205 diese Verwitterungsbildungen einstmals für die steinernen Verkörperungen ihrer Götter gehalten und zu ihnen gebetet haben. 2. Nicht nur aus den Seen, auch aus fließendem Wasser können mine- ralische Bestandteile auskrpstallisieren. Vor allen anderen ist hier der kohlen¬ saure Kalk zu nennen; dieser ist nur spurenweise in ganz reinem Wasser löslich, weit leichter dagegen, wenn dieses, wie es gewöhnlich der Fall ist, Kohlensäure absorbiert enthält. Die Säure bildet das Lösungsmittel für den Kalk, und dieser scheidet sich wieder aus, wenn jene aus dem Wasser ent¬ weicht, was z. B. durch Kochen oder dadurch bewirkt wird, daß die Kohlen¬ säure durch ein anderes Gas, besonders durch gewöhnliche atmosphärische Luft, verdrängt wird. Dazu genügt eine innige Berührung des kohlensäurehaltigen Wassers mit Luft, indeni es bei Luftzutritt stark geschüttelt oder beim Herab¬ fallen aus der Höhe zerstäubt wird; das Wasser nimmt Luft auf, die Kohlen¬ säure entweicht, und der von ihr in Lösung gehaltene Kalk scheidet sich aus. Diese Thatsache erklärt uns sofort in der einfachsten Weise die Ent¬ stehung einer der merkwürdigsten Arten der Kalkbildung, der Tropfsteine oder Stalaktiten, wie sie die Wandungen der Höhlen im Kalkgebirge oft in zauberhafter Pracht auskleiden. Mit Kohlensäure beladenes Wasser rinnt in feinen Adern durch Klüfte des Gesteins und löst hier Kalk auf, den es mit in die Tiefe führt. Trifft es nun auf seinem Wege nach abwärts aus eine Höhle, in deren Decke die Kluft mündet, so sickert es an einem nach abwärts gerichteten Gesteinsvorsprunge nach unten, verdunstet schon hier teil¬ weise und sammelt sich an: unteren Ende des Felsstückchens zu Tropfen, die einer nach dem andern auf den Boden der Grotte fallen, daselbst zerstäuben und dabei den noch übrigen Kalkgehalt, soweit sie ihn nicht schon an der Decke verloren haben, als schönen, weißen Kalksinter abscheiden. Zwar ist das, was der einzelne Tropfen liefert, verschwindend wenig; aber viele Jahr¬ tausende hindurch fällt eine Wasserperle nach der anderen genau in derselben Bahn, so daß sich endlich die gewaltigen Säulen bilden, die von der Decke nach abwärts („Stalaktiten") oder vom Boden nach aufwärts („Stalagmiten") wachsen. Oft begegnet der Stalaktit dem Stalagmiten auf halbem Wege, und dann bilden sie einen hohen, schlanken Pfeiler, der Decke und Boden des Gewölbes verbindet. Steht man in einer Tropfsteinhöhle, so hört man un¬ ausgesetzt den Schall der niederfallenden Tropfen und sieht, wie sie einer um den anderen in gemessenen Zwischenräumen auf die gerundete Oberfläche eines aus dem Boden hervorwachsenden Pilasters aufschlagen; hier ist das Wasser in ununterbrochener Thätigkeit an der Arbeit, und jeder Tropfen fügt dem Baue ein Atom neuen Sinters bei. So phantastisch und wechselnd auch die Formen dieser Gebilde sind, mögen sie wie Draperien eines Vorhanges herab¬ hängen, mögen sie als mächtige, glockenförmige Kuppeln erscheinen oder die normale Säulenform zeigen, sie verdanken doch alle ihre Entstehung einem und demselben Vorgang, und die wechselnde Gestalt rührt nur von den Modifikationen im Bau von Decke und Boden der Grotte her, die den Ab¬ lauf des Wassers beeinflussen. Neumayr-Uhlig.