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Deutsches Lesebuch
für
höhere Lehranstalten.
Ausgewählte Stücke
deutscher Dichtung und Prosa
nebst einer historisch-biographischen Uebersicht
Otto Roquette,
Professor am Polytechnikum in Darmstadt.
I.
Dichtungen.
Berlin.
Verlag von Wiegandt, Hempel & Parey.
1877.
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Inhaltsverzeichnis.
Nr. Seite Nr. Seite
I. Lieäer und Gesänge. 29. Berglied 24
1. Lied der Freundschaft . . 1 30. Die Macht des Gesanges 25
2. Pilgerspruch 1 31. Gesang der Ehre . . 27
3. Die Landlust • 2 32. Vaterlandslied . . . 28
4. Teutone 3 33. Bundeslied .... 29
5. Der Rheinwein .... 4 34. Ausruf 30
6. Die frühen Gräber . 6 35. Lützow’s wilde Jagd 32
7. Der Jümgling 6 36. Soldaten-Morgeniied . 33
8. PreussischeKriegslieder eines 37. Erneuter Schwur . . 33
Grenadiers. 1756. . . . 7 38. Frühlingsgruss an das Vater-
9. 1757 8 land 34
10. Siegeslied nach der Schlacht 39. Thurmwächterlied 35
bei Lowolitz 1756. . . 9 40. Im Spessart . . . 36
11. Hymnus an die Morgen- 41. Der wandernde Musikant 37
sonne 12 42. Der gute Kamerad . 37
12. Aufmunterung zur Freude. 13 43. Das Schiflf'lein . . . 37
13. Der Genius 14 44 Des Knaben Berglied 38
14. An das Meer 14 45. Freie Kunst . . . . 38
15. Lied eines schwäbischen 46. Frühlingsglaube . . 39
Ritters an seinen Sohn . 15 47. Einkehr
16. Abendlied 16 48. Der Bergmann . . . . 40
17. Der Mond 16 49. Dem Freunde . . . . 41
18. Elegie 16 50. Selbstvertrauen . . . 41
19. Der Musensohn .... 19 51. Frühlingslieder Nr. 1 . 42
20. Geistesgruss 19 52. - - 2 . 43
21. Schäfers Klagelied ... 20
22. Wandrers Nachtlied ... 20
23. Ein gleiches................20
24. Dauer im Wechsel ... 21
25. Beherzigung.................22
26. Das Göttliche...............22
27. Gesang der Geister über
den Wassern .... 23
28. Prometheus..................23
53. Abschied vom Rhein . 43
54. Frische Fahrt .... . 44
55. Morgen . 44
56. Der Jäger Abschied . . 45
57. Bach und Strom . . . . 45
58. Im Walde . 46
g9. Abschied . 46
60. Das Schloss Boncourt . . 47
61. Frisch gesungen . . . . 48
IV
Nr. Seite Nr. Seite
62. Um Mitternacht .... 48 101. Tragische Geschichte 114
63. Wanderlied 49 102. Frauensand 115
64. Aus der Jugendzeit. . . 51 103. Ballade 117
65. Wanderlied 51 104. Die Mutter 117
66. Morgenlied 52 105. Der reichste Fürst. . . 119
67. Wanderschaft 53 106. Der Geiger zu Gmünd . 119
68. Wohin? 53 107. Des Mohrenkönigs Günst-
69. Der Lindenbaum . . . 54 ling 122
70. Morgenwanderung . . . 54 108. Das Mahl zu Heidelberg 124
71. Nach Oben 55 109. Der Schelm von Bergen. 126
72. Bergwanderung .... 57 110. Lore Ley 127
73. Da liegt ein Musikant he- 111. Lore Ley 129
graben 58 112. Die Heinzelmännchen 129
74. Schau’ um dich .... 59 113. Schwerting der Sachsen-
75. Herbstlied 59 herzog 132
76. Vorzeit und Gegenwart . 60 114. Der Postillon .... 133
77. Geharnischtes Rheinlied . 61 115. Die drei Indianer . . 134
78. Rheinsage 62 116. Deutscher Brauch . . . 135
117. Die Martinswand . . . 137
II. Balladen. 118. Andreas Hofer . . . . 139
79. Lenore 63 119. Die Eisenmauer . . . 140
80. Der wilde Jäger .... 69 120. Aus dem schlesischen Ge-
81. Der Zauberlehrling . . . 74 birge 141
82. Der Fischer 76 121. Gesicht des Reisenden . 143
83. Hochzeitlied 77 122. Eppelin von Geilingen . 144
84. Der Schatzgräber . . . 79 123. Der Pilgrim von St. Just 147
85. Erlkönig 80 124. Luca Signorelli . . . 148
86. Mignon 81 125. Das Grab im Busento 149
87. Die Kraniche des Ibykus. 81 126. Schön-Rohtraut . . , 149
88. Der Taucher 85 127. Archibald Douglas . . 150
89. Der Graf von Habsburg . 89 128. Gorm Grymme .... 152
90. Das Hemd des Glücklichen 92
91. Der letzte Hohenstaufen . 99 III. Erzählungen.
92. Des Sängers Fluch . . . 100 Legenden. Parabeln. Idyllen.
93. Der Schenk von Limburg 101 129. Die Bauern und der Amt-
94. Harald 102 mann 155
95. Das Schloss am Meere . 104 130. Hans Nord 156
96. Die Ulme zu Hirsau . . 104 131. Das Gespenst . . . . 157
97. Des Goldschmieds Töchter- 132. Der Selbstmord . . . 158
lein 105 133. Die Tabakspfeife . . . 159
98. Die Löwenbraut .... 106 134. Der gelähmte Kranich . 160
99. Die Sonne bringt es an 135. Legende vom Hufeisen . 161
den Tag 108 136. Parabel 163
100. Hans im Glücke. . . . 109 137. Schwäbische Kunde . . 165
Nr. Seite
138. Salas y Gomez .... 166
139. Die Kreuzschau . . . 173
140. Der Szekler Landtag . . 175
141. Erzengel Michaels Feder 176
142. Der Tod des Tiberius . 180
143. Der siebenzigste Geburts-
tag ....................184
144. Der Abendschmaus . . 189
IV. Reflectirende Dichtungen.
145. Winterfreuden .... 196
146. Römische Elegie . . . 197
147. Der Chinese in Rom . . 197
148. Gedichte................198
149. Die Frösche.............198
150. Katzenpastete . . . . 198
151. Der Spaziergang . . . 199
152. Das Lied von der Glocke 204
153. An den Aether . . . 213
154. Alles mit Mass . . . . 215
S onette.
155. Natur und Kunst . . . 215
156. Drei Kiele...........215
157. Die Tanne............216
158. Die Linde............216
159. Die Eiche. 1817 . . . 217
160. Geharnischte Sonette . . 217
161. Wir schlingen unsre Hand’
in einen Knoten . . 218
162. Venedig..............218
163. Dies Labyrinth von Brücken
und von Gassen . . 218
164. Venedig liegt nur noch
im Land der Träume . 219
Nr- Seite
Gasele.
165. Im Sonnenschein . . . 219
166. Vom künftigen Alter . 220
167. Es liegt an eines Menschen
Schmerz..............220
168. Was giebt dem Freund,
was giebt dem Dichter
feine Weihe? . . . . 221
Epigramme.
169. Aus den Votivtafeln . . 221
170. Aus den Jahreszeiten . 222
171. Sprüche in Reimen . . 223
172. Vierzeilen (Sprüche) . . 227
173. Sprüche.................228
V. Aus epischen und dramatischen
Dichtungen.
174. Abbadona................230
175. Hüon und Scherasmin . 235
176. Die drei Ringe .... 244
177. Des Helden Tod . . . 248
178. Iphigenie...............260
179. Der Spaziergang am Oster-
tage .................272
180. Braun’s desBärenBotschaft 277
181. Demetrius...............284
182. Chöre...................289
183. Die Hermannschlacht . 295
184. Bei Fehrbellin .... 303
185. Fortunat................305
186. Der Apfelschuss . . . 320
187. Die Kaiferwahl .... 325
188. Der Meisterschuss . . 327
189. Pompeji’s Untergang . . 333
I
I
I.
Lieder und Gesänge.
1. Lied der Freundschaft.
Der Mensch hat nichts so eigen,
So wohl steht nichts ihm an,
Als dass er Treu1 erzeigen,
Und Freundschaft halten kann.
Wann er mit seines Gleichen
Soll treten in ein Band,
Verspricht sich, nicht zu weichen,
Mit Herzen, Mund und Hand.
Die Red1 ist uns gegeben,
Damit wir nicht allein
Für uns nur sollen leben
Und fern von Leuten sein.
Wir sollen uns befragen,
Und seh’n auf guten Rath,
Das Leid einander klagen,
So uns betreten hat.
Gott stehet mir vor Allen,
Die meine Seele liebt:
Dann soll mir auch gefallen,
Der mir sich herzlich giebt.
Mit diesem Bundsgesellen
Verlach1 ich Pein und Noth,
Geh1 auf den Grund der Höllen,
Und breche durch den Tod.
Ich hab1, ich habe Herzen,
So treue, wie gebührt,
Die Heuchelei und Scherzen
.Nie wissentlich berührt!
Ich bin auch ihnen wieder
Von Grund der Seele hold,
Ich lieb1 euch mehr, ihr Brüder,
Als aller Frden Gold!
Simon Dach.
2. Pilgerspruch.
Lass dich nur nichts dauern
Mit Trauern!
Sei stille:
Wie Gott es fügt,
So fei vergnügt,
Mein Wille!
Was willst du heute sorgen
Auf morgen?
Der Eine
Steht Allen für,
Der giebt auch dir
Das Deine.
Sei nur in allem Handel
Ohn’ Wandel,
Steh’ feste:
Was Gott befehlen ist,
Das ist und heisst
Das Beste. Paul Flemming.
Roquette, Deutsches Lesebuch. I.
1
2
3. Die Landlust.
Geschäfte, Zwang und Grillen,
Entweiht nicht diese Trift:
Ich finde hier im Stillen
Des Unmuts Gegengift.
Ihr Schwätzer, die ich meide,
Vergesst mir nachzuziehen,
Verfehlt den Sitz der Freude,
Verfehlt der Felder Grün!
Es wehet, wallt und spielet
Das Laub um jeden Strauch,
Und jede Stunde fühlet
Des lauen Zephyrs Hauch.
Was mir vor Augen schwebet,
Gefällt, und hüpft und fingt,
Und alles alles lebet,
Und alles ist verjüngt.
Ihr Thäler und ihr Höhen,
Die Lust und Sommer schmückt,
Euch ungestört zu sehen,
Ist, was mein Herz erquickt.
Die Neigung freier Felder
Beschämt der Gärten Pracht,
Und in die offnen Wälder
Wird ohne Zwang gelacht.
Die Saat ist aufgeschossen
Und reizt der Schnitter Hand,
Die blättervollen Sprossen
Beschatten Berg und Land;
Die Vögel, die wir hören,
Gemessen ihrer Zeit:
Nichts tönt in ihren Chören
Als Scherz und Zärtlichkeit.
Wie thront auf Moos und Rasen
Der Hirt in stolzer Ruh'!
Er sieht die Heerde grasen,
Und spielt ein Lied dazu.
Sein muntres Lied ergötzet,
Und scheut die Kenner nicht;
Natur und Lust ersetzet,
Was ihm an Kunst gebricht.
Aus Dorf und Büschen dringet
Der Jugend Kern hervor,
Und tanzt und stimmt und singet
Nach seinem Haber-Rohr.
Den Reihentanz vollenden
Die Hirten, auf der Hut,
Mit treu vereinten Händen,
Mit Sprüngen voller Muth.
Wie manche frische Dirne
Schminkt sich aus jenem Bach,
Und giebt an Brust und Stirne
Doch nicht der schönsten nach.
Gesundheit und Vergnügen
Belebt ihr Aug' und Herz,
Und reizt in ihren Zügen,
Und lacht in ihrem Scherz.
In jährlich neuen Schätzen
Zeigt sich des Landmanns Glück,
Und Freiheit und Ergetzen
Erheitern seinen Blick.
Verleumdung, Stolz und Sorgen,
Was Städte sklavisch macht,
Das schwärzt nicht seinen Morgen,
Und drückt nicht seine Macht.
Nichts darf den Weifen binden,
Der alle Sinnen übt,
Die Anmuth zu empfinden,
Die Land und Feld umgiebt.
Bim prangt die fette Weide
Und die bethaute Flur,
Bim grünet Lust und Freude,
Ihm malet die Natur. Hagedorn.
4. Teutone.
Ode.
An der Höhe, wo der Quell der Barden in das Thal
Sein fliegendes Getöne, mit Silber bewölkt,
Stürzet, da erblickt’ ich, Göttin, dich
Noch Einmal, du kamst zu den Sterblichen herab!
Und mit Hoheit in der Miene stand sie, und ich sah
Die Geister um sie her, die, den Liedern entlockt,
Täuschen ihr Gebild. Die Wurdi’s*) Dolch
Unschuldige traf, die begleiteten sie fern,
Wie in Dämmerung; und die Skulda’s mächtiger Stab
Errettete, die schwebten umher in Triumph,
Schimmernd, um die Göttin, hatten stolz
Mit Laube der Eiche die Schläfe sich bekränzt.
Die Gedanken, die Empfindung treffend und mit Kraft,
Mit Wendungen der Kühnheit zu sagen, das ist,
Sprache des Tuiskon, Göttin, dir,
Wie unserer Helden Erobrung, ein Spiel!
0 Begoistrung! sie erhebt sich, feuriges Blicks
Ergiesset sich ihr Auge, die Seel’ in der Gluth!
Ströme! denn du schonest dass umsonst,
Der, leer des Gefühls, den Gedanken nicht erreicht!
Wie sie herschwebt an des Quells Eall! mächtiges Getön,
Wie Kauschen im Beginne des Waldes ist ihr Schwung!
Draussen um die Felsen braust der Sturm!
Gern höret im Walde der Wandrer das Wehen.
Die der Fremdling nicht entweiht, (Teutonien erlag
Nur Siegen unerobert!) o freiere, dich
Wagte der Geschreckten Fessel nicht
Zu fesseln! die Adler entflogen, und du bliebst,
Die du wärest! An dem Rhodan klirret sie noch laut.
Kette des Eroberers! laut am Ibeer!
Also, o Britanne, schallt dir noch
Der Angel und Sachse mit herrschendem Geklirr.
So bezwang nicht an des Rheines Strom Kumulus’ Geschlecht!
Entscheidungen, Vergeltungen sprachen wir aus,
Rache, mit des Deutschen Schwert und Wort.
Die Kette verstummte mit Varus in dem Blut.
*) Wurdi und Skulda: Nomen, Schicksalsgöttinnen der nor-
dischen Göttersage.
1
4
Die dich damals erhielten, Sprache, da im Forst
Der Weser die Erobererkette versank,
Schweigend in der Legionen Blut
Versank, sie verhüllt die Vergessenheit mit Nacht.
Ah, die -Geister der Bardiete, welche sie zur Schlacht
Ertöneten dem zürnenden Vaterlandsheer,
Folgen mit der Todeswunde dir!
Ha, Norne, dein Dolch! Wirst auch diesen, so sie klagt,
Die Vertilgten, du vertilgen? Bilder des Gesangs!
Ihr Geister! ich beschwör’ euch, ihr Genien, lehrt,
Führet mich den steilen kühnen Gang
Des Haines, die Bahn der Unsterblichkeit hinauf!
So erscholl’s mir von der Telyn*) wieder in dem Hain.
Mir däuchte, dass Teutona mit Lächeln auf mich
Blickte: da durchströmt es all mein Blut
Mit Feuer; und Böthe, wie jugendlichem Tanz,
Im Frühlinge getanzt, glüht, dämmte mir herauf
Die Wange! Ihr Begleiter! ihr Geister! so rief
Eiliger ich aus, ihr seht den Blick
Der Göttin, sie lächelte! Genien, ihr seht’s!
0 des Zaubers, den sie scheidend zauberte ! Sie rief,
Und Geister der Gesänge, gesungen durch mich,
Kamen, ihr Gebild, und hatten stolz
Mit heiligem Laube die Schläfe sich bekränzt,
Mit dem jüngsten aus dem Haine. Hebe dann, o Dolch
Der Norne, dich, du fehlst nie! Die Göttin hat sie
Schirmend, auf der Bahn des steilen Gangs,
Des kühnen, hinauf zur Unsterblichkeit geführt!
Klopftock.
5. Der Rheinwein.
.Ode.
0 du, der Traube Sohn, der im Golde blinkt,
Den Freund, sonst Niemand, lad’ in die Kühlung ein.
Wir drei sind unser werth, und jener
Deutscheren Zeit, da du, edler Alter,
*) Telyn: Die Leier.
o
Noch ungekeltert, aber schon feuriger
Dem Rheine zuhingst, der dich mit auferzog,
Und deiner heissen Berge Füsse
Sorgsam mit grünlicher Woge küldte.
Jetzt da dein Rücken bald ein Jahrhundert trägt,
Verdienst du es, dass man den hohen Geist
In dir verstehen lern' und Cato's
Ernstere Tugend vor dir erglühe.
Der Schule Lehrer kennet des Thiers um ihn,
Kennt aller Pflanzen Seele. Der Dichter weiss
So viel nicht; aber seiner Rose
Weibliche Seele, des Weines stärkre,
Den jene kränzt, der flötenden Naehtigal
Erfindungsvolle Seele, die seinen Wein
Mit ihm besingt, die kennt er besser,
Als der Erweis, der von Folgen triefet.
Rheinwein, von ihnen hast du die edelste,
Und bist es würdig, dass du des Deutschen Geist
Nachahmst! bist glühend, nicht aufflammend,
Taumellos, stark, und von leichtem Schaum leer.
Du duftest Balsam, wie mit der Abendluft
Der Würze Blume von dem Gestade dampft,
Dass selbst der Krämer die Gerüche
Athmender trinkt, und nur gleitend fortschifft.
Freund, lass' die Hall’ uns schliessen; der Lebenssaft
Verströmet sonst, und etwa ein kluger Mann
Möcht’ uns besuchen, breit sich setzen,
Und von der Weisheit wohl gar mit sprechen.
Nun sind wir sicher. Engere Wissenschaft,
Den hellen Einfall lehr' uns der Alten Geist!
Die Sorgen soll er nicht vertreiben.
Hast du geweinte, geliebte Sorgen,
Lass’ mich mit dir sie sorgen! Ich weine mit,
Wenn dir ein Freund starb. Nenn’ ihn, so starb er mir!
Das sprach er noch! Nun kam das letzte,
Letzte Verstummen! nun lag er todt da!
Von allem Kummer, welchen des Sterblichen
Kurzsichtig Leben nervenlos niederwirft,
Wär’st du, des Freundes Tod, der trübste;
Wär’ sie nicht auch, die Geliebte, sterblich!
6
Doch wenn dich, Jüngling, andere Sorg’ entflammt,
Und dir'8 zu heiss wird, dass du der Barden Gang
Im Haine noch nicht gingst, dein Name
Noch unerhöht mit der grossen Fluth fleusst;
So red’! In Weisheit wandelt sich Ehrbegier,
Wählt jene. Thorheit ist es, ein kleines Ziel
Das würdigen, zum Ziel zu machen,
Nach der unsterblichen Schelle lauten!
Noch viel Verdienst ist übrig. Auf, hab’ es nur!
Die Welt wird’s kennen. Aber das Edelste
Ist Tugend! Meisterwerke werden
Sicher unsterblich; die Tugend selten!
Allein sie soll auch Ruhm der Unsterblichkeit
Entbehren können. Athme nur auf, und trink’.
Wir reden viel noch, eh’ des Aufgangs
Kühlungen wehen, von grossen Männern.
Klop stock.
8. Die frühen Gräber.
Ode.
Willkommen, o silberner Mond,
Schöner, stiller Gefährt’ der Nacht!
Du entfliehst? Eile nicht, bleib’ Gedankenfreund!
Sehet, er bleibt, das Gewölk wallte nur hin.
Des Maies Erwachen ist nur
Schöner noch wie die Sommernacht,
Wenn ihm Thau, hell wie Licht, aus der Locke träuft,
Und zu dem Hügel herauf röthlich er kömmt.
Ihr Edleren, ach es bewächst
Eure Maale schon ernstes Moos!
0 wie glücklich war ich, als ich noch mit euch
Sahe sich röthen den Tag, schimmern die Nacht!
Klopstock.
7. Der Jüngling.
Ode.
Schweigend sahe der Mai die bekränzte
Leichtwehende Lock’ im Silberbach;
Röthlich war sein Kranz, wie des Aufgangs,
Er sah sich, und lächelte sanft.
7
Wüthend kam ein Orkan vom Gebirg1 her!
Die Esche, die Tann’, und Eiche brach,
Und mit Felsen stürzte der Ahorn
Vom bebenden Haupt des Gebirgs.
Ruhig schlummert am Bache der Mai ein,
Liess rasen den lauten Donnersturm!
Lauscht1, und schlief, beweht von der Blüthe,
Und wachte mit Hesperus auf.
Jetzo fühlst du noch nichts von dem Elend,
Wie Grazien lacht das Leben dir.
Auf, und waffhe dich mit der Weisheit!
Denn, Jüngling, die Blume verblüht!
Klopstock.
Preussische Kriegslieder eines Grenadiers.
1756.
Krieg ist mein Lied! Weil alle Welt
Krieg will, so fei es Krieg!
Berlin fei Sparta! Preussens Held
Gekrönt mit Ruhm und Sieg!
Gern will ich feine Thaten thun
Die Leyer in der Hand,
Wenn meine blut'gen Waffen ruh’n,
Und hangen an der Wand.
Auch stimmt1 ich hohen Scldachtgesang
Mit seinen Helden an,
Bei Pauken und Trompetenklang,
Im Lärm von Ross und Mann.
Und streit1, ein tapfrer Grenadier,
Von Friedrichs Muth erfüllt!
Was acht1 ich es, wenn über mir
Kanonendonner brüllt?
Ein Held fall1 ich, noch sterbend droht
Mein Säbel in der Hand:
Unsterblich macht der Helden Tod,
Der Tod ftir’s Vaterland!
Auch kommt man aus der Welt davon
Geschwinder, wie der Blitz,
Und wer ihn stirbt, bekommt zum Lohn
Im Himmel hohen Sitz.
8
Wenn aber ich als solch ein Held
Dir, Mars, nicht sterben soll,
Nicht glänzen soll im Sternenzelt,
So leb' ich dem Apoll !
So werd’ aus Friedrichs Grenadier,
Dem Schutz der Ruhm des Staats,
So lern' er deutscher Sprache Zier,
Und werde sein Horaz.
Dann singe Gott und Friederich
Nichts kleiners, stolzes Lied !
Dem Adler gleich erhebe dich,
Der in die Sonne sieht!
9. 1757.
Auf! Brüder, Friedrich, unser Held,,
Der Feind vor fauler Frist,
Ruft uns nun wieder in das Feld
Wo Ruhm zu holen ist.
Was soll, o Tolpatsch und Pandur,
Was soll die träge Rast ?
Auf, und erfahre, dass du nur
Den Tod verspätet hast.
Aus deinem Schädel trinken wir
Bald deinen süssen Wein,
Du Ungar! Unser Feldpanier
Soll solche Flasche sein.
Dein starkes Heer ist unser Spott,
Ist unser Waffen-Spiel;
Demi was kann wider unsern Gott
Theresia und Brühl?
Was helfen Waffen und Geschütz
Im ungerechten Krieg?
Gott donnerte bei Lowositz,
Und unser war der Sieg.
Und böt' uns in der achten Schlacht
Franzos und Russe Trutz;
So lachten wir doch ihrer Macht,
Denn Gott ist unser Schutz.
Gleim.
9
10. Siegeslied nach der Schlacht bei Lowoütz 1756.
Gott donnerte, da floh der Feind!
Singt, Brüder, singet Gott!
Denn Friederich, der Menschenfreund,
Hat obgesiegt mit Gott.
Bei Aussig sahen wir den Held,
Wie feurig brannten wir
Zu steh’n mit ihm im Siegesfeld,
Nun stehen wir es hier.
Fr ging mit seiner kleinen Schaar
Den Siegesweg voran,
Und schlug, wo Feind zu schlagen war
Und macht uns reine Bahn.
Wir hatten Nacht, er aber nicht.
Du, hoher Palchkopoll,
Sahst ihn, im Heldenangesicht
Den Mars und den Apoll.
Auf einer Trommel fass der Held
Und dachte feine Schlacht,
Den Himmel über sich zum Zelt,
Und um ihn her die Nacht.
Er dachte: Zwar sind ihrer viel,
Fast billig ist ihr Spott :
Allein wär' ihrer noch so viel,
So schlag' ich sie mit Gott.
Das dacht’ er, sahe Morgenroth,
Verlangen im Gesicht.
Der gute Morgen, deG er bot,
Wie munter war er nicht!
Sprang auf von seinem Heldensitz,
Sprach: Eh’ noch Sonne scheint,
Kommt, Helden, hinter Lowositz
Zu sehen meinen Feind!
Da kamen Wilhelm, Bevern, Keith
Und Braunschweigs Ferdinand,
Vier grosse Helden, weit und breit
Durch ihren Muth bekannt.
Auch drangen andre Helden sich
Den grossen Helden nach,
Zu stehen neben Friederich,
Zu horchen, was er sprach.
10
Frei wie ein Gott von Furcht und Graus,
Voll menschlichen Gefühls,
Steht er und theilt die Rollen aus
Des grossen Trauerspiels.
fI9l 1
•teli
Dort, spricht er, stehe Reiterei,
Hier Fussvolk! Alles steht
In grosser Ordnung, fchreckenfrei,
Indem die Sonn' aufgeht.
So stand, als Gott der Herr erschuf,
Das Heer der Sterne da;
Gehorsam stand es seinem Ruf
In grosser Ordnung da.
Die Sonne trat mit Riesenschritt
Auf ihrer Himmelsbahn
Hervor, dass wir mit ihrem Tritt
Auf einmal vor uns sahn:
Hin unaufhörlich Kriegesheer
Hoch über Berg und Thal,
Panduren, wie der Sand am Meer,
Kanonen ohne Zahl;
Und stutzten, Helden wohl erlaubt,
Nur einen Augenblick;
Ein Haar breit schlugen wir das Haupt,
Doch keinen Fuss zurück.
Denn alsobald gedachten wir
An Gott und Vaterland:
Straks war Soldat umj Officier
Voll Löwenmuth, und stand;
7
Und näherte dem Feinde sich
Mit gleichem grossem Schritt.
Halt! sagte König Friederich;
Halt! da war es Ein Tritt.
Er stand, besah den Feind, und sprach,
Was zu verrichten fei.
Wie Gottes Donnerwetter brach
Hervor die Reiterei.
Hui! sagte Ross und Mann zugleich,
Flog mit Geprassel, liess
Land hinter sich, bis Streich auf Streich,
Auf Panzer Panzer stiess.
11
Zu muthig jagte sie, zu weit
Den zweimal flücht’gen Feind,
Der mehr durch Trug als Tapferkeit
Uns zu bezwingen meint’.
Denn ihrer Hitze viel zu früh
Hemmt ilires Schwert’s Gewalt
Kartätschenfeuer unter sie
Aus tück’ schern Hinterhalt.
Wie boshaft freut der Ungar sich,
Dem List, nicht Muth gelung!
Sie flieht zurück, und Friederich
Hält ihre Musterung.
Ha, Vater Bevern! riefen wir,
Uns, uns Patronen her!
Denn deinem armen Grenadier
Ist schon die Tasche leer!
Wenn er nicht Pulver wieder hat,
So hat er hier sein Grab!
Die Hunde regnen Kugelsaat
Von ihrem Thurm herab!
Stürzt, sprach er, sie von ihrem Thurm
Mit Bajonet herab!
Wir thaten es, wir liefen Sturm,
Und stürzten sie herab.
Wir rissen Mauern ein, Pandur,
Erstiegen deinen Schutz,
Und boten, Tiger von Natur,
Dir in die Nase Trutz!
Du liefest was man laufen kann,
Du sprangest in die Stadt.
Wir riefen: Alles hinter an,
Was Herz im Leibe hat!
Der tapfre Wilhelm aber nahm
Und führte bei der Hand
Dich, Müller, an, und plötzlich kam
Pandur und Stadt in Brand.
Und, Brüder, Braun der Kluge wich
Voll Heldeneifersucht,
Liess uns und unserm Friederich
Das Schlachtfeld, nahm die Flucht.
12
Wer aber hat durch seine Macht
Dich, Braun, und dich, Pandur,
In Angst gesetzt, in Flucht gebracht?
Gott, der auf Wolken fuhr.
Sein Donner zürnte deinem Krieg
Bis spät in schwarzer Nacht.
Wir aber singen unsern Sieg
Und preisen seine Macht. Gleim.
11. Hymnus an die Morgensonne.
Dämmrung kleidet den Hain in ihr graues Gewand,
Und die Augen der Nacht, die den Himmel beglänzt,
Legen den Schleier an, den der kommende Tag
Ueber alle Gestirne webt.
Schweigen herrschet umher; nur posaunet der Hahn
Seinen Morgengesang und erwecket das Dorf,
Und erwecket den Tag, der das eine Aug’ schon
Halb und schläfrig zu öffnen beginnt.
Welche Nymphe besteigt itzt das rothe Gewölk
Mit der Krone von Gold? Rosen bekränzen ihr Haar!
Wo die Göttliche geht, keimen Blumen hervor,
Füllen Balsamgerüche die Luft.
Sie bemalet den Ost. Ist’s Aurora? Sie ist’s,
Sie, die Botin des Tags! Freude tanzet ihr vor,
Heller wirbelt der Hain, lauter gurgelt der Bach
Durch Mäander des Veilchenthals.
Sie bestreuet die Bahn, welche die Sonne betritt,
Schon mit röthlichen und mit goldenen
Blumen, wandelt voran, mit dem Körbchen am Arm,
Den ihr Flora mit Rosen gefüllt.
Sonne, was harrst du? Wandle der Schwester nach,
Die ihr Körbchen bereits ganz von Blumen geleert;
Geh' aus deinem Gezelt, Mutter des Tages, hervor,
Und vergülde die wache Welt!
Jetzt zerreisst sie den Schleier, der ihr Auge verhüllt,
Zeigt die blitzende Stirn, hebt ihr funkelndes Haupt,
Welches die goldenen Locken umfliegen, empor,
Blicket Munterkeit über die Flur.
I
— 13 —
Heil dir, Mutter des Lichts! Sie bestrahlet den Hain,
Der vom Fittich des Winds auf dem Gebirge nickt,
Prägt ihr lachendes Bild in den Spiegel des Bachs,
Böthet die Wangen des Blumenvolks.
Wie der Puls der Natur itzt so jugendlich klopft!
Wie des Waldes Musik von den Wipfeln ertönt!
Wie die Blume stolziert, und ihr seidenes Kleid
In vergoldeten Purpur taucht!
Durch das Lächeln erweckt, Wolkenbewandlerin!
Schreitet der rege Fleiss durch das Aehrengefild’,
Mengt das Sichelgeräusch und ein fröhliches Lied
In das Morgengeflüster des Hains. Hölty.
12. Aufmunterung zur Freude.
Wer wollte sich mit Grillen plagen
So lang' noch Lenz uüd Jugend blüh’n?
Wer wollt' in seinen Blüthentagen
Die Stirn in düstre Falten zieh’n?
Die Freude winkt auf allen Wegen,
Die durch dies Pilgerleben geli’n,
Sie bringt uns selbst den Kranz entgegen,
Wenn wir am Scheidewege steh’n.
Noch rinnt und rauscht die Wiesenquelle,
Noch ist die Laube kühl und grün,
Noch scheint der liebe Mond so helle,
Wie er durch Adams Bäume schien.
Noch macht der Saft der Purpurtraube
Des Menschen krankes Herz gesund,
Noch schmecket in der Abendlaube
Der Kuss auf einen rothen Mund.
Noch tönt der Busch voll Nachtigallen
Dem .Jüngling hohe Wonne zu,
Noch strömt, wenn ihre Lieder schallen,
Selbst in zerriss’ne Seelen Ruh’.
0 wunderschön ist Gottes Erde,
Und werth, darauf vergnügt zu fein!
Drum will ich, bis ich Asche werde,
Mich dieser schönen Erde freu’n.
Hölty.
14
13. Der Genius.
Ode.
Den schwachen Flügel reizet der Aether nicht!
Im Felsenneste fühlt sich der Adler schon
Voll seiner Urkraft ; hebt den Fittig,
Senkt sich, und hebt sich, und trinkt die Sonne!
Du gabst, Natur, ihm Flug und den Sonnendurst!
Mir gabst du Feuer, Durst nach Unsterblichkeit!
Dies Toben in der Brust! Dies Staunen,
Welches durch jegliche Nerve zittert:
Wenn schon die Seelen werdender Lieder mir
Das Haupt umschweben, eh' das nachahmende
Gewand der Sprache sie umfliesset,
Ohne den geistigen Flug zu hemmen.
Du gabst mir Schwingen hoher Begeisterung,
Gefühl des Wahren, Liebe des Schönen, Du!
Du lehrst mich neue Höhen finden,
Welche das Auge der Kunst nicht spähet!
Von Dir geleitet wird mir die Sternenbahn
Nicht hoch, und tief sein nicht der Oceanus!
Die Mitternacht nicht dunkel! Blendend
Nicht des vertrauten Olymps Umstrahlung!
Fr. Stolberg.
14. An das Meer.
Du heiliges und weites Meer,
Wie ist dein Anblick mir so hehr!
Sei mir im frühen Strahl gegrüsst,
Der zitternd deine Lippen küsst!
Wohl mir, dass ich, mit dir
vertraut,
Viel tau sendmal dich angeschaut!
Es kehrte jedesmal mein Blick
Mit innigem Gefühl zurück.
Ich lauschte dir mit trunknem
Ohr,
Es steigt mein Geist mit dir empor,
Und senket sich mit dir hinab
In der Natur geheimes Grab.
Wenn sich zu dir die Sonne neigt,
Erröthend in dein Lager steigt,
Dann tönet deiner Wogen Klang
Der müden Erde Wiegensang.
Es lauschet dir der Abendstern,
Und winket freundlich dir von
fern;
Dir lächelt Luna, wenn ihr Licht
Sich millionenfältig bricht.
Oft eil’ ich, aus der Haine
Kuh’,
Mit Wonne deinen Wogen zu,
Und senke mich hinab in dich,
Und kühle, labe, stärke mich.
15
Der Geist des Herrn den Dichter
zeugt,
Die Erde mütterlich ihn Taugt,
Auf deiner Wogen blauem Schooss
Wiegt feine Phantasie ihn gross.
Der blinde Sänger stand am
Meer,
Die Wogen rauschten um ihn
her,
Und Riesenthaten goldner Zeit
Umrauschten ihn im Feierkleid.
Es kam zu ihm auf Schwanen-
fchwung
Melodisch die Begeisterung,
Und Ilias und Odyssee
Entstiegen mit Gesang der See.
Hätt' er gesehn, wär' um ihn her
Verschwunden Himmel, Erd' und
Meer;
Sie sangen vor des Blinden Blick
Den Himmel, Erd’ und Meer
zurück.
Fr. Stolberg.
15. Lied eines schwäbischen Ritters an seinen Sohn,
Sohn, da hast du meinen Speer;
Meinem Arm wird er zu schwer!
Nimm den Schild und dies Ge-
schoss,
Tummle du fortan mein Ross!
Siehe, dies nun weifse Haar
Deckt der Helm schon fünfzig Jahr,
Jedes Jahr hat eine Schlacht
Schwert und Streitaxt stumpf
gemacht.
Herzog Rudolf hat dies Schwert
Axt und Kolbe mir verehrt,
Denn ich blieb dem Herzog hold,
Und verschmähte Heinrichs Sold!
Für die Freiheit floss das Blut
Seiner Rechten! Rudolfs Muth
That mit seiner linken Hand
Noch dem Franken Widerstand.
Nimm die Wehr und Wappne
" - dich,
Kaiser Konrad rüstet sich!
Sohn, entlaste mich des Arms
Ob der Schwäche meines Arms!
Zücke nie umsonst dies Schwert
Für der Väter freien Herd!
Sei behutsam auf der Wacht,
Sei ein Wetter in der Schlacht!
Immer fei zum Kampf bereit,
Suche stets den wärmsten Streit
Schone dess, der wehrlos fleht,
Haue den, der widersteht!
Wenn dein Haufe wankend steht,
Ihm umsonst das Fähnlein weht,
Trotze dann, ein fester Thurm,
Der vereinten Feinde Sturm!
Deine Brüder frais das Schwert,
Sieben Knaben, Deutschlands
werth!
Deine Mutter härmte sich
Stumm und starrend, und erblich.
Einsam bin ich nun und
schwach;
Aber, Knabe, deine Schmach
Wär’ mir herber siebenmal,
Denn der sieben andern Fall.
Drum so scheue nicht den Tod,
Und vertraue deinem Gott!
So du kämpfest ritterlich,
Freut dein alter Vater sich!
Fr. Stolberg,
16
16. Abendlied.
Der Mond ist aufgegangen,
Die goldnen Sternlein prangen
Am Himmel liell und klar.
Der Wald steht schwarz und
schweiget
Und aus den Wiesen steiget
Der weisse Nebel wunderbar.
Wie ist die Welt so stille,
Und in der Dämmrung Hülle
So traulich und so hold!
Als eine stille Kammer,
Wo ihr des Tages Jammer
Verschlafen und vergessen sollt.
Seht ihr den Mond dort stehen ?
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön!
So find wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht seh’n.
Wir stolze Menschenkinder
Sind eitel arme Sünder,
Und wissen garnicht viel.
Wir spinnen Luftgespinste,
Und suchen viele Künste,
Und kommen weiter von dem Ziel.
Gott lass uns dein Heil schauen,
Auf nichts Vergängliche trauen,
Nicht Eitelkeit uns freu’ n!
Lass uns einfältig werden,
Und vor dir hier auf Erden
Wie Kinder fromm und fröhlich fein.
Claudias.
17. Der Mond.
In stillem, heitrem Glanze
Tritt er so sanft einher !
Wer ist im Sternenkranze
So schön geschmückt als er?
Er wandelt still bescheiden,
Verhüllt sein Angesicht,
Und giebt doch so viel Freuden
Mit seinem trauten Licht.
Er lohnt des Tags Beschwerde,
Schliesst sanft die Augen zu,
Und winkt der müden Erde
Zur stillen Abendruh'.
Schenkt mit der Abendkühle
Der Seele frische Lust,
Die seligsten Gefühle
Giesst er in unsre Brust.
Du, der ihn uns gegeben
Mit seinem trauten Licht,
Hast Freud’ am frohen Leben,
Sonst gäbst du ihn uns nicht.
Hab' Dank für alle Freuden,
Hab’ Dank für deinen Mond,
Der uns des Tages Leiden
So reich, so freundlich lohnt!
Claudius.
18. Elegie.
(In den Ruinen eines alten Bergschlosses geschrieben.)
Schweigend, in der Abenddämmrung Schleier
Ruht die Flur, das Lied der Haine stirbt,
Nur dass hier im alternden Gemäuer
Melancholisch noch ein Heimchen zirpt;
17
Stille finkt aus unbewölkten Lüften,
Langsam ziehn die Heer den von den Triften,
Und der müde Landmann eilt der Ruh’
Seiner väterlichen Hütte zu.
Hier auf diesen waldumkränzten Höhen
Unter Trümmern der Vergangenheit,
Wo der Vorwelt Schauer mich umwehet,
Sei dies Lied, o Wehmut, dir geweiht!
Trauernd denk’ ich, was vor grauen Jahren
Diese morschen Ueberreste waren:
Ein bethürmtes Schloss, voll Majestät
Auf des Berges Felsenstirn erhöht.
Dort, wo um des Pfeilers dunkle Trümmer
Traurig flüsternd sich der Epheu schlingt,
Und der Abendröthe trüber Schimmer
Durch den öden Raum der Fenster blinkt,
Segneten vielleicht des Vaters Thränen
Einst den edelsten von Deutschlands Söhnen,
Dessen Herz, von Ehrbegierde voll,
Heiss dem nahen Kampf entgegen schwoll.
„Zeuch in Frieden! sprach der greise Krieger,
Ihn umgürtend mit dem Heldenschwert;
Kehre nimmer, oder kehr’ als Sieger,
Sei des Namens deiner Väter wert!“
Und des edlen Jünglings Auge sprühte
Todesflammen, feine Wange glühte,
Gleich dem aufgeblühten Rosenhain
In der Morgenröthe Purpurschein.
Eine Donnerwolke, flog der Ritter
Dann, wie Richard Löwenhera, zur Schlacht;
Gleich dem Tannenwald im Ungewitter
Beugte sich vor ihm des Feindes Macht!
Wild, wie Bäche, die durch Blumen wallen,
Kehrt’ er zu des Felsenschlosses Hallen,
Zu des Vaters Freudenthränenblick,
In des keuschen Mädchens Arm zurück.
Ach! mit banger Sehnsucht blickt die Holde,
Oft vom Söller nach des Thales Pfad!
Schild und Panzer gluh’n im Abendgolde,
Rosse fliegen, der Geliebte naht!
Ihm die treue Rechte sprachlos reichend
Steht sie da erröthend und erbleichend;
Aber, was ihr sanftes Auge spricht,
Sängen selbst Petrarch und Sappho nicht.
Roquotto, Deutsches Lesebuch. I.
2
18
Fröhlich hallte der Pokale Läuten
Dort, wo wild verschlungne Ranken sich
Ueber Uhunester schwarz verbreiten,
Bis der Sterne Silberglanz erblich.
Die Geschichten schwererkämpfter Siege,
Grauser Abenteu’r im heil’gen Kriege
Weckten in der rauhen Heldenbrust
Die Erinnrung schauerlicher Lust.
0 der Wandlung! Graun und Nacht umdüstern
Nun den Schauplatz jener Herrlichkeit,
Schwermuthsvolle Abendlüfte flüstern.
Wo die Starken sich des Mahls gefreut!
Disteln wanken einsam auf der Stätte,
Wo um Schild und Speer der Knabe flehte,
Wo der Kriegsdrommete Ruf erklang,
Und aufs Kampfross sich der Vater schwang.
Asche sind der mächtigen Gebeine
Tief im dunkeln Erdenschoosse nun!
Kaum dass halb versunkne Leichensteine
Noch die Stätte zeigen, wo sie ruhn.
Viele wurden längst ein Spiel der Lüfte,
Ihr Gedächtniss sank, wie ihre Grüfte 5
Vor dem Thatenglanz der Heldenzeit
Schwebt die Wolke der Vergessenheit.
So vergehn des Lebens Herrlichkeiten,
So entfleucht das Traumbild eitler Macht!
So versinkt im schnellen Lauf der Zeiten,
Was die Erde trägt, in öde Nacht!
Lorbeern, die des Siegers Stirn umkränzen,
Thaten, die in Erz und Marmor glänzen,
Urnen, der Erinnerung geweiht,
Und Gesänge der Unsterblichkeit!
Alles was mit Sehnsucht und Entzücken
Hier am Staub’ ein edles Herz erfüllt,
Schwindet, gleich des Herbstes SonnenblickenT
Wenn der Sturm den Horizont umhüllt.
Die am Abend freudig sich umfassen,
Sieht die Morgenröthe schon erblassen,
Selbst der Freundschaft und der Liebe Glück
Lässt auf Erden keine Spur zurück.
Süsse Liebe! Deine Rosenauen
Grüssen an bedornte Wüstenei’n,
Und ein plötzliches Gewittergrauen
Düstert oft der Freundschaft Aetherschein.
19
Hoheit, Ehre, Macht und Ruhm sind eitel!
Eines Weltgebieters stolze Scheitel
Und ein zitternd Haupt am Pilger stab
Deckt mit einer Dunkelheit das Grab. Mattbisson.
19. Der Musensohn.
Durch Feld und Wald zu
schweifen,
Mein Liedchen wegzupfeifen,
So geht's von Ort zu Ort!
Und nach dem Tacte reget
Und nach dem Mass beweget
Sich alles um mich fort.
Ich sing' ihn in die Weite,
Auf Eises Läng’ und Breite,
Da blüht der Winter schön!
Auch diese Blüte schwindet,
Und neue Freude findet,
Sich auf bebauten Höh’n.
Ich kann sie kaum erwarten
Die erste Blum’ im Garten,
Die erste Blüth’ am Baum.
Sie grüssen meine Lieder,
Und kommt der Winter wieder,
Sing’ ich noch jenen Traum.
Denn wie ich bei der Linde
Das junge Völkchen finde,
Sogleich erreg’ ich sie.
Der stumpfe Bursche bläht sich,
Das steife Mädchen dreht sich
Nach meiner Melodie.
Ihr gebt den Sohlen Flügel,
Und treibt durch Thal und Hügel
Den Liebling weit von Haus.
Ihr lieben holden Musen,
Wann ruh’ ich ihr am Busen
Auch endlich wieder aus! Goethe.
20. Geistesgruss.
Hoch auf dem alten Thurme steht
Des Helden edler Geist,
Der, wie das Schiff vorübergeht,
Es wohl zu fahren heisst.
„Sieh’, diese Senne war so stark,
Dies Herz so fest und wild,
Die Knochen voll von Kittermark,
Der Becher angefüllt
„Mein halbes Leben stürmt’ ich fort,
Verdehnt’ die Hälft’ in Ruh,
Und du, du Menschenschifflein dort,
Fahr’ immer immer zu!“
2 *
Goethe.
20
21. Schäfers Klagelied.
Da droben auf jenem Berge
Da steh’ ich tausendmal,
An meinem Stabe gebogen,
Und schaue hinab in das Thal.
Dann folg' ich der weidenden Heerde,
Mein Hündchen bewahret mir sie-,
Ich bin herunter gekommen
Und weiss doch selber nicht wie.
Da stehet von schönen Blumen
Die ganze Wiese so voll;
Ich breche sie, ohne zu wissen
Wem ich sie geben soll.
Und Regen und Sturm und Gewitter
Vergess’ ich unter dem Baum.
Die Thüre dort bleibet verschlossen;
Doch alles ist leider ein Traum.
Es stehet ein Regenbogen
Wohl über jenem Haus!
Sie aber ist weggezogen,
Und weit in das Land hinaus.
Hinaus in das Land und weiter,
Vielleicht gar über die See.
Vorüber, ihr Schafe, vorüber!
Dem Schäfer ist gar so weh. Goethe.
22. Wandrers Nachtlied.
Der du von dem Himmel bist,
Alles Leid und Schmerzen stillest,
Den, der doppelt elend ist,
Doppelt mit Erquickung füllest,
Ach, ich bin des Treibens müde!
Was soll all der Schmerz und Lust!
Süsser Friede,
Komm’, ach komm’ in meine Brust! Goethe.
23. Ein
Ueber allen Gipfeln
Ist Ruh,
In allen Wipfeln
Spürest du
gleiches.
Kaum einen Hauch;
Die Vöglein schlafen im Walde.
Warte nur, balde
Ruhest du auch! Goethe.
21
24. Dauer im Wechsel.
Hielte diesen frühen Segen
Ach nur eine Stunde fest!
Aber vollen Blüthenregen
Schüttelt schon der laue West.
Soll ich mich des Grünen freuen?
Dem ich Schatten erst verdankt',
Bald wird Sturm auch das zerstreuen,
Wenn es halb im Herbst geschwankt.
Willst du nach den Früchten greifen,
Eilig nimm dein Theil davon!
Diese fangen an zu reifen
Und die andern keimen schon;
Gleich mit jedem Regengüsse
Aendert sich dein holdes Thal,
Ach, und in demselben Flusse
Schwimmst du nicht zum zweitenmal.
Du nun selbst! was felsenfeste
Sich vor dir hervorgethan,
Mauern siehst du, siehst Paläste
Stets mit andern Augen an.
Weggeschwunden ist die Lippe,
Die im Kusse sonst genas,
Jener Fuss, der an der Klippe
Sich mit Gemsenfreche mass.
Jene Hand, die gern und milde
Sich bewegte wohlzuthun,
Das gegliederte Gebilde,
Alles ist ein andres nun.
Und was sich, an jener Stelle
Nun mit deinem Namen nennt,
Kam herbei wie eine Welle,
Und so eilt's zum Element.
Lass' den Anfang mit dem Ende
Sich in Eins zusammenziehn!
Schneller als die Gegenstände
Selber dich vorüberfliehn.
Danke, dass die Gunst der Musen
Unvergängliches verhelfst:
Den Gehalt in deinem Busen,
Und die Form in deinem Geist. Goethe.
22
25.
Feiger Gedanken
Bängliches Schwanken,
Weibisches Zagen,
Aengstliches Klagen,
Wendet kein Elend,
Macht dich nicht frei.
Beherzigung.
Allen Gewalten
Zum Trutz sich erhalten,
Nimmer sich beugen.
Kräftig sich zeigen,
Rufet die Arme
Der Götter herbei.
Goethe.
26. Das Göttliche.
Edel fei der Mensch,
Hülfreich und gut!
Denn das allein
Unterscheidet ihn
Von allen Wesen,
Die wir kennen.
Heil den Unbekannten
Hökern Wesen,
Die wir ahnen!
Sein Beispiel lehr' uns
Jene glauben.
Denn unfühlend
Ist die Natur:
Es leuchtet die Sonne
Ueber Bös' und Gute
Und dem Verbrecher
Glänzen, wie dem Besten,
Der Mond und die Sterne.
Wind und Ströme,
Donner und Hagel
Rauschen ihren Weg,
Und ergreifen,
Vorüber eilend,
Einen um den andern.
Auch so das Gluck
Tappt unter die Menge,
Fasst bald des Knaben
Lockige Unschuld,
Bald auch den kahlen
Schuldigen Scheitel.
Nach ewigen, ehrnen
Grossen Gesetzen
Müssen wir alle
Unseres Daseins
Kreise vollenden.
Nur allein der Mensch
Vermag das Unmögliche; '
Er unterscheidet,
Wählet und richtet;
Er kann dem Augenblick
Dauer verleihen.
Er allein darf
Den Guten lohnen,
Den Bösen strafen,
Heilen und retten;
Alles Irrende, Schweifende
Nützlich verbinden.
Und wir verehren
Die Unsterblichen,
Als wären sie Menschen,
Thäten im Grossen,
Was der Beste im Kleinen
Thut oder möchte.
Der edle Mensch
Sei hülfreich und gut!
Unermüdet schaff er
Das Nützliche, Rechte,
Sei uns ein Vorbild
Jener geahneten Wesen!
Goethe.
23
Geister über den Wassern.
27. Gesang der
Des Menschen Seele
Gleichet dem Wasser:
Vom Himmel kommt es,
Zum Himmel steigt es,
Und wieder nieder
Zur Erde muss es
Ewig wechselnd.
Strömt von der hohen
Steilen Felswand
Der reine Strahl,
Dann stäubt er lieblich
In Wolken wellen
Zum glatten Fels,
Und leicht empfangen,
Wallt er verschleiernd,
Leisrauschend,
Zur Tiefe nieder.
Ragen Klippen
Dem Sturz entgegen,
Schäumt er unmuthig
Stufenweise
Zum Abgrund.
Im flachen Bette
Schleicht er das Wiesenthal hin,
Und in dem glatten See
Weiden ihr Antlitz
Alle Gestirne.
Wind ist der Welle
Lieblicher Buhler;
Wind mischt von Grund aus
Schäumende Wogen.
Seele des Menschen,
Wie gleichst du dem Wasser!
Schicksal des Menschen,
Wie gleichst du dem Wind!
Goethe.
28. Prometheus.
Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Mit Wolkendunst,
Und übe, dem Knaben gleich,
Der Disteln köpft,
An Eichen dich und Bergeshöhn;
Musst mir meine Erde
Doch lassen stehn,
Und meine Hütte, die du nicht gebaut,
Und meinen Herd,
Um dessen Gluth
Du mich beneidest.
Ich kenne nichts Aermeres
Unter der Sonn', als euch Götter!
Ihr nähret kümmerlich
Von Opfersteuern
Und Gebetshauch
Eure Majestät,
Und darbtet, wären
Nicht Kinder und Bettler
Hoffnungsvolle Thoren.
I
— 24 —
Da ich ein Kind war,
Nicht wusste wo aus noch ein,
Kehrt’ ich mein verirrtes Auge
Zur Sonne, als wenn drüber wär’
Ein Ohr, zu hören meine Klage,
Ein Herz, wie mein’s,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.
Wer half mir
Wider der Titanen Hebermuth?
Wer rettete vom Tode mich,
Von Sklaverei?
Hast du nicht alles selbst vollendet,
Heilig glühend Herz?
Und glühtest jung und gut,
Betrogen, Rettungsdank
Dem Schlafenden da droben?
Ich dich ehren? Wofür?
Hast du die Schmerzen gelindert
Je des Beladenen?
Hast du die Thränen geftillet
Je des Geängsteten?
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Die allmächtige Zeit
Und das ewige Schicksal,
Meine Herrn und deine?
Wähnest du etwa,
Ich sollte das Leben hassen,
In Wüsten fliehen,
Weil nicht alle
Blüthenträume reiften?
Hier sitz’ ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich fei,
Zu leiden, zu weinen,
Zu gemessen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich!
29. Berglied.
Am Abgrund leitet der schwindlichte Steg,
Er führt zwischen Leben und Sterben;
Es sperren die Riesen den einsamen Weg
Und drohen dir ewig Verderben,
Goethe.
I
25
Und willst du die schlafende Löwin nicht wecken,
So wandle still durch die Strassen der Schrecken.
Es schwebt eine Brücke, hoch über den Hand
Der furchtbaren Tiefe gebogen,
Sie ward nicht erbauet von Menschenhand
Es hätte sich's keiner verwegen,
Der Strom braust unter ihr spat und früh,
Speit ewig hinauf, und zertrümmert sie nie.
Es öffnet sich schwarz ein schauriges Thor,
Du glaubst dich im Reiche der Schatten,
Da thut sich ein lachend Gelände hervor,
Wo der Herbst und der Frühling sich gatten;
Aus des Lebens Mühen und ewiger Qual,
Möcht' ich fliehen in dieses glückselige Thal.
Vier Ströme brausen hinab in das Feld,
Ihr Quell, der ist ewig verborgen;
Sie hiessen nach allen vier -Strassen der Welt,
Nach Abend, Nord, Mittag und Morgen.
Und wie die Mutter sie rauschend geboren,
Fort fliehn sie und bleiben sich ewig verloren.
Zwei Zinken ragen ins Blaue der Luft,
Hoch über der Menschen Geschlechter,
Drauf tanzen, umschleiert mit goldenem Duft,
Die Wolken, die himmlischen Töchter.
Sie halten dort oben den einsamen Reihn,
Da stellt sich kein Zeuge, kein irdischer, ein.
Es sitzt die Königin hoch und klar
Auf unvergänglichem Throne,
Die Stirn umkränzt sie sich wunderbar
Mit diamantener Krone;
Drauf schiefst die Sonne die Pfeile von Licht,
Sie vergolden sie nur und erwärmen sie nicht.
Schiller.
30. Die Macht des Gesanges.
Ein Regenstrom aus Felsenrissen —
Er kommt mit Donners Ungestüm,
Bergtrümmer folgen seinen Güssen,
Und Eichen stürzen unter ihm.
26
Erstaunt, mit wollustvollem Grausen,
Hört ihn der Wanderer und lauscht,
Er hört die Flut vom Felsen brausen,
Doch weiss er nicht, woher sie rauscht:
So strömen des Gesanges Wellen
Hervor aus nie entdeckten Quellen.
Verbündet mit den furchtbar'n Wesen,
Die still des Lebens Faden dreh’n,
Wer kann des Sängers Zauber lösen,
Wer seinen Tönen widerstehn?
Wie mit dem Stab des Götterboten
Beherrscht er das bewegte Herz-,
Er taucht es in das Reich der Todten,
Er hebt es staunend himmelwärts
Und wiegt es zwischen Ernst und Spiele
Auf schwanker Leiter der Gefühle.
Wie wenn auf einmal in die Kreise
Der Freude, mit Gigantenschritt,
Geheimnissvoll nach Geisterweise,
Ein ungeheures Schicksal tritt:
Da beugt sich jede Erdengrösse
Dem Fremdling aus der andern Welt,
Des Jubels nichtiges Getöse
Verstummt, und jede Larve fällt,
Und vor der Wahrheit mächt'gern Siege
Verschwindet jedes Werk der Lüge.
So rafft von jeder eiteln Bürde,
Wenn des Gesanges Ruf erschallt,
Der Mensch sich auf zur Geisterwürde
Und tritt in heilige Gewalt;
Den hohen Göttern ist er eigen,
Ihm darf nichts Irdisches sich nahn,
Und jede andre Macht muss schweigen,
Und kein Verhängn iss fällt ihn an;
Es schwinden jedes Kummers Falten,
Solang des Liedes Zauber walten.
Und, wie nach hoffnungslosem Sehnen,
Nach langer Trennung bitterm Schmerz,
Ein Kind mit heissen Reuethränen
Sich stürzt an seiner Mutter Herz,
27
So führt zu seiner Jugend Hütten,
Zu seiner Unschuld reinem Glück,
Vom fernen Ausland fremder Sitten
Den Flüchtling der Gesang zurück,
In der Natur getreuen Armen
Von kalten Regeln zu erwärmen.
Schiller.
31. Gesang der Ehre.
Im Sommer 1806.
Wenn auch alle Völker wanken,
Ruh’ die Erde ganz verlässt,
Alle Rechte brechend schwanken,
Steht die Ehre dennoch fest;
Ewig, wie der Nordstern milde
Strahlet durch der Nacht Gefilde.
Heil dem Mann, der darnach handelt,
Diesen Stern im Auge hält,
Stern der Ehre, der nie wandelt,
Fiel’ in Trümmern auch die Welt!
Aus dem Tode noch wird grünen
Hohe Siegeslust dem Kühnen.
Denn es siegt ja doch die Ehre
Bei dem edleren Geschlecht,
Wie das blinde Glück auch mehre,
Siege sonder Ehr’ und Recht.
Ewig glänzt der Tugend Adel,
Falscher Ruhm ist mehr nur Tadel.
Drum fei jener hochgepriesen,
König er mit Recht genannt,
Der des Glückes mächt’gern Riesen
Muthig leistet Widerstand,
An der Ehre Kraft noch glaubend,
Und die Zeit der Schmach entraubend.
Wohl vertraut den grossen Ahnen
Er auf seinem freien Thron,
An den Ruhm der Väter mahnen
Ihn, des Nordens hohen Sohn,
Namen, strahlend durch die Zeiten,
Jener, so die Welt befreiten.
28
1
Möchte neu ein Reich zu gründen
Auf der Ehre festem Grund,
Heldenherzen zu entzünden,
Wieder eins im alten Bund,
Ihm als Sieger doch gelingen,
Alle bald den Retter singen!
Sind der Streiche, die uns trafen,
Ist der Schmach noch nicht genug,
Soll durch Gott uns härter strafen
Noch die Geissei, die uns schlug;
Dennoch zu den fernsten Zeiten
Wirst du schönen Glanz verbreiten.
Lichter Stern, der uns geschienen,
Stern der Ehr' in trüber Nacht,
Der den Treuen, die ihr dienen,
Hoffnung wieder angefacht;
Stern’ der Ehr' aus jenem Norden,
Durch den frei die Erd’ einst worden.
Fr. Schlegel.
32. Vaterlandslied.
Der Gott, der Eisen wachsen liess,
Der wollte keine Knechte,
Drum gab er Säbel, Schwert und Spiefs
Dem Mann in feine Rechte,
Drum gab er ihm den kühnen Muth,
Den Zorn der freien Rede,
Dass er bestände bis aufs Blut,
Bis in den Tod die Fehde.
So wollen wir, was Gott gewollt,
Mit rechter Treue halten
Und nimmer im Tyrannensold
Die Menschenschädel spalten;
Doch wer für Tand und Schande sicht,
Den hauen wir zu Scherben,
Der soll im deutschen Lande nicht
Mit deutschen Männern erben.
0 Deutschland, heil’ges Vaterland,
0 deutsche Lieb’ und Treue!
Du hohes Land! du schönes Land:
Dir schwören wir aufs Neue!
29
Dem Buben und dem Knecht die Acht,
Der fütt’re Krähn und Raben!
So zieh’n wir aus zur Hermannsschlacht
Und wollen Rache haben.
Lasst brausen, was nur brausen kann,
In hellen, lichten Flammen!
Ihr Deutschen alle, Mann für Mann
Für's Vaterland zusammen!
Und hebt die Herzen himmelan!
Und himmelan die Hände!
Und rufet alle, Mann für Mann:
Die Knechtschaft hat ein Ende!
Lasst klingen, was nur klingen kann,
Die Trommeln und die Flöten!
Wir wollen heute, Manu für Mann
Mit Blut das Eisen röthen,
Mit Henkersblut, Franzosenblut —
0 süsser Tag der Rache!
Das klinget allen Deutschen gut,
Das ist die grosse Sache.
Lasst wehen, was nur wehen kann,
Standarten wehn und Fahnen!
Wir wollen heut uns, Mann ftir Mann
Zum Heldentode mahnen:
Auf! fliege, stolzes Siegspanier
Voran den kühnen Reihen!
Wir siegen oder sterben hier
Den süssen Tod der Freien.
33. Bundeslied.
Sind wir vereint zur guten Stunde,
Wir starker deutscher Männerchor,
So dringt aus jedem frohen Munde
Die Seele zum Gebet hervor:
Denn wir lind hier in ernsten Dingen
Mit hehrem heiligen Gefühl;
Drum muss die volle Brust erklingen
Ein volles helles Saitenspiel.
Wem soll der erste Dank erschallen?
Dem Gott, der gross und wunderbar
Aus langer Schande Nacht uns allen
In Flammen aufgegangen war,
Arndt.
30
Der unsrer Feinde Trotz zerblitzet,
Der unsre Kraft uns schön erneut
Und auf den Sternen waltend sitzet
Von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Wem soll der zweite Wunsch ertönen?
Des Vaterlandes Majestät!
Verderben allen, die es höhnen!
Glück dem, der mit ihm fällt und steht!
Es geh', durch Tugenden bewundert,
Geliebt durch Redlichkeit und Recht,
Stolz von Jahrhundert zu Jahrhundert,
An Kraft und Ehren ungeschwächt!
Das Dritte, deutscher Männer Weide!
Am hellsten soll’s geklungen fein!
Die Freiheit heisset deutsche Freude,
Die Freiheit führt den deutschen Reih’n;
Für sie zu leben und zu sterben,
Das flammt durch jede deutsche Brust,
Für sie um grossen Tod zu werben
Ist deutsche Ehre, deutsche Lust.
Das Vierte —- Hebt zur hehren Weihe
Die Hände und die Herzen hoch! —
Es lebe alte deutsche Treue!
Es lebe deutscher Glaube hoch!
Mit diesen wollen wir’s bestehen,
Sie sind des Bundes Schild und Hort:
Fürwahr, es muss die Welt vergehen,
Vergeht das feste Männerwort.
Rückt dichter in der heil'gen Runde,
Und klingt den letzten Jubelklang!
Von Herz zu Herz, von Mund zu Munde
Erbrause freudig der Gesang!
Das Wort, das unsern Bund geschürzet,
Das Heil, das uns kein Teufel raubt
Und kein Tyrannentrug uns kürzet,
Das fei gelialten und geglaubt! Arndt.
34. Aufruf.
Frisch auf, mein Volk! die Flammenzeichen rauchen,
Hell aus dem Norden bricht der Freiheit Licht;
Du sollst den Stahl in Feindes Herzen tauchen.
Frisch auf, mein Volk! die Flammenzeichen rauchen,
31
Die Saat ist reif, ihr Schnitter, zaudert nicht!
Das höchste Heil, das letzte liegt im Schwerte!
Drück’ dir den Speer ins treue Herz hinein:
Der Freiheit eine Gasse! Waich’ die Erde,
Dein deutsches Land, mit deinem Blute rein.
Es ist kein Krieg, von dem die Kronen wissen,
Es ist ein Kreuzzug, ’s ist ein heil’ger Krieg!
Hecht, Sitte, Tugend, Glaube und Gewissen
Hat der Tyrann aus deiner Brust gerissen;
Errette sie mit deiner Freiheit Sieg!
Das Winseln deiner Greise ruft: Erwache!
Der Hütte Schutt verflucht die Häuberbrut,
Die Schande deiner Töchter schreit um Rache,
Der Meuchelmord der Söhne schreit nach Blut.
Zerbrich die Pflugschar, lass den Meissei fallen,
Die Leyer still, den Webstuhl ruhig stehn!
Verlasse deine Höfe, deine Hallen!
Vor dessen Antlitz deine Fahnen wallen,
Er will fein Volk in Waffenrüstung sehn.
Denn einen grossen Altar sollst du bauen
In feiner Freiheit ew’gein Morgenroth;
Mit deinem Schwert sollst du die Steine hauen,
Der Tempel gründe sich auf Heldentod!
Was weint ihr, Mädchen, und was klagt ihr, Weiber,
Für die der Herr die Schwerter nicht gestählt,
Wenn wir entzückt die jugendlichen Leiber
Hinwerfen in die Schaaren eurer Räuber,
Dass euch des Kampfes kühne Wonne fehlt?
Ihr könnt ja froh zu Gottes Altar treten!
Für Wunden gab er zarte Sorgsamkeit,
Gab euch in euren herzlichen Gebeten
Den schönen reinen Sieg der Frömmigkeit.
So betet, dass die alte Kraft erwache,
Dass wir da stehn, das alte Volk des Siegs!
Die Märtyrer der keil’gen deutschen Sache,
0 ruft sie an, als Genien der Rache,
Als gute Engel des gerechten Kriegs!
Luise schwebe segnend um den Gatten!
Geist unsers Ferdinands, voran dein Zug!
Und all’ ihr deutschen, freien Heldenschatten,
Mit uns, mit uns und unsrer Fahnen Flug!
32
Der Himmel hilft, die Hölle muss uns weichen!
Drauf, wackres Volk! drauf, ruft die Freiheit, drauf!
Hoch schlägt dein Herz, hoch wachsen deine Eichen;
Was kümmert dich die Hügel deiner Leichen?
Hoch pflanze da die Freiheitsfahne auf!
Doch stehst du dann, mein Volk, bekränzt vom Glücke,
In deiner Vorzeit heil'gern Siegerglanz:
Vergiss die treuen Todten nicht, und schmücke
Auch unsre Urne mit dem Eichenkranz. Körner.
35. Lützow’s wilde Jagd.
Was glänzt dort vom Walde im Sonnenschein?
Hör's näher und näher brausen.
Es zieht fleh herunter in düsteren Reih n,
Und gellende Hörner schallen darein,
Und füllen die Seele mit Grausen.
Und wenn ihr die schwarzen Gesellen fragt:
Das ist Lützow’s wilde, verwegene Jagd!
Was zieht dort rasch durch den finstern Wald
Und streift von Bergen zu Bergen?
Es legt fleh in nächtlichen Hinterhalt;
Das Hurrah jauchzt und die Büchse knallt,
Es fallen die fränkischen Schergen.
Und wenn ihr die schwarzen Jäger fragt:
Das ist Lützow’s wilde, verwegene Jagd!
Wo die Reben dort glühen, dort brauset der Rhein,
Der Wüthrich geborgen sich meinte;
Da naht es schnell wie Gewitterschein
Und wirft fleh mit rüst'gen Armen hinein
Und springt an’s Ufer der Feinde.
Und wenn ihr die schwarzen Schwimmer fragt:
Das ist Lützow’s wilde, verwegene Jagd!
Was braust dort im Thale die laute Schlacht?
Was schlagen die Schwerter zusammen?
Wildherzige Reiter schlagen die Schlacht,
Und der Funke der Freiheit ist glühend erwacht
Und lodert in blutigen Flammen.
Und wenn ihr die schwarzen Reiter fragt:
Das ist Lützow’s wilde, verwegene Jagd!
Wer scheidet dort röchelnd vom Sonnenlicht,
Unter winselnde Feinde gebettet ?
Es zuckt der Tod auf dem Angefleht;
33
Doch die wackern Herzen erzittern nicht,
Das Vaterland ist ja gerettet!
Und wenn ihr die schwarzen Gefall’nen fragt:
Das war Lützow’s wilde, verwegene Jagd!
Die wilde Jagd und die deutsche Jagd
Auf Henkersblut und Tyrannen! —
Drum, die ihr uns liebt, nicht geweint und geklagt;
Das Land ist ja frei, und der Morgen tagt,
Wenn wir’s auch nur sterbend gewannen!
Und von Enkeln zu Enkeln sei’s nachgesagt:
Das war Lützow’s wilde verwegene Jagd! Körner.
36. Soldaten-Morgenlied.
Erhebt euch von der Erde,
Ihr Schläfer aus der Ruh’!
Schon wiehern uns die Pferde
Den guten Morgen zu.
Die lieben Waffen glänzen
So hell im Morgenroth,
Man träumt von Siegeskränzen,
Man denkt auch an den Tod.
Du reicher Gott in Gnaden,
Schau’ her vom blauen Zelt,
Du selbst hast uns geladen
In dieses Waffenfeld.
Lass' uns vor dir bestehen,
Und gieb uns heute Sieg;
Die Christenbanner wehen,
Dein ist, o Herr, der Krieg.
Ein Morgen soll noch kommen,
Ein Morgen, mild und klar;
Sein harren alle Frommen,
Ihr schaut der Engel Schaar.
Bald scheint er sonder Hülle
Auf jeden deutschen Mann,
0 brich du Tag der Fülle,
Du Freiheitstag brich an!
Dann Klang vonallenThürmen,
Und Klang aus jeder Brust,
Und Ruhe nach den Stürmen
Und ^Lieb’ und Lebenslust!
Es schallt auf allen Wegen
Dann frohes Siegsgeschrei —
Und wir, ihr wackern Degen,
Wir waren auch dabei!
Sclienkendorf.
37. Erneuter Schwur.
Wenn alle untreu werden,
So bleib’ ich euch doch treu,
Dass immer noch auf Erden
Für euch ein Streiter fei,
Gefährten meiner Jugend,
Ihr Bilder bess’rer Zeit,
Die mich zu Männertugend
Und Liebestod geweiht.
Roquette, Deutsches Lesebuch. I.
Wollt nimmer von mir weichen,
Mir immer nahe sein,
Treu wie die deutschen Eichen,
Wie Mond- und Sonnenschein.
Einst wird es wieder helle
In aller Brüder Sinn,
Sie kehren zu der Quelle
In Lieb' und Reue hin.
3
34
Ihr Sterne seid mir Zeugen,
Die ruhig nieder schau'n:
Wenn alle Brüder schweigen
Und falschen Götzen trau’n,
Ich will mein Wort nicht brechen
Und Buben werden gleich,
Will predigen und sprechen
Von Kaiser und von Reich.
Schenkendorf.
38. Frühlingsgruss an das Vaterland.
Wie mir deine Freuden winken
Nach der Knechtschaft, nach dem Streit!
Vaterland, ich muss versinken
Hier in deiner Herrlichkeit.
Wo die hohen Eichen sausen,
Himmelan das Haupt gewandt,
Wo die starken Ströme brausen,
Alles das ist deutsches Land.
Von dem Rheinfall hergegangen
Komm' ich, von der Donau Quell,
Und in mir sind aufgegangen
Liebessterne mild und hell;
Niedersteigen will ich, strahlen
Soll von mir der Freuden schein
In des Neckars frohen Thalen
Und am silberblauen Main.
Weiter, weiter musst du dringen,
Du mein deutscher Freiheitsgruss,
Sollst vor meiner Hütte klingen
An dem fernen Memelfluss.
Wo noch deutsche Worte gelten,
Wo die Herzen stark und weich,
Zu dem Freiheitskampf sich stellten,
Ist auch heil'ges deutsches Reich.
Alles ist in Grün gekleidet,
Alles strahlt im jungen Licht,
Anger, wo die Heerde weidet,
Hügel, wo man Trauben bricht;
Vaterland, in tausend Jahren
Kam dir solch ein Frühling kaum,
Was die hohen Väter waren,
Heisset nimmermehr ein Traum.
Es haben wohl gerungen
Die Helden dieser Frist,
Und nun der Sieg gelungen,
Uebt Satan neue List.
Doch wie sich auch gestalten
Im Leben mag die Zeit,
Du sollst mir nicht veralten,
0 Traum der Herrlichkeit.
Aber einmal müsst ihr ringen
Noch in ernster Geisterschlacht,
Und den letzten Feind bezwingen,
Der im Innern drohend wacht.
Hass und Argwohn müsst ihr dämpfen,
Geiz und Neid und böse Lust —
Dann nach schweren langen Kämpfen
Kannst du ruhen, deutsche Brust.
Jeder ist dann reich an Ehren,
Reich an Demuth und an Macht;
So nur kann sich recht verklären
Unsers Kaisers heil’ge Pracht.
Alte Sünden müssen sterben
In der gottgesandten Fluth,
Und an einen sei'gen Erben
Fallen das entsühnte Gut.
Segen Gottes auf den Feldern,
In des Weinstocks heü’ger Frucht,
Manneslust in grünen Wäldern,
In den Hütten frohe Zucht1,
In der Brust ein frommes Sehnen,
Ew’ger Freiheit Unterpfand,
Liebe spricht in zarten Tönen
Nirgends wie im deutschen Land.
Ihr in Schlössern, ihr in Städten,
Welche schmücken unser Land,
Ackersmann, der auf den Beeten
Deutsche Frucht in Garben band,
Traute, deutsche Brüder höret
Meine Worte, alt und neu:
Nimmer wird das Reich zerstöret,
Wenn ihr einig seid und treu! Schenkendorf.
39. Thurmwächterlied.
Am gewaltigen Meer
In der Mitternacht,
Wo der Wogbn Heer
Um die Felsen kracht,
Da schau’ ich vom Thurme hinaus.
Ich erheb’ einen Sang
Aus starker Brust
Und mische den Klang
In die wilde Lust,
In die Nacht, in den Sturm, in
den Graus.
Dringe durch, dringe durch
Recht freudenvoll,
Mein Lied, von der Burg
In das Sturmgeroll,
Verkünd' es weit durch die Nacht,
Wo schwanket ein Schiff
Durch die Fluth entlang,
Wo schwindelt am Riff
Des Wanderers Gang,
Dass oben ein Mensch hier
wacht:
3 *
36
Ein kräftiger Mann,
Naht frisch bereit,
Wo er helfen kann,
Zu wenden das Leid
Mit Ruf, mit Leuchte, mit Hand.
Ist zu schwarz die Nacht,
Ist zu fern der Ort,
Da schickt er mit Macht
Seine Stimme fort
Mit Trost über See und Land.
Wer auf Wogen schwebt,
Sehr leck fein Kahn,
Wer im Walde lebt,
Wo sich Räuber nah n,
Der denke: Gott hilft wohl gleich.
Wen das wilde Meer
Schon hinunter schlingt,
Wem des Räubers Speer
In die Hüfte dringt,
Der denk' an das Himmelreich!
Fouque.
40. Im Spessart.
Gegrüfst feist du, viellieber Wald!
Es rührt mit wilder Lust,
Wenn Abends fern das Alphorn schallt,
Eriim’rung mir die Brust.
Jahrtausende wohl standst du schon,
0 Wald, so dunkel kühn,
Sprachst allen Menschenkünsten Hohn,
Und webtest fort dein Grün.
Wie mächtig dieser Aeste Bug,
Und das Gebüsch, wie dicht,
Was golden spielend kaum durchschlug
Der Sonne funkelnd Licht.
Nach oben strecken sie den Lauf,
Die Stämme, grad’ und stark,
Es strebt zur blauen Luft hinauf
Der Erde Trieb und Mark.
Durch des Gebildes Adern quillt
Geheimes Lebensblut,
Der Blätterschmuck der Krone schwillt
In grüner Frühlingsgluth.
Natur, hier fühl’ ich deine Hand,
Und athme deinen Hauch;
Beklemmend dringt, und doch bekannt,
Dein Herz in meines auch.
Dann denk' ich, wie vor alter Zeit,
Du dunkle Waldesnacht!
Der Freiheit Sohn sich dein gefreut,
Und was er hier gedacht.
37
Du warst der Alten Haus und Burg;
Zu deinem grünen Zelt
Drang keines Feindes Ruf hindurch,
Frei war noch da die Welt. Fr. Schlegel.
41. Der wandernde Muükant.
Durch Feld und Buchenhallen,
Bald singend, bald fröhlich still,
Recht lustig fei vor allen,
Wer's Reisen wählen will!
Wenn's kaum im Osten glühte,
Die Welt noch still und weit:
Da weht recht durch's Gemüthe
Die schöne Blüthenzeit!
Die Lerch’ als Morgenbote
Sich in die Lüfte schwingt,
Eine frische Reisenote
Durch Wald und Herz erklingt.
0 Lust vom Berg zu schauen
Weit über Wald und Strom,
Hoch über sich den blauen
Tiefklaren Himmelsdom!
Vom Berge Vöglein fliegen
Und Wolken so geschwind;
Gedanken überfliegen
Die Vögel und den Wind.
Die Wolken zieh’n hernieder,
Das Vöglein senkt sich gleich,
Gedanken geh’n und Lieder
Fort bis in's Himmelreich.
Eichendorff.
42. Der gute Kamerad.
Ich hatt’ einen Kameraden,
Einen bessern find’st du nit.
Die Trommel schlug zum Streite,
Er ging an meiner Seite,
In gleichem Schritt und Tritt.
Will mir die Hand noch reichen,
Derweil ich eben lad’.
Eine Kugel kam geflogen,
Gilt mir oder gilt es dir?
Ihn hat es weggerissen,
Er liegt mir vor den Füssen,
Als wär's ein Stück von mir.
Kann dir die Hand nicht geben,
Bleib’ du im ew’gen Leben,
Mein guter Kamerad! Uhland.
43. Das Schifflein.
Ein Schifflein ziehet leise
Den Strom hin seine Gleise,
Es schweigen, die drin wandern,
Denn Keiner kennt den Andern.
Was zieht hier aus dem Felle
Der braune Waidgeselle?
Ein Horn, das sanft erschallet,
Das Ufer wiederhabet.
38
Von seinem Wanclerstabe
Schraubt Jener Stift und Habe,
Und mischt mit Flötentönen
Sich in des Hornes Dröhnen.
Das Mädchen fass so blöde,
Als fehlt’ ihr gar die Rede,
Jetzt stimmt sie mit Gelänge
Zu Horn und Flötenklange.
Die Rudrer auch sieb regen
Mit tactgemässen Schlägen.
Das Schiff hinunter flieget,
Von Melodie gewieget.
Hart ftösst es auf am Strande,
Man trennt sich in die Lande.
Wann treffen wir uns, Brüder,
Auf Einem Schifflein wieder?
Ulilaml.
44. Des Knaben Berglied.
Ich bin vom Berg der Hirtenknab’,
Seh’ auf die Schlösser all herab.
Die Sonne strahlt am ersten hier,
Am längsten weilet sie bei mir.
Ich bin der Knab’ vom Berge!
Hier ist des Stromes Mutterhaus,
Ich trink’ ihn frisch vom Stein heraus,
Er braust vom Fels in wildem Lauf,
Ich fang’ ihn mit den Armen auf.
Ich bin der Knab’ vom Berge!
Der Berg, der ist mein Eigenthum,
Da zieh’n die Stürme rings herum,
Und heulen sie von Nord und Süd,
So überschallt sie doch mein Lied:
Ich bin der Knab’ vom Berge!
Sind Blitz und Donner unter mir,
So steh’ ich hoch im Blauen hier;
Ich kenne sie und rufe zu:
Lasst meines Vaters Haus in Ruh’!
Ich bin der Knab' vom Berge!
Und wenn die Sturmglock’ einst erschallt,
Manch Feuer auf den Bergen wallt,
Dann steig’ ich nieder, tret’ in’s Glied,
Und schwing’ mein Schwert, und sing’ mein Lied:
Ich bin der Knab’ vom Berge! Uliland.
45. Freie Kunst.
Singe, wem Gesang gegeben,
In dem deutschen Dichterwald!
Das ist Freude, das ist Leben,
Wenn’s von allen Zweigen schallt.
39
Nicht an wenig stolze Namen
Ist die Liederknnst gebannt;
Ausgestreuet ist der Samen
Ueber alles deutsche Land.
Deines vollen Herzens Triebe
Gieb sie keck im Klange frei!
Säuselnd wandle deine Liebe,
Donnernd uns dein Zorn vorbei!
Singst du nicht dein ganzes Leben,
Sing1 doch in der Jugend Drang!
Nur im Blüthenmond erheben
Nachtigallen ihren Sang.
Kann man’s nicht in Bücher binden,
Was die Stunden dir verleih1 n:
Gieb ein fliegend Blatt den Winden,
Muntre Jugend hascht es ein.
Fahret wohl, geheime Kunden,
Nekromantik, Alchymie!
Formel hält uns nicht gebunden,
Unsre Kunst heisst Poesie.
Heilig achten wir die Geister,
Aber Namen sind uns Dunst;
Würdig ehren wir die Meister,
Aber frei ist unsre Kunst.
Nicht in kalten Marmorsteinen,
Nicht in Tempeln, dumpf und todt:
In den frischen Eichenhainen
Webt und rauscht der deutsche Gott.
40. Frühlingsglaube.
Die linden Lüfte sind erwacht,
Sie säuseln und weben Tag und Nacht,
Sie schaffen an allen Enden.
0 frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, fei nicht bang!
Nun muss sich Alles, Alles wenden.
Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
Man weiss nicht, was noch werden mag,
Das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Thal:
Nun, armes Herz, vergiss der Qual!
Nun muss sich Alles, Alles wenden.
1
Uhland.
Uhland.
40
»
47. Einkehr«
Bei einem Wirthe, wundermild,
Da war ich jüngst zu Gaste-,
Ein goldner Apfel war fein Schild
An einem langen Aste.
Es war der gute Apfelbaum,
Bei dem ich eingekehret ;
Mit süsser Kost und frischem Schaum
Hat er mich wohl genähret.
Es kamen in sein grünes Haus
Viel leichtbeschwingte Gäste;
Sie sprangen frei und hielten Schmaus,
Und fangen auf das Beste.
Ich fand ein Bett zu süsser Buh'
Auf weichen, grünen Matten;
Der Wirth, er deckte selbst mich zu
Mit seinem kühlen Schatten.
Nun fragt’ ich nach der Schuldigkeit,
Da schüttelt’ er den Wipfel.
Gesegnet sei er allezeit
Von der Wurzel bis zum Gipfel! Uhland.
48. Der Bergmann.
Der ist der Herr der Erde,
Wer ihre Tiefen misst,
Und jeglicher Beschwerde
In ihrem Schools vergisst.
Wer ihrer Felsenglieder
Geheimen Bau versteht,
Und unverdrossen nieder
Zu ihrer Werkstatt geht.
Er ist mit ihr verbündet
Und inniglich vertraut,
Und wird von ihr entzündet,
Als wär’ sie feine Braut.
Er sieht ihr alle Tage
Mit neuer Liebe zu,
Und scheut nicht Fleiss und Plage,
Sie lässt ihm keine Buh’.
Die mächtigen Geschichten
Der längst verflossnen Zeit
Ist sie ihm zu berichten
Mit Freundlichkeit bereit.
Der Vorwelt heil’ge Lüfte
Umweh’n fein Angesicht,
Und in die Nacht der Klüfte
Strahlt ihm ein ew’ges Licht.
Er trifft auf allen Wegen
Ein wohlbekanntes Land,
Und gern kommt sie entgegen
Den Werken seiner Hand.
Ihm folgen die Gewässer
Hülfreich den Berg hinauf,
Und alle Felfenfchlösser
Thun ihre Schätz’ ihm auf.
I
— 41 —
Er führt des Goldes Ströme
In seines Königs Haus,
Und schmückt die Diademe
Mit edlen Steinen aus.
Zwar reicht er treu dem König
Den glückbegabten Arm,
Doch fragt er nach ihm wenig,
Und bleibt mit Freuden arm.
Sie mögen sich erwürgen
Am Fuss um Gut und Geld:
Er bleibt auf den Gebirgen
Der frohe Herr der Welt. Novalis.
49. Dem Freunde.
Was passt, das muss sich ründen,
Was sich versteht, sich finden,
Was gut ist, sich verbinden,
Was liebt, zusammen sein.
Was hindert, muss entweichen,
Was krumm ist, muss sich gleichen,
Was fern ist, sich erreichen,
Was keimt, das muss gedeihn.
Gieb treulich mir die Hände,
Sei Bruder mir, und wende
Den Blick vor deinem Ende
Nicht wieder weg von mir!
Ein Tempel, wo wir knieen,
Ein Ort, wohin wir ziehen,
Ein Glück, für das wir glühen,
Ein Himmel mir und dir! Novalis.
50. Selbstvertrauen.
Auf Menschen sollst du nicht vertrauen,
Sie kennen nur die eigne Noth,
Es überkommt sie leicht ein Grauen,
Und du lebst einsam in den Tod.
Vertrau1 dem Wort in deiner Seele,
Das dir nicht eigen, du bist fein,
Es dringt aus ffeudensel’ger Kehle,
Es klingt in deinem Jammerschrei’n.
Die Glocke wird umsonst geschwungen,
Trifft sie kein harter Hammerschlag,
So wird das Wort in dir errungen,
Du bebst dem Klange lange nach.
42
Der Kindheit Schrei n und Freud enlallen
Hat manchen ernsten Mann belehrt,
Das Wahre muss uns erst gefallen,
Das Jeden in sich selbst bekehrt.
Des Paradieses Frucht bewahre,
Der Apfel reift zur Weihnachtszeit,
Und du wirst selbst das ewig Wahre,
Suchst du des Schönen Seligkeit.
Arnim.
51. Frühlingslieder.
(i)
Aus der Berge dunklen Klüften
Braust nicht mehr die kalte Fluth,
Fenster öflhe ich den Lüften,
Und das Thor dem Jugendmuth;
Springend geht’s zum Thale nieder,
Leicht beflügelt ist das Herz,
Frühling breitet das Gefieder,
Luft erklingt wie edles Erz.
Neue Vögel sind erschienen,
Fort in's Freie, in die Luft!
Neues Schauspiel, grüne Bühnen,
Nachtigall so sehnlich ruft:
Seht das Schauspielhaus geschmücket
Mit dem Dach aus Himmelblau,
Wolkenschäflein sehn entzücket
Nach dem hoherhabnen Bau.
