Ohr. Jensen, Das Wattenmeer und die Halligen. 151 die Gesellschaft erfreue. Die Unterhaltung ward lebhafter, der Gast— freund aus Chalcis stimmte ein Lied Anakreons an zum Lobe des Weins. Die Römer meinten, als er geendigt, solche Gesänge würden auch bald in lateinischer Sprache erklingen; denn schon habe der treffliche Dichter Terentius Afer in seinen Lustspielen die griechische Feinheit erreicht. Der Hausherr gab hierauf ein Zeichen mit den Fingern, und es erschien ein als Schauspieler gekleideter Sklave, der das Amt hatte, seinem Herrn vorzulesen. Der Mann entfaltete seine Rollen und las das neueste Stück des genannten Dichters vor. Es war „Der Selbstpeiniger“. IV. Beschreibungen und Schilderungen. 68. Das Watteénmeer und die Halligen. Chr. Jensen, Die nordfriesischen Inseln. A. Vor der Westküste Schleswigs liegen mehrere Inseln, die als Uberreste eines zerrissenen und zerstörten Landes ihre jetzige Ge-— stalt von dem sie umflutenden Meere erhalten haben. Die Bewohner derselben wie auch die Anwohner des Meeres auf dem Pestlande liegen noch heute mit ihm im Kampfe, wie sie es schon vor Jahr- hunderten thaten. Wo das Meer ihnen einen Teil der geraubten Land- flächen zurückgiebt, da ziehen sie ihre Deiche; wo es den heimat- lichen Boden angreift und ihn in seinen Schoss hinabzuziehen drobt, da wirff man mächtige Wälle von Pelsblöocken auf. Zur Zeit der Flut tauchen die Inseln hin und wieder aus der See hervor wie die Oasen aus der Sandwüste, zur Zeit der Ebbe aber liegt zwischen ihnen und dem Pestlande das graue Watt, die übriggebliebenen Thon- und Sandmassen der Landstrecken, die einst eine Beute des Meeres wurden. Dieses Wattenmeer hat einen ganz anderen Oharakter als das Meer draussen vor der Westküste jener Inseln. Dort, am Mest— strande der Düneninseln Amrun, Sylt und Röm, schäumt die krystall- helle, bläulichgrüne Nordseewelle, verursacht, vom frischen West- winde getrieben, ein weithin hörbares Getöss und macht in ihrem wechselvollen Heranziehen, vom Sturme oft bis auf den Grund auf- gewühlt, haushoech sich überstürzend, einen gewaltigen Eindruck. Ganz anders im Wattenmeer! Hier ist das Wasser schmutzig-grau