124 IIV] Uhland. 99. Der Schäfer (1805). 1. Der schöne Schäfer zog so nah Vorüber an dem Königsschloß; Die Jungfrau von der Zinne sah, Da war ihr Sehnen groß. 2. Sie rief ihm zu ein süßes Wort: „O, dürft ich gehn hinab zu dir! Wie glänzen weiß die Lämmer dort, Wie rot die Blümlein hier!“ 3. Der Jüngling ihr entgegenbot: „O, kämest du herab zu mir! Wie glänzen so die Wänglein rot, Wie weiß die Arme dir!“. .Und als er nun mit stillem Weh In jeder Früh vorübertrieb, Da sah er hin, bis in der Höh Erschien sein holdes Lieb. 5. Dann rief er freundlich ihr hinauf: „Willkommen, Königstöchterlein!“ Ihr süßes Wort ertönte drauf: „Viel Dank, du Schäfer mein!“ 6. Der Winter floh, der Lenz erschien, Die Blümlein blühten reich umher; Der Schäfer thät zum Schlosse ziehn, Doch sie erschien nicht mehr. 7. Er rief hinauf so klagevoll: „Willkommen, Königstöchterlein!“ Ein Geisterlaut herunter scholl: „Ade, du Schäfer mein!“ 100. Die Vätergruft (1805). 1. Es ging wohl über die Heide zur alten Kapell empor Ein Greis im Waffengeschmeide und trat in den dunkeln Chor. 2. Die Särge seiner Ahnen standen die Hall entlang, Aus der Tiefe thät ihn mahnen ein wunderbarer Gesang.