Alle schweben im Verlangen
Nach des Tages Neuigkeit:
Ist der Vorhang aufgegangen?
Welches Schauspiel giebt man heut?
Soll ein Heldenspiel beginnen?
Rüstet sich die frische Kraft?
Soll die Lieb’ in Lieb’ zerrinnen,
Dass sich neues Volk erschafft?
Alles drängt sich noch zusammen,
Herz an Herz, und Baum an Baum,
All’ aus einer Erde stammen,
Flammend einer Liebe Traum:
I
43
Himmlisch Spiel, die frischen Kränze
Decken all mit gleichem Grün.
Jenen, dass er siegend glänze,
Diese, dass sie drunter blühn.
52.
Eine bange Reiselust
Weht in Frühlingstagen,
Füllt mit Wehmuth unsre Brust,
Will zum Himmel tragen,
Wo die ganze Seligkeit
v Schimmert in dem Lichte,
Und ein Bild der Ewigkeit
Wird des Jahrs Geschichte.
Erste Jugend stellt sich dar
Mit verwirrtem Leiden
In den Blättern, die so klar
Alles erst umkleiden;
Wie wir aus verschlossner Haft
In die Welt gedrungen,
Wie in neuer Schöpfungskraft
Vieles uns gelungen.
(2-)
Oefthet dann die Blüthezeit
Des Triumphes Pforte,
Wird ihr Fall in Lust geweiht
Durch die schönsten Worte;
Jedes Wort, es dringt hinauf,
Eh' wir es noch meinen,
Aufwärts zu dem Sonnenlauf,
Dass wir strahlend scheinen.
Ja, dies ist die Himmelfahrt,
Die wir heute feiern,
Bis die Wolken golden zart
Uns die Welt verschleiern.
Ach, dann fraget wohl die Welt,
Wo sind wir geblieben?
Vieles dann von uns gefällt,
Manches lernt sie lieben.
Arnim.
53. Abschied vom Rhein.
Nun gute Nacht, mein Leben,
Du alter treuer Rhein!
Deine Wehen schweben
Klar im Sonnenschein;
Die Welt ist längst entschlafen,
Es singt den Wolkenschafen
Der Mond ein Lied.
Der Schiffer schläft im Nachen
Und träumet von dem Meer,
Du aber, du musst wachen
Und trägst das Schiff einher;
Du führst ein freies Leben,
Durchtanzest bei den Reben
Die ernste Nacht!
Wer dich gesehn, lernt lachen,
Du bist so freudenreich,
Du labst das Herz der Schwachen,
Und machst den Armen reich,
Und spiegelst hohe Schlösser,
Und füllest grosse Fässer
Mit edlem Wein!
Und manchen lehret beten
Dein tiefer Felsengrund,
Wer dich im Zorn betreten
Den ziehst du in den Schlund,
Wo deine Strudel brausen,
Wo deine Wirbel sausen,
Da beten sie:
44
Mich aber lehrst du siegen,
Wenn dich mein Aug’ ersieht,
Ein freudeselig Klingen
Mir durch den Busen zieht!
Treib’ fromm mir meine Mühle,
Jetzt scheid’ ich in der Kühle
Und schlummre ein.
Ihr lieben Sterne decket
Mir meinen Vater zu,
Bis mich die Sonne wecket,
Bis dahin mahle du;
Wird’s gut, will ich dich preisen,
Dann sing’ in hohem Weisen
Ich dir ein Lied!
Nun werf ich dir zum Spiele
Den Kranz in deine Fluth,
Trag' ihn zu seinem Ziele,
Wo dieser Tag auch ruht.
Gut’ Nacht! ich muss mich wenden,
Muss nun mein Singen enden,
Gut’ Nacht, mein Rhein! Brentano.
54. Frische Fahrt.
Laue Luft kommt blau geflossen,
Frühling, Frülding soll es fein!
Waldwärts Hörnerklang geschossen,
Muth’ger Augen lichter Schein;
Und das Wirren laut und lauter
Wird ein magisch wilder Fluss,
In die schöne Welt hinunter
Lockt dich dieses Stromes Gruss.
Und ich mag mich nicht bewahren,
Weit von euch treibt mich der Wind,
Auf dem Strome will ich fahren,
Von dem Glanze selig blind!
Tausend Stimmen lockend scldagen,
Hoch Aurora flammend weht,
Fahre zu! Ich mag nicht fragen
Wo die Fahrt zu Ende geht! Eiclieodorff.
55 Morgen.
Fliegt der erste Morgenstrahl
Durch das stille Nebelthal,
Rauscht erwachend Wald und Hügel:
Wer da fliegen kann nimmt Flügel!
Und sein Hütlein in die Luft
Wirft der Mensch vor Lust und ruft:
45
Hat Gesang doch auch noch Schwingen,
Nun, so will ich fröhlich singen!
Hinaus, o Mensch, weit in die Welt,
Bangt dir das Herz in krankem Muth;
Nichts ist so trüb in Nacht gestellt,
Der Morgen leicht macht’s wieder gut!
Eichendorff.
56. Der Jäger Abschied.
Wer hat dich, du schöner Wald,
Aufgebaut so hoch da drohen?
Wohl den Meister will ich loben,
So lang’ noch mein’ Stimm’ erschallt.
Lebe wohl,
Lebe wohl, du schöner Wald!
Tief die Welt verworren schallt,
Oben einsam liehe grasen,
Und wir ziehen fort und blasen,
Dass es tausendfach erschallt:
Lebe wohl,
Lebe wohl, du schöner Wald!
Banner, der so kühle wallt!
Unter deinen grünen Wogen
Hast du treu uns auferzogen,
Frommer Sagen Aufenthalt.
» Lebe wohl,
Lebe wohl, du schöner Wald!
Was wir still gelobt im Wald,
Wollen’s draussen ehrlich lialten,
Uwig bleiben wir die Alten:
Deutsch Panier, das rauschend wallt,
Lebe wohl!
Schirm’ dich Gott, du schöner Wald!
Eichendorff.
57. Bach und Strom.
Sag’ an, du helles Bächlein du,
Von Felsen eingeseldossen,
Du rauschest so munter immerzu,
Wo kommst du hergeflossen?
46
„Dort oben steht des Vaters Haus
Still in den klaren Lüften,
Da ruh’n die alten Helden aus
In den krystallnen Klüften.
Ich seh’ den Morgen freudig stehn
Hoch auf der Felsenschwelle,
Die Adler ziehn, und Ströme gehn,
Und sprang hinaus in’s Helle.“
Sag’ an, du königlicher Strom,
Was geht mein Herz mir auf,
Seh’ ich dich zieh n durch Waldes Dom ?
Wohin fuhrt dich dein Lauf?
„Es treibt und rauscht der Eisenquell
Noch fort mir durch die Glieder;
Die Felsenluft, so kühl und hell,
Lockt zu mir alle Brüder.“ Eichendorff.
58. Im Walde.
0 Thäler weit, o Höhen,
Du schöner grüner Wald!
Du meiner Lust und Wehen
Andächt’ger Aufenthalt!
Da draussen, stets betrogen,
Saust die geschäftige Welt;
Schlag’ noch einmal die Bogen
Um mich, du grünes Zelt!
Wenn es beginnt zu tagen,
Die Erde dampft und blinkt,
Die Vögel lustig schlagen,
Dass dir dein Herz erklingt:
Da mag vergehn, verwehen
Das trübe Erdenleid,
Da sollst du auferstehen
In junger Herrlichkeit!
Da steht im Wald geschrieben
Ein stilles ernstes Wort
Von rechtem Thun und Lieben,
Und was des Menschen Hort.
Ich habe treu gelesen
Die Worte schlicht und wahr,
Und durch mein ganzes Wesen
Ward’s unaussprechlich klar.
Bald werd’ ich dich verlassen,
Fremd in die Fremde gehn,
Auf bunt bewegten Gassen
Des Lebens Schauspiel sehn;
Und mitten in dem Leben
Wird deines Emsts Gewalt
Mich Einsamen erheben,
So wird mein Herz nicht alt.
Eichendorff.
59. Abschied.
An der Saale hellem Strande
Stehen Burgen stolz und kühn;
Ihre Dächer sind zerfallen,
Und der Wind streicht durch die Hallen,
Wolken ziehen drüber hin.
47
Zwar die Ritter sind verseil wunden,
Tönet nimmer Speer und Schild;
Doch dem Wanderer erscheinen
Auf bemoosten alten Steinen
Nachtgestalten zart und mild.
Drüber winken schöne Augen,
Freundlich lacht manch rother Mund,
Und der Wandrer steht von Ferne,
Schaut in blauer Aeuglein Sterne,
Herz ist heiter und gesund.
Doch der Wandrer muss von dannen,
Weil die Ab schied stunde ruft;
Und er singet Abschiedlieder;
Lebewohl! tönt’s immer wieder,
Tücher wehen durch die Luft. Kugler.
60. Das Schloss Boncourt.
Ich träum’ als Kind mich zurücke,
Und schüttle mein greises Haupt;
Wie sucht ihr mich heim, ihr Bilder,
Die lang' ich vergessen geglaubt?
Hoch ragt aus schatt’gen Gehegen
Ein schimmerndes Schloss hervor,
Ich kenne die Thürme, die Zinnen,
Die steinerne Brücke, das Thor.
Es schauen vom Wappenschilde
Die Löwen so traulich mich an,
Ich grüsse die alten Bekannten,
Und eile den Burghof hinan.
Dort liegt die Sphinx am Brunnen,
Dort grünt der Feigenbaum,
Dort, hinter diesen Fenstern,
Verträumt’ ich den ersten Traum.
Ich tret’ in die Burgkapelle
Und suche des Ahnherrn Grab,
Dort ist’s, dort hängt vom Pfeiler
Das alte Gewaffen herab.
Noch lesen umflort die Augen
Die Züge der Inschrift nicht,
Wie hell durch die bunten Scheiben
Das Licht darüber auch bricht.
48
So stehst du, o Schloss meiner Väter,
Mir treu und fest in dem Sinn,
Und bist von der Erde verschwunden,
Der Pflug geht über dich hin.
Sei fruchtbar, o theurer Boden,
Ich segne dich mild und gerührt,
Und fegn1 ihn zwiefach, wer immer
Den Pflug nun über dich führt.
Ich aber will auf mich raffen,
Mein Saiten spiel in der Hand,
Die Weiten der Erde durch schweifen,
Und fingen von Land zu Land. Cliamisso
61. Frisch gesungen.
Hab1 oft im Kreise der Lieben
In duftigem Grase geruht,
Und mir ein Liedchen gesungen,
Und alles war hübsch und gut.
Hab1 einsam auch mich gehärmet
In bangem, düsterem Muth,
Und habe wieder gesungen,
Und alles war wieder gut.
Und manches, was ich erfahren,
Verkocht ich in stiller Wuth,
Und kam ich wieder zu singen,
War alles auch wieder gut.
Sollst nicht uns lange klagen,
Was alles dir wehe thut,
Nur frisch, nur frisch gesungen,
Und alles wird wieder gut! Chamisso
62. Um Mitternacht.
Bedächtig stieg die Nacht an's Land,
Lehnt träumend an der Berge Wand,
Ihr Auge sieht die goldne Wage nun
Der Zeit in gleichen Schalen stille ruhn,
Und kecker rauschen die Quellen hervor,
Sie singen der Mutter, der Nacht in s Ohr
Vom Tage,
Vom heute gewesenen Tage.
L
— 49 —
Das uralt alte Schlummerlied, v
Sie achtet’s nicht, sie ist es mild;
Dir klingt des Himmels Bläue siisser noch,
Der flüchtigen Stunden gleichgeschwungenes Joch.
Doch immer behalten die Quellen das Wort,
Es singen die Wasser im Schlafe noch fort
Vom Tage,
Vom heute gewesenen Tage. Mörike.
63. Wanderlied.
Dem Wandersmann gehört die Welt >
In allen ihren Weiten,
Weil er kann über Thal und Feld
So wohlgemuth hin schreiten.
Die Felder sind wohl angebaut
Für Andre und von Andern,
Ihm aber, der sie sich beschaut,
Gehören sie jetzt beim Wandern.
Durch Wiesen schlängelt sich ein Pfad,
Wie zwischen Blumenbeeten.
Ich weiss nicht, wessen Fuss ihn trat;
Er ist für mich getreten.
Und neben in das Gras hinein,
Wo sie wohl Futter holen,
Das Grün ist auch beim Wandern mein,
Ein Teppich für meine Sohlen.
Der Baum, der hier am Wege steht,
Wem mag er Frucht erstatten?
Doch weil mein Weg vorüber geht,
So giebt er mir den Schatten.
Sie haben ihn hierher gesetzt
Wohl nicht zu meinem Frommen;
Ich aber glaube, dass er jetzt
Sei eigens für mich gekommen.
Der Bach, der mir entgegen rauscht,
Kommt her, mich zu begrüssen,
Durch Reden, die er mit mir tauscht,
Den Gang mir zu verbissen.
Und wenn ich seiner müde bin,
Er wartet auf mein Winken, „
Gleich wendet er sich zur Rechten hin,
Und ich zieh’ fort zur Linken.
Roq netto, Deutsches Lesetnch. I.
4
Die Lüfte sind mir dienstbar auch,
Die mir im Rücken wehen,
Sie wollen doch mit ihrem Hauch
Mich fördern nur im Gehen.
Und die in’s Angesicht mich küsst,
Sie will mir auch nicht schaden:
Es ist die Ferne, die mich grillst,
Zu sich mich einzuladen.
Der Regen und der Sonnenschein
Sind meine zwei Gesellen,
Die, einer hinter'm andern drein,
Abwechselnd ein sich stellen.
Der Regen löscht der Strasse Staub,
Die Sonne macht sie trocken*,
Daneben wollen Gras und Laub
Sie aus dem Boden locken.
Und spannt in ihrem Wechselspiel
Sich aus ein Regenbogen,
Komm' ich, entgegen meinem Ziel,
Darunter hergezogen.
Der Bogen ist für mich gespannt,
Weil ich darunter walle;
Zu Trägern sind die Berg’ ernannt,
Dass er auf mich nicht falle.
Und wo ein Dorf entgegen tritt,
Da hör’ ich Glocken läuten.
Sie meinen selber mich damit,
Was könnt’ es sonst bedeuten?
Sie läuten etwa einer Braut,
Vielleicht auch einem Todten;
Ich aber deut’ auf mich den Laut:
Ein Gruss wird mir geboten.
So zieh’ ich im Triumphgesang
Entlang die lange Strasse;
Und nie wird mir um etwas bang,
Das ich im Rücken lasse.
Wie Eines hinter mir entweicht,
So kommt gleich her das Andre;
Und nie hab’ ich das End’ erreicht
Der Welt, so weit ich wandre.
51
64. Aus der Jugendzeit.
Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit
Klingt ein Lied mir immerdar;
0 wie liegt /o weit, o wie liegt so weit,
Was mein einst war!
Was die Schwalbe fang, was die Schwalbe fang,
Die den Herbst und Frühling bringt,
Ob das Dorf entlang, ob das Dorf entlang,
Das jetzt noch klingt?
„Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,
Waren Kisten und Kasten schwer;
Als ich wieder kam, als ich wieder kam,
War Alles leer.“
0 du Kindermund, o du Kindermund,
Unbewusster Weisheit froh,
Vogelfprachekund, Vogelfprachekund,
Wie Salomo!
0 du Heimathflur, o du Heimathflur,
Lass zu deinem heil'gen Kaum
Mich noch einmal nur, mich noch einmal nur
Entflielm im Traum!
Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,
War die Welt mir voll so sehr,
Als ich wiederkam, als ich wiederkam,
War Alles leer.
Wohl die Schwalbe kehrt, wohl die Schwalbe kehrt
Und der leere Kasten schwoll,
Ist das Herz geleert, ist das Herz geleert,
Wird’s nie mehr voll.
Keine Schwalbe bringt, keine Schwalbe bringt
Dir zurück, wonach, du weinst,
Doch die Schwalbe fingt, doch die Schwalbe singt
Im Dorf wie einst:
„Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,
Waren Kisten und Kasten schwer;
Als ich wiederkam, als ich wiederkam,
War Alles leer!“ Rückert.
66. Wanderlied.
Wohlauf! noch getrunken
Den funkelnden Wein!
Ade nun, ihr Lieben!
Geschieden muss sein.
Ade nun, ihr Berge,
Du väterlich Haus!
Es treibt in die Ferne
Mich mächtig hinaus.
52
Da grüssen die Vögel
Bekannt über'in Meer,
Sie kommen von Fluren
Der Heimath daher;
Da duften die Blumen
Vertraulich um ihn,
Sie trieben vom Lande
Die Lüfte dahin.
Die Vögel die kennen
Sein väterlich Haus.
Die Blumen einst pflanzt er
Der Liebe zum Straufs.
Und Liebe, die folgt ihm,
Die geht ihm zur Hand,
So wird ihm zur Heimath
Das ferne ft e Land.
J. Kerner.
80. Morgenlied.
Wer schlägt so rasch an die Fenster mir
Mit schwanken grünen Zweigen?
Der junge Morgenwind ist hier
Und will sich lustig zeigen.
Heraus, heraus, du Menschensohn!
So ruft der kecke Geselle:
Es schwärmt von Frühlingswonnen schon
Vor deiner Kammerschwelle!
Hörst du die Käfer summen nicht?
Hörst du das Glas nicht klirren,
Wenn sie, betäubt von Duft und Licht,
Hart an die Scheiben schwirren?
Die Sonnenstrahlen stehlen sich
Behende durch Blätter und Ranken,
Und wecken auf deinem Lager dich
Mit blendendem Schweben und Schwanken.
Die Nachtigall ist heiser fast,
So lang’ hat sie gesungen,
Und weil du sie gehört nicht hast
Ist sie vom Baum gesprungen.
Da schlug ich mit dem leeren Zweig
An deine Fensterscheiben.
Heraus, heraus in des Frühlings Reich!
Es ^wird nicht lange mehr bleiben. W. Müller.
Die Sonne, sie bleibet
Am Himmel nicht stehn,
Es treibt sie, durch Länder
Und Meere zu gehn.
Die Woge nicht haftet
Am einsamen Strand,
Die Stürme, sie brausen
Mit Macht durch das Land.
Mit eilenden Wolken
Der Vogel dort zieht,
Und singt in der Ferne
Ein heimathlich Lied.
So treibt es den Burschen
Durch Wälder und Feld,
Zu gleichen der Mutter,
Der wandernden Welt.
I
— 53 —
67. Wanderschaft
Das Wandern ist des Müllers Lust,
Das Wandern!
Das muss ein schlechter Müller sein,
Dem niemals fiel das Wandern ein,
Das Wandern.
Vom Wasser haben wir’s gelernt,
Vom Wasser!
Das hat nicht Ruh’ bei Tag und Nacht,
Ist stets auf Wanderschaft bedacht,
Das Wasser.
Das seh’n wir auch den Rädern ab,
Den Rädern!
Die gar nicht gerne stille steifn,
Die sich mein Tag nicht müde dreh’n,
Die Räder.
Die Steine selbst, so schwer sie sind,
Die Steine,
Sie tanzen mit den muntern Reihn,
Und wollen gar noch schneller sein,
Die Steine!
0 Wandern, Wandern, meine Lust,
0 Wandern!
Herr Meister und Frau Meisterin,
Lasst mich in Frieden weiter zieh’n,
Und wandern! W. Müller.
68. Wohin?
Ich hört’ ein Rächlein rauschen
Wohl aus dem Felsenquell,
Hinab zu Thale rauschen
So frisch und wunderhell.
Ich weiss nicht, wie mir wurde,
Nicht, wer den Rath mir gab,
Ich musste auch hinunter
Mit meinem Wanderstab.
Hinunter und immer weiter,
Und immer dem Bache nach,
Und immer frischer rauschte
Und immer heller der Rach.
(
,
54
Ist das denn meine Strasse?
0 Bächlein, sprich, wohin?
Du hast mit deinem Rauschen
Mir ganz berauscht den Sinn.
Was sag' ich denn vom Rauschen,
Das kann kein Rauschen sein:
Es singen wohl die Nixen
Tief unten ihren Reihn.
Lass singen, Geselle, lass rauschen,
Und wandre fröhlich nach!
Es geli'n ja Mühlenräder
In jedem klaren Bach. W. Miijier.
---------
69. Der Lindenbaum
Am Brunnen vor dem Thore
Da steht ein Lindenbaum,
Ich träumt’ in seinem Schatten
So manchen süssen Traum*
Ich schnitt in seine Rinde
So manches liebe Wort;
Es zog in Freud' und Leide
Zu ihm mich immer fort.
Ich musst’ auch heute wandern
Vorbei in tiefer Nacht,
Da hab’ ich noch im Dunkel
Die Augen zugemacht:
. . • , "
Und feine Zweige rauschten,
Als riefen sie mir zu:
Komm’ her zu mir, Geselle,
Hier sind'st du deine Ruh’!
Die kalten Winde bliesen
Mir grad’ in’s Angesicht,
Der Hut flog mir vom Kopfe,
Ich wendete mich nicht.
Nun bin ich manche Stunde
Entfernt von jenem Ort,
Und immer hör’ ich’s rauschen,
Du fändest Ruhe dort!
W. Müller.
70. Morgenwanderung.
Wer recht in Freuden wandern will,
Der geh’ der Sonn’ entgegen;
Da ist der Wald so kirchenstill,
Kein Lüftchen mag sich regen!
Noch sind nicht die Lerchen wach,
Nur im hohen Gras der Bach
Singt leise den Morgensegen.
Die ganze Welt ist wie ein Buch,
Darin uns aufgeschrieben
In bunten Zeilen manch ein Spruch,
Wie Gott uns treu geblieben;
Wald und Blumen, nah und fern,
Und der helle Morgenstern
Sind Zeugen von seinem Lieben.
55
I)a zieht die Andacht wie ein Hauch
Durch alle Sinnen leise,
Da pocht an's Herz die Liebe auch
In ihrer stillen Weise.
Pocht und pocht, bis sich’s erschliesst
Und die Lippe überfliesst
Von lautem, jubelndem Preise.
Und plötzlich lässt die Nachtigall
Im Busch ihr Lied erklingen,
In Berg und Thal erwacht der Schall
Und will sich aufwärts schwingen,
Und der Morgenröthe Schein
Stimmt in lichter Gluth mit ein;
Lasst uns dem Herrn lobsingen!
71. Nach. Oben.
In der Ebne zieht das Leben
Ueber rauher Wege Qual;
Kühne Sehnsucht, Wonneleben
Zu den Gipfeln aufzu streben
In der Sonne goldnem Strahl!
Oben wärmt des Aethers Helle,
Stärkt der Freiheit mächtig Wehn.
Abwärts stürzt die scheue Quelle,
Ruft im Ton der Wasserlilie:
Oben darf ich nicht bestehn!
Denn was kalt geheimen Klüften
Perlenhell entsteigt,
Schwindet bald in heissen Lüften.
Seine Nahrung ist in Grüften,
Die kein Strahl dem Tage zeigt;
Wo die Dünste qualmend schleichen,
Nur in sich bewegt,
Bis zum Felsendom sie reichen,
Der sie bindet, und in bleichen
Tropfen rieselnd niederschlägt.
Doch aus dunklem Schools der Erde
Dringt es, schwellt hervor,
Dass der Keim zur Pflanze werde.
Gleich der Flamme von dem Herde
Schiefst das Blatt empor;
ßeibel.
56
Aeugelt bittend in die Lüfte,
Bis der Wärme Strahl
Liebend küsst das Kind der Grüfte.
Durch die Wurzeln in die Klüfte
Dringt der Sehnsucht fiisse Qual.
Und die Sehnsucht ringt nach oben,
Pflanze wird zum Baum,
Schoss auf Schoss emporgeschoben,
Von der Weste Spiel umwoben,
Setzt sich fest im grünen Raum.
Auf des Liban Felsenthronen
Weht der Gedern dunkler Hain,
Taucht aus Nebeln mit den Kronen.
Adler, Aetherfürsten, wohnen
In der Wipfel Grün sich ein.
Mutter Erde sieht die Söhne
Still entzückt in heitrer Luft,
Ihren Trotz im Sturmgedröhne.
Vögel widmen ihnen Töne,
Blumen weihen ihnen Duft.
Die Giganten liebt Aurore,
Wenn sie früh erwacht-,
Küsst verschämt als Morgenhore
Ihre Stirne, wenn im Flore
Noch das Thal beherrscht die Nacht.
Wie sie stehn im Rosenkränze,
Den die Liebe zärtlich flicht,
Auferweckt vom frühen Glanze
Fliegt der Aar zum Wolkentanze,
Sieg im heitren Angesicht.
Auf! nach Oben, Geist! dein Wagen
Hat fein Ziel, und darf ihm nahn.
Keime, die verborgen lagen,
Gedern, die gen Himmel ragen,
Zeigen dir die hohe Bahn.
Dein das All mit Licht und Wonne»,
Folge frei dem Ruf der Kraft!
Schöpfe kühn aus Flammenbronnen
Bei den Sternen, bei den Sonnen
Heil’ge Fluth, die Leben schafft!
57
JSur hoch Oben, Herr des Lebens,
Lass uns wohnen, stark und rein!
Denn nur Licht ist werth des Strebens
Und der Zielpunkt des Erhebens
Mag der Freiheit Tempel sein. ^ y Heyden
72. Bergwanderung.
Den Berg empor auf steilen Pfaden
Bedeckt von grüner Waldesnacht!
Des weichen Mooses Trieb zu baden
Dringt Quellensilber aus dem Schacht.
Und wie von Stein zu Stein es zittert,
Stiehlt sich durch's Blätterdach ein Strahl,
Ein demanthelles Leuchten wittert
An reiner Fluth ein kurzes Mal.
Der Athem ist der Brust entgangen,
Und schneller, voller schlägt das Herz.
Den Geist beschleicht ein selig Bangen,
Ein süss Gemisch von Lust und Schmerz.
Der kurzen Rast quillt aus den Düften
Des Thymians die neue Kraft,
Doch aus den nächtlich tiefen Klüften
Steigt dünner Nebel geisterhaft.
Und rüstig strebend, weiter, weiter!
Schon öffnet sich ein breiter Steg.
Der blaue Himmel leuchtet heiter
Auf den umgrasten Blumenweg.
Das Reh springt auf und flieht zur Seite;
Schon weicht der Haselbusch zurück,
Durch Oefihungen erscheint das Weite,
Und in die Mühen tritt das Glück.
Ha! Dieser Schritt noch auf den Gipfel!
Da liegt die Herrlichkeit der Welt.
Zu Füssen tief der Tannen Wipfel,
Und Berg an Berg weit abgestellt,
Es irren im Gebirg’ die Blicke,
In Ebnen dann verlierend sich,
Und über irdische Geschicke
Hebt sich die Seele königlich. - Fr. v. üeyden
58
73. Da liegt ein Musikant begraben.
Ich ging im Wald, im grünen Wald,
So recht tief in Gedanken,
Da sah1 ich Yöglein mannigfalt
Auf grünen Zweigen schwanken.
Da hört1 ich Rauschen über mir,
Ringsum Gesang und Girren,
Den Kuckuck fern, und unter mir
Ein Summen und ein Schwirren.
Dazwischen klang1 s so leis und lind,
So wundersam und eigen!
Sind1 s Glöcklein, angehaucht vom Wind?
Ist1 s Klang von einer Geigen?
In leisen Weisen säuselnd ging's.
In schönverschlungnen, bunten,
Es lockte mich bald rechts bald links
Bald oben und bald unten.
Bald kam1 s aus Rosenbüschen vor,
Dass ich mich wollte neigen,
Bald wand' ich aufwärts Aug1 und Ohr
Und sucht1 es in den Zweigen.
Dem unsichtbaren Geigenklang
Folgt1 ich, als wie im Traume,
Bis wo der Pfad sich wirr verschlang
Am alten Eichenbaume.
Ich merkte nicht, wohin ich ging,
Mein Geist war in den Ohren,
Erst da ich stolpernd mich verfing,
Sah1 ich den Pfad verloren.
Und stolpernd sank ich weich zum Grund,
Ganz nahe klang das Geigen,
Am grünen Hügel Blümlein bunt
Thäten im Takt sich neigen.
Jetzt kenn1 ich dich, du Geisterhand
Mit deinen Wundergaben!
Ruh1 wohl, du lieber Musikant,
Der du hier liegst begraben!
Sallet.
59
74. Schau um dich.
Schau’ um dich! wie das goldne Licht
Auf allen Strömen zittert,
Durch alle Waldesschatten bricht,
In alle Schluchten wittert.
Heut ist so dunkel keine Nacht,
Die nicht ein Strahl jiurchschauert:
Bleibt einzig deines Busens Schacht
Dem Gottesgruss vermauert?
Schau’, wie der Blumen Auge scheint
In hellen Wonnethränen!
Dass diesen Thau der Schmerz geweint,
Wie magst du es nur wähnen?
Es schweift ein langer Jubelklang
Fernhin in allen Lüften,
Warum verhallt er dumpf und bang
In deines Busens Grüften?
Der Gott, der solche Tage schuf,
Der schafft es auch geschwinde,
Dass seiner Schöpfung Wonneruf
In dir ein Echo finde.
Dann wird sein Wort: Es werde Licht!
Durch deine Brust auch klingen,
Drin Blüthenlust die Knospen bricht,
Und hell die Bächlein springen.
75. Herbstlied.
Durch die Wälder streif ich munter,
Wenn der Wind die Stämme rüttelt
Und mit Rascheln bunt und bunter
Blatt auf Blatt herunter schüttelt.
Denn es träumt bei solchem Klange
Sich gar schön vom Frühlings hauche,
Von der Nachtigall Gelange
Und vom jungen Grün am Strauche.
Lustig schreit’ ich durch's Gefilde,
Wo verdorrte Disteln nicken,
Denk’ an Maienröslein milde,
Mit den morgenfrischen Blicken.
Sallet.
60
Nach dem Himmel schau’ ich gerne,
Wenn ihn Wolken schwarz bedecken,
Denk’ an tausend liebe Sterne,
Die dahinter lieh verstecken.
76. Vorzeit und Gegenwart.
1.
Heil’ge Nacht, sei tief gefeiert!
Alte Vorzeit, tritt uns nah’!
Alles Leben liegt verschleiert
In des Schlafes Knospe da.
Lichte Sterne sicher kreisen,
Jeder ist ein Geistesheld.
Jeden einzeln lasst uns preisen !
Ist doch jeder eine Welt.
Aus dem allgemeinen Dunkel
Tauchen sie mit Macht hervor,
Bis ihr zitterndes Gelunkel
Sich in Thal und Busch verlor.
Drunten ein zerflossnes Leben,
Massenhaft, ein einz’ger Traum,
Draus sich riefge Gipfel heben,
Sie auch sind zu kennen kaum.
Nur die steinernen Heroen
Siehst du in der Dämmrung fteh’n,
Wie sie stolzen Hauptes drohen;
Alles Andre muss vergeh’n.
Was da fpriesst und blüht auf Erden,
Was sich regt in Thal und Au,
Jetzt ist’s nur ein stummes Werden,
Ein gestaltlos Ahnungsgrau.
Der beherzte Streit der Töne
Wagt zu wecken nicht das All,
Nur in klagend tiefer Schöne
Lockt das Lied der Nachtigall.
Ihr Gesang ist nur ein Schmachten,
Nur ein Sehnen nach dem Licht,
Sie besingt des Tages Brachten,
Doch sie weiss es selber nicht.
Heil’ge Nacht, sei tief gefeiert!
Alte Vorzeit, tritt uns nah’!
Alles Leben liegt verschleiert,
Doch das Leben ist nicht da.
Sallet
2.
Der Morgen ist gekommen,
Und der Gebilde Schaar,
Vom frischen Licht umglommen,
Ward freudig offenbar.
Die wir so ganz durchschauen,
Heil, heil dir Gegenwart!
Der muss sich selbst vertrauen,
Der dich herangeharrt.
Kein allgemeines Träumen,
Drin wir, leis wachsend, ruhn;
Hier gilt es nicht zu säumen,
Wir sind nur, was wir thun.
Die Sterne sind zerronnen,
Die Sonne brach herein,
Die Freiheit hat begonnen,
Ringsum ein lichter Schein.
Was sollen uns die Welten?
Wir haben eine Welt.
Wer will noch etwas gelten,
Wo Alles gotterhellt?
Und ist doch jede Blüthe
kGeworden nun ein Stern;
Was fragt der’ lichtdurchglühte,
Ob man ihn sieht von fern?
Die starren, trotz'gen Berge,
Wie träge Riesen ruh’n;
Doch das Geschlecht der Zwerge
Will nun hervor sich thun.
Viel tausend Kräfte ringen
Voll Jugend allzumal,
Und Alles muss gelingen
Im Freiheitsfonnenftrahl.
Hin starb die süsse Klage
Einsamer Nachtigall;
Doch tönt dem neuen Tage
Ein Jubelstimmenschwall.
Wer fragt noch, wer da singet,
Wo Alles singt und klingt?
Wer ist, der uns bezwinget,
Da jeder sich bezwingt?
Das ist ein lustig Leben!
Lust an bewusster Pflicht,
Ein Durcheinanderweben,
Doch eine That im Licht.
Wo alle sich gestalten,
Gestaltet sich die Welt.
Du, Gegenwart, sollst walten,
Du, durch und durch erhellt!
Sallet.
77. Geharnischtes Rheinlied.
Wo solch ein Feuer noch gedeiht,
Wo solch ein Wein noch Flammen speit,
Da lassen wir in Ewigkeit
Uns nimmermehr vertreiben!
Stofst an, ftosst an, der Rhein,
Und wär's nur um den Wein,
Der Rhein soll deutsch verbleiben!
Herab die Büchsen von der Wand,
Die alten Schläger in die Hand,
Sobald der Feind dem wäl sehen Land
Den Rhein will einverleiben!
Haut, Brüder, muthig drein,
Der alte Vater Rhein,
Der Rhein soll deutsch verbleiben!
62
Das Recht und Link, das Link und Recht,
Wie klingt es falsch, wie klingt es schlecht!
Kein Tropfen soll, ein feiger Knecht,
Des Franzmanns Mühlen treiben!
Stosst an, ftofst an, der Rhein,
Und wär's nur um den Wein,
Der Rhein soll deutsch verbleiben!
Der ist fein Rebenblut nicht werth,
Das deutsche Weib, den deutschen Herd,
Der nicht auch freudig schwingt sein Schwert,
Die Feinde aufzureiben.
Frisch in die Schlacht hinein,
Hinein für unsern Rhein,
Der Rhein soll deutsch verbleiben!
0 edler Saft, o lauter Gold,
Du bist kein ekler Sklaven fohl,
Und wenn ihr trinken kommen wollt,
So lasst euch vorher schreiben!
Hurrah, der Rhein der Rhein,
Und wär'8 nur um den Wein,
Der Rhein soll deutsch verbleiben! Herwegh.
78. Rheinsage.
Am Rhein, am grünen Rheine
Da ist so mild die Nacht.
Die Rebenhügel liegen
In goldener Mondenpracht.
Und an den Hügeln wandelt
Kin hoher Schatten her
Mit Schwert und Purpurmantel,
Die Krone von Golde schwer.
Das ist der Karl, der Kaiser,
Der mit gewalt’ger Hand
Vor vielen hundert Jahren
Geherrscht im deutschen Land.
Er ist heraufgestiegen
Zu Aachen aus der Gruft
Und segnet seine Reben
Und athmet Traubenduft.
Bei Rüdesheim da funkelt
Der Mond in’s Wasser hinein
Und baut eine goldne Brücke
Wohl über den grünen Rhein.
Der Kaiser geht hinüber
Und schreitet langsam fort
Und segnet längs dem Strome
Die Reben an jedem Ort.
Dann kehrt er heim nach Aachen
Und schläft in seiner Gruft
Bis ihn im neuen Jahre
Erweckt der Traubonduft.
Wir aber füllen die Römer
Und trinken im goldnen Saft
Uns deutsches Heldenfeuer
Und deutsche Heldenkraft.
Geibel.
II.
Balladen
79. Lenore.
Lenore fuhr uin’s Morgenroth
Empor aus schweren Träumen:
„Bist untreu Wilhelm oder todt?
Wie lange willst du säumen?“
Er war mit König Friedrichs Macht
Gezogen in die Prager Schlacht,
Und hatte nicht geschrieben,
Ob er gesund geblieben.
Der König und die Kaiserin,
Des langen Haders müde,
Erweichten ihren harten Sinn
Und machten endlich Friede,
Und jedes Heer mit Sing und Sang,
Mit Pauken schlag und Kling und Klang,
Geschmückt mit grünen Keifern,
Zog heim zu seinen Häusern.
Und überall, all überall
Auf Wegen und auf Stegen
Zog Alt und Jung dem Jubelschall
Der Kommenden entgegen.
Gottlob! rief Kind und Gattin laut.
Willkommen manche frohe Braut.
Ach aber für Leonoren
War Gruss und Kuss verloren.
Sie frug den Zug wohl auf und ab,
Sie frug nach allen Namen,
Doch keiner war, der Kundschaft gab,
Von allen, so da kamen.
Als nun das Heer vorüber war,
Zerraufte sie ihr Kabenhaar
Und warf sich hin zur Erde
Mit wüthender Geberde.
64
Die Mutter lief wohl hin zu ihr:
„Ach dass sich Gott erbarme!
Du trautes Kind, was ist mit dir?“
Und schloss sie in die Anne. —
„„0 Mutter, Mutter, hin ist hin!
Nun fahre Welt und Alles hin!
Bei Gott ist kein Erbarmen,
0 weh, o weh mir Armen!““ —
„Hilf Gott, hilf! Sieh’ uns gnädig an!
Kind, bet' ein Vaterunser!
Was Gott thut, das ist wohlgethan,
Gott, Gott erbarmt sich unser!“ —
„„0 Mutter, Mutter! Eitler Wahn!
Gott hat an mir nicht wohlgethan!
Was half, was half mein Beten?
Nun ist’s nicht mehr vonnöthen.““ —
„Hilf Gott, hilf! Wer den Vater kennt,
Der weiss, er hilft den Kindern;
Das hochgelobte Sakrament
Wird deinen Jammer lindern.“
„„0 Mutter, Mutter! was mich brennt,
Das lindert mir kein Sakrament,
Kein Sakrament mag Leben
Den Todten wiedergeben.““
„Hör’, Kind! wie, wenn der falsche Mann
In fernem Ungarlande,
Sich seines Glaubens abgethan,
Zum neuen Ehebande?
Dass fahren, Kind, fein Herz dahin!
Er hat es nimmermehr Gewinn.
Wann Seel' und Leib sich trennen,
Wird ihn fein Meineid brennen.“
„„0 Mutter, Mutter! hin ist hin!
Verloren ist verloren!
Der Tod, der Tod ist mein Gewinn!
0 wär’ ich nie geboren!
Lisch aus, mein Licht, auf ewig aus!
Stirb hin! Stirb hin in Nacht und Graus!
Bei Gott ist kein Erbarmen.
0 weh, o weh mir Armen!““
„Hilf Gott, hilf! Geh’ nicht in’s Gericht
Mit deinem armen Kinde!
Sie weiss nicht was die Zunge spricht,
Behalt’ ihr nicht die Sünde!
65
Ach Kind! vergiss dein irdisch Leid,
Und denk’ an Gott und Seligkeit!
So wird doch deiner Seelen
Der Bräutigam nicht fehlen.“ —
„„0 Mutter! Was ist Seligkeit?
0 Mutter! Was ist Hölle?
Bei ihm, bei ihm ist Seligkeit
Und ohne Wilhelm Hölle! —
Lisch aus mein Licht, auf ewig aus!
Stirb hin, stirb hin in Nacht und Graus!
Ohn’ ihn mag ich auf Erden,
Mag dort nicht selig werden. “ “
So wüthete Verzweifelung
Ihr in Gehirn und Adern.
Sie fuhr mit Gottes Vorsehung
Vermessen fort zu hadern;
Zerschlug den Busen und zerrang
Die Hand bis Sonnenuntergang,
Bis auf am Himmelsbogen
Die goldnen Sterne zogen.
Und aussen horch ging’s trapp trapp trapp,
Als wie von Bosseshufen;
Und klirrend stieg ein Beiter ab
An des Geländers Stufen;
Und. horch! und horch den Pfortenring
Ganz lose leise klinglingling!
Dann kamen durch die Pforte
Vernehmlich diese Worte:
„Holla, holla! thu’ auf, mein Kind!
Schläfst, Liebchen, oder wachst du?
Wie bist noch gegen mich gesinnt?
Und weinest oder lachst du?“
„„Ach, Wilhelm, du?.... So spät bei Nacht? ....
Geweinet hab’ ich und gewacht!
Ach, grosses Leid erlitten!
Wo kommst du hergeritten?““
„Wir satteln nur um Mitternacht.
Weit ritt ich her von Böhmen.
Ich habe spät mich aufgemacht,
Und will dich mit mir nehmen.“
„„Ach, Wilhelm, erst herein geschwind!
Den Hagedorn durchsaust der Wind!
Herein, in meinen Armen,
Herzliebster, zu erwärmen!““
Boquette, Deutsches Lesebuch. I.
5
66
„Lass sausen durch den Hagedorn,
Lass sausen, Kind, lass laufen!
Der Rappe scharrt, es klirrt der Sporn;
Ich darf allhier nicht hausen.
Komm’, schürze, spring1 und schwinge dich
Auf meinen Rappen hinter mich;
Muss heut noch hundert Meilen
Mit dir in's Brautbett eilend4 —
„„Ach, wolltest hundert Meilen noch
Mich heut in’s Brautbett tragen?
Und horch! es brummt die (Hocke noch,
Die elf schon angeschlagen!““
„Sieh’ hin, lieh' her! der Mond scheint hell.
Wir und die Todten reiten schnell;
Ich bringe dich zur Wette
Noch heut in's Hochzeitsbette!“
„„Sag’ an, wo ist dein Kämmerlein?
Wo? Wie dein Hochzeitsbettchen? “ “
„Weit weit von hier! . . . Still, kühl und klein!
Sechs Bretter und zwei Brettchen!“
„„Hat's Raum für mich?““ — „Für dich und mich!
Komm’, schürze, spring’ und schwinge dich,
Die Hochzeitsgäste hoffen!
Die Kammer steht uns offen.“ —
Schön Liebchen schürzte, sprang und schwang
Sich auf das Ross behende;
Wohl um den trauten Reiter schlang
Sie ihre Lilienhände.
Und hurre hurre, hopp hopp hopp,
Ging’s fort in sausendem Galopp,
Dass Ross und Reiter schnoben,
Und Kies und Funken stoben.
Zur Rechten und zur linken Hand,
Vorbei vor ihren Blicken,
Wie flogen Anger, Haid’ und Land!
Wie donnerten die Brücken! —
„Grau’t Liebchen auch? . . . Der Mond scheint hell!
Hurrah, die Todten reiten schnell!
Grau’t Liebchen auch vor Todten?“
„„Ach, nein! Doch lass die Todten!““
Was klang dort für Gesang und Klang?
Was flatterten die Raben?
Horch Glockenklang! Horch Todten fang:
,Lasst uns den Leib begraben!4
67
Und näher zog ein Leichenzug,
Der Sarg und Todtenbahre trug.
Das Lied war zu vergleichen
Dem Unkenruf in Teichen.
Nach Mitternacht begrabt den Leib
Mit Klang und Sang und Klage!
Jetzt fuhr’ ich heim mein junges Weib,
Mit, mit zum Brautgelage!
Komm', Küster, hier! Komm’ mit dem Chor
Und gurgle mir das Brautlied vor.
Komm’, Pfeif und sprich den Segen,
Eh’ wir zu Bett uns legen.
Still Klang und Sang .... die Bahre schwand.
Gehorsam seinen Kufen
Kam’s Innre, hurre! nachgerannt,
Hart hinter’s Rappen Hufen.
Und immer weiter hopp hopp hopp
Ging’s fort im saufenden Galopp,
Dass Ross und Reiter schnoben,
Und Kies und Funken stoben.
Wie flogen rechts, wie flogen links
Gebirge, Bäum’ und Hecken!
Wie flogen links und rechts und links
Die Dörfer, Städt’ und Flecken! —
„Grau’t Liebchen auch? .... Der Mond scheint hell!
Hurrali! die Todten reiten schnell!
Graut Liebchen auch vor Todten?“
„„Ach, lass sie ruhn die Todten!""
Sieh’ da! Sieh’ da! am Hochgericht
Tanzt um des Rades Spindel
Halb sichtbarlich bei Mondenlieht
Ein luftiges Gesindel.
„Sasa! Gesindel hier! Komm’ hier!
Gesindel komm’ und folge mir!
Tanz’ uns den Hochzeitsreigen,
Wann wir zu Bette steigen!"
Und das Gesindel husch, husch husch!
Kam hinten nachgeprasselt,
Wie Wirbelwind am Haselbusch
Durch dürre Blätter rasselt.
Und weiter, weiter hopp hopp hopp!
Ging’s fort im sausenden Galopp,
Dass Ross und Reiter schnoben,
Und Kies und Funken stoben.
68
Wie flog, was rund der Mond beschien,
Wie flog es in die Feme!
Wie flogen oben über hin
Der Himmel und die Sterne!
„Grau’t Liebchen auch? . . . Der Mond scheint hell!
Hurrah! die Todten reiten schnell!
Grau’t Liebchen auch vor Todten?“
„„0 weh! lass ruli’n die Todten!““
„Kapp’, Rapp’ mich dünkt, der Hahn schon ruft . . . .
Bald wird der Sand verrinnen.
Rapp’, Rapp’ ich wittre Morgenluft ....
Rapp’! tummle dich von hinnen! —
i Vollbracht, vollbracht ist unser Lauf!
Das Hochzeitsbette thut sich auf.
Die Todten reiten schnelle!
Wir sind, wir sind zur Stelle!“ — —
Rasch auf ein eisern Gitterthor
Ging’8 mit verhängtem Zügel,
Mit schwanker Gert’ ein Schlag davor
Zersprengte Schloss und Riegel.
Die Flügel flogen klirrend auf,
Und über Gräber ging der Lauf,
Es blinkten Leichensteine
Ringsum im Mondenscheine.
Ha sieh’! Ha sieh’! im Augenblick
Huhu! ein grässlich Wunder:
Des Reiters Koller, Stück für Stück
Fiel ab wie mürber Zunder.
Zum Schädel ohne Zopf und Schopf,
Zum nackten Schädel ward fein Kopf;
Sein Körper zum Gerippe,
Mit Stundenglas und Hippe.
Hoch bäumte sich, wild schnob der Rapp'
Und sprühte Feuerfunken;
Und hui! war’s unter ihr hinab
Verschwunden und versunken.
Geheul, Geheul aus hoher Luft,
Gewinsel kam aus tiefer Gruft,
Leonorens Herz mit Beben
Rang zwischen Tod und Leben.
Nun tanzten wohl bei Mondenglanz
. Rundum herum im Kreise
Die Geister einen Kettentanz,
Und heulten diese Weise:
I
Geduld, Geduld! Wenn’s Herz auch bricht,
Mit Gott im Himmel hadre nicht!
Des Leibes bist du ledig,
Gott fei der Seele gnädig! Bürger
80. Der wilde Jäger.
Der Wild- und Rheingraf ftiefs in s Horn:
„Hailoh, hailoh zu Fuss und Ross!“
Sein Hengst erhob lieh wiehernd vorn,
Laut rasselnd stürzt’ ihm nach der Tross.
Laut klifft und klafft es, frei vom Koppel,
Durch Korn und Dorn, durch Haid’ und Stoppel.
Vom Strahl der Sonntagsfrühe war
Des hohen Domes Kuppel blank;
Zum Hochamt rüste dumpf und klar
Der Glocken ernster Feierklang;
Fern tönten lieblich die Gelange
Der andachtsvollen Christenmenge.
Rischrasch quer über’n Kreuzweg ging’s
Mit Horridoh und Hussassa.
Sieh’ da! 'Sieh’ da, kam rechts und links
Ein Reiter hier, ein Reiter da!
Des Rechten Ross war Silbersblinken,
Ein Feuerfarbner trug den Linken.
Wer waren Reiter links und rechts?
Ich ahn’ es wohl, doch weiss ich’s nicht.
Lichthehr erschien der Reiter rechts
Mit mildem Frühlingsangesicht.
Grass, dunkelgelb der linke Ritter
Schoss Elitz vom Aug’ wie Ungewitter.
„Willkommen hier zu rechter Frist!
Willkommen zu der edlen Jagd!
Auf Erden und im Himmel ist
Kein Spiel, das lieblicher behagt.“ —
Er rief s, schlug laut sich an die Hüfte,
Und schwang den Hut hoch in die Lüfte.
„Schlecht stimmet deines Hornes Klang,“
Sprach der zur Rechten sanften Muth s,
„Zu Feierglock und Chorgesang.
Kehr’ um! Erjagst dir heut nichts Guss.
Lass dich den guten Engel warnen
Und nicht vom Bösen dich umgarnen!“
70
„Jagt zu, jagt zu, mein edler Herr!“
Fiel rasch der linke Ritter drein.
„Was Glockenklang? Was Chorgeplärr?
Die Jagdlust mag Euch hass erfreu’n!
Lasst mich, was fürstlich ist, Euch lehren!
Und Euch von Jenem nicht bethören!“ —
„Ha! Wohlgesprochen, linker Mann!
Du bist ein Held nach meinem Sinne.
Wer nicht des Waidwerks pflegen kann,
Der fcheer’ an’s Paternoster hin!
Mag’s frommer Narr dich hass verdriessen,
So will ich meine Lust doch hülsen!“ —
Und hurre hurre vorwärts ging’s,
Feldein und aus, Berg ab und an;
Stets ritten Reiter rechts und links
Zu beiden Seiten nebenan.
Auf sprang ein weisser Hirsch von ferne
Mit sechzehnzackigem Gehörne.
Und lauter stiess der Graf in’s Horn;
Und rascher flog’s zu Fuss und Ross;
Und sieh’ ! bald hinten und bald vorn
Stürzt einer todt dahin vom Tross.
„Lass stürzen! Lass zur Hölle stürzen!
Das darf nicht Fürstenlust verschürzen.“
Das Wild duckt sich in’s Aehrenfeld
Und hofft da sichern Aufenthalt.
Sieh’ da, ein armer Landmann stellt
Sich dar in kläglicher Gestalt:
,Erbarmen, lieber Herr, Erbarmen!
Verschont den sauren Schweifs der Armen!1
Der rechte Ritter sprengt heran,
Und warnt den Grafen sanft und gut;
Doch hass hetzt ihn der linke Mann
Zu schadenfrohem Frevelmuth.
Der Graf verschmäht des Rechten Warnen
Und lässt vom Linken sich umgarnen.
„Hinweg, du Hund!“ schnaubt fürchterlich
Der Graf den armen Pflüger an —
„Sonst hetz’ ich selbst, beim Teufel, dich!
Hailoh, Gesellen, drauf und dran!
Zum Zeichen, dass ich wahr geschworen.
Knallt ihm die Peitschen um die Ohren!“
71
tz
Gesagt, gethan! Der Wildgraf schwang
Sich über’n Hagen rasch voran,
Und hinterher, bei Knall und Klang,
Der Tross mit Hund und Ross und Mann;
Und Hund und Mann und Ross zerstampfte
Die Halmen, dass der Acker dampfte.
Vom nahen Lärm emporgescheucht,
Feld ein und aus, Berg ab und an
Gesprengt, verfolgt, doch unerreicht,
Ereilt das Wild des Angers Plan,
Und mischt sich, da verschont zu werden,
Schlau mitten zwischen zahme Herden.
Doch hin und her durch Flur und Wald,
Und her und hin durch Wald und Flur
Verfolgen und erwittem bald
Die raschen Hunde seine Spur.
Der Hirt voll Angst für feine Herde,
Wirft vor den Grafen sich zur Erde:
,Erbarmen, Herr, Erbarmen! Lasst
Mein armes stilles Vieh in Ruh'!
Bedenket, lieber Herr, hier graft
So mancher armen Wittwe Kuh.
Ihr Eins und Alles spart der Annen!
Erbarmen, lieber Herr, Erbarmen!4
Der rechte Ritter sprengt heran,
Und warnt den Grafen sanft und gut.
Doch hass hetzt ihn der linke Mann
Zu schadenfrohem Frevelmuth.
Der Graf verschmäht des Rechten Warnen
Und lässt vom Linken sich umgarnen.
„Verwegner Hund, der du mir wehrst!
Ha, dass du deiner besten Kuh
Selbst um und angewachsen wärst
Und jede Vettel noch dazu!
So sollt’ es hass mein Herz ergetzen,
Euch stracks in’s Himmelreich zu hetzen.
Hailoh, Gesellen, drauf und dran!
Jo! Doho Hussasasa!“ —
Und jeder Hund fiel wüthend an,
Was er zunächst vor sich ersah.
Bluttriefend sank der Hirt zur Erde,
Bluttriefend Stück für Stück die Herde.
72
Dem Mordgewühl entrafft sich kaum
Das Wild mit immer schwäch erm Lauf.
Mit Blut besprengt, bedeckt mit Schaum,
Nimmt jetzt des Waldes Nacht es auf.
Tief birgt sich’s in des Waldes Mitte
In eines Klausners Gotteshütte.
Risch ohne Rast mit Peitschenknall,
Mit Horidoh und Hussassa
Und Kliff und Klaff und Hörnerschall
Verfolgt’s der wilde Schwarm auch da.
Entgegen tritt mit sanfter Bitte
Der fromme Klausner vor die Hütte:
,Lass ab, lass ab von dieser Spur!
Entweihe Gottes Freistatt nicht!
Zum Himmel ächzt die Kreatur
Und heischt von Gott dein Strafgericht.
Zum letzten Male lass dich warnen,
Sonst wird Verderben dich umgarnen.
Der Rechte sprengt besorgt heran
Und warnt den Grafen sanft und guf}
Doch hass hetzt ihn der linke Mann
Zu schadenfrohem Frevelmuth.
Und wehe! trotz des Rechten Warnen
Lässt er vom Linken sich umgarnen!4
„Verderben hin, Verderben her!
Das, ruft er, macht mir wenig Graus,
Und wenn's kn dritten Himmel wär’,
So acht’ ich’s keine Fledermaus.
Mag's Gott und dich, du Narr, verdrießen,
So will ich meine Lust doch hülsen!“
Er schwingt die Peitsche, ftösst in’s Hom:
„Hailoh, Gesellen, drauf und dran!“
Hui! Schwinden Mann und Hütte vorn
Und hinten schwinden Ross und Mann;
Und Knall und Schall und Jagdgebrülle
Verschlingt auf einmal Todtenftille.
Erschrocken blickt der Graf umher:
Er ftösst in’s Horn, es tönet nicht;
Er ruft, und hört sich selbst nicht mehr;
Der Schwung der Peitsche sauset nicht;
Er spornt sein Ross in beide Seiten,
Und kann nicht vor- nicht rückwärts reiten.
73
Drauf wird es düster um ihn her,
Und immer düstrer wie im Grab.
Dumpf rauscht es, wie ein fernes Meer.
Hoch über seinem Haupt herab
Ruft furchtbar mit Gewittergrimme
Dies Urtheil eine Donnerstimme:
„Du Wüthrich, teuflischer Natur,
Frech gegen Gott und Mensch und Thier!
Das Acli und Weh’ der Kreatur
Und deine Missethat an ihr
Hat laut dich vor Gericht gefedert,
Wo hoch der Rache Fackel lodert.
Fleuch, Unhold, Fleuch! und werde jetzt
Von nun an bis in Ewigkeit
Von Holl’ und Teufel selbst gehetzt!
Zum Schreck der Fürsten jeder Zeit,
Die, um verruchter Lust zu frohnen,
Nicht Schöpfer noch Geschöpf verschonen!“
Ein schwefelgelber Wetterschein
Umzieht hierauf des Waldes Laub.
Angst rieselt ihm durch Mark und Bein;
Ihm wird so schwül, so dumpf und taub!
Entgegen weht ihm kaltes Grausen,
Dem Nacken folgt Gewittersausen.
Das Grausen weht, das Wetter saust
Und aus der Erd' empor, huhu!
Fährt eine schwarze Riesenfaust;
Sie spannt sich auf, sie krallt sich zu;
Hui! will sie ihn beim Wirbel packen;
Hui! steht sein Angesicht im Nacken.
Es siimmt und flammt rund um ihn her,
Mit grüner, blauer, rother Qluth;
Es wallt um ihn ein Feuermeer;
Darinnen wimmelt Höllenbrut.
Jach fahren tausend Höllenhunde,
I-aut angehetzt, empor vom Schlunde.
Er rafft sich auf durch Wald und Feld,
Und flieht, laut heulend Weh' und Ach;
Doch durch die ganze weite Welt
Rauscht bellend ihm die Hölle nach,
Bei Tag tief durch der Erde Klüfte,
Um Mitternacht hoch durch die Lüste.
74
Im Nacken bleibt sein Antlitz stehn,
So rasch die Flucht ihn vorwärts reifst.
Er muss die Ungeheuer sehn,
Laut angehetzt vom bösen Geist,
Muss sehn das Knirichen und das Jappen
Der Rachen, welche nach ihm schnappen. —
Das ist des wilden Heeres Jagd.
Die bis zum jüngsten Tage währt.
Und oft dem Wüstling noch bei Nacht
Zu Schreck und Graus vorüberfährt.
Das könnte, müsst er sonst nicht schweigen,
Wohl manches Jägers Mund bezeugen.
Bürger.
81. Der Zauberlehrling.
Hat der alte Hexenmeister
Sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
Auch nach meinem Willen leben;
Seine Wort' und Werke
Merkt’ ich, und den Brauch,
Und mit Geistesstärke
Thu’ ich Wunder auch.
Walle! walle
Manche Strecke,
Dass, zum Zwecke,
Wasser Hiesse,
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergiesse.
Und nun komm’ du alter Besen!
Nimm die schlechten Lumpenhüllen;
Bist schon lange Knecht gewesen;
Nun erfülle meinen Willen!
Auf zwei Beinen stehe,
Oben sei ein Kopf,
Eile nun und gehe
Mit dem Wassertops!
Walle! walle
Manche Strecke,
Dass, zum Zwecke,
Wasser fliesse,
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergiesse!
Seht, er läuft zum Ufer wieder;
Wahrlich! ist schon an dem Flusse,
Und mit Blitzesschnelle wieder
Ist er hier mit raschem Gusse.
Schon zum zweitenmale!
Wie das Becken schwillt!
Wie sich jede Schale
Voll mit Wasser füllt!
Stehe! Stehe!
Denn wir haben
Deiner Gaben
Vollgemessen! —
Ach, ich merk' es! Wehe! wehe!
Hab' ich doch das Wort vergessen
Ach, das Wort, worauf am Ende
Er das wird, was er gewesen.
Ach, er läuft, und bringt behende!
Wärst du doch der alte Besen!
Immer neue Güsse
Bringt er schnell herein.
Ach! und hundert Flüsse
Stürzen auf mich ein.
Nein, nicht länger
Kann ich’s lassen:
Will ihn fassen.
Das ist Tücke!
Ach, nun wird mir immer bänger!
Welche Miene! Welche Blicke!
0, du Ausgeburt der Hölle!
Soll das ganze Haus ersaufen?
Seh ich über jede Schwelle
Doch schon Wasserströme laufen.
Ein verruchter Besen,
Der nicht hören will!
Stock, der du gewesen,
Steh’ doch wieder still!
Willst’s am Ende
Gar nicht lassen?
Will dich fassen,
Will dich halten,
Und das alte Holz behende
Mit dem scharfen Beile spalten.
Seht, da kommt er schleppend wieder
Wie ich mich nun auf dich werfe,
76
Gleich, o Kobold, liegst du nieder;
Krachend trifft die glatte ¡Schärfe.
Wahrlich, brav getroffen!
Seht, er ist entzwei!
Und nun kann ich hoffen,
Und ich athme frei!
Wehe! wehe!
Beide Theile
Stehn in Eile
Schon als Knechte
Völlig fertig in die Höhe!
Helft mir, ach, ihr hohen Mächte!
Und sie laufen! Nass und nässer
Wird's im Saal und auf den Stufen.
Welch entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister! Hör’ mich rufen. —
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Noth ist gross!
Die ich rief, die Geister,
Werd' ich nun nicht los.
„In die Ecke,
Besen! Besen!
Seid’s gewesen!
Denn als Geister
Ruft euch nur, zu seinem Zwecke,
Erst hervor der alte Meister.“
82. Der Fischer.
Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll
Ein Fischer fass daran,
Sah nach den Angel ruhevoll,
Kühl bis an's Herz hinan.
Und wie er sitzt und wie er lauscht,
Theilt sich die Fluth empor,
Aus dem bewegten Wasser rauscht
Ein feuchtes Weib hervor.
Sie fang zu ihm, sie sprach zu ihm:
Was lock’st du meine Brut
Mit Menschenwitz und Menschenlist
Hinauf in Todesgluth?
Ach wüsstest du, wie’s Fischlein ist
So wohlig auf dem Grund,
Du stiegst herunter wie du bist
Und würdest erst gesund.
Goethe.
Labt sich die liebe Sonne nicht,
Der Mond sich nicht ixn Meer?
Lehrt wellenathmend ihr Gesicht
Nicht doppelt schöner her?
Lockt dich der tiefe Himmel nicht,
Das feuchtverklärte Blau?
Lockt dich dein eigen Angesicht
Nicht her in ew’gen Thau?
Das Wasser rauscht’, das Wasser schwoll,
Netzt' ihm den nackten Fuss,
Sein Herz schwoll ihm so sehnsuchtsvoll
Wie bei der Liebsten Gruse.
Sie sprach zu ihm, sie sang zu ihm;
Da war's um ihn geschehn:
Halb zog sie ihn, halb sank er hin,
Und ward nicht mehr gesehn. Goethe.
83. Hochzeitlied.
Wir singen und sagen vom Grafen so gern,
Der hier in dem Schlosse geliauset,
Da wo ihr den Enkel des seligen Herrn,
Den heute vermählten beschmauset.
Nun hatte sich jener im heiligen Krieg
Zu Ehren gestritten durch mannigen Sieg,
Und als er zu Haufe vom Rössel ein stieg,
Da fand er sein Schlösselein droben,
Doch Diener und Habe zerstoben.
Da bist du nun, Gräflein, da bist du zu Haus,
Das Heimische findest du schlimmer:
Zum Fenster da ziehen die Winde hinaus,
Sie kommen durch alte die Zimmer.
Was wäre zu thun in der herbstlichen Nacht?
So hab’ ich doch manche noch schlimmer vollbracht,
Der Morgen hat alles wohl besser gemacht.
Drum rasch bei der mondlichen Helle
In’s Bett, in das Stroh, in’s Gestelle!
Und als er im willigen Schlummer so lag,
Bewegt es sich unter dem Bette.
Die Ratte, die raschle, so lange sie mag!
Ja, wenn sie ein Bröselein hätte!
Doch siehe! da stehet ein winziger Wicht,
Ein Zwerglein so zierlich mit Ampelen-Licht,
Mit Redner - Geberden und Sprechergewicht,
78
Zum Fuss des ermüdeten Grafen,
Der, schläft er nicht, möcht’ er doch schlafen.
Wir haben uns Feste hier oben erlaubt,
Seitdem du die Zimmer verlassen,
Und weil wir dich weit in der Feme geglaubt,
So dachten wir eben zu prassen.
Und wenn du vergönnest, und wenn dir nicht grau t,
So schmausen die Zwerge, behaglich und laut,
Zu Ehren der reichen, der niedlichen Braut.
Der Graf im Behagen des Traumes:
Bedienet euch immer des Raumes!
Da kommen drei Reiter, sie reiten hervor,
Die unter dem Bette gehalten;
Dann folget ein .singendes klingendes Chor
Possirlich kleiner Gestalten;
Und Wagen auf Wagen mit allem Geräth,
Dass einem so Hören und Sehen vergeht,
Wie’s nur in den Schlössern der Könige steht;
Zuletzt auf vergoldetem Wagen
Die Braut und die Gäste getragen.
So rennet nun Alles in vollem Galopp
Und kürt sich im Saale fein Plätzchen;
Zum Drehen und Walzen und lustigem Hopp
Erkieset sich jeder ein Schätzchen.
Da pfeift es und geigt es und klinget und klirrt,
Da ringelt’s und schleift es und rauschet und wirrt,
Da pispert’s und knistert’s und flüstert’s und schwirrt;
Das Gräflein, es blicket hinüber,
Es dünkt ihn, als lag' er im Fieber.
Nun dappelt’s und rapp eit’s und klappert’s im Saal
Von Bänken und Stühlen und Tischen,
Da will nun ein jeder am festlichen Mahl
Sich neben dem Liebchen erfrischen;
Sie tragen die Würste, die Schinken so klein
Und Braten und Fisch und Geflügel herein,
Es kreiset beständig der köstliche Wein;
Das toset und koset so lange,
Verschwindet zuletzt mit Gesänge.
Und sollen wir sagen, was weiter gescheh’n,
So schweige das Toben und Tosen.
Denn was er so artig im Kleinen geseh n,
Erfuhr er, genoss er im Grossen.
79
Trompeten und klingender singender Schall,
Und Wagen und Reiter und bräutlicher Schwall,
Sie kommen und zeigen und neigen sich all,
Unzählige, selige Leute.
So ging es und geht es noch heute.
Goethe.
84. Der Schatzgräber.
Arm am Beutel, krank am Herzen,
Schleppt’ ich meine langen Tage.
Armuth ist die grösste Plage,
Reichthum ist das höchste Gut!
Und, zu enden meine Schmerzen,
Ging ich einen Schatz zu graben.
Meine Seele sollst du haben !
Schrieb ich hin mit eignem Blut.
Und so zog ich Kreis um Kreise,
Stellte wunderbare Flammen,
Kraut und Knochenwerk zusammen:
Die Beschwörung war vollbracht.
Und auf die gelernte Weise
Grub ich nach dem alten Schatze
Aus dem angezeigten Platze:
.Schwarz und stürmisch war die Nacht.
Und ich sah ein Licht vom weiten,
Und es kam gleich einem Sterne
Hinten aus der fernsten Ferne,
Eben als es zwölfe schlug.
Und da galt kein Vorbereiten.
Heller ward’s mit einemmale
Von dem Glanz der vollen Schale,
Die ein schöner Knabe trug.
Holde Augen sah ich blinken
Unter dichtem Blumenkränze;
In des Trankes Himmelsglanze
Trat er in den Kreis hinein.
Und er hiess mich freundlich trinken;
Und ich dacht’: es kann der Knabe
Mit der schönen lichten Gabe
Wahrlich nicht der Böse sein.
Trinke Muth des reinen Lebens!
Dann verstehst du die Belehrung,
#
80
Kommst, mit ängstlicher Beschwörung,
Nicht zurück an diesen Ort.
Grabe hier nicht mehr vergebens!
Tages Arbeit, Abends Gäste!
Saure Wochen, frohe Feste!
Sei dein künftig Zauberwort.
Goethe.
85. Erlkönig.
Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind;
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er fasst ihn sicher, er hält ihn warm.
Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht? —
Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht?
Den Erlenkönig mit Krön’ und Schweif? —
Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif. —
„Du liebes Kind, komm', geh’ mit mir!
Gar schöne Spiele spiel’ ich mit dir;
Manch’ bunte Blumen sind an dem Strand,
Meine Mutter hat manch gülden Gewand.“ —
Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
Was Erlenkönig mir leise verspricht? —
Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind;
In dürren Blättern säuselt der Wind. —
„Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön;
Meine Töchter führen den nächtlichen Keihu
Und wiegen und tanzen und singen dich ein.“ —
Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düstern Ort? —
Mein Sohn, mein Sohn, ich seh’ es genau,
Es scheinen die alten Weiden so grau. —
„Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt;
Und kommst du nicht willig, so brauch’ ich Gewalt.“ —
Mein Vater, mein Vater, jetzt fasst er mich an!
Erlkönig hat mir ein Leids gethan! —
Dem Vater grauset’s, er reitet geschwind,
Er hält in den Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Hof mit Müh’ und Noth;
In seinen Armen das Kind war todt. Goethe.
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81
86. Mignon.
Kennst du das Land, wo die Citronen blühn?
In dunklem Laub die Gold-Orangen glühn,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht.
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht.
Kennst du es wohl?
Dahin! dahin
Möcht’ ich mit dir, o mein Geliebter, zielm!
Kennst du das Haus? Auf Säulen ruht fein Dach,
Es glänzt der Saal, es schimmert das Gemach,
Und Marmorbilder stehn und sehn mich an:
Was hat man dir, du armes Kind, gethan?
Kennst du es wohl?
Dahin! dahin
Möcht’ ich mit dir, o mein Beschützer, zielm!
Kennst du den Berg und seinen Wolken steg?
Das Maulthier sucht im Nebel seinen Weg;
In Höhlen wohnt der Drachen alte Brut;
Es stürzt der Fels und über ihn die Fluth.
Kennst du ihn wohl?
Dahin! dahin
Geht unser Weg! o Vater lass uns ziehn!
Goethe.
87. Die Kraniche des Ibykus.
Zum Kampf der Wagen und Gesänge,
Der auf Korintkus’ Laudesenge
Der Griechen Stämme froh vereint,
Zog Ibykus, der Götterfreund.
Ihm schenkte des Gesanges Gabe,
Der Lieder süssen Mur.d Apoll;
So wandert er am leichten Stabe
Aus Rhegium, des Gottes voll.
Schon winkt auf hohem Bergesrücken
Akrokorinth des Wandrers Blicken,
Und in Poseidons Fichtenhain
Tritt er mit frommem Schauder ein,
Nichts regt sich um ihn her, nur Schwärme
Von Kranichen begleiten ihn,
Die fernhin nach des Südens Wärme
In graulichem Geschwader ziehn.
Boquette, Deutsches Lesebuch. I.
6
82
„Seid mir gegrüsst, befreund’te Schaaren,
„Die mir zur See Begleiter waren;
„Zum guten Zeichen nehm ich euch,
„Mein Loos, es ist dem euren gleich.
„Von fern her kommen wir gezogen
„Und flehen um ein wirthlich Dach —
„Sei uns der Gastliche gewogen,
„Der von dem Fremdling wehrt die Schmach !“
Und munter fördert er die Schritte
Und fleht fleh in des Waldes Mitte;
Da sperren auf gedrangem Steg
Zwei Mörder plötzlich seinen Weg.
Zum Kampfe muss er fleh bereiten,
Doch bald ermattet sinkt die Hand,
Sie hat der Leyer zarte Saiten,
Doch nie des Bogens Kraft gespannt.
Er ruft die Menschen an, die Götter,
Sein Flehen dringt zu keinem Retter;
Wie weit er auch die Stimme schickt,
Nichts Lebendes wird hier erblickt.
„So muss ich hier verlassen sterben,
Auf fremdem Boden, unbeweint,
Durch böser Buben Hand verderben,
Wo auch kein Rächer mir erscheint!“
Und schwer getroffen sinkt er nieder,
Da rauscht der Kraniche Gefieder;
Er hört, schon kann er nicht mehr sehn,
Die nahen Stimmen furchtbar krähn.
„Von euch, ihr Kraniche dort oben,
Wenn keine andre Stimme spricht,
Sei meines Mordes Klag' erhoben!“
Er ruft es, und fein Auge bricht.
Der nackte Leichnam wird gefunden,
Und bald, obgleich entstellt von Wunden,
Erkennt der Gastfreund in Korinth
Die Züge, die ihm theuer sind.
„Und muss ich so dich wieder finden,
Und hoffte, mit der Fichte Kranz
Des Sängers Schläfe zu umwinden,
Bestrahlt von seines Ruhmes Glanz!“
Und jammernd hören's alle Gäste,
Versammelt bei Poseidons Feste,
Ganz Griechenland ergreift der Schmerz,
Verloren hat ihn jedes Herz.
83
Und stürmend drangt sich zum Prytanen
Das Volk, es fordert feine Wuth,
Zu rächen des Erfehlagnen Manen,
Zu stihnen mit des Mörders Blut.
Doch, wo die Spur, die aus der Menge,
Der Völker fluthendem Gedränge,
Gelocket von der Spiele Pracht,
Den schwarzen Thäter kenntlich macht?
Sind's Räuber, die ihn feig erschlagen?
That's neidisch ein verborgner Feind?
Nur Helios vermag's zu lagen,
Der alles Irdische bescheint.
Er geht vielleicht mit frechem Schritte
Jetzt eben durch der Griechen Mitte,
Und während ihn die Rache sucht,
Geniesst er seines Frevels Frucht.
Auf ihres eignen Tempels Schwelle
Trotzt er vielleicht den Göttern, mengt
Sich dreist in jene Menfchenwelle,
Die dort sich zum Theater drängt.
Denn Bank an Bank gedränget sitzen,
Es brechen fast der Bühne Stützen,
Herbeigeströmt von fern und nah’
Der Griechen Völker wartend da.
Dumpfbrausend, wie des Meeres Wogen,
Von Menschen wimmelnd, wächst der Bau
In weiter stets geschweiften Bogen
Hinauf bis in des Himmels Blau.
Wer zählt die Völker, nennt die Namen,
Die gastlich hier zusammen kamen?
Von Theseas’ Stadt, von Aulis' Strand,
Von Phocis, vom Spartaner land,
Von Asiens entlegner Küste,
Von allen Inseln kamen sie,
Und horchen von dem Schaugerüste
Des Chores graufer Melodie,
Der, streng und ernst, nach alter Sitte,
Mit langsam abgemessnem Schritte
Hervortritt aus dem Hintergrund,
Umwandelnd des Theaters Rund.
So schreiten keine ird’ sehen Weiber,
Die zeugete kein sterblich Haus!
Es steigt das Riefenmafs der Leiber
Hoch über Menschliches hinaus.
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84
Ein schwarzer Mantel schlägt die Lenden,
Sie schwingen in entfleischten Händen
Der Fackel düsterrothe Gluth,
In ihren Wangen Hiesst kein Blut;
Und wo die Haare lieblich flattern,
Um Menschenftirnen freundlich wehn.
Da fleht man Schlangen hier und Nattern
Die giftgeschwollnen Bäuche blähn.
Und schauerlich, gedreht im Kreise,
Beginnen sie des Hymnus Weife,
Der durch das Herz zerreissend dringt,
Die Bande um den Frevler schlingt.
Befinnungsraubend, herzbethörend
Schallt der Erinnyen Gesang,
Er schallt, des Hörers Mark verzehrend.
Und duldet nicht der Leyer Klang:
„Wohl dem, der frei von Schuld und Fehle
Bewahrt die kindlich reine Seele!
Ihm dürfen wir nicht rächend nahn,
Er wandelt frei des Lebens Bahn.
Doch wehe, wehe, wer verstohlen
Des Mordes schwere That vollbracht!
Wir heften uns an feine Sohlen,
Das furchtbare Geschlecht der Nacht.“
„Und glaubt er, fliehend zu entspringen,
Geflügelt sind wir da, die Schlingen
Ihm werfend um den flücht'gen Fuss,
Dass er zu Boden fallen muss.
So jagen wir ihn, ohn' Ermatten,
Versöhnen kann uns keine Reu’,
Ihn fort und fort bis zu den Schatten,
Und geben ihn auch dort nicht frei.“
So singend, tanzen sie den Reigen,
Und Stille, wie des Todes Schweigen,
Liegt über’m ganzen Haufe schwer,
Als ob die Gottheit nahe wär’.
Und feierlich, nach alter Sitte,
Umwandelnd des Theaters Rund,
Mit langsam abgemessnem Schritte,
Verschwinden sie im Hintergrund.
Und zwischen Trug und Wahrheit schwebet
Noch zweifelnd jede Brust und bebet,
Und huldiget der furchtbar’n Macht,
Die richtend im Verborgnen wacht;
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Die unerforschüch, unergründet,
Des Schicksals dunkeln Knäuel flicht,
Dem tiefen Herzen fleh verkündet,
Doch fliehet vor dem Sonnenlicht.
Da hört man von den höchsten Stufen
Auf einmal eine Stimme rufen:
„Sieh' da, fleh' da, Thimotheus,
Die Kraniche des Ibykus !“ —
Und finster plötzlich wird der Himmel,
Und über dem Theater hin
Sieht man im schwärzlichem Gewimmel
Ein Kranichheer vorüberziehn.
„Des Ibykus!“ — Der theure Name
Rührt jede Brust mit neuem Grame,
Und wie im Meere Well auf Well,
So läuft's von Mund zu Munde schnell:
„Des Ibykus? den wir beweinen,
Den eine Mörderhand erschlug?
Was ist’s mit dem? Was kann er meinen?
Was ist’s mit diesem Kranichzug?“ —
Und lauter immer wird die Frage,
Und ahnend fliegt’s mit Blitzesschlage
Durch alle Herzen: „Gebet Acht,
Das ist der Eumeniden Macht!
Der fromme Dichter wird gerochen,
Der Mörder bietet selbst sich dar —
Ergreift ihn. der das Wort gesprochen,
Und ihn, an den's gerichtet war!“
Doch dem war kaum das Wort entfahren,
Möcht’ er’s im Busen gern bewahren;
Umsonst! Der schreckenbleiche Mund
Macht schnell die Schuldbewussten kund.
Man reifst und schleppt sie vor den Richter,
Die Scene wird zum Tribunal,
Und es gestehn die Bösewichter,
Getroffen von der Rache Strahl. Schiller.
88. Der Taucher.
„Wer wagt es, Rittersmann oder Knapp,
Zu tauchen in diesen Schlund?
Einen goldnen Becher werft ich hinab,
Verschlungen schon hat ihn der schwarze Mund.
Wer mir den Becher kann wiederzeigen,
Er mag ihn behalten, er ist fein eigen!“
Der König spricht es und wirft von der Höh’
Der Klippe, die schroff und steil
Hinaushängt in die unendliche See,
Den Becher in der Charybde Geheul.
„Wer ist der Beherzte, ich frage wieder,
Zu tauchen in diese Tiefe nieder?“
Und die Ritter, die Knappen um ihn her
Vernehmen’s und schweigen still,
Sehen hinab in das wilde Meer,
Und keiner den Becher gewinnen will.
Und der König zum drittenmal wieder fraget:
„Ist keiner, der sich hinunter waget?“
Doch Alles noch stumm bleibt, wie zuvor;
Und ein Edelknecht, sanft und keck,
Tritt aus der Knappen zagendem Chor,
Und den Gürtel wirft er, den Mantel weg.
Und alle die Männer umher und Flauen
Auf den herrlichen Jüngling verwundert schauen.
Und wie er tritt an des Felsen Hang
Und blickt in den Schlund hinab,
Die Wasser, die sie hinunter schlang,
Die Charybde jetzt brüllend wiedergab,
Und wie mit des fernen Donners Getose
Entstürzen sie schäumend dem finsteren Schosse.
Und es wallet und siedet und brauset und zischt,
Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,
Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,
Und Fluth auf Fluth sich ohn' Ende drängt,
Und will sich nimmer erschöpfen und leeren,
Als wollte das Meer noch ein Meer gebären.
Doch endlich, da legt sich die wilde Gewalt,
Und schwarz aus dem weiften Schaum
Klafft hinunter ein gähnender Spalt,
Grundlos, als ging’s in den Höllenraum,
Und reissend sieht man die brandenden Wogen
Hinab in den strudelnden Trichter gezogen.
Jetzt schnell, eh’ die Brandung wiederkehrt,
Der Jüngling sich Gott befiehlt,
Und — ein Schrei des Entsetzens wird rings gehört,
Und schon hat ihn <&r Wirbel hinweggespült,
87
Und geheimnissvoll über dem kühnen Schwimmer
Schliefst sich der Rachen; er zeigt sich nimmer.
Und stille wird'8 über dem Wassersclilund,
In der Tiefe nur brauset es hohl,
Und bebend hört man von Mund zu Mund:
„Hochherziger Jüngling, fahre wohl!“
Und hohler und hohler hört man’s heulen,
Und es harrt noch mit bangem, mit schrecklichem Weilen.
Und würfst du die Krone selber hinein
Und sprächst: Wer mir bringet die Krön’,
Er soll sie tragen und König sein —
Mich gelüstete nicht nach dem theuern Lohn.
Was die heulende Tiefe da unten verhehle,
Das erzählt keine lebende, glückliche Seele.
Wohl manches Fahrzeug, vom Strudel gefasst,
Schoss jäh in die Tiefe hinab:
Doch zerschmettert nur rangen sich Kiel und Mast
Hervor aus dem Alles verschlingenden Grab —
Und heller und heller, wie Sturmes Sausen
Hört man’s näher und immer näher brausen.
Und es wallet und siedet und brauset und zischt,
Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt,
Bis zum Himmel spritzet der dampfende Gischt,
Und Well auf Well sich ohn’ Ende drängt,
Und wie mit des fernen Donners Getose
Entstürzt es brüllend dem finstern Schosse.
Und sieh’ ! aus dem finster siuthenden Schoss,
Da hebet sich's schwanenweiss,
Und ein Arm und ein glänzender Nacken wird bloss,
Und es rudert mit Kraft und mit emsigem Fleiss,
Und er ist’s, und hoch in seiner Linken
Schwingt er den Becher mit freudigem Winken.
Und athmete lang und athmete tief.
Und begrüsste das himmlische Licht.
Mit Frohlocken es einer dem andern rief:
„Er lebt! er ist da! es behielt ihn nicht!
Aus dem Grab, aus der strudelnden Wasserhöhle
Hat der Brave gerettet die lebende Seele!“
Und er kommt; es umringt ihn die jubelnde Schaar;
Zu des Königs Füssen er sinkt,
Den Becher reicht er ihm knieend dar,
Und der König der lieblichen Tochter winkt,
88
Die füllt ihu mit funkelndem Wein bis zum Rande,
Und der Jüngling sich also zum König wandte:
„Lang lebe der König! Es freue sich,
Wer da athmet im rosigen Licht!
Da unten aber ist’s fürchterlich,
Und der Mensch versuche die Götter nicht,
Und begehre nimmer und nimmer zu Ichauen,
Was sie gnädig bedecken mit Nacht und Grauen. “
„Es riss mich hinunter blitzesschnell,
Da stürzt mir aus felsigem Schacht
Wildfluthend entgegen ein reifsender Quell;
Mich packte des Doppelstroms wüthende Macht,
Und wie einen Kreisel mit schwindelndem Drehen
Trieb mich’s um, ich konnte nicht widerstehen.“
„Da zeigte mir Gott, zu dem ich rief,
Ln der höchsten schrecklichen Noth,
Aus der Tiefe ragend ein Felsenriff,
Das erfasst’ ich behend und entrann dem Tod.
Und da hing auch der Becher an spitzen Korallen,
Sonst wär1 er ins Bodenlose gefallen.“
„Denn unter mir lag’s noch bergetief
In purpurner Finstemiss da,
Und ob’s hier dem Ohre gleich ewig schlief,
Das Auge mit Schaudern hinunter sah,
Wie’8 von Salamandern und Molchen und Drachen
Sich regt in dem furchtbaren Höllenraehen.“
„Schwarz wimmelten da, in grausem Gemisch,
Zu scheusslichen Klumpen geballt,
Der stachliche Roche, der Klippenfisch,
Des Hammers gräuliche Ungestalt,
Und dräuend wies mir die grimmigen Zähne
Der entsetzliche Hai, des Meeres Hyäne.“
„Und da hing ich, und war’s mir mit Grausen bewusst,
Von der menschlichen Hilfe io weit,
Unter Larven die einzige fühlende Brust,
Allein in der grässlichen Einsamkeit,
Tief unter dem Schall der menschlichen Rede
Bei den Ungeheuern der traurigen Oede.“
„Und schaudernd dacht ich’s, da kroch’s heran,
Regte hundert Gelenke zugleich,
Will schnappen nach mir; in des Schreckens Wahn
Lass ich los der Koralle umklammerten Zweig;
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Gleich fasst mich der Strudel mit rasendem Toben,
Doch es war mir zum Heil, er riss mich nach oben.“
Der König daroh sich verwundert schier,
Und spricht: „Der Becher ist dein,
Und diesen Hing noch bestimm' ich dir,
Geschmückt mit dem köstlichsten Edelgestein,
Versuchst du’s noch einmal und bringst mir Kunde,
Was du sah'st auf des Meeres tiefunterstem Grunde.“
Das hörte die Tochter mit weichem Gefühl,
Und mit schmeichelndem Munde sie fleht:
„Lasst, Vater, genug fein das grausame Spiel!
Er hat euch bestanden, was keiner besteht,
Und könnt ihr des Herzens Gelüsten nicht zähmen,
So mögen die Ritter den Knappen beschämen.“
Drauf der König greift nach dem Becher schnell,
In den Strudel ihn schleudert hinein:
„Und schaffst du den Becher mir wieder zur Stell’,
So sollst du der trefflichste Ritter mir sein,
Und sollst sie als Ehgemahl heut noch umarmen,
Die jetzt für dich bittet mit zartem Erbarmen!“
Da ergreift's ihm die Seele mit Himmelsgewalt,
Und es blitzt aus den Augen ihm kühn,
Und er siehet erröthen die schöne Gestalt,
Und sieht sie erbleichen und sinken hin:
Da treibt's ihn, den köstlichen Preis zu erwerben.
Und stürzt hinunter auf Leben und Sterben.
Wohl hört man die Brandung, wohl kehrt sie zurück,
Sie verkündigt der donnernde Schall;
Da bückt sich’s hinunter mit liebendem Blick,
Es kommen, es kommen, die Wasser all;
Sie rauschen herauf, sie rauschen nieder,
Den .Jüngling bringt keines wieder. Schiller.
89. Der Graf von Habsburg.
Zu Aachen in seiner Kaiserpracht,
Im alterthümlichen Saale,
Sass König Rudolphs heilige Macht
Beim festlichen Krönungsmahle.
Die Speisen trug der Pfalzgraf des Rheins,
Es schenkte der Böhme des perlenden Weins.
90
Und alle die Wähler, die heben,
Wie der Sterne Chor um die Sonne sich stellt,
Umstanden geschäftig den Herrscher der Welt,
Die Würde des Amtes zu üben.
Und rings erfüllte den hohen Balcon
Das Volk in freud’gem Gedränge;
Laut mischte sich in der Posaunen Ton
Das jauchzende Rufen der Menge;
Denn geendigt nach langem, verderblichen Streit
War die kaiserlose, die schreckliche Zeit,
Und ein Richter war wieder auf Erden.
Nicht blind mehr waltet der eiserne Speer,
Nicht fürchtet der Schwache, der Friedliche mehr
Des Mächtigen Beute zu werden.
