Rezept zur Bereitung des berühmten Schweizer Tees besaß; er war dann, wie sie selbst, nach Savoyen geflüchtet und konvertiert; mit seiner Hilfe legte sie in ihrem Haus ein Laboratorium und einen kleinen Garten mit Arzneipflanzen an; sie betrieb selbst mit Eifer den Plan, in Cham¬ béry eine medizinische Schule mit einem botanischen Garten ins Leben zu rufen, an dem ihr Schützling als Professor, oder wie man damals