384 275» Dis Einwirkung der Französischen Revolution auf die Deutschen um 1790. Gustav Freytag. Wieder kam von Frankreich das Unheil, und wieder wuchs aus dem Kampfe gegen das Fremde ein neues Leben. Es war nicht zum erstenmal, daß der Nachbar im Westen der deutschen Volkskraft die tiefsten Wunden schlug und wider Willen neue Gewalt er¬ weckte, welche ihn siegreich bändigte. Die Staatskunst Richelieus war der gefährlichste Gegner des deutschen Reiches gewesen. Nach ihm beherrschte die französische Literatur durch hundert Jahre den deutschen Geist, und es schien eine lange Zeit, als ob die Akademie von Paris und die Dramen der Klassiker unseren Geschmack ebenso unterjochen sollten, wie die Schneider und Perückenmacher der Seine. Aber gegen die französische Kunst arbeitete sich in Zorn und Scham eine Poesie und Wissenschaft herauf, welche trotz ihrer weltbürgerlichen Richtung echt national war. Jetzt sollte der Erbe der französischen Revolution gewalttätig das ver¬ fallene Haus des Reiches zerstören und auf den Trümmern als harter Ge¬ bieter schalten, bis die Deutschen den Entschluß faßten, ihn wegzuschlagen, um selbst ihre irdischen Angelegenheiten in die Hand zu nehmen. Die Masse des Volkes im Reich lebte still vor sich hin. Der Bauer tat seine Dienste, der Bürger arbeitete. Beiden war es ärger gegangen als gerade jetzt, es war kein schlechter Verdienst im Lande. Kam ihnen ein milder Herr, so dienten sie ihm williger; die Städte hingen an ihrer Stadt, an der Landschaft, deren Mundart sie sprachen; sie hatten häufig auch Anhänglichkeit an ihren kleinen Staat, der fast alles umschloß, was sie kannten und dessen Hilflosigkeit sie nur unvollkommen verstanden. Als er ein Nichts wurde, wußten sie nicht mehr, was sie waren, und frugen einander neugierig und bekümmert, was sie jetzt werden sollten. Es war ein altes, stilles Elend. — Allerdings durch die neuen Ideen, welche von Frankreich herüberkamen, wurden sie etwas unruhig; es war dort vieles besser als bei ihnen; sie hörten wohlgefällig auf fremde Sendlinge; sie steckten die Köpfe zusammen; sie beschlossen vielleicht des Abends einmal abzuschaffen, was sie ärgerte; sie setzten Bittschriften an ihren gnädigen Landesherrn auf. Die Bauern wurden hier und da schwieriger. Aber solange die Franzosen nicht selbst kamen, war die Bewegung doch nur ein leichtes Wellengekräusel. Und als der Franzose Custine Mainz erobert hatte, ließ er die Zünfte zusammenrufen; jede sollte einen Konstitutions¬ entwurf einreichen. Das geschah. Die Perückenmacher reichten ein: „Wir wollen aussterben bis auf fünfunddreißig, und der Krebs (so hieß der