Und der Kaiser ergreift den goldnen Pokal.
Und spricht mit zufriedenen Blicken:
„Wohl glänzet das Fest, wohl pranget das Mahl,
Mein königlich Herz zu entzücken;
Doch den Sänger vermiss’ ich, den Bringer der Lust,
Der mit süssem Klang mir bewege die Brust
Und mit göttlich erhabenen Lehren.
So hab ich's gehalten von Jugend an,
Und was ich als Ritter gepflegt und gethan,
Nicht will ich’s als Kaiser entbehren.“
Und sieh’! in der Fürsten umgebenden Kreis
Trat der Sänger im langen Talare;
Ihm glänzte die Locke silberweiss,
Gebleicht von der Fülle der Jahre:
„Süsser Wohllaut schläft in der Saiten Gold,
Der Sänger singt von der Minne Sold,
Er preiset das Höchste, das Beste,
Was das Herz sich wünscht, was der Sinn begehrt;
Doch sage, was ist des Kaisers werth
An seinem herrlichsten Feste?“
„Nicht gebieten werd’ ich dem Sänger,“ spricht
Der Herrscher mit lächelndem Munde,
„Er steht in des grösseren Herren Pflicht,
Er gehorcht der gebietenden Stunde,
Wie in den Lüften der Sturmwind saust,
Man weiss nicht, von wannen er kommt und braust,
Wie der Quell aus verborgenen Tiefen,
So des Sängers Lied aus dem Innern schallt
Und wecket der dunkeln Gefühle Gewalt,
Die im Herzen wunderbar schliefen.“
91
Und der Sänger rasch in die Saiten fällt
Und beginnt, sie mächtig- zu schlagen:
„Aufe Waidwerk hinaus ritt ein edler Held,
Den flüchtigen G emsbock zu jagen.
Ihm folgte der Knapp’ mit dem Jägergeschoss,
Und als er auf seinem stattlichen Ross
In eine Au’ kommt geritten,
Ein Glöcklcin hört er erklingen fern:
Ein Priester war’s mit dem Leib des Herrn;
Voran kam der Messner geschritten. “
„Und der Graf zur Erde sich neiget hin,
Das Haupt mit Demuth entblösset,
Zu verehren mit gläubigem Christensinn,
Was alle Menschen erlöset.
Ein Bächlein aber rauschte durch’s Feld,
Von des Giessbachs reissenden Flutlien geschwellt,
Das hemmte der Wanderer Tritte;
Und beiseit legt jener das Sacrament,
Von den Füssen zieht er die Schuhe behend,
Damit er das Bächlein durchschritte.“
„Was schaffst du? redet der Graf ihn an,
Der ihn verwundert betrachtet.
Herr, ich walle zu einem sterbenden Mann,
Der nach der Himmelskost schmachtet;
Und da ich mich nahe des Baches Steg,
Da hat ihn der strömende Giessbach hinweg
Im Strudel der Wellen gerissen.
Drum dass dem Lechzenden werde fein Heil,
So will ich das Wässerlein jetzt in Eil’
Durchwaten mit nackenden Füssen.“
„Da fetzt ihn der Graf auf fein ritterlich Pferd
Und reicht ihm die prächtigen Zäume,
Dass er labe den Kranken, der fein begehrt,
Und die heilige Pflicht nicht versäume.
Und er selber auf seines Knappen Thier
Vergnüget noch weiter des Jagens Begier;
Der Andre die Reife vollführet,
Und am nächsten Morgen, mit dankendem Blick,
Da bringt er dem Grafen sein Ross zurück,
Bescheiden am Zügel gefilhret.“
„Nicht wolle das Gott, rief mit Demuthsinn
Der Graf, dass zum Streiten und Jagen
Das Ross ich beschritte fürderhin,
Das meinen Schöpfer getragen!
92
Und magst du’s nicht haben zum eignen Gewinnst,
So bleib’ es gewidmet dem göttlichen Dienst;
Denn ich hab’ es dem ja gegeben,
Von dem ich Elire und irdisches Gut
Zu Lehen trage und Leib und Blut
Und Seele und Athem und Leben.“
„So mög’ auch Gott, der allmächtige Hort,
Der das Flehen der Schwachen erhöret,
Zu Ehren euch bringen hier und dort,
So wie ihr jetzt ihn geehret.
Ihr seid ein mächtiger Graf, bekannt
Durch ritterlich Walten im Schweizerland*,
Euch blühen sechs liebliche Töchter.
So mögen sie, rief er begeistert aus,
Sechs Kronen euch bringen in euer Haus,
Und glänzen die spätsten Geschlechter!“
Und mit sinnendem Haupt lass der Kaiser da,
Als dacht’ er vergangener Zeiten;
Jetzt, da er dem Sänger in’s Auge sah,
Da ergreift ihn der Worte Bedeuten.
Die Züge des Priesters erkennt er schnell,
Und verbirgt der Thränen stürzenden Quell
In des Mantels purpurnen Falten.
Und Alles blickte den Kaiser an
Und erkannte den Grafen, der das gethan,
Und verehrte das göttliche Walten. Schiller.
90. Das Hemd des Glücklichen.
Ein König lag gefährlich krank,
Und gab sich selbst verloren;
Ihm half kein Pulver und kein Trank
Der trefflichsten Doctoren.
Ihr grosser Kriegsrath vor dem Bett
War seinem Fieber ein Gespött.
Die Opern wurden eingestellt,
Es ruhten alle Geigen.
Man sah des Hofes feine Welt
Viel Schmerz mit Anstand zeigen,
Und sie verschrieb sich wie es hiess
Schon Trauerkleider aus Paris.
93
Dem alten Hoffharr’n schien sogar
Die Zunge weggeschnitten.
Er, der sonst schwatzte wie ein Staar,
Trat, wenn die Arzte stritten,
In ihre Mitte wie ein Tropf,
Und wiegte still den Satyrkopf.
Einst aber fiel der Stummheit Schloss
Ihm plötzlich von dem Munde:
,,Ihr Grossperücken,“ brach er los,
„Ihr taugt nur für Gesunde!
Trotz eurem Griechisch und Latein
Stellt, wo er will, der Tod sich ein.
Vor euren Augen hat er schon
Die Majestät beim Kragen
Und hört mit Lachen euer Drohn
Ihn aus der Burg zu jagen.
Drum packt euch selbst! Es lebt ein Manu,
Der ihm die Spitze bieten kann.
Er ist was ihr all lammt nicht seid,
Ein grosser Hexenmeister,
Und bannt, berufen weit und breit,
Die schlimmsten Höllengeister;
Auch prophezeit er auf ein Haar
Und heilet Krankheit wunderbar!“
„Ei! was versteht ein Narr davon?“
Sprach stolz ein Mediziner.
„Pah!“ rief der König: „Schweig Patron!
Er ist mein klügster Diener.
Verachte, Hansel, lein Geplärr
Und schaff’ mir deinen Zauberer!“
Des Meisters Siedelhütte stand
In einem nahen Haine,
Und schnell macht er an Häusels Hand
Sich auf die schwachen Beine.
Er war, wie Nestor, hochbejahrt,
Und ellenlang fein Silberbart.
Matt hustete die Majestät
Ihm ihren Grufs entgegen.
„Willkommen, würdiger Prophet,
Willkommen mir zum Segen!
Sprich redlich, muss ich schon hinab
Vom hohen Thron ins tiefe Grab?“
94
„Das kann ich,“ sprach der ernste Greis,
„Nicht auf der Stelle sagen;
Ich muss zuvor mit stillem Fleiss
Drob die Planeten fragen;
Erst mit dem nächsten Morgenroth
Verkünd’ ich Lehen oder Tod.“ —-
So trat er ab und überliess
Die Hoheit ihren Sorgen;
Doch kam er treu, wie er verhiess,
Zurück am andern Morgen
Und trug ein Buch in seiner Hand,
Dess Räthselschrift nur er verstand.
„Herr König,“ sprach er, „furchtbar steht
Der Tod Euch nach dem Leben;
Doch werden Eure Majestät
Sich stracks gesund erheben,
Wenn Euem Leib ein Hemd umschliesst,
Dess Eigner volles Glück geniesot.“
Die Schranzen lachten. — „Er ist toll!“
Lief ringsum das Geflüster;
Doch der Monarch sprach hoffnungsvoll
Zum Premierminister:
„Graf Sterz, das schlägt in Euer Fach,
Schafft solch ein Hemd in mein Gemach!
Was sinnet Ihr und werdet bleich?
Ihr rühmtet ja noch heute:
Durch Eure Sorgfalt fei mein Reich
Voll hochbeglückter Leute!
Stellt doch von dieser grossen Schaar
Nur einen Einzigen mir dar!“
Der Staatsmann schlich vom Krankenbett
Mit Wolken im Gesichte,
Verschloss sich in fein Cabinet
Und fluchte der Geschichte.
Zehn Federn wurden wild zerknickt
Und dann gerieth erst dies Edict:
„Kund und zu wissen: Furchtbar steht
Der Tod uns nach dem Leben;
Doch werden wir, sagt ein Prophet,
Uns stracks gesund erheben,
Wenn unsern Leib ein Hemd umschliesst,
Dess Eigner volles Glück geniefst.
95
Wem also Noth und Kummer fremd,
Der wird ersucht, in Gnaden:
Er leih uns fördersamst ein Hemd,
Wär’s auch von grobem Faden;
Schlägt’s an, so lohnen wir’8 mit Gold
Und bleiben dem Besitzer hold.“ —
Feucht von der Presse hing dies Blatt
Kaum an den Strassenecken,
Da sah man schon die halbe Stadt
Empor die Hälse recken;
Sie las den Brief, und goss ein Meer
Von bittern Glossen drüberher.
Die Armuth rief: „Dass Gott erbarm’!
Wir sind die rechten Leute!
An Lasten reich, an Hemden arm,
Sind wir des Elends Beute;
Der Steuerbote stürmt ins Haus
Und schüchtern flieht das Glück hinaus.“ —
Manch Andrer las des Königs Schrift
Mit eingebissner Lippe
Und dachte stumm voll Gail’ und Gift
An seine Frau Xantippe,
Die ihm, als wär’ es ihr Beruf,
Durch Zanksucht eine Hölle schuf.
Kurz Jeder trug ein Kreuz von Blei
Tiefseufzend auf dem Rücken
Und fand, dass es fein Werk nicht fei,
Ein Hemd nach Hof zu schicken,
Dort harrte man bei Tag und Nacht,
Und nicht ein Läppchen ward gebracht.
,,Verdammt!“ rief der Minister aus:
„Das wird man hämisch deuten!
Spannt an!“ — Er fuhr von Haus zu Haus
Nun selbst zu solchen Leuten,
Die der gemeine Wahn der Welt
Für überirdisch glücklich hält.
Er fuhr zu Reichen, die mit Lust
In ihrem Golde wühlten;
Zu Grossen, die mit hoher Brust
Schier Götterwürde fühlten,
Zu manchem jungen Ehepaar,
Das funkelneu verbunden war.
96
„Ihr Theuern,“ sprach er: „es entsteht
Bei Hofe viel Befremden,
Dass ihr nicht seiner Majestät
Zu Hülfe kommt mit Hemden.
Bei Gott, wenn ihr nicht glücklich seid,
So ist's kein Kind der Sterblichkeit.“
Viel Herrn und Damen wurden roth,
Ein andrer Theil erbleichte,
Sie trugen all’ ein Päckchen Noth,
Doch scheuten sie die Beichte,
Und öffneten dem Grafen Sterz
Den Wäschschrank lieber als ihr Herz.
Man gab ihm Hemden ohne Zahl,
Sie fasste nicht fein Wagen,
Und in der Hofburg kaum ein Saal
Wo sie wie Berge lagen.
Der König liess sie durch die Bank
Sich rastlos anzieh'n und — blieb krank.
„Das dacht' ich!“ rief der treue Hans,
„Trotz weiser Excellenzen —
Sag’ ich, der Narr: nur eine Gans
Sucht Glück in Residenzen;
Da ist doch Alles blauer Dunst,
Und Affenspiel und Katzenkunst!“
„Sehr wahr!“ fiel ihm lein Herr in’s Wort,
„Mein Hans spricht klug und bieder;
Drum Graf macht Euch auf’s Land sofort
Und kommt nicht eher wieder,
Bis Euch der rechte Fund gelingt,
Und ihr Gesundheitshemden bringt!“
Der Graf schnitt Hansen ein Gesicht
Und brummte: „Bärenhäuter“!
Warb einen Hofherm von Gewicht
Sich eilig zum Begleiter
Und fuhr in’s Kreuz und in die Quer
Vier Wochen lang mit ihm umher.
Ein blasender Trompeter ritt
Einher vor ihrem Wagen;
So ging’s durch Dörfer: Schritt für Schritt
Mit wiederholten Fragen:
„Ist nicht ein Glücklicher allda?“
Doch keine Stimme sagte Ja.
97
„Was hilft die Kreuzfahrt !u rief der Graf,
He! Kutscher, umgewendet!
Der Pickelhäring hat uns brav
In den April gesendet!
Das Volk denkt,.wenn es Glück gesteht.
Wird flugs der Steuerfuss erhöht.“
„So ist'8! bejahte der Gefährt’:
„Man hat bei Wurst und Schinken
Nun auch des Kochs genug entbehrt
Und fast will mich bedanken,
Dass der verwirrte Astrolog
Den guten König nur betrog.“
Drauf rollten dann die hohen Herrn
Der Königsstadt entgegen.
Sie suchten jetzt Fortunas Stern
Auf andren Seitenwegen,
Und fanden hier auch manches Stück
Des besten Schinkens, nur kein Glück.
Doch als sie einst beim Morgenstrahl
Die Fahrt begonnen hatten,
Erscholl aus einem Wiesenthal,
In eines Wäldchens Schatten,
Am Bord des Weges ein Gesang,
Der so in muntern Tönen klang:
„Juchhei! ich bin ein froher Wicht,
Als hätt’ ich Fürstengüter:
Ich lach' euch kühn in’s Angesicht,
Ihr stolzen Mammonshüter!
Juchhei, ich bin ein reicher Mann,
Der euren Bettel missen kann!“
„Ha! welche Stimme jubelt dort
Im Dunklen jener Buchen ?
Dort trillert auf mein Ehrenwort
Der Phönix, den wir suchen !“
So sprach der Graf zum Herrn Kumpan,
Und rief dem Kutscher zu: „Halt an!“
Aussteigend liessen sie waldein
Sich von dem Liede weisen,
Und sahen bald ein Bäuerlein
Aus seinem Milchnapf speisen.
Der Bursch, ein frisches junges Blut,
War lauter Leben, Kraft und Muth.
Roquette, Deutsches Lesebuch. I, 7
98
Mit welcher Seelenlust er ass!
Wie lachten Aug’ und Stirne
Und, was nicht übel war, ihm fass
Zur Rechten eine Dirne
Wie Reben schlank, doch drall und rund
Und wie ein Fisch im Bach gesund.
Er küsste sie, den Lauschern lief
Dabei der Mund voll Wasser.
„Das ist bei meiner Ehre! rief
Der Graf, ein rechter Prasser!
Er würzt mit Küssen seinen Schmaus,
Und lacht den reichsten Schwelger aus."
Sie traten näher. „Ha! mein Freund,
Schmeckt’s schon so früh am Morgen?
Du scheinst mir ein geschworner Feind
Von Grillen und von Sorgen!
Täuscht nicht die Sprache deines Blicks,
So sitzest du im Schoss des Glücks!w
„Da sitz’ ich,“ sprach die gute Haut.
Mich nähren Arm und Hände
Und sagt mir, wo ich eine Braut
So schön wie diese fände?
Schaut sie mir freundlich in’s Gesicht,
So tausch’ ich mit dem König nicht.“
„Der arme König!“ rief der Graf,
„Er liegt in Fieberketten;
Doch du kannst ihn vom Todesschlaf
Mit leichter Mühe retten:
Ein Hemd — sprach eines Zaubrers Mund,
Ein Hemd von dir macht ihn gesund!“
„Ein Hemd von mir?“ — versetzte Veit
Mit staunenvollen Mienen —
Es thut mir in der Seele leid,
Ich kann damit nicht dienen;
Ich habe vollauf Freud’ und Glück,
Allein von Hemden nicht ein Stück.“
„Gott!“ rief der Staatsmann und ward bleich,
Der Glücklichste im Lande
Besitzt kein Hemd! — Das stürzt das Reich
Und mich in Noth und Schande!“ —
Er fang betrübt dies Klagelied,
Als eben der Monarch verschied. Langbein.
99
SI. Der letzte Hohenstaufen.
Gefesselt lag im Kerker der junge Konradin.
Draus schleppten ihn die Schergen jetzt zu dem Richtplatz hin.
Hier hoch auf goldnem Throne, die Krön' auf stolzem Haupt,
Safs Karl, der welsche Sieger, der Krön’ und Thron geraubt.
Da ward die Brust des Prinzen durch den Gedanken weit:
An seines Hauses Würde, und alte Herrlichkeit.
Doch in des Gegners Blicken von Milde nicht ein Zug,
Sie (lammten Zornwuth nieder auf den, der Ketten trug.
Ein Wink des Kronenräubers, und in den Kreis hervor,
Tritt keck der Provençale und lieft das Urtheil vor:
„Erklärter Feind der Kirche, Verräther an dem Land,
Ist Konradin verfallen dem Schwert in Henkers Hand ! w
Er spricht es, und zerbrochen wirft er den Richterstab
Dem Prinzen vor die Füsse von seiner Bühn' herab.
Da herrscht ein dumpfes Schweigen und jede Wang' erbleicht;
Frei blickt der Prinz gen Himmel, lieht rings manch Auge feucht.
Doch wie der schwarzen Wolke der Sonnenstrahl entzückt,
Stürzt auf den Provençalen, der Hasen gleich sich duckt,
Robert von Flandern, rufend mit flammendem Gesicht:
Dir ziemt, o feiler Schranze! für wahr dergleichen nicht.
Und rasch zieht er den Degen, noch von der Siegsschlacht roth,
Und stösst ihn durch den Nacken, den ihm der Feige bot;
Froh blickt er an den Prinzen, gerächt durch diesen Mord,
Beugt sich vor Karl, und kehret voll Ruh’ an seinen Ort.
Indes» vor Angst und Staunen erstarrten alle blass,
Die Gattin selbst, Karls Tochter, die bei dem Vater fass ;
Doch der Tyrann erstickte den Zorn in seiner Brust,
Denn dass die That gerecht fei, war er sich wohl bewusst.
Ernst winkt er nun den Henkern, zu greifen Konradin,
Doch der verbeut’», und Keiner legt' frech die Hand an ihn.
Er selbst legt ab den Mantel, von Purpur Gold gestickt
Und ruft: 0 Mutter! werde vom Jammer nicht erdrückt!
Drauf einen Handschuh wirft er, der Unschuld heiliges Pfand,
In’s Volksgewühl; die Augen sich selbst er dann verband;
Kein Blick war ohne Thräne, kein Herz nicht mitleidkrank,
Als jetzt das Haupt des letzten der Hohenstaufen sank.
Wessenberg.
7
100
92. Des Sängers Fluch.
Es stand in alten Zeiten ein Schloss, so hoch und hehr,
Weit glänzt’ es über die Lande bis an das blaue Meer,
Und rings von duft’gen Gärten ein blüthenreicher Kranz,
Drin sprangen frische Brunnen im Regenbogenglanz.
Dort fass ein stolzer König, an Land und Siegen reich,
Er fass auf seinem Throne so finster und so bleich;
Denn was er sinnt, ist Schrecken, und was er blickt, ist Wuth,
Und was er spricht, ist Geissei, und was er schreibt, ist Blut.
Einst zog nach diesem Schlosse ein edles Sängerpaar,
Der Ein’ in goldnen Locken, der Andre grau von Haar;
Der Alte mit der Haffe, er fass auf schmuckem Ross,
Es schritt ihm frisch zur Seite der blühende Genoss.
Der Alte sprach zum Jungen: „Nun sei bereit, mein Sohn!
Denk’ unsrer tiefsten Lieder, stimm’ an den vollsten Ton,
Nimm alle Kraft zusammen, die Lust und auch den Schmerz!
Es gilt uns heut zu rühren des Königs steinern Herz.“
Schon stehn die beiden Sänger im hohen Säulensaal,
Und auf dem Throne sitzen der König und sein Gemahl;
Der König, furchtbar prächtig, wie blut’ger Nordlichtschein,
Die Königin, süss und milde, als blickte Vollmond drein.
Da schlug der Greis die Saiten, er schlug sie wundervoll,
Dass reicher, immer reicher der Klang zum Ohre schwoll.
Dann strömte himmlisch helle des Jünglings Stimme vor,
Des Alten Sang dazwischen, wie dumpfer Geisterchor.
Sie singen von Lenz und Liebe, von fei ger goldner Zeit,
Von Freiheit, Männerwürde, von Treu und Heiligkeit.
Sie singen von allem Süssen, was Menschenbrust durchbebt,
Sie singen von allem Hohen, was Menschenherz erhebt.
Die Höflingsschaar im Kreise verlernet jeden Spott,
Des Königs trotz’ge Krieger, sie beugen sich vor Gott.
Die Königin, zerflossen in Wehmuth und in Lust.
Sie wirft den Sängern nieder die Rose von ihrer Brust.
„Ihr habt mein Volk verführet, verlockt ihr nun mein Weib ?"
Der König schreit es wüthend, er bebt am ganzen Leib,
Er wirft fein Schwert, das blitzend des Jünglings Brust durchdringt,
Draus, statt der goldnen Lieder, ein Blutstrahl hoch aufspringt.
Und wie vom Sturm zerstoben ist all der Hörer Schwarm,
Der Jüngling hat verröchelt in seines Meisters Arm,
Der schlägt um ihn den Mantel und setzt ihn auf das Ross,
Er bind’t ihn aufrecht feste, verlässt mit ihm das Schloss.
101
Doch vor dein hohen Thore, da hält der Sängergreis,
Da fasst er feine Harfe, lie, aller Harfen Preis,
An einer Marmorsäule, da hat er sie zerschellt,
Dann ruft er, dass es schaurig durch Schloss und Garten gellt:
„Weh euch ihr stolzen Hallen! nie töne süsser Klang
Durch eure Räume wieder, nie Saite noch Gesang,
Nein! Seufzer nur und Stöhnen und scheuer Sklaven schritt,
Bis euch zu Schutt und Moder der Rachegeist zertritt!
Weh euch, ihr duft'gen Gärten im holden Maienlicht!
Euch zeig' ich dieses Todten entstelltes Angesicht,
Dass ihr darob verdorret, dass jeder Quell versiegt,
Dass ihr in künft’gen Tagen versteint, verödet liegt.
Weh dir, verruchter Mörder! du Fluch des Sängerthums!
Umsonst fei all dein Ringen nach Kränzen blut’gen Ruhms,
Dein Name fei vergessen, in ew'ge Nacht getaucht,
Sei, wie ein letztes Röcheln, in leere Luft verhaucht !u
Der Alte hat’s gerufen, der Himmel hat’s gehört,
Die Mauern liegen nieder, die Hallen sind zerstört,
Noch Eine hohe Säule zeugt von verseilwundner Pracht,
Auch diese, schon geborsten, kann stürzen über Nacht.
Und rings, statt duft’ger Gärten, ein ödes Haideland.
Kein Baum versendet Schatten, kein Quell durchdringt den Sand,
Des Königs Namen meldet kein Lied, kein Heldenbuch:
Versunken und vergessen! das ist des Sängers Fluch.
Uhland.
S3. Der Schenk von Limburg.
Zu Limburg auf der Veste,
Da wohnt’ ein edler Graf,
Den keiner seiner Gäste
.Jemals zu Haufe traf.
Er trieb sich allerwegen
Gebirg und Wald entlang,
Kein Sturm und auch kein Regen
Verleidet’ ihm den Gang.
Er trug ein Wams von Leder
Und einen Jägerhut
Mit mancher wilden Feder:
Das steht den Jägern gut;
Es hing ihm an der Seiten
Ein Trinkgefäss von Buchs;
Gewaltig konnt’ er schreiten
Und war von hohem Wuchs.
W ohl hatt’ erKnecht’undMannen
Und hatt’ ein tüchtig Ross,
Ging doch zu Fuss von dannen
Und liess daheim den Tross.
Es war fein ganz Geleite
Ein Jagdspiess stark und lang,
Damit er über breite
Waldströme kühn sich schwang.
Nun hielt auf Hohenstaufen
Der deutsche Kaiser Haus.
Der zog mit hellen Haufen
Einstmals zu jagen aus.
Er rannt’ auf eine Hinde
So heiss und hastig vor,
Dass ihn fein Jagdgesinde
im wilden Forst verlor.
Bei einer kühlen Quelle
Da macht’ er endlich Halt;
Gezieret war die Stelle
Mit Blumen mannigfalt.
Hier dacht’ er sich zu legen
Zu einem Mittagschlaf,
Da rauscht’ es in den Hägen
Und stand vor ihm der Graf.
Da hub er an zu schelten:
„Treff’ ich den Nachbar hie?
Zu Hause weilt er selten,
Zu Hofe kommt er nie:
Man muss im Walde streifen,
Wenn man ihn sahen will,
Man muss ihn tapfer greifen,
Sonst hält er nirgend still.“
Als nun ohn’ alle Fährde
Der Graf sich niederliess
Und neben in die Erde
Die Jägerstange stiess,
Da griff mit beiden Händen
Der Kaiser nach dem Schaft:
„Den Spiels muss ich mir pfänden,
Ich nehm’ ihn mir zur Haft.
Der Spiels ist mir verfangen,
Dess ich so lang begehrt!
Du sollst dafür empfangen
Hier dies mein bestes Pferd.
Nicht schweifen im Gewälde
Darf mir ein solcher Mann,
Der mir zu Hof und Felde
Viel besser dienen kann.“
„HerrKaiser wollt vergeben!
Ihr macht das Herz mir schwer,
Lasst mir mein freies Leben.
Und lasst mir meinen Speer!
Ein Pferd hab’ ich schon eigen,
Für Eures sag’ ich Dank.
Zu Rosse will ich steigen,
Bin ich ’mal alt und krank.“
„Mit dir ist nicht zu streiten,
Du bist mir allzustolz.
Doch führst du an der Seiten
Ein Trinkgefäss von Holz;
Nun macht die Jagd mich dürsten,
Drum thu’ mir das, Gesell,
Und gieb mir Eins zu bürsten
Aus diesem Wasserquell!“
Der Graf hat sich erhoben,
Er schenkt den Becher klar,
Er stillt ihn an bis oben,
Hält ihn dem Kaiser dar.
Der schlürft mit vollen Zügen
Den kühlen Trank hinein
Und zeigt ein solch Vergnügen,
Als wär’s der beste Wein.
Dann fasst der schlaue Zecher
Den Grafen bei der Hand:
„Du schwenktest mir den Becher
Und fülltest ihn zum Rand,
Du hieltest mir zum Munde
Das labende Getränk!
Du bist von dieser Stunde
Des deutschen Reiches Schenk!“
Uhland.
94. Harald.
Vor seinem Heergefolge ritt
Der kühne Held Harald.
Sie zogen in des Mondes Schein
Durch einen wilden Wald.
Sie tragen manch’ erkämpfte Fahn’,
Die hoch im Winde wallt.
Sie singen manches Siegeslied,
Das durch die Berge hallt.
103
Was rauschet, lauschet im Gebüsch V
Was wiegt sich auf dem Baum?
Was senket aus den Wolken sich
Und taucht aus Stromes Schaum?
Was wirft mit Blumen um und um?
Was singt so wonniglich?
Was tanzet durch der Krieger Reih n?
Schwingt auf die Rosse sich?
Was kos’t so sanft und küsst so süss?
Und hält so lind umfasst?
Lnd nimmt das Schwert, und zieht vom Ross,
Und lässt nicht Ruh noch Rast?
Es ist der Elfen leichte Schaar:
Hier hilft kein Widerstand.
Schon sind die Krieger all dahin,
Sind all im Feenland.
Nur er, der Beste, blieb zurück,
Der kühne Held Harald.
Er ist vom Wirbel bis zur Sohl'
In harten Stahl geschnallt.
All seine Krieger sind entrückt.
Da liegen Schwert und Schild,
Die Rosse, ledig ihrer Herrn,
Sie gehn im Walde wild.
In grosser Trauer ritt von dann
Der stolze Held Harald,
Er ritt allein im Mondenschein
Wohl durch den weiten Wald.
Vom Felsen rauscht es frisch und klar,
Er springt vorn Rosse schnell,
Er schnallt vom Haupte sich den Helm
Und trinkt vom kühlen Quell.
Doch wie er kaum den Durst gestillt,
Versagt ihm Arm und Bein;
Er muss sich setzen auf den Fels,
Er nickt und schlummert ein.
Er schlummert auf demselben Stein
Schon manche hundert Jahr’,
Das Haupt ge lenket auf die Brust,
Mit grauem Bart und Haar.
Wann Blitze zucken, Donner rollt,
Wann Sturm erbraust im Wald,
Dann greift er träumend nach dem Schwert,
Der alte Held Harald. I Illand.
104
95. Das Schloss am Meere.
Hast du das Schloss gesehen,
Das hohe Schloss am Meer?
Golden und rosig wehen
Die Wolken drüber her.
Es möchte sich niederneigen
In die spiegelklare Fluth;
Es möchte streben und steigen
In der Abendwolken Gluth.
„Wohl hab' ich es gesehen,
Das hohe Schloss am Meer,
Und den Mond darüber stehen,
Und Nebel weit umher.“
Der Wind und desMeeres W allen,
Gaben sie frischen Klang?
Vernahmst du aus hohen Hallen
Saiten und Festgesang?
„Die Winde, die Wogen alle
Lagen in tiefer Ruh’,
Einem Klagelied aus der Halle
Hört' ich mit Thränen zu.“
Sahest du oben gehen
Den König und fein Gemahl?
Der rothen Mäntel Wehen,
Der goldnen Kronen Strahl?
Führten sie nicht mit Wonne
Eine schöne Jungfrau dar,
Herrlich wie eine Sonne,
Strahlend im goldnen Haar?
„Wohl sah ich die Eltern beide,
Ohne der Kronen Licht,
Im schwarzen Trauerkleide-,
Die Jungfrau sah ich nicht.“
Uliland.
90. Die Ulme zu Hirsau.
Zu Hirsau, in den Trümmern,
Da wiegt ein Ulmenbaum,
Frischgrünend, seine Krone
Hoch über’m Giebelsaum.
Er wurzelt tief im Grunde
Vom alten Klosterbau,
Er wölbt sich statt des Daches
Hinaus in Himmelsblau.
Weil des Gemäuers Enge
Ihm Luft und Sonne nahm,
So trieb’s ihn hoch und höher,
Bis er zum Lichte kam.
Es ragen die vier Wände,
Als ob sie nur bestimmt,
Den kühnen Wuchs zu schirmen,
Der zu den Wolken klimmt.
Wenn dort im grünen Thale
Ich einsam mich erging,
Die Ulme war’s, die hehre,
Woran mein Sinnen hing.
Wenn in dem dumpfen, stummen
Getrümmer ich gelauscht,
Da hat ihr reger Wipfel
Im Windesflug gerauscht.
Ich sah ihn oft erglühen
Im ersten Morgen strahl;
Ich sah ihn noch erleuchtet,
Wann schattig rings das Thal.
Zu Wittenberg, im Kloster,
Wuchs auch ein solcher Strauss
Und brach mit Riesenästen
Zum Klausendach hinaus.
0 Strahl des Lichts! du dringest
Hinab in jede Gruft.
0 Geist der Welt! du ringest
Hinauf in Licht und Luft.
Ubland
105
97, Des Goldschmieds Töchterlein.
Ein Goldschmied in der Bude stand
Bei Perl’ und Edelstein:
„Das beste Kleinod, das ich fand,
Das bist doch du, Helene,
Mein theures Töchterlein!“
Ein schmucker Bitter trat herein:
„Willkommen, Mägdlein traut!
Willkommen, lieber Goldschmied mein!
Mach’ mir ein köstlich Kränzchen
Für meine Bisse Braut!“
Und als das Kränzlein war bereit
Und spielt’ in reichem Glanz,
Da hängt’ Helen' in Traurigkeit,
Wohl als sie war alleine,
An ihren Arm den Kranz.
„Ach! wunderselig ist die Braut,
Die’s Krönlein tragen soll.
Ach! schenkte mir der Bitter traut
Ein Kränzlein nur von Bossen,
Wie wär’ ich freudenvoll!“
Nicht lang, der Bitter trat herein,
Das Kränzlein wohl beschaut’:
„0 fasse, lieber Goldschmied mein,
Ein Binglein mit Demanten
Für meine süsse Braut!“
Und als das Binglein war bereit
Mit theurem Demantstein,
Da steckt Helen’ in Traurigkeit,
Wohl als sie war alleine,
Es halb an’s Fingerlein.
„Ach! wunderselig ist die Braut,
Die s Binglein tragen soll.
Ach! schenkte mir der Bitter traut
Nur seines Haars ein Löcklein,
Wie wär’ ich freudenvoll!“
Nicht lang, der Bitter trat herein,
Das Binglein wohl beschaut’:
„Du hast, o lieber Goldschmied mein,
Gar fein gemacht die Gaben
Für meine süsse Braut!
106
Doch dass ich wisse, wie ilir’s steh’,
Tritt, schöne Maid, herzu:
Dass ich an dir zur Probe seh’
Den Brautschmuck meiner Liebsten,
Sie ist so schön, wie du.“
Es war an einem Sonntag früh,
Drum hatt' die schöne Maid
Heut angethan mit sondrer Müh'.
Zur Kirche hinzugehen,
Ihr allerbestes Kleid.
Von holder Scham erglühend ganz
Sie vor dem Ritter stand,
Er setzt’ ihr auf den goldnen Kranz,
Er steckt’ ihr an das Ringelein,
Dann fasst’ er ihre Hand.
„Helene süss, Helene traut!
Der Scherz ein Ende nimmt;
Du bist die aller schönste Braut,
Für die ich’s goldne Kränzlein,
Für die den Ring bestimmt.
Bei Gold und Perl’ und Edelstein
Bist du erwachsen hier,
Das sollte dir ein Zeichen sein,
Dass du zu hohen Ehren
Eingehen wirst mit mir.“
Uhland.
98. Die Löwenbraut.
Mit der Myrtlie geschmückt und dem Brautgeschmeid,
Des Wärters Tochter, die rosige Maid,
Tritt ein in den Zwinger des Löwen; er liegt
Der Herrin zu Füssen, vor der er sich schmiegt.
Der Gewaltige, wild und unbändig zuvor,
Schaut fromm und verständig zur Herrin empor;
Die Jungfrau, zart und wonnereich,
Liebstreichelt ihn sanft und weinet zugleich:
„Wir waren in Tagen, die nicht mehr sind,
Gar treue Gespielen wie Kind und Kind,
Und hatten uns lieb, und hatten uns gern;
Die Tage der Kindheit, sie liegen uns fern.
107
Du schütteltest machtvoll, elf wir’s geglaubt;
Dein mähnen-umwogtes, königlich Haupt;
Ich wuchs heran, du siehst es, ich bin
Das Kind nicht mehr mit kindischem Sinn.
0 wär' ich das Kind noch und bliebe bei dir,
Mein starkes, getreues, mein redliches Thier:
Ich aber muss folgen, sie thaten’s mir an,
Hinaus in die Fremde dem fremden Mann.
Es fiel ihm ein, dass schön ich sei,
Ich wurde gefreiet, es ist nun vorbei; —
Der Kranz im Haare, mein guter Gefell.
Und nicht vor Thränen die Blicke mehr hell.
Verstehst du mich ganz? schau’st grimmig dazu;
Ich bin ja gefasst, fei ruhig auch du;
Dort seh’ ich ihn kommen, dem folgen ich muss.
So geb’ ich denn, Freund, dir den letzten Kuss !“
Und wie ihn die Lippe des Mädchens berührt,
Da hat man den Zwinger erzittern gespürt;
Und wie er am Gitter den Jüngling erschaut,
Erfasst Entsetzen die bangende Braut.
Er stellt an die Thür sich des Zwingers zur Wacht,
Er schwinget den Schweif, er brüllet mit Macht;
Sie flehend, gebietend und drohend begehrt
Hinaus; er im Zorn den Ausgang wehrt.
Und draussen erhebt sich verworren Geschrei,
Der Jüngling ruft; „bringt Waffen herbei;
Ich schiess’ ihn nieder, ich trefF ihn gut!“
Auf brüllt der Gereizte, schäumend vor Wuth.
Die Unselige wagt’s, sich der Thüre zu nah n.
Da fällt er verwandelt die Herrin an,
Die schöne Gestalt, ein grässlicher Baub,
Liegt blutig, zerrissen, entstellt in dem Staub.
Und wie er vergossen das theure Blut.
Er legt sich zur Leiche mit finsterem Muth,
Er liegt so versunken in Trauer und Schmerz,
Bis tödtlich die Kugel ihn trifft in das Herz.
sihamisso.
— löfc —
99. Die Sonne bringt es an den Tag.
Gemächlich in der Werkstatt fass
Zum Frühstück Meister Xikolas,
Die junge Hausfrau schenkt ihm ein,
Es war im heitern Sonnenschein. —
Die Sonne bringt es an den Tag.
Die Sonne blinkt von der Schale Rand,
Malt zitternde Kringeln an die Wand,
Und wie den Schein er in’s Auge fasst,
So spricht er für sich, indem er erblasst:
Du bringst es doch nicht an den Tag.
Wer nicht? was nicht? die Frau fragt gleich,
Was stierst du so an? was wirst du so bleich?
Und er darauf: sei still, nur still;
Ich's doch nicht sagen kann, noch will.
Die Sonne bringt's nicht an den Tag'.
Die Frau nur dringender forscht und fragt,
Mit Schmeicheln ihn und Hadern plagt,
Mit süssem und mit bitterm Wort,
Sie fragt und plagt ihn fort und fort:
Was bringt die Sonne nicht an den Tag?
Nein, nimmermehr! — Du sagst es mir noch. —
Ich sag' es nicht. — Du sagst es mir doch. —
Da ward zuletzt er müd’ und schwach
Und gab der Ungestümen nach. —
Die Sonne bringt es an den Tag.
Auf der Wanderschaft, 's sind zwanzig Jahr’,
Da traf es mich einst gar sonderbar,
Ich hatt’ nicht Geld, nicht Ranzen, noch Schuh’,
War hungrig und durstig und zornig dazu. —
Die Sonne bringt's nicht an den Tag.
Da kam mir just ein .lud' in die Quer’,
Ringsher war'8 still und menschenleer:
Du hilfst mir, Hund, aus meiner Noth;
Den Beutel her, sonst schlag’ ich dich todt!
Die Sonne bringt's nicht an den Jag.
Und er: vergiesse nicht mein Blut,
Acht Pfennige sind mein ganzes Gut!
Ich glaubt’ ihm nicht, und fiel ihn an;
Er war ein alter, schwacher Mann —
Die Sonne bringt’s nicht an den Tag.
109
So rücklings lag er blutend da:
Sein brechendes Aug’ in die Sonne sah;
Noch hob er zuckend die Hand empor.
Noch schrie er röchelnd mir ins Ohr:
Die Sonne bringt es an den Tag.
Ich macht’ ihn schnell noch vollends stumm,
Und kehrt’ ihm die Taschen um und um:
Acht Pfenn’ge, das war das ganze Geld.
Ich scharrt’ ihn ein auf selbigem Feld —
Die Sonne bringt’s nicht an den Tag.
Dann zog ich weit und weiter hinaus,
Kam hier ins Land, bin jetzt zu Haus. —-
Du weisst nun meine Heimlichkeit,
So halte den Mund und fei gescheidt;
Die Sonne bringt’s nicht an den Tag.
Wann aber sie so flimmernd scheint,
Ich merk’ es wohl, was sie da meint,
Wie sie sich müht und sich erholst, —
Du, schau’ nicht hin, und sei getrost:
Sie bringt es doch nicht an den Tag.
So hatte die Sonn’ eine Zunge nun,
Der Frauen Zungen ja nimmer ruhn. —
Gevatterin, um Jesus Christ!
Lasst euch nicht merken, was ihr nun wisst. —
Nun bringt’s die Sonne an den Tag.
Die Raben ziehen krächzend zumal
Nach dem Hochgericht, zu halten ihr Mahl.
Wen flechten sie aufs Rad zur Stund’?
Was hat er gethan? wie ward es kund?
Die Sonne bracht es an den Tag. Chamisso.
100. Hans im Glücke.
Willst zurück zu deiner Mutter?
Hans, du bist ein braver Sohn;
Hast gedient mir treu und redlich;
Wie die Dienste, so der Lohn;
Gebe dir zu deinem Sold
Diesen Klumpen da von Gold;
Rist du mit dem Lohn zufrieden,
Hans im Glücke?
110
Ja, zufrieden! und die Mutter,
Ja, die gute Mutter soll
Mich beloben und sich freuen,
Alle Hände bring' ich voll;
Alles, alles trifft mir ein,
Muss ein Sonntagskind wohl fein
Und auf Gltickeshaut geboren,
Hans im Glücke!
Und er ziehet feine Strasse
Rüstig, frisch und frohgesinnt;
Doch es sticht ihn bald die Sonne,
Die zu steigen schon beginnt,
Und der Klumpen Gold ist schwer,
Drückt die Schulter gar zu sehr;
Du erliegest unterm Golde,
Hans im Glücke!
Kommt ein Reiter ihm entgegen; —
Schimmel! ei, du mimt’res Thier!
Aber schleppen muss ich, schleppen
Den verwünschten Klumpen hier;
So ein Reiter hat es gut,
Weiss nicht, wie das Schleppen thut;
Hätt’ ich diesen Schimmel, wär’ ich
Hans im Glücke. —
Lümmel, sage mir, was ist es,
Was du da zu schleppen hast? —
Nichts als Gold, mein werther Ritter, —
Gold?! — und mich erdrückt die Last —
Nimm dafür den Schimmel. — Top!
Und so reit’ ich, hop, hop, hop!
Trabe, Schimmel! trabe, Schimmel!
Hans im Glücke.
Hop, hop, hop! der dumme Teufel
Schwitzt nun unter meinem Schatz;
Hop, hop! Hop, hop! sachte, Schimmel!
Pfui dich! — Plautz! ein Seitensatz,
Und er lieget da zum Spott,
Danket aber seinem Gott,
Dass er nicht den Hals gebrochen,
Hans im Glücke.
Kommt ein Bauer, treibt gemächlich
Vor sich hin ein magres Rind!
Halt’ den Schimmel! halt’ den Schimmel!
Schreit ihn an das Glückeskind;
111
Ja, es lief sehr glücklich ab,
Aber hart ist doch der Trab,
Und ich will nicht wieder reiten,
Hans im Glücke!
Eine Kuh giebt Milch und Butter,
Der Besitzer hat’s nicht schlecht. —
Wollt ihr mit den Thieren tauschen?
Mir ist schon der Schimmel recht. —
Mit den Thieren tauschen?! Top!
Trabe, Bauer, hop, hop, hop*!
Selig, überselig preist sich
Hans im Glücke.
Erst den Dienst, und dann die Bürde,
Wieder nun den Schimmel los!
Immer besser! immer besser!
Nein, mein Glück ist allzugross!
Und im heissen Sonnenschein
Findet bald der Durst sich ein:
Hast ja deine Kuh zu melken,
Hans im Glücke. —
Melken also, er versucht es,
Nicht gedeiht es ganz und gar,
Weil er Melken nicht gelernt hat,
Und die Kuh ein Ochse war;
Und er stösst und wehret sich:
Brr! Brr! ruhig! denkst du mich,
Wilde Bestie, todt zu schlagen?
Hans im Glücke. —
Und des Weges zog ein Metzger,
Der ein Schwein zur Metzig trieb:
Esel, bleibe von dem Ochsen,
Hast du deine Knochen lieb!
Von dem Ochsen?! Tritt zurück! —
Ist's ein Ochse? welch ein Glück!
Ich erfahr’ es noch bei Zeiten,
Hans im Glücke. —
Aber ach! die Milch? die Butter?
Nun! der wird zu schlachten (ein.
Aber Schweinefleisch ist besser,
Und ich lobe mir das Schwein;
Schweinebraten, Rippenspeer,
Speck und Schinken, ja, noch mehr,
Frische Wurst und Metzelsuppe!
Hans im Glücke!
112
Dieses alles kannst du haben,
Gieb dafür den Ochsen hin;
Willst du tauschen? — Herzlich gerne!
Ja! der Handel ist Gewinn.
Auf! mein Schi weinehen, trabe du
Lustig unserm Dorfe zu;
Ja! die Mutter wird mich loben.
Hans im Glücke!
Und es hat ein loser Bube
Bei dem Handel ihn belauscht,
Hätte gern auf gute Weise
Sich von ihm das Schwein erlauscht,
Kommt daher mit einer Gans,
Schaut das Schwein an, dann den Hans:
Hast du selbst das Schwein gestohlen.
Hans im Glücke? —
Schwein gestohlen ?! Wie denn anders!
Ja! das ist gestohl'nes Gut.
Sei du mir im nächsten Dorfe
Vor dem Schulzen auf der Hut:
Auf der Inquiiitenbank,
Dort im Amthaus ... — Gott fei Dank
Das erfahr’ ich noch bei Zeiten,
Hans im Glücke. —
Nun! dir wäre schon zu helfen.
Mach’ ich doch mir nichts daraus;
Gieb das Schwein und nimm den Vogel,
Ich gehöre hier zu Haus.
Weiss die Schliche durch den Wald,
Man ertappt mich nicht so bald. —
Ei! schon wieder ausser Sorgen,
Hans im Glücke!
Freuen wird steh doch die Mutter,
Eine Gans ist gar kein Hund,
Und nach gutem Gänsebraten
Wässert lange mir der Mund;
Und das edle Gänsefett!
Und die Daunen für das Bett!
Ei! wie wirst darauf du schlafen,
Hans im Glücke!
Nicht das Beste zu vergessen,
Auch der Federkiele viel!
Nichts ist mächtiger auf Erden,
Als ein solcher Gänsekiel,
1
— 113 —
Wenn der Kantor Wahres spricht;
Aber schreiben kannst du nicht:
Hättest schreiben du gelernt,
Hans im Glücke! —
Und ein lust’ger Scheerenschleifer
Kam daher die Strass’ entlang.
Machte Halt mit seinem Karren,
Rieb die Hände sich und sang:
Geld im Sack und nimmer Noth,
Meine Kunst ist sichres Brod. —
Könnt’ ich diese Kunst, so wär’ ich
Hans im Glücke. —
Kerl, wo hast du diese Gans her?
Hab’ getauscht sie für mein Schwein. —
Und dein Schwein? — für meinen Ochsen. —
Diesen? für den Schimmel mein. —-
Und den Schimmel? — für mein Gold. —
Gold?! — ja; meiner Dienste Sold. —
Blitz! du hast dich stets gebessert,
Hans im Glücke!
Aber Eins musst du bedenken!
Eine Gans ist bald verzehrt,
Musst auf eine Kunst dich legen,
Die ein sich’res Brod gewährt. —
Meister, ja, das mein’ ich auch:
Lehrt mich Scheerenschleifer-Brauch,
Bin ich Scheerenscldeifer, bin ich
Hans im Glücke.
Willst dafür die Gans mir geben? —
Ja! es lohnet wohl der Kauf. —
Zwei der Steine, die da lagen,
Hebt der Schalk vom Boden auf.
Wohlgerundet, glatt und rein,
Nicht zu gross und nicht zu klein:
Wirst ein tücht’ger Scheerenschleifer,
Hans im Glücke!
Her die Gans, und nimm die Steine,
Trage sie im Arme, so!
Auf dem klopfst du, auf dem schleifst du,
Und das ist das A und 0.
Geld im Sack und nimmer Noth,
Deine Kunst ist sichres Brod;
Alles Andre wird sich finden,
Hans im Glücke!
Roquette, Deutsches Lesebuch. I.
I
8
114
Und er nimmt mit Gans und Karren
Schnell den nächsten Seitensteg*,
Hans mit seinen Steinen ziehet
Jubilirend seinen Weg:
Alles, alles trifft mir ein,
Muss ein Sonntagskind wohl fein,
Und auf Glückeshaut geboren,
Hans im Glücke!
Aber späte war's geworden,
Fern das Dorf und Essenszeit,
Nichts gegessen, nichts getrunken,
Hunger, Durst und Müdigkeit;
Und die Steine waren schwer,
Drückten, wie das Gold, auch sehr:
Holte die der Teufel, wär’ ich
Hans im Glücke! —
Dort am Brunnen will er trinken,
Setzt, wie ein bedacht’ger Mann,
Auf den Rand die Steine nieder,
Schaut sich um, und ftöfst daran;
Plump! sie liegen in dem Grund,
Und er lacht den Bauch sich rund:
Auch der Wunsch ist eingetroffen,
Hans im Glücke!
Zu der Mutter! ruft er freudig,
Zu der Mutter, leicht zu Fuss!
Sollst mich loben! sollst dich freuen!
Bringe Glückesüberfluss;
Alles, alles trifft mir ein,
Muss ein Sonntagskind wohl fein,
Und auf Glückeshaut geboren,
Hans im Glücke!
Tg os : i /
101. Tragische Geschichte.
’s war Einer, dem’s zu Herzen ging,
Dass ihm der Zopf so hinten hing,
Er wollt’ es anders haben.
So denkt er denn: wie fang’ ich’s an?
Ich dreh’ mich um, so ist’s gethan —
Der Zopf, der hängt ihm hinten.
Chamisso.
115
Da hat er flink lieh umgedreht,
Und wie es stund, es annoch steht —
Der Zopf, der hängt ihm hinten.
Da dreht er schnell sich anders ’rum,
’s wird aber noch nicht besser drum —
Der Zopf, der hängt ihm hinten.
Er dreht sich links, er dreht sich rechts,
Es thut nichts Gut’s, es thut nichts Schlecht’s —
Der Zopf, der hängt ihm hinten.
Er dreht sich wie ein Kreisel fort,
Es hilft zu nichts, in einem Wort —
Der Zopf, der hängt ihm hinten.
Und seht, er dreht sich immer noch
Und denkt, es hilft am Ende doch —
Der Zopf, der hängt ihm hinten. Chamisso.
102. Frauensand.
Stavoren eine grosse Stadt in Holland war vor Zeiten,
Eh’ sie die See verschlungen hat, sammt allen Herrlichkeiten;
Reichthum der Leute Herz verdarb, dass alle Gottesfurcht erstarb,
Und sie ihr Mass erfüllet.
Vor allen eine Jungfrau liess vom Argwohn sich bestricken,
Den Armen von der Thüre stiess mit schnöden Wort’ und Blicken;
Sie trotzet auf ihr Gut und Geld, als wär’ kein Gott mehr in der Welt,
Zu strafen und zu lohnen.
Einst ihrem Schiffsherrn rufet sie, hoffärtiger Geberde:
Auf Meister, frisch und schaff mir hie das Köstlichste der Erde:
Eine Ladung voll des Allerbest’ in Süd und Nord, in Ost und West,
Es koste was es wolle!
Der Schiffsherr flugs flog übers Meer, kehrt bald mit guten Winden;
Vom schönsten Weizen bringet er, so irgend nur zu finden.
Und, Meister, bist schon wieder da? Ich dachte dich in Afrika,
Weihrauch und Gold zu holen.
Lass sehen, was Du geladen hast! — „Was? spricht er, ist als Weizen,
Was ist wohl edler? eine Last bring’ ich vom besten Weizen.“
Was Weizen solch gemeines Ding!—- „Ach, Fräulein, achtet nicht gering
Die edle Gottesgabe.“
„Schafft unser täglich Brod, wie wir im Vater unser bitten.“
Schweig’ Narr, und ich befehl’ es dir flugs in die See zu schütten!
Dem Meister sträubet sich das Haar, er ruft zusammen eine Schaar
Von arm’ und dürft’gen Leuten.
8
116
Und als die Frau am Strand erschien, ihr Machtwort zu vollenden,
Da liegt die Armuth auf den Knie’n: Frau, wollt das Korn uns spenden.
„Ins Meer den Koth,“ schreit sie mit Grimm, der Schiffer aber
hub die Stimm:
„Habt Acht, dass Euch’s nicht reue!
Solch böses Thun straft Gottes Zorn; Euch wird sich'8 noch
erfüllen,
Dass Ihr's gern aufläft Korn für Korn, den Hunger Euch zu stillen.“
Du Narr! so wahr als das geschieht, so wahr mein Auge wiedersieht
Hier diesen goldnen Reifen.
Sie wirft den Ring in’s Meer und drauf muss man das Korn verschütten.
Nicht lang kommt ihr ein Fisch zu Kauf, und wie er aufgeschnitten,
Find’t sich ein Ring — sie kennt ihn gleich, und wird für
Schrecken todtenbleich.
0 wehe! Gottes Finger.
Ein Bote kommt zur selben Stund: „Frau, Eure ganze Flotte
Verschlang ein Theil des Meeres Schlund, theils fing sie Mohren-Rotte.
Manch Unstern noch bringt sie herab, in Jahr und Tag zum Bettelstab,
Hat müssen Hungers sterben.
Der Weizen aber, wo am Strand man ihn in’s Wasser streute,
Es heisst die Stätte Frauensand von jener Frau noch heute.
Das Korn spross nächstes Jahr zur Höh’, in dicken Halmen aus
der See,
Doch trug es taube Aehren.
Keins aber nimmt des Zeichens wahr und lässt sich noch bedeuten;
Die Bosheit wuchs von Jahr zu Jahr bei reich' und armen Leuten;
Da trug sich zu das Wunderding, dass man im Stadtbrunh Häring fing
Und andern Seefisch schöpfte.
Bald drauf in einer Wettemacht, die See schwoll brausend über,
Verschlingt die Stadt nach ihrer Pracht dreiviertel und darüber.
Noch immer sinken Hütten nach und Armuth herrscht und Ungemach;
Der Segen wich von hinnen.
Auch wächst noch heute, wo die Stadt versunken und verschwunden,
Ein Gras so keine Blüthe hat und nirgend sonst gefunden.
Wenn hell die Sonn' aufs Wasser scheint, der Schiffer noch zu
sehen meint
Im Grund der Thürme Spitzen.
Wetzel.
117
103. Ballade.
Und die Sonne machte den weiten Ritt
Um die Welt,
Und die Sternlein sprachen: wir reisen mit
Um die Welt;
Und die Sonne, sie schalt sie: ihr bleibt zu Haus,
Denn ich brenn’ euch die goldnen Aeuglein aus
Bei dem feurigen Ritt um die Welt.
Und die Sternlein gingen zum lieben Mond
In der Nacht,
Und sie sprachen: du, der auf Wolken thront
In der Nacht,
Lass uns wandeln mit dir, denn dein milder Schein,
Er verbrennet uns nimmer die Aeugelein.
Und er nahm sie, Gesellen der Nacht.
Nun willkommen, Sternlein und lieber Mond,
In der Nacht!
Ihr verstehet, was still in dem Herzen wohnt
ln der Nacht.
Kommt und zündet die himmlischen Lichter an,
Dass ich lustig mit schwärmen und spielen kann
In den freundlichen Spielen der Nacht.
Arndt.
104.
Die Mutter.
„Wie, willst du nun weg
In die weite Welt
Von Island, unsrer lieben Insel, fort?
Ach Kind, mir klopft
In klagender Brust
Das Mutterherz, das arme Mutterherz !w
Lass du mich nur los,
Lieb’ Mütter lein,
Da draussen in’s deutsche Land hinaus;
Sind Sänger dort
Hochseltner Art, *
Auf rheinischen Bergen rauscht ihr Heldengeläng!
„Was soll dir der Sang,
Wenn du siehst nicht mehr
Der Heimath Wald und Anger und Herdesrauch?
118
Und ich arme allein
Auf dem Abendberg
Soll weinend sehn, wie die Sonne zur Ruhe geht?“
Wirst weinen nicht lang,
Wirst lächeln gar lieb,
Wenn kunstreich, kühn und frisch der Sohn dir kehrt.
Der Himmel ist hell,
Der Frühling haucht,
0 weine dir nicht die holden Augen weh! —
Und er schritt in’s Schiff,
Und es schwankte fort,
Und die Mutter ging hinein und schloss ihr Gemach.
Und sie weinte sehr,
Bis die sanfte Nacht
Des Schlafes Hülle über das Haupt ihr zog.
Kam da die Königin
Gekrönter Götter,
Kam da die Frigga zu der edlen Frau:
Musst weinen nicht, Mutter,
Du Menschenmutter,
Ich schütze sorgend dir den holden Sohn!
„Du hohe Herrin,
Ich habe das Weinen
Mir nicht erkoren; doch muss ich weinen, ich muss!
Nimm Opfer und Dank du
Für deinen Schutz an,
Mir lass das Weinen, es lässt ja doch nicht nach!“
Wehvolles Weinen
War mir geziemend,
Als Baldur lag, mein göttlich Kind, erblasst.
Du darfst nicht weinen,
Dir kehrt er wieder,
Dein lieber Sohn, in leuchtender Jugendlust! —
Und der tröstende Traum
Im Morgenthau
Entschwand, und wachend sah die Mutter umher.
Hell blieb in der Brust ,
Der Göttin Bild:
Aber der Sohn war fern, und die Mutter weinte doch.
Fönqu£.
119
105. Der reichste Fürst.
Preisend mit viel schönen Reden,
Ihrer Länder Werth und Zahl,
Sassen viele deutsche Fürsten
Einst zu Worms im Kaisersaal.
Herrlich, sprach der Fürst von Sachsen,
Ist mein Land und feine Macht,
Silber hegen feine Berge
Wohl in manchem tiefen Schacht.
Seht mein Land in üpp’ger Fülle,
Sprach der Kurfürst von dem Rhein,
Goldne Saaten in den Thälern,
Auf den Bergen edler Wein.
Grosse Städte, reiche Klöster,
Ludwig Herr zu Bayern sprach,
Schaffen, dass mein Land dem Euren
Wohl nicht steht an Schätzen nach.
'J
Eberhard der mit dem Barte,
Würtembergs geliebter Herr,
Sprach: mein Land hat kleine Städte,
Trägt nicht Berge Überschwer.
Doch ein Kleinod hält’s verborgen,
Dass in Wäldern noch so gross
Ich mein Haupt kann kühnlich legen
Jedem Unterthan in Schools.
Und es rief der Herr von Sachsen,
Der von Bayern, der vom Rhein:
Graf im Bart, ihr seid der Reichste,
Euer Land trägt Edelstein.
TT
Kerner.
106. Der Geiger zu Gmünd.
Einst ein Kirchlein sonder gleichen —
Noch ein Stein von ihm steht da —
Baute Gmünd der sangesreichen
Heiligen Cäcilia.
Lilien von Silber glänzten
Ob der Heil'gen mondenklar,
Hell im Morgenroth bekränzten
Goldne Rosen den Altar.
120
Schuh’ aus reinem Gold geschlagen
Und von Silber hell ein Kleid
Hat die Heilige getragen,
Denn das war noch gute Zeit.
Zeit, wo über fernen Meeren,
Nicht nur in der Heimatix Land
Man der Gmünd’sehen Künstler Ehre
Hell in Gold und Silber fand.
Und der fremden Pilger wallten
Zu Cäciliens Kirchlein viel;
Ungefehn woher, erschallten
Drin Gesang und Orgelspiel.
Einst ein Geiger kam gegangen,
Ach, den drückte grosse Noth. —
Matte Beine, bleiche Wangen,
Und im Sack kein Geld, kein Brod.
Vor dem Bild hat er gesungen
Und gespielet all sein Leid.
Hat der Heü’gen Herz durchdrungen:
Horch! melodisch rauscht ihr Kleid.
Lächelnd bückt das Bild sich nieder
Aus der lebenlosen Ruh’,
Wirft dem armen Sohn der Lieder
Hin den rechten goldnen Schuh.
Nach des nächsten Goldschmieds Haufe
Eilt er ganz vom Glück berauscht,
Singt und träumt vom besten Schmause,
Wenn der Schuh um Geld vertauscht.
Aber kaum den Schuh ersehen,
Führt der Goldschmied rauhen Ton,
Und zum Richter wird mit Schmähen
Wild geschleppt des Liedes Sohn.
Bald ist der Prozess geschlichtet;
Allen ist es offenbar,
Dass das Wunder nur erdichtet,
Er der freche Räuber war.
Weh du, armer Sohn der Lieder,
Sangest wohl den letzten Sang,
An dem Galgen auf und nieder
Sollst, ein Vogel, fliegen lang.
121
Hell ein Glöeklein hört man schallen.
Und man lieht den schwarzen Zug
Mit dir zu der Stätte wallen,
Wo beginnen soll dein Flug.
Bussgesänge hört man singen,
Nonnen und der Mönche Chor,
Aber hell auch hört man dringen
Geigentöne draus hervor.
Seine Geige mitzufüliren,
War des Geigers letzte Bitt'.
Wo so viele musiciren,
Musicir1 ich Geiger mit.
An Cäciliens Kapelle
Jetzt der Zug vorüber kam.
Nach des offnen Kirchleins Schwelle
Geigt er recht in tiefem Gram.
Und wer kurz noch ihn gehasset,
Seufzt: „Das arme Geigerlein!"
„Eins noch bitt1 ich," singt er, — „lasset
Mich zur Heil’gen noch hinein."
Man gewährt ihm; vor dem Bilde
Geigt er abermals fein Leid.
Und er rührt die Himmlischmilde
Und melodisch rauscht ihr Kleid.
Lächelnd bückt das Bild sich nieder
Aus der lebenlosen Buh1,
Wirft dem armen Sohn der Lieder
Hin den zweiten goldnen Schuh.
Voll Erstaunen sieht die Menge, . >.
Und es sieht nun jeder Christ
Wie der Mann der Volksgesänge
Selbst den Heil’gen theuer ist.
Schön geschmückt mit Bändern, Kränzen,
Wohlgestärkt mit Geld und Wein,
Führen sie zu Gesang und Tänzen
Ihn ins Rathhaus nun hinein.
Alle Unbill wird vergessen,
Schon zum Fest erhellt das Haus,
Und der Geiger ist gesessen
Obenan beim lust’gen Schmauss.
I
— 122 —
Aber als sie voll vom Weine,
Nimmt er feine Schuh’ zur Hand,
Wandert so im Mondenfcheine
Lustig in ein anderes Land.
Seitdem wird zu Gmünd empfangen
Liebreich jedes Geigerlein,
Kommt es noch so arm gegangen
t, Und es muss getanzet fein.
Drum auch hört man geigen, fingen,
Tanzen dort ohn’ Unterlass,
Und wenn alle Saiten springen,
Klingt noch mit dem leeren Glas.
Und wenn bald ringsum verhallen
Becher klingen, Tanz und Sang,
Wird zu Gmünd noch immer schallen
Selbst aus Trümmern lust’ger Klang.
Kerner.
107. Des Mohrenkönigs Günstling.
Der Mohrenkönig fass und zechte,
Um ihn stand feine Mohrenschaar.
Er schwang den Becher in die Rechte,
Und reicht’ ihn seinem Günstling dar.
Trink’ aus auf deines Königs Leben
Und rufe laut dem König Heil!
Hat das der Himmel ihm gegeben,
So wird’s dem Sklaven auch zu Theil!
Der hebt ihn hoch: der König lebe!
Und neigt beim Trinken sich so tief.
Dass der bewegte Saft der Reben
Vom Rand des Bechers zitternd lief.
Der König schaut mit halben Blicken
Und spricht dazu in trunknem Muth:
Du musst dich nicht so gar sehr bücken,
Vergossner Wein bedeutet Blut.
Dann kehrt er sich von ihm, der zitternd
Vor seines Herren Gnade steht,
Und ruft zur Seite, dass es schlitternd
Durch alle Vorgemächer geht:
Führt mir die Säng’rin her zum Saale,
Aus ihres Schlosses festem Wall,
Sie wecke Lust bei unserem Mahle
Mit ihrer Silberstimme Schall.
'
123
Dort hinter seidnem Teppichhange
Steh’ sie und grüss uns sanft und laut,
Dass jeder sieh erfreu’ am Klange
Der Nachtigall, die keiner schaut.
Schon ziehen durch den Saal die Lieder,
Wie Abendluft aus Wolkenflor.
Sie steigen schwellend auf und nieder
Und heben jede Brust empor.
Zum seidnen Vorhang schau’n die Zecher,
Als wollten sie die Töne seh’n,
Und leiser klingen alle Becher
Mit sanft antwortendem Getön.
Der König schlürft des Wohllauts Fluthen
Und leert die Becher fort und fort;
Der Kämmerer trinkt und hört sich Gluthen,
Und doppelt zitternd steht er dort.
Gezogen wie von Zauberhänden
Geht er und steht und steht und geht;
Zum Teppich muss er hin sich wenden,
Der winkend ihm entgegen weht.
Den Teppich hat er aufgehoben
Und schaut mit einem trunknen Blick;
Da springt der König auf mit Toben;
Der Kämmerer starrend sinkt zurück.
Und kannst du nicht die Lust bezwungen,
Zu schau’n, was ich allein darf schau’n?
Man soll sie dir vor’s Auge bringen,
Gieb Acht und sieh’ sie ohne Grau’n.
Da winket er dem Henker draussen,
Der stets im Vorgemache steht.
Der Henker hört mit stillem Grausen
Den heimlichen Befehl und geht.
Und schon ist er zurück im Saale,
Eh’ man ihn weggegangen glaubt,
Und bringt auf einer goldnen Schale
Der Säng’rin goldgelocktes Haupt.
Da steht es zu des Königs Füssen,
Vor denen stumm der Kämm rer liegt.
Nun sollst du diesen Mund mir küssen,
Weil fein Gesang dir nicht genügt.
124
Nimm hin und küss’ mir recht mit Weile
Und keine Lippe zittre dir!
Sonst stellt mit dem schon blut’gen Beile
Mein Ungeduld1 ger Henker hier.
Er hält das Haupt mit krampten Händen
Und küsst das blasse Angesicht.
Fest küsst er's, um im Kuss zu enden,
Und braucht des Königs Henker nicht.
Der Mohrenkönig sieht mit Schweigen
Im weiten Saal sich forschend um;
Die edlen Mohren steifn und neigen
Sich dem Gebieter ernst und stumm.
Der spricht, die Leichen tragt von dannen
Und scharrt sie bei einander ein.
Wir fahren fort wie wir begannen,
Wer will mein neuer Kämmrer sein?
Riickert.
108. Das Mahl zu Heidelberg.
Von Würtemberg und Baden die Herren zogen aus;
Von Metz des Bischofs Gnaden vergass das Gotteshaus;
Sie zogen aus zu kriegen, wohl in die Pfalz am Rhein,
Sie sahen da sie liegen, im Sommersonnenschein.
Umsonst die Rebenblütlie sie tränkt mit mildem Duft,
Umsonst des Himmels Güte aus Aehrenfeldern ruft:
Sie brannten Hof und Scheuer, da heulte gross und klein;
Da leuchtete vom Feuer der Neckar und der Rhein.
Mit Gram von seinem Schlosse sieht es der Pfälzer Fritz,
Heisst springen auf die Rosse zwei Mann auf einen Sitz.
Mit enggedrängtem Volke sprengt er durch Feld und Wald,
Doch ward die kleine Wolke zum Wetterhimmel bald.
Sie wollen deiner spotten, da sind sie schon umringt,
Und über ihren Rotten sein Schwert der Sieger schwingt.
Vom Hügel sieht man prangen das Heidelberger Schloss,
Dorthin führt er gefangen die Fürsten sammt dem Tross.
Zuhinterst an der Mauer, da ragt ein Thurm so fest,
Das ist ein Sitz der Schauer, der Schlang’ und Eule Nest;
Dort sollen sie ihm hülsen, im Kerker trüb und kalt,
Es gähnt zu ihren Füssen ein Schlund und finstrer Wald.
125
Hier lernt vom Grimme rasten der Wurtemberger Utz,
Her Bischof hält ein Fasten, der Markgraf lässt vom Trutz.
Sie mochten schon in Sorgen um Leib und Leben sein,
Da trat am andern Morgen der stolze Pfälzer ein.
„Herauf ihr Herrn gestiegen in meinen hellen Saal!
Ihr sollt nicht fürder liegen in Finsterniss und Qual.
Ein Mahl ist euch gerüstet, die Tafel ist gedeckt,
Drum wenn es euch gelüstet, versucht, ob es euch schmeckt.
Sie lauschen mit Gefallen, wie er so lächelnd spricht,
Sie wandeln durch die Hallen an’s goldne Tageslicht.
Und in dem Saale winket ein herrliches Gelag,
Es dampfet und es blinket, was nur das Land vermag.
Es satzten sich die Fürsten; da möcht es seltsam sein!
Sie hungern und sie dürsten beim Braten und beim Wein.
„Nun will’s euch nicht behagen? Es fehlt doch, deucht mir, nichts?
Worüber ist zu klagen? An was, ihr Herrn, gebricht’s?
Es schickt zu meinem Tische der Odenwald das Schwein,
Der Neckar feine Fische, den frommen Trank der Rhein!
Ihr habt ja sonst erfahren, was meine Pfalz befcheert!
Was wollt ihr heute sparen, wo Keiner es euch wehrt?“
Die Fürsten sali’n verlegen den andern jeder an.
Am Ende doch verwegen, der Ulrich da begann:
„Herr, fürstlich ist dein Bissen, doch eines thut ihm Noth,
Das mag kein Knecht vermissen, wo liessest du das Brod?“
'„Wo ich das Brod gelassen?“ sprach da der Pfälzer Fritz.
Er traf, die bei ihm fassen, mit seiner Augen Blitz.
Er that die Fensterpforten weit auf im hohen Saal,
Da fall man aller Orten in’s offne. Neckarthal.
Sie sprangen von den Stühlen und blickten in das Land:
Da rauchten alle Mühlen rings von des Krieges Brand;
Kein Hof ist da zu schauen, wo nicht die Scheune dampft,
Von Rosses Huf und Klauen ist alles Feld zerstampft.
„Nun sprecht, von wessen Schulden ist so ein Mahl bestellt?
Ihr müsst euch wohl gedulden, bis ihr besät das Feld,
Bis in des Sommers Schwüle mir reifet eure Saat
Und bis mir in der Mühle lieh wieder dreht ein Rad.
Ihr seht, der Westwind fächelt in Stoppeln und Geräusch,
Ihr seht, die Sonne lächelt, sie wartet nur auf euch!
Drum sendet flugs die Schlüssel und öffiiet euren Schatz,
So findet bei der Schüssel das Brod den rechten Platz!“
Schwab.
126
109. Der Schelm von Bergen.
Zu Frankfurt an dem Maine
11a geht es lustig her,
Da ist's beim Fackelscheine,
Als ob’s bei Tage wär’.
Denn wiedrum ward gekrönet
Ein deutscher König heut,
Drob durch die Stadt ertönet
Der Jubel weit und breit.
Herab vom Körner schallet
Trompeten- und Paukenton,
Der lust’ge Reigen wallet
Gar manche Stunde schon;
Da fuhrt ein schlanker Ritter
Die Königin zum Tanz,
Doch wie ein Leichenbitter
Ist schwarz der Mummeschanz.
Und als der Tanz geendet,
Die Königin entzückt
Zum Tänzer hold sich wendet,
Der glühend auf sie blickt:
Ihr gleicht des Todes Ritter
Und seid voll Lebensmuth,
Drum löst der Maske Gitter,
Dass man euch kennen thut.
0 nimmer dies begehre,
Erhabne Königin!
Mein Leben und deine Ehre
Wohl wären beide hin.
Wer bist du Ritter? Sage!
Ich schütze dich, wohlan!
Vor Fürst und Reich nicht zage
Und wär’st in Acht und Bann!
Und wie der Tänzer schweiget,
Der König zu ihm spricht:
Potz Launen, Ritter! zeiget
Eu’r ehrliches Gesicht!
Da kann er’s nicht mehr bergen,
Die schwarze Larve fällt,
Der Scharfrichter von Bergen! —
Ein Schrei den Saal durchgellt.
127
Er sinkt dem König zu Füssen,
Spricht mit gewandtem Sinn:
„Im Tod mag gern ich’s hülsen,
Doch entehrt blieb die Königin!
Drum Majestät in Gnaden
Hört gern auf meine List,
Wie unser beider Schaden
Leicht abzuhelfen ist.
Zieht aus der goldenen Scheide
Den Degen blank und flach
Und gebt im Kitterkleide
Mir auch den Ritterschlag.
Wer dann die Königin schmähet,
Den fordert mein ehrlich Schwert.
Der Kitter für sie stehet
Und war des Tanzes werth! •
„Du Schalk! die Schmach zu bergen
Empfange Schild und Helm!
Doch sollst du Schelm von Bergen
Mir heissen, du arger Schelm!“
Der König spricht’s, und ziehet
Den Degen zum Ritterschlag;
Der unehrliche Tänzer knieet,
Und wird ehrlich denselben Tag. Smets.
HO. Lore Lev.
Zu Bacharach am Rheine
Wohnt’ eine Zauberin,
Sie war so schön, so feine,
Und riss viel Herzen hin;
Und brachte viel zu Schanden
Der Männer rings umher,
Aus ihren Liebesbanden
Gab’s keine Rettung mehr.
Der Bischof liess sie laden
Vor geistliche Gewalt,
Und musste sie begnaden,
So schön war ihr’ Gestalt.
Er sprach zu ihr gerühret:
Du arme Lore Ley!
Wer hat dich denn verführet
Zu böser Zauberei ?
„HerrBischof, lasst mich sterben,
Ich bin des Lebens müd,
Weil jeder muss verderben,
Der mir in’s Auge sieht!
Die Augen sind zwei Flammen,
Mein Arm ein Zauberstab —
0 legt mich in die Flammen,
0 brechet mir den Stab!“
Ich kann dich nichtverdammen,
Bis du mir erst bekannt,
Warum in diesen Flammen
Mein eigen Herz schon brennt?
Den Stab kann ich nicht brechen,
Du schöne Lore Ley,
Ich müsste denn gar brechen
Mein eigen Herz entzwei!
128
„Herr Bischof, mit mir Armen
Treibt nicht so bösen Spott,
Und bittet um Erbarmen
Für mich den lieben Gott!
Ich darf nicht länger leben,
Ich liebe keinen mehr —
Den Tod sollt ihr mir geben,
Drum kam ich zu Euch her.
Mein Schatz hat mich betrogen,
Hat sich von mir gewandt,
Ist fort von hier gezogen,
Fort in ein fremdes Land.
Die Augen sanft und milde,
Die Wangen roth und weiss,
Die Worte still Und milde,
Das ist mein Zauberkreis.
Ich selbst muss drin verderben,
Das Herz thut mir so weh,
VorSchmerzen möcht’ ich sterben,
Wenn ich mein Bildniss seh’.
Drum lasst meinRecht mich finden.
Mich sterben wie ein Christ,
Denn Alles muss verschwinden,
Weil er nicht bei mir ist!“
Drei Ritter lässt er holen:
„Bringt fie ins Kloster hin:
Geh’ Lore! Gott befohlen
Sei dein berückter Sinn!
Du sollst ein Nönnchen werden,
Ein Nönnchen schwarz und weiss,
Bereite dich auf Erden
Zu deines Todes Reis.“
Zum Kloster hin nun ritten
Die Ritter alle drei,
Und traurig in der Mitten
Die schöne Lore Ley.
„0 Ritter, lasst mich gehen
Auf jenen Fellen gross!
Ich will noch einmal sehen
Nach meines Liebsten Schloss!
Ich will noch einmal sehen
Wohl in den tiefen Rhein,
Und dann ins Kloster gehen
Und Gottes Jungfrau fein.“
Der Felsen ist so jähe,
So steil ist feine Wand,
Doch klimmt sie in die Höhe,
Bis dass sie oben stand.
Es binden die drei Ritter
Die Rosse unten an,
Und klettern immer weiter
Zum Felsen auch hinan.
Die Jungfrau sprach: „da gehet
Ein Schifflein auf dem Rhein,
Der in dem Schifflein stehet,
Der soll mein Liebster sein!
Mein Herz ist mir so munter,
Es muss mein Liebster sein!“
Da lehnt sie sich hinunter
Und stürzet in den Rhein.
Die Ritter mussten sterben,
Sie konnten nicht hinab,
Sie mussten all’ verderben
Ohn’ Priester und ohn’ Grab.
Wer hat dies Lied gesungen ?
Ein Schiffer auf dem Rhein,
Und immer liat’s geklungen
Von dem Drei - Ritterstein:
Lore Ley!
Lore Ley!
Lore Ley!
Als wären’s meiner Drei.
Brentano.
129
111. Lore Ley.
Es ist schon spät, es wird schon kalt,
Was reifst du einsam durch den Wald?
Der Wald ist lang, du bist allein,
Du schöne Braut, ich führ' dich heim!
„Gross ist der Männer Trug und List,
Vor Schmerz mein Herz gebrochen ist,
Wold irrt das Waldhorn her und Irin,
0 flieh’! du weisst nicht, wer ich bin.“
So reich geschmückt ist Ross und Weib,
So wunderschön der junge Leib!
Jetzt kenn’ ich dich — Gott steh mir bei!'
Du bist die Hexe Loreley!
„Du kennst mich wohl! Vom hohen Stein
Schaut still mein Schloss tief in den Rhein.
Es ist schon spät, es wird schon kalt,
Kommst nimmermehr aus diesem Wald!“
Eichendorff.
112. Die Heinzelmännchen.
Wie war zu Cöln es doch vordem,
Mit Heinzelmännchen so bequem;
Denn war man faul: man legte sich -
Hin auf die Bank und pflegte sich.
Da kamen bei Nacht,
Eh’ man’s gedacht,
Die Männlein, und schwärmten
Und klappten und lärmten,
Und rupften
Und zupften,
Und hüpften und trabten,
Und putzten und schabten;
Und elf ein Faulpelz noch erwacht,
War all’ sein Tagwerk bereits gemacht.
Die Zimmerleute streckten sich
Hin auf die Spän’ und reckten sich;
Indessen kam die Geisterschaar,
Und sah, was da zu zimmern war:
Nahm Meissei und Beil
Und die Säg’ in Eil’:
Und sie sägten und stachen,
Und hieben und brachen,
Roquette, Deutsches Lesebuch. I.
9
130
Berappten
Und kappten,
Visirten wie Falken,
Und setzten die Balken.
Eh’ sich’s der Zimmermann versah,
Klapp, stand das ganze Haus schon fertig da.
Beim Bäckermeister war nicht Noth,
Die Heinzelmännchen backten Brod.
Die faulen Burschen legten sich,
Die Heinzelmännchen regten sich;
Und ächzten daher
Mit Säcken schwer!
Und kneteten tüchtig,
Und wogen es richtig,
Und schoben
Und hoben,
Und fegten und backten,
Und klopften und hackten.
Die Burschen schnarchten noch im Chor:
Da rückte schon das Brod, das neue vor!
Beim Fleischer ging es just so zu:
Gesell und Bursche lag in Ruh.
Indessen kamen die Männlein her,
Und hackten das Schwein die Kreuz und Quer.
Das ging so geschwind
Wie die Mühl' im Wind:
Die klappten mit Beilen,
Die schnitzten an Speilen,
Die spühlten,
Die wühlten,
Und mengten und mischten,
Und stopften und wischten.
That der Gesell die Augen auf:
Wapp, hing die Wurst schon da im Ausverkauf!
Beim Schenken war es so: es trank
Der Küfer bis er niedersank;
Am hohlen Fasse schlief er ein.
Die Männlein sorgten um den Wein,
Und schwefelten fein
Alle Fässer ein,
Und rollten und hoben
Mit Winden und Kloben,
131
Und schwenkten
Und senkten,
Und gossen und panschten,
Und mengten und manschten,
Und eh’ der Küfer noch erwacht,
War schon der Wein geschönt und fein gemacht.
Einst hatt1 ein Schneider grosse Pein:
Der Staatsrock sollte fertig sein;
Warf hin das Zeug und legte sich
Hin auf das Ohr und pflegte sich.
Da schlüpften sie frisch
In den Schneidertisch,
Und schnitten und rückten,
Und nähten und stickten,
Und fassten
Und passten,
Und strichen und guckten,
Und zupften und ruckten,
Und eh' mein Schneiderlein erwacht:
War Bürgermeisters Kock bereits gemacht.
Neugierig war des Schneiders Weib,
Und macht sich diesen Zeitvertreib:
Streut Erbsen hin die andre Nacht,
Die Heinzelmännchen kommen facht.
Eins fährt nun aus,
Schlägt hin im Haus,
Die gleiten von Stufen
Und plumpen in Kufen;
Die feilen
Mit Schallen,
Die lärmen und schreien
Und vermaledeien.
Sie springt hinunter auf den Schall
Mit Licht: Husch, husch — verschwinden all'!
0 weh, nun lind sie alle fort
Und keines ist mehr hier am Ort!
Man kann nicht mehr wie sonsten ruh’n,
Man muss nun alles selber thun!
Ein Jeder muss fein
Selbst fleifsig fein,
Und kratzen und schaben,
Und rennen and traben,
9*
132
Und schniegeln
Und bügeln,
Und klopfen und hacken,
Und kochen und backen.
Ach, dass es doch wie damals wär’!
Doch kommt die schöne Zeit nicht wieder her.
Kopisch.
113. Schwerting der Sachsenherzog.
Der Schwerting Sachsenherzog der fass bei Festesmahl,
Da schäumten Weine perlend in eisernem Pokal,
Da rauschten Speisen köstlich in eisernem Geschirr,
Da war von Eisenpanzern ein wild und rauh Geklirr.
Der Dänenkönig Frotho gegenüber Schwerting fass,
Mit staunender Geberde die Eisenketten mass,
So diesem niederhingen von Hals und Brust und Hand,
Und dann die Eisenspangen am schwarzen Trauergewand.
„Sagt an, was soll das deuten? Herr Bruder, gebt mir kund,
Warum Ihr mich geladen zu solcher Ehrenrund?
Als ich herabgezogen aus meinem Dänenland,
Da hofft’ ich Euch zu finden in güldenem Gewand.“
„„Herr König, Gold dem Freien, und Eisen für den Knecht!
Das ist der Sachsen Sitte, und so allein ist’s Recht.
Ihr habt in Eisenbande der Sachsen Arm gezwängt;
Wär’ Eure Kette gülden, sie wäre längst zersprengt.
Doch mein’ ich, giebt's noch Mittel zu lösen solches Erz:
Ein biedrer Sinn und Glaube, ein hoch und muthig Herz,
Das muss den Ami befreien, gefesselt hundertfach,
Das muss den Eidschwur löschen und tilgen niedre Schmach!““
Als so der Fürst gesprochen, da traten in den Saal
Zwölf schwarze Sachsenritter mit Fackeln allzumal;
Die harrten stumm und ruhig auf Schwertings leises Wort
Und sprangen dann in Eile, die Brände schwingend, fort.
Nicht lang da scholl von unten zu Herrn und Gastes Ohr
Ein Knistern und ein Prasseln von Feuerswuth empor;
Nicht lang da ward’s im Saale gar schwül und sommerheiss,
Und: „’s ist die Stund’ gekommen!“ sprach dumpf der ganze
Kreis.
133
Der König will entfliehen, der Herzog hält ihn stark;
Halt! steh' und lass erproben dein ritterliches Mark!
Hält es dem rauhen Gegner, der unten prasselt, Stand,
Dein fei die Sachsenkrone, dein fei das Sachsenland!
Und heisser immer heifser wird'8 in der weiten Hall’,
Und lauter immer lauter erdröhnt der Balken Fall,
Und heller immer heller wird rings der rothe Schein,
Die Thüre sinkt in Trümmer, die Lohe schiefst herein.
Da knieen betend nieder die wackren Rittersleut’:
„Herr, fei den Seelen gnädig, die selber sich befreit!“
Der Herzog doch sieht ruhig der Flamme Windeslauf;
Der König sinkt zu Boden; er reifst ihn wüthend auf.
„„Schau hin, du stolzer Sieger! erzitt're feiges Herz!
So löst man Eifenbande, so schmilzt dein mächtig Erz!““
Er rüst's und ihn erfasset der Flamme wild Gesaus,
Und nieder stürzen Alle und nieder stürzt das Haus.
Ebert.
114. Der Postillon.
Lieblich war die Maiennacht,
Silberwölklein flogen,
Ob der holden Frühlingspracht
Freudig hingezogen.
Schlummernd lagen Wies und
Hain,
Jeder Pfad verlassen,
Niemand als der Mondenschein
, Wachte auf den Strassen.
Leise nur das Lüftchen sprach,
Und es zog gelinder
Durch das stille Schlafgemach
All’ der Frühlingskinder.
Heimlich nur das Bächlein schlich,
Denn der Blüthen Träume
Dufteten gar wonniglich
Durch die stillen ‘Räume.
Rauher war mein Postillon,
Liess die Geissei knallen,
Ueber Berg und Thal davon
Frisch sein Horn erschallen.
Und von flinken Rossen vier
Scholl der Hufe Schlagen,
Die durch's blühende Revier
Trabten mit Behagen.
Wald und Flur im schnellen
Zug
Kaum begriffst — gemieden,
Und vorbei wie Traumesflug
Schwand der Dörfer Frieden.
Mitten in dem Maienglück
Lag ein Kirchhof innen,
Der den raschen Wanderblick
Hielt zu ernstem Sinnen.
Hingelehnt an Bergesrand
War die bleiche Mauer,
Und das Kreuzbild Gottes stand
Hoch in stummer Trauer.
Schwager ritt auf seiner Bahn
Stiller jetzt und trüber!
Und die Rosse hielt er an,
Sah’ zum Kreuz hinüber:
134
„ Halten muss hier Ross und Rad,
Mag’s euch nicht gefährden:
Drüben liegt mein Kamerad
In der kühlen Erden!
Ein gar herzlieber Gesell!
Herr, 's ist ewig Schade!
Keiner blies das Horn so hell
Wie mein Kamerade!
Hier ich immer halten muss,
Dem dort unterm Rasen
Zum getreuen Brüdergruss
Sein Leiblied zu blasen!“
Und dem Kirchhof fand er zu
Frohe Wandersänge,
Dass es in die Grabesruh
Seinem Bruder dränge.
Und des Hornes heller Ton
Klang vom Berge wieder,
Ob der todte Postillon
Stimmt in seine Lieder. —
Weiterging' s durchFeld und Hag
Mit verhängtem Zügel,
Lang’ mir noch im Ohre lag
Jener Klang vom Hügel.
Lenau.
115. Die drei Indianer.
Mächtig zürnt der Himmel im Gewitter,
Schmettert manche Rieseneich’ in Splitter,
Übertönt des Niagara Stimme,
Und mit seiner Blitze Flammenruthen
Peitscht er schneller die beschäumten Finthen,
Dass sie stürzen mit empörtem Grimme.
Indianer steh’n am lauten Strande,
Lauschen nach dem wilden Wogenbrande,
Nach des Waldes bangem Sterbgestöhne;
Greis der eine mit ergrautem Haare,
Aufrecht überragend feine Jahre,
Die zwei Andern feine starken Söhne.
Seine Söhne jetzt der Greis betrachtet,
Und fein Blick sich dunkler jetzt umnachtet ,
Als die Wolken, die den Himmel schwärzen,
Und sein Aug' versendet wildre Blitze
Als das Wetter durch die Wolkenritze,
Und er spricht aus tiefempörtem Herzen:
Fluch den Weifsen! ihren letzten Spuren!
Jeder Welle Fluch, worauf sie fuhren,
Die einst, Bettler, unfern Strand erklettert!
Fluch dem Winde, dienstbar ihrem Schiffe!
Hundert Flüche jedem Felsenriffe,
Das sie nicht hat in den Grund geschmettert!
Täglich über'8 Meer in wilder Eile
Fliegen ihre Schiffe, giff'ge Pfeile
Treffen unsre Küste mit Verderben;
Nichts hat uns die Räuberbrut gelassen
Als im Herzen tödtlich bittres Hassen!
Kommt ihr Kinder, kommt, wir wollen sterben.
Also sprach der Alte und sie schneiden
Ihren Nachen von den Uferweiden;
Drauf sie nach des Stromes Mitte ringen.
Und nun werfen sie weithin die Ruder
Arm verschlungen, Vater, Sohn und Bruder,
Stimmen an ihr Sterbelied zu singen.
Laut ununterbrochne Donner krachen,
Blitze flattern um den Todesnachen,
Ihn umtaumeln Möven sturmesmunter;
Und die Männer kommen fest entschlossen,
Singend schon dem Falle zugeschossen,
Stürzen jetzt den Katarakt hinunter. Lenau.
118. Deutscher Brauch.
Zur Gruft sank Kaiser Friedrich. Gott geb' ihm sanfte Ruh!
Max fasst fein gülden Scepter; ei, Sonnenaar, Glück zu!
Zu Worms nun hielt er Reichstag; auf, Fürstenschaar, herbei,
Zu rathen und zu fördern, dass Recht und Licht gedeih’!
Einst in dem dumpfen Rathsaal sprang Max empor in Hast;
Der Staub der Pergamente nahm ihm den Odem fast,
Die spitzen, klugen Reden, die machten toll ihn schier,
Da rief er seinem Narren: „Freund Kunze, komm’ mit mir!“
Den Treuen liebt’ er vor allen, wohl einem Gärtner gleich,
Der jeden Baum mit Liebe pflegt’ in dem Gartenreich,
Doch einen sich erkoren, in dessen Schattenhut
Nach schwüler Tagesmüh’ er am liebsten abends ruht.
Es wallten nun die beiden die Strassen ein und aus,
Dort auf dem grossen Marktplatz siih’n sie ein stattlich Haus.
Da rief der Kunz: „Mein König, schliefst Eure Augen schnell!
Denn, traun, schon las manch einer sich blind an dieser Stell’.
Französisch ist’s; Ihr wisst ja, wie’s Frankreichs Söhne treiben,
Die anders schreiben als sprechen, und anders lesen als schreiben,
Und anders sprechen als denken, und anders setzen als singen,
Die gross in allem Kleinen, und klein in grossen Dingen.“
Ein Rittersmann aus Frankreich wohnt in dem stolzen Haus,
Sein Wappenschild, hellglänzend, hängt hoch zur Pfort’ heraus;
Mit Schnörkelzügen zierlich in blankem Goldesschein
Schrieb rings um’s bunte Wappen er diese Worte ein:
136
„Erst Gott zum Grufs, wer’s liefet! — Auf, Deutscher, kühn
und werth,
Hier harrt ein Schild des deinen, wenn kampfesfroh dein Schwert;
Und magst du mich bezwingen nach Kitterbrauch und Recht,
Will ich mich dir verdingen als letzter Rüdenknecht.“
Emst schritt der König fürder; doch an des Ritters Schild
Hängt bald ein Edelknabe der Habsburg Wappenbild;
Und mit dem Frühroth harrte auf fand'gern Kampfesplan
Der König gegenüber dem fränkischen Rittersmann.
Und höher stieg die Sonne; der Franzmann lag im Sand,
Das Siegsschwert, hell und leuchtend, ragt hoch in Maxens Hand.
„So schlägt ein deutscher Ritter!“ er sprach's und stand verklärt
Wie Sanct Michael der Sieger mit seinem Flammenschwert.
„Ihr habt euch mir ergeben als letzten Rüdenknecht,
Wohlan! Ihr sollt erfahren nun meines Amtes Recht!“
Sein Schwert nun schwang er dreimal: „Steht auf, mein Ritter werth!
So schlägt ein deutscher König, — seid brav, wie Euer Schwert!“
Singt’s allem Land, ihr Sänger, des Fürsten That und Wort,
Neigt euer Schwert, ihr Ritter, vor eures Kaisers Hort,
Bekränzt des Siegers Schläfe, ihr schönsten deutschen Frau’n,
Jauchzt auf, ihr deutschen Herzen, in allen deutschen Gau’n! —
Viel fast’ge Trauben schwellen ringsum um Worms am Rhein,
„Milch unsrer lieben Frauen“, so heisst dort jener Wein;
Saugt jene Milch, ihr Greise; sie macht euch wieder zum Kind,
0 Herr, gieb unserm Lande viel Milch so süss und lind!
Aus Goldgefässen quoll sie an Maxens Abendtisch,
Gleich wie aus goldnen Eutern, so labend, klar und frisch;
Wie zecht an Maxens Seite der fränkische Rittersmann!
Wie wärmend da der Glühborn durch Kunzens Kehle rann!
Der Franzmann hob den Becher, begeistert flammt fein Blut:
„Heil Max dir, edler Deutscher, so bieder und so gut!“
„„Hoho!““ rief Kunz halb grimmig, „„jetzt bindet mit mir an,
Wer auf das Wohl herzinn’ger und besser trinken kann!““
Wie Schilder klangen die Becher zusammen jetzt mit Macht,
Die Blicke blitzten gegenüber, wie Lanzen in der Schlacht.
Wer Sieger blieb im Wettkampf? wohl kam es nie an’s Licht;
Frug man am Morgen die Beiden, sie wussten’s selber nicht.
GrÜD.
t
137
117. Die Martinswand.
Willkommen Tyrolerherzen, die ihr so bieder schlagt!
Willkommen Tyrolergletscher, die ihr den Himmel tragt!
Ihr Wohnungen der Treue, ihr Thäler voller Duft,
Willkommen Quellen und Triften, Freiheit und Bergesluft! —
Wer ist der kecke Schütze im grünen Jagdgewand,
Den Gemsbart auf dem Hütlein, die Armbrust in der Hand,
Dess Aug’ so flammend glühet, wie hoher Königsblick,
Dess Herz so still sich freuet an kühnem Jägerglück?
Das ist der Max von Habsburg auf lust’ger Gemsenjagd;
Seht ihn auf Felsen schweben, wo’s kaum die Gemse wagt!
Der schwingt sich auf und klettert in pfeilbeschwingtem Lauf,
Hei, wie das geht so lustig durch Kluft und Wald hinauf!
Jetzt über Steingerölle, jetzt über tiefe Gruft,
Jetzt kriechend hart am Boden, jetzt fliegend durch die Luft!
Und jetzt? — Halt ein, nicht weiter! jetzt ist er festgebannt,
Kluft vor ihm, Kluft zur Seite, und oben jähe Wand!
Der Aar, der sich schwingt zur Sonne, hält hier die erste Rast,
Des Fittichs Kraft ist gebrochen und Schwindel hat ihn erfasst;
Wollt’ einer von hier zum Thale hinab ein Stieglein bau’n,
Müsst’, traun, ganz Tyrol und Steyer die Steine dazu behau’n.
Wohl hat die Amin’ einst Maxen erzählt von der Martinswand,
Dass schon beim leisen Gedanken das Aug’ in Nebeln schwand,
Und ob sie wahr erzählet, ersehn nun kann er’s hier;
Dass er’s nie weiter plaudre, gesorgt ist schon dafür.
Da steht der Kaisersprosse, Fels ist fein Throngezelt,
Sein Scepter Moosgeflechte, an das er schwindelnd sich hält;
Auch ist eine Aussicht droben, so weit und wunderschön,
Dass ihm vor lauter Schauen die Sinne fast vergehn.
Tief unten, ein grüner Teppich, das schöne Thal des Inn,
Wie Fäden durchs Gewebe, zieh’n Strass’ und Strom dahin;
Die Bergkolosse liegen rings eingeschrumpft zu Haus
Und schau’n wie Friedhofhügel zu Maxen mahnend auf.
.letzt stösst er, Hülfe rufend, mit Macht hinein ins Horn,
Dass es in Lüften gellet, als dröhnte Gewitterzorn;
Hin Teufelchen, das kichert im nahen Felsenspalt:
Denn nicht zum Thale dringet des Hülferufs Gewalt.
Ins Horn nun stösst er wieder, dass es fast platzend bricht;
Ho, ho, nicht so gelämiet! da hilft das Schreien nicht!
Denn liebte ihn fein Volk nicht, was er auch bieten mag,
Herr Max, er bliebe sitzen bis an den jüngsten Tag!
138
Was nicht das Ohr vernommen, das hat das Aug’ erkannt;
Die unten sah’n ihn schweben auf pfadlos steiler Wand,
Gebet und Glocken rufen für ihn zum Himmelsdom,
Von Kirche zu Kirche wallfahrt der bange Menschenstrom.
Jetzt an dem Fuss des Felsens erscheint ein bunter Chor,
Ein Priester inmitten, weisend das Sacrament empor.
Max sieht nicht das bunte Wimmeln auf ferner Thalesflur,
Er sieht das blitzende Glänzen der Goldmonstranze nur.
„Fahr' wohl nun, Welt und Leben! schwer fällt der Abschied mir;
0 unerforschlich Wesen, du winkst, ich folge dir!
Ich schien ein Baum voll Blüthen, — dein Blitz hat ihn ersclüagen,
Ach gerne hätt' er früher noch süsse Frucht getragen!
Ich schien ein Bauherr, thürmend den Dom zu deinem Ruhm, —
Nicht durft’ er ganz vollenden der Liebe Heiligthum!
Ein Priester, plötzlich stürzend todt an des Altars Stufen, —
Er hätte gern erst Segen noch übers Volk gerufen!
So mag dies Herz denn brechen, von Lieb’ und Segen voll!
So modre nun mein Busen, der thaten schwanger schwoll!
Verwelke Hand, denn nimmer krönt deine Müh’ Gedeihn!
Nur Gottes bester Engel kann hier mein Retter fein!“
Er spricht’s und hebt zum Himmel nun Angesicht und Arm,
Und in die Kniee sinkt er und betet still und warm;
Da klopft’s auf feine Schulter, er fährt erschreckt empor;
„Komm’ heim, du bist gerettet!“ so ruft es an fein Ohr.
Und einen Bergmann sieht er froh lächelnd vor sich stehn,
Der fasst ihn fest beim Arme und winkt ihm fürder zu gehn;
Mit Leitern, Stahl und Seilen wird kühn ein Pfad gebahnt,
Wo Maxens Fusstritt strauchelt, stützt ihn des Retters Hand.
Der läd’t ihn auf den Rücken, wo Klüfte schwindelnd droh’n,
Wohl sind der Treue Schultern der Fürsten schönster Thron!
Rasch geht’s zu Thal, wo jauchzend Tyrol empfängt die Zwei;
Kein Spötter kann belächeln die seltne Reiterei.
Wohl kündet uns die Sage aus grauer Ahnenzeit
Von einem Himmelsboten, der schützend ihn befreit;
Ja, wohl ein Engel war es, ein Schutzgeist stark und kühn,
Des treuen Volkes Liebe, so nennt zu deutsch man ihn.
Ein Kreuz auf hohem Felsen blickt nieder in das Land
Und zeigt den Ort, wo bebend einst Habsburgs Sprosse stand;
Noch lebt die alte Kunde und jubelt himmelwärts
Aus manches Sängers Munde, aus aller Tyroler Herz!
Grün.
139
118. Andreas Hofer.
Zu Mantua in Banden
Der treue Hofer war;
Zu Mantua zum Tode
Führt ihn der Feinde Schaar.
Es blutete der Brüder Herz,
Ganz Deutschland, ach, in Schmach und Schmerz!
Mit ihm das Land Tyrol.
Die Hände auf dem Rücken
Der Sandwirth Hofer ging
Mit ruhigen festen Schritten:
Ihm schien der Tod gering;
Der Tod, den er so manchesmal
Vom Iselberg geschickt in’s Thal,
Im heil’gen Land Tyrol.
Dem Tambour will der Wirbel
Nicht unter'm Schlägel vor,
Als nun Andreas Hofer
Schritt durch das finstre Thor; —
Andreas noch in Banden frei,
Dort stand er fest auf der Bastei,
Der Mann vom Land Tyrol.
Dort soll er niederknieen;
Er sprach: das thu’ ich nit;
Will sterben wie ich stehe,
Will sterben wie ich stritt.
So wie ich steh’ auf dieser Schanz’,
Es leb’ mein guter Kaiser Franz;
Mit ihm sein Land Tyrol!
Und von der Hand die Binde
Nimmt ihm ein Grenadier,
Andreas Hofer betet
Zum letztenmal allhier.
Dann ruft er laut: So trefft mich recht!
Gebt Feuer! — Ach, wie schiefst ihr schlecht!
Ade mein Land Tyrol! Mosen.
140
119. Die Eisenmauer.
Von Polen kam geritten
Der Rothbart Friederich',
Da war mit Macht gestritten,
Mit scharfem Hieb und Stich’.
Ihm folgten Mann und Rosse
Mit schwerer Beutelast.
Zu Freiburg auf dem Schlosse
Da wollt’ er halten Rast.
Der Unstrut Wellen blinken
Das helle Thal entlang,
Da scholl aus Horn und Zinken
Ein lauter Jubelklang.
Herr Ludwig bot dem Kaiser
Willkomm zusammt dem Tross,
Führt ihn als Wegeweiser
Hinauf dann in das Schloss.
Das Grafenhaus lag droben
In dichter Abendpracht:
„Solch Haus will ich mir loben,"
Sprach Rothbart mit Bedacht;
„Vom Grund bis zu den Zinnen
Aus zierlich buntem Stein, —
Da mag es Euch auch drinnen,
Herr Landgraf, heimisch sein.
Und schätzen hier im Thale
Muss Euch die Unstrut flink;
Und drüben auch die Saale
Muss schau’n auf Euren Wink.
Bei Gott, es hätt’ ein König
Gewählt kein besser Nest, —
Nur sorgt, dass Ihr ein wenig
Das Ende nicht vergesst.
Ich war im Polenkriege, —
Ich hab’ ein gutes Schwert,
Ich wär’ aus raschem Siege
Wohl bälder heimgekehrt;
Doch statt sich mir zu stellen
Im Feld, da ich ihn traf,
Lag hinter seinen Wällen
Der Kraushaar Boleslav.
Die Wälle musst’ ich brechen,
Das nahm mir manchen Mann;
Ich mag vom Sieg nicht sprechen,
Er hat mir Leids gethan.
So euch ein Fürst bestürmet,
Zwingt er euch bald ins Joch: —
Die Mauer, die euch schirmet,
Herr Landgraf, fehlt euch noch!"
Der Landgraf sprach mit Sinnen:
„„Bei Gott, es macht mir Scham,
Dass mir solch klug Beginnen
Noch in den Kopf nicht kam.
Doch meinem Meister trau’ ich; —
Schenkt mir drei Tage Frist,
Und eine Mauer bau’ ich,
Die gar von Eisen ist.“" —
Im Schloss nun ward geschaffen
Die Rast den müden Herrn,
Auch liessen sie die Waffen
Am ersten Tage gern.
Da sprach zur Abendstunde
Der kaiserliche Gast:
„Ward Euch vom Meister Kunde?
Mich dünkt, auch er hält Rast!"
Am zweiten Tag zum Pirschen
Ging’s über Haid’ und Feld,
Den Schweinen und den Hirschen
Ward weidlich nachgestellt.
Doch als die Pirsch zu Ende,
Hub Rothbart lachend an:
„Für Euch bau’n Hexenhände, —-
Noch seh’ ich keinen Mann!"
Am dritten Tag im Saale
Ging’s zu Bankett und Tanz,
Bei heller Augen Strahle,
Bei Becher voller Glanz;
Und wieder sprach mit Lachen
Rothbart im Abendschein:
„So Ihr wollt Mauern machen,
Müsst Ihr kein Prahler fein! “
Doch als zur vierten Mette
Die Lerche wirbelnd ruft,
Und Rothbart springt vom Bette,
Zu athmen kühle Luft:
Da steht in weitem Bogen
Die Mauer ihm zur Schau
Rings um das Schloss gezogen
Ein fester Eisenbau.
Er reibt sich mit den Händen
Die Augen beid’ und spricht:
„Solch Traum muss bald sich
enden!“
Doch weicht die Mauer nicht.
Der Landgraf war zur Stelle
Und sprach mit schlauem Muth:
„ „Dünkt meines Meisters Schnelle
Euch nun, Herr Kaiser, gut?““
Der Landgraf trug zur Seiten
Ein Horn von Elfenbein;
Er rief als ging’s zum Streiten
Mit starkem Schall hinein.
Die Steine flink sich rührten,
Zum Schild ward jeder Stein,
Bewehrte Mannen führten
Die Schild in festen Reili’n.
Und wieder sprach mit Lachen
Rothbart: „Ihr seid ein Mann!
Wer solchen Bau kann
machen,
Der wohnt in sichrem Bann!“ —
„„Er wohnt in sichrer Gilde,
Sprach Ludwig tief bewegt,
Wenn hinter jedem Schilde
Ein treues Herz ihm schlägt.““
Kugler.
120. Aus dem schlesischen Gebirge.
Nun werden grün die Brombeerhecken;
Hier schon ein Veilchen, — welch ein Fest!
Die Amsel sucht sich dürre Stecken
Und auch der Buchfink baut sein Nest.
Der Schnee ist überall gewichen,
Die Koppe nur sieht weiss in’s Thal.
Ich habe mich vom Haus geschlichen,
Hier ist der Ort — ich wag’s einmal:
Rübezahl!
„Hört er's? Ich seh’ ihm dreist entgegen!
Er ist nicht bös! Auf diesen Block
Will ich mein Leinwandpäckchen legen —
Er ist ein richt’ges, volles Schock!
Und fein! Ja dafür kann ich stehen!
Kein bess’res wird gewebt im Thal. —
Er lässt sich immer noch nicht sehen!
Drum frischen Muthes noch einmal:
Rübezahl!
„Kein Laut! — Ich bin in’s Holz gegangen,
Dass er uns hilft in unsrer Noth!
0, meiner Mutter blasse Wangen —
Im ganzen Haus kein Stückchen Brod!
142
Der Vater schritt zum Markt mit Fluchen
Fand’ er auch Käufer nur einmal!
Ich will’s mit Rübezahl versuchen, —
Wo bleibt er nur? Zum drittenmal:
Rübezahl!
„Er half so Vielen schon vor Zeiten —
Grossmutter hat mir’s oft erzählt!
Ja! er ist gut den armen Leuten,
Die unverschuldet’ Elend quält!
So bin ich froh denn hergelaufen
Mit meiner richt'gen Ellenzahl*,
Ich will nicht betteln, will verkaufen!
0, dass er käme! Rübezahl!
Rübezahl!
„Wenn dieses Päckchen ihm gefiele,
Vielleicht gar bät’ er mehr sich aus!
Das wär’ mir recht! Ach gar zu viele
Gleich schöne liegen noch zu Haus!
Die nährn’ er alle bis zum letzten!
Ach, fiel’ auf dies doch feine Wahl!
Da löst’ ich ein selbst die versetzten —
Das wär’ ein Jubel! Rübezahl!
Rübezahl!
„Dann trät’ ich froh in’s kleine Zimmer,
Und riefe: Vater, Geld genug!
Dann flucht er nicht, dann sagt er nimmer
Ich wob euch nur ein Hungertuch!
Dann lächelte die Mutter wieder,
Und tischt’ uns auf ein reichlich Mahl;
Dann jauchzten meine kleinen Brüder.
0 käm’, o käm’ er! Rübezahl!
Rübezahl!"
So rief der dreizehnjähr’ge Knabe,
So stand und rief er, matt und bleich,
Umsonst! Nur dann und wann ein Rabe
Flog durch des Gnomen altes Reich.
So stand und passt’ er Stund’ auf Stunde,
Bis dass es dunkel ward im Thal,
Und er halblaut mit zuckendem Munde
Ausrief, durch Thränen noch einmal:
Rübezahl!
143
Dann liess er still das buschige Fleckchen
Und zitterte, und sagte: Hu!
Und schritt mit seinem Leinwandpäckchen
Dem Jammer seiner Heimath zu.
Oft ruht er aus auf moofgen Steinen,
Matt von der Bürde, die er trug.
Ich glaub’, fein Vater webt dem Kleinen
Zum Hunger- bald das Leichentuch!
Rübezahl!
Freiligrath.
121. Gefleht des Reisenden.
Mitten in der Wüste war es, wo wir Nachts am Boden ruhten;
Meine Beduinen schliefen hei den abgezäumten Stuten.
In der Ferne lag das Mondlicht auf der Nilgebirge Jochen;
Rings im Flugsand umgekomm’ner Dromedare weisse Knochen.
Schlaflos lag ich; statt des Pfühles diente mir ein leichter Sattel.
Dem ich unterschob den Beutel mit der dürren Frucht der Dattel,
Meinen Kaftan ausgebreitet hatt' ich über Brust und Füsse,
Neben mir mein blosser Säbel, mein Gewehr und meine Spiesse.
Tiefe Stille; nur zuweilen knistert das gefunkne Feuer;
Nur zuweilen kreischt verspätet ein vom Horst verirrter Geier;
Nur zuweilen stampft im Schlafe eins der angebundnen Rosse;
Nur zuweilen fährt ein Reiter träumend nach dem Wurfgeschosse.
Da auf einmal bebt die Erde; auf den Mondschein folgen trüber
Dämm’rung Schatten; Wüstenthiere jagen aufgeschreckt vorüber,
Schnaubend bäumen sich die Pferde; unser Führer greift zur Fahne;
Sie entsinkt ihm, und er murmelt: Herr, die Geisterkaravane! —
Ja, sie kommt! Vor den Karneolen schweben die gespenst’sehen
Treiber;
Ueppig in den hohen Sätteln lehnen schleierlose Weiber;
Neben ihnen wandeln Mädchen, Krüge tragend wie Rebekka
Linst am Brunnen; Reiter folgen — saufend sprengen sie nach
Mekka.
Mehr noch! — nimmt der Zug kein Ende? — immer mehr!
Wer kann sie zählen?
Weh’, auch die zerstreuten Knochen werden wieder zu Kameelen,
Und der braune Sand, der wirbelnd sich erhebt in dunklen Massen,
Wandelt sich zu braunen Männern, die der Thiere Zügel fassen.
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— 144 -
Denn dies ist die Nacht, wo alle, die das Sandmeer schon
verschlungen,
Deren sturmverwehte Asche heut' vielleicht an unsern Zungen
Klebte, deren mürbe Schädel unserer Rosse Huf zertreten,
Sich erheben und sich schaaren in der heil'gen Stadt zu beten.
Immer mehr! noch sind die letzten nicht an uns vorbeigezogen,
Und schon kommen dort die ersten schlaffen Zaums zurückgeflogen.
Von dem grünen Vorgebirge nach der Babelmandeb-Enge
Sausten sie, eh’ noch mein Reitpferd lösen konnte seine Stränge.
Haltet aus, die Rosse schlagen! Jeder Mann zu seinem Pferde!
Zittert nicht wie vor dem Löwen die verirrte Widderheerde!
Lasst sie nimmer euch berühren mit den wallenden Talaren,
Rufet: Allah! — und vorüber zielin sie mit den Dromedaren.
Harret, bis im Morgenwinde eure Turbanfedem flattern!
Morgenwind und Morgenröthe werden ihnen zu Bestattern.
Mit dem Tage wieder Asche werden diese nächt’gen Zieher ! —
Seht, er dämmert schon! ermuth’gend griffst ihn meines Thiers
Gewi eh er.
Freiligrath.
122. Eppelin von Geilingen.
Nun sitzst du fest! Nun sitzst du gut,
Nun hat man dich, o Eppelin,
In Nürnbergs Bann in sichrer Hut;
Nun sollst du nimmer uns entflieh’n;
Der unsre Felder oft verbrannt,
Der Mönche Graus, der Krämer Schrecken,
Nun musst du, Ketten an der Hand,
¡Auf ein verfaultes Stroh dich strecken!
Was? Murrst du noch? Von Krämerpack,
Das dich im Dunklen überfiel?
Von Tütendrehern, Pfeffer lack,
Von Mönchshabit und Gänsekiel?
Nimm dich in Acht, die Kutte siegt,
Du hast aufs Jus die schlecht verstanden:
Der Schreiber schreibt — und wieder liegt
Simson in der Philister Banden! —
Hast du das Pochen nicht gehört
Die Nacht hindurch dicht hier am Platz!
Du meinst, dich hätt’ es nicht gestört,
Geschlafen hätt’st du „wie ein Ratz“. —
....’ '..........................-J
145
Nun hüt’ dich Gott, verlorner Mann!
Der Morgen tagt, die Hämmer schweigen,
Der Galgen steht! — Nun schick’ dich an,
Die schwanke Leiter zu besteigen! —
Die Rathsherm standen, nicht zu nah,
Auch keine Waffe trug er mehr,
Und doch da man ihn kommen iah
Ein Frösteln gab es ringsumher.
Er aber fall sich trotzig um,
Den Galgen mass er mit den Blicken:
„Gott’8 Kreuz und Stern! ’s ist doch zu dumm
Mich an ein solches Holz zu schicken.“
Drauf weil den armen Sündern gern
Ein letzter Imbiss ward bescheert,
So auch von Nürnbergs weisen Herrn
Ward ihm ein letzter Trunk verehrt.
Der Bürgermeister in Person,
Kredenzte selbst den goldnen Becher.
Er dachte: Einmal thu’ ich’s schon,
Dann aber ist’s vorbei, Herr Zecher.
Der aber rief: „Was soll das Ding?
Ich trank fürwahr des Weins genug,
Da ich noch reiche Krämer fing
Und Klosterkeller noch zerschlug.
Der Teufel lohn’ euch euren Schmaus!
Doch wollt ihr Gutes mir erzeigen,
Wohlan! so führt mein Ross heraus
Und lasst’8 noch einmal mich besteigen!
Was einem Ritter solch ein Thier,
Euch freilich ist es unbekannt.
Auf Holz und Leder reitet ihr,
Statt Schwert die Feiler in der Hand.
Mich aber trug, Jahr aus Jahr ein,
Es treu durch taufend Fährlichkeiten.
Drum — muss es denn gehangen fein,
So lasst zum Galgen noch mich reiten!“ —
Die Rathsherm wurden blass und roth,
Sie steckten ängstlich Kopf an Kopf,
Bis einer sprach: Es hat nicht Noth,
Vergönnen wir s dem armen Tropf.
Itoquette , Deutsches Lesehuch. I.
10
— 146
Ich schob die Riegel selber zu,
Auch sind die Angeln neu beschlagen,
Die Mauer misst bei zwanzig Schuh:
Herr Bruder, topp, es lässt sich wagen.
Schon kommt das Ross, das stand im Stall,
Gefüttert schlecht und schlecht getränkt;
Rauh war's und zottig überall,
Sein Auge matt, sein Haupt gesenkt;
Doch, wie es seinen Herrn ersah
Und seine Stimme hört es rufen,
Laut wiehert’ es vor Freude da
Und schlug den Grund mit starken Hufen.
Es spitzt das Ohr, es heisst den Zaum,
Die Mähne steigt, das Auge blitzt,
Indess die Nüster Dampf und Schaum
Wie weisse Blüthenflocken spritzt.
Los reifst es sich, bricht aus in Hast,
Sprengt in Galopp in weitem Kreise;
Dann vor dem Herrn hält es gehisst
Und schmeichelt ihm nach Hündchens-Weise.
Dess freut Herr Eppelin sich hass,
Nicht Tonnen Goldes nährn’ er da;
Ja fast das Auge ward ihm nass,
Als er fein Rösslein wieder sah.
Rasch in den Sattel schwang er sich —
Die Rathsherrn selber mussten sagen,
Dass edlem Ritter sicherlich
Niemals ein edler Ross getragen.
Und wie er fass auf hohem Ross,
Blickt in die Lande weit hinein —
Dort dicht am Wald, das ist fein Schloss,
Es blinkt und winkt im Sonnenschein.
Und wie gemach das Thal entlang
Die langentwöhnten Blicke schweifen,
Fühlt er des Lebens stiften Drang
Noch einmal feine Brust ergreifen.
Im Sattel hebt er sich empor,
Er misst die Mauer ungesehn,
Er flüstert in des Rössleins Ohr,
Das scheint ihn wiehernd zu verstehn —
— 147 —
Die Rathsherm sahn ihn schmunzelnd an,
Die strengen Mienen wurden heiter:
Das nenn' ich reiten, Herr Kumpan!
'8 ist Schad’ beinah’ um solchen Reiter!
Und wie das Volk noch lauschend stand,
Bewundrung jedes Angesicht —
Der Henker selbst, den Strick zur Hand,
Erwehrte sich des Beifalls nicht — — —
Ein Satz, ein Sprung! — und hoch im Nu,
Als hätten Flügel ihn gehoben —!!
Die Mauer mass bei zwanzig Schuh,
Auch war der Riegel vorgeschoben.
Das war ein Lärm, der war nicht schlecht!
Die einen blieben sprachlos stehen,
Die andern kamen eben recht,
Den Ritter irisch und wohl zu sehen,
Und sahn noch just im Morgenlicht
Nach seinem Schloss ihn friedlich traben —
Die Nürnberger hängen keinen nicht,
Es wäre denn, dass sie ihn haben. Prutz.
123. Der Pilgrim von St. Just.
•Nacht ist’s und Stürme sausen für und für,
Hispanische Mönche, schliesst mir auf die Thür’!
Lasst hier mich nih’n, bis Glocken ton mich weckt,
Der zum Gebet euch in die Kirche schreckt!
Bereitet mir, was euer Haus vermag,
Ein Ordenskleid und einen Sarkophag!
Gönnt mir die kleine Zelle, weiht mich ein,
Mehr als die Hälfte dieser Welt war mein.
Das Haupt, das nun der Scheere sich bequemt,
Mit mancher Krone war’s bediademt.
Die Schulter, die der Kutte nun sich bückt,
Hat kaiserlicher Hermelin geschmückt.
Nun bin ich vor dem Tod den Todten gleich,
Und fäll' in Trümmer, wie das alte Reich.
Platen.
10
148
124. Luca Signorelli.
Die Abendstille kam herbei,
Der Meister folgt dem allgemeinen Triebe;
Verlassend feine Staffelei
Blickt er das Bild noch einmal an mit Liebe.
Da pocht es voll Tumult am Haus,
Und ehe Luca fähig ist zu fragen,
Ruft einer seiner Schüler aus:
Dein einz’ger Sohn, o Meister, ist erschlagen!
In holder Blüthe sank dahin
Der schönste Jüngling, den die Welt erblickte:
Es war die Schönheit fein Ruin,
Die oft in Liebeshändel ihn verstrickte.
Vor eines Nebenbuhlers Kraft
Sank er zu Boden, fast in unsrer Mitte;
Ihn trägt bereits die Brüderschaft
Zur Todtenkirche, wie es heischt die Sitte.
Und Luca spricht: „0 mein Geschick!
So lebt’ ich denn, so strebt’ ich denn vergebens?
Zu nichte macht ein Augenblick
Die ganze Folge meines reichen Lebens!
Was half es, dass in Färb’ und Licht
Als Meister ich Cortona’s Volk entzückte,
Mit meinem jüngsten Weltgericht
Orvieto’s hohe Tempelhallen schmückte?
Nicht Ruhm und nicht der Menschen Gunst
Beschützte mich, und nicht des Geistes Feuer:
Nun ruf ich erst, geliebte Kunst,
Nun ruf ich dich, du warst mir nie so theuer!“
Er spricht’s und seinen Schmerz verräth
Kein andres Wort. Rasch eilt er zur Kapelle,
Indem er noch das Malgeräth
Den Schülern reicht, und diese folgen schnelle.
Zur Kirche tritt der Greis hinein,
Wo feine Bilder ihm entgegentreten,
Und bei der ewigen Lampe Schein
Sieht er den Sohn, um den die Mönche beten.
Nicht klagt er, oder stöhnt und schreit,
Kein Seufzer wird zum leeren Spiel des Windes.
Er fetzt sich hin und konterfeit
Den schönen Leib des vielgeliebten Kindes.
149
Und als er ihn so Zug für Zug
Gebildet, spricht er gegen seine Knaben:
Der Morgen graut, es ist genug,
Die Priester mögen meinen Sohn begraben.
Platen.
125. Das Grab im Busento.
Nächtlich am Busento lispeln, bei Cosenza dumpfe Lieder,
Aus den Wassern schallt es Antwort, und in Wirbeln klingt es
wieder.
Und den Fluss hinauf, hinunter, ziehn die Schatten tapfrer
Gothen,
Die den Alarich beweinen, ihres Volkes besten Todten.
Allzufrüh und fern der Heimath mussten sie ihn hier begraben,
Während noch die Jugendlocken feine Schultern blond umgaben.
Und am Ufer des Busento reihten sie sich um die Wette;
Um die Strömung abzuleiten, gruben sie ein frisches Bette.
In der wogenleeren Höhlung wühlten sie empor die Erde,
Senkten tief hinein den Leichnam, mit der Rüstung, auf dem Pferde.
Deckten dann mit Erde wieder ihn und feine stolze Habe,
Dass die hohen Stromgewächse wüchsen aus dem Heldengrabe.
Abgelenkt zum zweitenmale, ward der Fluss herbeigezogen:
Mächtig in ihr altes Bette strömten die Busentowogen.
Und es fang ein Chor von Männern: Schlaf in deinen Helden-
ehren !
Keines Römers schnöde Habsucht soll dir je das Grab verfehlen!
Sangen's, und die Lobgesänge tönten fort im Gothenheere,
Wälze sie, Busentowelle, wälze sie von Meer zu Meere!
Platen.
-------- '
126. Schön-Rohtraut.
Wie heisst König Ringangs Töchter lein?
Rohtraut, Schön-Rohtraut.
Was thut sie denn den ganzen Tag,
Da sie wohl nicht spinnen und nähen mag?
Thut fischen und jagen.
0, dass ich doch ein Jäger wär’!
Fischen und jagen freute mich sehr.
— Schweig' stille, mein Herze!
150
Und über eine kleine Weil’,
Rohtraut, Schön-Rohtraut,
So dient der Knab’ auf Ringangs Sclüoss
In Jägertracht, und hat ein Ross,
Mit Rohtraut zu jagen.
0, dass ich doch ein Königssohn wär !
Rohtraut, Schön-Rohtraut lieb’ ich so sehr.
— Schweig’ stille, mein Herze!
Einstmals sie ruhten am Eichenbaum,
Da lacht Schön-Rohtraut:
Was siehst mich an so minniglichV
Wenn du das Herz hast, küsse mich!
Ach! erschrak der Knabe!
Doch denket er: mir ist’s vergunnt,
Und küsset Schön-Rohtraut auf den Mund.
— Schweig’ stille, mein Herze!
Darauf sie ritten schweigend heim,
Rohtraut, Schön-Rohtraut;
Es jauchzt der Knab’ in seinem Sinn:
Und würdest du heute Kaiserin,
Mich sollt’s nicht kränken!
Ihr tausend Blätter im Walde wisst,
Ich hab' Schön-Rohtrauts Mund geküsst!
— Schweig' stille, mein Herze! Morike
127. Archibald Douglas.
„Ich hab’ es getragen sieben Jahr
Und ich kann es nicht tragen mehr,
Wo immer die Welt am schönsten war,
Da war sie öd’ und leer.
„Ich will hintreten vor fein Gesicht
In dieser Knechtsgestalt,
Er kann meine Bitte versagen nicht,
Ich bin ja worden alt.
„Und trüg’ er noch den alten Groll,
Frisch wie am ersten Tag,
So komme, was da kommen soll,
Und komme, was da mag.“
Graf Douglas spricht's. Am Weg ein Stein
Lud ihn zu harter Ruh,
Er sah in Wald und Feld hinein,
Die Augen fielen ihm zu.
151
Er trug einen Harnisch, rostig und schwer,
Darüber ein Pilgerkleid, —
Da, horch, vom Waldrand scholl es her
Wie von Hörnern und Jagdgeleit’.
Und Kies und Staub aufwirbelte dicht,
Herjagte Meut’ und Mann.
Und ehe der Graf sich aufgericht’t,
Waren Ross und Reiter heran.
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König Jakob fass auf hohem Ross,
Graf Douglas griisste tief,
Dem König das Blut in die Wange schoss,
Der Douglas aber rief:
„König Jakob, schaue mich gnädig an
Und höre mich in Geduld,
Was meine Brüder dir angethan,
Es war nicht meine Schuld.
„Denk’ nicht an den alten Douglas-Neid,
Der trotzig dich bekriegt,
Denk’ lieber an deine Kinderzeit,
Wo ich dich auf den Knieen gewiegt.
„Denk’ lieber zurück an Stirling-Schloss,
Wo ich Spielzeug dir geschnitzt,
Dich gehoben auf deines Vaters Ross
Und Pfeile dir zugespitzt.
„Denk’ lieber zurück an Linlithgow,
An den See und den Vogelherd,
Wo ich dich fischen und jagen froh,
Und schwimmen und springen gelehrt.
„0, denk’ an Alles, was einstens war,
Und fänftige deinen Sinn,
Ich hab’ es gebüsset sieben Jahr,
Dass ich ein Douglas bin."
„ „Ich seh' dich nicht, Graf Archibald,
Ich hör’ deine Stimme nicht,
Mir ist als ob ein Rauschen im Wald
Von alten Zeiten spricht.
„„Mir klingt das Rauschen Biss und traut,
Ich lausch’ ihm immer noch,
Dazwischen aber klingt es laut:
Er ist ein Douglas doch.
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152
„„Ich seh’ dich nicht, ich höre dich nicht,
Das ist Alles, was ich kann,
Ein Douglas vor meinem Angesicht
Wär’ ein verlorener Mann.““
König Jakob gab seinem Ross den Sporn,
Bergan jetzt ging sein Ritt,
Graf Douglas fasste den Zügel vom
Und hielt mit dem Könige Schritt.
Der Weg war steil und die Sonne stach
Und sein Panzerhemd war schwer,
Doch ob er schier zusammenbrach,
Er lief doch nebenher.
„König Jakob, ich war dein Seneschall,
Ich will es nicht fürder fein,
Ich will nur warten dein Ross im Stall
Und ilim schütten die Körner ein.
„Ich will ihm selber machen die Streu
Und es tränken mit eigner Hand,
Nur lass mich athmen wieder aufs Neu'
Die Luft im Vaterland.
„Und willst du nicht, so hab' einen Muth,
Und ich will es danken dir,
Und zieh' dein Schwert und triff mich gut,
Und lass mich sterben hier.“
König Jakob sprang herab vom Pferd,
Hell leuchtete sein Gesicht,
Aus der Scheide zog er sein breites Schwert,
Aber fallen liess er es nicht.
„„Nimm's hin, nimm’s hin und trag’ es neu
Und bewache mir meine Ruh,
Der ist in tiefster Seele treu,
Der die Heimath liebt wie du!
„„Zu Ross! wir reiten nach Linlithgow
Und du reitest an meiner Seif,
Da wollen wir fischen und jagen froh
Als wie in alter Zeit!““ Fontane.
128. Gorm Grymme.
König Gorm herrscht über Dänemark,
Er herrscht die dreissig Jahr,
Sein Sinn ist fest, feine Hand ist stark,
Weiss worden ist nur fein Haar;
153
Weiss worden find nur feine buschigen Brau’n,
Die machten Manchen stumm,
In Grimme liebt er drein zu schau’n,
Gorm Grymme heisst er drum.
Und die Jarls kamen zum Feste des Jul,
Gorm Grymme sitzt im Saal,
Und neben ihm sitzt, auf beinernem Stuhl,
Thyra Danebod, fein Gemahl;
Sie reichen einander still die Hand
Und blicken sich an zugleich,
Ein Lächeln in Beider Auge stand, —
Gorm Grymme, was macht dich so weich?
Den Saal hinunter, in offner Hall',
Da fliegt es wie Locken im Wind,
Jung-Harald spielt mit dem Federball,
Jung-Harald, ihr einziges Kind;
Sein Wuchs ist schlank, blond ist fein Haar,
Blau-golden ist fein Kleid,
Jung-Harald ist heut fünfzehn Jahr,
Und sie lieben ihn Allebeid’.
Sie lieben ihn Beid'; eine Ahnung bang
Kommt über die Königin,
Gorm Grymme aber den Saal entlang
Auf Jung-Harald deutet er hin.
Und er hebt sich zum Sprechen; fein Mantel roth
Gleitet nieder auf den Grund:
Wer je mir spräche „er ist todt",
Er müsste sterben zur Stund’!
Und Monde gehn. Es schmolz der Schnee,
Der Sommer kam zu Gast,
Dreihundert Schiffe fahren in See,
Jung-Harald steht am Mast;
Er steht am Mast, er singt ein Lied,
Bis sich’s im Winde brach,
Das letzte Segel es schwand, es schied,
Gorm Grymme schaut ihm nach.
Und wieder Monde. Grau-Herbstestag
Liegt über Sand und Meer,
Drei Schiffe mit mattem Ruderschlag
Rudern heimwärts drüber her;
Schwarz hängen die Wimpel; auf Brömfebro-Moor
.Jung-Harald liegt im Blut.
Wer bringt die Kunde vor Königs Ohr?
Keiner hat den Muth.
154
Thyra Danebod schreitet hinab an den Sund,
Sie hatte die Segel gesehn;
Sie spricht: „Und bangt sich euer Mund,
Ich meld' ihm, was geschehn!“
Ablegt sie ihr rothes Korallengeschmeid’
Und die Gemme von Opal,
Sie kleidet sich in ein schwarzes Kleid
Und tritt in Hall' und Saal.
In Hall’ und Saal an Pfeiler und Wand
Goldteppiche ziehen sich hin,
Schwarze Teppiche nun mit eigner Hand
Hängt drüber die Königin,
Und sie zündet zwölf Kerzen, ihr siackernd Licht
Es gab einen trüben Schein,
Und sie legt ein Gewebe, schwarz und dicht,
Auf den Stuhl von Elfenbein.
Eintritt Gorm Grymrne, Es zittert sein Gang,
Er schreitet wie im Traum,
Er starrt die schwarze Hall’ entlang,
Die Lichter, er sieht sie kaum;
Er spricht: „Es weht eine Schwüle hier,
Ich will an Meer und Strand,
Reich’ meinen roth-goldenen Mantel mir
Und reiche mir deine Hand.“
i'J'Jit V> !' !
Sie gab ihm um einen Mantel dicht,
Der war nicht golden, nicht roth,
Gorm Grymrne sprach: „Was Niemand spricht,
Ich sprech’ es: er ist todt.“
Er setzte sich nieder wo er stand,
Ein Windstoss fuhr durch’s Haus,
Die Königin hielt des Königs Hand,
Die Lichter loschen aus. Fontäne.
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III.
Erzählungen.
Legenden. Parabeln. Idyllen.
129. Die Bauern und der Amtmann.
Ein sehr geschickter Candidat,
Der lange schon mit vielem Lobe
Die Kanzeln in der Stadt betrat,
That auf dem Dorfe seine Probe.
Allein so gut er sie getlian,
So stund er doch den Bauern gar nicht an.
Nein, der verstorbne Herr, das war ein andrer Mann!
Der hatte recht auf seinen Text studiret,
Und Gottes Wort, wie (ich s gebühret,
Bald griechisch, bald ebräisch angeführet,
Die Kirchenväter oft citiret,
Die Ketzer stattlich ausschändiret, ,
Und stets so fein schematisiret,
Dass er der Bauern Herz gerühret.
„Herr Amtmann, wie gesagt, erstatt’ er nur Bericht,
Wir mögen diesen Herrn nicht haben!“
So sagt doch nur, warum denn nicht?
„Er hört ja wohl, er hat nicht solche Gaben,
Wie der verstorbne Herr.“ Der Amtmann widerspricht.
Der Superintend ermahnt. Umsonst; sie hören nicht.
Man mag Amphion fein, und Fels und Wald bewegen,
Deswegen kann man doch nicht Bauern widerlegen.
Kurz, man erstattete Bericht,
Weil alle steif auf ihrem Sinn beharrton.
Nunmehr kömmt ein Befehl. Ich kann es kaum erwarten,
Bis ihn der Amtmann publicirt.
Ich wette fast, ihr Bauern, ihr verliert !
Man öffnet den Befehl. Und seht, der Landsherr wollte,
Dass man dem Candidat das Priesterthum vertraue,
Den Bauern gegentheils es hart verweisen sollte.
Der Superintend fing an die Bauern zu erbaun,
156
Und sprach, so schwierig sie auch schienen,
Doch sehr gelind und fromm mit ihnen.
Herr Doctor! fiel ihm drauf der Amtmann in das Wort,
Wozu soll diese Sanftmuth dienen?
Ihr Richter, Schöppen, und so fort,
Hört zu! ich will mein Amt verwalten.
Ihr Ochsen, die ihr alle seid!
Euch Flegeln geb ich den Bescheid,
Ihr sollt den Herrn zu eurem Pfarrn behalten.
Sagt'8, wollt ihr, oder nicht! denn itzt sind wir noch da.
— Die Bauern lächelten. Ach ja, Herr Amtmann, ja!
Geliert.
130. Hans Nord.
Ein Mann, der sich auf vielerlei verstund,
That durch den Druck in London kund,
Dass er ein seltnes Kunststück wüsste,
Und lud auf fein erbaut Gerüste,
Den künftgen Tag, die Bürger ein;
Liess einen Krug, und sich in Kupfer stechen;
In diesen Krug, war sein Versprechen,
Kriech' ich, Hans Nord, mit Kopf und Bein,
Um zehn Uhr durch den Hals hinein.
Der Preis frir einen Platz soll nur acht Groschen sein.
Nun ging das Blatt durch alle Gassen.
„In einen Krug? Was? Raft der Mann?
Das soll er mir wohl bleiben lassen!
Mit einem Wort, es geht nicht an.
Der dümmste Kopf muss das verstehen,
Allein acht Groschen wag’ ich dran.
Komm, Bruder, komm, den Narren muss ich sehn!“
Kurz, einer riss den andern fort.
Dem Pöbel folgten schon Carossen um die Wette,
Worin der Kaufmann und der Lord
Aus Gründen der Physik bewiesen, dass Hans Nord
Unmöglich Raum in einem Kruge hätte.
Gesetzt auch, wandte Lady ein,
Gesetzt, dies könnte möglich fein:
So wird doch stets der Kluge fragen:
Wie kömmt der Narr denn durch den Hals hinein? —
Doch unser Kutscher schläft ganz ein;
Fahrt zu, Johann, itzt wird es neune schlagen.
157
Halb London fass nunmehr an dem bestimmten Ort,
Und sah den Krug erstaunt auf dem Theater stehn.
„Wird nicht das Werk bald vor lieh gehen?“
Man wartet, pocht und lärmt. Indessen schlich Hans Nord
Sich heimlich mit dem Gelde fort.
Wer war nunmehr der grösste Thor zu nennen?
Nord, oder eine halbe Stadt,
Hie sich, von Neugier blind, auf ein phantastisch Blatt
Vor feine Bühne dringen können?
Du lachst; doch weisst du auch, dass du durch gröbre List,
So leicht, wohl leichter noch, zu hintergehen bist?
Was braucht wohl ein Hans Nord, versehn zum Bücherschmieren,
Was braucht er, um dich zu verführen?
Lin -wunderbares Titelblatt,
Das den Betrug schon bei sich hat.
Er will die ganze Welt durch Goldtinctur curiren,
Durch einen Schluss dich klug und glücklich demonstriren;
Sein gründlich Wörterbuch erspart dir das Studiren;
Er lehrt ohn' Umgang dich die Kunst zu conversiren,
Er lehrt dich ohne Müh sinnreich poetisiren,
Dich ohne Kosten Wirthschaft führen;
Und glücklich lässt du dich das Wunderbare rühren,
Erstaunst und eilst, und kaufst und liest,
Was denn? dass du betrogen bist. Geliert.
131. Das Gespenst.
Ein Hauswirth, wie man mir erzählt,
Ward lange Zeit durch ein Gespenst gequält,
Er liess, des Geist’s sich zu erwehren,
Sich heimlich das Verbannen lehren,
Doch kraftlos blieb der Zauberspruch.
Der Geist entsetzte sich vor keinen Charakteren,
Und gab, in einem weisseu Tuch,
Ihm alle Nächte den Besuch.
Ein Dichter zog in dieses Haus.
Der Wirth, der bei der Nacht nicht gern allein gewesen,
Bat sich des Dichters Zuspruch aus,
Und liess sich feine Verse lesen.
Der Dichter las ein frostig Trauerspiel,
Das, wo nicht seinem Wirth, doch ihm sehr wohl gefiel.
158
Der Geist, den nur der Wirth, doch nicht der Dichter sah,
Erschien, und hörte zu; es fing ihn an zu schauern;
Er konnt’ es länger nicht, als einen Auftritt dauern,
Denn eh’ der andre kam, so war er nicht mehr da.
Der Wirth, von Hoffnung eingenommen,
Liess gleich die andre Nacht den Dichter wieder kommen.
Der Dichter las; der Geist erschien,
Doch ohne lange zu verziehn.
Gut! sprach der Wirth, den will ich bald verjagen;
Kannst du die Verse nicht vertragen?
Die dritte Nacht blieb unser Wirth allein.
Sobald es zwölfe schlug, liess das Gespenst sich blicken.
Johann! fing drauf der Wirth gewaltig an zu schrein,
Der Dichter (lauft geschwind!) soll von der Güte sein,
Und mir sein Trauerspiel auf eine Stunde schicken!
Der Geist erschrak, und winkte mit der Hand,
Der Diener sollte ja nicht gehen.
Und kurz, der weise Geist verschwand
Und liess sich niemals wieder sehen. —
Ein jeder, der dies Wunder liest,
Zieh’ sich daraus die gute Lehre,
Dass kein Gedicht so elend ist,
Das nicht zu etwas nützlich wäre.
Und wenn sich ein Gespenst vor schlechten Versen scheut,
So kann uns dies zu grossem Troste dienen.
Gesetzt, dass sie zu unsrer Zeit
Auch legionenweis erschienen,
So wird, um sich von allen zu befrein,
An Versen doch kein Mangel sein. Geliert.
132. Der Selbstmord.
0 Jüngling, lern’ aus der Geschichte,
Die dich vielleicht zu Thränen zwingt,
Was für bejammernswerthe Erlichte
Die Liebe zu den Schönen bringt!
Ein Beispiel wohlgezogner Jugend,
Des alten Vaters Trost und Stab,
Ein Jüngling, der durch frühe Tugend
Zur grössten Hoffnung Anlass gab;
Den zwang die Macht der schönen Triebe,
Climenen zärtlich nachzugehn;
Er seufzt, er bat um Gegenliebe,
Allein vergebens war fein Flehn.
159
FussMlig klagt er ihr fein Leiden,
Umsonst! Climene heisst ihn fliehn.
Ja! schreit er, ja, ich will dich meiden,
Ich will mich ewig dir entziehn!
Er reifst den Degen aus der Scheide,
Und — o was kann verwegner sein!
Kurz, er besieht die Spitz’ und Schneide,
Und steckt ihn langsam wieder ein. Geliert.
133. Die Tabakspfeife.
Gott gritss euch, Alter! Schmeckt das Pfeifchen?
Weist her! Ein Blumentopf
Von rothem Thon mit goldnem Reifchen.
Was wollt ihr für den Kopf?
„0 Herr, den Kopf kann ich nicht lassen,
Er kommt vom bravsten Hann,
Der ihn, Gott weiss es, welchem Bassen
Bei Belgrad abgewann.
Da, Herr, da gab es rechte Beute!
Es lebe Prinz Eugen!
Wie Grummet sah man unsre Leute
Der Türken Glieder müh n."
Ein andermal von euren Thaten!
Hier, Alter, seid kein Tropf,
Nehmt diesen doppelten Dueaten
Für euren Pfeifenkopf!
„Ich bin ein armer Kerl, und lebe
Von meinem Gnadensold:
Doch, Herr, den Pfeifenkopf, den gebe
Ich nicht um alles Gold.
Hört nur: Einst jagten wir Husaren
Den Feind nach Herzenslust,
Da schoss ein Hund von Janitscharen
Den Hauptmann in die Brust.
Ich heb’ ihn flugs auf meinen Schimmel
(Er hätt’ es auch gethan)
Und trug ihn sanft aus dem Getümmel
Zu einem Edelmann.
Ich pflegte fein. Vor seinem Ende
Reicht’ er mir all’ sein Geld
Und diesen Kopf, drückt mir die Hände
Und blieb im Tod noch Held.
hals
160
Das Geld musst du dem Wirthe schenken,
Der dreimal Plündrung litt:
So dacht’ ich, und zum' Angedenken
Nahm ich die Pfeife mit.
Ich trug auf allen meinen Zügen
Sie wie ein Heiligthum,
Wir mochten weichen oder siegen,
Im Stiefel mit herum.
Vor Prag verlor ich auf der Streife
Das Bein durch einen Schuss,
Da griff ich erst nach meiner Pfeife,
Und dann nach meinem Puls."
Ihr rühret mich, Freund, bis zu Zähren.
0 sagt, wie hiess der Mann?
Damit auch mein Herz ihn verehren
Und ihn beneiden kann.
„Man hiess ihn nur den tapfern Walter,
Dort lag fein Gut am Rhein —“
Das war mein Ahne, lieber Alter,
Und jenes Gut ist mein!
Kommt, Freund, ihr sollt bei mir nun leben,
Vergesset eure Noth!
Kommt, trinkt mit mir von Walters Reben,
Und esst von Walters Brot.
„Nun, top! Ihr seid sein wahrer Erbe!
Ich ziehe Morgen ein,
Und euer Dank soll, wenn ich sterbe,
Die Türkenpfeife sein.“ - Pfeffel
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134. Der gelähmte Kranich,
Parabel.
Der Herbst entlaubte schon den bunten Hain
Und streut’ aus kalter Luft Reif auf die Flur:
Als am Geftad’ ein Heer von Kranichen
Zusammenkam, um in ein wirthbar Land
Jenseits des Meers zu ziehn. Ein Kranich, den
Des Jägers Pfeil am Fuss getroffen, fass
Allein, betrübt und stumm, und mehrte nicht
Das wilde Lustgeschrei der Schwärmenden,
Und war der laute Spott der frohen Schaar.
161
[eh bin durch meine Schuld nicht lahm, dacht’ er
In lieh gekehrt, ich half so viel, als ihr,
Zum Wohl von unserm Staat. Mich trifft mit liecht
Spott und Verachtung nicht. Nur ach! wie wird’s
Mir auf der Reis’ ergehn! Mir, dem der Schmerz
Muth und Vermögen raubt zu weitem Flug’!
Ich Unglückseliger! das Wasser wird
Bald mein gewisses Grab. Warum erschoss
Der Grausame mich nicht? — Indessen weht
Gewogner Wind vorn Land’ in’s Meer. Die Schaar
Beginnt, geordnet, itzt die Reis’ und eilt
Mit schnellen Flügeln fort, und schreit vor Lust.
Der Kranke nur blieb weit zurück, und ruht’
Auf Lotosblättern oft, womit die See
Bestreuet war, und seufzt vor Gram und Schmerz.
Nach vielem Ruhn fand er das bessre Land,
Den güt’gern Himmel, der ihn plötzlich heilt.
Die Vorsicht leitet’ ihn beglückt dahin,
Und vielen Spöttern ward die Fluth zum Grab! —
Ihr, die die schwere Hand des Unglücks drückt,
Ihr Redlichen, die ihr, von Hann erfüllt,
Das Leben oft verwünscht, verzaget nicht,
Und wagt die Reise durch das Leben nur!
Jenseits des Ufers giebt’s ein besser Land,
Gefilde voller Lust erwarten euch. E. v. Kleist.
135. Legende vom Hufeisen.
Als noch, verkannt und sehr gering,
Unser Herr auf der Erde ging,
Und viele Jünger lieh zu ihm fanden,
Die sehr selten sein Wort verstanden,
Liebt’ er sich gar über die Massen
Seinen Hof zu halten auf der Strassen,
Weil unter des Himmels Angesicht
Man immer besser und freier spricht.
Er liess sie da die höchsten Lehren
Aus seinem heiligen Munde hören;
Besonders durch Gleichniss und Exempel
Macht’ er einen jeden Markt zum Tempel.
So schlendert er in Geistes Ruh’
Mit ihnen einst einem Städtchen zu,
Sah etwas blinken auf der Strass’,
Das ein zerbrochen Hufeisen was.
Roijuette, Deutsches Lesebuch. I.
11
162
Er sagte zu St. Peter drauf:
Heb’ doch einmal das Eisen auf!
St. Peter war nicht aufgeräumt,
• Hatte so eben im Gehen geträumt
So was vom Regiment der Welt,
Was einem jeden wohlgefällt:
Denn im Kopf hat das keine Schranken;
Das waren so feine liebsten Gedanken.
Nun war der Fund ihm viel zu klein,
Hätte müssen Krön’ und Zepter fein;
Wie aber sollt' er seinen Rücken
Nach einem halben Hufeisen bücken?
Er also sich zur Seite kehrt
Und thut, als hätt’ er’s nicht gehört.
Der Herr in seiner Langmuth drauf
Hebt selber das Hufeisen auf,
Und thut auch weiter nicht dergleichen.
Als sie nun bald die Stadt erreichen,
Geht er vor eines Schmiedes Thür,
Nimmt von dem Mann drei Pfennig dafür.
Und als sie über den Markt nun gehen,
Sieht er daselbst schöne Kirschen stehen,
Kauft ihrer, so wenig oder viel,
Als man für einen Dreier geben will,
Die er sodann nach seiner Art
Ruhig im Aermel aufbewahrt.
Nun ging'8 zum andern Thor hinaus,
Durch Wies’ und Felder ohne Haus,
Auch war der Weg von Bäumen bloss;
Die Sonne schien, die Hitz’ war gross,
So dass man viel an solcher Statt’
Für einen Trunk Wasser gegeben hätt’.
Der Herr geht immer voraus vor allen,
Lässt unverfehns eine Kirsche fallen.
Sanct Peter war gleich dahinter her,
Als wenn es ein goldener Apfel wär’;
Das Beerlein schmeckte seinem Gaum,
Der Herr, nach einem kleinen Raum,
Ein ander Kirschlein zur Erde schickt,
Wonach Sanct Peter schnell sich bückt.
So lässt der Herr ihn in seinem Rücken
Gar vielmal nach den Kirschen bücken.
Das dauert eine ganze Zeit.
Dann sprach der Herr mit Heiterkeit:
103
That’st du zur rechten Zeit dich regen,
Hätt’st du's bequemer haben mögen.
Wer geringe Dinge wenig acht’t,
Sich um geringere Mühe macht.
136. Parabel.
Es ging ein Mann im Syrerland,
Führt' ein Kamel am Halfterband.
Das Thier mit grimmigen Geberden
Urplötzlich anfing scheu zu werden
Und that so ganz entsetzlich schnaufen,
Der Führer vor ihm musst’ entlausen.
Er lies und einen Brunnen sah
Von ungefähr am Wege da.
Das Thier hört er im Kücken schnauben,
Das musst’ ihm die Besinnung rauben.
Er in den Schacht des Brunnens kroch,
Er stürzte nicht, er schwebte noch.
Gewachsen war ein Brombeerstrauch
Aus des geborstnen Brunnens Bauch;
Daran der Mann sich fest that klammern
Und seinen Zustand drauf bejammern.
Er blickte in die Höh’, und sah
Dort das Kamelhaupt furchtbar nah’,
Das ihn wollt’ oben fassen wieder;
Dann blickt’ er in den Brunnen nieder.
Da sah am Grund er einen Drachen
Aufgähnen mit entsperrtem Rachen,
Der drunten ihn verschlingen wollte,
Wenn er hinunter fallen sollte.
So schwebend in der beiden Mitte
Da sah der Arme noch das Dritte.
Wo in die Mauerspalte ging
Des Sträuchleins Wurzel, dran er hing,
Da sah er still ein Mäusepaar,
Schwarz eine, weiss die andre war.
Er sah die schwarze mit der weiften
Abwechselnd an der Wurzel heissen.
Sie nagten, zausten, gruben, wühlten,
Die Erd’ ab von der Wurzel splthlten;
Und wie sie rieselnd niederrann,
Der Drach’ im Grund ausblickte dann,
11.
Goethe.
1(34
Zu sehn, wie bald mit seiner Bürde
Der Strauch entwurzelt fallen würde.
Der Mann in Angst und Furcht und Noth,
Umstellt, umlagert und umdroht,
im Stand des jammerhaften Schwedens,
Sah sich nach Rettung um vergebens.
Und da er also um sich blickte,
Sah er ein Zweiglein, welches nickte
Vom Brombeerstrauch mit reifen Beeren;
Da konnt1 er doch der Lust nicht wehren.
Er fall nicht des Kameles Wuth,
Und nicht den Drachen in der Fluth,
Und nicht der Mäuse Tückespiel,
Als ihm die Beer' in’s Auge siel.
Er liess das Tiner von oben rauschen
Und unter sich den Drachen lauschen,
Und neben sich die Mäuse nagen,
Griff nach den Beerlein mit Behagen,
Sie däuchten ihm zu essen gut,
Ass Beer auf Beerlein wohlgemuth,
Und durch die Süssigkeit im Essen
War alle feine Furcht vergessen.
Du fragst: Wer ist der thöricht Mann,
Der so die Furcht vergessen kann?
So wiss', o Freund, der Mann bist du;
Vernimm die Deutung auch dazu.
Es ist der Dracli’ im Brunnengrund
Des Todes aufgesperrter Schlund;
Und das Kamel, das oben droht,
Es ist des Lebens Angst und Noth.
Du bist’s, der zwischen Tod und Leben
Am grünen Strauch der Welt musst schweben.
Die beiden, so die Wurzel nagen,
Dich sammt den Zweigen, die dich tragen,
Zu liefern in des Todes Macht,
Die Mäuse heissen Tag und Nacht.
Es nagt die schwarze wohl verborgen
Vom Abend heimlich bis zum Morgen,
Es nagt vom Morgen bis zum Abend
Die weisse, wurzeluntergrabend.
Und zwischen diesem Graus und Wust
Lockt dich die Beere Sinnenlust,
Dass du Kamel, die Lebensnoth,
Dass du im Grund den Drachen, Tod,
Dass du die Mäuse, Tag und Nacht,
Vergissest, und auf Nichts hast Acht,
Als dass du recht viel Beerlein haschest,
Aus Grabes Brunnenritzen naschest.
137. Schwäbische Kunde.
Als Kaiser Rothbart lobesam
Zum heil'gen Land gezogen kam,
Da musst' er mit dem frommen Heer
Durch ein Gebirge wüst und leer.
Daselbst erhub sich grosse Noth,
Viel Steine gab’s und wenig Brot,
Und mancher deutsche Reitersmann
Hat dort den Trunk sich abgethan.
Den Pferden war’s so schwach im Magen
Fast musst’ der Reiter die Mähre tragen.
Nun war ein Herr aus Schwabenland.
Von hohem Wuchs und starker Hand,
Dess Rösslein war so krank und schwach
Er zog es nur am Zaume nach,
Er hätt’ es nimmer aufgegeben,
Und kostet’ s ihm das eigne Leben.
So blieb er bald ein gutes Stück
Hinter dem Heereszug zurück;
Da sprengten plötzlich in die Quer
Fünfzig türkische Reiter daher,
Die huben an, auf ihn zu schiessen,
Nach ihm zu werfen mit den Spiefsen.
Der wackre Schwabe forcht sich nit,
Ging seines Weges Schritt vor Schritt,
Liess sich den Schild mit Pfeilen spicken
Und thät nur spöttisch um sich blicken,
Isis Einer, dem die Zeit zu lang,
Auf ihn den krummen Säbel schwang.
Da wallt’ dem Deutschen auch sein Blut,
Er trifft des Türken Pferd so gut,
Er haut ihm ab mit Einem Streich
Die beiden Vorderfüls’ zugleich.
Als er das Thier zu Fall gebracht,
Da fasst er erst fein Schwert mit Macht.
Er schwingt es auf des Reiters Kopf,
Haut durch bis auf den Sattelknopf,
166
Haut auch den Sattel noch in Stücken
Und tief noch in des Pferdes Rücken;
Zur Rechten lieht mau, wie zur Linken,
Einen halben Türken heruntersinken.
Da packt die Andern kalter Graus,
Sie fliehen in alle Welt hinaus,
Und Jedem ist’s, als würd’ ihm mitten
Durch Kopf und Leib hindurchgeschnitten.
Drauf kam des Wegs ’ne Christenschaar,
Die auch zurückgeblieben war,
Die sahen nun mit gutem Bedacht,
Was Arbeit unser IJeld gemacht.
Von denen hat's der Kaiser vernommen,
Der liess den Schwaben vor sich kommen.
Er sprach: „Sag’ an, mein Ritter werth!
Wer hat dich solche Streich’ gelehrt?“
Der Held bedacht’ sich nicht zu lang:
„Die Streiche sind bei uns im Schwang,
Sie sind bekannt im ganzen Reiche,
Man nennt sie halt nur Schwabenstreiche!“
Uhland.
138. Salas y Gomez.
1.
Salas y Gomez raget aus den Fluthen
Des stillen Meers, ein Felsen, kahl und bloss,
Verbrannt von scheitelrechter Sonne Glutheu,
Ein Steingestell’ ohn’ alles Gras und Moos,
Das sich das Volk der Vögel auserkor
Zur Ruh’statt im bewegten Meeresschooss.
So stieg vor unsern Blicken sie empor,
Als auf dem Rurik: „Land im Westen! Land!“
Der Ruf vom Mastkorb drang zu unserm Ohr.
Als uns die Klippe nah’ vor Augen stand,
Gewahrten wir der Meeresvögel Sc haaren
Und ihre Brüteplätze längs dem Strand.
Da frischer Nahrung wir bedürftig waren,
So ward beschlossen, den Versuch zu wagen,
Tn zweien Roten an das Land zu fahren.
Es ward dabei zu fein mir angetragen.
Das Schreekniss; das der Ort mir offenbart',
Ich werd’ es jetzt mit schlichten Worten sagen.
Wir legten bei, bestiegen wohlbewahrt
Die ausgesetzten Boote, stiessen ab
Und längs der Brandung rudernd ging die Fahrt.
167
Wo unterm Wind das Ufer Schutz uns gab,
Ward angelegt bei einer Felsengruppe;
Wir letzten auf das Trockne unfern Stab.
Und eine rechts, und links die andre Truppe,
Vertheilten sich den Strand entlang die Mannen,
Ich aber stieg hinan die Felsenklippe.
Vor meinen Füssen wichen kaum von dannen
Die Vögel, welche die Gefahr nicht kannten,
Und mit gestreckten Hälsen sich besannen.
Der Gipfel war erreicht, die Sohlen brannten
Mir auf dem heissen Schieferstein, indessen
Die Blicke den Gesichtskreis rings umspannten.
Und wie die Wüstenei sie erst ermessen,
Und wieder erdwärts sich gefenket haben,
Lässt Fines alles Andre mich vergessen.
Es hat die Hand des Menschen eingegraben
Das Siegel seines Geistes in den Stein,
Worauf ich steh', — Schriftzeichen sind’s, Buchstaben.
Der Kreuze fünfmal zehn in gleichen Reihn,
Es will mich dünken, dass sie lang bestehn,
Doch muss die flücht'ge Schrift hier jünger fein.
Und nicht zu lesen! — deutlich noch zu sehen
Der Tritte Spur, die sie verlöschet fast;
Es scheint ein Pfad darüber hin zu gehen.
Und dort am Abhang war ein Ort der Rast,
Dort nahm er Nahrung ein, dort Hierschalen!
Wer war, wer ist der grausen Wildniss Gast?
Und spähend, lauschend schritt ich auf Hem kahlen
Gesims einher zum andern Felsenhaupte,
Das zugewendet liegt den Morgenstrahlen.
Und wie ich, der ich ganz mich einsam glaubte,
Erklomm die letzte von den Schieferstiegen,
Die mir die Ansicht von dem Abhang raubte,
Da sah ich einen Greisen vor mir liegen,
Wohl hundert .fahre, möcht’ ich schätzen, alt,
Dess Züge, schien es, wie im Tode schwiegen.
Nackt, langgestreckt die riesige Gestalt,
Von Bart und Haupthaar abwärts zu den Lenden
Den hagern Leib mit Silberglanz umwallt.
Das Haupt getragen von des Felsen Wänden,
Im starren Antlitz Kuh’, die breite Brust
Bedeckt mit über’s Kreuz gelegten Händen.
Und wie entsetzt, mit schauerlicher Lust
Ich unverwandt das grosse Bild betrachte,
Entflossen mir die Thränen unbewusst.
— 168 —
Als endlich, wie aus Starrkrampf, ich erwachte,
Entbot ich zu der Stelle die Gefährten,
Die bald mein lauter Ruf zusammenbrachte.
Sie lärmend herwärts ihre Schritte kehrten,
End stellten, bald verstummend sich zum Kreis,
Die fromm die Feier solchen Anblicks ehrten.
Und seht, noch reget sich, noch athmet leis,
Noch schlägt die müden Augen auf und hebt
Das Haupt empor der wundersame Greis.
Er schaut uns zweifelnd, staunend an, bestrebt
Sich noch zu sprechen mit erstorb’nem Munde, —
Umsonst, er sinkt zurück, er hat gelebt.
Es sprach der Arzt, bemüh’ nd in dieser Stunde
Sich um den Leichnam noch: „es ist vorbei.“
Wir aber standen betend in der Runde.
Es lagen da der Schiefertafeln drei
Mit eingeritzter Schrift: mir ward zu Theile
Der Nachlass von dem Sohn der Wüstenei.
Und wie ich bei den Schriften mich verweile.
Die rein in span’scher Zunge sind geschrieben,
Gebot ein Schuss vom Schiffe her uns Eile.
Ein zweiter Schuss und bald ein dritter trieben
Von dannen uns mit Hast zu unfern Booten:
Wie dort er lag, ist liegen er geblieben.
Es dient der Stein, worauf er litt, dem Todten
Zur Ruhestätte, wie zum Monumente,
Und Friede sei dir, Schmerze^isöhn, entboten!
Die Hülle giebst du hin dem Elemente,
Allnächtlich strahlend über dir entzünden
Des Kreuzes Sterne sich am Firmamente,
Und, was du littest, wird dein Lied verkünden.
2. Die erste Schiefertafel.
Mir ward von Freud’ und Stolz die Brust geschwellt,
Ich sah bereits im Geiste hoch vor mir
Gehäuft die Schätze der gelammten Welt.
Der Edelsteine Licht, der Perlen Zier,
Und der Gewänder Indiens reichste Pracht,
Die legt’ ich alle nur zu Füssen ihr.
Das Gold, den Mammon, diese Erdenmacht,
An welcher sich das Alter liebt zu sonnen,
Ich hatt’s dem grauen Vater dargebracht.
Und selber hatt’ ich Ruhe mir gewonnen,
Gekühlt der thatendurst’gen Jugend Gluth,
Und war geduldig worden und besonnen.
169
Sie schalt nicht fürder mein zu rasches Blut;
Ich wärmte mich an ihres Herzens Schlägen,
Von ihren weichen Armen sanft umruht.
Es sprach der Vater über uns den Segen;
Ich fand den Himmel in des Hauses Schranken,
Und fühlte keinen Wunsch lieh fürder regen.
So wehten thöricht vorwärts die Gedanken;
Ich aber lag auf dem Verdeck zur Nacht,
Und sah die Sterne durch das Tauwerk schwanken.
Ich ward vom Wind mit Kühlung angefacht,
Der so die Segel spannte, dass wir kaum
Den flücht'gen Weg je schnellern Laufs gemacht.
Da schreckte mich ein Stoss aus meinem Traum,
Erdröhnend durch das schwache Bretterhaus;
Ein Wehruf hallte aus dem untern Raum.
Ein zweiter Stofs, ein dritter! krachend aus
Den Eugen riss das Planken werk, die Welle
Schlug schäumend ein und endete den Graus.
Verlorner Schwimmer in der Brandung Schwelle,
Noch rang ich jugendkräftig mit den Wogen,
Und sah noch über mir die Sternenhelle.
Da fühlt' ich in den Abgrund mich gezogen,
Und wieder aufwärts fühlt’ ich mich gehoben,
Und schaute einmal noch des Himmels Bogen.
Dann bxach die Kraft in der Gewässer Toben;
Ich übergab dem Tod mich in der Tiefe
Und sagte Lebewohl dem Tag dort oben.
Da schien mir, dass in tiefem Schlaf ich schliefe,
Und sei mir aufzuwachen nicht verliehen,
Obgleich die Stimme mir’s im Innern riefe.
Ich rang mich solchem Schlafe zu entziehen,
Und ich besann mich, schaut' umher, und fand,
Es habe hier das Meer mich ausgefpieen.
Und wie vom Todes schlaf ich ’Auferstand,
Bemüht’ ich mich, die Höhe zu ersteigen,
Um zu erkunden dies mein Rettungsland.
Da wollten Meer und Himmel nur lieh zeigen.
Die diesen einsam nackten Stein umwanden,
Dem nackt und einsam selbst ich fiel zu eigen.
Wo dort mit voller Wuth die Wellen branden,
Auf fernem Riffe war das Wrack zu sehen,
Woselbst es lange Jahre noch gestanden.
Mir unerreichbar! — und des Windes Wehen,
Der Strom, entftlhren seewärts weiter fort
Des Schiffbruchs Trümmer, welcher dort geschehen.
170
Ich aber dachte: nicht an solchem Ort
Wirst lange die Gefährten du beneiden,
Die früher ihr Geschick ereilte dort.
Nicht also, — mich, es will nur mich vermeiden!
Der Vögel Eier reichen hier allein
Mein Leben zu verlängern und mein Leiden.
Selbander leb’ ich so mit meiner Pein
Und kratze mit den scharfen Muschelscherben
Auf diesen mehr als ich geduld'gen Stein:
„Ich bin noch ohne Hoffnung bald zu sterben.“
3. Die andere Schiefertafel.
Ich fass vor Sonnenaufgang an dem Strande;
Das Sternenkreuz verkündete den Tag,
Sich neigend zu des Horizontes Lande.
Und noch gehüllt in tiefes Dunkel lag
Vor mir der Osten, leuchtend nur entrollte
Zu meinen Füssen sich der Wellenschlag.
Mir war, als ob die Nacht nicht enden wollte;
Mein starrer Blick lag auf des Meeres Saum,
Wo bald die Sonne sich erheben sollte.
Die Vögel auf den Nestern, wie im Traum,
Erhoben ihre Stimmen; blass und blasser
Erlosch der Schimmer in der Brandung Schaum;
Es sonderte die Luft sich von dem Wasser,
In tiefem Blau verschwand der Sterne Chor;
Ich kniet’ in Andacht und mein Aug' ward nasser.
Nun trat die Pracht der Sonne selbst hervor,
Die Freude noch in wunde Herzen senkt;
Ich richtete zu ihr den Blick empor.
Ein Schiff! ein Schiff! mit vollen Segeln lenkt
Es herwärts seinen Lauf, mit vollem Winde;
Noch lebt ein Gott, der meines Elends denkt!
0 Gott der Liebe, ja du strafst gelinde,
Kaum hab’ ich dir gebeichtet meine Leu’,
Erbarmen übst du schon an deinem Kinde;
Du öffnest mir das Grab und führst auf’s neu’
Zu Menschen mich, sie an mein Herz zu drücken,
Zu leben und zu lieben warm und treu.
Und oben von der Klippe höchstem Kücken,
Betrachtend scharf das Fahrzeug, ward ich bleich,
Noch musste mir bemerkt zu werden glücken.
Es wuchs das hergetrag’ne Schiff, zugleich
Die Angst in meinem Busen namenlos;
Es galt des Fernrohrs möglichem Bereich.
171
Nicht Rauch; nicht Flaggentuch! so bar und bloss,
Die Arme nur vermögend auszubreiten!
Du kennst, bannherz’ger Gott, du suhlst mein Loos!
Und ruhig sah ich her das Fahrzeug gleiten
Mit ■windgeschwellten Segeln auf den Wogen,
Und schwinden zwischen ihm und mir die Weiten.
Und jetzt —! es hat mein Ohr mich nicht betrogen,
Des Meisters Pfeife war’s, vom Wind getragen,
Die wohl ich gier'gen Durstes eingesogen.
Wie wirst du erst, den feit so langen Tagen
Entbehrt ich habe, wonnereicher Laut
Der Menfehenred1, ans alte Herz mir schlagen!
Sie haben mich, die Klippe doch erschaut,
Sie rücken an die Segel, im Begriff
Den Lauf zu ändern. — Gott, dem ich vertraut!
Nach Süden — — ? wohl! sie müssen ja das Riff
Umfahren, fern sich halten von der Brandung.
0 gleite sicher, hoffnungschweres Schiff!
Jetzt wär' es an der Zeit! o meine Ahndung!
Blickt her! blickt her! legt bei! fetzt aus das Boot!
Dort unterm Winde, dort versucht die Landung!
Und ruhig vorwärts strebend war das Boot
Nicht ausgesetzt, nicht liess es ab zu gleiten,
Es wusst’ gefühllos nichts von meiner Noth.
Und ruhig sah ich hin das Fahrzeug gleiten,
Mit windgeschwellten Segeln auf den Wogen,
Und wachsen zwischen ihm und mir die Weiten.
Und als es meinem Blicke sich entzogen,
Der’s noch im leeren Blau vergebens sucht,
Und ich verhöhnt mich wusste und belogen:
Da hab' ich meinem Gott und mir geflucht,
Und an den Felsen meine Stirne schlagend,
Gewüthet sinnverwirret und verrucht.
Drei Tag’ und Nächte lag ich so verzagend,
Wie Einer, den der Wahnsinn hat gebunden,
Im grimmen Zorn am eignen Herzen nagend;
Und hab’ am dritten Thränen erst gefunden,
Und endlich es vermocht, mich aufzuraffen,
Vom allgewaltigen Hunger überwunden,
Um meinem Leibe Nahrung zu verschaffen.
4. Die letzte Schiefertafel.
Geduld! Die Sonne steigt im Osten auf,
Sie sinkt im Westen zu des Meeres Plan,
Sie hat vollendet eines Tages Lauf.
172
Geduld! Nach Süden wirft auf ihrer Bahn
Sie jetzt bald wieder senkrecht meinen Schatten;
Ein Jahr ist um, es fängt ein and'res an.
Geduld! Die Jahre ziehen ohn' Ermatten,
Nur grub für sie kein Kreuz mehr deine Hand,
Seit ihrer fünfzig sich gereihet hatten.
Geduld! Du harrest stumm am Meeresrand,
Und blickest starr in öde blaue Feme,
Und lauschst dem Wellenschlag am Felsen strand.
Geduld! Lass kreisen Sonne, Mond und Sterne,
. Und Regenschauer mit der Sonnengluth
Abwechseln über dir; Geduld erlerne!
Ein Leichtes ist’s, der Elemente Wuth
Im hellen Tagesscheine zu ertragen.
Bei regem Augenlicht und wachem Muth.
Allein der Schlaf, darin uns Träume plagen,
Und mehr die schlaflos lange bange Nacht,
Darin sie aus dem Hirn hinaus sich wagen:
Sie halten grausig neben uns die Wacht
Und reden Worte, welche Wahnsinn locken; —
Hinweg! hinweg! wer gab euch solche Macht?
Was schüttelst du im Winde deine Locken?
Ich kenne dich, du rascher wilder Knabe,
Ich seh' dich an, und meine Pulse stocken.
Du bist ich selbst, wie ich gestrebet habe
In meiner Hoffnung Wahn vor grauen Jahren,
Ich bin du selbst, das Bild auf deinem Grabe.
Was sprichst du noch vom Schönen, Guten, Wahren,
Von Lieb' und Hass, von Thatendurst? du Thor!
Sieh' her, ich bin, was deine Träume waren.
Und führest wiederum mir diese vor?
Lass ab, o Weib, ich habe längst verzichtet,
Du hauchst aus Aschen noch die Gluth empor!
Nicht so den süssen Blick auf mich gerichtet!
Das Licht der Augen und der Stimme Laut,
Es hat der Tod ja alles schon vernichtet.
Aus deinem hohlen morschen Schädel schaut
Kein solcher Himmel mehr voll Seligkeit;
Versunken ist die Welt, der ich vertraut.
Ich habe nur die allgewalt’ge Zeit
Auf diesem öden Felsen überragt
In grausenhafter Abgeschiedenheit.
Was, Bilder ihr des Lebens, widersagt
Ihr dem, der schon den Todten angehöret?
Zerfliesset in das Nichts zurück, es tagt!
L
— 173 —
Steig’ auf, o Sonne, deren Schein beschwöret
Zur Kuh’ den Aufruhr dieser Nachtgenossen,
Und ende du den Kampf, der mich zerstöret.
Sie bricht hervor, und jene lind zerflossen. —
Ich bin mit mir allein und halte wieder
Die Kinder meines Hirns in mir verschlossen.
0 tragt noch heut', ihr altersstarren Glieder,
Mich dort hinunter, wo die Nester liegen;
Ich lege bald zur letzten Hast euch nieder.
Verwehrt ihr, meinem Willen euch zu schmiegen,
Wo machtlos inn re (Qualen sich erprobt,
Wird endlich, endlich doch der Hunger siegen.
Es hat der Sturm im Herzen ausgetobt,
Und hier, wo ich gelitten und gerungen,
Hier hab’ ich auszuathmen auch gelobt.
Lass, Herr, durch den ich selber mich bezwungen,
Nicht Schiff und Menschen diesen Stein erreichen,.
Bevor mein letzter Klagelaut verklungen.
Lass klanglos mich und friedsam hier erbleichen;
Was frommte mir annoch in später Stunde .
Zu wandeln, eine Leiche über Leichen?
Sie schlummern in der Erde kühlem Grunde,
Die meinen Eintritt in die Welt begriffst,
Und längst verschollen ist von mir die Kunde.
Ich habe, Herr, gelitten und gebüsst, —
Doch fremd zu wallen in der Heimath — nein!
Durch Wermuth wird das Bittre nicht versüsst.
Lass weltverlassen sterben mich allein,
Und nur auf deine Gnade noch vertrauen;
Von deinem Himmel wird auf mein Gebein
Das Sternbild deines Kreuzes nieder schauen. Cliamisso.
139. Die Kreuzschau.
Der Pilger, der die Höhen überstiegen,
Sah jenseits schon das ausgespannte Thal
In Abendgluth vor seinen Füssen liegen.
Auf duft’ge» Gras, im milden Sonnenstrahl
Streckt’ er ermattet sich zur Kühe nieder,
Indem er seinem Schöpfer sich befahl.
Ihm fielen zu die matten Augenlider,
Doch seinen wachen Geist enthob ein Traum
Der ird’sehen Hülle seiner trägen Glieder.
Der Schild der Sonne ward im Himmelsraum
Zu Gottes Angesicht, das Firmament
Zu seinem Kleid, das Land zu dessen Saum.
174
„Du wirst dem, dessen Herz dich Vater nennt,
Nicht, Herr, im Zorn entziehen deinen Frieden,
Wenn feine Schwächen er vor dir bekennt.
Dass, wen ein Weib gebar, fein Kreuz hienieden
Auch duldend tragen muss, ich weiss es lange,
Doch sind der Menschen Last und Leid verschieden.
Mein Kreuz ist allzu schwer; sieh', ich verlange
Die Last nur angemessen meiner Kraft;
Ich unterliege, Herr, zu hartem Zwange.“
Wie so er sprach zum Höchsten kinderhaft,
Kam brausend her der Sturm, und es geschah,
Dass aufwärts er sich fühlte hingerafft.
Und wie er Boden fasste, fand er da
Sich einsam in der Mitte räum’ger Hallen,
Wo ringsum sonder Zahl er Kreuze sah.
Und eine Stimme hört' er dröhnend hallen:
Hier aufgespeichert ist das Leid; du hast
Zu wählen unter diesen Kreuzen allen.
Versuchend ging er da, unschlüssig fast,
Von einem Kreuz zum anderen umher,
Sich auszuprüfen die bequem're Last.
Dies Kreuz war ihm zu gross und das zu schwer,
So schwer und gross war jenes andre nicht,
Doch scharf von Kanten drückt1 es desto mehr.
Das dort, das warf wie Gold ein gleissend Licht,
Das lockt' ihn, unversucht es nicht zu lassen;
Dem goldnen Glanz entsprach auch das Gewicht.
Er mochte dieses heben, jenes fassen,
Zu keinem neigte noch sich feine Wahl,
Es wollte keines, keines für ihn passen.
Durchmustert hatt1 er schon die ganze Zahl —
Verlor’ne Müh1! vergebens war’s geschehen!
Durchmustern musst1 er sie zum andern Mal.
Und nun gewahrt1 er, früher übersehen,
Ein Kreuz, das leidlicher ihm schien zu fein,
Und bei dem einen blieb er endlich stehen.
Ein schlichtes .Marterholz, nicht leicht, allein
Ihm passlich und gerecht nach Kraft und Mals:
Herr, rief er, so du willst, dies Kreuz fei mein!
Und wie er’s prüfend mit den Augen mafs —
Es war dasselbe, das er sonst getragen,
Wogegen er zu murren sich vermal«.
Er lud es auf und trug’s nun sonder Klagen.
Cliainisso.
175
140. Der Szekler Landtag.
Ich will mich für das Faktum nicht verbürgen,
Ich trag' es vor, wie icli's geschrieben fand,
Schlagt die Geschichte nach von Siebenbürgen.
Als einst der Sichel reif der Weizen stand
ln der Gespannschaft Szekl, da kam ein Regen,’
Wovor des Landmanns schönste Hoffnung schwand.
Es wollte nicht der böse West sich legen,
Es regnete der Regen alle Tage,
Und auf dem Feld verdarb der Gottessegen.
Gehört des Volkes laut erhob'ne Klage,
Gefiel es, einen Landtag auszuschreiben,
Um Rath zu halten über diese Plage.
Die Landesboten liessen sich nicht treiben,
Sie kamen gern, entschlossen, gut zu tagen
Und Satzungen und Bräuchen treu zu bleiben.
Da wurde denn, nach bräuchlichen Gelagen,
Der Tag eröffnet, und mit Ernst und Kraft
Der Fall dem Landesmarschall vorgetragen:
Und nun, hochmögende Genossenschaft,
Weiss Einer Rath? Wer ist es, der zur Stunde
Die Ernte trocken in die Scheune schafft?
Es herrschte tiefes Schweigen in der Runde;
Doch nahm zuletzt das Wort ein würd’ger Greise
Und sprach gewichtig mit beredtem Munde:
Der Fall ist ernst, mit nichten wär’ es weife,
Mit übereiltem Rathschluss einzugreifen;
Wir handeln nicht unüberlegter Weife.
Drum ist mein Antrag, ohne weit zu schweifen:
Lasst uns auf nächsten Samstag uns vertagen;
Die Zeit bringt Rath, sie wird die Sache reifen.
Beschlossen ward, worauf er angetragen.
Die Frist verstrich bei ew’gen Regenschauern,
Hinbrüten drauf und bräuchlichen Gelagen;
Der Samstag kam und sah dieselben Mauern
Umfassen noch des Landes Rath und Hort,
Und sah den leid'gen Regen ewig dauern.
Der Landesmarschall sprach ein ernstes Wort:
Hochmögende, nun thut nach eurer Pflicht,
Ihr seht, der Regen regnet ewig fort.
Wer ist es, der das Wort der Weisheit spricht?
Wer bringt in unsres Sinnens düst’re Nacht
Das lang erwartete, begehrte Licht?
176
Zur That! ihr habt erwogen und bedacht.
Ich wende mich zuerst an diesen Alten,
Dess Scharfsinn einmal schon uns Trost gebracht:
Ehrwürd’ger Greis, lass deine Weisheit walten.
Der stand und sprach: ich bin ein alter Mann,
Ich will euch meinen Rath nicht vorenthalten.
Wir seh’n es vierzehn Tage noch mit an,
Und hat der Regen dann nicht aufgehört,
Gut! regn' es denn, so lang es will und kann.
Er schwieg, es schwiegen, die das Wort gehört,
Noch eine Weile staunend, dann erscholl
Des Beifalls Jubel-Nachklang ungestört.
Einstimmig, heisst es in dem Protokoll,
Einstimmig ward der Rathschluss angenommen,
Der nun Gesetzeskraft behalten soll.
So schloss ein Szekler Landtag, der zum Frommen
Des Landes Weiseres vielleicht gerathen,
Als mancher, dessen Preis auf uns gekommen.
So wie die Väter, stolz auf ihre Thaten,
Nach bräuchlichen Gelagen heimgekehrt,
Erschien die Sonne, trockneten die Saaten,
Und schwankten heim die Wagen goldbeschwert
Chamisso.
141. Erzengel Michaels Feder.
Legende.
Es war ein Kaufherr zu Heilbronn,
Fürwahr ein halber Salomen;
Mit seinen Thalern hätt’ man mögen
Den Markt wohl zwiefach pflastern und legen;
Zwar seines Glaubens nur ein Jüd,
Jedoch ein ächt und fromm Gemüth,
Machte manchen Christenbettler satt.
Er hatte drei Häuser in der Stadt;
sndess er selbst das ganze Jahr,
Oft über Meer, verreiset war.
Weil aber in guter Christen Mitte
Sein Volk damals viel Tort erlitte,
Liess Herr Aaron seiner Frauen
Auf dem Land ein Schiösslein bauen,
Ringsum mit Wiesen, See und Wald,
Zur Sommerszeit ein Aufenthalt.
Zu all' dem sah sein jung Gemahl
Nur wie das Klagweib im Hochzeitsaal,
177
( ring weder fischen, weder jagen,
Liess sich auch nicht vom Maulthier tragen
Durch Berg und Wald, das Dorf entlang,
Wollte kein Saitenspiel noch Gelang:
Denn ihr einzig Kind, ein Mägdlein zart,
Wie Fürstenblut so schön von Art,
War leider taub imd stumm geboren,
Auch Kunst und Hoffnung ganz verloren.
Als nun das Mägdlein endlich gross,
Einer Lilie gleich aufschoss,
Ging es und ritte manches Mal
Ohne Diener durch’s Wiesenthal.
Dann sprachen die Leute insgemein:
„Seht da, des Sultans Töchterlein!“
War weiss von Haut und schwarz von Haar,
Mit Ringeln deckt's den Nacken gar.
Ihr Auge, hell und lauter ganz,
Sah munter drein beim Schäfertanz;
Ihr rother Mund zwar red te nicht,
Konnt’ aber lachen inniglich.
Einstmals schön Rahei fass allein
Beim Birkenwald am grünen Rain,
Dacht’ einem Traumgesichte nach,
Darin ihr Gott der Herr versprach,
Treu und wahrhaft durch Engelsmund:
Sie sollte werden ganz gesund,
Wenn sie ihm thäte dies und das —
Sie wusste leider nicht mehr was?
Hätt’ sie’s gewusst, sie könnt’s nicht sagen,
Müsst’ es ewig bei ihr felbsten tragen.
Das siel ihr nun aufs Herz so schwer,
Dass sie seufzet laut und weinet sehr.
Nun kam den Pfad ein Büblein her,
Dem war die Rahei wohlgesinnt;
Es war des Juden Pächters Kind,
Kam von der Synagoge warm,
Hatt’ Buch und Täilein unterm Arm.
Sie macht ihm Platz an ihrer Rechten,
Lehrt ihn ein lustig Kränzlein flechten,
Am Bach da hatt’s der Blumen viel.
Der Tag war aber gar zu schwül;
Der Knabe nickt, dann schläft er ein,
Schön Rahei sitzt für sich allein.
Roquette, Deutsches Lesebuch. 1. 12
178
Sie kriegt des Knaben Buch zur Hand,
Davon sie leider nichts verstand;
Sie nimmt das Täflein auf den Schools,
Da wurden ihr die Thränen los.
Mit Händen deckt sie ihr Gesicht,
Sie heft im Stillen und weiss es nicht.
Und wie sie wieder aufgeblickt,
Ein frisches Aug’ in’s Blaue schickt —
Vom Michelsberg was blinkt so hell,
Als wie das Kreuz auf der KapelT ?
Streicht es nicht durch die Luft daher?
Kommt es nicht nah und immer mehr?
Ein Vogel, ei! ein Schwälblein hold,
Im Schnabel hass ein klares Gold.
Der Jungfrau legt’s, o Wunder, sieh'!
Eine güldene Feder auf ihr Knie,
Fliegt auf den nächsten Erlenbaum:
Der Jungfrau ist es als ein Traum.
Wie wird es ihr im Geist so licht! *
Sie weiss ihr ganzes Traumgesicht!
Ihr klinget, was der Engel sprach,
Hell, wie Gesang, im Herzen nach.
Im Taumelsinn, in seliger Hast,
Hat sie den güldnen Kiel gefasst:
Er lebt und schreibt, kaum hält sie ihn,
So rasch gehfs über’s Täflein hin,
Mit goldiger Hebräerschrift,
Wohl feiner denn mit Schieferstift:
„Schön Rahei! Friede sei mit dir!
Der ewig Vater griffst dich hier,
Will lösen deiner Zunge Band,
Aufthun dein Ohr mit seiner Hand,
So du mit Vater und Mutter dein
Dem Heiland willt zu eigen sein.“
Die Feder ruht; das Schwälblein keck
Fliegt ab dem Baum und nimmt sie weg,
Und auf und fort in einem Nu
Dem Michelsberg da wieder zu.
Indessen war der Knab’ erwacht,
Nahm auch das Wunder wohl in Acht.
Die Jungfrau winkt ihm aufzuftehn,
Alle Beide stumm nach Haufe gehn.
Wie sie noch wenig Schritt vom Hofe,
Entgegen rennet schon die Zofe,
S
— 179 —
Bedeutend, dass der Vater kommen.
Von tausend Freuden überkommen
Jetzt eilet das glückselig Kind
In’s Haus noch zehnmal so geschwind.
Herr Aaron stund just in der Thür’,
Fasst sie am Arm, sie zittert schier,
Und Thränen, so sonst nicht sein' Art,
Ihm mächtig tropfen in den Bart.
Sie dringet ihm das Täflein auf;
Dann eilet sie in Einem Lauf,
Holt ihre Mutter in den Saal,
Herzet und küsst sie tausendmal,
Winket des Pächters Kind herbei,
Das sagt, was all’ geschehen, frei.
Der Alte liest und staunt und schweigt,
Seiner Frauen das Wunder reicht,
Und murmelt für sich unbewusst;
Schlägt dann laut an feine Brust,
Und ruft: „Dein Knecht, Herr, ist nicht werth,
Dass ihm so Grosses widerfährt:
Ich seufzet’ oft in Nächten tief
Nach deines Sohnes Heil und rief;
Doch Zweifels Angst und Spott der Welt
Hat mir so theures Licht verstellt.
Ich war verstecket, taub und blind:
Muss mich noch retten, mein armes Kind!
Dafür fei Preis und Ehre dein!
Lass mich jetzt auch der Erste fein,
So brünstig dir, Herr Jesu Christ,
Weh! die durchgrabnen Füsse küsst!
Und wie, zu deinem Stern gewandt,
Drei Könige aus Morgenland
Dir brachten Myrrhen, Weihrauch, Gold:
Vergönne, dass dein Knecht dir zollt.
Was Alles du feit so viel Jahren
Durch ihn der Kirche wollen sparen!
0 du, an deines Sohnes Seite,
Vertritt uns, Mutter, benedeite!“
So sprach Herr Aaron jeden Tag;
Hört an, was weiter werden mag.
Zu Pfingsten, früh vor Tage schon,
Zieht gross und lang eine Procession
Mit hellen Kerzen ohne Zahl
Langsam dahin durch’s grüne Thal,
ir
180
Söhne und Töchter Israel,
Zum Berg des Engels Michael.
Zuvorderst that Herr Aaron gehn
Mit seiner Frauen und Rahei schön;
Kam hierauf seine Dienerschaft,
Lobpreisend Gottes Wunderkraft,
Aber zuletzt, in langen Reihn,
An die zweihundert von seiner Gemein;
Die kamen nicht, zu sehn und zu gaffen,
Sondern geschlagen von Gottes Waffen,
Wollten sich alle taufen lassen.
Das Kirchlein nicht ein Drittel fasst
Der Meng1, so an den Pforten passt.
Jetzo die Orgel hell erklingt,
Man freudig Hallelujah singt.
Dann voller Demuth, holder Sitte
Schön Rahei vor den Taufstein schritte.
Ihr Haupt gebeuget und ihr Knie
Empfanget Bad und Segen sie.
Und als der Priester feierlich
Sprach: Gotteskind, ich taufe dich,
So jetzo Dorothea heisst,
Auf Vater Sohn und heiligen Geist:
Glaubst du an des Dreieinigen Namen?
Schön Dorothe1 sprach: Ja und Amen.
Mörike.
142. Der Tod des Tiberius.
Bei Cap Misenum winkt’ ein fürstlich Haus
Aus Lorbeerwipfeln zu des Meeres Küsten,
Mit Säulengängen, Mosaiken, Büsten,
Und jedem Prunkgeräth zu Fest und Schmaus.
Oft sah es nächtlicher Gelage Glanz,
Wo lock'ge Knaben, Epheu um die Stirnen,
Mit Bechern flogen, silberfüssige Dirnen
Den Thyrfus schwangen in berauschtem Tanz,
Und Jauchzen scholl, Gelächter, Saitenspiel,
Bis auf die Gärten rings der Früh thau fiel.
Doch heut1, wie stumm das Haus! Nur hier und dort
Ein Fenster hell. — Und wo die Säulen düstern,
Wogt am Portal der Sklaven Schwarm mit Flüstern;
Es kommen Sänften; Boten sprengen fort;
L
— 181 —
Und jedesmal dann zuckt umher im Kreise
Ein Fragen, das nur scheu um Antwort wirbt:
„Was sagt der Arzt? Wie steht es?“ — Leise, leise!
Zu Ende geht’s, der greise Tiger stirbt.
Bei matter Ampeln Zwielicht droben lag
Der kranke Cäsar auf den Purpurkissen.
Sein fahl Gesicht, von Schwären wild zerrissen,
Erschien noch grauser heut, als sonst es pflag.
Hohl glomm das Auge. Durch die Schläfe wallte
Des Fiebers Gluth, dass jede Ader schlug;
Niemand war bei ihm, als der Arzt, der Alte,
Und Macro, der des Hauses Schlüssel trug. I
Und jetzt mit halbersticktem Schreckensruf
Aus seinen Decken fuhr empor der Sieche,
Hochauf sich bäumend: Schaff mir Kühlung, Grieche!
Eis! Eis! Im Busen trag' ich den Vesuv.
0 wie das brennt! doch grimmer brennt das Denken
Im Haupt mir; ich verfluch1 es tausendmal
Und kann's doch lassen nicht zu meiner Qual!
0 gieb mir Lethe, Lethe, mich zu tränken!
Umsonst! Dort wälzt sich’s wieder schon heran
Wie Rauchgewölk und ballt sich zu Gestalten —
Sieh’, von den Wunden heben sie die Falten,
Und starren mich gebrochnen Auges an,
Germajaicus, und Drusus, und Sejan —
Wer rief euch her! Kann euch das Grab nicht halten?
Was saugt ihr mit dem Leichenblick, dem stieren,
An meinem Blut und dörrt mir - das Gebein ?
’s ist wahr, ich tödtet’ euch; doch musst’ es fein.
Wer hiess im Würfelspiel euch auch verlieren! • |
Hinweg! — Weh mir! Wann endet diese Pein!
Der Arzt bot ihm den Kelch? er sog ihn leer
Und sank zurück in tödtlichem Ermatten;
Dann, aus den Kissen, blickt’ er scheu umher
Und frug verstört: Nicht wahr? Du siehst nichts mehr?
Fort sind sie, fort, die fürchterlichen Schatten. —
Vielleicht auch war’8 nur Dunst. — Doch glaube mir,
Sie kamen oft schon Nachts, und wie sie quälen,
Das weiss nur ich. — Doch still! — Komm’, setz’ dich hier
Nah, nah; von andern» will ich dir erzählen.
Auch ich war jung einst, traut’ auf meinen Stern, „
Und glaubt’ an Menschen. Doch der Wahn der Jugend
Zerstob zu bald nur, und, in’s Innre lugend,
Verfault erfand ich alles Wesens Kern.
'
182
Da war kein Ding so hock und bar der Küge,
Der Wurm fass drin; aus jeder Grossthat sahn
Der Selbstsucht Züge mich versteinernd an,
Lieh’, Ehre, Tugend, alles Schein und Lüge!
Nichts unterschied vom reissenden Gethier
Dies Kothgeschlecht, als im ehrlosen Munde
Der Falschheit Honig und im Herzensgründe
Die gross're Feigheit und die wildre Gier.
Wo war ein Freund, der nicht den Freund verrieth?
Ein Bruder, der nicht Brudermord gestiftet?
Ein Weib, das lächelnd nicht den Mann vergiftet?
Nichtswürdig alle — stets dasselbe Lied.
Da ward auch ich wie sie. Und weil nur Schrecken
Sie zähmte, lernt' ich Schrecken zu erwecken;
Und Krieg mit ihnen fuhrt’ ich. Zum Genuss
Ward ihre Qual mir, ihr verendend Röcheln.
Ich schritt in’s Blut hinein bis zu den Knöcheln —
Doch auch das Grausen wird zum Ueberdruss.
Und jetzt, nur noch gequält vom Strahl des Lichts,
Matt, trostlos, reulos starr’ ich in das Nichts.
Sein Wort ging tonlos aus; er keuchte leis
Im Krampf, von seinen Schläfen floss der Schweifs,
Und grass verstellt, wie eine Larve, sah
Sein blutlos Antlitz. Zu des Lagers Stufen
Trat Macro da : Soll ich den Cajus rufen,
Herr, deinen Enkel, den Oaligula?
Du bist sehr krank —
Doch jener: Schlange, falle
Mein Fluch auf dich! Was geht dich Cajus an!
Noch leb’ ich, Mensch. Und Cajus ist wie alle,
Ein Narr, ein Schurk’, ein Lügner, nur kein Mann!
Und wär’ er’s, frommt’ es nicht; kein Held verjüngt
Rom und die Welt, wie er mit Blut sie düngt.
Wenn’s Götter gab’, auf diesem Berg der Scherben
Vermöcht’ ein Gott selbst nicht mehr Frucht zu ziehn;
Und nun der blöde Knab’! Nein, nein, nicht ihn,
Die Rachegeister, welche mich verderben,
Die Furien, die der Abgrund ausgespien,
Sie und das Chaos fetz’ ich ein zu Erben.
Für sie dies Scepter! —
Und im Schlafgewand
Jach sprang er auf, und wie die Glieder flogen
Im Todesschweifs, riss er vom Fensterbogen
Den Vorhang fort, und warf mit irrer Hand
183
Hinaus den Stab der Herrschaft in die Nacht.
Dann schlug er sinnlos hin.
Im Hofe stand
In sich vertieft ein Kriegsknecht auf der Wacht,
Blondbärtig, hoch. Zu dessen Füssen rollte
Des Scepters rundes Elfenbein und sprang
Vom glatten Marmorgrund mit hellem Klang
An ihm empor, als ob’s ihn grüssen wollte.
Er nahm es auf, unwissend, was es fei,
Und sank zurück in seine Träumerei.
Er dacht’ an seinen Wald im Weserthal:
Die düstern Wipfelkronen sah er ragen;
Er sah am Malstein die Genossen tagen,
Blank jedes Wort, wie ihrer Streitaxt Stahl,
Und treu die Hand zum Siegen wie zum Schlagen.
Und an fein liebes Weib gedacht’ er dann;
Er Iah sie sitzen an des Hiittleins Schwelle
Im langen gelben Haar, wie sie, mit Schnelle
Die Spindel wirbelnd, in die Feme sann,
Wohl her zu ihm; uud vor ihr spielt am Rain;
Sein Knabe, der den ersten Speer sich schnitzte,
Und dem so kühn das blaue Auge blitzte,
Als sprach’s: Ein Schwert nur, und die Welt ist mein!
Und plötzlich floss dann — wie, verstand er kaum —
Ein andres Bild in seinen Heimäthstraum;
Vor feine Seele drängt es sich mit Macht,
Wie er dereinst in heissen Morgenlanden
Als Wacht an eines Mannes Kreuz gestanden,
Bei dessen Tod die Sonn’ erlosch in Nacht.
Wohl lag dazwischen manch durchstUrmter Tag,
Doch konnt’ er nie des Dulders Blick vergessen,
Darin ein Leidensabgrund unermessen
Und dennoch alles Segens Fülle lag. —
Und nun — wie kam’s nur? — über seinen Eichen
Sah er dies Kreuz erhöht als Siegeszeichen,
Und seines Volks Geschlechter Iah er ziehn,
Unzählig, stromgleich; über den Gefilden,
Von Waffen wogt’ es, und auf ihren Schilden
Stand jener Mann, und Glorie strahlt um ihn.
Da fuhr er auf. Aus des Palastes Hallen
Kam dumpf Geräusch; der Herr der Welt war todt;
Er aber schaute kühn ins Morgenroth,
Und (ali’s wie einer Zukunft Vorhang wallen. Geihel.
184
143. Der iiebenzigste Geburtstag.
Auf die Postille gebückt, zur Seite des wärmenden Ofens,
Safs der redliche Tamm in dem Lehnstuhl, welcher mit Schnitzwerk
Und braunnarbigem Jucht voll schwellender Haare geziert war:
Tamm, seit vierzig Jahren in Stolp, dem gesegneten Freidorf,
Organist, Schulmeister zugleich, und ehrsamer Küster;
Der fast allen im Dorf, bis auf wenige Greise der Vorzeit,
Einst Taufwasser gereicht, und Sitte gelehrt und Erkenntniss,
Dann zur Trauung gespielt, und hinweg schon manchen gesungen.
Oft nun faltend die Hand’ und oft mit lauterem Nunnein
Las er die tröstenden Sprücli’ und Ermahnungen. Aber allmählich
Starrte fein Blick und er sank in erquickenden Mittagsfcklummer.
Festlich prangte der Greis in gestreifter kalmankener Jacke.
Und bei entglittener Brille und silberfarbenem Haupthaar
Lag auf dem Buche die Mütze von violettenem Sammet,
Mit Fuchspelz verbrämt und geschmückt mit goldener Troddel.
Denn er feierte heute den siebzigsten frohen Geburtstag,
Froh des erlebten Heils. Sein einziger Sohn Zacharias,
Welcher als Kind auf dem Schemel gepredigt und von dem Pfarrer
Ausersehn für die Kirche, mit Noth vollendet die Laufbahn
Durch die lateinische Schul1 und die theure Akademie durch,
Der war jetzt einhellig erwählter Pfarrer in Merlitz,
Und seit kurzem vermählt mit der wirthlichen Tochter des Vorsahrs.
Ferner hatte der Sohn zur Verherrlichung seines Geburtstags
Edlen Taback mit der Fracht und stärkende Weine gesendet,
Auch in dem Briefe gelobt, er selbst und die freundliche Gattin,
Hemmten nicht Hohlweg und verfchneiete (Gründe die Durchfahrt,
Sicherlich kämen sie beide, das Fest mit dem Vater zu feiern,
Und zu empfahn den Segen von ihm und der würdigen Mutter.
Eine versiegelte Flasche mit Rheinwein hatte der Vater
Froh sich gespendet zum Mahl und mit Mütterchen auf die
Gesundheit
Ihres Sohns Zacharias geklingt und der freundlichen Gattin,
Die sie so gerne noch sähen, und Töchterchen nennten, und bald auch
Mütterchen ach! an der Wiege der Enkelin oder des Enkels!
Viel noch sprachen sie fort von Tagen des Grams und der Tröstung,
Und wie sich alles nunmehr auflöf in behagliches Alter:
Gutes gewollt, mit Vertrau'n und Beharrlichkeit, führet zum
Ausgang!
Solches erfuhren wir selbst, du Trauteste, solches der Sohn auch!
Hab1 ich doch immer gesagt, wenn du weintest, Frau, nur geduldig!
Bet1 und vertrau1! Je grösser die Noth, je näher die Rettung!
Schwer ist aller Beginn: wer getrost fortgehet, der kommt an!
185
Feuriger rief es der Greis und las die erbauliche Predigt
Nach, wie den »Sperling ernähr’ und die Lilie kleide der Vater.
Loch der balsamische Trank, der altende, löste dem Alten
Sanft den behaglichen Sinn, und duftete süsse Betäubung.
Mütterchen hatte mit Sorg' ihr freundliches Stübchen gezieret,
Wo von der Schule Geschäft sie ruhten und mit Bewirthung
Rechtliche Gäst’ aufnahmen, den Prediger und den Verwalter:
Hatte gefegt und geuhlt, und mit feinerem Sande gestreut,
Reine Gardinen gehängt tim Fenster und luftigen Alkov,
Mit rothblumigem Teppich gedeckt den eichenen Klapptisch,
Und das bestäubte Gewächs am sonnigen Fenster gereinigt:
Knospende Ros' und Levkoj und spanischen Pfeffer und Goldlack,
Sammt dem grünenden Korb Maililien hinter dem Ofen.
Ringsum blinkten gescheuert die zinnernen Teller und Schüsseln
Auf dem Gesims-, auch hingen ein Paar ftettinifche Krüge
Blaugeblümt an den Pflöcken, die Feuerkieke von Messing,
Lesern und Mangelholz, und die zierliche Elle von Nussbaum.
Aber das grüne Klavier, vom Greise gestimmt und besaitet,
Stand mit bebildertem Deckel und schimmerte; unten befestigt
Hing ein Pedal: es lag auf dem Pult ein offnes Choralbuch;
Auch den eichenen »Schrank mit geflügelten Köpfen und Schnörkeln,
Schraubenförmigen Füssen und Schlüsselschilden von Messing
(Ihre feelige Mutter, die Küsterin, kauft’ ihn zum Brautschatz)
Hatte sie abgestäubt und mit glänzendem Wachse gebohnet.
Oben stand auf Stufen ein Hund und ein züngelnder Löwe,
Heide von Gyps, Trinkgläser mit eingeschliffenen Bildern,
Zwei Theetöpfe von Zinn und irdene Tassen, und Aepfel.
Als sieden Greis wahrnahm, wie er ruhte in athmendem Schlummer,
Stand das Mütterchen auf vom binsenbeflochtenen »Spinnstulil,
Langsam, trippelte dann auf kn irrendem Sande zur Wanduhr
Leis', und knüpfte die Schnur des Schlaggewichts an den Nagel,
Lass ihm den »Schlaf nicht störe das klingende Glas und der Kuckuk.
Jetzo sah sie hinaus, wie die stöbernden Flocken am Fenster
Rieselten, und wie der Ost dort wirbelte, dort in den Eschen
Rauscht’, und der liüpfendenKräh’nFusstritto verweht’ an der »Scheuer.
Lange mit ernstem Gesicht, ihr Haupt und die Hände bewegend:
Stand sie vertieft in Gedanken, und flüsterte halb was sie dachte,
Lieber Gott, wie es stürmt, und der Schnee in den Gründen sich
anhäuft!
Armer, wer jetzt auf Reisen hindurch muss, ferne der Einkehr!
Auch wer, Weib zu erwärmen und Kind, auswandert nach Reisholz,
Hungrig oft und zerlumpt! Kein Mensch wohl jagte bei solchem
Wetter den Hund aus der Thüre, wer seines Viehs sich erbarmet!
1 lennoch kommt mein Söhnchen, das Fest mit dem Vater zu feiern!
Was er wollte, das wollt’ er von Kind auf! Gar zu besonders
186
Wühlt mir das Herz! Und seht, wie die Katz’ auf dem Tritte des Tisches
Schnurrt, und das Pfötchen sich leckt, und Bart und Nacken sich putzet.
Das bedeutet ja Freude, nach aller Vernünftigen Urtheil!
Sprach’s und trat an den Spiegel, die festliche Haube zu ordnen,
Welche der Vater verschob, mit dem Kuss ausgleichend den Zwiespalt;
Denn er leerte das Glas auf die Enkelin, sie auf den Enkel.
Nicht ganz schäme sich meiner die Frau im modischen Kopfzeug!
Dachte sie lei? im Herzen, und lächelte selber der Thorheit.
Neben den schlummernden Greis an der andern Ecke des Tisches
Deckte sie jetzo ein Tuch von fein gemodeltem Drillich,
Stellete dann die Tassen mit zitternden Händen in Ordnung;
Auch die blecherne Do? und darin grossklumpigen Zucker
Trug sie hervor aus dem Schrank, und scheuchte diesummendenFliegen,
Die ihr Mann mit der Klappe verschont zur Wintergesellschaft;
Auch dem Gesims enthob sie ein Paar Thonpfeifen mit Posen,
Grün und roth und legte Taback auf den zinnernen Teller.
Als sie drinnen nunmehr den Empfang der Kinder bereitet,
Ging sie hinaus vorsichtig, damit nicht knarrte der Drücker.
Aus der Gesindestube darauf vom rummelnden Spulrad
Rief sie, die Thür’ halb öffnend, Marie, die geschäftige Hausmagd,
Welche gehaspeltes Garn von der Wand abspulte zum Weben
Hastiges Schwungs, von dem Weber gemahnt und eigenem Ehrgeiz.
Heiser ertönte der Ruf-, und gehemmt war plötzlich der Umschwung:
Flink, lebendige Kohlen, Marie, aus dem Ofen gescharret,
Dicht an die Platte der Wand, die den Lehnstuhl wärmet im Rücken,
Dass ich frisch (denn er schmeckt viel kräftiger) brenne den Kaffee.
Heize mit Kien dann wieder und Torf und büchenem Stammholz
Ohne Geräusch, dass nicht aus dem Schlaf aufwache der Vater.
Sinkt das Feu’r in die Gluth, dann schiebe den knorrigen Klotz nach,
Der in der Nacht fortglimme, dem leidigen Froste zur Abwehr.
Siebzigjährige sind nicht Fröstlinge, wenn sie im Sommer
Gern an der Sonn’ ausruhn, und am wärmenden Ofen im Winter.
Auch für die Kinderchen wohl braucht’ s gründliche Wärme zum
Aufthau1 n.
Und der Ermahnenden folgte Marie und sprach im Herausgehen:
Barsch durchkältet der Ost; wer im Sturm lustreiset, ist unklug;
Nur ein wähliges Paar, wie das unselige, dämmest hindurch wohl.
Wärmenden Trank auch bracht’ ich den Kälberchen heut’ und
den Milchküh’n,
Auch viel wärmende Streu in das Fach. Schönmädchen und Klüming
Brummten am Trog, und leckten die Hand, und liessen sich kraulen.
Sprach1 s; und sobald sie dem Ofen die funkelnden Kohlen entscharret,
Legte sie Teurung hinein und weckte die Gluth mit dem Blasbalg,
Hustend und schimpfte den Rauch, und wischte die thränenden Augen.
Emsig stand an dem Herde das Mütterchen, brannte den Kaffee
187
L
Ueber der Glutb in der Pfänn, und rührte mit dem hölzernen Löffel;
Knatternd schwitzten die Bohnen, und bräunten sich, während
ein dicker
Lüftender Qualm aufdampfte, die Kttch’ und die Diele durchräuchernd.
Sie nun langte die Mühle herab vom Gesimse des Schornsteins,
Schüttete Bohnen daraus und fest mit den Knieen sie zwängend
Hielt sie den Rumpf in der Linken, und drehete munter den Knopf um;
Oft auch hüpfende Bohnen vom Schooss haushälterisch sammelnd,
Goss sie auf graues Papier den grobgemahlenen Kaffee.
Plötzlich hemmte sie nun die rasselnde Mühl' in dem Umlauf;
Und zu Marie, die den Ofen verfpündete, sprach sie gebietend:
Uile, Marie, und sperre den wachsamen Hund in das Backhaus;
Lass, wenn der Schlitten sich naht, das Gebell nicht störe den Vater.
Lenkt auch Thoms an die Karpfen für unseren Sohn und den Pastor,
Ler uns zu Abend beehrt, ihr Lieblingsessen von Alters?
Hol’ er vor dunkler Nacht, sonst geht ihm der kitzliche Fischer
Schwerlich zum Halter hinab. Aus Vorsicht bring' ihm den Beutel.
Wenn er auch trockenes Holz für die Bratgans, die wir gestopfet,
Splitterte! Bring’ ihm das Beil und bedeut’ ihn. Dann im Vorbeigehn
Steig’ auf den Taubensclilag und sieh’, ob der Schlitten nicht ankommt.
Kaum gesagt, so enteilte Marie, die geschäftige Hausmagd,
Nehmend von russichter Mauer das Beil und den maschigen Beutel;
Lockte den treuen Monarch mit Geburtstagsbrocken zum Backhaus
Fern an den Garten hinab und scldoss mit der Kränge den Kerker.
Anfangs kratzte der Dogg’ und winselte; aber sobald er
Wärme roch vom frischen Gebäck des festlichen Brotes,
Sprang er behend auf den Ofen und streckt’ ausruhende Glieder.
Jene lief in die Scheune, wo Thoms mit gewaltiger Arbeit
Häckerling schnitt, denn ihn fror! und sie sägt’ in der Eile den Auftrag.
Splittes Holz für die Gans und hol in dem Beutel den Karpfen,
Thoms, vor dunkler Nacht; sonst geht dir der kitzliche Fischer
Schwerlich zum Hälter hinab, trotz unserem Sohn und dem Pastor.
Thoms antwortete drauf und stellte die Häckerlinglad’ hin:
Splitter, Marie, und Karpfen verschaff ich dir früher denn Noth ist;
Wenn an dem heutigen Tage sich kitzlich zeiget der Fischer,
Treib’ ich den Kitzel ihm aus, und bald ist der Hälter geöffnet.
Also der rüstige Knecht; da rannte sie durch das Gestöber,
Stieg auf den Taubenschlag und pustete, rieb lieh die Hände,
Steckte sie unter das Schürz und schlug sich über die Schultern.
Als sie mit schärferem Blick in des Schnee’s umnebelnden Wirbeln
Spähete, siehe, da kam’s mit verdecktem Gestühl wie ein Schlitten,
Welcher vom Berg in das Thal herklingelte. Schnell von der Leiter
Stieg sie herab, und brachte der emsigen Mutter die Botschaft,
Welche der Milch abschöpfte den Rahm zu festlichem Kaffe:
Mutter, es kommt wie ein Schlitten; ich weiss nicht sicher, doch glaub’ ich!
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Also Marie; da verlor die erschrockene Mutter den Löffel;
Und ihr bebten die Knie’; und sie lief mit klopfendem Herzen
Athemlos; ihr entflog im hastigen Lauf der Pantoffel.
Jene lief zur Pfort und öffnete. Näher und näher
Kam das Gekling und das Klatschen der Peitsch7, und der
Pferde Getrampel.
Nun, nun lenkten herein in den Hofraum die muthigen Rosse
Blankgeschirrt, und der Schlitten mit halb schon offnem Verdeckstuhl
Hielt an der Thür’, und es schnoben, beschneit und dampfend,
die Renner.
Mütterchen rief: Willkommen! daher: Willkommen, ihr Kindlein!
Lebt ihr auch noch ? und reichte die Hand' in den schönen Verdeckstuhl
Lebt in dem grimmigen Ost mein Töchterchen? Dann für sich selber
Nur zu sorgen ermahnt: Lasst, Kinderchen! sprach sie; dem Sturmwind
Wehret das Haus! Ich bin ja vom eisernen Kerne der Vorwelt!
Stets war unser Geschlecht steinalt und Verächter des Wetters;
Aber die jüngere Welt ist zart und scheuet die Zugluft.
Sprach’s und den Sohn, der dem Schlitten entsprang, umarmte sie eilig,
Hüllte das Töchterchen dann aus bärenzottigem Fusssack
Und liebkosete viel mit Kuss und bedauerndem Streicheln;
Zog dann beid’, in der Linken den Sohn, in der Rechten die Tochter,
Rasch in das Haus, dem Gesinde des Fahrzeugs Sorge vertrauend.
Aber wo bleibt mein Vater? Er ist doch gesund am Geburtstag?
Fragte der Sohn. Schnell tuschte mit winkendem Haupte die Mutter:
Still! Das Väterchen hält noch Mittagsschlummer im Lehnstuhl!
Lass mit kindlichem Kuss dein junges Gemahl ihn erwecken;
Dann wird wahr, dass Gott im Schlafe die Seinigen segnet.
Sprach's und führte sie leis’“ in der Schule gesäubertes Zimmer,
Voll von Tisch’ und Gestühl’, Schreibzeug bezifferten Tafeln,
Wo sie an Pflöck’ aushängte die nordische Wintervermummung,
Mäntel mit Flocken geweisst, und der Tochter bewunderten
Leibpelz,
Auch den Flor, der die Wangen geschirmt und das seidene Halstuch,
Und sie umschloss die Enthüllten mit strömender Thräne der Inbrunst:
Tochter und Sohn, willkommen an’s Herz, willkommen noch einmal!
Ihr, uns Altenden Freud’, in Freud’ auch altet und greifet
Stets einmüthigen Sinns, und umwohnt von gedeihenden Kindern!
Nun mag brechen das Auge, da dich wir gesehen im Amtsrock,
Sohn, und dich ihm vermählt, du frisch aufblühendes Herzblatt!
Armes Kind, wie das ganze Gesicht rothglühet vom Ostwind!
0 du Seelengesicht! Denn ich dutze dich, weil du es forderet!
Aber die Stub’ ist warm, und gleich soll der Kaffee bereit sein.
Ihr um den Nacken die Arme geschmiegt liebkoste die Tochter:
Mutter, ich dutze dich auch, wie die leibliche, die mich geboren;
Also geschah’s in der Bibel, da Herz und Zunge vereint war:
189
Denn du gebarst und erzogst mir den wackren Sohn Zacharias,
Iler an Wuchs und Gemüth, wie er sagt, nachartet dem Vater.
Mütterchen, hab' mich lieb: ich will auch artiges Kind fein.
Fröhliches Herz und rothes Gesicht, das hab' ich beständig,
Auch wenn der Ost nicht weht. Mein Väterchen sagte mir oftmals,
Klopfend die Wang’, ich würde noch krank vor lauter Gesundheit.
Jetzo sagte der Sohn, sein Weib darstellend der Mutter:
Mütterchen, nehmt sie auf Glauben. So zart und geschlank wie
sie dasteht,
Ist sie mit Leib und Seel vom edelsten Kerne der Vorwelt.
Hass sie der Mutter nur nicht das Herz abschwatze des Vaters!
Komm' denn, und bringe als Gabe den zärtlichsten Kuss zum
Geburtstag!
Schalkhaft lächelte drob, und sprach die treffliche Gattin:
Nicht zur Geburtstagsgabe! Was besseres bring’ ich im Koffer
Unserem Vater zur Lust und dem Mütterchen ohne dein Wissen!
Sprach’s und fasste dem Manne die Hand; die führende Mutter
Öffnete leise die Thür’ und liess die Kinder hineingehn.
Aber die junge Frau voll Lieb im lächelnden Antlitz,
Hüpfte voraus und küsste den Greis; mit verwunderten Augen
Sah er empor, und hing in der trautesten Kinder Umarmung.
Voss.
144. Der Abendfchmaus.
Pächter:
Führe den Schecken zum Stall und futter’ ihn, Jürgen, mit Haber;
Hoch erst trockne den Schaum, dass er kühl werd’, ehe du tränkest.
0, wie im Sprung, an der Kette, der wackre Hund mich bewillkommt!
Frau:
Ja, und die wackre Frau, mit dem Säuglinge! Küsse mich, Lieber!
Pächter:
Frau und Junge zugleich in die Arme mir! Schäferlieh lauscht ihr
Uhiter dem hangenden Dach der Kastanie, dass ich vorbei sah.
Frau:
Männchen, du bliebst mir so lang’, ich wartete hier mit dem Theetisch.
Sieh, wie der Junge nach dir die Ilünd’ ausstreckt, und dich anlacht!
Pächter:
Kritz, ich kriege dich, piek! Rothbackiger Hube, versteckst dich?
Komm’; ich geb’ dir auch was Prächtiges. Höre, wie schön doch
Nlimpert das Leierchen hier; und es drehen sich oben die Lämmlein.
Frau:
Keige dich hübsch, mein Kind, und streichele: Eya, Papachen!
190
Pächter:
Lass uns hineingehen, Frau," in’s Kühlere! Gebe der Himmel
Uns die Nacht ein Gewitter, das liebe Korn zu erfrischen!
Linsen und Wicken sind gelb, und die Wintersaat auf dem Sandfeld
Nickt mit schmächtigen Aehren, wie nothreif. Aber mein Soldan
Rupfete Gras auf dem Weg', auch schöpfte die Sonne sich Wasser.
Frau:
Auch weissagte der Hahn, und es rieselte Rufs in dem Schornstein.
Hier die versprochene Mütze, die kaum vor dem Kind’ ich gefertigt;
Und, den ich gern eintauschte, der unvergängliche Schlafrock,
Sauber und glatt aus der Wäsche mit wohlgeschildetem Aermel.
Heda, den Stiefelknecht für den Herrn, und die gelben Pantoffeln,
Ilsabe! Flink auch die Pfeif und die Sonntagsdose mit Knaster!
Will mein Männchen noch Thee?
Pächter:
Dank, Mütterchen. Ilsabe schafft mir
Kühlende Buttermilch; denn du hast doch heute gebuttert?
Frau:
Bald den klaren Beweis, bei lockerem Brod und Radieschen!
Setze dich nur wie du pflegst, hausväterlich hier in den Lehnstuhl;
Und in behaglichen Wölkchen erzähle mir etwas von Hamburg:
Ob das Geräusch dich innig gelabt, und verleidet die Landluft;
Ob du zugleich nach Wunsch die stattlichen Gäule verhandelt.
Luftiger kleid' ich indess den wähligen Buben in Nachtzeug.
Pächter:
Höre denn, Frau! ich erzähl’ unmuthige Dinge von Hamburg.
Nicht das Geräusch hat innig gelabt, noch verleidet die Landluft!
Aber es sind nach Wunsche die stattlichen Gäule verhandelt.
Isabelle gefiel durch artigen Gang und Gewandtheit,
Dass ungesäumt Herr Dolling ihr zusprach achtzig Dukaten;
Fünfzig dem Apfelschimmel und andere fünfzig dem Schweissfuchs.
Lange zuvor erprobt er die Tugenden sammt dem Bereiter;
Hell im Gesicht, nun kam er und sprach mit schüttelndem Handschlag:
Herr, das sind mir einmal Reitklepperchen ganz nach der Regel!
Solch ein wiegender Gang und dazu stahlreicher Pyrmonter,
Etwas Diät daneben, versteht sich! heilen, so Gott will,
Mir im Magen den Krampf, und der Frau die empfindsame Wallung!
Sei’n Sie zu Abend mein Gast; da findet sich kleine Gesellschaft
Guter Freunde bei uns. Wir sind auf unseren Gärten
Alle zum Brunnen verdammt; doch entrief uns heute der Posttag,
Nur auf ein Butterbrod, Herr Woldemar, und ein Gerichtlein
191
Gerne gesehn! Ich bin so ein Freund von der ländlichen Mahlzeit,
Auch von der schönen Natur, die ihr Glücklichen täglich geniesset!
Ich antwortete da mit des Stadtvolks neuestem Bückling:
Wenn sie befehlen, mein Herr; ich bin ihr gehorsamer Diener.
Ehre für uns, dass schöne Natur und Ländlichkeit Mod’ ist!
Jetzo wandelt’ ich heim, wo ein Fuder er und ein Barbier mich
Fein ftir die Welt aufstutzten; gereinigt wurden vom Hausknecht
Kleider und Hut; und es lachten mit silbernem Sporne die Stiefel.
Feierlich ging ich um acht zu Dollings Brunnengesellschaft.
Zwölf dickbäuchige Herren und zwölf breithüftige Damen
Sassen vertheilt in dem Saale mit gierigen Augen am Spieltisch;
Fenn nicht galt es um Nüsse und Schillinge, nein! um Dukaten!
Als nach beinah’ drei Stunden den hochaufwucheniden Einsatz
Alle getilgt, gluthroth der Verlierende, und der Gewinner;
Hiess mich der Wirth willkommen und nöthigte bald zur Tafel.
Paar auf Paar entrauschten, und ordneten sich um die Tafel,
Falteten blitzende Händ’ und beteten, oder besahn sich;
Hunt nun gereiht fass alles umher mit geschmeidigem Lächeln.
Längs der belasteten Tafel, von zwölf Wachskerzen erleuchtet,
Einer krystallenen Krön’ und zwanzig spiegelnden Blackern,
Prangte, geformt vom Conditor, ein anfchaunswürdiger Aufsatz;
Wände von weissem Traganth mit Spiegelsäulen gestützet
Liefen an jeglicher Seit’; und es schlängelten grünende Reben
Kings von gesponnenem Glase mit bräunlichen Trauben behänget,
Porzellanene Winzer mit Hipplein thaten geschäftig:
Einer bot von der Leiter die abgeschnittene Traube
Seiner Winzerin dar, die den Korb ausstreckte mit Schmeicheln;
Andere trugen die Last mühsam zur schäumenden Kelter.
Oben stand im Gebüsche die alabasterne Trümmer
Einer gothischen Burg; inwendig am röthlichen Quitzbaum
Schlief die zuckeme Hirtin auf Moos; bei dem spiegelnden Bergquell
Ging um gelagerte Ziegen und seidene Schäfchen ein Beller.
Fern am Traubengeländer erhub sich ein naschendes Böcklein!
Aber die Winzerin fasst’ ihm den Bart und schlug mit der Ranke.
Krumm in des Felsabhangs rothbeerige Stauden ergoss sich
Spiegelnd der Bach, und rollte zum sanftgelehneten Garten,
Welcher die Mitt’ einnahm, von der stachlichten Hecke befriedigt.
Hrin grossköpfiger Kohl und gestäbelte Bohnen und Mangold,
Kürbiss, Gurk’ und Melon’ und farbige Blumen des Herbstes;
Hechts die Nasturzienlaub’, und links ein japanisches Lusthaus;
Kirnen umher, Aprikosen und Pfirsiche, Pflaumen und Aepfel,
All aus kandirtem Anis: zwei Jüngferchen standen in Wipfeln
Mächtiger Wallnussbäume und schüttelten; andere lachend
Lasen die Frucht, die sie traf; ein porzellanener Mannfisch
Elies aus der Schnecke den hellen Krystallspring, der in des Beckens
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Spiegel lieh bog, umringt von der schöngeichweiften Terrasse;
Feiner gefärbter Sand war bunt durch die Gänge geftreuet.
Unten entwallt der Bach, und durchschnitt das grasige Seethal,
Ueberbrückt; auf der Weid’ hochhaltige Rosse mit Füllen,
Auch grofseutrige Kühe, gemengt mit laugenden Kälbern;
Mäher und Harkerin drüben, um Schwad’ und geschobertes Krümmet.
Bläuliches Glas nun dehnte den See, von der Binse gebordet
Und braunkolbigem Rohr; ein Angler schwang den gekrümmten
Perlmutternen Barsch; und ein stämmiger Greis in dem Kähnlein
Hub an das Land Krebsreusen und ächzete; tief an dem Werder
Trocknete maschiges Garn auf Gaffelehen; und in dem Weidicht
Lag die Hütte bemoost; die Fischerin unter der Pappel
Reichte gewundene Muschelgehäus’ anlachenden Kindern.
Also prangte mit Kunst das Wundergebäu des Conditors.
Sechs werthvolle Gericht’ am oberen Ende der Tafel
Standen, und andere sechs am unteren Ende, geordnet:
Einige kalt nach der Regel, und einige brätelnd auf Marmor,
Heissem, in Silber gefasstem, geründetem. Doch um den Auflatz
Standen französische Frücht’ und Salat’, als Trabanten des Bratens.
Schweigend athmeten wir, und schaueten rings um die Tafel.
Jetzo begann die Wirthin, und neigte sich vor der Gesellschaft:
Meine Herren und Damen, sie sehen hier alles auf einmal.
Nehmen Sie gütig vorlieb mit der ländlichen kleinen Bewirthung.
Sprach’s, und zerschnitt den Fasan, mit indischen Vogelsnestern,
Wie man erzählte, gewürzt, und Azia. Hurtige Diener
Theilten umher rangmässig den stattlichen Damen und Herren;
Leis auch fragte der Diener: Befehlen Sie sechzige?’Rhein-Wein,
Pontack, oder Burgunder? und jeglichem bracht’ er sein Fläschlein.
Jetzo gab ein Lakei uns saubere Teller und bot dann
Junge Kalkuten herum, mit scharfer batavischer Soja.
Hierauf reicht’ uns dieser die weingesottne Forelle;
Jener den Kabliau, mit der kräftigen Brühe von Austern,
Die hamburgischer Witz für Sommerschmäuse sich einmacht.
Doch die Mamsell, bei holdem Gespräch lebhafter sich fächelnd,
Traf den Lakei mit der Feder des babylonischen Haarthurms
Grad’ in’s Aug’; und ach! auf dem feuerfarbnen Taftkleid
Schwammen die Austern umher. Da entstand unermesslicher Aufruhr.
Bald beruhigte; wieder ein fett Spanferkel in Gallert,
Welches lang’, unzerschnitten Bewunderung schaffte der Wirthin.
Froher beäugelte selbst kein Naturaliensammler
Durch die vergrößernde Brille den Wurm in geschliffenem Bernstein,
Als wir Gäste das Ferkel im helldurchsichtigen Gallert.
Aber nachdem an dem Ferkel wir Aug’ und Zunge geweidet,
Jetzo bracht’ ein Lakei die Ehrenkrone des Gastmahls.
Aechzend hub er vor Dölling ein ungeheures Backwerk,
193
s
Kund und hohl, voll edles Gehalts: Rebhühnerpastete
Nannt’ es der Wirth, und schwur, aus Bordeaux im Schiffe des Markus
Hab’ ihm gesendet ein Freund dies W erk vom berühmtesten Kochheld.
0, manch’ armer Matros’ umschnüffelte, sagt’ ihm der Schiffer,
Sehnsuchtsvoll die Kajtit’, und käuete dann mit Betrübniss
Pöckelfleisch. Von Gerüchen, die sanft anwehen aus Ceylon,
Träumte der schlafende Jung’, und schrie, als lass er im Mastkorb:
Land! Auch rochen Delphine mit offenem Maul aus der Meerfluth
Und der getäuschte Pilot weissagte nahe Gewitter.
Denn wie des Rosenöles Gedüst dem verschlossenen Bernstein
Geistig entdringt, so drang aus der bräunlichen Rinde der Balsam.
Dolling löste den Deckel behend’, und schöpfte das Fett ab;
Dann sanft lächelnd enthob er den wunderköstlichen Inhalt.
Gierig beschaute der Arzt in festlicher Wolkenperrücke,
Der lieh hinter dem Tuch zahnstocherte; und wie ein Kenner,
Wann er die Probe des Weins ausschmeckt mit schlürfender Lippe
Und halb offenem Auge, so schmeckt auch jener mit Anstand;
Und nun mummelt er dumpf aus kauenden Backen den Ausspruch:
Meine Herren und Damen, das nenn’ ich mir treffliche Mischung!
Welch ein feiner Geschmack in dem Fleische des südlichen Rebhuhns,
Das mit besonnterem Korne sich ätzt, und der Beere des Weinftoeks!
! )ann das Gewürz, wie mit Sinne gewählt! wie im wahrsten Verhältniss!
Schwämme vom leckeren Safte, und Näglein, ach! und die Trüffeln,
Die ich, dem Spürer zum Trotz, ausstöberte, tief aus dem Erdgrund!
Pfeffer, Oliv’ und Muskat und Pistazie, Morchel und Knoblauch,
Lorbeer, Zinmit und Citrone; vielleicht gar Bisam und Ambra!
Hier ist Seelengenuss, wie ein Meisterrecept mich bezaubert!
Freilich erhitzt das Gewürz der Weiberchen muntere Jugend;
Doch der Gemahl dämpf ihnen die Gluth mit Salpeter und Weinstein.
Also der Arzt; da erscholl auslachender Jubel und Beifall:
Alle Bäuch’ um die Tafel erschütterten; alles Gefieder
Hebte vor Lust, und es strafte der Nachbarin Fächer den Kernwitz.
Jetzo kam das Gemüse, das ländliche: junge Karotten,
Urbeen zugleich und Bohnen, gehisst mit Zucker und grasgrün,
Dass von Kupfergeschirr mir lchwanete; diesen gesellt war
Köstlicher Blumenkohl, mit Artischoken und Krebsen;
Frische Heringe reizten den Gaum, Meerhummer und Elblachs,
Schinken aus Paderborn, und treffliche Göttinger Mettwurst.
Hierauf gingen die Rund’ ein braun Gemen?’ und ein weifses:
Feine Rague genannt: Hahnkämm’ und Zungen von Lämmern,
Knorpliger Ochsengaum, und zu niedlichem Kälberbrissel
Schnauz’ und Ohren vom Schwein, mit Pinienkerne und Kapern.
Hierauf bot sich der Rücken des Rehbocks, welchen ein Jäger
Vom Blocksberge gesandt; er bezeugte die fernere Herkunft
Durch den erhöhten Geruch. Ihn begleitete schüchtern ein Häslein,
Roquette, Deutsches Lesebuch. *1. 13
194
Kind noch, der kaum jedem ein Stück auf der Gabel zum Anbiss
Zollete. Gegen ihn zog ein erzgebirgischer Birkhahn
Stolz einher als Führer des Ortolanengeschwaders.
Sein rothkammiges Haupt mit feuriger Wimper am Rande
Zeigt1 auch ihm Tod ehrwürdig den Sultan edles Geflügels.
Auch die Trabanten begannen den Zug; Tolläpfel in Essig,
Röthlicher Kopfsalat mit Endivien, Beet' und Oliven,
Nordische Wtirzanschow’ im Verein mit welcher Sardelle,
Mancherlei Frucht in Zucker gekocht, und mancherlei klarer
Beerenseim, auch Gurken in Sülz, und in barschem Orego.
Also schmaufeten wir und pflegeten unseres Leibes
Wohlgemuth an der Fülle gesegneter Schalen und Schüsseln.
.Jetzo verschob sich der Arzt die hitzende Wolkenperrücke,
Trocknete Finger und Lefz1 und tiefaufathmend begann er:
Wahrlich, man kann doch viel der Gottesgaben gemessen,
Wenn man sich Zeit lässt! Pah! — Viel Knöpf an der Weste
sind unnütz!
Scheint1 s doch beinahe, man wachse der freundlichen Tafel entgegen!
Hoch denn lebe die Frau Wohlthäterin! auch der Gemahl hoch!
Hab er gleich bei dem Brunnen aus Menschlichkeit etwas gesündigt.
Also der Arzt; da erscholl auflachender Jubel und Beifall.
Voll nun gossen sie all1, und schrien um die klingenden Gläser:
Hoch! hoch lebe die Frau Wohlthäterin! und der Gemahl hoch!
Still! Da kommen ja schon die geweideten Schweinchen vom
Brachfeld,
Wohlgemuth. Bald meld' ich, o Frau, den unendlichen Nachtisch:
Lüstern macht dich vielleicht, auch selbst in der todten Beschreibung,
Mancherlei Tort1 und Makrone bei Quittenschnee und Meringeln.
Eisiger Mandelohm und Himbeereis zum Betrug mir:
Denn ich Ländlicher nahm nicht jüngferlich; schnell wie erfroren.
Starrete Gaumen und Zung1, und die Nachbarin lachte bedauernd.
Auch ein Korb Aprikosen und Pfirsiche ferne von Potsdam;
Auch die heissende Süsse der Ananas, auch die Melone;
Mandeln, gebrannt und in Schalen, und Kokosnüsse mit Datteln.
Apfel sin1 und Granat1, und cyprischen Taubenrosinen;
Auch die vergoldeten Gläser mit bärtigen Köpfen der Vorwelt,
Die bei der Weisheitspfleg1 auch gern, wie man sagte, getafelt;
Auch zu dem rothen Champagner auf Silleri’s Gute gekelteit,
Kaisergetränk von Tokai, und der nektarähnliche Kapwein;
Auch wie zuletzt die geputzten Lakai1 n an der Thür das Trinkgeld
Bettelten. — Aber ich muss im Hof ein wenig herumgehen
Und mit dem Grossknecht ordnen des morgenden Tages Bestellung.
Gute Nacht, mein J unge! Du lallst dich behaglich in Schlummer.
Wachs1 und gedeih1! Du versprichst hamburgischen Seelengenuss
einst.
Sing ihm das Schäfchen im Walde, und dann lass Halbe wiegen;
Und du bestell’ uns beiden das Abendbrot in die Laube.
Aber geeilt! denn der Ritt durch den Staubweg machte mich hungrig!
Frau:
Nimm denn auch gütig vorlieb mit der ländlichen kleinen Bewirthung.
Gleich wird die Tafel gedeckt im verdämmerten Glanze des Abends
Für uns einzelnes Paar*, dann siehst du alles auf einmal.
Zuckererbsen in Schoten, gepflückt von der Rank’ in den Tiegel,
Frisch in eigener Färb’ und Süssigkeit, bring’ ich zur Tafel;
Schinken und treffliche Hausmettwurst und gebratene Küchlein;
Dann noch zarte Radieschen und Felderdbeeren zum Nachtisch.
Tafelmusik wird bestellt bei den Grillen umher und dem Laubfrosch,
Der sich auf Regen versteht; und Geruch giebt Rosengebüsch uns,
Giebt auch die Nachtviole, die kräftiger duftet, wenn’8 aufwölkt.
Pächter:
Schön! und feierlich dann ftir krystallene Kronen und Blacker
Strahle der Abendstern und die wetterleuchtende Wolke.
IV.
Reflectirende Dichtungen.
145. Winterfreuden.
Elegie.
Also muss ich auf immer, Krystall der Ströme, dich meiden!
Darf nie wieder am Fuss schwingen die Flügel des Stahls?
Wasserkothurn, du wärest der Heilenden einer; ich hätte
Unbeseelet vor dir, weniger Sonnen gesehn!
Manche Rose hat mich erquickt; sie verwelkten! und du liegst
Auch des Schimmers beraubt, liegest verrostet nun da!
Welche Tage gäbest du mir! Wie begannen sie, wenn sich
[n der Frühe Glanz färbte noch bleibender Reif;
Welche Nächte, wenn nun der Mond mit der Heitre des Himmels
Um der Schönheit Preis siegend stritt und besiegt.
Dann war leichter der Schwung, und die Stellung unkünstlicher,
froher
Denn der Rufenden Laut, blinkete heller der Wein!
Und wie war der Schlaf der endlich Ermüdeten eisern!
Wie unerwecklich! Wer schlief jemals am Baume, wie wir?
Aber es kam mit gebotnem Gepolter der Knecht, und wir sahen
Wieder den farbigen Reif, wieder den Schimmer der Nacht.
Der du so oft mit der labenden Gluth der gefühlten Gesundheit
Mich durchströmtest, Quell längeres Lebens mir warst.
Wenn ich vorüberglitt an hellbeblütheten Ulmen;
(Schnee war die Blume) der Bahn warnende Stimme vernahm
Mit nachhorchendem Ohr; auch wohl hinschwebt’ an der Ostsee,
Zwischen der Sonne, die sank, und dem Monde, der stieg;
Oder wenn, den die Flocken zu tausenden in sich verhüllten,
Und den schwindelte, Sturm auf das Gestade mich warf.
Ach einst wurdest du mir, Kothurn, zum tragischen! führtest
Mich auf jüngeres Eis, welches dem Eilenden brach.
Bleich stand da der Gefährt; mein Schutzgeist gab mir Entschluss ein
Jener bebte nicht mehr, und die Rettung gelang.
Als sie noch schwankend schien, da rührte mich innig des Himmels
Lichtere Bläue, vielleicht bald nur die letzte für mich!
Dank dir noch Einmal, Beindorf, dass du mich rettetest! Dir kam
Bang schon die letzte; mir macht sie die Erde noch schön.
Kl()]> stock.
197
146. Römische Elegie.
0 wie tuhF ich in Rom mich so froh! gedenk’ ich der Zeiten,
Da mich ein graulicher Tag hinten im Norden umfing,
Trübe der Himmel und schwer auf meinen Scheitel lieh senkte,
Färb’- und gestaltlos die Welt um den Ermatteten lag.
End ich über mein Ich, des unbefriedigten Geistes
Düstre Wege zu spähn, still in Betrachtung versank.
Nun umleuchtet der Glanz des helleren Aethers die Stirne;
Phöbus rufet, der Gott, Formen und Farben hervor.
Sternhell glänzet die Nacht, sie klingt von weichen Gesängen,
Und mir leuchtet der Mond heller als nordischer Tag.
Welche Seligkeit ward mir Sterblichem! Träum’ich? Empfanget
Dein ambrosisches Haus, Jupiter Vater, den Gast?
Ach! hier lieg’ ich, und strecke nach deinen Knieen die Hände
Flehend aus. 0 vernimm, Jupiter Xenius, mich!
Wie ich hereingekommen, ich kann’s nicht sagen, es fasste
Hebe den Wandrer, und zog mich in die Hallen heran.
Hast du ihr einen Heroen herauf zu führen geboten?
Irrte die Schöne? Vergieb! Lass mir des Irrthums Gewinn!
Deine Tochter Fortuna, sie auch! Die herrlichsten Gaben
Theilt als ein Mädchen sie aus, wie es die Laune gebeut.
Bist du der wirthliche Gott? 0 dann, so verftosse den Gastfreund
Nicht, von deinem Olymp wieder zur Erde hinab!
„Dichter! wohin versteigest du dich?“ —Vergieb mir; der hohe
Capitolinische Berg ist Dir ein zweiter Olymp.
Dulde mich, Jupiter, hier, und Hermes führe mich später
Oestius Mahl vorbei, leise zum Orkus hinab. Goethe.
147. Der Chinese in Rom.
Einen ('hinesen sah in Rom; die gelammten Gebäude
Alter und neuerer Zeit schienen ihm lästig und schwer.
Ach! so seufzt er, die Armen! ich hoffe, sie sollen begreifen,
Wie erst Säulchen von Holz tragen des Daches Gezelt,
Dass an Latten und Pappen, Geschnitz und bunter Vergoldung
Sich des gebildeten Aug’s feinerer Sinn nur erfreut.
Siehe, da glaubt’ ich, im Bilde, so manchen Schwärmer zu schauen,
Der sein lustig Gespinnst mit der loliden Natur
Ewigem Teppich vergleicht, den ächten reinen Gesunden
Krank nennt, dass ja nur Er heisse, der Kranke, gesund.
Goethe.
198
148. Gedichte.
Gedichte sind gemalte Fensterscheiben!
¡Sieht man vom Markt in die Kirche hinein,
Da ist alles dunkel und düster;
Und so sieht's auch der Herr Philister:
Der mag denn wohl verdriesslich fein,
Und lebenslang verdriesslich bleiben.
Kommt aber nur einmal herein!
Begrüsst die heilige Kapelle;
Da ist'8 auf einmal farbig helle,
Geschieht’ und Zierrath glänzt in Schnelle,
Bedeutend wirkt ein edler Schein;
Dies wird auch Kindern Gottes taugen,
Erbaut euch, und ergötzt die Augen!
149. Die Frösche.
Ein grosser Teich war zugefroren;
Die Fröschlein, in der Tiefe verloren,
Durften nicht ferner quaken noch springen,
Versprachen sich aber, im halben Traum,
Fänden sie nur da oben Raum,
Wie Nachtigallen wollten sie singen.
Der Thauwind kam, das Eis zerschmolz,
Nun ruderten sie und landeten stolz,
Und fassen am Ufer weit und breit,
Und quakten wie vor alter Zeit.
150. Katzenpastete.
Bewährt den Forscher der Natur
Ein frei und ruhig Schauen,
So folge Messkunst seiner Spur
Mit Vorsicht und Vertrauen.
Zwar mag in Einem Menschenkind
Sich beides auch vereinen;
Doch dass es zwei Gewerbe sind,
Das lässt sich nicht verneinen.
Goethe
Goethe
199
Us war einmal ein braver Koch,
Geschickt im Appretiren;
Dem fiel es ein, er wollte doch
Als Jäger sich geriren.
Er zog bewehrt zum grünen Wahl,
Wo manches Wildpret hauste,
Und einen Kater schoss er bald,
Der junge Vögel schmauste.
Sah ihn für einen Hasen an
Und liess sich nicht bedeuten,
Pastete viel Würze dran
Und fetzt’ ihn vor den Leuten.
Doch manche Gäste das verdross,
(lewisse feine Nasen :
Die Katze, die der Jäger schoss,
Macht nie der Koch zum Hafen. Goethe.
151. Der Spaziergang.
Sei mir gegrülst, mein Berg, mit dem röthlich strahlenden Gipfel!
Sei mir, Sonne, gegrüsst, die ihn so lieblich bescheint!
Dich auch grüss’ ich, belebte Flur, euch, lau feinde Linden,
Und den fröhlichen Chor, der auf den Aesten sich wiegt.
Ruhige Bläue, dich auch, die unermesslich sich ausgiesst
Um das braune Gebirg’, über den grünenden Wald,
Auch um mich, der, endlich entsiohn des Zimmers Gefängniss
Und dem engen Gespräch, freudig sich rettet zu dir.
Deiner Lütte balsamischer Strom durchrinnt mich erquickend,
Und den durstigen Blick labt das energische Licht.
Kräftig auf blühender Au’ erglänzen die wechselnden Farben,
Aber der reizende Streit löset in Anmuth sich aus.
Frei empfangt mich die Wiese mit weithin verbreitetem Teppich;
Durch ihr freundliches Grün schlingt sich der ländliche Pfad.
Um mich summt die geschäftige Biene, mit zweifelndem Flügel
Wiegt der Schmetterling sich über dem röthlichen Klee.
Glühend trifft mich der Sonne Pfeil, still liegen die Weste,
Nur der Lerche Gesang wirbelt in heiterer Luft.
Doch jetzt braust’s aus dem nahen Gebüsch; tief neigen der Erlen
Kronen sich, und im Wind wogt das versilberte Gras;
Mich umfängt ambrosische Nacht; in duftende Kühlung
Nimmt ein prächtiges Dach schattender Buchen mich ein.
In des Waldes Geheimniss entflieht mir auf einmal die Landschaft,
Und ein schlängelnder Pfad leitet mich steigend empor.
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Nur verstohlen durchdringt der Zweige laubiges Gitter
Sparsames Licht, und es blickt lachend das Blaue herein.
Aber plötzlich zerreisst der Flor. Der geöffnete Wald giebt
Ueberraschend des Tages blendenden Glanz mir zurück.
Unabsehbar ergiesst sich vor meinen Blicken die Ferne,
Und ein blaues Gebirg endigt im Dufte die Welt.
Tief an des Berges Fuss, der jählings unter mir abstürzt.
Wallet des grünlichen Stroms messender Spiegel vorbei.
Endlos unter mir seh' ich den Aether, über mir endlos,
Blicke mit Schwindeln hinauf, blicke mit Schaudern hinab.
Aber zwischen der ewigen Höh' und der ewigen Tiefe
Trägt ein geländerter Steig sicher den Wandrer dahin.
Lachend fliehen an mir die reichen Ufer vorüber,
Und den fröhlichen Fleiss rühmet das prangende Thal.
Jene Linien, sieh’! die des Landmanns Eigenthum scheiden.
In den Teppich der Flur hat sie Demeter gewirkt.
Freundliche Schrift des Gesetzes, des menschen erhaltenden Gottes,
Seit aus der eheinen Welt fliehend die Liebe verschwand!
Aber in freieren Schlangen durchkreuzt die geregelten Felder.
Jetzt verschlungen vom Wald, jetzt an den Bergen hinauf
Klimmend, ein schimmernder Streif, die Länder verknüpfende Strasse,
Auf dem ebenen Strom gleiten die Flösse dahin.
Vielfach ertönt der Heerden Geläut im belebten Gefilde,
Und den Wiederhall weckt einsam des Hirten Gesang.
Muntre Dörfer bekränzen den Strom, in Gebüschen verschwinden
Andre, vom Rücken des Bergs stürzen sich jäh dort herab.
Nachbarlich wohnet der Mensch noch mit dem Acker zusammen,
Seine Felder umruhn friedlich sein ländliches Dach;
Traulich rankt sich die lieb empor an dem niedrigen Fenster,
Einen umarmenden Zweig schlingt um die Hütte der Baum.
Glückliches Volk der Gefilde! noch nicht zur Freiheit erwachet,
Theilst du mit deiner Flur fröhlich das enge Gesetz.
Deine Wünsche beschränkt der Ernten ruhiger Kreislauf,
Wie dein Tagewerk, gleich, windet dein Leben sich ab!
Aber wer raubt mir auf einmal den lieblichen Anblick V Ein fremder
Geist verbreitet sich schnell über die fremdere Flur.
Spröde sondert sich ab, was kaum noch liebend sich mischte,
Und das Gleiche nur ist’s, was an das Gleiche sich reiht.
Stände seh’ ich gebildet, der Pappeln stolze Geschlechter
Ziehn in geordnetem Pomp vornehm und prächtig daher.
Pegel wird Alles und Alles wird Wahl und Alles Bedeutung:
Dieses Dienergefolg meldet den Herrscher mir an.
Prangend verkündigen ihn von fern die beleuchteten Kuppeln,
Aus dem felsigen Kem hebt sich die thürmende Stadt.
In die Wildniss hinaus sind des Waldes Faunen verflossen,
201
Aber die Andacht leiht höheres Leben dein Stein.
Näher gerückt ist der Mensch dein Menschen. Enger wird um ihn,
Reger erwacht, es umwälzt rascher sich in ihm die Welt.
Sieh', da entbrennen in feurigem Kamps die eifernden Kräfte,
Grosses wirket ihr Streit, Grösseres wirket ihr Bund.
Tausend Hände belebt ein Geist, hoch schlaget in tausend
Brüsten, von einem Gefühl glühend, ein einziges Herz,
Schlägt für das Vaterland und glüht für der Ahnen Gesetze;
Hier auf dem theuren Grund ruht ihr verehrtes Gebein.
Nieder steigen vom Himmel die seligen Götter und nehmen
In dem geweihten Bezirk festliche Wohnungen ein;
Herrliche Gaben bescherend erscheinen sie: Ceres vor allen
Bringet des Pfluges Geschenk, Hermes den Anker herbei,
Bacchus die Traube, Minerva des Oelbaums grünende Reifer,
Auch das kriegrische Ross führet Poseidon heran.
Mutter Cybele spannt an des Wagens Deichsel die Löwen.
In das gastliche Thor zieht sie als Bürgerin ein.
Heilige Steine! Aus euch ergossen sich Pflanzer der Menschheit,
Fernen Inseln des Meers sandtet ihr Sitten und Kunst,
Weife sprachen das Recht an diesen geselligen Thoren;
Heiden stürzen zum Kampf für die Penaten heraus.
Auf den Mauern erschienen, den Säugling im Arme, die Mütter,
Blickten dem Heerzug nach, bis ihn die Ferne verschlang.
Betend stürzten sie dann vor der Götter Altären sich nieder,
Flehten um Ruhm und Sieg, flehten um Rückkehr für euch.
Ehre ward euch und Sieg, doch der Ruhm nur kehrte zurücke;
Eurer Thaten Verdienst meldet der rührende Stein:
„Wanderer kommst du nach Sparta, verkündige dorten, du habest
„Uns hier liegen gesehn, wie das Gesetz es befahl.“
Ruhet sanft, ihr Geliebten! Von eurem Blute begossen
Grünet der Oelbaum, es keimt lustig die köstliche Saat.
Munter entbrennt, des Eigenthums froh, das freie Gewerbe,
Aus dem Schilfe des Stroms winket der bläuliche Gott.
Zischend fliegt in den Baum die Ant, es erseufzt die Dryade;
Hoch von des Berges Haupt stürzt sich die donnernde Last.
Aus dem Felsbruch wiegt sich der Stein, vom Hebel beflügelt;
In der Gebirge Schlucht taucht sich der Bergmann hinab.
Mulcibers Ambos tönt von dem Takt geschwungener Hämmer,
Unter der nervigen Faust spritzen die Funken des Stahls.
Glänzend umwindet der goldene Lein die tanzende Spindel,
Durch die Saiten des Gams laufet das webende Schiff.
Fern auf der Rhede ruft der Pilot, es warten die Flotten,
Die in der Fremdlinge Land tragen den heimischen Fleiss;
Andre ziehen frohlockend dort ein mit den Gaben der Ferne,
Hoch von dem ragenden Mast wehet der festliche Kranz.
202
Siehe, da wimmeln die Märkte, der Krähn von fröhlichem Leben,
Seltsamer Sprachen Gewirr braust in das wundernde Ohr.
Auf den Stapel schüttet die Ernten der Erde der Kaufmann,
Was dem glühenden Strahl Afrika's Boden gebiert,
Was Arabien kocht, was die äusserste Thule bereitet,
Hoch mit erfreuendem Gut füllt Amalthea das Horn.
Da gebierst das Glück dem Talente die göttlichen Kinder,
Von der Freiheit gesäugt, wachsen die Künste der Lust.
Mit nachahmendem Leben erfreuet der Bildner die Augen,
Und vom Meissei beseelt, redet der fühlende Stein.
Künstliche Himmel ruhn auf schlanken, jonischen Säulen,
Und den ganzen Olymp schliesset ein Pantheon ein.
Leicht, wie der Iris Sprung durch die Luft, wie der Pfeil von
der Sehne,
Hüpfet der Brücke Joch über den brausenden Strom.
Aber im stillen Gemach entwirft bedeutende Zirkel
Sinnend der W eise, beschleicht forschend den schaffenden Geist,
Prüft der Stoffe Gewalt, der Magnete Hassen und Lieben,
Folgt durch die Lüfte dem Klang, folgt durch den Aether dem Strahl,
Sucht das vertraute Gesetz in des Zufalls grausenden Wundern,
Sucht den ruhenden Pol in der Erscheinungen Flucht.
Körper und Stimme leiht die Schrift dem stummen Gedanken,
Durch der Jahrhunderte Strom trägt ihn das redende Blatt.
Da zerrinnt vor dem wundernden Blick der Nebel des Wahnes,
Und die Gebilde der Nacht weichen dem tagenden Licht.
Seine Fesseln zerbricht der Mensch. Der Beglückte! Zerriss er
Mit den Fesseln der Furcht nur nicht den Zügel der Scham!
Freiheit! ruft die Vernunft, Freiheit! Die wilde Begierde.
Von der heil'gen Natur ringen sie lüstern sich los.
Ach, da reissen im Sturm die Anker, die an dem Ufer
Warnend ihn hielten, ihn fasst mächtig der fluthende Strom,
Ins Unendliche reifst er ihn hin, die Küste verschwindet,
Hoch auf der Fluthen Gebirg’ wiegt sich entmastet der Kahn;
Hinter Wolken erlöschen des Wagens beharrliche Sterne,
Bleibend ist nichts mehr, es irrt selbst in dem Busen der Gott.
Aus dem Gespräche verschwindet die Wahrheit, Glauben und Treue
Aus dem Leben, es lügt selbst auf der Lippe der Schwur.
In der Herzen vertraulichsten Bund, in der Liebe Geheimniss
Drängt sich der Sykophant, reifst von dem Freunde den Freund.
Auf die Unschuld schielt der Verrath mit verschlingendem Blicke,
Mit vergiftendem Biss tödtet des Lästerers Zahn.
Feil ist in der geschändeten Brust der Gedanke, die Liebe
Wirft des freien Gefühls göttlichen Adel hinweg.
Deiner heiligen Zeichen, o Wahrheit, hat der Betrug sich
Angemasst, der Natur köstlichste Stimme entweiht,
203
Die das bedürftige Herz in der Freude Drang lieh erfindet;
Kaum giebt wahres Gefühl noch durch Verstummen lieh kund.
Auf der Tribüne prahlet das Recht, in der Hütte die Eintracht,
Des Gesetzes Gespenst steht an der Könige Thron.
Jahre lang mag, Jahrhunderte lang die Mumie dauern,
Mag das trügende Bild lebender Fülle bestehn,
Bis die Natur erwacht, und mit schweren, ehernen Händen
An das hohle Gebäu rühret die Noth und die Zeit,
Einer Tigerin gleich, die das eiserne Gitter durchbrochen
Und des numidischen Walds plötzlich und schrecklich gedenkt,
Aufsteht mit des Verbrechens Wuth und des Elends die Menschheit,
Und in der Asche der Stadt sucht die verlorne Natur.
0, • so öffiiet euch, Mauern, und gebt den Gefangenen ledig!
Zu der verlassenen Flur kehr' er gerettet zurück!
Aber wo bin ich? Es birgt sich der Pfad. Abschüssige Gründe
Hemmen mit gähnender Kluft, hinter mir, vor mir den Schritt.
Hinter mir blieb der Gärten, der Hecken vertraute Begleitung,
Hinter mir jegliche Spur menschlicher Hände zurück.
Nur die Stoffe seh' ich gethürmt, aus welchen das Leben
Keimet, der rohe Basalt hofft auf die bildende Hand.
Brausend stürzt der Giessbach herab durch die Rinne des Felsen,
Unter den Wurzeln des Baums bricht er entrüstet sich Bahn.
Wild ist es hier und schauerlich öd’. Im einsamen Luftraum
Hängt nur der Adler und knüpft an das Gewölke die Welt.
Hoch heraus bis zu mir trägt keines Windes Gefieder
Den verlorenen Schall menschlicher Mühen und Lust.
Bin ich wirklich allein? In deinen Armen, an deinem
Herzen wieder, Natur, ach! und es war nur ein Traum.
Der mich schaudernd ergriff mit des Lebens furchtbarem Bilde,
Mit dem stürzenden Thal stürzte der finstre hinab.
Keiner nehm’ ich mein Leben von deinem reinen Altare,
Nehme den fröhlichen Muth hoffender Jugend zurück.
Ewig wechselt der Wille den Zweck und die Regel, in ewig
Wiederholter Gestalt wälzen die Thaten sich um.
Aber jugendlich immer, in immer veränderter Schöne
Ehrst du, fromme Natur, züchtig das alte Gesetz!
Immer dieselbe, bewahrst du in treuen Händen dem Manne,
Was dir das gaukelnde Kind, was dir der Jüngling vertraut,
Nährest an gleicher Brust die vielfach wechselnden Alter;
Unter demselben Blau, über dem nämlichen Grün
Wandeln die nahen und wandeln vereint die fernen Geschlechter,
Und die Sonne Homer’s, siehe! sie lächelt auch uns.
Schiller.
204
152. Das Lied von der Glocke.
Vivos voco. Mortuos plango. Fulgura frango.
Fest gemauert in der Erden
Steht die Form, aus Lehm gebrannt.
Heute muss die Glocke werden!
Frisch, Gesellen, seid zur Hand!
Von der Stirne heiss
Kinnen muss der Schweifs,
Soll das Werk den Meister lohen;
Doch der Segen kommt von oben.
Zum Werke, das wir ernst bereiten.
Geziemt sich wohl ein ernstes Wort;
Wenn gute Reden sie begleiten,
Dann hiesst die Arbeit munter fort.
So lasst uns jetzt mit Fleiss betrachten,
Was durch die schwache Kraft entspringt;
Den schlechten Mann muss man verachten,
Der nie bedacht, was er vollbringt.
Das ist's ja, was den Menschen zieret,
Und dazu ward ihm der Verstand,
Dass er im innern Herzen spüret,
Was er erschafft mit seiner Hand.
Nehmet Holz vom Fichtenstamme,
Doch recht trocken lasst es fein,
Dass die eingepresste Flamme
Schlage zu dem Schwalch hinein!
Kocht des Kupfers Brei,
Schnell das Zinn herbei!
Dass die zähe Glockenspeise
Fliesse nach der rechten Weife >
Was in des Dammes tiefer Grube
Die Hand mit Feuers Hülfe baut,
Hoch auf des Thurmes Glockenstube,
Da wird es von uns zeugen laut.
Noch dauern wird’s in späten Tagen
Und rühren vieler Menschen Ohr
Und wird mit den Betrübten klagen
Und stimmen zu der Andacht Chor.
Was unten tief dem Erdensohne
Das wechselnde Verhängniss bringt,
Das schlägt an die metallne Krone,
Die es erbaulich weiter klingt.
Weisse Blasen seli ich springen;
Wohl! die blassen sind im Fluss.
Basst's mit Aschensalz durchdringen,
Das befördert schnell den Guss.
Auch vom Schaume rein
Muss die Mischung sein,
Dass vom reinlichen Metalle
Kein und voll die Stimme schalle.
yf
Denn mit der Freude Feierklange
Begrüsst sie das geliebte Kind
Auf seines Lebens erstem Gange,
Den es in Schlafes Arm beginnt;
Ihm ruhen noch im Zeitenschoosse
Die schwarzen und die heitern Loose;
Der Mutterliebe zarte Sorgen
Bewachen seinen goldnen Morgen —
Die Jahre fliehen pfeilgeschwind.
Vom Mädchen reifst sich stolz der Knabe*
Er stürmt in’s Leben wild hinaus,
Durchmisst die Welt am Wanderstabe,
Fremd kehrt er heim in’s Vaterhaus;
Und herrlich, in der Jugend Prangen,
Wie ein Gebild aus Himmelshöhn, )•
Mit züchtigen, verschämten' Wangen
Sieht er die Jungfrau vor sich stehn.
Da fasst ein namenloses Sehnen
Des Jünglings Herz, er irrt allein,
Aus seinen Augen brechen Thränen,
Er flieht der Brüder wilden Keihn;
Erröthend folgt er ihren Spuren
Und ist von ihrem Gruss beglückt,
Das Schönste sucht er auf den Fluren,
Womit er seine Liebe schmückt.
0, zarte Sehnsucht, süsses Hoffen,
Der ersten Liebe goldne Zeit,
Das Auge sieht den Himmel offen,
Es schwelgt das Herz in Seligkeit —
(), dass sie ewig grünen bliebe,
Die schöne Zeit der jungen Liebe! "y
Wie sich schon die Pfeifen bräunen
Dieses Stäbchen tauch’ ich ein,
Sehn wir’s überglas't erscheinen,
Wird’s zum Gusse zeitig fein.
J
— 206 —
Jetzt, Gesellen, frisch !
Prüft mir das Gemisch,
Ob das Spröde mit dem Weichen
Sich vereint zum guten Zeichen.
Denn, wo das Strenge mit dem Zarten,
Wo Starkes sich und Mildes paarten.
Da giebt es einen guten Klang.
Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
Ob sich das Herz zum Herzen findet!
Der Wahn ist kurz, die Reu’ ist lang.
Lieblich in der Bräute Locken
Spielt der jungfräuliche Kranz,
Wenn die hellen Kirchenglocken
Laden zu des Festes Glanz.
Ach! des Lebens schönste Feier
Endigt auch den Lebensmai,
Mit dem Gürtel, mit dem Schleier
Reifst der schöne Wahn entzwei.
Die Leidenschaft flieht,
Die Liebe muss bleiben;
Die Blume verblüht,
Die Frucht muss treiben;
Der Mann muss hinaus
In' s feindliche Leben,
Muss wirken und streben
Und pflanzen und schaffen,
Erlisten, erraffen,
Muss wetten und wagen,
Das Glück zu erjagen.
Da strömet herbei die unendliche Gabe,
Es füllt sich der Speicher mit köstlicher Habe,
Die Räume wachsen, es dehnt sich das Haus.
Und drinnen waltet
Die züchtige Hausfrau,
Die Mutter der Kinder,
Und herrschet weile
Im häuslichen Kreise,
Und lehret die Mädchen,
Und wehret den Knaben,
Und reget ohn’ Ende
Die fleissigen Hände,
Und mehrt den Gewinn
Mit ordnendem Sinn,
Und füllet mit Schätzen die duftenden Laden,
Und dreht um die schnurrende Spindel den Faden,
!
Und sammelt im reinlich geglätteten Schrein
Die schimmernde Wolle, den schneeigen Lein,
Und füget zum Guten den Glanz und den Schimmer
Und ruhet nimmer.
Und der Vater, mit frohem Blick,
Von des Hauses weitschauendem Giebel
Ueberzählet sein blühend Glück,
Siehet der Pfosten ragende Bäume
Und der Scheunen gefüllte Räume
Und die Speicher, vom Segen gebogen,
Und des Kornes bewegte Wogen,
Rühmt sich mit stolzem Mund:
Fest, wie der Erde Grund,
Gegen des Unglücks Macht
Steht mir des Hauses Pracht!
Doch mit des Geschickes Mächten
Ist kein ew’ger Bund zu flechten,
Und das Unglück schreitet schnell.
Wohl! nun kann der Guss beginnen,
Schön gezacket ist der Bruch;
Doch, bevor wir’s lassen rinnen,
Betet einen frommen Spruch!
Stosst den Zapfen aus!
Gott bewahr das Haus!
Rauchend in des Henkels Bogen
Schiefst’s mit feuerbraunen Wogen.
Wohlthätig ist des Feuers Macht,
Wenn sie der Mensch bezähmt, bewacht,
Und was er bildet, was er schafft,
Das dankt er dieser Himmelskraft;
Doch furchtbar wird die Himmelskraft,
Wenn sie der Fessel sich entrafft,
Einhertritt auf der eignen Spur,
Die freie Tochter der Natur.
Wehe, wenn sie, losgelassen,
Wachsend ohne Widerstand,
Durch die volkbelebten Gassen
Wälzt den ungeheuren Brand!
Denn die Elemente hassen
Das Gebild’ der Menschenhand.
Aus der Wolke
Quillt der Segen,
Strömt der Regen;
Aus der Wolke, ohne Wahl,
208
Zuckt der Strahl.
Hört ihr'8 wimmern hoch vom Thurm?
Das ist Sturm!
Roth, wie Blut,
Ist der Himmel,
Das ist nicht des Tages Gluth!
Welch Getümmel
Strassen auf!
Dampf wallt auf!
Flackernd steigt die Feuersäule,
Durch der Strasse lange Zeile
Wächst es fort mit Windeseile.
Kochend, wie aus Ofens Rachen,
Glühn die Lüfte, Balken krachen,
Pfosten stürzen, Fenster klirren,
Kinder jammern, Mütter irren,
Thiere wimmern
Unter Trümmern:
Alles rennet, rettet, flüchtet,
Taghell ist die Nacht gelichtet.
Durch der Hände lange Kette
Um die Wette
Fliegt der Eimer, hoch im Bogen
Spritzen Quellen Wasserwegen.
Heulend kommt der Sturm geflogen,
Der die Flamme brausend sucht.
Prasselnd in die dürre Frucht
Fällt sie, in des Speichers Räume,
In der Sparren dürre Bäume,
Und, als wollte sie im Wehen
Mit sich fort der Erde Wucht
Reifsea in gewaltiger Flucht,
Wächst sie in des Himmels Höhen
I viesengross.
Hoffnungslos
Weicht der Mensch der Götter stärke,
Müssig sieht er feine Werke
Und bewundernd untergehn.
Leergebrannt
Ist die Stätte,
Wilder Stürme rauhes Bette.
In den öden Fensterhöhlen
Wohnt das Grauen,
Und des Himmels Wolken schauen
Hoch hinein.
— 209 —
Einen Blick
Nach dem Grabe
Seiner Habe
Sendet noch der Mensch zurück —
Greift fröhlich dann zum Wanderftabe:
Was Feuers Wuth ihm auch geraubt,
Ein süsser Trost ist ihm geblieben,
Er zählt die Häupter seiner Lieben,
Und, sieh’! ihm fehlt kein theures Haupt.
In die Erd’ ist’s aufgenommen,
Glücklich ist die Form gefüllt;
Wird’s auch schön zu Tage kommen,
Dass es Fleiss und Kunst vergilt?
Wenn der Guss misslang?
Wenn die Form zersprang?
Ach, vielleicht, indem wir hoffen,
Hat uns Unheil schon getroffen.
Dem dunkeln Schools der heil’gen Erde
Vertrauen wir der Hände That,
Vertraut der Sämann feine Saat
Und hofft, dass sie entkeimen werde
Zum Segen, nach des Himmels Bath.
Noch köstlicheren Samen bergen
Wir trauernd in der Erde Schools
Und hoffen, dass er aus den Särgen
Erblühen soll zu schönerm Loos.
Von dem Dome
Schwer und bang,
Tönt die Glocke
Grabgesang.
Emst begleiten ihre Trauerschläge
Einen Wandrer auf dem letzten Wege. \
Ach! die Gattin ist’s, die theure,
Ach! es ist die treue Mutter,
Die der schwarze Fürst der Schatten
Wegführt aus dem Arm des Gatten,
Aus der zarten Kinder Schaar,
Die sie blühend ihm gebar,
Die sie an der treuen Brust
Wachsen sah mit Mutterlust —
Ach! des Hauses zarte Bande
Sind gelöst auf immerdar:
Denn sie wohnt im Schattenlande,
Die des Hauses Mutter war;
netto, Deutsches Lesebuch. 1.
14
Denn es fehlt ihr treues Walten,
Ihre Sorge wacht nicht mehr;
An verwais’ter Stätte schalten
Wird die Fremde, liebeleer.
Bis die Glocke lieh verkühlet,
Lasst die strenge Arbeit ruhn.
Wie im Laub der Vogel spielet,
Mag sich Jeder gütlich thun.
Winkt der Sterne Licht,
Ledig aller Pflicht,
Hört der Bursch’ die Vesper schlagen
Meister muss sich immer plagen.
Munter fördert feine Schritte
Fern im wilden Forst der Wandrer
Nach der lieben Heimathhütte.
Blockend ziehen heim die Schafe,
Und der Rinder
Breitgestirnte, glatte Schaaren
Kommen brüllend,
Die gewohnten Ställe füllend.
Schwer herein
Schwankt der Wagen,
Kombeladen;
Bunt von Farben,
Auf den Garben
Liegt der Kranz,
Und das junge Volk der Schnitter
Fliegt zum Tanz.
Markt und Strasse werden stiller;
Um des Lichts gesell’ge Flamme
Sammeln sich die Hausbewohner,
Und das Stadtthor schliefst sich knarrend.
Schwarz bedecket
Sich die Erde;
Doch den sichern Bürger schrecket
Nicht die Nacht,
Die den Bösen grässlich wecket:
Denn das Auge des Gesetzes wacht.
Heil’ge Ordnung, segensreiche
Himmelstochter, die das Gleiche
Frei und leicht und freudig bindet,
Die der Städte Bau gegründet,
Die herein von den Gefilden
Rief den ungesell’gen Wilden,
211
Eintrat in der Menschen Hütten,
Sie gewöhnt zu sanften Sitten
Und das theuerste der Bande
Wob, den Trieb zum Vaterlande!;
Tausend fleiss’ge Hände regen.
Helfen sich in munterm Bund,
Und in feurigem Bewegen
Werden alle Kräfte kund.
Meister rührt lieh und Geselle
In der Freiheit heil'gern Schutz,
Jeder freut sich seiner Stelle,
Bietet dem Verächter Trutz.
Arbeit ist des Bürgers Zierde,
Segen ist der Mühe Preis;
Ehrt den König feine Würde,
Ehret uns der Hände Fleiss.
Holder Friede,
Süsse Eintracht,
Weilet, weilet
Freundlich über dieser Stadt!
Möge nie der Tag erscheinen,
Wo des rauhen Krieges Horden
Dieses stille Thal durchtoben.
Wo der Himmel,
Den des Abends sanfte Rothe
Lieblich malt,
Von der Dörfer, von der Städte
Wildem Brande schrecklich strahlt! /
Nun zerbrecht mir das Gebäude,
Seine Absicht hat’s erfüllt,
Dass sich Herz und Auge weide
An dem wohlgelungnen Bild.
Schwingt den Hammer, schwingt,
Bis der Mantel springt!
Wenn die Gloek’ soll auferstehen,
Muss die Form in Stücke gehen.
Der Meister kann die Form zerbrechen
Mit weiser Hand, zur rechten Zeit;
Doch wehe, wenn in Flammenbächen
Das glühnde Erz sich selbst befreit!
Blindwüthend, mit des Donnere Krachen
Zersprengt es das geborstne Haus,
Und, wie aus offnem Höllenrachen,
Speit es Verderben zündend aus.
14
212
Wo rohe Kräfte sinnlos walten,
Da kann sich kein Gebild gestalten;
Wenn sich die Völker selbst befrein,
Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn.
Weh', wenn sich in dem Schooss der Städte
Der Feuerzunder still gehäuft,
Das Volk, zerreissend feine Kette,
Zur Eigenhülfe schrecklich greift!
Da zerret an der Glocke Strängen
Der Aufruhr, dass sie heulend schallt
Und, nur geweiht zu Friedensklängen,
Die Loosung anstimmt zur Gewalt.
Freiheit und Gleichheit! hört man schallen;
Der ruh1 ge Bürger greift zur Wehr.
Die Strassen füllen sich, die Hallen,
Und Würgerbanden zielin umher.
Da werden Weiber zu Hyänen
Und treiben mit Entsetzen Scherz!
Noch zuckend, mit des Panthers Zähnen,
Zerreissen sie des Feindes Herz.
Nichts Heiliges ist mehr, es lösen
Sich alle Bande frommer Scheu;
Der Gute räumt den Platz dem Bösen,
Und alle Laster walten frei.
Gefährlich ist’s den Leu zu wecken,
Verderblich ist des Tigers Zahn;
Jedoch der schrecklichste der Schrecken,
Das ist der Mensch in seinem Wahn.
Weh’ Denen, die dem Ewigblinden
Des Lichtes Himmelsfäckel leihn!
Sie strahlt ihm nicht, sie kann nur zünden
Und äschert Städt' und Länder ein.
Freude hat mir Gott gegeben!
Sehet! wie ein goldner Stern,
Aus der Hülfe, blank und eben,
Schält sich der metall'ne Kern.
Von dem Helm zum Kranz
Spielt's wie Sonnenglanz;
Auch des Wappens nette Schilder
Loben den erfahrnen Bilder.
Herein, herein,
Gesellen alle! schliesst den Reihen,
Dass wir die Glocke taufend weihen,
Concordia soll ihr Name sein.
213
Zur Eintracht, zu herzinnigem Vereine
Versammle sie die liebende Gemeine.
Und dies fei fortan ihr Beruf.
Wozu der Meister sie erschuf!
Hoch überm niedern Erdenleben
Soll sie im blauen Himmelszelt,
Die Nachbarin des Donners, schweben,
Und gränzen an die Sternenwelt,
Soll eine Stimme fein von oben,
Wie der Gestirne helle Schaar,
Die ihren Schöpfer wandelnd loben
Und fuhren das bekränzte Jahr.
Nur ewigen und ernsten Dingen
Sei ihr metaH'ner Mund geweiht,
Und stündlich mit den schnellen Schwingen
Berühr im Fluge sie die Zeit.
Dem Schicksal leihe sie die Zunge;
Selbst herzlos, ohne Mitgefühl,
Begleite sie mit ihrem Schwünge
Des Lebens wechselvolles Spiel.
Und, wie der Klang im Ohr vergehet,
Der mächtig tönend ihr entfchallt,
So lehre sie, dass nichts bestehet,
Dass alles Irdische verhallt.
Jetzo mit der Kraft des Stranges
Wiegt die Glock’ mir aus der Gruft,
Dass sie in das Keich des Klanges
Steige, in die Himmelsluft!
Ziehet, ziehet, hebt!
Sie bewegt sich, schwebt!
Freude dieser Stadt bedeute,
Friede sei ihr erst Geläute. Schiller.
153. An den Aether.
Treu und freundlich, wie du, erzog der Götter und Menschen
Keiner, o Vater Aether! mich auf; noch ehe die Mutter
In die Arme mich nahm und ihre Brüste mich tränkten,
fasstest zu zärtlich mich an und gossest himmlischen Trank mir,
Mir den heiligen Odem zuerst in den keimenden Busen.
Nicht von irdischer Kost gedeihen einzig die Wesen,
Aber du nährest sie all’ mit deinem Nektar, o Vater!
Und es drängt sich und rinnt aus deiner ewigen Fülle
Ifte beseelende Luft durch alle Köhren des Lebens.
I
— 214 —
Darum lieben die Wesen dich auch und ringen und streben
Unaufhörlich hinauf nach dir in freudigem Wachsthum.
Himmlischer! sucht nicht dich mit ihren Augen die Pflanze,
Streckt nach dir die schüchternen Anne der niedrige Strauch nicht?
Dass er dich finde, zerbricht der gefangene Same die Hülfe;
Dass er belebt von dir in deiner Welle sich bade,
Schüttelt der Wald den Schnee, wie ein überlästig Gewand ab.
Auch die Fische kommen herauf und hüpfen verlangend
Ueber die glänzende Fläche des Stroms, als begehrten auch diese
Aus der Woge zu dir; auch den edeln Thieren der Erde
Wird zum Fluge der Schritt, wenn oft das gewaltige Sehnen,
Die geheime Liebe zu dir sie ergreift, sie hinaufzieht.
Stolz verachtet den Boden das Ross, wie gebogener Stahl strebt
In die Höhe sein Hals, mit der Hufe berührt es den Sand kaum.
Wie zum Scherze berührt der Fuss der Hirsche den Grashalm,
Hüpft, wie ein Zephyr, über den Bach, der reissend hinabschäumt,
Hin und wieder schweift, kaum sichtbar durch die Gebüsche.
Aber des Aethers Lieblinge, sie, die glücklichen Vögel,
Wohnen und spielen vergnügt in der ewigen Halle des Vaters!
Raums genug ist für alle. Der Pfad ist keinem bezeichnet.
Und es regen sich frei im Haufe die Grossen und Kleinen.
Ueber dem Haupt frohlocken sie mir und es sehnt sich auch mein Herz
Wunderbar zu ihnen hinauf; wie die freundliche Heimath
Winkt es von oben herab und auf die Gipfel der Alpen
Möcht’ ich wandern und rufen von da dem eilenden Adler,
Dass er, wie einst in die Arme des Zeus den seligen Knaben,
Aus der Gefangenschaft in des Aethers Halle mich trage.
Thöricht treiben wir uns umher; wie die irrende Rebe,
Wenn ihr der Stab gebricht, woran zum Himmel sie aufwächst,
Breiten wir über den Boden uns aus und suchen und wandern
Durch die Zonen der Erd', o Vater Aetlier! vergebens;
Denn es treibt uns die Lust in deinen Gärten zu wohnen.
In die Meeresfluth werfen wir uns, in den freieren Ebnen
Uns zu sättigen, und es umspielt die unendliche Woge
Unsern Kiel, es freut sich das Herz an den Kräften des Meergotts.
Dennoch genügt ihm nicht! denn der tiefere Ocean reizt uns,
Wo die leichtere Welle sich regt — o wer dort an jene
Goldnen Küsten das wandernde Schiff zu treiben vermöchte!
Aber indess ich hinauf in die dämmernde Ferne mich sehne,
Wo du fremde Gestad’ umfängst mit bläulicher Woge,
Kommst du säuselnd herab von des Fruchtbaums blühenden Wipfeln,
Vater Aether! und lanftigest selbst das strebende Herz mir,
Und ich lebe nun gern, wie zuvor, mit den Blumen der Erde.
Hölderlin.
i
154. Alles mit Mass.
Mancherlei sind der Gaben, die gütige Götter den Menschen
Zum Genusse verliehn und für die tägliche Nothdurft.
Aber vor jeglichem Ding begehr’ ich gebratenen Schweinsfuss.
Meine Frau Wirthin die merkt’s, nun hab’ ich alle Tag’ Schweinsfuss'.
Oesters im Geist ahnt mir: Jetzt ist kein einziger Schweinsfuss
Mehr in der Stadt zu erspähn*, was hab’ ich am Abende? Schweinsfüss’!
Spräche der König nur gleich zum Hofkoch: Schaffe mir Schweinsfuss’!
Gnade der Himmel dem Mann, denn nirgend mehr wandelt ein
Schweinsfuss.
Und ich sagte zur Wirthin zuletzt: Nun lasst mir die Schweinsfüss’!
Denn er schmeckt mir nicht mehr wie sonst, der bräunliche
Schweinsfuss.
Aber sie denkt, aus Zartgefühl nur verbat’ ich die Schweinsfüss’,
Lächelnd bringet sie mir auch heute gebratenen Schweinsfuss —
Ei, so hole der Teufel auf ewig die höllischen Schweinsfüss’!
Mörike.
Sonette.
155. Natur und Kunst.
Natur und Kunst sie scheinen sich zu fliehen
Und haben sich, eh’ man es denkt, gefunden;
Der Widerwille ist auch mir verschwunden,
Und Beide scheinen gleich mich anzuziehen.
Es gilt wohl nur ein redliches Bemühen!
Und wenn wir erst in abgemessnen Stunden
Mit Geist und Fleiss uns an die Kunst gebunden,
Mag frei Natur im Herzen wieder glühen.
So ist’s mit aller Bildung auch beschaffen:
Vergebens wer An ungebundne Geister
Nach der Vollendung reiner Höhe streben.
Wer Grosses will, muss sich zusammen raffen:
ln der Beschränkung zeigt sich erst der Meister,
Und das Gesetz nur kann uns Freiheit geben.
Goethe.
150. Drei Kiele.
Drei Kiele kenn’ ich, die gewaltig sind!
Der erste Kiel ist, den die Vögel spannen,
Womit sie über Berg und Thal von dannen
Ziehn, hingeschaukelt auf des Himmels Wind.
216
Der zweite Kiel, nicht weniger geschwind,
Ist der, womit ein Wunderbau von Tannen
Gerüstet ist, worauf sich zum Tyrannen
Des Meeres macht das kühne Menschenkind.
Der dritte Kiel ist aber, der gewaltig
Vor allen ist; wohin kein Vogel fliegt,
Kein Schiff, da geht fein Fusstritt doppelspaltig.
Er ist’s, der den Gedanken selbst besiegt,
Den unsichtbaren Kiesen vielgestaltig,
Dass er gebannt auf zarten Blättern liegt. Rückert.
157. Die Tanne.
Jungfräulein mit den immergrünen Locken,
Die du den Winter schmückst mit frischem Glanze;
Wie jugendlich auf deinem dunkeln Kranze
Du trägst des hellen Schnee1 es Blüthenflocken!
In kecker Anmuth stehst du unerschrocken,
Wenn dir der Nordwind naht mit Schild und Lanze,
Auffordernd dich zum wilden Wirbeltanze,
Bis ihm des Athems stürm1 ge Züge stocken.
Wie lieblich auf den Höhen tanzt ihr beide,
Er ungestümen Umschwungs Weisen summend.
Du frei dazwischen rauschend mit dem Kleide.
Wenn er genug hat, zieht er ab verstummend,
Dann steckst dein flatternd Busentuch von Seide
Du zierlich an mit Nadeln, dich vermummend.
Rückert.
158. Die Linde.
Ich zubenannt mit sanftem Namen Linde,
Vom Thau des Himmels dreifach übergössen,
Weiss wohl, warum vor allen Waldgenossen
So freudig stolz ich rauschen darf im Winde.
Denn sie, die andern alle treibt der blinde
Trieb ihrer Säfte, dass sie blühn und sprossen:
Doch mir ist Selbstbewusstsein aufgeschlossen,
Und eine Gottheit wohnt in meiner Rinde.
217
Von zweien Menschenherzen, welche Liebe
Im Schatten meiner Aeste jüngst sich schwuren,
Ist mir zu Theil geworden solche Gnade.
Vergeistigt ward mein Trieb von ihrem Triebe,
Und Hauche, die aus ihren Lippen fuhren,
Gestalteten in mir sich zur Dryade. Riickert.
159. Die Eiche. 1817.
Baum meines Vaterlandes, Eiche, mächtige,
Du, sonst den stattlichen Reichsapfel tragend,
Bis kläglich in den Zeiten Sturm verzagend,
Du, uns zur Schmach, Galläpfel trügest, schmächtige!
Das that der Südwind, der verderbenträchtige,
Der, von dem Haupte dir die Kronen schlagend,
Dich beugte, bis, mit ihm im Kampf sich wagend,
Der Nordwind kam, Gott sandt’ ihn, der Allmächtige.
0 Wunder, den Naturlauf so verkehrend,
Dass Südwind, der sonst Lenz bringt, Tod dir brachte,
Und Frühlingshoffnung Nordwind, der sonst frieret!
Drum blick’, o Eiche, dich dem Süd abkehrend,
Zum Norden, weil ich’s so noch möglich achte,
Dass neu einst dein Reichsapfel sich gebieret. Riickert.
160. Geharnischte Sonette.
Nicht mehr das Gold und Silber will ich preisen;
Das Gold und Silber sank herab zum Tande,
Weil würdiglich vom ernsten Vaterlande
Statt Golds und Silbers ward erhöht das Eisen.
Wer Kraft im Arm hat, geh’ sie zu beweisen,
Ein Eisenschwert zu schwingen ohne Schande,
Es heimzutragen mit zerhau’nem Rande,
Und dafür zu empfahn ein Kreuz von Eisen.
Ihr goldnen, führen Ordenszeichen alle,
Brecht vor dem stärkeren Metall in Splitter,
Fallt, denn ihr rettetet uns nicht vom Falle!
Nur ihr, zukünftige neue Eisenritter,
Macht euch hinfort zu einem Eisenwalle
Dem Vaterland, das Kern jetzt sucht statt Flitter!
Riickert.
218
161.
Wir schlingen unsre Hand’ in einen Knoten:
Zum Himmel heben wir den Blick und schwören:
Ihr alle, die ihr lebet, sollt es hören,
Und wenn ihr wollt, so hört auch ihr s, ihr Todten!
Wir schwören: stehn zu wollen den Geboten
Des Land’s, dess Mark wir tragen in den Röhren,
Und diese Schwerter, die wir hier empören,
Nicht eh’r zu senken, als vom Feind zerschroten.
Wir schwören, dass kein Vater nach dem Sohne
Soll fragen, und nach seinem Weib kein Gatte,
Kein Krieger fragen soll nach seinem Lohne,
Noch heimgehn, eh’ der Krieg, der nimmer satte,
Ihn selbst entlässt mit einer blut’gen Krone,
Dass man ihn heile, oder ihn bestatte. Rückert.
162. Venedig.
Mein Auge liess das hohe Meer zurücke,
Als aus der Flush Palladio’s Tempel stiegen,
An deren Staffeln sich die Wellen schmiegen.
Die uns getragen ohne Falsch und Tücke.
Wir landen an, wir danken es dem Glücke,
Und die Lagune scheint zurück zu fliegen,
Der Dogen alte Säulengänge liegen
Vor uns gigantisch mit der Seufzerbrücke.
Venedigs Löwen, sonst Venedigs Wonne,
Mit ehrnen Flügeln sehen wir ihn ragen
Auf seiner kolossalischen Colonne.
Ich steig’ an’s Land, nicht ohne Furcht und Zagen,
Da glänzt der Markusplatz im Licht der Sonne:
Soll ich ihn wirklich zu betreten wagen? Platen.
163.
Dies Labyrinth von Brücken und von Gassen,
Die tausendfach sich ineinander schlingen,
Wie wird hindurchzugehn mir je gelingen?
Wie werd’ ich je dies grosse Räthsel fassen?
219
Ersteigend erst des Markusthurms Terrassen,
Vermag ich vorwärts mit dem Blick zu dringen,
Und aus den Wundern, welche mich umringen,
Entsteht ein Bild, es theilen sich die Massen.
Ich grüsse dort den Ocean, den blauen,
Und hier die Alpen, die im weiten Bogen
Auf die Laguneninseln niederschauen.
Und sieh'! da kam ein muth’ges Volk gezogen,
Paläste sich und Tempel sich zu bauen
Auf Eichenpfähle mitten in die Wogen. Platen.
104.
Venedig liegt nur noch im Land der Träume,
Und wirft nur Schatten her aus alten Tagen,
Es liegt der Leu der Republik erschlagen,
Und öde feiern seines Kerkers Räume.
Die ehrnen Hengste, die durch salz’ge Schäume
Daher geschleppt, auf jener Kirche ragen,
Nicht mehr dieselben sind sie, ach sie tragen
Des korsikan’sehen Ueberwinders Zäume.
Wo ist das Volk von Königen geblieben,
Das diese Marmorhäuser durfte bauen,
Die nun verfallen und gemach zerstieben?
Nur selten finden auf der Enkel Brauen
Der Ahnen grosse Züge sich geschrieben,
An Dogengräbem in den Stein gehauen. Platen.
Gfafele.
105. Im Sonnenschein.
Noch eine Stunde lasst mich hier verweilen im Sonnenschein,
Mit Blumen Lust und Gram des Lebens theilen im Sonnenschein!
Der Frühling kam und schrieb auf Rosenblättern ein Traumgedicht
Vom Paradies, ich las die goldnen Zeilen im Sonnenschein.
Der Sommer kam, das Ird’sche zu verzehren mit Himmelbrand,
Ich sah die Ros' erliegen seinen Pfeilen im Sonnenschein.
Es kam der Herbst, das Leben heimzuholen; ich sah ihn nahn,
Und mit der Ros in seiner Hand enteilen im Sonnenschein.
‘Seid mir gegrüsst, ihr Bilder des Lebens! die hier ich sah
Um mich verweilen, mir vorübereilen im Sonnenschein.
Seid mir gegrüset, ihr Wandrer des Lebens! die ohne mich
Und die mit mir gewandert ein'ge Meilen im Sonnenschein.
Zurück ich blick’, und seh1 die Blumenthäler, so leicht durchwallt,
Und selbst der Berg' einst schwer erstiegne Steilen im Sonnenschein.
Ich geh', die Bisse Müdigkeit des Lebens nur auszuruhn,
Die Lust, den Gram der Erde auszutheilen im Sonnenschein.
_____ Riickert.
166. Vom künftigen Alter.
Der Frost hat mir bereifet des Hauses Dach;
Doch warm ist mir’s geblieben im Wohngemach.
Der Winter hat die Scheitel mir weiss gedeckt,
Doch Hiesst das Blut, das rothe, durch’s Herzgemach.
Der Jugendflor der Wangen, die Rosen sind
Gegangen, all gegangen einander nach.
Wo sind sie hingegangen? In s Herz hinab.
Da blühn sie nach Verlangen, wie vor so nach.
Sind alle Freudenströme der Welt versiegt?
Noch Hiesst mir durch den Busen ein stiller Bach.
Sind alle Nachtigallen der Flur verstummt?
Noch ist bei mir im Stillen hier eine wach.
Sie singet: Herr des Hauses! verfehlen se dein Thor,
Dass nicht die Welt, die kalte, dring’ in's Gemach.
Schleuse aus den rauhen Odem der Wirklichkeit,
Und nur dem Duft der Träume gieb Dach und Fach.
Ich habe Wein und Rosen in jedem Lied,
Und habe solcher Lieder noch tausendfach.
Vom Abend bis zum Morgen und Nächte durch
Will ich dir singen Jugend und Liebesach. Riickert.
167.
Es liegt an eines Menschen Schmerz, an eines Menschen Wunde
nichts,
Es kehrt an das, was Kranke quält, sich ewig der Gesunde nichts :
Und wäre nicht das Leben kurz, das stets der Mensch vom
Menschen erbt,
So gäb’s Beklagenswertheres auf diesem weiten Runde nichts!
Einförmig stellt Natur sich her, doch tausendförmig ist ihr Tod,
Es fragt die Welt nach meinem Ziel, nach deiner letzten Stunde
nichts;
Und wer sich willig nicht ergiebt dem ehrnen Loose, das ihm dräut,
Der zürnt in’s Grab sich rettungslos und fühlt in dessen Schlunde
nichts.
221
Dies wissen Alle, doch vergisst es Jeder gerne jeden Tag,
So komme denn in diesem Sinn hinfort aus meinem Munde nichts!
Vergesst, dass euch die Welt betrügt, und dass ihr Wunsch nur
Wünsche zeugt,
Lasst eurer Liebe nichts entgehn, entschlüpfen eurer Kunde nichts!
Ls hoffe Jeder, dass die Zeit ihm gebe, was sie Keinem gab,
Denn Jeder sucht ein All zu sein, und Jeder ist im Grunde nichts.
Platen.
168.
Was giebt dem Freund, was giebt dem Dichter feine Weihe?
Dass ohne Rückhalt er fein ganzes Selbst verleihe:
Erleuchten soll er klar der Seele tiefste Winkel,
Ob auch ein Tadler ihn verlorner Würde zeihe.
Ihr Halben hofft umsonst, mit enger Furcht im Herzen,
Dass euer Lied man einst zu grossen Liedern reihe:
‘Stumpfsinnige, was wähnt ihr rein zu fein? Ich hörte,
Dass keine Schuld so sehr, als solch ein Sinn entweihe;
Ich fühlte, dass die Schuld, die uns aus Eden bannte,
Schwungfedern uns zum Flug nach hohem Himmeln leihe.
Noch bin ich nicht so bleich, dass ich der Schminke brauchte,
Ls kenne mich die Welt, auf dass sie mir verzeihe!
Platen.
Epigramme.
169. Aus den Votivtafeln.
1.
Was der Gott mich gelehrt, was mir durch’s Leben geholfen,
Häng' ich, dankbar und fromm, hier in dem Heiligthum auf.
2.
Glücklicher Säugling! Dir ist ein unendlicher Raum noch die Wiege.
Werde Mann und dir wird eng die unendliche Welt.
3.
Vor dem Tod erschrickst du! Du wünschest, unsterblich zu leben?
Leb’ im Ganzen! Wenn du lange dahin bist, es bleibt.
4.
Immer strebe zum Ganzen! und, kannst du selber kein Ganzes
Werden, als dienendes Glied ichliess’ an ein Ganzes dich an!
« « / / I i. A . /
222
»
5.
Keiner sei gleich dem andern, doch gleich sei jeder den Höchsten!
Wie das zu machen? Es fei jeder vollendet in sich.
6.
Willst du dich selber erkennen, so sieh', wie die andern es treiben.
Willst du die andern verstehn, blick' in dein eigenes Herz.
7.
„Gott nur siehet das Herz!“ Drum aber, weil Gott nur das Herz sieht,
Sorge, dass wir doch auch etwas Erträgliches sehn!
8.
Theuer ist mir der Freund, doch auch den Feind kann ich nützen;
Zeigt mir der Freund, was ich kann, lehrt mich der Feind, was ich soll.
/ 9.
Warum will sich Geschmack und Genie so selten vereinen?
Jener fürchtet die Kraft, dieses verachtet den Zaum.
10.
Frei von Tadel zu fein, ist der niedrigste Grad und der höchste;
Denn nur die Ohnmacht fuhrt, oder die Grösse dazu.
11.
Glaubt mir, es ist kein Märchen, die Quelle der Jugend sie rinnet
Wirklich und immer. Ihr fraget wo ? In der dichtenden Kunst.
12.
In den Ocean schifit mit tausend Masten der Jüngling;
Still, auf gerettetem Boot, treibt in den Hafen der Greis.
13.
Nur zwei Tugenden giebt's. 0 wären sie immer vereinigt,
Immer die Güte auch gross, immer die Grösse auch gut!
14.
Im Hexameter steigt des Springquells flüssige Säule,
Im Pentameter drauf fällt sie melodisch herab. Schiller.
170. Aus den Jahreszeiten.
I.
Wer ist der glücklichste Mensch ? Der fremdes Verdienst zu empfinden
Weiss, und an fremdem Genuss sich wie am eignen zu freun.
223
2.
Wem zu glauben ist, redlicher Freund, das kann ich dir lagen:
Glaube dem Leben*, es lehrt besser als Redner und Buch.
3.
Wisst ihr, wie auch der Kleine was ist V Er mache das Kleine
Recht*, der Grosse begehrt just so das Grosse zu thun.
4.
Was ist heilig? Das ist’s, was viele Seelen zusammen
Bindet*, band' es auch nur leicht, wie die Binse den Kranz.
5.
Was ist das Heiligste? Das, wgs heut und ewig die Geister,
Tiefer und tiefer gefühlt, immer nur einiger macht.
6.
Wer ist das würdigste Glied des Staats? Ein wackerer Bürger;
Unter jeglicher Form bleibt er der edelste Stoff.
7.
Ob du der Klügste feist: daran ist wenig gelegen,
Aber der Biederste fei, so wie bei Rathe, zu Haus.
8.
Lehrling, du schwankest und zauderst, und scheuest dieglättere Fläche;
Nur gelassen! Du wirst einst noch die Freude der Bahn.
9.
Willst du schon zierlich erscheinen, und bist nicht sicher? Vergebens!
Nur aus vollendeter Kraft blicket die Anmuth hervor.
10.
Ballen ist der Sterblichen Loos. Sc fallt hier der Schüler
Wie der Meister; doch stürzt dieser gefährlicher hin.
Goethe.
171. Sprüche in Reimen.
1.
Willst du dir ein hübsch Leben zimmern,
Musst um's Vergangne dich nicht bekümmern,
Und wäre dir auch was verloren,
Musst immer thun wie neu geboren;
224
h
>
>
Was jeder Tag will, sollst du fragen,
Was jeder Tag will, wird er sagen;
Musst dich am eignen Thun ergötzen.
Was andre thun, das wirst du schätzen;
Besonders keinen Menschen hassen,
Und das übrige Gott überlassen.
2.
Wer mit dem Leben spielt,
Kommt nie zurecht;
Wer sich nicht selbst befiehlt,
Bleibt immer ein Knecht.
8.
Gut verloren —'etwas verloren!
Musst dich rasch besinnen,
Und neues gewinnen.
Ehre verloren — viel verloren!
Musst Ruhm gewinnen,
Da werden die Leute sich anders besinnen.
Muth verloren — alles verloren.
Da wär’ es besser nicht geboren.
4.
Das Tüchtige, und wenn auch falsch,
Wirkt Tag für Tag, von Haus zu Haus;
Das Tüchtige, wenn’s wahrhaft ist,
Wirkt über alle Zeiten hinaus.
5.
Sie schelten einander Egoisten,
Will jeder doch nur fein Leben fristen.
Wenn der und der ein Egoist,
So denke, dass du es selber bist.
Du willst nach deiner Art bestehn,
Musst selbst auf deinen Nutzen sehn!
Dann werdet ihr das Geheimniss besitzen,
Euch sämmtlich unter einander zu nützen:
Doch den lasst nicht zu euch herein,
Der andern schadet um etwas zu fein.
Die Fluth der Leidenschaft sie stürmt vergebens
An's unbezwungne feste Land.
Sie wirft poetische Perlen an den Strand,
Und das ist schon Gewirr des Lebens.
225
7.
Lieb’ und Leidenschaft können verfliegen.
Wohlwollen aber wird ewig siegen.
8.
Oft, wenn dir jeder Trost entflieht,
Musst du im Stillen dich bequemen.
Nur dann, wenn dir Gewalt geschieht,
Wird die Menge an dir Antheil nehmen;
Um’s Unrecht, das dir widerfährt,
Kein Mensch den Blick zur Seite kehrt.
9.
Wie fruchtbar ist der kleinste Kreis.
Wenn man ihn wohl zu pflegen weiss!
10.
Wer Wissenschaft und Kunst besitzt.
Hat auch Religion;
AVer jene beiden nicht besitzt,
Der habe Religion.
11.
Niemand soll in’s Kloster gehn.
Als er fei denn wohl versehn
Mit gehörigem Sünden-Vorrath;
Damit es ihm so früh als spat
Nicht mög’ am Vergnügen fehlen
Sich mit Reue durchzuquälen.
12.
Wenn auch der Held sich selbst genug ist,
Verbunden geht es doch geschwinder:
Und wenn der Ueberwundnc klug ist,
Gesellt er sich zum Ueberwinder.
13.
Trage dein Uebel, wie du magst,
Klage niemand dein Missgeschick;
Wie du dem Freunde ein Unglück klagst,
Giebt er dir gleich ein Dutzend zurück.
14.
Ursprünglich eignen Sinn
Lass1 dir nicht rauben!
Woran die Menge glaubt,
Ist leicht zu glauben.
Roquette, Deutsches Lesebuch. I.
15
226
Natürlich mit Verstand
Sei du beflissen;
Was der Gescheidte weiss,
Ist schwer zu wissen.
15.
Wohin wir bei unsern Gebresten
Uns im Augenblick richten sollen?
Denke nur immer an die Besten,
Sie mögen stecken wo sie wollen.
16.
Was verkürzt mir die Zeit?
Thätigkeit!
Was macht sie unerträglich lang?
Müssiggang!
Was bringt in Schulden?
Harren und Dulden!
Was macht gewinnen?
Nicht lange besinnen!
Was bringt zu Ehren?
Sich wehren!
17.
Vor den Wissenden sich stellen,
Sicher ist’s in allen Fällen!
Wenn du lange dich gequälet,
Weiss er gleich, wo dir es fehlet;
Auch auf Beifall darfst du hoffen,
Denn er weiss, wo du’s getroffen.
18.
Sei du im Leben wie im Wissen
Durchaus der reinen Fahrt beflissen;
Wenn Sturm und Strömung stossen, zerr’n,
Sie werden doch nicht deine Herrn;
Compass und Pol-Stern, Zeitenmesser
Und Sonn' und Mond verstehst du besser,
Vollendest so nach deiner Art
Mit stillen Freunden deine Fahrt.
Besonders wenn dich’s nicht verdrieist,
Wo sich der Weg im Kreise schliesst;
Der Wel tum legier freudig trifft
Den Hafen, wo er ausgeschifft.
Goethe.
227
172. Vierzeilen (Sprüche).
1.
Ein rechter Baum, der leine guten Früchte trägt,
Der wünscht nicht seine Blüthen sich zurücke.
Und wem ein männlich Herz im Busen schlägt,
Seufzt nicht mit Wehmuth nach der Kindheit Glücke.
2.
Ob du in Bruderblut die Hände tauchtest,
Ob du ein liebendes Vertraun missbrauchtest,
Was ist der Unterschied? am Leib begingst du dort,
Hier an der Seele einen Mord.
3.
Wenn das Gute würde vergolten,
So wär' es keine Kunst, es zu thun.
Aber ein Verdienst ist es nun,
Zu thun, wofür du wirst gescholten.
4.
Wenn du die Welt willst sehn
Und ihre Gestalten fassen,
Musst du drauf aus nicht gehn
Dich selber nur sehn zu lassen.
5.
Nicht der ist auf der Welt verwaist,
Dessen Vater und Mutter gestorben,
Sondern der für Herz und Geist
Keine Lieb' und kein Wissen erworben.
6.
Der Verstand ist im Menschen zu Haus
Wie der Funken im Stein;
Er schlägt sich nicht von selbst heraus,
Er will heraus geschlagen sein.
7.
Wer oben steht, such’ oben sich zu halten,
Wer unten ist, der tracht’ hinauf.
Ruh’ und Bewegung sind die zwei Gewalten,
Durch die die Welt sich hält im Lauf.
15
228
8.
Erfahren ward seit tausend Jahren.
Doch du verfolgst umsonst die Spur;
Dir passt nicht, was für sich ein anderer erfuhr,
Du musst es wieder für dich selbst erfahren.
9.
Was du willst ausschliesslich treiben,
Musst du schätzen überwichtig.
Würdest es ja lassen bleiben,
Wenn du’s sähest ein als nichtig.
10.
Der Grundbesitz ist das edelste Gut,
Wie die Erd’ in Gottes Händen ruht;
Ob Stürme schnauben, ob Feinde toben,
Der Grund bleibt unten, der Himmel oben.
11.
Der ist ein Satan von allen Seiten,
Wie die HölT inwendig hohl,
Den Anderer Vollkommenheiten
Weh machen, und ihre Fehler wohl.
12.
Was du im Topfe hast,
Darein kannst du tauchen.
Was du im Kopfe hast,
Das kannst du immer brauchen. Rückest.
173. Sprüche.
1.
So Manche stellen sich fromm erbärmlich,
Demüthiglich und gottesärmlich,
Nur dass man sie nicht bezüchtige,
Wenn sie niemals gewirkt das Tüchtige.
2.
Mehr werth ist Irrthum, den du selbst gefasst,
Als Wahrheit, die du auswendig gelemet hast.
3.
Wer eine Zeitlang Scandal erregt,
Glaube nicht, dass er die Welt bewegt.
229
4.
Vor Tugendphrasen habe Scheu,
Auch wenn du’s ehrlich meinst und treu.
Wer der Tugend Namen unnütz führt,
Der wird zum Heuchler, eh' er’s spürt.
5.
Ein heiliges Gefühl ward dein,
So nimm es kindlich hin und rein;
Vernichtest du’s durch schalen Witz,
Ereilt dich einst der Rache Blitz.
6.
Willst du dich fühlen eingeweiht,
Und doch vermeiden Eitelkeit:
Beschau' mit Fleiss die grossen Meister!
Ihr kühnes Streben macht dich dreister,
Dass du was Rechtes bringst hervor,
Und doch mit Demuth schaust empor.
7.
Das ist die ächte Demuth nicht,
Dass man sich glaubt ein schlechter Wicht;
Die ächte Demuth der nur hegt,
Der ächten Stolz im Busen trägt.
8.
Und will dir Gott fünf Brode nur gewähren,
Du sollst sie so vertheilen und verwalten,
Dass viele Tausende du mögest nähren,
Und deine Körbe dennoch voll behalten.
Sallet.
V.
Aus epischen und dramatischen
Dichtungen.
174. Abbadona.
(Aus dem epischen Gedicht: „der Messias“ von Klopftock. Gesang II.)
Er soll sterben! So wahr ich des Todes Erhalter und Schöpfer
Unbezwingbar durchlebe die kommenden Ewigkeiten:
Er soll sterben! Bald will ich von ihm den Staub der Verwesung
Auf dem Wege zur Hölle, vor’m Antlitz des Ewigen ausstreun.
Seht den Entwurf von meinem Entschluss. So rächet sich Satan!
Satan sprach es. — — — —
Unten am Throne fass einsiedlerisch finster und traurig
Seraph Abdiel Abbadona. Er dachte der Zukunft,
Und den Yergang voll Seelenangst! Vor seinem Gesichte,
Das in trauerndes Dunkel, in schreckliche Schwermuth sich hüllte,
Sah er Qualen gehäuft auf Qualen zur Ewigkeit eingehn.
Jetzo blickt er auf“ vorige Zeit; da war er voll Unschuld,
Jenes erhabneren Abdiels Freund, so den Tag der Empörung
Eine strahlende That vor Gottes Auge vollführte.
Denn er verliess die Empörer allein, und unüberwindlich
Kam zu Gott. Mit ihm, dem edelmüthigen Seraph,
War schon Abbadona dem Blick der Feinde Jehovah’s
Fast entgangen: doch Satans flammender, rollender Wagen,
Der, zu Triumphen zurück sie zu führen, schnell um sie herkam,
Und der Drommetenden Kriegszuruf, der sie ungestüm einlud,
Und die Heerschaar, jeder vor seiner Götterschaft taumelnd,
Uebermannten sein Herz, und rissen ihn hin zu der Rückkehr.
Hier noch wollt’ ihn fein Freund mit Blicken drohender Liebe
Fortzueilen bewegen; allein von künftiger Gottheit
Trunken, erkannt’ Abbadona die vormals mächtigen Blicke
Seines Freundes nicht mehr. Er kam in dem Taumel zu Satan-
Jammernd denkt er, und in sich verhüllt, an diese Geschichte
Seiner heiligen Jugend, und an den lieblichen Morgen
Seiner Schöpfung zurück. Der Ewige schuf sie auf Einmal.
231
Damals besprachen sie sich mit angeschaffner Entzückung
Unter einander: Ach, Seraph, was sind wir? Woher, mein Geliebter?
Sahst du zuerst mich? Wie lange bist du ? Ach, sind wir auch wirklich ?
Komm’, umarme mich, göttlicher Freund, erzähle, was denkst du?
Und da kam aus strahlender Ferne die Herrlichkeit Gottes
Segnend einher. Sie sahen um sich unzählbare Schaaren
Neuer Unsterblicher wandeln, und wallendes Silbergewölk hob
Sie zu dem Ewigen auf. Sie sahn ihn, und nannten ihn Schöpfer!
Diese Gedanken marterten Abbadona. Sein Auge
Floss von der jammernden Thräne. So floss von Bethlehems Bergen
Rinnendes Blut, da die Säuglinge starben. Er hatte mit Schauer
Satan gehört; doch duldet’ er’s nicht, und erhub sich zu reden.
Dreimal seufzet’ er, eh’ er sprach. Wie in blutigen Schlachten
Brüder, die sich erwürgten, und da sie starben, sich kannten,
Neben einander aus röchelnder Brust ohnmächtig seufzen.
Drauf begann er und sprach: Ob mir gleich diese Versammlung
Ewig entgegen wird sein; ich will’s nicht achten, und reden!
Reden will ich, damit des Ewigen schweres Gericht nicht
Ueber mich auch komme, wie, Satan! es über dich kam.
Ja, ich hasse dich, Satan! Dich hass’ ich, du schrecklicher! Mich! Mich!
Diesen unsterblichen Geist, den du dem Schöpfer entrissest,
Fordr’ ich, dein Richter, ewig von dir! Unendliches Wehe
Sclirei’ in der Abgrundskluft, in der Nacht, der Unsterblichen
Heerschaar,
Satan! und laut mit dem Donnersturme, sie alle, die, Satan,
Du verführt hast, laut mit des Todes Meere, sie alle
Ueber dich! Ich habe kein Theil an dem ewigen Sünder!
Gottesläugner! kein Theil an deiner finstern Entschliessung,
Gott, den Messias zu tödten! Ha, wider wen, du Empörer,
Hast du geredt? Ist es wider den nicht, der, du bekennst es
Selber, wie sehr du dein Schrecken auch übertünchest, dir furchtbar,
Mächtiger ist, als du? 0 sendet den sterblichen Menschen
Gott Befreiung vom Elend und Tode; du hältst ihr nicht Obstand!
Und du willst des Messias Leib, den willst du erwürgen ?
Kennst du ihn, Satan, nicht mehr? Hat dich des Allmächtigen Donner
Nicht genug an dieser erhobenen Stirne gebrandmalt?
Oder kann Gott sich nicht vor uns Ohnmächtigen schützen?
Wir, die zum Tode die Menschen verführeten; wehe mir, wehe!
Ich that’s euch! wir wollen uns wider ihren Erlöser
Wüthend erheben? den Sohn, den Donnerer wollen wir tödten?
Ja, den Pfad zu einer vielleicht zukünftigen Rettung,
Oder doch zu der Lindrung der Qual, den wollen wir ewig
Uns, so vielen vordem vollkommenen Geistern, verwüsten?
Satan! so wahr wir alle die Qual gewaltiger fühlen,
Wenn du diese Wohnung der Nacht und der dunklen Verdammniss
232
Königlich nennst, so wahr kehrst du mit Schande belastet,
Statt des Triumphs, zurück von Gott und seinem Messias!
Grimmiger hört' und geduldlos und drohend den Furchtbaren Satan;
Wollte jetzt von den Höhen des Throns der thürmenden Felsen
Einen gegen ihn schleudern: allein die schreckliche Rechte
Sank ihm zitternd im Zorne dahin, er stampft' und erbebte,
Dreimal bebt’ er vor Wuth, sah dreimal Abbadona
Ungestüm an, und schwieg. Vor Grimm ward dunkel sein Auge,
Ihn zu verachten ohnmächtig. Mit muthigem Ernste, nicht zornig,
Blieb Abbadona vor ihm, und mit trauerndem Angesicht stehen.
Aber Gottes, der Menschen, und Satans Feind, Adramelech,
Sprach: „Aus finstern Wettern will Ich mit dir reden, Verzagter,
Ha! zudonnem sollen dir Ungewitter die Antwort!
Darfst du die Götter schmähn? darf einer der niedrigsten Geister
Wider Satan und mich aus seiner Tiefe sich rüsten?
Wirst du gequält, so wirst du von deinen niedern Gedanken,
Sklav, gequält! Entfleuch, Kleinmüthiger, aus den Bezirken
Unserer Herrschaft, wo Könige sind! entfleuch in die Leere!
Lass dir da vom Allmächtigen Reiche des Jammers erschaffen!
Bringe da die Unsterblichkeit zu! doch du stürbest wohl lieber!
Stirb denn, vergeh, anbetend, du Sklav, gen Himmel gebücket!
Der du mitten im Himmel für einen Gott dich erkanntest,
Und dem grossen Allmächtigen kühn mit flammendem Grimme
Widerstandest, künftiger Schöpfer unzählbarer Welten,
Komm, Komm, Satan! wir wollen den kleinen niedrigen Geistern
Unfern furchtbaren Aim durch Unternehmungen zeigen,
Die, wie ein Wetter, auf Einmal sie blenden und niederschlagen!
Komm, Labyrinthe verborgener List, verwirrt zum Verderben,
Zeigen sich mir! der Tod ist darin. Kein öffnender Ausgang,
Und kein Führer soll ihn den Labyrinthen entreissen,
Aber entfloh’ er auch unserer List, gäbst du auf dem Throne,
Uns zu entrinnen, ihm Götterverstand: so sollen im Grimme
Feurige Wetter ihn schnell vor unsern Augen vernichten!
Wie die Wetter, womit wir einst den Geliebteren Gottes,
Seinen glücklichen Job, vor dem Antlitz des Himmels bestritten.
Fleuch, fleuch, Erde, wir kommen mit Tod und Hölle bewaffnet!
Wehe dem, der auf unserer Welt sich wider uns auflehnt!“
Also sprach Adramelech. Nun fiel die ganze Versammlung
Satan auf Einmal mit Ungestüm bei. Gleich stürzenden Felsen
Stampft’ ihr gewaltiger Fuss, dass die Tiefe darunter erbebte.
Jauchzend erhuben um sich sie, und stolz auf nahe Triumphe,
Fürchterliches Stimmengetös. Das rüste vom Aufgang
Bis zu dem Niedergänge. Der Satane ganze Versammlung
Williget ein, den Messias zu todten. Seitdem Gott schuf, sah
233
Eine That, wie diele, die Ewigkeit nicht. Ihr Erfinder,
Satan und Adramelech, voll Rache und grimmiges Tiefsinns
Stiegen vom Thron. Aus den Stufen kracht’s, wie erschüttert der
Fels kracht,
Da sie wandelten. Brüllender Zuruf wälzt sich, empöret
Mehr die Empörer, begleitet sie dumpf zu der Pforte des Abgrunds.
Abbadona (nur er war unbeweglich geblieben)
f olgte von fern: entweder sie noch von der That zu erretten,
Oder ihr Ende, der ungeheuren, mit anzusehen.
Jetzo nähert er sich mit säumendem Schritte den Engeln,
Welche die Pforte bewachten. Wie war dir, Abbadona,
Da du Abdiel hier, den unüberwindlichen sahest?
Seufzend schlug er sein Angesicht nieder. Jetzt wollt’ er zurück gehn,
Wollte jetzo sich nahn, dann wollt’ er einsam und trauernd
In's Unermessliche fliehn; allein noch stand er mit Zittern
Wehmuthsvoll. Nun fasst’ er sich ganz auf Einmal zusammen,
Ding auf ihn zu. Ihm schlug sein Herz mit mächtigen Schlägen;
Stille, den Engeln nur weinbare Thränen bedeckten sein Antlitz;
Seufzer aus allen Tiefen des Herzens, langsame Schauer,
Sterbenden selbst unempfindbar, erschütterten Abbadona,
Als er ging. Doch Abdiels ihn frühsehendes Auge
Schaut’ unverwandt in die Welt des Schöpfers, dem er getreu blieb,
Aber auf ihn nicht. Der Sonn’ in der Jugend, den Frühlingstagen
Oleich, die hinab zu der kaum erschaffenen Erde sich senkten,
Glänzte der Seraph, doch nicht dem trauernden Abbadona.
Der ging fort, und seufzte bei sich verlassen und einsam:
Abdiel, mein Bruder, du willst dich mir ewig entreissen!
Hwig willst du mich ferne von dir in der Einsamkeit lassen!
Weinet um mich, ihr Kinder des Lichts! Er liebt mich nicht wieder,
Hwig nicht wieder, ach, weinet um mich! Verblühet, ihr Lauben,
Wo wir mit Innigkeit sprachen von Gott und unserer Freundschaft!
Himmlische Bäche, versiegt, wo wir in süsser Umarmung
Gottes, des Ewigen, Lob mit reiner Stimme besangen!
Abdiel, mein Bruder, ist mir auf ewig gestorben!
Hölle, mein finsterer Aufenthalt, und du Mutter der (Qualen,
Hwige Nacht, beklag’ ihn mit mir! Ein nächtliches Jammern
Steige, wenn Gott mich schreckt, von deinen Bergen herunter!
Abdiel, mein Bruder, ist mir auf ewig gestorben!
Also jammert er seitwärts gekehrt. Drauf stand er am Eingang
ln die Welten. Ihn schreckte der Glanz und die fliegenden Donner
Gegen ihn wandelnder Orione. Er sahe die Welten,
Weil er sich stets, in fein Elend vertieft, in Einsamkeit einschloss,
Seit Jahrhunderten nicht. Er stand betrachtend, und sagte:
Seliger Eingang, dürft’ ich durch dich in die Welten des Schöpfers
234
Wiederkehren! und nie das Reich der dunklen Verdammniss
Wieder betreten! Ihr Sonnen, unzählbare Kinder der Schöpfung,
War ich nicht schon, da der Ewige rief, da ihr glänzend hervorgingt,
Heller als ihr, da ihr jetzt aus der Hand des Schöpfers herabkamt?
Und nun steh' ich da, verfinstert, verworfen, ein Abscheu
Dieser herrlichen Welt! Und du, o Himmel! Ha, jetzo
Beb’ ich erst, da ich dich erblicke! Dort ward ich ein Sünder!
Stand dort wider den Ewigen auf. Du unsterbliche Ruhe,
Meine Gespielin im Thal des Friedens, wo bist du geblieben?
Ach, kaum lässt für dich mein Richter trauriges Staunen
Ueber feine Welten mir zu! 0 dürft' ich es wagen,
Schöpfer ihn niedersinkend zu nennen, wie gerne wollt’ ich
Dann entsagen den lieblichen Vaternamen, mit dem ihn
Seine Getreuen, die hohen Engel, kindlicher nennen!
0 du Richter der Welt! Dir darf ich Verlorner nicht flehen,
Dass du mit Einem Blicke mich nur hier im Abgrund ansahst.
Finsterer Gedanke, Gedanke voll Qual! und du wilde Verzweiflung!
Wüthe, Tyrannin, ha, wüthe nur fort! Wie bin ich so elend!
Wär’ ich nur nicht! Ich fluche dir, Tag, da der Schaffende sagte:
Werde! da er von Osten mit seiner Herrlichkeit ausging!
Ja, dir fluch’ ich, o Tag, da die neuen Unsterblichen riefen:
Unser Bruder ist auch! du Mutter unendlicher Qualen,
Warum gebarest du, Ewigkeit, ihn? Und musst’ er ja werden,
Warum ward er nicht finster und traurig, der ewigen Nacht gleich, ^
Welche mit Ungewitter und Tod vor dem Donnerer herzieht,
Leer von Geschöpfen, belastet vom Zorn und dem Fluche der Gottheit ?
Wider wen empörst du dich hier vor dem Auge der Schöpfung ?
Lästerer! Sonnen, fallt auf mich her! bedeckt mich, ihr Sterne,
Vor dem grimmigen Zorn dess, der vom Throne der Rache
Ewig als Feind und Richter mich schreckt! du in deinen Gerichten
Unerbittlicher! ist denn in deiner Ewigkeit künftig
Nichts von Hoffnungen übrig? Ach wird denn, göttlicher Richter,
Schöpfer, Vater, Erbarmer —! Ach nun verzweifl’ ich von neuem,
Denn gelästert hab’ ich Jehovah! ich nannt’ ihn mit Namen,
Heiligen Namen, die nennen kein Sünder darf ohne Versöhner!
Ha, ich entfliehe! Schon rauschet vor ihm ein allmächtiger Donner
Durch das Unendliche furchtbar einher! doch wohin? ich entfliehe!
Ruft es, und eilet, und schaute betäubt in des Leeren Abgrund.
Schaffe da Feuer, tödtende Gluth, die Geister verzehre,
Gott! Verderber! zu furchtbarer Gott in deinen Gerichten!
Doch er flehte vergebens. Es ward kein tödtendes Feuer.
Darum wendet’ er lieh, und floh zurück in die Welten.
Endlich stand er ermüdet auf einer erhabenen Sonne,
Schaute von da in die Tiefen hinab. Dort drängten Gestirne
235
Andre Gestirne, wie glühende Seen.' Ein irrender Erdkreis
Näherte sich, schon dampft’ er, und schon war ihm sein Gericht nah.
Auf den stürzte sich Abbadona, mit ihm zu vergehen:
Doch er verging nicht, und senkte, .betäubt vom ewigen Kummer,
Wie ein Gebirge weiss von Gebein, wo Menschen sich würgten,
Im Erdbeben versinkt, zu der Erde sich langsam nieder. —
175. Hüon und Scherasmin.
(Aus dem epischen Gedicht: „Oberon“ von Wieland.)
(I. 9—45.)
Der Paladin, mit dessen Abenteuern
Wir euch ergetzen (sofern ihr noch ergetzbar seid)
Entschlossen sind, war feit geraumer Zeit
Gebunden durch fein Wort, nach Babylon zu steuern.
Was er zu Babylon verrichten sollte, war
Halsbrechend Werk, sogar in Karls des Grossen Tagen:
In unsern würd’ es, auf gleiche Gefahr,
Um allen Ruhm der Welt kein junger Ritter wagen.
Sohn, sprach fein Oheim zu ihm, der heilge Vater in Rom,
Zu dessen Füssen, mit einem reichlichen Strom
Bussfertiger Zähren angefeuchtet,
Er als ein frommer Christ erst feine Schuld gebeichtet;
Sohn, sprach er, als er ihm den Ablass segnend gab,
Zeuch hin in Frieden! Es wird dir wohl gelingen,
Was du beginnst. Allein vor allen Dingen,
Wenn du nach Joppen kommst, besuch das heilge Grab!
Der Ritter küsset ihm in Demuth den Pantoffel,
Gelobt Gehorsam an, und zieht getrost dahin.
Schwer war das Werk, wozu der Kaiser ihn
Verurtheilt hatte; doch mit Gott und St. Christoffel
Hofft er zu seinem Ruhm sich schon heraus zu ziehn.
Er steigt zu .Joppen aus, ‘tritt mit dem Pilgerstabe
Die Wallfahrt an zum werthen heilgen Grabe,
Und fühlt sich nun an Muth und Glauben zwiefach kühn.
Drauf geht es mit verhängtem Zügel
Auf Bagdad los. Stets denkt er, kommt es bald?
Allein da lag noch mancher steile Hügel,
Und manche Wüstenei und mancher dicke Wald
Dazwischen. Schlimm genug, dass in den Heidenlanden
Die schöne Sprache von Ok was unerhörtes war:
Ist dies der nächste Weg nach Bagdad? fragt er zwar
An jedem Thore, doch von keiner Seele verstanden.
236
Einst traf der Weg, der eben vor ihm lag,
Auf einen Wald. Er ritt bei Sturm und Regen
Bald links, bald rechts, den ganzen langen Tag,
Und musst’ oft erst mit feinem breiten Degen
Durch’s wilde Gebüsch sich einen Ausgang hau n.
Er ritt Berg an, um freier umzufchau’n.
Weh ihm! Der Wald scheint sich von allen Seiten,
Je mehr er schaut, je weiter auszubreiten.
Was ganz natürlich war, däucht’ ihm ein Zauberspiel.
Wie wird ihm erst, da in so wilden Gründen,
Woraus kaum möglich war, bei Tage sich zu finden.
Zuletzt die Nacht ihn überfiel!
Sein Ungemach erreichte nun den Gipfel.
Kein Sternchen glimmt durch die verwachfnen Wipfel:
Er führt fein Pferd, so gut er kann, am Zaum,
Und ftöfst bei jedem Tritt die Stirn an einen Baum.
Die dichte rabenschwarze Hülle,
Die um den Himmel liegt, ein unbekannter Wald,
Und, was zum ersten mal in seine Ohren schallt,
Der Löwen donnerndes Gebrülle
Tief aus den Bergen her, das durch die Todes stille
Der Nacht noch schrecklicher, von Felsen wiederhallt:
Der Mann, der nie gebebt in seinem ganzen Leben,
Den machte alles dies zum ersten mal erbeben.
Auch unser Held, wiewohl kein Weibessohn
Ihn jemals zittern sah, sohlt doch bei diesem Ton
An Arm und Knie die Sehnen sich entstricken,
Und wider Willen läuft's ihm eiskalt über n Rücken.
Allein den Muth, der ihn nach Babylon
Zu gehen treibt, kann keine Furcht ersticken;
Und mit gezognem Schwert, sein Ross stets an der Hand,
Ersteigt er einen Pfad,, der sich durch Felsen wand.
Er war nicht lange fort gegangen,
So glaubt’ er in der Fern’ den Schein von Feu’r zu lehn.
Der Anblick pumpt sogleich mehr Blut in seine Wangen,
Und, zwischen Zweifel und Verlangen
Ein menschlich Wesen vielleicht in diesen öden Höh n
Zu finden, fährt er fort, dem Schimmer nachzugehn,
Der bald erstirbt und bald sich wieder zeiget,
So wie der Pfad sich senket oder steiget.
Auf einmal gähnt im tiefsten Felsengrund
Ihn eine Höhle an, vor deren finstrem Schlund
Ein prasselnd Feuer flammt. In wunderbaren Gestalten
Ragt aus der dunklen Nacht das angestrahlte Gestein,
237
Mit wildem Gebüsche versetzt, das aus den schwarzen Spalten
Herab «licht, und im Wiederschein
Als grünes Feuer brennt. Mit lustvermengtem Grauen
Bleibt unser Ritter stehn, den Zauber anzuschauen.
Indem schallt aus dem Bauch der Gruft ein donnernd Halt!
Und plötzlich stand vor ihm ein Mann von rauher Gestalt,
Mit einem Mantel bedeckt von wilden Katzenfellen,
Der, grob zusammen geflickt, die rauhen Schenkel schlug;
Ein graulich schwarzer Bart hing ihm in krausen Wellen
Bis auf den Magen herab, und auf der Schulter trug
Er einen Cedemast als Keule, schwer genug
Den grössten Stier auf einen Schlag zu fällen.
Der Ritter, ohne vor dem Mann
Und seiner Ceder und seinem Bart zu erschrecken,
Beginnt in der Sprache von Ok, der einz’gen, die er kann,
Ihm seinen Nothstand zu entdecken.
Was hör' ich? ruft entzückt der alte Waldmann aus:
0 süsse Musik vom Ufer der Garonne!
Schon sechzehnmal durchläuft den Sternenkreis die Sonne.
Und alle diese Zeit entbehr' ich diesen Ohrenschmaus.
Willkommen, edler Herr, auf Libanon, willkommen!
Wiewohl sich leicht erachten lässt,
Dass Ihr den Weg in dieses Drachennest
Um meinetwillen nicht genommen.
Kommt, ruhet aus, und nehmt ein leichtes Mahl für gut,
Wobei die Freundlichkeit des Wirths das beste thut.
Mein Wein (er springt aus diesem Felsenkeller)
Verdünnt das Blut, und macht die Augen heller.
Der Held, dem dieser Gruss gar grosse Freude gab,
Folgt ungesäumt dem Landsmann in die Grotte,
Legt treulich Helm und Panzer ab,
Und steht entwaffnet da, gleich einem jungen Gotte.
Dem Waldmann wird, als rühr’ ihn Alquifs Stab,
Da jener itzt den blanken Helm enttclmallet,
Und ihm den schlanken Rücken hinab
Sein langes gelbes Haar in grossen Ringen wallet.
Wie ähnlich, ruft er, o wie ähnlich, Stück für Stück!
Stirne, Auge, Mund und Haar! — Wem ähnlich? fragt der Ritter.
Verzeihung, junger Mann! Es war ein Augenblick,
Ein Traum aus bessrer Zeit! so süss und auch so bitter!
Es kann nicht fein! Und doch wie Euch dies schöne Haar
Den Rücken herunter fiel, war mir’s, ich sah’ ihn selber
Von Kopf zu Fuss. Bei Gott! sein Abdruck ganz und gar;
Kur Er von breit'rer Brust, und Eure Locken gelber.
238
„Ihr seid, der Sprache nach, aus meinem Lande; vielleicht
Ist's nicht umsonst, dass Ihr dem guten Herrn so gleicht?
Um den ich hier in diesem wilden Haine,
So fern von meinem Volk, schon sechzehn Jahre weine.
Ach! ihn zu überleben, war
Mein Schicksal! Diese Hand hat ihm die Augen geschlossen,
Dies Auge fein frühes Grab mit treuen Zähren begossen,
Und itzt, ihn wieder in Euch zu sehn, wie wunderbar!"
Der Zufall spielt zuweilen solche Spiele,
Versetzt der Jüngling. — Sei es denn,
Fährt jener fort: genug, mein wackrer junger Mann,
Die Liebe, womit ich mich zu Euch gezogen fühle,
Ist, Treue! kein Wahn; und gönnet ihr den Lohn,
Dass Scherasmin bei Eurem Namen Euch nenne?
„Mein Nam1 ist Hüon, Erb' und Sohn
Des braven Sigewin, einst Herzogs von Guyenne.“
0! ruft der Alte, der ihm zu Füssen fällt,
So log mein Herz mir nicht! 0 tausendmal willkommen
In diesem einsamen unwirthbar’n Theil der Welt,
Willkommen, Sohn des ritterlichen, frommen,
Preiswerthen Herrn, mit dem in meiner bessern Zeit
Ich manches Abenteu’r in Schimpf und Ernst bestanden!
Ihr hüpftet noch im ersten Flügelkleid,
Als wir zum heil'gen Grab zu fähren uns verbanden.
Wer hätte dazumal gedacht,
Wir würden uns in diesen Felsenschlünden
Auf Libanon nach achtzehn Jahren finden?
Verzweifle keiner ja, dem in der trübsten Nacht
Der Hoffnung letzte Sterne schwinden!
Doch, Herr, verzeiht, dass mich die Freude plaudern macht.
Lasst mich vielmehr vor allen Dingen fragen,
Was für ein Sturmwind Euch in dieses Land verschlagen?
Herr Hüon lässt am Feuerherd
Auf einer Bank von Moos sich mit dem Alten nieder,
Und als er drauf die reisemüden Glieder
Mit einem Trunk, so frisch die Quelle ihn bescheert,
Und etwas Honigseim gestärket,
Beginnt er seine Geschichte dem Wirth zu erzählen, der sich
Nicht satt an ihm sehen kann, und stets noch was bemerket,
Worin fein voriger Herr dem jungen Ritter glich.
Der junge Mann erzählt, nach Art der lieben Jugend
Ein wenig breit: wie feine Mutter ihn
Bei Hofe (dem wahren Ort um Prinzen zu erziehn)
Gar fleifsig zu guter Lehr’ und ritterlicher Tugend
239
Erzogen; wie schnell der Kindheit lieblicher Traum
Vorüber geflogen; und wie, so bald ihm etwas Flaum
Durch’s Kinn gestochen, man ihn zu Bordeaux vor den Stufen
Des Schlosses, mit grossem Pomp zum Herzog ausgerufen;
Und wie sie drauf in eitel Lust und Pracht,
Mit Jagen, Turnieren, Banketten, Saus und Braus,
Zwei volle Jahre wie einzelne Tage verbracht,
Bis Amory, der Feind von seinem Hause,
Beim Kaiser (dessen Huld fein Vater schon verscherzt)
Ihn hinterrücks gar böslich angeschwärzt;
Und wie ihn Karl, zum Schein in allen Gnaden,
Nach Hofe, zum Empfang der Lehen, vorgeladen;
Wie fein besagter Feind, der listige Baron
Von Hohenblat, mit Scharlot, zweitem Sohn
Des grossen Karls, dem schlimmsten Fürstenknaben
Im Christenthum (als der schon lange Lust gehegt,
Zu Hüons Land) es heimlich angelegt.
Auf seinem Zuge nach Hof ihm eine Grube zu graben;
Und wie sie eines Morgens früh
Ihm aufgepasst im Wald bei Montlery.
Mein Bruder, fuhr er fort, der junge Gérard, machte
Mit seinem Falken auf der Hand
Die Reise mit. Aus frohem Unverstand
Entfernt der Knabe sich, da niemand arges dachte,
Von unserm Trupp, lässt seinen Falken los,
Und rennt ihm nach: wir andern alle zogen
Indessen unsern Weg, wir achteten’s nicht gross,
Als Falk’ und Knab’ aus unserm Blick endogen.
Auf einmal dringt ein klägliches Geschrei
in unser Ohr. Wir eilen schnell herbei,
Und siehe da! mein Bruder liegt, vom Pferde
Bestürzt, beschmutzt und blutend auf der Erde.
Ein Edelknecht (von keinem unsrer Schaar
Erkannt, wiewohl es Scharlot selber war)
Stand im Begriff, ihn weidlich abzuwalken,
End seitwärts hielt ein Zwerg mit feinem Falken.
Von Zorn entbrannt rief ich: Du Grobian,
Was hat der Knabe dir gethan,
Der wehrlos ist, ihm also mitzuspielen?
Zurück! und rühr’ ihn noch mit einem Finger an,
Wofern dich’s jttckt, mein Schwert in deinem Wanst zu fühlen!
Ha! schrie mir jener zu — bist du’s? dich sucht’ ich just,
Schon lange dürst’ ich nach der Lust,
Mein racheglühend Herz in deinem Blut zu kühlen!
240
Kennst du mich nicht, so wiss’, ich bin der Sohn
Des Herzogs Dietrich von Ardennen:
Dein Vater Sigewin (mög' er im Abgrund brennen!)
Trug über meinen einst bei einem offnen Rennen
Mit Hinterlist den Dank davon,
Und durch die Flucht allein entging er seinem Lohn.
Doch, Rache hab' ich ihm geschworen,
Du sollst mir zahlen für ihn! Da, sieh zu deinen Obren!
Und mit dem Worte rennt er gegen mich,
Der, unbereit zu solchem Tanze,
Sich dessen nicht versah, mit eingelegter Lanze.
Zum Glück parirt’ ich seinen Stich
Mit meinem linken Arm, um den ich in der Eile
Den Mantel schlug, und auf der Stell’ empfing
Mit meinem Degenknopf der Unhold eine Beule
Am rechten Schlaf, wovon der Athem ihm verging.
Er fiel, mit Einem Wort, um nimmer aufzustehen.
Da liessen plötzlich sich im Walde Reiter sehen
In grosser Zahl; doch des Erschlagnen Tod
Zu rächen, war dem feigen Tross nicht Noth.
Sie hielten, während wir des Knaben Wunde banden,
Sich still und fern, bis wir aus ihren Augen schwanden;
Drauf legten sie den Leichnam auf ein Ross
Und zogen eilends fort zum kaiserlichen Schloss.
Unwissend, wie bei Karl mein Handel sich verschlimmert.
Verfolg’ ich meinen Weg, des Vorgangs unbekümmert.
Wir langen an. Mein alter Oheim, Abt
Zu Saint Denys, ein Mann mit Weisheit hochbegabt,
Führt beim Gehör das Wort. Wir werden wohl empfangen.
Und alles wär’ erwünscht für uns ergangen:
Doch wie man eben sich zur Tafel setzen will,
Hält Hohenblat am Schloss mit Scharlots Leiche still.
Zwölf Knappen tragen sie, in schwarzen Flor vermummet,
Die hohen Stufen hinan, und wer sie sieht, verstummet
Und steht erstarrt. Sie nehmen ihren Lauf
Dem Saale zu. Die Thüren springen auf:
Da tragen zwölf Gespenster eine Bahre,
Mit blut'gern Linnen bedeckt, bis mitten in den Saal.
Der Kaiser selbst erblasst, uns andern stehn die Haare
Zu Berg, und mich trifft’s wie ein Wetter strahl.
Indem tritt Amory hervor, hebt von der Leiche
Das blut’ge Tuch, und — „Sieh (ruft er dem Kaiser zu),
Dies ist dein Sohn! und hier der Frevler, der dem Reiche
Und dir die Wunde schlug, dei; Mörder unsrer Ruh’!
241
Weh mir! ich kam zu spät dazu!
Sich nichts versehend fiel dein Scharlot im Gesträuche
Durch Meuchelmord, nicht wie im offnen Feld
Von Ritterhand ein ritterlicher Held.“
Wie viel Verdriess dem alten Herrn auch täglich
Sein böser Sohn gebracht, so blieb er doch sein Sohn,
Sein Fleisch und Blut. Erst stand er unbeweglich;
Dann schrie er laut vor Schmerz: Mein Sohn! mein Sohn!
Und warf sich in Verzweiflung neben
Den Leichnam hin. Mir war der bange Vaterton
Ein Dolch in’s Herz: ich hätt1 um Scharlots Leben
In diesem Augenblick mein bestes Blut gegeben.
Herr, rief ich, höre mich! Mein Will' ist ohne Schuld;
Er gab sich für den Sohn des Herzogs von Ardennen,
Und was er that, bei Gott! es hätte die Geduld
Von einem Heil’gen morden können!
Er schlug den Knaben dort, der ihm kein Leid gethan,
Sprach lästerlich von meines Vaters Ehre,
Eiei unverwandt mich selber mördrisch an —
Den möcht' ich sehn, der kalt geblieben wäre!
Ha! Bösewicht! schreit Karl mich hörend, springt entbrannt.
Vom Leichnam auf, mit Löwengrimm im Blicke,
Heisst einem Knecht das Eisen aus der Hand,
Und, hielten ihn mit Macht die Fürsten nicht zurücke,
Er hätt’ in seiner Wuth mich durch und durch gerannt.
Auf einmal rüttelt sich der ganze Ritterstand;
Ein wetterleuchtender Glanz von hundert blossen Wehren
Scheint stracks in jeder Brust die Mordlust aufzustören.
Die Hall’ erdonnert von Geschrei,
Das Estrich bebt, die alten Fenster klirren.
Aus jedem Mund schallt: Mord! Verrätherei!
Die Sprachen scheinen sich auf s neue zu verwirren.
Man schnaubt, man rennt sich an, man zückt die drohende Hand.
Der Abt, den noch allein St. Benedicts Gewand
Vor Frevel schützt, hält endlich unsern Degen
Mit aufgehobnem Arm sein Skapulier entgegen.
Ehrt, ruft er laut, den heil’gen Vater in mir,
Dess Sohn ich bin! Im Namen Gottes, dem ich diene,
Uebief ich Fried’! — Er rief s mit einer Miene
Und einem Ton, der Heiden zur Gebühr
Genöthigt hätt’. Und stracks auf einmal legen
Des Aufruhrs Wogen sich, erhellt sich jeder Blick,
lud jeder Dolch und jeder nackte Degen
Schleicht in die Scheide still zurück.
Roquette, Deutsches Lesebuch. I.
16
242
(63 — 73).
Doch Karl (so fährt der junge Ritter fort
Dem Mann vom Felsen zu erzählen)
Karl hielt noch seinen Groll. Kann dieser neue Mord
Mir, rief er, meinen Sohn beseelen?
Ist Hüons Unschuld anerkannt?
Liess Hohenblat ein Wort von Widerruf entfallen?
Auf ewig fei er denn aus unserm Reich verbannt,
Und all sein Land und Gut der Krone heimgefallen!
Streng war dies Urtheil, streng der Mund,
Aus dem es ging; allein was konnten wir dagegen?
Das einz’ge Mittel war, aufs Bitten uns zu legen.
Die Pärs, die Ritterschaft, wir alle knieten, rund
Um seinen Thron, uns schier die Kniee wund,
Und gaben’s endlich auf, ihn jemals zu bewegen;
Als Karl zuletzt fein langes Schweigen brach:
Wohlan, ihr Fürsten und Ritter, ihr wollt’s, wir geben nach.
Doch höret den Beding, den nichts zu widerrufen
Vermögend ist! — Hier neigt er gegen mich
Herunter von des Thrones Stufen
Den Zepter — ich begnadige dich:
Allein aus allen meinen Reichen
Soll dein verbannter Fuss zur Stunde stracks entweichen,
Und bis du Stück für Stück mein kaiserlich Gebot
Vollbracht, ist Wiederkunft unmittelbarer Tod.
Zeuch hin nach Babylon, und in der festlichen Stunde,
Wenn der Kalif, im Staat, in seiner Tafelrunde
Mit seinen Emirn sich beim hohen Mahl vergnügt,
Tritt hin, und schlage dem, der ihm zur Linken liegt,
Den Kopf ab, dass fein Blut die Tafeln überspritze.
Ist dies gethan, so nahe züchtig dich
Der Erbin seines Throns, zunächst an seinem Sitze,
Und küss’ als deine Braut sie dreimal öffentlich.
Und wenn dann der Kalif, der einer solchen Scene
In seiner eignen Gegenwart
Sich nicht versah, vor deiner Kühnheit starrt,
So wirf dich an der goldnen Lehne
Vor seinem Stuhle hin, nach Morgenländer-Art,
Und zum Geschenk für mich, das unsre Freundschaft kröne,
Erbitte dir von ihm vier seiner Backenzähne
Und eine Handvoll Haar aus seinem Bart.
Geh hin, und, wie gesagt, elf du aufs Haar vollzogen,
Was ich dir hier von Wort zu Wort gebot,
243
Ist deine Wiederkunft unmittelbarer Tod!
Wir bleiben übrigens in Gnaden dir gewogen.
Der Kaiser sprach’ s und schwieg. Allein wie uns dabei
Zu Muthe war, ist nothlos zu beschreiben.
Ein jeder sah, dass so gewogen bleiben
Nichts bessres als ein Todesurtheil fei. —
Was red' ich viel? Es war zu offenbar,
Dass Karl durch dies Gebot mir nach dem Leben trachte.
Doch, wie es kam, ob es Verzweiflung war,
Ob Ahnung, oder Trotz, was mich so tollkühn machte,
Genug, ich trat vor ihn, und sprach mit Zuversicht:
Was du befohlen, Herr, kann meinen Muth nicht beugen!
Ich bin ein Frank’! Unmöglich oder nicht,
Ich untemehm’s, und seid ihr alle Zeugen!
Und nun, kraft dieses Worts, mein guter Scherasmin,
Siehst du mich hier, nach Babylon zu reisen
Entschlossen. Willst du mir dahin
Den nächsten Weg aus diesen Bergen weisen,
So habe Dank! wo nicht, so mach’ ich’s, wie ich kann.
Mein bester Herr, versetzt’ der Felsenmann,
Indem die Zähren ihm am Bart herunter beben,
Ihr ruft, wie aus dem Grab, mich in ein neues Leben!
Hier schwör’ ich Euch, und da, zum heil’gen Pfand
Ist diese, alte zwar, doch nicht entnervte Hand,
Mit Euch, dem theuren Sohn und Erben
Von meinem guten Herrn, zu leben und zu sterben!
Das Werk, wozu der Kaiser Euch gesandt,
Ist schwer, doch ist damit auch Ehre zu erwerben.
Genug, ich führ’ Euch hin, und steh’ Euch festen Muths
Bis auf den letzten Tropfen Bluts!
Maü :•* bl» •
Der junge Fürst, gerührt von solcher Treue,
Fällt dankbarlich dem Alten um den Hals.
Drauf legen sich die Beiden auf die Streue,
Und Hüon schläft, als wär’ es Flaum. Und als
Der Tag erwacht, erwacht mit muntern Blicken
Der Ritter auch, schnallt seine Rüstung an ;
Der Alte nimmt den Quersack auf den Rücken,
Den Knittel in die Hand, und wandert frisch voran.
Wieland.
16
244
178. Die drei Hinge.
(Aus dem dramatischen Gedicht „Nathan der Weife® von Leasing.)
Nathan.
Vor grauen Jahren lebt’ ein Mann im Osten,
Der einen Ring von unschätzbarem Werth'
Aus lieber Hand besass. Der Stein war ein
Opal, der hundert schöne Farben spielte,
Und hatte die geheime Kraft, vor Gott
Und Menschen angenehm zu machen, wer
In' dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder,
Dass ihn der Mann in Osten darum nie
Vom Finger liess, und die Verfügung traf,
Auf ewig ihn bei seinem Hause zu
Erhalten? Nämlich so. Er liess den Ring
Von seinen Söhnen dem Geliebtesten;
Und setzte fest, dass dieser wiederum
Den Ring von seinen Söhnen dem vermache,
Der ihm der liebste fei; und stets der Liebste.
Ohn' Ansehn der Geburt, in Kraft allein
Des Rings, das Haupt, der Fürst des Hauses werde. —
Versteh mich, Sultan!
Saladin.
Ich versteh’ dich. Weiter!
Nathan.
So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn,
Auf einen Vater endlich von drei Söhnen:
Die alle drei ihm gleich gehorsam waren,
Die alle drei er folglich gleich zu lieben
Sich nicht entbrechen konnte. Nur von Zeit
Zu Zeit schien ihm bald der, bald dieser, bald
Der Dritte, — so wie jeder sich mit ihm
Allein befand, und sein ergiessend Herz
Die andern zwei nicht theilten, — würdiger
Des Rings; den er denn auch einem jeden
Die fromme Schwachheit hatte, zu versprechen.
Das ging nun so, so lang es ging. — Allein
Es kam zum Sterben, und der gute Vater
Kommt in Verlegenheit. Es schmerzt ihn, zwei
Von seinen Söhnen, die sich auf sein Wort
Verlassen, so zu kränken. — Was zu thun? —
Er sendet in geheim zu einem Künstler,
245
Bei dem er, nach dem Muster feines Ringes,
Zwei andere bestellt, und weder Kosten
Noch Mühe sparen heisst, sie jenem gleich,
Vollkommen gleich zu machen. Das gelingt
Dem Künstler. Da er ihm die Ringe bringt,
Kann selbst der Vater seinen Musterring
Nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft
Er seine Söhne, jeden ins besondre;
Giebt jedem ins besondre seinen Segen, —
Und seinen Ring, — und stirbt. — Du hörst doch, Sultan?
Saladin.
(Der sich betroffen von ihm gewandt.)
Ich hör', ich höre! — Komm' mit deinem Mährchen
Nur bald zu Ende. — Wird’s?
Nathan.
Ich bin zu Ende.
Denn was noch folgt, versteht sich ja von selbst. —
Kaum war der Vater todt, so kommt ein jeder
Mit seinem Ring, und jeder will der Fürst
Des Hauses fein. Man untersucht, man zankt,
Man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht
Erweislich —
(nach einer Pause, in welcher er des Sultans Antwort erwartet)
fast so unerweislich, als
Uns itzt — der rechte Glaube.
Saladin.
Wie? das soll
Die Antwort sein auf meine Frage?...
N ath an.
Soll
Mich blos entschuldigen, wenn ich die Ringe
Mir nicht getrau’ zu unterscheiden, die
Der Vater in der Absicht machen liess,
Damit sie nicht zu unterscheiden wären.
Saladin.
Die Ringe! — Spiele nicht mit mir! — Ich dächte,
Dass die Religionen, die ich dir
Genannt, doch wohl zu unterscheiden wären;
Bis auf die Kleidung; bis auf Speis’ und Trank!
Nathan.
Und nur von Seiten ihrer Gründe nicht. —
Denn gründen alle sich nicht auf Geschichte?
246
Geschrieben oder überliefert! — Und
Geschichte muss doch wohl allein auf Treu
Und Glauben angenommen werden? — Nicht? —
Nun wessen Treu und Glauben zieht man denn
Am wenigsten in Zweifel? Doch der Seinen?
Doch deren Blut wir find? Doch deren, die
Von Kindheit an uns Proben ihrer Liebe
Gegeben? Die uns nie getäuscht, als wo
Getäuscht zu werden uns heilsamer war? —
Wie kann ich meinen Vätern weniger,
Als du den deinen glauben? Oder umgekehrt —
Kann ich von dir verlangen, dass du deine
Vorfahren Lügen strafst, um meinen nicht
Zu widersprechen? Oder umgekehrt.
Das nämliche gilt von den Christen. Nicht? —
Saladin.
(Bei dem Lebendigen! Der Mann hat Recht.
Ich muss verstummen.)
N athan.
Lass auf unsre Ring'
Uns wieder kommen. Wie gesagt: die Söhne
Verklagten sich; und jeder schwur dem Richter,
Unmittelbar aus seines Vaters Hand
Den Ring zu haben. — Wie auch wahr! — Nachdem
Er von ihm lange das Versprechen schon
Gehabt, des Ringes Vorrecht einmal zu
Gemessen. — Wie nicht minder wahr! — Der Vater,
Betheuerte jeder, könne gegen ihn
Nicht falsch gewesen sein; und eh’ er dieses
Von ihm, von einem solchen lieben Vater,
Argwohnen lass': eh’ mttss’ er feine Brüder,
So gern er sonst von ihnen nur das Beste
Bereit zu glauben fei, des falschen Spiels
Bezeihen, und er wollte die Vcrräther
Schon auszufinden wissen; sich schon rächen!
Saladin.
Und nun, der Richter? — Mich verlangt zu hören,
Was du den Richter sagen lässest. Sprich!
Nathan.
Der Richter sprach: wenn ihr mir nun den Vater
Nicht bald zur Stelle schafft, so weis’ ich euch
247
Von meinem Stuhle. Denkt ihr, dass ich Räthsel
Zu lösen da bin? Oder harret ihr,
Bis dass der rechte Ring den Mund eröffne ? —
Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring
Besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen-,
Vor Gott und Menschen angenehm. Das muss
Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden
Doch das nicht können! — Nun, wen lieben zwei
Von euch am meisten? — Macht, sagt an! Ihr schweigt?
Die Ringe wirken nur zurück? und nicht
Nach aussen ? Jeder liebt sich selber nur
Am meisten? — 0, so seid ihr alle drei
Betrogene Betrüger! Eure Ringe
Sind alle drei nicht echt. Der echte Ring
Vermuthlich ging verloren. Den Verlust
Zu bergen, zu ersetzen, liess der Vater
Die drei für einen machen.
Sa lad in.
Herrlich! Herrlich!
Nathan.
Und also, fuhr der Richter fort, wenn ihr
Nicht meinen Rath, statt meines Spruches, wollt:
Geht nur! — Mein Rath ist aber der: ihr nehmt
Die Sache völlig, wie sie liegt. Hat von
Euch jeder seinen Ring von seinem Vater:
So glaube jeder sicher seinen Ring
Den echten. — Möglich, dass der Vater nun
Die Tyrannei des einen Rings nicht langer
In seinem Hause dulden wollen! — Und gewiss
Dass er euch alle drei geliebt, und gleich
Geliebt: indem er zwei nicht drücken mögen,
Um einen zu begünstigen. —r. Wohlan!
Es eifre jeder seiner unbestoehnen
Von Vomrtheilen freien Liebe nach!
Es strebe von euch jeder um die Wette,
Die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag
Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut!»,
Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohlthun,
Mit innigster Ergebenheit in Gott,
Zu Hüls! Und wenn sich dann der Steine Kräfte
Bei euren Kindes-Kindeskindern äulsern:
So lad' ich über tausend tausend Jahre
Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird
248
Ein weis’rer Mann auf diesem Stuhle fitzen,
Als ich, und sprechen. Geht! — So sagte der
Bescheidne Richter.
177. Des Helden Tod.
(Aus dem „Cid“ von Herder.)
62-70.
Eingeschlummert, matt vor Alter,
Sass auf seinem hölzern Stuhle
Cid, der Feldherr, neben ihm
Sass Ximene mit den Töchtern,
Stickend eine seine Leinwand.
Ihnen winkte mit dem Finger
Sie, des Vaters iussen Schlummer
Nicht zu stören; Alles schwieg;
Als zwei persische Gesandte,
Den ruhmvollen Cid zu grossen,
Kommen mit Geräusch und Pracht.
Denn der Ruf von seinen Thaten,
Von der Grösse seines Werthes
Drang durch Mauren und Araber
Hin in's ferne Persien.
Von des Helden Ruhm ergriffen,
Sands der Sultan ihm Geschenke:
Seidenstoffe, Specerei’n.
Angelangt mit den Kameelen,
Traten vor ihn die Gesandten.
,,Ruy Diaz,“ sprach der eine.
Mit hinabgesenktem Blick,
„Ruy Diaz, tapfrer Feldherr!
Unser mächtiggrosser Sultan
Beut dir feine Freundschaft an.
Bei dem Leben Mahom’s schwur er:
Hätt' er dich in seinem Lande,
Wohl die Hälfte seines Reiches
Gab’ er gerne dir als Freund,
Seine Achtung dir zu zeigen,
Sendete dir die Geschenke.“
Ihm antwortete der Cid:
„Sagt dem Sultan, Eurem Herren,
Dass die Ehre seiner Botschaft
Ich empfange unverdient.
249
Was ich that, es war nur wenig;
Was ich bin, ward oft verleumdet;
Hätt’ er sich bei uns erkundet,
Wer ich fei, er hätte schwerlich
Mir die Ehre wohl erzeigt.
Indess, wär’ er Christ, ich machte
Ihn zum Richter meines Werth"s.u
Also sprach der Cid und zeigte
Ihnen darauf seine Schätze:
Die Gemahlin und die Töchter,
Zwar nicht überdeckt mit Perlen,
Ohne Schmuck und Edelsteine,
Doch des Herzens Gut' und Unschuld
Sprach aus jeglichem Gesicht.
Ueber seiner Töchter Schönheit
Waren beide hoch erstaunt,
Und noch mehr, noch mehr erstaunet
Ueber seine schlichten Sitten,
Ueber sein einfaches Haus.
Auch in Spanien besiegte
Bald fein Ruhm die ärgsten Neider.
Seine schönen, edlen Töchter
Dona Sol und Dona Elvira
Fand der Lohn; an zwei Infanten
Aragoniens und Navarra's
Wurden glücklich sie vermählt.
Matt von Jahren, matt von Kriegen,
Obwohl überdeckt mit Ruhme,
Als der Cid Bucar entgegen,
Der, Valencia ihm zu rauben,
Auf ihn drang mit starker Heerskraft,
Dreissig Könige mit ihm —
Als Cid gegen sie hinauszog,
Sprach er zu Ximenen so:
„Wenn ich überdeckt mit Todeswunden
Auf dem Schlachtfeld falle, so bestatte
Mich beim heil'gen Pedro de Cardena,
Nahe dem Altare; und, Ximene,
Sei wohl auf der Hut, dass dich der Mauren
Keiner dann in Furcht und Schwachheit sehe.
Wenn man diesseits über meinem Leichnam
Ruhepsalmen singt, so rufe jenseits
250
Man zu Waffen, dass mein Tod den Feinden
Neuen Muth nicht und den Sieg nicht gebe.
„In der Rechten lass mir die Tizona
Auch in meiner Gruft, dass sie kein Andrer,
Kein Unwürd’ger führe. Will es Gott so
Und du siehst Babiecja aus dem Schlachtfeld
Ohne mich heimkehren, öffn’ ihm freundlich
Gleich die Pforte, streichle ihn, Ximene!
Wer dem Herrn so treu wie er gedient hat,
Ist auch Lohns werth nach des Herren Tode.
„Hilf Ximene, hilf mir in die Waffen!
Sieh', dort blinket schon die Morgenröthe;
Und es geht auf Leben oder Tod jetzt.
Gieb mir, Liebe, gieb mir deinen Segen;
Und, was ich erworben, fei der Himmel
Gnädig deiner Kraft es zu erhalten!“
Ausgesprochen diese Worte,
Schwang er mühsam sich vom Eckstein
Auf sein gutes Pferd Babie<ja;
Das sah seinen Herren traurig,
Traurig hing es seinen Kopf.
Matt von Kriegen, matt von Kämpfen
Lag der Cid auf seinem Lager,
Denkend an die nahe Zukunft,
An Gefahren der Ximene;
Als er neben sich am Bette
Leuchten sahe welchen Glanz!
Einen Mann an seiner Seite .
Sah er; heiter war sein Antlitz,
Glänzend, und sein Haar gekräuselt,
Weiss wie Schnee; er fass ehrwürdig
Da, in süssem Himmelsduft.
„Schlummerst du, mein Freund Rodrigo?“
Sprach er. „Auf! ermuntre dich!“ —
„Und wer bist du,“ sprach der Feldherr,
„Der im Wachen mit mir spricht?“ —
„Pedro bin ich, der Apostel,
Dessen Haus dir io beliebt ist,
Hergesandt auf deine Sorgen,
Komm' ich zu verkünden dir,
Dass dich Gott nach dreissig Tagen
Rufet in die andre Welt,
251
„Wo dich alle deine Freunde,
Wo die Heil’gen dich erwarten.
Um die Freunde, die du lässest.
Um Ximene fei nicht bange;
Aufgetragen meinem Vetter,
Dem San Jago, ist ihr Sieg.
Mache fertig dich zur Reife,
Und bestelle froh dein Haus.“
Dies gehöret, sprang Rodrigo
Munter auf von feinem Lager,
Will dem heiligen Apostel
Dankend froh zu Fusse fallen.
Doch die himmlische Erscheinung
War hinweg; er stand allein.
Tausendhundert zwei und dreissig,
Am dreizehnten Tag des Maimonds
War es, als der gute Feldherr
Von Bivar die Welt verliess.
Tages drauf, als ihm San-Pedro
Prophezeiend war erschienen,
Liess er feine Freunde kommen,
Und Ximenen ihm zur Seite,
Sprach er seinen letzten Willen
Ernst und ruhig also aus:
„Zu Sau-Pedro de Cardeßa,
Wie du mir versprachst, Ximeiie,
Wird mein Körper heimgeführt.
Jedem meiner edeln Männer
Gieb fünfhundert Maravedis;
Denn sie waren treuergeben,
Treu dem Cid bis in den Tod. —
Alvar Faßez von Minaya,
Du, mein Freund, wirst sie vertheilen.
Was dir bleibt, meine Ximene,
W end' es an zu frommen Werken,
Und für deine Güt’ und Liebe
Habe meinen treusten Dank.
In das Kloster zu Garde Na
Wirst du meinen Leib begleiten;
Mein Vertrautester, Gil Diaz,
Don Jeronymo, der Bischof,
Alvar Fafiez und Bermudes,
252
Meine Treugeliebten alle,
Werden, dir und mir gefällig,
Wohl mit dir die Reise thun.“
So empfahl er Gott die Seele,
Nahm Abschied von seinen Freunden
Und empfing das Sacrament.
Tages noch vor seinem Tode
Liess Cid feine Freunde kommen,
Und als Feldherr sprach er so:
„Ich weiss, dass der Mohrenkönig,
Dass Bucar mit seinen Heeren,
Der Valencia hart umschliesst,
Gierig meinen Tod erwartet:
Bergt den Sarazenen ihn.
„Und die kostharn Speeereien,
Die Balsame, die der Sultan
Mir aus Persien gesandt,
Sandt’ er wohl für meinen Leichnam!
Wohl, ihr Freunde, lasst ihn waschen,
Balsamirt ihn mit der Myrrhe,
"Kleidet ihn von Haupt zu Fuss.
San-Jago wird euch begleiten,
Und kein Klaggesang erschalle,
Keine Thräne wein' um mich.
„Vielmehr, wenn ich ausgeathmet,
Lasset die Trommeten tönen,
Lasst die Pauken, lasst die Cymbeln,
Lasst die Clarinetten rufen
Feldgeschrei zur nahen Schlacht.
„Und wenn ihr dann nach Castilien
Meinen Leichnam hinbegleitet,
Wiss’ es ja kein Mohren - Seewolf',
Alle lasset hier zurück.
Sattelt meinen Freund Babie<ja,
Kleidet mich in meine Waffen,
Gürtet an mir die Tizona,
Und so setzt mich auf mein Ross.
Neben mir dann geht Gil Diaz,
Don Jeronymo der Bischof,
Und mein tapfrer Freund Bermudes. —
Ihr, Alvar Fasiez Minaya,
Ziehet stracks hin auf Bucar;
Dass Euch Gott den Sieg’ verleibn wird,
Sagte mir San-Pedro leibst.“
Also sprach der Feldherr ruhig.
Und des Sultans Ehrenbalsam
War gesandt ihm zum Triumph.
Fahnen, gute alte Fahnen,
Die den Cid so oft begleitet
In und siegreich aus der Schlacht,
Rauschet ihr nicht in den Lüften
Traurig, dass euch Stimm1 und Sprache,
Dass euch eine Thräne fehlt?
Denn es brechen feine Blicke,
Er sieht euch zum letzten Mal.
Lebet wohl, ihr schönen Berge
Teruel und Albarazin,
Ew’ge Zeugen seines Ruhmes,
Seines Glückes, seines Muths!
Lebet wohl, ihr schönen Höhen,
Und du Aussicht auf das Meer hin.
Ach, der Tod, er raubt uns alles.
Wie ein Habicht raubt er uns!
Seht, es brechen feine Augen —
Er blickt hin zum letzten Mal!
Was hat er gesagt, der gute
Cid? Er liegt auf seinem Lager.
Wo ist feine Eisenstimme?
Kaum noch kann man ihn verstehen,
Dass er seinen Freund Babiecja,
Ihn noch einmal sehen will.
Babie^a kommt, der treue
Mitgefährt1 des wackern. Helden
In so mancher, mancher Schlacht.
Als er die ihm wohlbekannten
Guten alten Fahnen siehet,
Die sonst in den Lüften wehten,
Hingebeugt aufs Sterbelager,
Unter ihnen seinen Freund,
Fühlt er seinen Lauf des Ruhmes
Auch geendet, steht mit grossen
Augen stumm da wie ein Lamm;
Sein Herr kann zu ihm nichts sprechen,
Er auch nichts zu seinem Herrn.
254
Traurig sieht ihn an Babie^a,
Cid ihn an zum letzten Mal.
Gerne hätt' sich Alvar Fati'ez
Mit dem Tode jetzt geschlagen.
Ohne Sprache sitzt Ximene;
Cid, er drückt ihr noch die Hand.
Und nun rauschten die Paniere
Stärker; durch das offiie Fenster
Weht ein Wind her von den Höhen —
Plötzlich schweigen Wind und Fahnen
Edel: denn der Cid entschläft.
Auf nun, auf, Trommeten, Trommeln,
Pfeifen, Clarinetten, tönet!
Uebertönet Klag' und Seufzen,
Denn der Cid befahl es da!
Ihr geleitet auf die Seele
Eines Helden, der entschlief.
Ausgeathmet hat der gute
Cid, der von Bivar sich nannte.
Zu vollbringen seinen Willen
Ist Gil Diaz jetzt bedacht.
Balsamiret wird sein Leichnam:
Frisch und schön, als ob er lebte,
Sitzt er da mit hellen Augen,
Mit ehrwürdig weissem Bart;
Eine Tafel stützt die Schultern,
Eine Tafel Kinn und Arme;
Unbewegt auf seinem Stuhle
Sitzt er da, der edle Greis.
Ais zwölf Tage nun vergangen,
Schalleten die Kriegstrommeten,
Weckten auf den Maurenkönig,
Der Valencia hart umschloss.
Mitternacht war'8, und man setzte
Aul sein gutes Pferd Babie^a
Grad’ und fest den todten Herrn.
Schwarz’ und weisse Niederkleider,
Aehnlich dem gewohnten Harnisch,
Den Cid an den Beinen trug,
Durchgenäht mit goldnen Kreuzen,
War die Kleidung; ihm am Halse,
255
Eingefasst mit der Devise,
Wellenförmig hing sein Schild;
Von gemaltem Pergamente
Stand ein Helm ihm ans dem Haupte.
Ganz in Eisen eingekleidet
Schien er da auf seinem Ross,
Tn der Rechten die Tizona.
Neben ihm zu einer Seite
Ging Jeronymo der Bischof,
An der andern ging Gil Diaz.
Beide führten den Babie^a,
Der sich seines Herrn erfreute,
Der noch einmal auf ihm lass.
Sacht geöffnet ward die Pforte,
Die hin gen Caftilien führet,
Trabethor wird sie genannt;
Durch sie zog Pedro Bennudes
Mit erhobner Fahne Cid's,
Neben ihm vierhundert Ritter
Zur Bedeckung ihr, voran;
.letzt nun folgete Cid’s Leiche,
Hundert Ritter um sie her;
Hinter ihr Dona Ximene,
Wohlbegleitet von sechshundert
Edeln Männern, ihrem Schutz.
Schweigend ging der Zug und langsam.
Leis, als wären es kaum zwanzig.
Aus Valencia waren alle
Längst schon, als der Tag anbrach.
Alvar Fanez war der erste.
Wüthig stürzt er auf die Mauren,
Die Buear hierher gelagert,
Ungeheuer war die Zahl.
Traf zuerst auf eine schwarze
Mohrin, die aus türk’schern Bogen
Gift’ge Pfeile tödtlich schoss,
Also meisterhaft, dass man sie
Einen Stern des Himmels nannte;
Sie und ihre Schwestern alle,
Hundert schwarze Weiber, streckte
Alvar Fanez in den Staub.
Dies gesehn, erschraken alle
Sechsunddreissig Mohrenkön’ge;
256
Furchterblasset stand Bucar.
Wolil seehshunderttausend Ritter
Dünkt ihnen das Heer der Christen,
Alle weiss und hell wie Schnee.
Und der Schrecklichste vor allen.
Reitend vor auf weissem Rosse,
Grösser als die andern alle,
In der Hand die weisse Fahne,
Auf der Brust ein farbieht Kreuz,
Sein Schwert glänzete wie Feuer. —
Als er anlangt bei den Mauren,
Breitet ringsum er den Tod.
Alle fliehen nach den Schiffen,
Viele stürzen fleh ins Meer.
Wohl zehntausend waren ihrer,
Die die Schiffe nicht erreichten,
Die des Meeres Fluth verschlang.
Von den Mohrenkön’gen blieben
Zwanzig, nur Bucar entrann.
Also liegt’ auch nach dem Tode,
Weil San-Jago ihm voranging.
Cid. Gewonnen ward an Beute
Grosser Reichthum, alle Zelte
Voll von Golde, voll von Silber;
Auch der Aermste wurde reich.
Sodann setzten, nach dem Willen
Cid’s, die freundlichen Begleiter
Nach San-Pedro de Garden a
Ruhig ihre Reife fort.
Boten sandte jetzt Ximene
Auf der Reise nach Castilien,
Boten an Cid’s Anverwandte,
Boten auch an ihre Töchter
Und an ihre Schwiegersöhne,
Zwei gekrönte Könige:
Dass sie kämen und den Feldherrn,
Ihren Freund und Vater, ehrten,
Ihm erzeugend noch die letzte
Trauervolle Liebespflicht.
Alvar Fafiez war der Meinung,
Dass man in den Sarg ihn legte,
Diesen dann mit Purpur deckte
Und mit goldnen Nägeln schlösse;
Doch Ximene Gormaz sprach:
257
„Cid mit seinem schönen Antlitz,
Mit den hellen oflhen Augen,
Soll er in den Trauerkasten,
In den fest verschlossnen Sarg?
Nein! Es sollen meine Töchter,
Meine Schwiegersohn’ ihn sehen,
Wie er noch im Tode lebt“
Angenommen ward die Meinung.
Eine Stunde weit von Osma
Sammelte sich die Versammlung,
Und der Ehrenzug begann.
Aragoniens König Sancho
Kam mit seinen braven Rittern:
Ihre rückgekehrten Schilde
Hingen an den Sattelbogen,
Schwarze Mäntel trugen alle.
Aufge schlitzte Trauerkappen,
Nach castilischern Gebrauch.
In der tiefsten Trauer waren
Dona Sol und ihre Damen,
Schwarz umhüllt mit Etamin.
Fast erhob sich schon ein Weinen:
Aber schnell verbot Ximene
Alle Klagen, alle Thränen.
Weil der Cid es untersagt.
Ihres Vaters Hand zu küssen,
Nahten still verehrend beide,
König und die Königin.
Auch der König von Navarra
Trat hinzu mit Doña Elvira,
Küssend ihres Vaters Hand.
Viele stille Thränen flössen,
Bis sie zu San-Pedro kamen,
Wohin sich der Cid gewünscht.
Selbst der König von Castilieu,
Als er von dem Zuge hörte,
Sandt’ er Boten, ihn zu grüssen.
Ehrenvoll ihn zu begleiten,
Eilte selbst hin nach Carde ña;
Und als er den Todten sah,
Wundert’ er sich seiner Schönheit,
Ordnete, dass, statt im Grabe,
Roqnette, Deutsches Lesebuch. I.
I
17
258
Er auf einem prächt’gen Stuhle
Sasse, neben dem Altar.
Aufgerichtet, reich vergoldet,
Ward ihm schnell ein Tabernakel.
Länger als zehn Jahre fass er
Da in seiner vollen Rüstung,
Als ob er noch leibt’ und lebte,
Die Tizona in der Hand.
Sancho, König in Navarra,
Zugenannt der Heldenmüth’ge,
Er, des grossen Cid’s Urenkel,
Den ganz Spanien noch verehrt,
Mit Alton so von Oaftilien
Führet’ er siegreiche Kriege,
Drang hinein bis über Burgos,
Ueberall gewinnend Beute,
Bis mit solcher reich beladen
Er hinwegzog, voll des Wahnes,
Niemand könn’ ihm widerstehn.
So kam er auf seinem Rückzug
In das Kloster de Cardena, ,
Wo begraben lag der Cid,
Hochverehrt. Denn niemand glich ihm
Seit der Zeit an Muth und Stärke
Wie an Güt’ und Redlichkeit.
Vorgesetzter dieses Klosters
War ein Abt, ein Mann von Jahren,
Der als Ritter einst in Waffen
Ehre sich und Ruhm erworben.
An Gestalt ein Mann von Ansehn,
Voll Gemüths-, es drückt’ ihn schmerzlich,
Dass der König von Navarra
Mit dem Schimpfe von Castilien
So viel Beute mit sich nahm.
Als der König zürn Altare
Trat, bewundernd seine Fahne,
Derengleich er in ganz Spanien
Keine irgend je gesehn,
Riss der Abt sie vom Altare
Und erhob die Fahne — Cid’s.
„Wisse,“ sprach er, „grosser König,
Wiss’, in diesem heil’gen Kloster,
259
Das mir anvertrauet ist,
Liegt ein Held, mit dessen Fahne,
Unter ihr, darf ich mich messen,
Grosser König, selbst mit dir.
Denn hier ist die Leichenstätte
Cid’s, genannt Campeador.
„Eine Gunst von dir zu bitten,
Herr, ergriff ich feine Fahne
Kühn, und trage meine Bitte
Dir in tiefster Demuth vor:
Lass den Raub zurück, o König,
Den du unserm Land entziehest!
Dir gereicht's zu höherm Ruhme,
Wenn du ihn der Heldenfahne
Weihest und dem Grabe Cid's.w
Einen Augenblick betroffen
Und nachdenkend stand der König
Ueber dieses Abtes Muth-,
Dann sprach er: „Aus mehrern Gründen
Thu’ ich. Vater, was Ihr bittet,
Und lass’ meine Beute hier.
„Erstens, weil ich aus dem Blute
Des Campeadors entsprossen,
Der Urenkel bin von Cid;
Seine Tochter Doña Elvira,
Die Gemahlin Don Garcia’s,
Rühm' ich, ist Grossmutter mir.
„Zweitens, lass’ ich aus Verehrung
Gegen diese Heldenfahne
Und des hier Begrabnen Ruhm,
Eurer Obhut anvertrauet,
Gern die Kriegesbeute hier,
„Die ich dann auch, recht ge saget,
Wäre jetzt der Cid am Leben,
Wohl nicht mit mir nehmen durfte;
Nie wär’ ich so weit gekommen,
Hätte nie sie mir erworben,
Nie liess’ er vor seinen Augen
Sie hinziehn aus seinem Lande,
Lebte noch der tapfre Cid.
Also lass’ ich sie dem Todten,
Euch zu frommem Brauch zurück.“
17
260
Er befahl — und alle Beute
Blieb dem Kloster von Cardeüa;
Sie ward eine fromme Stiftung-.
Ein Wohlthäter für die Annen,
Ein Beschützer der Verlass’neu
Ward der Cid auch in der sfruft.
178. Iphigenie.
(Aus dem gleichnamigen Schauspiel von Goethe.)
1.
Thoas, König der Tattrier.
Was auch der Rath der Götter mit dir lei,
Und was sie deinem Haus und dir gedenken,
So fehlt es doch, seitdem du bei mir wohnst
Und eines frommen Gastes Recht geniefsest,
An Segen nicht, der mir von oben kommt.
Ich möchte schwer zu überreden sein,
Dass ich an dir ein schuldvoll Haupt beschütze.
I p h i g e n i e.
Dir bringt die Wohlthat Segen, nicht der Gast.
Thoas.
Was man Verruchten thut, wird nicht gesegnet.
Drum endige dein Schweigen und dein Weigern!
Es fordert dies kein ungerechter Mann.
Die Göttin übergab dich meinen Händen;
Wie du ihr heilig warst, so warst du’s mir.
Auch fei ihr Wink noch künftig mein Gesetz:
Wenn du nach Hause Rückkehr hoffen kannst,
So sprech’ ich dich von aller Fordrung los.
Doch ist der Weg auf ewig dir versperrt,
Und ist dein Stamm vertrieben, oder durch
Ein ungeheures Unheil ausgelöscht,
So bist du mein durch mehr als ein Gesetz.
Sin ich offen! und du weisst, ich halte Wort.
1 > ' *•!
I p hä g e n i e.
Vom alten Bande löset ungern sich
Die Zunge los, ein langverschwiegenes
Geheimniss endlich zu entdecken. Denn
Einmal vertraut, verlässt es ohne Rücksicht
261
Des tiefen Herzens sichre Wohnung, Ich ad et,
Wie es die Götter wollen, oder nützt.
Vernimm! Ich bin aus Tantalus’ Geschlecht.
T h o a 8.
Du sprichst ein grosses Wort gelassen aus.
kennst du Den deinen Ahnherrn, den die Welt
Als einen ehmals Hochbegnadigten
Der Götter kennt? Ist’s jener Tantalus,
Den Jupiter zu Kath und Tafel zog,
An dessen alterfahrnen, vielen Sinn
Verknüpfenden Gesprächen Götter selbst,
Wie an 0rakeIfprüche11. lieh ergötzten?
Iphigenie.
Er ist es; aber Götter sollten nicht
Mit Menschen, wie mit ihres Gleichen wandeln;
Das sterbliche Geschlecht ist viel zu schwach
In ungewohnter Höhe nicht zu schwindeln.
Unedel war er nicht und kein Verräther;
Allein zum Knecht zu gross, und zum Gesellen
Des grossen Donn’rers nur ein Mensch. So war
Auch sein Vergehen menschlich; ihr Gericht
War streng, und Dichter * singen: Uebermuth
Und Untreu stürzten ihn von Jovis Tisch
Zur Schmach des alten Tartarus hinab.
Ach und fein ganz Geschlecht trug ihren Hass!
T h o a s.
Trug es die Schuld des Anherrn oder eigne?
1 p h ig e n i e.
Zwar die ge walt'ge Brust und der Titanen
Kraftvolles Mark war seiner Söhn' und Enkel
Gewisses Erbthe.il; doch es schmiedete
Der Gott um ihre Stirn ein ehern Band:
Kath, Mässigung und Weisheit und Geduld
Verbarg er ihrem scheuen düstern Blick;
Zur Wuth ward ihnen jegliche Begier,
Und gränzenlos drang ihre Wuth umher.
Schon Pelops, der Gewaltig-wollende,
Des Tantalus geliebter Sohn, erwarb
Sich durch Verrath und Mord das schönste Weib,
Genomaus, Erzeugte, Hippodamien.
Sie bringt den Wünschen des Gemahls zwei Söhne,
262
Thyest und Atreus. Neidisch sahen sie
Des Vaters Liebe zu dem ersten Sohn
Aus einem andern Bette wachsend an.
Der Hass verbindet sie, und heimlich wagt
Das Paar im Brudermord die erste That.
Der Vater wähnet Hippodamien
Die Mörderin, und grimmig fordert er
Von ihr den Sohn zurück, und sie öntleibt
Sich selbst —
Thoas.
Du schweigest? Fahre fort zu reden!
Lass dein Vertraun dich nicht gereuen! Sprich!
Iphigenie.
Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt,
Der froh von ihren Thaten, ihrer Grösse
Den Hörer unterhält, und still sich freuend
An s Ende dieser schönen Reihe sich
Geschlossen sieht! Denn es erzeugt nicht gleich
Ein Haus den Halbgott noch das Ungeheuer;
Erst eine Reihe Böser oder Guter
Bringt endlich das Entsetzen, bringt die Freude
Der Welt hervor. Nach ihres Vaters Tode
Gebieten Atreus und Thyest der Stadt,
Gemeinsam herrschend. Lange konnte nicht
Die Eintracht dauern. Bald entehrt Thyest
Des Bruders Bette. Rächend treibet Atreus
Ihn aus dem Reiche. Tückisch hatte schon
Thyest, auf schwere Thaten sinnend, lange
Dem Bruder einen Sohn entwandt, und heimlich
Ihn als den seinen schmeichelnd auferzogen.
Dem füllet er die Brust mit Wuth und Rache
Und sendet ihn zur Königstadt, dass er
Im Oheim seinen eignen Vater morde.
Des Jünglings Vorsatz wird entdeckt, der König
Straft grausam den gesandten Mörder, wähnend
Er tödte seines Bruders Sohn. Zu spät
Erfährt er, wer vor seinen trunknen Augen
Gemartert stirbt; und die Begier der Rache.
Aus seiner Brust zu tilgen, sinnt er still
Auf unerhörte That. Er scheint gelassen,
Gleichgültig und verlohnt, und lockt den Bruder
Mit seinen beiden Söhnen in das Reich
Zurück, ergreift die Knaben, schlachtet sie,
263
Und setzt die ekle schaudervolle Speise
Dem Vater bei dem ersten Mahle vor.
Und da Thyest an seinem Fleische fich
Gesättigt, eine Wehmuth ihn ergreift,
Er nach den Kindern fragt, den Tritt, die Stimme
Der Knaben an des Saales Thüre schon
Zu hören glaubt, wirft Atreus grinsend
Ihm Haupt und Füsse der Erschlagnen hin. —
Du wendest schaudernd dein Gesicht, o König:
So wendete die Sonn' ihr Antlitz weg
Und ihren Wagen aus dem ew’gen Gleise.
Dies sind die Anherm deiner Priesterin;
Und viel unseliges Geschick der Männer,
Viel Thaten des verworrnen Sinnes deckt
Die Nacht mit schweren Fittigen, und lässt
Uns nur die grauenvolle Dämmrung sehn.
T h o a s.
Verbirg sie schweigend auch. Es fei genug
Der Gräuel 1 Sage nun, durch welch ein Wunder
Von diesem wilden Stamme du entsprangst.
Iphigenie.
Des Atreus ältster Sohn war Agamemnon;
Er ist mein Vater. Doch ich darf es sagen,
In ihm hab' ich seit meiner ersten Zeit
Ein Muster des vollkommnen Manns gesehn.
Ihm brachte Klytämnestra mich, den Erstling
Der Liebe, dann Elektren. Ruhig herrschte
Der König, und es war dem Haufe Tantals
Die lang’ entbehrte Rast gewährt. Allein
Es mangelte dem Glück der Eltern noch
Ein Sohn, und kaum war dieser Wunsch erfüllt,
Dass zwischen beiden Schwestern nun Orest
Der Liebling wuchs, als neues Uebel schon
Dem sichren Hause zubereitet war.
Der Ruf des Krieges ist zu euch gekommen,
Der, um den Raub der schönsten Frau zu rächen,
Die ganze Macht der Fürsten Griechenlands
Um Trojans Mauern lagerte. Ob sie
Die Stadt gewonnen, ihrer Rache Ziel
Erreicht, vernahm ich nicht. Mein Vater führte
Der Griechen Heer. In Aulis harrten sie
Auf günst'gen Wind vergebens: Denn Diane,
Erzürnt auf ihren grossen Führer, hielt
2(34
Die Eilenden zurück und forderte
Durch Kalchas’ Mund des Königs ältste Tochter.
Sie lockten mit der Mutter mich ins Lager;
Sie rissen mich vor den Altar und weihten
Der Göttin dieses Haupt. — Sie war versöhnt:
Sie wollte nicht mein Blut, und hüllte rettend
In eine Wolke mich; in diesem Tempel
Erkannt1 ich mich zuerst vom Tode wieder.
Ich bin es selbst, bin Iphigenie,
Des Atreus Enkel, Agamemnons Tochter,
Der Göttin Eigenthum, die mit dir spricht.
2.
Iphigenie. P y 1 a d e s.
Iphigenie.
Die Priesterin, von ihrer Göttin selbst
Gewählet und geheiligt, spricht mit dir.
Das lass dir g’nügen; sage, wer du seist
Und welch unselig waltendes Geschick
Mit dem Gefährten dich hierher gebracht.
Pylades.
Leicht kann ich dir erzählen, welch ein Uebel
Mit lastender Gesellschaft uns verfolgt.
0 könntest du der Hoffnung frohen Blick
Uns auch so leicht, du Göttliche, gewähren!
Aus Kreta sind wir. Söhne des Adrasts:
Ich bin der jüngste, Cephalus genannt,
Und er Laodamas, der älteste
Des Hauses. Zwischen uns stand rauh und wild
Ein mittlerer, und trennte schon im Spiel
Der ersten Jugend Einigkeit und Lust.
Gelassen folgten wir der Mutter Worten
So lang des Vaters Kraft vor Troja stritt;
Doch als er beutereich zurücke kam
Und kurz darauf verschied, da trennte bald
Der Streit um Reich und Erbe die Geschwister.
Ich neigte mich zum Aeltesten. Er erschlug
Den Bruder. Um der Blutschuld willen treibt
Die Furie gewaltig ihn umher.
Doch diesem wilden Ufer sendet uns
Apoll, der Delphische, mit Hoffnung zu.
Im Tempel seiner Schwester hiess er uns
265
Der Hülfe segensreiche Hand erwarten.
Gefangen sind wir und hierher gebracht,
Und dir als Opfer dargestellt. Du weisst's.
Iphigenie.
Fiel Troja? Theurer Mann, verlichr’ es mir.
P y 1 a d e s.
Ms liegt. 0 sichre du uns Rettung zu!
Beschleunige die Hülfe, die ein Gott
Versprach. Erbarme meines Bruders dich.
0 sag’ ihm bald ein gutes holdes Wort;
Doch schone seiner, wenn du mit ihm sprichst,
Das bitt' ich eifrig: denn es wird gar leicht
Durch Freud’ und Schmerz und durch Erinnerung
Sein Innerstes ergriffen und zerrüttet.
Ein fieberhafter Wahnsinn fällt ihn an,
Und feine schöne freie Seele wird
Den Furien zum Raube hingegeben.
Iphigenie.
So gross dein Unglück ist, beschwör’ ich dich,
Vergiss es, bis» du mir genug gethan.
Pylades.
Die hohe Stadt, die zehen lange Jahre
Dem ganzen Heer der Griechen widerstand,
Liegt nun im Schutte, steigt nicht wieder auf.
Doch manche Gräber unsrer Besten heissen
Uns an das Ufer der Barbaren denken.
Achill liegt dort mit seinem schönen Freunde.
Iph igenie.
So seid ihr Götterbilder auch zu Staub!
P y 1 a d e s.
Auch Palamedes, Ajax Telamons,
Sie sehn des Vaterlandes Tag nicht wieder.
Iphigenie.
Er schweigt von meinem Vater, nennt ihn nicht
Mit den Erschlagnen. Ja! er lebt mir noch!
Ich werd’ ihn sehn! 0 hoffe, liebes Herz!
Pylades.
Doch selig sind die Tausende, die starben
Den bittersüssen Tod von Feindes Hand!
Denn wüste Schrecken und ein traurig1 Ende
Hat den Rückkehrenden statt des Triumphs
Ein feindlich aufgebrachter Gott bereitet.
Kommt denn der Menschen Stimme nicht zu euch?
So weit sie reicht, trägt sie den Ruf umher
Von unerhörten Thaten, die geschah'n.
So ist der Jammer, der Mycenens Hallen
Mit, immer wiederholten Seufzern füllt,
Dir ein Geheimniss? — Klytämnestra hat
Mit Hüls Aegisthens den Gemahl berückt,
Am Tage seiner Rückkehr ihn ermordet! —
Ja, du verehrest dieses Königs Haus!
Ich seh’ es, deine Brust bekämpft vergebens
Das unerwartet ungeheure Wort.
Bist du die Tochter eines Freundes? Bist
Du nachbarlich in dieser Stadt geboren?
Verbirg es nicht und rechne mir’s nicht zu,
Dass ich der Erste diese Gräuel melde.
Iphigenie.
Sag an, wie ward die schwere That vollbracht?
Py lad es.
Am Tage seiner Ankunft, da der König,
Vom Bad’ erquickt und ruhig, sein Gewand
Aus der Gemahlin Hand verlangend, stieg,
Warf die Verderbliche ein faltenreich
Und künstlich sich verwirrendes Gewebe
Hun auf die Schultern, um das edle Haupt;
Und da er wie von einem Netze sich
Vergebens zu entwickeln strebte, schlug
Aegisth ihn, der Verräther, und verhüllt
Ging zu den Todten dieser grosse Fürst.
Iphigenie.
Und welchen Lohn erhielt der Mitversehworne ?
Py lades.
Ein Reich und Bette, das er schon besass.
Ip hi ge nie.
So trieb zur Schandthat eine böse Lust?
Py lades.
Und einer alten Hache tief Gefühl.
267
Iphigenie.
Und wie beleidigte der König sie?
P y 1 a d e s.
Mit schwerer That, die, wenn Entschuldigung
Des Mordes wäre, sie entschuldigte.
Nach Aulis lockt’ er sie, und brachte dort,
Als eine Gottheit sich der Griechen Fahrt
Mit ungestümen Winden widersetzte,
Die ältste Tochter, Iphigenien,
Vor den Altar Dianens, und sie fiel
Ein blutig Opfer für der Griechen Heil.
Dies, sagt man, hat ihr einen Widerwillen
So tief in’s Herz geprägt, dass sie dem Werben
Aegisthens sich ergab, und den Gemahl
Mit Netzen des Verderbens selbst umschlang.
Iphigenie (sich verhüllend).
Es ist genug. Du wirst mich wiedersehn.
3.
Orest. Iphigenie.
Orest.
Verbirgst du deinen Namen, deine Herkunft
Mit klugem Vorsatz? oder darf ich wissen,
Wer mir, gleich einer Himmlischen, begegnet?
Iphigenie.
Du sollst mich kennen. Jetzo sag mir an,
Was ich nur halb von deinem Bruder hörte,
Das Ende derer, die von Troja kehrend
Ein hartes, unerwartetes Geschick
Auf ihrer Wohnung Schwelle stumm empfing.
Zwar ward ich jung an diesen Strand geführt-,
Doch wohl erinnr’ ich mich des scheuen Klicks,
Den ich mit Staunen und mit Bangigkeit
Auf jene Helden warf. Sie zogen aus,
Als hätte der Olymp sich aufgethan,
Und die Gestalten der erlauchten Vorwelt
Zum Schrecken Ilions herabgesendet,
Und Agamemnon war vor Allen herrlich!
0 sage mir! Er fiel, sein Haus betretend,
Durch seiner Frauen und Aegisthens Tücke?
268
Orest.
I>u sagst’s!
Iphigenie.
Weh dir, unseliges Mycen!
So haben Tantals Enkel Fluch auf Fluch
Mit vollen wilden Händen ausgefä’t!
Und gleich dem Unkraut, wüste Häupter schüttelnd
Und tausendfält'gen Samen um sich streuend,
Den Kindeskindern nahverwandte Mörder
Zur ew’gen Wechselwuth erzeugt! Enthülle,
Was vor der Rede deines Bruders schnell
Die Finstemiss des Schreckens mir bedeckte.
Wie ist des grossen Stammes letzter Sohn,
Das holde Kind, bestimmt des Vaters Rächer
Dereinst zu fein, wie ist Orest dem Tage
Des Bluts entgangen ? Hat ein gleich Geschick
Mit des Avemus Netzen ihn umschlungen?
Ist er gerettet? Lebt er? Lebt Elektra?
Orest.
Sie leben.
Iphigenie.
Goldne Sonne, leihe mir
Die schönsten Strahlen, lege sie zum Dank
Vor Jovis Thron! Denn ich bin arm und stumm.
Orest.,
Bist du gastfreundlich diesem Königshause,
Bist du mit nähern Banden ihm verbunden,
Wie deine schöne Freude mir verräth:
So bändige dein Herz und halt' es fest!
Denn unerträglich muss dein Fröhlichen
Ein jäher Rückfall in die Schmerzen fein.
Du weisst nur, merk’ ich, Agamemnons Tod.
Iphigenie.
Hab' ich an dieser Nachricht nicht genug?
0 rest.
Du hast des Gräuels Hälfte nur erfahren.
Iphigeni e.
Was furcht' ich noch? Orest, Elektra leben.
Orest.
Und fürchtest du für Klytämnestra nichts?
269
Iphigenie.
Sie rettet weder Hoffnung, weder Furcht.
Orest.
Auch schied sie aus dem Land der Hoffnung ab.
I phigenie.
Vergoss sie reuig wüthend selbst ihr Blut?
Orest.
Nein, doch ihr eigen Blut gab ihr den Tod.
Iphigenie.
Sprich deutlicher, dass ich nicht länger sinne.
Die Ungewissheit schlägt mir tausendfältig
Die dunklen Schwingen um das bange Haupt.
Orest.
So haben mich die Götter ausersehen
Zum Boten einer That, die ich so gern
In’s klanglos dumpfe Höllenreich der Nacht
Verbergen möchte? Wider meinen Willen
Zwingt mich dein holder Mund; allein er darf
Auch etwas Schmerzlich’s fordern und erhält's.
Am Tilge, da der Vater siel, verbarg
Elektra rettend ihren Bruder: Strophius,
Des Vaters Schwäher, nahm ihn willig auf,
Erzog ihn neben seinem eignen Sohne,
Der, Pylades genannt, die schönsten Bande
Der Freundschaft um den Angokommnen knüpfte.
Und wie sie wuchsen, wuchs in ihrer Seele
Die brennende Begier, des Königs Tod
Zu rächen. Unversehen, fremd gekleidet,
Erreichen sie Mycen, als brächten sie
Die Trauernachricht von Orestens Tode
Mit seiner Asche. Wohl empfanget sie
Die Königin; sie treten in das Haus.
Elektron giebt Orest sich zu erkennen;
Sie bläst der Bache Feuer in ihm auf,
Das von der Mutter heü’ger Gegenwart
ln sich zurück gebrannt war. Stille führt
Sie ihn zum Orte, wo der Vater fiel,
Wo eine alte leichte Spur des frech
Vergossnen Blutes oft gewa lehnen Boden
Mit blassen ahnungsvollen Streifen färbte.
270
Mit ihrer Feuerzunge schilderte
Sie jeden Umstand der verruchten That,
Dir knechtisch elend durchgebrachtes Leben,
Den Uebermuth der glücklichen Verräther,
Und die Gefahren, die nun der Geschwister
Von einer ftief - gewordnen Mutter warteten.
Hier drang sie jenen alten Dolch ihm auf,
Der schon in Tantals Haufe grimmig wüthete,
Und Klytämnestra fiel durch Sohnes Hand.
Iphigenie.
Unsterbliche, die ihr den reinen Tag
Auf immer neuen Wolken selig lebet,
Habt ihr nur darum mich so manches Jahr
Von Menschen abgesondert, mich so nah
Bei euch gehalten, mir die kindliche
Beschäftigung, des heilgen Feuers Gluth
Zu nähren, aufgetragen, meine Seele
Der Flamme gleich in ewig frommer Klarheit
Zu euren Wohnungen hinaufgezogen,
Dass ich nur meines Hauses Gräuel später
Und tiefer fühlen sollte? — Sage mir
Vom unglücksei’gen! Sprich mir von Orest!
Orest.
() könnte man von seinem Tode sprechen !
Wie gährend stieg aus der Erfchlagnen Blut
Der Mutter Geist
Und ruft der Nacht uralten Töchtern zu:
„Lasst nicht den Muttermörder entfliehn!
Verfolgt den Verbrecher! Euch ist er geweiht.“
Sie horchen auf, es schaut ihr hohler Blick
Mit der Begier des Adlers um sich her.
Sie rühren sich in ihren schwarzen Höhlen,
Und aus den Winkeln schleichen ihre Gefährten
Der Zweifel und die Reue, leis herbei.
Vor ihnen steigt ein Dampf vom Acheron;
In seinen Wolkenkreisen wälzet sich
Die ewige Betrachtung des Gescheh’nen
Verwirrend um des Schuld’gen Haupt umher,
Und sie, berechtigt zum Verderben, treten
Der gottbefä’ten Erde schönen Boden,
Von dem ein alter Fluch sie längst verbannte.
Den Flüchtigen verfolgt ihr schneller Fuss;
Sie geben nur um neu zu schrecken Rast.
271
Iphigenie.
Unseliger, du bist in gleichem Fall,
Und fühlst was er, der arme Flüchtling, leidet!
Orest.
Was sagst du mir? Was wähnst du gleichen Fall?
Iphigenie.
Dich drückt ein Brudermord wie jenen; mir
Vertraute dies dein jüngster Bruder schon.
Orest.
Ich kann nicht leiden, dass du grosse Seele
Mit einem falschen Wort betrogen werdest.
Ein lügenhaft Gewebe knüpf ein Fremder
Dem Fremden, sinnreich und der List gewohnt,
Zur Falle vor die Füsse; zwischen uns
Sei Wahrheit!
Ich bin Orest! und dieses schuld’ge Haupt
Senkt nach der Grube sich, und sucht den Tod;
In jeglicher Gestalt sei er willkommen!
Wer du auch seist, so wünsch1 ich Rettung dir
Und meinem Freunde; mir wünsch1 ich sie nicht.
Du scheinst hier wider Willen zu verweilen;
Erfindet Rath zur Flucht, und lasst mich hier.
Es stürze mein entseelter Leib vom Fels,
Es rauche bis zum Meer hinab mein Blut,
Und bringe Fluch dem Ufer der Barbaren!
Geht ihr, daheim im schönen Griechenland
Ein neues Leben freundlich anzufangen.
(Er entfernt (ich.)
Iphigenie.
So steigst du denn, Erfüllung, schönste Tochter
Des grössten Vaters, endlich zu mir nieder!
Wie ungeheuer steht dein Bild vor mir!
Kaum reicht mein Blick dir an die Hände, die
Mit Frucht und Segenskränzen angefüllt
Die Schätze des Olympus niederbringen.
Wie man den König an dem Uebermass
Der Gaben kennt: denn ihm muss wenig scheinen,
Was Tausenden schon Reichthum ist; so kennt
Man euch, ihr Götter, an gesparten, lang1
Und weise zubereiteten Geschenken.
Denn ihr allein wisst, was uns frommen kann,
272
Und schaut der Zukunft ausgedehntes Reich,
Wenn jedes Abends Stern- und Nebelhülle
Die Aussicht uns verdeckt. Gelassen hört
Ihr unser Flehn, das um Beschleunigung
Euch kindisch bittet; aber eure Hand
Bricht unreif nie die goldnen Himmelsfrüchte ;
Und wehe dem, der ungeduldig sie
Ertrotzend saure Speise sich zum Tod
Geniesst! 0 lasst das lang erwartete,
Noch kaum gedachte Glück nicht, wie den Schatten
Des abgeschiednen Freundes, eitel mir
Und dreifach schmerzlicher vorübergehn!
179. Der Spaziergang am Ostertage
(Aus der Tragödie „Faust“ von Goethe.)
F aus t.
Vom Eise befreit sind Strom und Bäche
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick;
Im Thale grünet Hoffnungsglück:
Der alte Winter in seiner Schwäche.
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dorther sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises
In Streifen über die grünende Flur.
Aber die Sonne duldet kein Weifses.
Ueberall regt sich Bildung und Streben.
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlt’s im Revier.
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.
Kehre dich um, von diesen Höhen
Nach der Stadt zurück zu sehen!
Aus dem holden finstern Thor
Dringt ein buntes Gewimmel hervor.
Jeder sonnt sich heute so gern.
Sie feiern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden,
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbesbanden.
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,
Aus der Strassen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle an’s Licht gebracht.
Sieh nur, sieh! wie behend sich die Menge
273
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,
Wie der Fluss, in Breit’ und Länge,
So manchen lustigen Nachen bewegt;
Und bis zum Sinken Überladen,
Entfernt lieh dieser letzte Kahn.
Selbst von des Berges fernen Pfaden
Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfes Getümmel;
Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
Zufrieden jauchzet Gross und Klein:
Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s fein.
Wagner.
Mit euch, Herr Doctor, zu spazieren
Ist ehrenvoll und ist Gewinn;
Doch würd’ ich nicht allein mich her verlieren,
Weil ich ein Feind von allem Rohen bin.
Das Fiedeln, Schreien, Kegelschieben
Ist mir ein gar verhasster Klang;
Sie toben, wie vom bösen Geist getrieben,
Und nennen's Freude, nennen’s Gesang. (Tanz und Gesang.)
Alter Bauer.
Herr Doctor, das ist schön von euch,
Dass ihr uns heute nicht verschmäht.
Und unter dieses Volksgedräng’
Als ein so Hochgelahrter geht.
So nehmet auch den schönsten Krug,
Den wir mit frischem Trunk gefüllt.
Ich bring’ ihn zu und wünsche laut,
Dass er nicht nur den Durst euch stillt;
Die Zahl der Tropfen, die er hegt,
Sei euren Tagen zugelegt.
Faust.
Ich nehme den Erquickungstrank,
Erwiedr’ euch allen Heil und Dank.
(Das Volk sammelt sich im Kreis umher.)
Alter Bauer.
Fürwahr es ist sehr wohlgethan,
Dass ihr am frohen Tag erscheint,
Habt ihr es vormals doch mit uns
An bösen Tagen gut gemeint!
Gar mancher steht lebendig hier,
Roquette, Deutsches Lesebuch. I.
274
Den euer Vater nocli zuletzt
Der heissen Fieberwuth entriss,
Als er der Seuche Ziel gesetzt.
Auch damals ihr, ein junger Mann,
Ihr gingt in jedes Krankenhaus;
Gar manche Leiche trug man fort,
Ihr aber kamt gesund heraus,
Bestandet manche harte Proben;
Dem Helfer half der Helfer droben.
Alle.
Gesundheit dem bewährten Mann,
Dass er noch lange helfen kann!
d ift hnottnä.
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Faust.
Vor jenem droben steht gebückt,
Der helfen lehrt und Hülfe schickt.
(Er geht mit Wagnern weiter.)
Wagner.
Welch ein Gefühl musst du, o grosser Mann,
Bei der Verehrung dieser Menge haben!
0 glücklich, wer von seinen Gaben
Solch einen Vortheil ziehen kann!
Der Vater zeigt dich seinem Knaben,
Ein jeder fragt und drängt und, eilt,
Die Fiedel stockt, der Tänzer weilt.
Du gehst, in Reihen stehen sie,
Die Mützen fliegen in die Höh’;
Und wenig fehlt, so beugen sich die Knie,
Als käm’ das Venerabile.
Fau st.
Nur wenig Schritte noch hinauf zu jenem Stein! —
Hier wollen wir von unsrer Wand’rung rasten.
Hier fass ich oft gedankenvoll allein,
Und quälte mich mit Beten und mit Fasten.
An Hoffnung reich, im Glauben fest,
Mit Thränen, Seufzen, Händeringen
Dacht’ ich das Ende jener Pest
Vom Herrn des Himmels zu erzwingen.
Der Menge Beifall tönt mir nun wie Hohn.
0 könntest du in meinem Innern lesen,
Wie wenig Vater und Sohn
Solch eines Ruhmes werth gewesen!
— 275 —
Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann,
Der über die Natur und ihre heil’gen Kreise,
In Redlichkeit, jedoch auf seine Weise,
Mit grillenhafter Mühe sann,
Der, in Gesellschaft von Adepten,
Sich in die schwarze Küche schloss,
Und, nach unendlichen Recepten,
Das Widrige zusammengoss.
Da ward ein rother Leu, ein kühner Freier,
Im lauen Bad der Lilie vermählt
Und beide dann, mit offnem Flammenfeuer,
Aus einem Brautgemach in’s andere gequält.
Erschien darauf mit bunten Farben
Die junge Königin im Glas:
Hier war die Arzenei, die Patienten starben,
Und niemand fragte: wer genas?
So haben wir, mit höllischen Latwergen,
In diesen Thälern, diesen Bergen,
Weit schlimmer als die Pest getobt.
Ich habe selbst den Gift an Tausende gegeben-,
Sie welkten hin, ich muss erleben,
Dass man die frechen Mörder lobt.
Wagner.
Wie könnt ihr euch darum betrüben!
Thut nicht ein braver Mann genug,
Die Kunst, die man ihm übertrug,
Gewissenhaft und pünktlich auszuüben!
Wenn du, als Jüngling, deinen Vater ehrst,
So wirst du gern von ihm empfangen;
Wenn du, als Mann, die Wissenschaft vermehrst,
So kann dein Sohn zu höherm Ziel gelangen.
Faust.
0 glücklich, wer noch hoffen kann,
Aus diesem Meer des Irrthums aufzutauchen!
Was man nicht weiss, das eben brauchte man,
Und was man weiss, kann man nicht brauchen.
Doch lass uns dieser Stunde schönes Gut
Durch solchen Trübiinn nicht verkümmern!
Betrachte, wie in Abendsonnegluth
Die grünumgebnen Hütten schimmern!
Sie rückt und weicht, der Tag ist überlebt,
Dort eilt sie hin und fördert neues Leben.
0, dass kein Flügel mich vom Boden hebt,
18*
276
Ihr nach und immer nach zu streben!
Ich sali1 im ewigen Abendstrahl
Die stille Welt zu meinen Füssen,
Entzündet alle Höh’n, beruhigt jedes Thal,
Den Silberbach in goldne Ströme Hiessen.
Nicht hemmte dann den göttergleichen Lauf
Der wilde Berg mit allen seinen Schluchten;
Schon thut das Meer lieh mit erwärmten Buchten
Vor den erstaunten Augen auf.
Doch scheint die Göttin endlich wegzusinken;
Allein der neue Trieb erwacht,
Ich eile fort, ihr ew’ges Licht zu trinken,
Vor mir den Tag und hinter mir die Nacht,
Den Himmel über mir und unter mir die Wellen.
Ein schöner Traum, indessen sie entweicht!
Ach! zu des Geistes Flügeln wird so leicht
Kein körperlicher Flügel sich gesellen.
Doch ist es jedem eingeboren,
Dass fein Gefühl hinauf und vorwärts dringt,
Wenn über uns, im blauen Baum verloren,
Ihr schmetternd Lied die Lerche singt,
Wenn über schroffen Fichtenhöhen
Der Adler ausgebreitet schwebt,
Und über Flächen, über Seen
Der Kranich nach der Heimath strebt.
Wagner.
Ich hatte selbst oft grillenhafte Stunden,
Doch solchen Trieb hab’ ich noch nie empfunden.
Man sieht sich leicht an Wald und Feldern satt,
Des Vogels Fittich werd’ ich nie beneiden.
Wie anders tragen uns die Geistesffeuden
Von Buch zu Buch, von Blatt zu Blatt!
Da werden Winternächte hold und schön,
Ein selig Leben wärmet alle Glieder,
Und ach! entrollst du gar ein würdig Pergameu,
So steigt der ganze Himmel zu dir nieder.
Faust.
Du bist dir nur des einen Triebs bewusst;
0, lerne nie den andern kennen!
Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Bimst,
Die eine will sich von der andern trennen:
Die eine hält, in derber Liebeslust,
Sich an die Welt, mit klammernden Organen;
277
Die andre hebt gewaltsam lieh vom Dust
Zu den Gefilden hoher Ahnen.
0, giebt es Geister in der Luft,
Die zwischen Erd’ und Himmel herrschend weben,
So steiget nieder aus dem goldnen Duft,
Und fuhrt mich weg, zu neuem, buntem Leben!
Ja wäre nur ein Zaubermantel mein,
Und trüg’ er mich in fremde Länder,
Mir sollt’ er um die köstlichsten Gewänder,
Nicht feil um einen Königsmantel sein.
W agner.
Berufe nicht die wohlbekannte Schaar,
Die strömend sich im Dunstkreis Uberbreitet,
Dem Menschen tausendfältige Gefahr,
Von allen Enden her, bereitet!
Von Norden dringt der scharfe Geisterzahn
Auf dich herbei, mit pfeilgespitzten Zungen;
Vom Morgen ziehn, vertrocknend, sie heran,
Und nähren sich von deinen Lungen;
Wenn sie der Mittag aus der Wüste schickt,
Die Gluth auf Gluth um deinen Scheitel häufen,
So bringt der West den Schwann, der erst erquickt,
Um Dich und Feld und Aue zu ersäufen.
Sie hören gern, zum Schaden froh gewandt,
Gehorchen gern, weil sie uns gern betrügen,
Sie stellen wie vom Himmel sich gesandt,
Und lispeln englisch, wenn sie lügen.
Doch gehen wir! ergraut ist schon die Welt,
Die Luft gekühlt, der Nebel fällt!
Am Abend schätzt man erst das Haus. —
180. Braun s, des Bären, Botschaft. *
(Aus dem epischen Gedicht: „Reinecke Fuchs“ von Goethe.
Gesang 1 u. 2.)
Und es liess der König darauf die Klügsten berufen,
Rath mit ihnen zu halten, wie er den Frevel bestrafte,
Der so klärlich vor ihn und seine Herren gebracht war.
Und sie riethen zuletzt: man habe dem listigen Frevler
Einen Boten zu senden, dass er um Liebes und Leides
Nicht sich entzöge, er solle sich stellen am Hofe des Königs
An dem Tage des Herrn, wenn sie zunächst sich versammeln;
Braun, den Bären, ernannte man aber zum Boten. Der König
Sprach zu Braun, dem Bären: Ich lag’ es, euer Gebieter,
278
Dass ihr mit Fleiss die Botschaft verrichtet! Doch rath' ich zur Vorsicht:
Denn es ist Reinecke fei sch und boshaft , allerlei Listen
Wird er gebrauchen, er wird euch schmeicheln, er wird euch belügen,
Hintergehen, wie er nur kann. Mit nickten, versetzte
Zuversichtlich der Bär: bleibt ruhig! sollt' er sich irgend
Nur vermessen und mir zum Hohne das Mindeste wagen,
Seht, ich schwör’ es bei Gott! der möge mich strafen, wofern ich
Hirn nicht grimmig vergölte, dass er zu bleiben nicht wüsste.
Also wandelte Braun, auf seinem Weg zum Gebirge,
Stolzen Muthes dahin, durch eine Wüste, die gross war,
Lang und sandig und breit; und als er sie endlich durchzogen,
Kam er gegen die Berge, wo Reinecke pflegte zu jagen:
Selbst noch Tages zuvor hatt’ er sich dorten erlustigt;
Aber der Bär ging weiter nach Malepartus; da hatte
Reinecke schöne Gebäude. Von allen Schlössern und Burgen,
Deren ihm viele gehörten, war Malepartus die beste.
Reinecke wohnte daselbst, sobald er Uebels besorgte.
Braun erreichte das Schloss und fand die gewöhnliche Pforte
Fest verschlossen. Da trat er davor und besann sich ein wenig;
Endlich rief er und sprach: Herr Oheim, seid ihr zu Hause?
Braun, der Bär, ist gekommen, des Königs gerichtlicher Bote.
Denn es hat der König geschworen, ihr solltet bei Hofe
Vor Gericht euch stellen, ich soll euch holen, damit ihr
Recht zu nehmen und Recht zu geben keinem verweigert,
Oder es soll euch das Leben kosten; denn bleibt ihr dahinten,
Ist mit Galgen und Rad euch gedroht. Drum wählet das Beste,
Kommt und folget mir nach, sonst möcht’ es euch übel bekommen.
Reinecke hörte genau vom Anfang zum Ende die Rede,
Lag- und lauerte still und dachte: wenn es gelänge,
Dass ich dem plumpen Kumpan die stolzen Worte bezahlte?
Lasst uns die Sache bedenken. Er ging in die Tiefe der Wohnung,
In die Winkel des Schlosses, denn künstlich war es gebauet.
Löcher fanden sich hier und Höhlen mit vielerlei Gängen,
Eng und lang, und mancherlei Thüren zum Oefthen und Schliessen,
Wie es Zeit war und Noth. Erfuhr er, dass man ihn suchte,
Wegen schelmischer That, da fand er die beste Beschirmung.
Auch aus Einfalt hatten sich oft in diesen Mäandern
Arme Thiere gefangen, willkommene Beute dem Räuber.
Reinecke hatte die Worte gehört, doch fürchtet’ er klüglich,
Andre möchten noch neben dem Boten im Hinterhalt liegen.
Als er sich aber versichert, der Bär sei einzeln gekommen,
Ging er listig hinaus und fegte: werthester Oheim,
Seid willkommen! Verzeiht mir! ich habe Vesper gelesen,
Drum liess ich euch warten. Ich dank’ euch, dass ihr gekommen,
279
Denn es nutzt mir gewiss bei Hofe, so darf ich es hoffen.
Seid zu jeglicher Stunde, mein Oheim, willkommen! Indessen
Bleibt der Tadel für den, der euch die Reife befohlen,
Denn sie ist weit und beschwerlich. 0 Himmel! Wie ihr erhitzt seid!
Eure Haare sind nass und euer Odem beklommen.
Hatte der mächtige König sonst keinen Boten zu senden,
Als den edelsten Mann, den er am meisten erhöhet?
Aber so soll es wohl fein zu meinem Vortheil; ich bitte,
Helft mir am Hofe des Königs, allwo man mich übel verläumdet.
Morgen fetzt1 ich mir vor, trotz meiner misslichen Lage,
Frei nach Hofe zu gehen, und so gedenk1 ich noch immer;
Kur für heute bin ich zu schwer, die Reife zu machen.
Leider hab1 ich zu viel von einer Speise gegessen,
Die mir übel bekommt; sie schmerzt mich gewaltig im Leibe.
Braun versetzte darauf: was war es, Oheim? der andre
Sagte dagegen: was könnt1 es euch helfen, und wenn ich1 s erzählte!
Kümmerlich frist1 ich mein Leben; ich leid1 es aber geduldig,
Ist ein armer Mann doch kein Graf! und findet zuweilen
Sich für uns und die Unfern nichts Besseres, müssen wir freilich
Honigscheiben verzehren, die sind wohl immer zu haben.
Doch ich esse sie nur aus Noth; nun bin ich geschwollen.
Wider Willen schluckt1 ich das Zeug, wie sollt1 es gedeihen?
Kann ich es immer vermeiden, so bleibt mir’s ferne vom Gaumen.
Ei! was hab1 ich gehört! versetzte der Braun; Herr Oheim!
Ei, verschmähet ihr so den Honig, den mancher begehret?
Honig, muss ich euch sagen, geht über alle Gerichte,
Wenigstens mir; o schafft mir davon, es soll euch nicht reuen;
Dienen werd1 ich euch wieder. — Ihr spottet, sagte der andre.
Nein, wahrhaftig! verschwur es der Bär, es ist ernstlich gesprochen.
Ist dem also, versetzte der Rothe: da kann ich euch dienen,
Denn der Bauer Rüste viel wohnt am Fusse des Berges.
Honig hat er! Gewiss mit allem eurem Geschlechte
Saht ihr niemals so viel beisammen. Da lüstet es Braunen
Uebermälsig nach dieser geliebten Speise. 0 stihrt mich,
Rief er, eilig dahin! Herr Oheim, ich will es gedenken,
Schafft mir Honig und wenn ich auch nicht ge sättiget werde.
Gehen wir, sagte der Fuchs: es soll an Honig nicht fehlen,
Heute bin ich zwar schlecht zu Fusse; doch soll mir die Liebe,
Die ich euch lange gewidmet, die sauren Tritte verfüssen.
Denn ich kenne niemand von allen meinen Verwandten,
Den ich verehrte wie euch! Doch kommt! Ihr werdet dagegen
An des Königes Hof am Herren-Tage mir dienen, *
D.'iss ich der Feinde Gewalt und ihre Klagen beschäme.
Honigsatt mach1 ich euch heute, so viel ihr immer nur tragen
Möget. — Es meinte der Schalk die Schläge der zornigen Bauern.
280
Reinecke lief ihm zuvor und blindlings folgte der Braune.
Will mir's gelingen, so dachte der Fuchs: ich bringe dich heute
Noch zu Markte, wo dir ein bittrer Honig zu Theil wird.
Und fie kamen zu Rüsteviels Hofe; das freute den Bären,
Aber vergebens, wie Thoren sich oft mit Hoffnung betrügen.
Abend war es geworden, und Reinecke wusste, gewöhnlich
Liege Rüsteviel nun in seiner Kammer zu Bette,
Der ein Zimmermann war, ein tüchtiger Meister. Im Hofe
Lag ein eichener Stamm; er hatte, diesen zu trennen,
Schon zwei tüchtige Keile hineingetrieben, und oben
Klaffte gespalten der Baum fast ellenweit. Reinecke merkt' es,
Und er sagte: mein Oheim, in diesem Baume befindet
Sich des Honiges mehr, als ihr vermuthet; nun stecket
Eure Schnauze hinein, so tief ihr möget. Nur rath’ ich,
Nehmet nicht gierig zu viel, es möcht’ euch übel bekommen.
Meint ihr, sagte der Bär, ich sei ein Vielfrass? mit nichten!
Maass ist überall gut, bei allen Dingen. Und also
Liess der Bär sich bethören und steckte den Kopf in die Spalte
Bis an die Ohren hinein und auch die vordersten Füsse.
Reinecke machte sich dran, mit vielem Ziehen und Zerren
Bracht’ er die Keile heraus ; nun war der Braune gefangen,
Haupt und Füsse geklemmt ; es half kein Schelten noch Schmeicheln,
Vollauf hatte der Braune zu thun, so stark er und kühn war,
Und so hielt der Neffe mit Lust den Oheim gefangen.
Heulend plärrte der Bär, und mit den hintersten Füssen
Scharrt er grimmig, und lärmte so sehr, dass Rüsteviel aufsprang.
Was es wäre? dachte der Meister, und brachte fein Beil mit,
Dass man bewaffnet ihn fände, wenn jemand zu schaden gedächte.
Braun befand sich indessen in grossen Aengsten; die Spalte
Klemmt ihn gewaltig, er zog und zerrte brüllend vor Schmerzen.
Aber mit alle der Pein war nichts gewonnen; er glaubte
Nimmer von dannen zu kommen ; so meint’ auch Reinecke freudig.
Als er Rüsteviel sah von ferne schreiten, da rief er:
Braun, wie steht es? Mässiget euch und schonet des Honigs!
Sagt, wie schmeckt es? Rüsteviel kommt und will euch bewirthen;
Nach der Mahlzeit bringt er ein Schlückchen, es mag euch bekommen !
Da ging Reinecke wieder nach Malepartus, der Veste.
Aber Rüsteviel kam, und als er den Bären erblickte,
Lief er, die Bauern zu rufen, die noch in der Schenke beisammen
Schmauseten. Kommt! so rief er; in meinem Hofe gefangen
Hat sich ein Bär, ich sage die Wahrheit. Sie folgten und liefen,
Jeder bewehrte sich eilig, so gut er konnte. Der eine
Nahm die Gabel zur Hand, und seinen Rechen der andre,
Und der dritte, der vierte, mit Spiels und Hacke bewaffnet,
281
Kamen gesprungen, der fünfte mit einem Pfahle gerüstet.
•la, der Pfarrer und Küster, sie kamen mit ihrem Geräthe.
Auch die Köchin des Pfaffen (sie hiess Frau Jutte, sie konnte
Grütze bereiten und kochen wie keine) blieb nicht dahinten,
Kam mit dem Rocken gelaufen, bei dem sie am Tage gesessen;
Gern unglücklichen Bären den Pelz zu waschen. Der Braune
Hörte den wachsenden Lärm in seinen schrecklichen Nöthen,
l nd er riss mit Gewalt das Haupt aus der Spalte; da blieb ihm
Haut und Haar des Gesichts bis zu den Ohren im Baume,
Kein! kein kläglicher Thier hat jemand gesehen! Es rieselt
Feber die Ohren das Blut. Was half ihm, das Haupt zu befreien?
Denn es blieben die Pfoten im Baume stecken; da riss er
Hastig sie ruckend heraus; er raste sinnlos, die Klauen
FTnd von den Füssen das Fell blieb in der klemmenden Spalte.
Leider schmeckte dies nicht nach süssem Honig, wozu ihm
Heinecke Hoffnung gemacht; die Reife war übel gerathen,
Line sorgliche Fahrt war Braunen geworden. Es blutet’
Ihm der Bart und die Füsse dazu, er konnte nicht stehen,
Konnte nicht kriechen, noch gehn. Und Rüsteviel eilte zu schlagen,
Alle fielen ihn an, die mit dem Meister gekommen;
Hin zu todten war ihr Begehr. Es führte der Pater
Linen langen Stab in der Hand und schlug ihn von ferne.
Kümmerlich wandt’ er sich hin und her, es drängt’ ihn der Haufen,
Linige hier mit Spiessen, dort andere mit Beilen, es brachte
Hammer und Zange der Schmied, es kamen andere mit Schaufeln,
Andre mit Spaten, sie schlugen drauf los, und riefen und schlugen.
Kun sprang Rüsteviels Bruder hervor und schlug mit dem langen,
Licken Knüttel dem Bären auf s Haupt, dass Hören und Sehen
Ihm verging, doch fuhr er empor vom mächtigen Schlage.
Fasend fuhr er unter die Weiber, die unter einander
baumelten, fielen und schrien, und einige stürzten in’s Wasser,
Lud das Wasser war tief. Da rief der Pater und sagte:
hebet, da unten schwimmt Frau Jutte, die Köchin, im Pelze,
Lud der Rocken ist hier! 0 helft, ihr Männer! Ich gebe
h'er, zwei Tonnen, zum Lohn, und grossen Ablass und Gnade!
Alle liessen für todt den Bären liegen, und eilten
•''ach den Weibern an s Wasser, man zog aufs Trockne die Fünfe.
La indessen die Männer am Ufer beschäftiget waren,
Kroch der Bär in’s Wasser vor grossem Elend, und brummte
W entsetzlichem Weh. Er wollte sich lieber ersäufen,
Fis die Schläge so schändlich erdulden. Er hatte zu schwimmen
•'ie versucht, und hoffte sogleich das Leben zu enden.
Wider Vermuthen fühlt' er sich schwimmen, und glücklich getragen
Ward er vom Wasser hinab, es sahen ilm alle die Bauern,
282
Kiefen: Das wird uns gewiss zur ewigen Schande gereichen!
Und sie waren verdriesslich, und schalten über die Weiber:
Besser blieben sie doch zu Haufe! Da seht nun, er schwimmet
Seiner Wege. Sie traten herzu, den Block zu besehen,
Und sie fanden darin noch Haut und Haare vom Kopfe
Und von den Füssen, und lachten darob und riefen, Du kommst uns
Sicher wieder, behalten wir doch die Ohren zum Pfande!
So verhöhnten sie ihn noch über den Schaden, doch war er
Froh, dass er nur dem Uebel entging. Er fluchte den Bauern,
Die ihn geschlagen, und klagte den Schmerz der Ohren und Füsse;
Fluchte Reinecken, der ihn verrieth. Mit solchen Gebeten
Schwamm er weiter, es trieb ihn der Strom, der reissend und gross war,
Binnen weniger Zeit fast eine Meile hinunter,
Und da kroch er an’s Land an selbigem Ufer und keuchte.
Kein bedrängteres Thier hat je die Sonne gesehen!
Und er dachte den Morgen nicht zu erleben, er glaubte
Plötzlich zu sterben, und rief: o Reinecke, falscher Verräther!
Loses Geschöpf! er dachte dabei der schlagenden Bauern
Und er dachte des Baums und fluchte Reineckens Listen.
Aber Reinecke Fuchs, nachdem er mit gutem Bedachte
Seinen Oheim zu Markte geführt, ihm Honig zu schaffen,
Lief er nach Hühnern, er wusste den Ort und schnappte sich eines-
Lief und schleppte die Beute behend am Flusse hinunter.
Dann verzehrt’ er sie gleich, und eilte nach andern Geschäften
Immer am Flusse dahin, und trank des Wassers, und dachte:
O, wie bin ich so froh, dass ich den tölpischen Bären
So zu Hofe gebracht! Ich wette, Rüsteviel hat ihm
Wohl das Beil zu kosten gegeben. Es zeigte der Bär sich
Stets mir feindlich gesinnt, ich hab' es ihm wieder vergolten.
Oheim hab’ ich ihn immer genannt, nun ist er am Baume
Todt geblieben, dess will ich mich freun, so lang ich nur lebe.
Klagen und schaden wird er nicht mehr ! — Und wie er so wandelt»
Schaut er am Ufer hinab, und sieht den Bären sich wälzen.
Das verdross ihn im Herzen, dass Braun lebendig entkommen.
Rüsteviel, rief er, lässiger Wicht! du grober Geselle!
Solche Speise verschmähst du? die fett und guten Geschmacks ist,
Die manch ehrlicher Mann sich wünscht, und die so gemächlich
Dir zu Handen gekommen. Doch hat für deine Bewirthung
Dir der redliche Braun ein Pfand gelassen! So dacht’ er,
Als er Braunen betrübt, ermattet und blutig erblickte.
Endlich rief er ihn an : Herr Oheim, find’ ich euch wieder?
Habt ihr etwas vergessen bei Rüsteviel? sagt mir, ich lass’ ihn
Wissen, wo ihr geblieben. Doch soll ich sagen, ich glaube
Vielen Honig habt ihr gewiss dem Manne gestohlen,
283
Oder habt ihr ihn redlich bezahlt? wie ist es geschehen?
Ei! wie seid ihr gemalt? das ist ein schmähliches Wesen!
War der Honig nicht guten Geschmacks? Zu selbigem Preise
Steht noch mancher zu Kauf! Doch, Oheim, saget mir eilig,
Welchem Orden habt ihr euch wohl so kürzlich gewidmet,
Dass ihr ein rothes Harret auf eurem Haupte zu tragen
Anfangt? Seid ihr ein Abt? Es hat der Bader gewisslich,
Der die Platte euch schor, nach euren Ohren gesclmappet,
Dir verlöret den Schopf, wie ich sehe, das Fell von den Wangen
Und die Handschuh’ dabei. Wo habt ihr sie hängen gelassen?
Und so musste der Braune die vielen spöttischen Worte
Hinter einander vernehmen, und konnte vor Schmerzen nicht reden,
Sich nicht rathen noch helfen. Und, um nicht weiter zu hören,
Kroch er in’s Wasser zurück, und trieb mit dem reissenden Strome
Hieder, und landete drauf am flachen Ufer. Da lag er
Krank und elend, und jammerte laut und sprach zu sich selber:
Schlüge nur einer mich todt! Ich kann nicht gehen, und sollte
Kach des Königes Hof die Keife vollenden, und bleibe
So geschändet zurück von Reineckens bösem Verrathe.
Dring’ ich mein Leben davon, gewiss, dich soll es gereuen!
Doch er raffte sich auf, und schleppte mit grässlichen Schmerzen
Durch vier Tage sich fort, und endlich kam er nach Hofe.
Als der König den Bären in seinem Elend erblickte,
Kies er: Gnädiger Gott! erkenn’ ich Braunen? Wie kommt er
So geschändet? Und Braun versetzte: Leiddr erbärmlich
Kt das Ungemach, das ihr erblickt; so hat mich der Frevler
Keinecke schändlich verrathen! Da sprach der König entrüstet:
Kächen will ich gewiss ohn’ alle Gnade den Frevel!
Solch einen Herrn, wie Braun, den sollte Keinecke schänden?
-K, bei meiner Ehre, bei meiner Krone! Das schwör’ ich,
Alles soll Reinecke biissen, was Braun zu Rechte begehret!
Halt’ ich mein Wort nicht, so trag’ ich kein Schwert mehr, ich
will es geloben!
Und der König gebot, es solle der Rath sich versammeln,
Ueberlegen und gleich der Frevel Strafe bestimmen.
Alle riethen darauf, wofern es dem König beliebte,
Solle man Reinecken abermals fordern, er solle sich stellen,
Degen Anspruch und Klage sein Recht zu wahren. Es könne
Hinze der Kater sogleich die Botschaft Reinecken bringen,
Weil er klug und gewandt sei. So riethen sie alle zusammen.
Und es vereinigte sich der König mit seinen Genossen,
Spracn zu Hinzen: merket mir recht die Meinung der Herren!
Liess er sich aber zum drittenmal fordern, so soll es ihm selbst, und
Seinem ganzen Geschlechte zum ewigen Schaden gereichen;
284
Ist er klug, so komm’ er in Zeiten! Ihr schärft ihm die Lehre;
Andre verachtet er nur, doch eurem Rathe gehorcht er.
Aber Hinze versetzte: zum Schaden oder zum Frommen
Mag es gereichen, komm' ich zu ihm, wie soll ich’s beginnen?
Meinetwegen thut oder lasst es, aber ich dächte
Jeden andern zu schicken ist besser, da ich so klein bin.
Braun der Bär ist so gross und stark, und konnt’ ihn nicht zwingen,
Welcher Weise soll ich es enden? 0! Habt mich entschuldigt!
Du beredest mich nicht, versetzte der König: man findet
Manchen kleinen Mann voll List und Weisheit, die manchem
Grossen fremd ist. Seid ihr auch gleich kein Riefe gewachsen,
Seid ihr doch klug und gelehrt. Da gehorchte der Kater, und sagte:
Euer Wille geschehe! und kann ich ein Zeichen erblicken
Rechter Hand am Wege, so wird die Reise gelingen.
181. Demetrius.
(Aus dem Bruchstück der gleichnamigen Tragödie von Schiller.)
Reichstag zu Krakau.
Erzbischof von Gnesen.
Prinz Dmitri, Iwans Sohn! Wenn dich der Glanz
Der königlichen Reichsversammlung schreckt,
Des Anblicks Majestät die Zung’ dir bindet,
So magst du, dir vergönnt es der Senat,
Dir nach Gefallen einen Anwalt wählen,
Und eines fremden Mundes dich bedienen.
Demetrius.
Herr Erzbischof, ich stehe hier, ein Reich
Zu fordern und ein königliches Scepter.
Schlecht stünde mir’s, vor einem edlen Volk
Und seinem König und Senat zu zittern.
Ich sah noch nie solch einen hehren Kreis;
Doch dieser Anblick macht das Herz mir gross,
Und schreckt mich nicht. Je würdigere Zeugen,'
Um so willkommner sind sie mir; ich kann
Vor keiner glänzendem Versammlung reden. —
Grossmächt'ger König! Würd’ge, mächt'ge
Bischof und Palatinen, gnäd’ge Herrn,
Landboten der erlauchten Republik!
Verwundert, mit nachdenklichem Erstaunen,
Erblick’ ich mich, des Czaaren Iwans Sohn,
285
Auf diesem Reichstag vor dem Volk der Polen.
Der Hass entzweite blutig beide Reiche,
Und Friede wurde nicht, so lang er lebte.
Doch hat es jetzt der Himmel so gewendet,
Dass ich, fein Blut, der mit der Milch der Amme
Den alten Erbhass in sich sog, als Flehender
Vor euch erscheinen, und in Polens Mitte
Mein Recht mir suchen muss. Drum, eh' ich rede,
Vergesset edelmüthig, was geschehn,
Und dass der Czaar, dess Sohn ich mich bekenne,
Den Krieg in eure Grenzen hat gewälzt.
Ich stehe vor euch, ein beraubter Fürst;
Ich suche Schutz; der Unterdrückte hat
Ein heilig Recht an jede edle Brust.
Wer aber soll gerecht sein auf der Erde,
Wenn es ein grosses, tapfres Volk nicht ist,
Das frei in höchster Machtvollkommenheit
Nur sich allein braucht Rechenschaft zu geben,
Und unumschränkt
Der schönen Menschlichkeit gehorchen kann.
Erzbischof von Gnesen.
Ihr gebt euch für des Czaaren Iwans Sohn.
Nicht wahrlich euer Anstand widerspricht,
Noch eure Rede diesem stolzen Anspruch.
Doch überzeuget uns, dass ihr der seid,
Dann hoffet alles von dem Edelmuth
Der Republik. — Sie hat den Russen nie
Im Feld gefürchtet; beides liebt sie gleich,
Ein edler Feind und ein gefall'ger Freund zu fein.
Demetrius.
Iwan Wasilowitsch, der grosse Üzaar
Von Moskau, hatte fünf Gemahlinnen
Gefreit in seines Reiches langer Dauer.
Die erste, aus dem heldenreichen Stamm
Der Romanow, gab ihm den Feodor,
Der nach ihm herrschte. Einen einz’gen Sohn,
Dmitri, die späte Blüthe seiner Kraft,
Gebar ihm Marfa aus dem Stamm Nagori,
Ein zartes Kind noch, da der Vater starb.
Czaar Feodor, ein Jüngling schwacher Kraft
Und blöden Geists, liess seinen obersten
Stallmeister walten, Boris Godunow,
Der mit verschlagner Hofkunst ihn beherrschte.
286
Fedor war kinderlos, und keinen Erben
Versprach der Czaarin unfruchtbarer Schooss.
Als nun der listige Bojar die Gunst
Des Volks mit Schmeichelkünsten lieh erschlichen,
Erhub er seine Wünsche bis zum Thron;
Ein junger Prinz nur stand noch zwischen ihm
Und seiner stolzen Hoffnung, Prinz Dimitri
Iwanowitsch, der unterm Aug’ der Mutter
Zu Uglitsch, ihrem Wittwensitz, heranwuchs.
Als nun fein schwarzer Anschlag zur Vollziehung
Gereift, sandt’ er nach Uglitsch Mörder aus,
Den Ozaaro witsch, zu todten. — —
Ein Feu’r ergriff in tiefer Mitternacht
Des Schlosses Flügel, wo der junge Fürst
Mit seinem Wärter abgesondert wohnte.
Ein Kaub gewalt’ger Flammen war das Haus,
Der Prinz verschwunden aus dem Aug1 der Menschen
Und blieb1 s; als todt beweint ihn alle Welt.
Bekannte Dinge meld1 ich, die ganz Moskau kennt.
Erzbischof von Gnesen.
Was ihr berichtet, ist uns allen kund.
Erschollen ist der Ruf durch alle Reiche,
Dass Prinz Dimitri bei der Feuersbrunst
Zu Uglitsch seinen Untergang gefunden.
Und weil sein Tod, dem Czaar, der jetzo herrscht,
Zum Glück ausschlug, so trug man kein Bedenken,
Ihn anzuklagen dieses schweren Mords.
Doch nicht von seinem Tod ist jetzt die Rede!
Es lebt ja dieser Prinz! Er leb1 in euch,
Behauptet ihr. Davon gebt uns Beweise.
Wodurch beglaubigt ihr, dass ihr der seid?
An welchen Zeichen soll man euch erkennen?
Wie bliebt ihr unentdeckt vor dem Verfolger,
Und tretet jetzt, nach sechzehnjähr’ger Stille,
Nicht mehr erwartet an das Licht der Welt?
Demetrius.
Kein Jahr ist’s noch, dass ich mich selbst gefunden,
Denn bis dahin lebt1 ich mir selbst verborgen,
Nicht ahnend meine fürstliche Geburt.
Mönch unter Mönchen fand ich mich, als ich
Anfing zum Selbstbewusstsein zu erwachen,
Und mich umgab der strenge Klosterzwang.
Den engen Pfaffenweise widerstand
287
Der muth’ge Geist, und dunkel mächtig in den Adern
Empörte sich das ritterliche Blut.
Das Mönchgewand warf ich entschlossen ab,
Und floh noch Polen, wo der edle Fürst
Von Sendomir, der holde Freund der Menschen,
Mich gastlich aufnahm in fein Fürstenhaus,
Und zu der Waffen edlem Dienst erzog.
Erzbischof von Gnesen.
— — — Wie? Ihr kanntet euch noch nicht,
Und doch erfüllte damals schon der Ruf
Die Welt, dass Prinz Demetrius noch lebe?
Czaar Boris zitterte auf seinem Thron,
Und stellte seine Sassafs an die Grenzen,
Um scharf auf jeden Wanderer zu achten.
Wie? Diese Sage ging nicht aus von euch?
Ihr hättet euch nicht für Demetrius
Gegeben ?
D emetr i u s.
-------— Ich erzähle, was ich weiss.
Ging ein Gerücht umher von meinem Dasein,
So hat geschäftig es ein Gott verbreitet.
Ich kannt’ mich nicht. Im Haus des Paladins
Und unter seiner Dienerschaft verloren,
Hebt' ich der Jugend fröhlich dunkle Zeit.
—--------— Mit stiller Huldigung
Verehrt’ ich seine reizgeschmückte Tochter.
Doch damals von der Kühnheit weit entfernt,
Den Wunsch zu solchem Glück empor zu wagen.
Den Kastellan von Lemberg, ihren Freier,
Beleidigt meine Leidenschaft. Er setzt
Mich stolz zur Rede, und in blinder Wuth
Vergisst er sich so weit, nach mir zu schlagen.
So schwer gereizet, greif’ ich zum Gewehr;
Er sinnlos, wüthend, stürzt in meinen Degen,
Und fällt durch meine willenlose Hand.
Mein Unglück war das höchste! Ohne Namen,
Ein Russ’ und Fremdling, hatt’ ich einen Grossen
Des Reichs getödtet, hatte Mord verübt
Im Haufe meines gastlichen Beschützers,
Ilim seinen Eidam, seinen Freund getödtet.
Nichts half mir meine Unschuld, nichts das Mitleid
Des ganzen Hofgesindes; nicht die Gunst
Des edeln Paladinus kann mich retten;
K
- 288 -
Denn das Gesetz, das nur den Polen gnädig,
Doch streng ist allen Fremdlingen, verdammt mich.
Mein Urtheil ward gefallt, ich sollte sterben-,
Schon kniet’ ich nieder an den Block des Todes,
Entblösste meinen Hals dem Schwert. —
— In diesem Augenblicke ward ein Kreuz
Von Gold mit kostbar'n Edelsteinen sichtbar,
Das in der Tauf mir umgehangen ward.
Ich hatte, wie es Sitte ist bei uns,
Das heil'ge Pfaitd der christlichen Erlösung
Verborgen stets an meinem Hals getragen
Von Kindesbeinen an, und eben jetzt,
Wo ich vom fassen Leben scheiden sollte,
Ergriff ich es als meinen letzten Trost,
Und drückt’ es an den Mund mit frommer Andacht.
Das Kleinod wird bemerkt; fein Glanz und Werth
Erregt Erstaunen, weckt die Neugier auf.
Ich werde losgebunden und befragt,
Doch weiss ich keiner Zeit mich zu besinnen,
Wo ich das Kleinod nicht an mir getragen.
Nun fügte sich's, dass drei Bojarenkinder,
Die der Verfolgung ihres Czaars entflohn,
Bei meinem Herrn zu Sambor eingesprochen:
Sie sahn das Kleinod und erkannten es
Am neun Smaragden, die mit Amethysten
Durch schlangen waren, für dasselbige,
Was Knäs Mestislowskoy dem jüngsten Sohn
Des Czaaren bei der Taufe umgehangen.
Sie sehn mich näher an, und sehn erstaunt
Ein seltsam Spielwerk der Natur, dass ich
Am rechten Arme kürzer bin geboren.
Als sie mich nun mit Fragen ängstigten,
Besann ich mich auf einen kleinen Psalter,
Den ich auf meiner Flucht mit mir geführt.
In diesem Psalter standen griech’sche Worte,
Vom Igumen mit eigner Hand hinein
Geschrieben. Selbst hatt’ ich sie nie gelesen,
Weil ich der Sprach’ nicht kundig bin. Der Psalter
Wird jetzt herbeigeholt, die Schrift gelesen,
Ihr Inhalt ist: dass Bruder Wasili Philaret
(Dies war mein Klostemam’), des Buchs Besitzer
Prinz Dmitri fei, des Iwans jüngster Sohn,
Den Andrei, ein redlicher Diak,
In jener Mordnacht heimlich weggeflüchtet;
Urkunden dessen lägen aufbewahrt
289
In zweien Klöstern, die bezeichnet waren.
Hier stürzten die Bojaren mir zu Füssen,
Besiegt von dieser Zeugnisse Gewalt,
Und grössten mich als ihres Czaaren Sohn,
Und also jählings aus des Unglücks Tiefen
Riss mich das Schicksal auf des Glückes Höhen. —
Und jetzt siel’s auch wie Schuppen mir vom Auge!
Erinnrungen belebten sich auf einmal —
Im fernsten Hintergrund vergangner Zeit;
Und wie die letzten Thürme aus der Ferne
Erglänzen in der Sonne Gold, so wurden
Mir in der Seele zwei Gestalten hell,
Die höchsten Sonnengipfel des Bewusstseins.
Ich sah mich fliehn in einer dunkeln Nacht,
Und eine lohe Flamme sah ich steigen
In schwarzem Naehtgraun, als ich rückwärts sah.
Ein uralt frühes Denken musst’ es fein;
Denn was vorherging, was darauf gefolgt,
War ausgelöscht in langer Zeitenferne;
Nur abgerissen, einsam leuchtend, stand
Dies Schreckensbild mir im Gedächniss da;
Doch wohl besann ich mich aus spätern Jahren,
Wie der Gefährten einer mich im Zorn
Den Sohn des Czaars genannt. Ich hielt’s für Spott,
Und rächte mich dafür mit einem Schlage.
Dies alles traf jetzt blitzschnell meinen Geist,
Und vor mir stand's mit leuchtender Gewissheit,
Ich fei des Czaaren todtgeglaubter Sohn.
Es lösten sich mit diesem einz’gen Wort
Die Räthsel alle meines dunkeln Wesens. '
Nicht bloss an Zeichen, die betrüglich sind,
In tiefster Brust, an meines Herzens Schlägen
Fühlt’ ich in mir das königliche Blut;
Und eher will ich’s tropfenweis verspritzen,
Als meinem Recht entsagen und der Krone.
182. Chöre
(aus der Tragödie „die Braut von Messina“ von Schiller)
1. Waffenruhe.
Chor (Cajetan).
Sage, was werden wir jetzt beginnen,
Da die Fürsten ruhen vom Streit,
Auszufüllen die l^eere der Stunden
Und die lange, unendliche Zeit?
R o q u o t te , Deutsches Lesebuch. I.
1«
290
Etwas fürchten und hoffen und sorgen
Muss der Mensch für den kommenden Morgen,
Dass er die Schwere des Daseins ertrage
Und das ermüdende Gleichmass der Tage,
Und mit erfrischenden Windeswehen
Kräuselnd bewege das stockende Leben.
Einer aus dem Chor (Manfred).
Schön ist der Friede! Ein lieblicher Knabe,
Liegt er gelagert am ruhigen Bach,
Und die hüpfenden Lämmer grasen
Lustig um ihn auf dem sonnigen Rasen;
Süsses Tönen entlockt er der Flöte,
Und das Echo des Berges wird wach,
Oder im Schimmer der Abendröthe
Wiegt ihn in Schlummer der murmelnde Bach —
Aber der Krieg auch hat feine Ehre,
Der Beweger des Menschengeschicks;
Mir gefällt ein lebendiges Leben,
Mir ein ewiges Schwanken und Schwingen und Schweben
Auf der steigenden, fallenden Welle des Glücks.
Denn der Mensch verkümmert im Frieden,
Müssige Ruh’ ist das Grab des Muths.
Das Gesetz ist der Freund des Schwachen,
Alles will er nur eben machen,
Möchte gerne die Welt verflachen;
Aber der Krieg lässt die Kraft erscheinen,
Alles erhebt er zum Ungemeinen,
Selber dem Feigen erzeugt er den Muth.
Ein Zweiter. (Berengar.)
Stehen nicht Amors Tempel offen?
Wallet nicht zu dem Schönen die Welt?
Da ist das Fürchten! Da ist das Hoffen!
König ist hier, wer den Augen gefällt!
Auch die Liebe beweget das Leben,
Dass sich die graulichen Farben erheben.
Reizend betrügt sie die glücklichen Jahre,
Die gefällige Tochter des Schaums;
In das Gemeine und Traurigwahre
Webt sie die Bilder des goldenen Traum».
Ein Dritter. (Cajetan.)
Bleibe die Blume dem blühenden Lenze,
Scheine das Schöne, und flechte sich Kränze,
291
Wem die Locken noch jugendlich grünen;
Aber dem männlichen Alter ziemt’s,
Einem ernsteren Gott zu dienen.
Erster. (Manfred.)
Der strengen Diana, der Freundin der Jagden,
Lasset uns folgen in’s wilde Gehölz,
Wo die Wälder am dunkelsten nachten,
Und den Springhock stürzen vom Fels.
Denn die Jagd ist ein Gleichniss der Schlachten,
Des ernsten Kriegsgotts lustige Braut —
Man ist auf mit dem Morgenstrahl,
Wenn die schmetternden Hörner laden
Lustig hinaus in das dampfende Thal,
Ueber Berge, über Klüfte,
Die ermatteten Glieder zu baden
In den erfrischenden Strömen der Lüfte!
Zweiter. (Betengar.)
Oder wollen wir uns der blauen
Göttin, der ewig bewegten, vertrauen,
Die uns mit freundlicher Spiegelhelle
Ladet in ihren unendlichen Schooss?
Bauen wir auf der tanzenden Welle
Uns ein lustig schwimmendes Schloss?
Wer das grüne, krystallene Feld
Pflügt mit des Schiffes eilendem Kiele,
Der vermählt lieh das Glück, dem gehört die Welt,
Ohne die Saat erblüht ihm die Ernte!
Denn das Meer ist der Raum der Hoffnung
Und der Zufälle launisch Reich!
Hier wird der Reiche schnell zum Armen,
Und der Aermste dem Fürsten gleich.
Wie der Wind mit Gedankenschnelle
Läuft um die ganze Windesrose,
Wechseln hier des Geschickes Loose,
Dreht das Glück feine Kugel um.
Auf den Wellen ist alles Welle,
Auf dem Meer ist kein Eigenthum.
Dritter. (Cajetan.)
Aber nicht blos im Wellenreiche, •
Auf der wogenden Meeresfluth,
Auch auf der Erde, so fest sie ruht
19
292
Auf den ewigen, alten Säulen,
Wanket das Glück und will nicht weilen. —*
Sorge giebt mir dieser neue Frieden,
Und nicht fröhlich mag ich ihm vertrauen;
Auf der Lava, die der Berg geschieden,
Möcht’ ich nimmer meine Hütte bauen.
Denn zu tief schon hat der Hass gefressen.
Und zu schwere Thaten sind geschehn.
Die sich nie vergeben und vergessen.
Noch hab’ ich das Ende nicht gesehn,
Und mich schrecken ahnungsvolle Träume!
Nicht Wahrsagung reden soll mein Mund;
Aber sehr missfällt mir dies Geheime,
Dieser Ehe segenloser Bund,
Diese lichtscheu krummen Liebespfade,
Dieses Klosterraubs verweg’ne That;
Denn das Gute liebt sich das Gerade,
Böse Früchte trägt die böse Saat.
Berengar.
Auch ein Kaub war’s, wie wir alle wissen,
Der des alten Fürsten ehliches Gemahl
In ein frevelnd Ehebett gerissen,
Denn sie war des Vaters Wahl.
Und der Ahnherr schüttete im Zorne
Grauenvoller Flüche schrecklichen Samen
Auf das fündige Ehebett aus.
Greuelthaten ohne Namen,
Schwarze Verbrechen verbirgt dies Haus.
Chor. (Cajetan.)
Ja, es hat nicht gut begonnen,
Glaubt mir, und es endet nicht gut;
Denn gebüsst wird unter der Sonnen
Jede That der verblendeten Wuth.
Es ist kein Zufall und blindes Loos,
Dass die Brüder sich wüthend selbst verhören;
Denn verflucht ward der Mutterfchoofs,
Sie sollte den Hass und den Streit gebären. —
Aber ich will es schweigend verhüllen,
Denn die Rachgötter schaffen im Stillen;
Zeit ist’s, die Unfälle zu beweinen,
Wenn sie nahen und wirklich erscheinen.
2. Todtenklage.
, Cajetan.
Sagt mir! Ich kann1» nicht fassen und deuten,
Wie es io schnell sich erfüllend genaht.
Langst wohl sah ich im Geist mit weiten
Schritten das Schreckensgespenst herschreiten
Dieser entsetzlichen blutigen That.
Dennoch übergiesst mich ein Grauen,
Da sie vorhanden ist und geschehen,
Da ich erfüllt muss vor Augen schauen,
Was ich in ahnender Furcht nur gesehen.
All mein Blut in den Adern erstarrt
Vor der grässlich entschiedenen Gegenwart.
Manfred.
Lasset erschallen die Stimme der Klage! —
Holder Jüngling! Da liegt er entseelt,
Hingestreckt in der Blüthe der Tage,
Schwer umfangen von Todesnacht,
An der Schwelle der bräutlichen Kammer!
Aber über dem Stummen erwacht
Lauter, unermesslicher Jammer.
Cajetan.
Wir kommen, wir kommen
Mit festlichem Prangen
Die Braut zu empfangen;
Es bringen die Knaben
Die reichen Gewände, die bräutlichen Gaben;
Das Fest ist bereitet, es warten die Zeugen,
Aber der Bräutigam höret nicht mehr;
Nimmer erweckt ihn der fröhliche Reigen,
Denn der Schlummer der Todten ist schwer.
Ganzer Chor.
Schwer und tief ist der Schlummer der Todten,
Nimmer erweckt ihn die Stimme der Braut,
Nimmer des Hüfthorns fröhlicher Laut,
Starr und fühllos liegt er am Boden!
Caj etan.
Was sind Hoffnungen, was sind Entwürfe,
Die der Mensch, der vergängliche baut?
Heute umarmtet ihr euch als Brüder,
294
Einig gestimmt mit Herzen und Munde;
Diese Sonne, die jetzo nieder
Geht, sie leuchtete eurem Bunde!
Und jetzt liegst du, dem Staube vermählt,
Von des Brudermords Händen entseelt,
In dem Busen die grässliche Wunde!
Was find Hoffnungen, was sind Entwürfe,
Die der Mensch, der flüchtige Sohn der Stunde,
Aufbaut auf dem hetrüglichen Grunde?
Berengar.
Zu der Mutter will ich dich tragen,
Eine unbeglückende Last!
Diese Cypresse lasst uns zerschlagen
Mit der mördrischen Schneide der Axt.
Eine Bahre zu flechten aus ihren Zweigen;
Nimmer soll sie Lebendiges zeugen,
Die die tödtliche Frucht getragen;
Nimmer in fröhlichem Wuchs sich erheben,
Keinem Wandrer mehr Schatten geben;
Die sich genährt auf des Mordes Boden,
Soll verflucht fein zum Dienst der Todten!
Caj et an.
Aber wehe dem Mörder, wehe,
Der dahin geht in thörichtem Mutb !
Hinab, hinab in der Erde Ritzen
Rinnet, rinnet, rinnet dein Blut.
Drunten aber im Tiefen sitzen
Lichtlos, ohne Gesang und Sprache,
Der Themis Töchter, die nie vergessen,
Die Untrüglichen, die mit Gerechtigkeit messen,
Fangen es auf mit schwarzen Gefilssen,
Rühren und mengen die schreckliche liacbe.
Berengar.
Leicht verschwindet der Thaten Spur,
Von der sonnenbeleuchteten Erde,
Wie aus dem Antlitz die leichte Geberde
Aber nichts ist verloren und verschwunden,
Was die geheimnissvoll waltenden Stunden
In den dunkel schaffenden Schools aufnahmen —
Die Zeit ist eine blühende Flur,
Ein grosses Lebendiges ist die Natur,
Und alles ist Frucht, und alles ist Samen.
295
Caj etan.
Wehe, wehe dem Mörder, wehe,
Der sich gesät die tödtliche Saat!
Ein andres Antlitz, eh' sie geschehen,
Ein andres zeigt die vollbrachte That.
Muthvoll blickt sie und kühn dir entgegen,
Wenn der Rache Gefühle den Busen bewegen,
Aber ist sie geschehn und begangen,
Blickt sie dich an mit erbleichenden Wangen.
Selber die schrecklichen Furien schwangen
Gegen Orestes die höllischen Schlangen,
Reizten den Sohn zu dem Muttermord an:
Mit der Gerechtigkeit heiligen Zügen
Wussten sie listig fein Herz zu betrügen,
Bis er die tödtliche That nun gethan —
Aber, da er den Schooss jetzt geschlagen,
Der ihn empfangen und liebend getragen,
Siehe, da kehrten sie
Gegen ihn selber
Schrecklich sich um —
Und er erkannte die furchtbaren Jungfraun,
Die den Mörder ergreifend fassen,
Die von jetzt an ihn nimmer lassen,
Die ihn mit ewigem Schlangenbiss nagen,
Die von Meer zu Meer ihn ruhelos jagen
Bis in das Delphische Heiligthum.
183. Die Hermannschlacht.
(Scenen aus dem gleichnamigen Drama von H. v. Kleist.)
1.
Hermann. Eginhart, fein Rath; Ruitgar, dessen Sohn.
Hermann.
Du bist entschlossen, hör’ ich, Luitgar,
An Marbod heimlich eine Botschaft zu besorgen?
Luitgar.
Ich bin's, mein hoher Herr.
Hermau n.
Kann ich gewiss sein,
Dass das, was ich dir anvertraue,
Vor morgen Nacht in seinen Händen ist?
296
Luitgar.
Mein Fürst, so sicher, als ich morgen lebe.
So sicher auch ist es ihm überbracht.
H ermann.
Gut. Meine beiden blonden Jungen wirst du,
Den Rinold und den Adelhart,
Empfangen, einen Dolch, und dieses Schreiben hier,
Dem Marbod, Herrn des Suevenreiches,
Von mir zu überliefern. — Die drei Dinge
Erklären sich, genau erwogen, selbst,
Und einer mündlichen Bestellung braucht es nicht;
Doch, um dich in den Stand zu setzen,
Sogleich jedwedem Irrthum zu begegnen,
Der etwa nicht von mir berechnet wäre.
Will ich umständlich von dem Schritt,
Zu dem ich mich entschloss, dir Kenntniss geben.
L u i t g a r.
Geruhe deinen Knecht zu unterrichten.
Hermann.
Die Knaben schick’ ich ihm zuvörderst und den Dolch,
Damit dem Brief er Glauben schenke.
Wenn irgend in dem Brief ein Arges ist enthalten,
Soll er den Dolch sofort ergreifen
Und in der Knaben weisse Brüste drücken.
L uitgar.
Wohl, mein erlauchter Herr.
Hermann.
Augustus hat
Das Angebot der drei Legionen,
Die Varus führt, zum Schutze wider Marbod,
Zum drittenmal mir heute wiederholt.
Gründe von zwingender Gewalt bestimmen mich,
Die Truppen länger nicht mehr abzulehnen.
Sie rücken morgen in Cheruska ein,
Und werden in drei Tagen schon
Am Weserstrom in’s Angesicht ihm sehn.
Varus will schon am Idus des August
(Also am Tag nach unserem
Hochheil’gen Nomentag, das merk’ dir wohl)
Mit feinem Römerheer die Weser überschiffen,
Und Hermann wird, auf Einen Marsch,
— 297
Mit dem Cheruskerheer zu gleichem Zweck ihm folgen.
An dem Alraunentag, Luitgar,
(Also am Tag vor unserm Nornentag)
Brech’ ich von Teutoburg mit meinen Schaaren auf.
Jenseits der Weser wollen wir
Vereint auf Marbods Haufen plötzlich fallen;
Und wenn wir ihn erdrückt (wie kaum zu zweifeln steht)
Soll mir, nach dem Versprechen des Augustus,
Die Oberherrschaft in Germanien werden.
L u i tgar.
Ich fass', o Herr, dich und bewundre
Schon im voraus, was noch erfolgen wird.
Hermann.
Ich weiss inzwischen, dass Augustus sonst
Ihm mit der Herrschaft von Germanien geschmeichelt.
Mir ist von guter Hand bekannt,
Dass Varus heimlich ihn mit Geld
Und Waffen selbst versehn, mich aus dem Feld zu fchhigen.
Das Schicksal Deutschlands lehrt nur allzudeutlich mich,
Dass des Augustus letzte Absicht fei,
Uns beide, mich wie ihn, zu Grund zu richten,
Und wenn er, Marbod, wird vernichtet fein,
Der Suevenfürst, so suhl' ich lebhaft
Wird an Arminius die Leihe kommen.
Luitgar.
Du kennst, ich seh’, die Zeit, wie Wenige.
Hermann.
Da ich nun — soll ich einen Oberherm erkennen,
Weit lieber einem Deutschen mich,
Als einem Römer unterwerfen will:
Von allen Fürsten Deutschlands aber ihm,
Marbod, um seiner Macht und seines Edelmuths,
Der Thron am unzweideutigsten gebührt:
Bo unterwerf’ ich mich hiermit demselben,
Als meinem Herrn und hohen König,
Und zahl’ ihm den Tribut, Luitgar, den er
Durch einen Herold jüngst mir abgefordert.
L u i t g a r.
Wie, mein erlauchter Herr! Hört’ ich auch recht?
Du unterwirfst —? Ich bitte dich, mein Vater!
(Eginhart winkt ihm ehrfurchtsvoll zu schweigen.)
298
Hermann.
Dagegen, hoff’ ich, übernimmt nun Er,
Als Deutschlands Oberherrscher, die Verpflichtung,
Das Vaterland von dem Tyrannenvolk zu säubern.
Er wird den Römeradler länger nicht
Um einen Tag, steht es in seiner Macht,
Auf Hermanns, seines Knechts, Gefilden dulden.
Und da der Augenblick sich eben günstig zeigt.
Dem Varus, eh’ der Mond noch wechselt,
Das Grab in dem Cheruskerland zu graben,
So wag' ich es sogleich, dazu
In Ehrfurcht ihm den Kriegsplan vorzulegen.
Eginhar t.
Jetzt merk' wohl auf, Luitogar,
Und lass kein Wort Arminius’ dir entschlüpfen.
Luitgar.
Mein Vater! Meine Brust ist Erz
Und ein Demantengriffel seine Rede!
Hermann.
Der Plan ist einfach und begreift sich leicht.
Varus kommt in der Nacht der düsteren Alraunen
Tm Teutoburger Walde an,
Der zwischen mir liegt und der Weser Strom.
Er denkt am folgenden, dem Tag der letzten Nomen,
Des Stroms Gestade völlig zu erreichen,
Um an dem Idus des August
Mit seinem Heer darüber hin zu gehn.
Nun aber überschifft am Tag schon der Alraunen
Marbod der Weser Strom und rückt
Ihm bis zum Wald von Teutoburg entgegen.
Am gleichen Tag brech’ ich, dem Heer des Varus folgend.
Aus meinem Lager auf, und rücke
Von hinten ihm zu diesem Walde nach.
Wenn nun der Tag der Nomen purpurn
Des Varus Zelt bescheint, so siehst du, Freund Luitgar,
Ist ihm der Lebensfaden schon durchschnitten;
Denn nun fällt Marbod ihn von vorn.
Von hinten ich ihn grimmig an,
Erdrückt wird er von unsrer Doppelmacht;
Und keine andre Sorge bleibt uns,
Als nur die Hand voll Römer zu verschonen,
Die von dem Fall der Uebrigen
299
Die Todespost an den Augustus bringen. —
Ich denk’, der Plan ist gut. Was meinst du, Luitgar?
L u it g a r.
0 Hermann! Wodan hat ihn selbst dir zugeflüstert!
Lieh', wenn du den Cheruskern ihn wirst nennen,
Sie werden, was sie nimmer thun,
Sieg! vor dem ersten Keulenschlag schon rufen!
H e r m a n n.
Wohlan! In dem Vertraun jetzt, das ich hege,
Er, Marbod, auch, werd' diesen Plan
Nach seiner hohem Weisheit billigen,
Nimmt, er für mich die Kraft nun des Gesetzes an.
An dem Alraunentag rück’ ich nunmehr so fehllos,
Als wär’ es fein Gebot, aus meinem Lager aus,
Und steh’ am Nomen tag vor’m Teutoburger Wald.
Ihm aber — überlass’ ich es in Ehrfurcht.
Nach dem Entwurf das Seinige zu thun.
— Hast du verstanden?
Lu itga r.
Wohl, mein erlauchter Herr.
- Hermann.
Sobald wir über Varus’ Leiche uns
Begegnet — beuge ich ein Knie vor ihm,
Und harre seines weiteren Befehls.
— Weifst du noch sonst was, Eginhart?
Eg inhart.
Nichts, mein Gebieter.
H ermann.
Oder du, Luitgar?
Luitgar (zögernd).
Nichts wenigstens, das von Bedeutung wäre.
Lass deiner Weisheit ganz mich unterwerfen.
II e r m a n n.
Nun? Sag’s nur dreist heraus, du siehst so starr
Auf diese kleine Rolle nieder,
Als hätt’st du nicht das Herz, sie zu ergreifen.
300
Luitgar.
Mein Fürst, die Wahrheit dir zu sagen,
Die Möglichkeit, dass mich ein Unheil traf, erschreckt mich,
l^ass uns in keinem Stück der Gunst des Glücks vertraun.
Vergönne mir, ich bitte dich,
Zwei Freund’ in’s Lager Marbods mitzunehmen,
Damit, wenn mir Verhindrung käme,
Ein Andrer und ein Dritter noch
Das Blatt in feine Hände bringen kann.
Hermann.
' ‘ ■
Nichts, nichts, Luitgar! Welch ein Wort entfiel dir?
Wer wollte die ge walt’gen Götter
Also versuchen; Meinest du, es liesse
Das grosse Werk sich ohne sie vollziehn?
Als ob ihr Blitz drei Boten minder
Als einen einzelnen zerschmettern könnte!
Du gehst allein; und triffst du mit der Botschaft
Zu spät bei Marbod oder gar nicht ein:
Sei’s! mein Geschick ist’s, das ich tragen werde.
Luitgar.
Gieb mir die Botschaft! Nur der Tod verhindert,
Dass er sie morgen in den Händen hält.
Hermann.
Komm! So gebrauch’ ich dich. Hier ist die Rolle,
Und Dolch und Kinder händ’ge ich dir ein.
2.
Hermann. Seine Hauptleute. Das Heer.
Das Heer (in der Ferne.)
Hurrah! Hurrah! Der Nomentag bricht an!
Hermann.
Steckt das Fanal in Brand, ihr Freunde,
Zum Zeichen Marbod und den Sueven,
Dass wir nunmehr zum Schlagen fertig sind. —
Die Barden! Ha! wo sind die iussen Alten
Mit ihrem herzerhehenden Gesang?
Winfried.
Ihr Sänger, he! Wo steckt ihr?
301
Egbert.
Ha, schau’ her!
Dort auf dem Hügel, wo die Fackeln schimmern!
W infried.
Horch! Sie beginnen dir das Schlachtlied schon!
Chor der Barden (in der Ferne).
Wir litten menschlich seit dem Tage,
Da jener Fremdling eingerückt,
Wir rächten nicht die erste Plage,
Mit Hohn auf uns herabgeschickt;
Wir übten, nach der Götter Lehre,
Uns durch viel Jahre im Verzeihn:
Doch endlich drückt des Joches Schwere,
Und abgeschüttelt will es fein!
(Hermann hat sich an den Stamm einer Eiche gelehnt. Feier-
liche Pause. Die Feldherrn sprechen heimlich mit einander.)
Winfried (nähert sich ihm).
Mein Fürst, vergieb! Die Stunde drängt,
Du wolltest uns den Plan der Schlacht —
Hermann.
. Gleich, gleich! -
Du, Bruder, sprich für mich, ich bitte dich!
(Er finkt heftig bewegt wieder an die Eiche zurück.)
Was sagt er?
Ein Hauptmann.
Ein Andrer.
Was?
Winfried.
Lasst ihn! Er wird lieh lassen. —
Kommt her, dass ich den Schlachtplan euch entdecke.
(Die Anführer versammeln fielt um ihn.)
^Vir stürzen uns, das Heer zum Keil geordnet,
Dermann und ich vom an der Spitze,
Qrad auf den Feldherrn des Augustus ein.
sobald ein Riss das Römerheer gesprengt,
Nimmst du die erste Legion,
Die zweite du, die dritte du!
Di Splittern völlig fällt es auseinander.
Das Endziel ist, den Marbod zu erreichen.
302
Wenn wir zu diesem, mit dem Schwert
Uns kämpfend einen Weg gebahnt,
Wird der uns weitere Befehle geben.
Chor der Barden (fällt wieder ein).
Du wirst nicht wanken und nicht weichen
Vom Amt, das du dir kühn erhöht,
Die Regung wird dich nicht beschleichen,
Die dein getreues Wort verräth;
Du bist so mild, o Sohn der Götter,
Der Frühling kann nicht milder sein:
Sei schrecklich heut, ein Schlossenwetter,
Und Blitze lass dein Antlitz spei’n!
(Kurze Pause. — Ein Hömertusch in der Ferne.)
Egbert.
Ha! Was war das?
Hermann (in die Mitte tretend.)
Antwortet! Das war Marbod!
(Hörnertusch in der Nähe.)
Auf! Mana und die Helden von Walhalla!
(Er bricht auf.)
Egbert.
Ein Wort, mein Herr und Herrscher! Winfried! Hört mich-
Wer nimmt die Deutschen, das vergaset ihr,
Die sich dem Zug der Römer angeschlossen?
Hermann.
Niemand, mein Freund! Es soll kein deutsches Blut
An diesem Tag von deutschen Händen hiessen!
Egbert.
Was! Niemand! Hör ich recht? Es wär' dein Wille —?
Herrn a n n.
Niemand! So wahr mir Wodan helfen möge!
Sie sind mir heilig; ich berief sie,
Sich muthig unfern Schaaren anzuschliessen!
Egbert.
Was? Die Verräther, Herr, willst du verschonen,
Die grimm’ger als die Römer selbst
In der Cherusker Herzen wütheten?
303
Hermann.
Vergebt! Vergesst! Verlohnt, umarmt und liebt-euch!
Das sind die Wackersten und Besten,
Wenn es nunmehr dem Römerreiche gilt: —
Hinweg! —- Verwirre das Gefühl mir nicht!
Varus und die Gehörten, lag' ich dir,
Das ist der Feind, dem dieser Busen schwillt!
(Alle ab.)
184. Bei Fehr bellin.
Zwei Schlachtberichte aus dem Schauspiel „Prinz Friedrich von
Homburg“ von H. v. Kleist. Akt 2.
1.
(Rittmeister v. Hörner erzählt den vermeintlichen Tod des Kur-
fürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg.)
Der Prinz von Homburg war, sobald der Feind,
Gedrängt von Truchss, in seiner Stellung wankte,
Auf Wrangel in die Eb’ne vorgerückt;
Zwei Linien hatt' er mit der Reiterei
Durchbrochen schon und auf der Flucht vernichtet,
Als er auf eine Feldredoute stiess;
Hier schlug so mörderischer Eisenregen
Entgegen ihm, dass seine Reiterschaar,
Wie eine Saat, sich knickend niederlegte;
Halt musst’ er machen zwischen Busch und Flügeln,
Um sein zerstreutes Reitercorps zu sammeln.
In diesem Augenblick, dem Staub entrückt,
Bemerken wir den Herrn, der bei den Fahnen
Des Truchss’sehen Corps dem Feind entgegen reitet;
Auf einem Schimmel herrlich fass er da
Im Sonnenstrahl, die Bahn des Siegs erleuchtend;
Wir alle sammeln uns bei diesem Anblick
Auf eines Hügels Abhang, schwer besorgt,
In Mitten ihn des Feuers zu erblicken:
Als plötzlich jetzt der Kurfürst, Ross und Reiter
Im Staub vor unfern Augen niedersinkt;
Zwei Fahnenträger fielen über ihn,
Und deckten ihn mit ihren Fahnen zu.
Drauf fasst, bei diesem schreckenvollen Anblick,
Schmerz, unermesslicher, des Prinzen Herz;
Dem Bären gleich, von Wuth gespornt und Rache,
304
Bricht er mit uns auf die Verschanzung los:
Der Graben wird, der Erdwall, der sie deckt,
Im Anlauf überflogen, die Besatzung
Geworfen, auf das Feld zerstreut, vernichtet,
Kanonen, Fahnen, Pauken und Standarten,
Der Schweden ganzes Kriegsgepäck, erbeutet:
Und hätte nicht der Brückenkopf am Rhyn
Im Würgen uns gehemmt, so wäre keiner,
Der, an dem Herd der Väter, sagen könnte:
Bei Fehrbellin sah ich den Helden fallen!
2.
Wachtmeister.
Mein Prinz, kaum wag’ ich, beim lebend’gen Gott,
Welch’ ein Gerücht sich ausstreut, euch zu melden!
Der Kurfürst lebt!
Graf Sparren bringt die Nachricht eben her —
Der ihn in Hackel witz, beim Truchfs’sehen Corps
Mit eignem Aug’ gesund und wohl gesehn.
Prinz v. Homburg.
Herr Graf von Sparren,
Des Herren Durchlaucht habt ihr frisch und wohlauf
Beim Truchfs’sehen Corps in Hackelwitz gesehn?
Graf Sparren.
da, mein erlauchter Prinz, im Hof des Pfarrers,
Wo er Befehle gab, vom Stab umringt,
Die Todten beider Heere zu begraben.
Prinz v. Homburg.
Sah ich von fern an meiner Reiter Spitze
Ihn nicht zerschmettert von Kanonenkugeln
Zu Hoden sammt dem Schimmel niederstürzen?
Graf Sparren.
Der Schimmel allerdings stürzt sammt dem Reiter,
Doch der ihn ritt, mein Prinz, war nicht der Herr.
Prinz v. Homburg.
Nicht? Nicht der Herr? — Erzähle!
Dein Wort fällt schwer wie Gold in meine Brust!
Graf v. Sparren.
0 lasst die rührendste Begebenheit,
Die je ein Ohr vernommen,- euch berichten!
305
Der Landesherr, der, jeder Warnung taub,
Den Schimmel wieder ritt, den strahlend weissen,
Den Frohen jüngst in England ihm erstand,
War wieder, wie bis heut’ noch stets geschah,
Das Ziel der feindlichen Kanonenkugeln.
Kaum konnte, wer zu seinem Tross gehörte,
Auf einen Kreis von hundert Schritt ihm riah’ri;
Granaten wälzten, Kugeln und Kartätschen,
Sich wie ein breiter Todesstrom daher,
Und Alles, was da lebte, wich ans Ufer:
Nur er, der kühne Schwimmer, wankte nicht,
Und stets den Freunden winkend rudert’ er
Getrost den Höh’n zu, wo die Quelle sprang.
Stallmeister Frohen, der beim Tross der Suite
Zunächst ihm folgt, ruft dieses Wort mir zu:
„Verwünscht sei heut’ mir dieses Schimmels Glanz,
Mit schwerem Gold in London jüngst erkauft!
Wollt’ ich doch fünfzig Stück Dukaten geben.
Könnt’ ich ihn mit dem Grau der Mäuse decken.“
Er naht voll heisser Sorge ihm und spricht:
„Hoheit, dein Pferd ist scheu, du musst verstatten,
Dass ich’s noch einmal in die Schule nehme!“
Mit diesem Wort entsitzt er seinem Fuchs,
Und fällt dem Thier des Herren in den Zaum:
Der Herr steigt ab, still lächelnd, und versetzt:
„Die Kunst, die du ihm, Alter, lehren willst,
Wird er, so lang es Tag ist, schwerlich lernen.
Nimm, bitt’ ich, fern ihn hinter jenen Hügeln,
Wo seines Fehls der Feind nicht achtet, vor!“
Dem Fuchs drauf sitzt er auf, den Frohen reitet,
Und kehrt zurück, wohin fein Amt ihn ruft.
Doch Frohen hat den Schimmel kaum bestiegen,
So reifst, entsendet aus der heldred oute,
Ihn schon ein Mordblei, Ross und Reiter, nieder.
In Staub sinkt er, ein Opfer seiner Treue,
Und keinen Laut vernahm man mehr von ihm.
185. Fortunat.
(Scenen aus dem gleichnamigen phantastischen Drama von Tieck.)
1.
(Einsamer Wald.
Fortunat.
Hier will ich sterben. Jede Aussicht, Hoffnung,
Ist nun auf ewig hin, nur Wunder kann
ßoquette, Deutsches Lesebuch, f. 20
306
Mich retten, und um diesen jammervollen
Armsel’gen Staub wird nicht die Erde gähren,
Der Himmel nicht sein ew’ges Thor eröffnen,
Um mich durch Geisterhand von hier zu führen.
Ich kann nicht mehr, die Brust versagt den Athem,
Das Herz will nicht mehr schlagen, das Bewusstsein
Verlässt mich schon, und nur ein matter Schwindel
Dreht sich in meinem Hirn. 0 Vaterland!
0 liebste Eltern, Luft der Heimath, Freunde,
Die mein gedenken, fahrt nun ewig wohl!
So ward ich denn in England nur errettet,
In Wäldern von Bretagne zu verschmachten?
Mit welcher Lust sah ich die fremden Ufer,
Bald schwand das Wenige, was ich besass,
Ich eilte weiter ohne Ziel und Zweck,
Und endlich führte mich mein bös Gestirn
In dieses Waldrevieres endlos Dunkel.
Seit dreien Tagen sah ich keinen Menschen,
Seit dreien Tagen hab’ ich nichts genossen,
Als gestern an dem Quell den frischen Trunk;
In Nächten hör’ ich Wolf und Bär um mich
Mit grässlichem Geheul, ich darf nicht schlafen,
Unsichre Stätte beut mir dann der Baum.
Den Weg verlor ich, tiefer, immer tiefer
Zieht sich hinab des Waldes Labyrinth.
Kein Köhler, keine Hütte, nirgend, nirgend —.
Ja, wenn ich auf den grimmen Mörder stiesse,
Es wäre Rettung mir. Was such1 ich Wege?
Der Fuss gehorcht nicht dem Gebot des Willens,
Die Sehnen all’ entstrickt, und jedes Glied
Zum Tode matt -— so end' auch hier der Wille!
Sanft, sanft — schläft sich’s,
Still, still — stirbt sich’s,
Ruhe, Ruhe — weit umher!
Ach, wie gut, wie froh — nur weckt mich nicht!
Willst du was von mir, strahlend Gebild?
Siehe, ich lande, betrete den güldnen Boden,
Wo der Träume kindisch Gei pinnst zur Wahrheit wird.
Meiner alten Amme Lieder, die lieben Geschichten,
Die wohnen, wie seltsam, in diesem Wald!
Da fliegt mit goldnem Gelock, mit blauem Schleier
Frei die Brust, und frei die Schultern und Arme,
Ein süss Gebild, und rings erglänzen die Tannen,
Und schütteln sich rauschend in frohem Gelach — —
307
Nun bin ich zur Stelle, so gebt mir Trank und Speise;
Da, Wirth, nimm hin mein Leben, und gieb dafür den vollen Becher!
Fortuna.
Erwache! Jüngling!
Fortunat.
Sieh! ich wache, doch wozu?
Fortuna.
Mich treibt die Macht der Sterne zwingend zu dir her!
Fortunat. *
Ja, Sterne sind’s, die unsres Lebens Wagen ziehn,
Vernunft gelingt der fremden Rosse Lenkung nicht.
Fortuna.
Ergreif’ im schnellen Augenblick Gelegenheit!
Fortuna bin ich, Göttin alles Menschenstamms,
H mir ertönt der Flehenden Gebet wie sehr:
Nlich zwingt kein Wunsch und kein Verdienst, nur Eigensinn,
^iein Wankelmuth lacht diesem hold und jenem nicht;
Frinanne dich, und wähle rasch dir ein Geschenk,
Dass ich am Zweig sechsfache Frucht dir bieten darf:
Gesundheit, Weisheit, langes Leben, Schönheit auch!
Verlangst du lieber Herrschermacht, des Goldes Kraft?
Nur schnell! denn bald sucht dein Gestirn ein andres Haus.
Fortunat.
Du willst es, und des Herzens Wunsch sei ausgesagt:
Gieb Gold mir! Schönheit ward mir und auch schon Verstand,
Dein Armen wird des Lebens Läng’ nur längre Schmach,
Gnd Was soll mir die Herrschaft, da ich längst gesehn,
Dass Gold allein in jedem Land den Scepter fuhrt?
Fortuna.
Nimm diesen Säckel! Jeder Griff giebt dir des Golds
^ehn wicht’ge Stück, im Lande gültig, wo du weilst.
”0 lange du, der Deinen einer leben mag,
¡Halt die Wunderkraft der Säckel, länger nicht.
Doch überall der Wohlthat auch gedenke, Sohn!
Fortunat.
Was kann ich thun, dir Dank zu zeigen, hohes Bild?
Fortuna.
D
Alljährlich gieb am heutigen Tag vierhundert Stück
es Gold’s als Mitgift einer Jungfrau, die verarmt!
(verschwindet.)
20
308
F o rtunat.
Wo blieb sie? War es Traum? War’s Wirklichkeit?
Der Säckel ist in meiner Hand, und gleich
Greif ich hinein — Zehn Goldstück’ find’ ich hier —
Und wieder — wiederum! Ei, wie so schnell
Münzt mir das Beutelchen von Leder dies!
Doch halt, da feine Wirkung so erprobt,
Will ich mich ohne Noth mit Gold nicht schleppen.
Es fällt vom Geist wie eine Binde mir,
Ich fühle mich um zwanzig Jahre älter,
Die Thorheit, Unbesonnenheit der Jugend
Weit hinter mir! — Auch hebt sich nun vom Auge
Der Schleier, reiche Landschaft liegt vor mir.
Ich sehe Burgen, Städte in der Ferne.
Klöster, Kapellen in der Morgensonne.
Da breitet sich ein Weg hin durch den Wald,
Erneuten Muths betret’ ich diese Strasse. (ab.)
2.
(Gefängniss, Fortunat in Fesseln.)
Fortunat.
So bin ich wieder meinem Tode nah,
Und habe noch in keinem Augenblick
Des ganzen langen Lebens klug gehandelt!
Warum, Verblendeter, erflehtest du
Von jener hohen Göttin Weisheit nicht?
Jetzt sag’ ich’s mir, jetzo, da es zu spät,
Dass es nur kindische Unbesonnenheit,
Nur Vorwitz war und eitle Prahlerei,
Die Rosse anzufeilschen! Waren keine
Sonst in der ganzen weiten Welt als diese?
Es brannte dir das ungewohnte Geld
In deiner Tasche; Pferde, Hunde, Jagd,
Bediente, Falken, war dein erstes Denken,
Noch ehe du den Hunger selbst gestillt,
Und reiztest drum die Willkür des Gewalt’gen,
Der ohne Recht und Billigkeit dir droht,
Sich deines Schatzes zu bemeistem. Alles,
Was ich besass, hat man mir abgenommen,
Den Dolch, das Gold, und jenen Zaubersäckel!
Der einz’ge Trost ist nur, dass wenn ich sterbe
Auch dieser keinem andern frommt, denn so
Verhiess die Gütige, dass er nur sieh fülle,
309
So lange ich, der M einigen einer lebe.
Vielleicht kann ich mein Lehen noch erbetteln,
Wenn ich das Gold weggebe; doch kein Wort
Von jenem Zauber komm' aus meinem Munde,
Wenn es die Gierigen nicht schon entdeckt.
(Der Graf und der Richter treten ein, setzen sich.)
Richter.
Tritt vor, Maleiicant! Wie heissest du?
Fortunat.
Weil Ihr es wissen wollet: Fortunat.
Richter.
Der wahre Name eines Teufelsbanners!
Fortunatus ist Faustus gleichbedeutend,
Erinnr' ich mich aus der Grammatik noch.
Nur her, mein Faust, der Ihr es faustdick hinter
Den Ohren habt: wo seid Ihr denn geboren?
Fortunat.
Auf einer Insel, die man Cypem nennt.
Richter.
Hoho! nur keinen dummen Spass getrieben!
Mein Freund, Ihr wisst doch wohl vor wem Ihr steht?
Herr Graf: aus Cypern, sagt der Haselant!
Wir haben wohl zu Haus ’ne Cypernkatze,
Von Cypemmenscken hab’ ich nie gehört.
G r a f.
Gleichviel, woher er stammt, kommt jetzt zur Sache!
Richter.
Sehr wahr! Gleichviel, mein Freund, woher Ihr stammt,
Will sagen abstammt, doch wo Ihr nun bald
Hinan euch stammen sollt zum Galgenstamm,
Das ist die Sache, drum schnell 'raus damit:
Wer war der Herr, den Ihr zuletzt ermordet?
Fortunat.
Unschuldig bin ich, habe nie gemordet.
R i ch t e r.
0 dummer Kerl! Ei so gesteht’s doch nur,
Wir wissen ja doch schon im voraus Alles,
Drum lasst Euch in der Güte nur bereden:
Denn, Freund, wir haben hier, Ihr denkt's wohl nicht,
310
Gar liebe, saubere Tortur-Anstalten 5
Da schraubt und kneift und drückt und zieht man Euch
So lange, bis die Wahrheit wie ein Draht
Künstlich aus Euch herausgefordert ist.
Fortunat.
Soll ich gestehn, was ich niemals beging?
R i ch t e r.
Stellt Euch doch nicht so dumm, nehmt doch Vernunft an,
Lasst Euch still weg in Lieh' und Güte hängen,
Und zwingt uns nicht zu harten Proceduren.
Man hat da einen Dolch bei Euch gefunden.
Graf.
Weift nach, wie solch ein Mensch, der arm nur scheint,
Fremd ist, weit her, zu den sechshundert Kobeln
Gekommen ist! Doch könnt Ihr das nicht thun,
Nicht Bürgen stellen, Leute, die Euch kennen,
So seid Ihr auch ein Dieb, ein Räuber, Mörder.
R i eh t e 1*.
Sehr schön gesagt! Nun, seht Ihr’s noch nicht ein?
Mein Seel, das nenn' ich einen harten Kopf!
Das heisst Vernunft recht in der Wüste pred’gen.
Fortunat.
Mein gnädiger Herr Graf, gestrenger Herr,
Ich bin ein armer Edelmann aus Cypern,
Ich diente ehemals dem Graf in Flandern.
Reichlich beschenkt zog ich durch Frankreich hin.
Da nahmen Räuber Pferd mir und Vermögen,
Verarmt gerieth ich in dies Waldgehege,
Verirrte mich, und schmachtete drei Tage.
Als ich heraustrat, fand ich diese Münzen,
Mit denen ich mich reich und vornehm dünkte,
Und so nach Flandern dachte hinzuziehn.
Graf.
Verruchter Bösewicht! Du wagtest es,
Mein Eigenthum zu rauben? denn gewiss
Ist dir bewusst, dass Alles, was im Zirkel
Des Walds sich findet, mein mit Recht gehört?
Fortunat.
Verzeiht, Gestrenger, der Unwissenheit!
Ich kannte nicht die Rechte dieses Banns.
811
ßichter.
Doch jetzo kennt Ihr lie, und habt’s gehört,
Und drum hilft nun auch kein Entschuld’gen mehr.
Herr Graf, so gar entsetzlich, gräulich schlimm,
Wie wir’s erst dachten, scheint er nicht zu sein,
Drum mein' ich, dass wir sonstens ihn verschonen,
Ich trage drum auf simples Hängen an.
Fortunat.
Ich appellir' in Demuth an Eur’n Gnaden,
Ich seh es ein, verfallen ist mit Recht,
Was ich im Irrthum mein genannt, vergönnt
Arm, wie ich war, dies Land hier zu verlassen,
Und gebt mir nur das Mehlige zurück.
Graf.
Ich will mal güt'ger fein, als du verdienst.
Dein Leben fei geschenkt. Löst seine Ketten!
Fortunat.
Mein ew’ger Dank dem edlen gnäd’gen Herrn!
Richter.
Und hier ist auch das Deinige, wie du’s nennst,
Ein alter Dolch, gut Käse mit zu schneiden,
Ein Lederbeutel, kostbar anzu schaun —
Nu, nu, sei nur nicht bang, nehm’ nichts heraus,
Man fühlt von aussen schon, dass nichts dadrin,
Gerade wie in deinem leeren Kopf!
Fortunat.
Die gnädige Gesinnung meines Herrn
Macht mich zum Vortrag neuer Bitte kühn.
Dem Wirthe hier bin ich für eine Mahlzeit
Noch schuldig, und mir bleibt, Ihr wisst es — nichts.
Graf.
Auch dies will ich berichtigen.
Fortunat.
Mein Lebtag schliess’ ich Euch in mein Gebet, (ab.)
Richter.
So frisst solch fremd Gesindel sich doch immer
Durch andrer Leute Kosten durch das Land!
312
* —
3.
(Cypern. Zwei Diener: Leopold und Daniel.'
Leopold.
Die Teppiche, die Stoffe, die Gemälde
Mit Vorsicht tragt sie, dass sich nichts beichäd’ge!
Sorgt dann, dass man die Sessel, .Ruhebetten,
Die feinen Schränke in den Palast schafft.
Daniel.
Hier lebt sich’s anders, als so unterwegs,
Bei knickrigen Wirthen, schmutzigen alten Weibern,
In schmutzigen Stuben, oft mit Angst und Noth.
. A ' i liH !>
Leopold.
Thu’ dein Geschäft, und lass das lose Schwatzen!
■: . vi ;• / .
Daniel.
Ich freue mich ja nur der grimmigen Pracht
Des königlichen Herrn, und seines Glücks.
Nein, für so reich hätt' ich ihn nie gehalten!
Gesegnet sei der Augenblick, die Stunde,
Der Tag, da ich von meinem Gastwirth lief! (ab.)
Leopold.
So wären wir in Cypern angelangt,
Und mehr, wie dieser Narr, bin ich erstaunt!
Ich glaubte, dass er Güter hier besässe,
Von altem, reichem Stamme, Freund’ und Eltern,
Doch scheint's, ihn kennt hier auf der Insel Niemand.
Er hat kein Haus, er kaufte diesen Palast,
Den er mit Gold und Silber fürstlich schmückt.
Nichts ist so theuer, kein Geräth zu reich.
Mit fremden Namen zieht er prachtvoll auf.
Die schönsten Rosse, Libereien, Falken,
Und was nur selten, herrlich ist zu nennen,
Das nennt er fein, kauft es um jeden Preis.
Täglich sieht er als Freund des Landes König,
Und ihm, seiner Gemahlin, hat er Perlen
Und Edelsteine zum Geschenk gesandt,
So hohen Werths, dass beide drob erstaunten.
Was er als Reichthum auf den Reisen zeigte,
Ist Armuth nur und kahle Bettelei
Gegen des Glanzes reiche Wunderwelt,
Die jetzt wie goldnes Traumbild um ihn schwebt:
313
Doch sank er leblos, todt darnieder einst,
Als er die wenigen Zechinen misste —
Ich darf, ich will darüber nimmer sinnen!
Er ist der gütigste, der beste Herr,
Der Armuth Engel, der Verwaisten Trost,
Und mich hat er mit Wohlthat überschüttet.
Fortunat (tritt auf).
Nun find wir denn zur liuhe, lieber Freund.
Bald denk' ich mich ganz häuslich einzurichten,
Wenn erst der Güterkauf geendigt ist.
Morgen sollst du mich über Land begleiten,
Mir darf dein Rath noch immer nicht entstehn.
Leopold.
Nur meine Lieb' und Treue nehmt in Anspruch,
Euch Kath zu geben bin ich zu gering.
FörtUHa t.
Still, mehr davon nachher! Aus meinem Haufe
Steigt jetzt des Königs Majestät und naht.
(Der König von Cypern kommt mit Gefolge.
K ö n i g.
Graf, Eure Galerie ist zu bewundern.
Nicht seltne Stücke nur, auch auserwählte:
Sie zeigt von Reichthum, mehr noch von Geschmack.
Fortunat.
Wie gütig ist mein Fürst und nachsichtsvoll!
Die besten Werke muss ich noch erwarten,
Die von Venedig die Galeere bringt.
König.
So reiche, edle Stoffe fab ich kaum.
So gross das Haus ist, ist es schon erfüllt.
Was Asien und Europa Köstliches,
Was Meer und Land nur Herrliches gewährt,
Das glänzt von Wänden, von der Deck’ und Boden.
Allein wozu, fragt das erstaunte Auge,
Die Menge Sessel, Tische, Ruhebetten,
Des Silbers aufgehäufter Prunk und Hausrath,
Wenn unvermählt der reiche Eigner wohnt?
Fortu n nt.
Da meine Reisen nun beschlossen sind,
Mein gnäd’ger Herr, und ich die Ruhe wünsche,
— 314
So ist in meinen Jahren, der ich weder
Zu jung noch alt mich suhle, der Gedanke
Der nächste, eine Hausfrau mir zu suchen.
König.
Dann glaub’ ich Euch gewonnen erst zu haben.
Saht Ihr auf Euren weiten Keifen nirgends
Ein Bild, das Euren Sinn gefangen nahm?
Fortunat.
Gelesen hab’ ich viel von dieser Macht,
Die Dichter uns als allbeiiegend preisen,
Doch hab’ ich noch das Auge nicht gefunden,
Dess Blitzen meine Ruhe mir genommen.
König.
So macht die Jungfrau1 n dieser Insel stolz,
Das nie besiegte Herz in Bann zu legen!
Die schönen Mädchen hier sind weit berühmt.
Kennt Ihr des Grafen Nimian Töchter nicht?
Fortunat.
Das Lob der Tugend, wie der hohen Schönheit,
Vernahm ich oft aus Aller Mund, doch nie
War ich so glücklich, sie bei Jagd und Tanz,
Noch in des Schlosses Gärten anzutreffen.
Kö nig.
Ihr müsst die wackern Leute kennen lernen,
Die ich vor Allen lieb’ und höchlich achte,
Die immer mir und meiner Königin
Die nächsten bleiben werden. Ihr habt Augen
Für Bilder, zeigt, dass wenn die Schönheit lebt,
Sie auch den Sinn zum Wohlgefallen reize.
Fortunat.
Des Königs Wunsch ist dem Vasall Befehl.
König.
Nicht so, mein lieber Graf, nicht diesen Ton!
Es bleibe dies Vertraun stets unter uns,
Dies freundliche Verbaltniss ändre nie!
Mögt Ihr mir nicht eröffnen, welches Land
Euch seinen edlen Sprössling nennen darf?
315
F o r t u n a t.
Mein Lehensherr, durch Eure hohe Güte
Ward mir erlaubt, des Grafen von Lanfranco,
Der erblos itarb, Besitz, Palast und Güter
Als Eigenthum zu kaufen, und vom Lande
Den Namen anzunehmen, Eur Vasall;
Doch will ich Euch eröfihen, was nur sollte
Geheimniss bleiben noch auf wenige Tage.
Ich bin nicht fremd, bin Euer Unterthan.
König.
Von Cypem wäret Ihr? Und das Geschlecht?
Fortunat.
Mein Vater war ein armer Edelmann,
War Theodor, wenn Ihr den Namen kennt?
König.
So wär’t Ihr Fortunat denn, der Vermisste?
Fortunat.
Derselbe, gnäd’ger Herr! Doch sei Eur Hoheit
So huldreich mir, nur auf geringe Zeit
Unwissend dess zu fein, und mir die Gnade,
Die mich so hoch erhebt, nicht zu entziehn,
Weil ich von armem Adel nur entsprossen.
König.
Ihr bleibet Graf, Ihr seid mein theurer Freund!
Verdienste, Tugend sind’s, die wahrhaft adeln.
Fortunat.
Erlaubt mir, Herr, die theure Hand zu küssen!
Kön ig.
Umarmt mich, lieber Graf, und lebet wohl!
4.
Aus dem zweiten Theil des Dramas. (Fortunat als Greis, und
feine beiden Söhne Ampedo und Andalosia. Diener.)
Fortunat.
Setzt mich in diesen Sessel — facht! Nun geht!
Stellt noch das Kästchen hier erst neben mich —
316
Nun Alle fort! — Da seid ihr, liebe Söhne,
Ich wollt’ euch rufen lassen — schliesst die Thüren
— — Liebe Söhne,
Ich fühle, dass die letzte Stunde naht.
Amped o.
Ihr seid noch wohl, nein, nein, verlasst uns nicht!
F or tunat.
Das Leben ward mir nur geliehn zum Sterben,
Wir gehn nur durch die Welt zur hohem ein,
Es bleibt mir keine Zeit, geliebte Kinder,
Euch zu ermahnen, Lehren euch zu geben-,
Das that ich viel und oft in bessern Tagen,
Ich hoffe wohl, nicht Alles fei verloren.
Auch findet ihr in meinem Schreibezimmer
Verzeichnet meinen Lebenslauf, die Reisen,
Mit vielerlei Vermahnung vor Gefahr,
Vor schlechten Menschen euch zu hüten, Regeln
Der Klugheit, die ich bitter lernen musste.
Lest diese Schriften mit Verstand und merkt,
Was keiner mir in harter Jugend sagte.
Ich seh in euch den Spiegel meines Lebens,
Und sonderbar scheint mein Gemüth, so Schwächen
Wie Tugend unter euch vertheilt. Vernehmt
Den letzten Rath, den ich euch geben kann.
A m p e d o.
Ich hoffe nicht zu straucheln, lieber Vater,
Ein einsam stilles Leben kennt nicht Noth.
Fortunat.
Dir hat das fromme stille Wesen ganz
Von deiner sel’gen Mutter sich vererbt,
Mein Erstgeborner du, doch seh’ ich auch
In dir die Blödheit und den schwachen Sinn,
Der mancherlei Gefahr mich blossgestellt.
Du wirst dich schwerlich wagen, weder Meer
Noch fernes Land, noch Neugier, Trieb zu reisen,
Noch Uebermuth wird dich mit Noth bedrängen,
Du lebst am liebsten heut’ wie morgen fort,
Du kennst nicht Langeweil’ und nicht Entzücken.
Doch naht Gefahr, wo dann die Hülfe suchen? —
Der König liebt und schützt uns, die Verwandten
Sind dankbar und befreundet, darauf trau’ ich.
317
Ampedo.
Wenn ich nur keinem in den Weg was lege,
So wird auch keiner mich zum Stolpern bringen.
Fortunat.
Der Himmel füg’ es so! Du, Andalosia,
Der jüngere, bist fast mein Ebenbild!
Dieselbe Lust, die mich als Jüngling trieb,
An Pferden, Falken, Hunden, Spiel und Jagd !
Oft hast du mir vom Reisen schon gesprochen,
Dein heft’ger Sinn treibt dich in’s Weltgewühl.
Du bist im Stechen, im Turnier, fast immer
Der Erste; Reiten, Springen, Tanz, die Zier
Des jungen Edelmanns, ist deine Freude:
Allein in deinem Sinn ist Hebermuth
Und Wildheit, die mir immer fremd geblieben.
Du hast Verstand, ja Scharfsinn; doch ich sah.
Wie du ihn oft nur dazu brauchen wusstest
Dich loszuwickeln aus Verdriesslichkeit,
Die unbesonnen Thun dir zugezogen.
Drum hüte dich, dass nicht dein Lebenslauf
Nur ein Verstricken und Entstricken sei.
Andalosia.
Ich werde immer nur der Ehre folgen.
Sie steht als Rath mir bei in Kampf und Noth.
Fo rtunat.
Ich lass euch, Söhn’, ein schönes Gut im Lande,
Diesen Palast mit seinen prächt’gön Gärten;
Ihr findet vieles Gold in meinem Zimmer,
In jenen festverwahrten Eisentruhen;
Allein das Köstlichste, das Seltenste,
Mehr werth, als Schloss und Land, als diese Insel,
Das findet ihr in diesem Kästchen hier!
Die Todesstunde zwingt mich, das Geheimniss,
Das lang verhehlte, zu entdecken. Oeffhet
Das Schloss, und höret aufmerksam mir zu!
An dal o sia.
Von dunklem Leder nur ein kleiner Säckel,
Ein grauer alter Hut von schlechtem Filz?
Dies die Juwelen? Scherzt Ihr nicht, mein Vater?
Fortu nat.
Zu ernst ist diese Stund’! In Todesnoth,
Verschmachtet schier, am, ausgeftossen, elend,
318
Verzweifelnd schon an jeder Hüls und Rettung,
Erschien mir wunderbar, als wie ein Traum,
Ein leuchtend Bild, ein glänzend hohes Weih;
Die Göttin war es selbst, Fortuna war’s,
Das Glück mit allen seinen reichen Gaben.
Sie stellte mir die Wahl, ich wählte Reichthum,
Und diesen Säckel reichte mir die Hand,
Den unerschöpflichen. Doch findet ihr
Des weitern dies erzählt in meinem Buche.
Andalosia.
Ist's möglich!
A m p e d o.
Ei, das klingt wie Zauberei!
Fortunat.
Mit diesem Wundersäckel war ich glücklich,
Und reiste weit umher durch alle Lande,
Der Lust genug zu thun, die um mich trieb.
Doch kam ich oft in tödtliche Gefahr,
Bis mir gelang, nachdem ich schon vermählt,
Nachdem ihr Beide mir schon war’t geschenkt,
Das zweite Wunderkleinod aufzufinden.
Es führte mich mein Weg einst nach Aegypten.
Des Landes Sultan war mein alter Freund,
Dem ich manch reiches Kleinod schon geschenkt.
Mit seinen Briefen ging ich dann nach Syrien
Und Palästina, Persien, bis zum Ganges,
Und kehrte wiederum zu ihm zurück.
Im traulichen Gespräch zeigt’ er mir froh,
Was er an Schätzen, Kleinoden, Juwelen
Und Silbers Fülle, Goldes Glanz, befass,
Genug, die Augen Sterblicher zu blenden.
Ich pries fein Glück; da fuhrt er mich, geschmeichelt,
In sein verriegelt einsam Schlafgemach,
Zieht diesen Filz, unscheinbar, alt, vertragen,
Aus seinem Busen; spricht: mein grösster Schatz
Ist dieser Hut, denn deckt er meinen Kopf,
Und nenn' ich nur den Ort, sei’s nah, sei’s fern,
So bin ich mit Gedankenschnelle dort.
Ich staunt’ ihn an, er lacht', als glaubt’ ich nicht;
Da kam es wie ein Blitz in meinen Sinn:
Vielleicht, so sprach ich, ist er schwer, gewichtig,
Und drückt das Hirn mit seiner Wundorkraft?
Der Thor darauf: nicht schwerer als jedweder
319
Gemeine Hut! und setzt’ ihn selbst mir auf.
Ich wünsche mich sogleich zu meinem Schilf,
Der Anker wird gelichtet, wie hieher,
Da prob’ ich gleich das märchenhafte Wunder:
Und richtig, wie er sagte, ohne Qual
Und Kosten, unermüdet, bin ich bald
In Indien, dann in Grönland, Spanien,
In wüsten Inseln, was mein Kopf nur sinnt!
Nun gab es keine Kraft mich festzuhalten,
Ich lachte jeglicher Gefahr. Der arme Thor
Bot mir Millionen für den Wunderhut,
Ich schlug sie aus. Er härmte sich im Zorn,
Dass er nach einiger Zeit gestorben ist.
Ampedo.
Der arme Mann!
Andalo sia.
Warum auch schwieg er nicht!
Fortunat.
Ich bin erschöpft. Nur noch beschwör’ ich euch,
Sagt keinem Sterblichen von diesen Wundern,
Nicht euren Frau’n, wenn ihr einst seid vermählt,
Wie eure Mutter nichts davon erfahren*,
Auch keinem Freund, es giebt so treuen keinen,
Der nicht danach mit allen Kräften stellte!
Und zweitens, trennt die Wundergaben nie!
Nach fest bestimmten Zeiten wechselt nur,
So kann euch keineswegs Gefahr bedräun.
Ein halbes Jahr besitzet sie Ampedo,
Dann Andalosia! versprecht mir dies!
A in p e d o.
Gewiss mein Vater, denn es ist vernünftig!
A n d a 1 o f i a.
Wie Ihr es wollt, Ihr seid der Weisere!
Fortunat.
Verwahrt sie fest, seid schweigsam! Hebt mich auf,
Führt mich dorthin zu meiner Lagerstatt,
Ruft meine Diener nochmals zu mir her,
Den Priester auch, ich fühle jetzt die Hand
Des kalten Todes, und mein Geist enteilt
Den trüben Wolken dieser Zeitlichkeit.
— 320 —
186. Der Apfelschuss.
r-.; ■ : . ' 1 1.-.
(Aus der Tragödie „Palnatoke“ (Akt 1) von A. Oehlenschläger.)
„Die in diesem Schauspiele vorkommende Begebenheit mit
dem Apfel hat lieh dreihundert Jahre früher in Dänemark mit
Palnatoke, als mit Teil in der Schweiz zugetragen. Palnatoke
hat nun allerdings nicht blos diese ähnliche Begebenheit erlebt,
sondern er hat auch den geraden, freien, ehrlichen Charakter
mit Teil gemein. Wie verschieden aber musste dennoch die
Handlungsweise sein: jener ein Heide, dieser ein Christ; jener
ein Held, dieser ein Hirt. Daher ist das im Palnatoke launig,
ja beinah lustig gehalten, und kommt nur als Nebensache vor,
was in Schillern Wilhelm Teil als Hauptpunkt hervorgehoben
wird, und von Teil mit Kampf und tiefer Rührung vollbracht
wird.“ (Aus Oehlenschlägers Vorrede.)
König Harald.
Es ziemt dem weisen König, streng gerecht
Stets seiner Helden Eigenschaft zu prüfen,
Des Einzelnen Verdienste wohl zu wägen.
Du drängst dich immer stolz hervor, giebst dir
Den Schein vom ausserordentlichen Mann.
Wohlan, dann wird es auch nothwendig sein,
Dass du durch ausserordentliche That
Den Vorzug vor den fiebrigen beweisest,
Du bist ein tüchtiger Krieger. Das sind Viele.
Das giebt dir noch vor ihnen keinen Rang.
Dass Länder du besitzest, mächtig bist,
Zeugt wieder nur von Glück, nicht von Verdienst.
Drum ist es unumgänglich nöthig, liehst du,
Einmal für alle deine Tüchtigkeit
Zu untersuchen. Und um das zu können,
Hab’ ich ersonnen, was sich auf der Stelle
Ausführen lässt: was gleich der König selbst
Wahrnehmen kann, und was ihm klar beweist,
Was gern er wissen wollte: dass du nämlich
Ein übergrosser Bogenschütze bist. —
Ich sehe deinen Sohn in dem Gefolge:
Du, junger Palnir, tritt sogleich hervor!
Palnatoke.
Was sinnst du, Harald?
321
Harald.
Was du sehen wirst.
Du, kühner Knabe, knie' im Saale dort!
Palnir.
Mein Vater sagt, dass vor den Göttern nur
Ich knieen soll.
Harald.
Ha, knie vor deinen Göttern!
Jetzt thut es Noth. Hier leg' ich einen Apfel
Dir auf das Haupt. Sofern dein Vater ihn,
Dort aus der Ecke, dir vom Scheitel schiefst.
Soll er der beste Schütze heissen.
Palnatoke.
König!
Harald.
Doch thut er's nicht, soll er ein Lügner heissen,
Und gleich von Hof und Land verwiesen sein.
Palnir.
Ha, das ist billig! Aber, strenger König,
Es hat wohl keine Noth. Mein Vater weigert
Gewiss sich nicht, gleich diesen Schuss zu thun.
Er prahlt nicht, und er lügt auch nicht, mein Vater
Sein Aug’ ist scharf, sein Arm gewiss, fein Geist
Ist stark; sein Sohn ist unerschrocken. — König,
Hast einen goldnen Ring da um den Arm;
Ich wette gleich mein Leben um den Ring,
Wenn du es wagst, der Pfeil wird nicht ein Haar
Auf meinem Haupte krümmen.
Harald.
Meinst du das?
Palnir.
Du wagst wohl nicht die Wette, grosser König?
Harald.
Gewinnst du, soll der Ring der deine werden.
Palnir.
Da seh’ man nur! Jetzt sage mir nur Einer,
Dass König Harald Blauzahn geizig ist!
Ha, ich bewundre feine seltne Grossmuth!
Jetzt, schiesse nur, mein guter Vater, schiesse!
Boquette, Deutsches Lesebuch. I.
21
822
Palnato ke.
Ist es dein Ernst, Herr König?
Haral d.
Palnatoke!
Ich scherze selten, nie mit dir.
Palnatoke.
' Wohlan!
(Er legt an, hält aber inne.)
Wohlan! Ich schiesee. Doch nicht hier im Saale.
Hier drängt das Licht zu sparsam sich und trüb
Durch diese kleinen bunten Fensterscheiben.
Die breiten Pfeiler schatten mir zu viel
In der nach Klosterart gebauten Burg.
Hier ziel’ ich schlecht. Palnir, steh’ auf, mein Sohn!
Hier würd’ ich meinen lieben Knaben todten.
Und könnte das dir eine Freude fein,
Zu seh’n, wie sein' unschuld’ges Blut die Halle
Besudelte? Es würd’ ein rother Flecken,
Den keine scharfe Laug’ auswaschen könnte.
Roth würd’ er ewig brennen, und des Nachts
Nach Rache dampfen, wenn die Eulen heulten.
Im Hofe draussen steht ein alter Stein,
Jetzt ist er eine Bank für deine Knechte;
Sonst war er ein Altar der ewigen Götter.
Hinaus, mein Sohn, und knie’ vor diesem Steine!
Lass Odin deine Locken hell umstrahlen,
Indem sein Tag mir Muth in’s Herze strahlt;
Dann will ich schiessen. Wenn du fallen solltest —
Sinkst du fein Opfer hin auf dem Altar.
Grüss’ ihn von Palnatoke, deinem Vater,
Und leg’ ein Kissen auf die Heldenbank
Zur Seite dir zurecht, wenn einst ich komme.
Doch hoff’ ich, noch hat es wohl keine Noth!
Palnir.
Was Noth? Es ist ein unverhofftes Glück,
Das uns des Königs goldnen Ring verschafft.
Vergiss nur nicht die Wette, grosser Harald!
Palnatoke (küsst ihn).
So geh denn jetzt, mein wackrer Junge!
Palnir.
König!
Vergiss die Wette nicht! Vergiss sie nicht! (Ab.)
323
Harald (spöttisch).
Du bist ja sehr bewegt, du starker Held!
Palnatoke.
Nicht alle Väter hassen ihre Söhne.
Ich liebe meinen inniger als das Leben.
Dringst du noch immer streng auf die Vollziehung?
Harald.
Was ich gesagt, das weisst du; zauderst du,
Soll Jedermann dich einen Neidhardt heissen.
Palnatoke (aufgebracht).
Das möchte Palnatoke nicht gern heissen,
Und galt’ es auch des Sohns, des Königs Leben!
fEr nimmt noch einen Pfeil aus dem Köcher, und steckt ihn in den
Eulen. Drauf zielt er aus dem Fenster hinaus, und ruft mit starker
Stimme:)
Hast mich in Zorn gebracht; das dank' ich dir!
Nie schiess' ich besser, als wenn mir das Blut
Heiss in den Adern kocht. (Befehlend.) Jetzt ruhig hier!
Steh’ still mit deinem Kopf da draussen, Junge!
Jetzt schiefst der Palnatoke Meisterschuss!
(Der Pfeil fliegt vom Bogen.)
Sw end.
Thor fei gelobt! Getroffen!
Harald.
Wie?
Die Menge
(schlägt mit den Schwertern auf die Schilde).
Getroffen!
Heil Palnatoke! Dänmarks grösstem Helden!
P a 1 n i r
(stürzt herein, wirft sich dem Vater in die Arme).
Siehst du, es hatte keine Noth, mein Vater!
.(Wendet sich zu Harald.)
Jetzt gieb mir meinen Ring!
Harald (erbittert).
Was Ring? Was Ring?
S w e n d.
Der König wird doch wohl fein Wort nicht brechen?
21*
324
Harald (wirft Palnir den Armring zu).
So nimm ihn denn! — Jetzt aber noch ein Wort.
Ich sah, du stecktest in den Busen dir
Noch einen Pfeil, eh’ du den ersten nach
Dem Apfel sandtest auf des Knaben Haupt.
Was sollte das bedeuten, Palnatoke?
Palnatoke.
Herr; hätt1 ich mit dem ersten meinen Sohn
Getödtet, gleich dann wäre dieser zweite
In deine Brust geflogen!
Die Menge (schlägt auf die Schilde).
Wohl gesprochen!
Das kann man einem Vater nicht verdenken.
Harald (zwingt sich zu lächeln).
Meint Ihr? Wohlan, ich schone des Erzürnten.
Du hast dich freilich als ein guter Schütz
Bewiesen, Palnatoke; und so musst
Du mir noch danken, dass Gelegenheit
Ich dir verschaffte, dich in deinem Glanze
Zu zeigen. Weiter nichts davon! Jetzt folget
Zum Mahle mir! Mein Feind, der mir nicht folgt!
(Alle ab mit dem König, ausser Palnatoke.)
Palnatoke.
Dein Feind, der dir nicht folgt? Wohlan, ich bleibe!
Palnir
(der seinen Vater zaudern sieht, kehrt zurück).
Mein Vater!
Palnatoke.
Geh' zum König jetzt! ich folge.
(Palnir ab. Palnatoke stützt sich sinnend auf seinen Bogen.)
Es ist beschlossen! Bollwerk will ich setzen
Der hämischen, argen Klosterpest aus Süden. —
List, Tücke, Zwietracht haben schon als Gift
Dir die Gesundheit und die Heldenstärke,
Mein Vaterland, uraltes Dänemark,
Sehr lang1 benagt. — Noch aber ist es Zeit!
Ich weiss ein Gegengift, ein Gegengift!
Muth, rascher Steurer! Grosse Wellen schlagen
Auf das Verdeck, und grässlich heult der Sturm
Mit Klappern in dem Tauwerk, in den Segeln,
325
Jetzt gilt’s, mit starker Hand das Steuerruder
Durch Schaum und Nacht zu lenken! — Wenn nun aber
Der Sturm das ganze Schiff zerschmetterte? —
— Dann rett' ich noch das Beste von der Mannschaft,
Den schönsten Best, und schwimme fort mit ihm.
Was Seeland war, soll Usedom dann werden.
Das alte Leire liegt in Trümmern schon,
Die grauen Eichen schütteln ihre Locken,
In stiller Trauer biegen sie die Häupter
Ueber die Gräber der Vergangenheit.
Da schläft die Vorzeit und das Heldenthum.
Doch Muth gefasst ! Jomsburg soll sich erheben,
Die alte Zeit sich wieder neu beleben.
Noch droht dem Volk kein Tod, auch mit Gefahr
Julin soll werden, was einst Leire war.
187. Die Kaiserwahl.
(Aus der Tragödie „Ernst von Schwaben“ von Uhl and.)
Der fromme Kaiser Heinrich war gestorben,
Des sächsischen Geschlechte» letzter Zweig,
Das glorreich ein Jahrhundert lang geherrscht.
Als nun die Botschaft in das Land erging,
Da fuhr ein reger Geist in alles Volk,
Ein neu Weltalter schien herauf zu ziehn; «
Da lebte jeder längst entfchlafne Wunsch
Und jede längst erloschne Hoffnung auf.
Kein Wunder jetzo, wenn ein deutscher Mann,
Dem sonst so Hohes nie zu Hirne stieg,
Sich heimlich forschend mit den Blicken mass:
Kann's doch nach. deutschem Rechte wohl geschehn,
Dass, wer dem Kaiser heut den Bügel hält,
Sich morgen selber in den Sattel schwingt.
Jetzt dachten unsre freien Männer nicht
An Hub- und Hain-Gericht und Markgeding,
Wo man um Esch’ und Holztheil Sprache hält;
Nein, stattlich ausgerüstet zogen sie
Aus allen Gauen, einzeln und geschaart,
In s Maienfeld hinab zur Kaiserwahl.
Am schönen Rheinstrom zwischen Worms und Mainz,
Wo unabsehbar sich die ebne Flur
Auf beiden Ufern breitet, sammelte
Der Andrang sich; die Mauern einer Stadt
Vermochten nicht das deutsche Volk zu fassen.
Am rechten Ufer spannten ihr Gezelt
326
Die Sachsen sammt der slav’sehen Nachbarschaft,
Die Baiern, die Ostfranken und die Schwaben;
Am linken lagerten die rhein’sehen Franken,
Die Ober- und die Nieder-Lotharinger.
So war das Mark von Deutschland hier gedrängt,
Und mitten in dem Lager jedes Volks
Erhub sich stolz das herzogliche Zelt.
Da war ein Grüssen und ein Händeschlag,
Ein Austausch, ein lebendiger Verkehr!
Und jeder Stamm, verschieden an Gesicht,
An Wuchs und Haltung, Mundart, Sitte, Tracht,
An Pferden, Rüstung, Waffenfertigkeit,
Und alle doch Ein grosses Brudervolk,
Zu gleichem Zwecke festlich hier vereint!
Was jeder im besondern erst berieth,
Im hüllenden Gezelt und im Gebüsch
Der Inselbuchten, mählich war’s gereift
Zum allgemeinen offenen Beschluss.
Aus vielen wurden wenige gewählt,
Und aus den wenigen erkor man zween,
All’ beide Franken, fürstlichen Geschlechts;
Erzeugt von Brüdern, Namensbrüder selbst,
Kunrade längst mit gleichem Ruhm benannt.
Da standen nun auf eines Hügels Saum
Im Kreis der Fürsten, sichtbar allem Volk,
Die beiden Männer, die aus freier Wahl
Das deutsche Volk des Thrones werth erkannt
Vor allen, die der deutsche Boden nährt,
Von allen Würdigen die Würdigsten,
Und so einander selbst an Würde gleich,
Dass fürder nicht die Wahl zu schreiten schien,
Und dass die Wage ruht' im Gleichgewicht.
Da standen sie, das hohe Haupt geneigt,
Den Blick gesenkt, die Wange schamerglüht,
Von stolzer Demuth überwältiget.
Ein königlicher Anblick war’s, ob dem
Die Thräne rollt’ in manches Mannes Bart.
Und wie nun harrend all’ die Menge stand,
Und sich des Volkes Brausen so gelegt,
Dass man des Rheines stillen Zug vernahm, —
Denn niemand wagt’ es, diesen oder den
Zu küren mit dem hellen Ruf der Wahl,
Um nicht am andern Unrecht zu begehn,
Noch aufzuregen Eifersucht und Zwist —
327
Da sah man plötzlich, wie die beiden Herrn
Einander herzlich fassten bei der Hand
Und sich begegneten im Bruderkuss.
Da ward es klar, sie hegten keinen Neid,
Und jeder stand dem andern gern zurück.
Der Erzbischof von Mainz erhub sich jetzt:
„Weil doch," so rief er, „Einer es muss fein,
So sei's der A elf re.“ Freudig stimmten bei
De lammte Fürsten und am freudigsten
Der jüng’re Kunrad. Donnergleich erscholl
Oft wiederholt des Volkes Beifallsruf.
Als der Gewählte drauf sich niederliess,
Ergriff er seines edlen Vetters Hand
Und zog ihn zu sich auf den Königssitz.
Und in den Ring der Fürsten trat sofort
Die fromme Kaiserwittwe Kunigund’;
Glückwünschend reichte sie dem neuen König
Die treu bewahrten Reichskleinode dar. —
Zum Festzug aber schaarten sich die Reihen,
Voran der König, folgend mit Gesang
Die Geistlichen und Laien; so viel Preis
Erscholl zum Himmel nie an einem Tag!
Wär’ Kaiser Karl gestiegen aus der Gruft,
Nicht freudiger hätt’ ihn die Welt begriffst.
So wallten sie den Strom entlang nach Mainz,
Woselbst der König im erhabnen Dom
Der Salbung heil’ge Weihe nun empfing.
Wen seines Volkes Ruf so hoch gestellt,
Dem fehlet nie die Kräftigung von Gott!
Und als er wieder aus dem Tempel trat,
Erschien er herrlicher als kaum zuvor,
Und feine Schulter ragt’ ob allem Volk.
I
188. Der Meisterschuss.
(Aus dem epischen Gedicht „Otto der Schütz“ von Kinkel.)
0 fröhlich Leben an dem Rhein,
Gespeist von Kraft, getränkt von Wein,
Wie grüssest du in Sommerlust
Unsterblich jung des Dichters Brust!
So lang noch stehn die Felsenhallen,
Wird rheinischer Gesang erschallen;
So lang der Strom mit stillem Gang
Die Wimpel führt das Thal entlang,
Wird Liebe jubelnd ihn befahren
328
Und ew’gen Jugendmuth bewahren.
So lang noch rauschen diese Wälder
Und grün noch stehn die satten Felder,
So lang sich Trauben röthlich färben,
Wird nicht ein froh Geschlecht ersterben.
Dir gab, o Rheinland, Gottes Huld
Des Nachbarn wilde Ungeduld.
Der Franke neidet deine Schöne
Und seiner Gier bist du ein Ziel,
Drum üben deine schmucken Söhne
Die Kraft im ernsten Waffenspiel;
Drum rufen deine Schützenfeste
Von nah und fern heran die Gäste,
Und steten Sieges klar bewusst
Vereint dem Ernst sich stolze Lust!
Auf weitgedehntem grünem Rasen, .
Wo sonst behaglich Heerden grasen,
Ist heut' ein männlich Fest bestellt,
Inmitten ragt ein buntes Zelt;
Auf JBalken zierlich aufgeschichtet
Ist ein Altan emporgerichtet,
Drauf weht das Banner mit dem Schwane.
Ihr habt die Sage viel vernommen,
Wie einst des Hauses grosser Ahne
Vom Schwan gelenkt an’s Land geschwommen.
Von Montsalvatsch war’s Lohengrin,
Beatrix warb er zum Gemahle;
Wohl trieb ein kläglich Schicksal ihn
Hinweg von ihr zum Dienst dem Grale,
Doch blieb dem Stamm, von ihr geboren,
Des Vaters Banner unverloren.
Solch hohen Stammes rühmte sich
Der Graf von Cleve, Dieterich;
Auch war von altem Blut geboren,
Die er zum Ehgemahl erkoren.
Doch sicher noch ein junges Blut
War ihr holdselig Töchterlein,
Das zeigte wohl ihr froher Muth
Und ihrer Wangen Purpurschein.
Recht zwischen Jungfrau noch und Kind,
Stand sie auf jener blum’gen Grenze,
Wo noch die Unschuld keckgesinnt
Um’s Haupt sich windet bunte Kränze,
Und doch ein tief wehmüthig Ahnen
329
Schon mag an künft’ge Liebe malmen.
Sie fass im blauen Sammtgewand,
Umflattert von dem Purpurbanner,
Und hielt den Kranz in ihrer Hand
Zum Preis dem stärksten Bogenspanner.
Mit lichten Blumen war durchwoben
Der schön gewundnen blechten Pracht,
So wie ihr Kleid am Himmel droben
Mit bunten Sternen stickt die Nacht.
Wie zart der .Jungfrau Lippen glühen,
Zwei Knöspchen, die im Blätterschleier
Nur auf den Lenzhauch harr’n als Freier,
Im Kusse feurig aufzublühen!
Noch ungetrübt von Liebesthränen
Und unberührt von Schmerzgefühl,
Noch nicht verzehrt von Angst und Sehnen
Sah klar dies Aug' aufs Volksgewühl.
Denn rings aus ihres Vaters Ländern
War fröhlich Volk herbeigekommen',
Mit Wimpeln reich verziert und Bändern
Kommt Kahn und Schulde hergeschwommen.
Der Köhlerbursch aus Wäldern weit
Führt her des Försters zages Mädchen,
Das nur fein Stübchen kennt und Rädchen
Und stumm bestaunt die Herrlichkeit.
Dort aus dem engen Stadtthor rückt
Der Bürger Schaar mit ihren Frauen,
In schwarzen Kleidern, goldgeschmückt,
Gar ernst und würdig anzuschauen.
Es wogt des Volkes dunkler Haus;
Da glänzt und dort ein Jäger auf,
Wie aus der Tannen schwarzer Nacht
Die Birk’ in grüner Blätterpracht.
Die schauen nicht nach Mädchen heute,
Wie sonst wohl muntre Jägersleute;
Heut' gilt's nicht einer Dirne Kuss,
Heus gilt's mit Ernst den Meisterschuss,
Und lockend winkt dem Waldessohne
Aus Jungfrau’nhand die Ehrenkrone.
Horch, ein Trompetenstoss! Am Ziel
Erscheinen blanker Schützen viel,
Auf guten Rossen, wohlbewehrt,
Dos Grafen Mannen hochgeehrt
Sie reiten langsam durch die Bahn
330
Und säubern sie vom Gaffervolke,
Dann im Galopp zum Ziel heran.
Dass ihnen folgt des Staubes Wolke.
Sie springen ab, und Jeder nimmt
Den Platz, den ihm sein Rang bestimmt.
Jetzt tritt der Graf aus seinem Zelt,
Ein Lebehoch durchbraust das Feld,
Der Edelknabe schenkt ihm ein
In neuen goldnen Becher Wein.
Den hebt er hoch und schauet mild
Die Schützen an und ruft: es gilt
Jedwedem Mann der Trunk, der brav
Heut’ oder je in's Schwarze traf.
Den Becher aber fetz’ ich dran
Als Preis dem Schützenfürsten heute,
Er fei nun einer meiner Leute,
Er fei ein fremd und freier Mann.
Zum zweitenmal Trompetenftoss.
Die Schützen werfen rasch das Loos,
Das ihrer Schüsse Ordnung misst
Und abwehrt Zank und Hinterlist.
Nun schweigt das Feld, die Schützen auch,
Und stumm nach Sitten und Gebrauch
Tritt zu dem Scheibenstand heran
Mit seiner Armbrust jeder Mann.
Du hörst mit starker Arme Kräften
Die Sehnen in die Kerben heften
Und drauf der Bolze schneidend Pfeifen,
Die wie ein Blitz die Luft durchstreifen
Und neckisch bald in’s Blaue irren,
Bald krachend in die Scheibe schwirren.
Dann nennt am Ziel des Herolds Stimme
Der Ringe Zahl mit lautem Schrei:
Doch blieb das schwarze Rund noch frei,
Und nur mit schlecht verhohlnem Grimme,
Leis murrend bösgelauntem Glück, >
Kehrt jeder Schütz vom Stand zurück.
Zuletzt nun tritt der Förster vor,
Da raunt das Volk sich rings in’s Ohr:
Der hat so oft den Sieg gewonnen!
Aus tiefem Waldgrund ist’s der Starke,
Erwachsen fern vom Blick der Sonnen
Und aufgenährt mit Bärenmarke!
331
Vor trat er fest und keck und wild,
Ein erzgegossen Mannesbild,
Auch hier in der Entscheidungsstunde
Verlassen nicht von seinem Hunde.
Als wär' es gleich ihm, ob’s ihm glückt,
Fasst er fein Schiesszeug, schiefst und drückt
Laut klappt’s! mit Klang und Eselsohr
Hüpft munter der Hanswurst empor,
Der, künstlich hinter'm Ziel versteckt,
Vom Bolze ward heraufgeschreckt.
Sieg! ruft der Herold. Sieg! erschallt
Der laute Ruf von Jung und Alt.
Der Schütz mit lässig stillem Schritt
Vor seines Fürsten Auge tritt;
Ihm winkt der Kranz, Trompetenton
Begrüsst den Schützenkönig schon.
Doch halt! so ruft’s vom Scheibenstand,
Es steht ein schlanker Jüngling dort:
Euch ist der Jüngling wohlbekannt,
Er kommt zu lösen nun sein Wort.
Er spricht: gestrenger Herr und Graf,
Ihr botet Jedem euren Becher:
Wohl hielt sich euer Schütze brav,
Doch mir ist Arm und Blick nicht schwächer.
Gestattet mir den Schuss zu proben:
Ihr sollt den bessern Schützen loben.
Es winkt der Herr: die Balm wird leer;
Rings steht das Volk, ein brausend Meer;
Durch alle schwirrt ein leiser Ton,
Mitleid bei Frau’n, bei Männern Hohn,
Und nur dem Förster bange pochte
Das Herz, wie er’s auch hehlen mochte.
Der fremde Jüngling neigt sich hold,
Dass ihm der Locken sonnig Gold
Als Schleier vor den Augen weht;
Dann steht er aufrecht fest und Rät,
Wirft Haupt und Haar sich in’s Genick
Und misst die Bahn mit freiem Blick.
Die Armbrust fasst er nun mit Kraft:
Es war von Ebenholz ihr Schaft,
Darin von Elfenbeine weiss
Viel Blumen eingelegt mit Fleiss,
Am Kolben reich mit Silberglanz
Von Jägerspiel ein bunter Kranz;
332
Ein Hirsch vom Hömerton gehetzt,
Ein Hund vom Eberzahn zerfetzt,
Ein Fräulein mit dem Federspiel,
Auch Auerstier' und Bären viel,
Des Waidwerks Pracht mit Lust und Grauen
Gab schmuckes Bildniss hier zu schauen.
Der Bügel, blau von Stahl und blank,
Wie eine Glocke hell erklang.
Mit Sorgfalt prüft der Schütz die Sehne,
Ob sie sich leicht und fügsam dehne.
Selbst hatt’ er sie in Winterstunden
Aus wilden Marders Dann gewunden.
Inmitten, wo die Sehne fasst,
Des Bolzes tödtlich schwere Last,
Da schürzt, dass nicht im Schuss sie springe,
Zum Knoten er die Doppelschlinge.
Und als die Spannung wohl vollbracht,
Die Sehne schnellt er nun mit Macht;
Laut, wie der Harfe höchste Saite,
Erklang der schneid'ge Ton in’s Weite.
Nun aus dem Köcher nimmt er Bolze,
Geschnitzt aus festem Eichenholze;
Er wählt den glättesten, der scharf
Gekantet blanke Lichter warf.
Und wie er Alles wohl erprobt,
Mit Lächeln er das Schiesszeug lobt.
Er setzt den Bogen vor die Brust,
Er spannt ihn leicht mit stolzer Lust,
Und staunend sahn die Schützen an
Den starken Arm bei zartem Mann.
Wild blitzt sein Aug’ aufs Ziel gewandt,
Als wollt’ er’s sengen mit dem Brand;
Doch bändigt er des Herzens Wellen,
Die hoch in Siegeshoffnung schwellen,
Er kühlt sich den entflammten Sinn, '
Klar, fest und stille schaut er hin;
Er drückt — Der Bügel mächtig klingt,
Lautschwirrend sich die Sehne schwingt,
Es saust der Bolz — er hat getroffen!
Da stand mit weiter Spalte offen
Des Försters Bolz, ihn schnitt in’s Mark
Des Jünglings Schuss gerecht und stark.
Der Herold tritt zum Scheibenhaus,
Er zieht die Bolze beid’ heraus,
Und legt sie in des Grafen Hand,
333
Üer staunend ob dem Wunder stand.
Des Försters Bolz war ganz zerschmettert,
Gleich einer Kose aufgeblättert;
Es fass darin der zweite Bolz
Fest eingekeilt in’s harte Holz,
Und war hinfort kein Zweifel dran,
Wer hier den Meisterschuss gethan.
189. Pompeji’8 Untergang.
(Aus dem Epos: „Die Völkerwanderung“ von Lingg.)
Campanien in früher Morgenstunde
Lag still beglänzt vom Licht des Mondenkahns,
Da dröhnte der Vesuv in seinem Grunde —
Dann tiefe Stille, nur den Kuf des Hahns
Vernahm man und ein Angstgeheul der Hunde;
Allein die Stadt am Fusse des Vulkans
In süssem Schlaf noch lag sie, selbstvergessen,
Verborgen unter Lorbeer und Oypressen.
Es wurde Tag, es stieg am Meeressaume
Ein trüber Dunst empor, kein Lüftchen blies.
Es regte sich kein Blatt, kein Zweig am Baume,
Als sich ein zweiter Donner hören liess;
Da sprang man auf, erwacht vom schönen Traume,
Der für den Tag nur Glück und Lust verhiess.
Ach, riefen sie zu Jupiter, ach Vater,.
Gönn’ uns auch heut’ noch Kränze und Theater!
Und jubelnd strömten sie zu Spiel und Freuden,
Zum Spiel des Circus, um den schwülen Tag
In Müssiggang und Schaulust zu vergeuden;
Nun weckte lauter als ein Donner schlag
Ein Schwanken in den Säulen und Gebäuden,
Sie fuhren auf von Polster und Gelag,
Und schon verbarg in eine schwarze Wolke
Die Sonne sich vor ihrem bangen Volke.
Wo sich das wildeste der Ungethüme,
Das erste Volk der Welt so wohlgefiel,
Im Circus war es, und mit Ungestüme
Verlangte schon die Menge nach dem Spiel;
Und dass sich jede Stadt des Sieges rühme,
Den Titus jüngst errang, so wurden Ziel
Der Mordlust heut’ die Christen und die Juden,
Dazu die Löwenzwinger sich entluden.
334
Und dreimal hörte man die Tuba dröhnen,
Der Prätor trat hervor und sagte: Muth!
Ein grosses Schauspiel wird die Feste krönen,
Ergötze dich, Pompeji’s Volk, am Blut,
Das hiessen soll, die Götter zu versöhnen,
Denn ihre Läugner werfen wir der Wuth
Des Löwenpaares vor, seht da sie kommen;
Den Christen sind die Fesseln abgenommen.
Als diese sich im Kund des Circus fanden
Und über sich die dunkle Wolke sah’n,
Erheben sie die Arme, frei von Banden,
Und stimmten laut die Lobgesänge an:
„Gepriesen fei, o Herr, in allen Landen
Dein Name, grosser Gott!“ Voran, voran!
Rief wüthender das Volk, und hin und wieder
Fiel Asche schon in dünnen Flocken nieder.
Es blitzt, noch hört man Jauchzen und Gelächter,
Der Götter ehr’ne Bilder stürzten ein,
Entsetzt floh’n vom Altar die Opferschlächter,
Und dichter fiel der Aschenregen ein.
Poseidon! riefen jetzt die Tempelwächter,
Und plötzlich wurde Nacht aus Sonnenschein.
Schon sanken viele leblos hin, dem Kegen
Folgt tiefe Finsterniss auf allen Wegen.
Verhüllten Hauptes eilt man, Hilfe schreiend,
Vom Markt und vom Theater und vom Schmaus,
Auf finst’rem Pfad der Hecate sich weihend;
Wer niedersass, wer sich nach seinem Haus
Zurückbegab, den hüllte dicht beschneiend
Die Asche völlig ein; jetzt mit Gebraus
Wich weit das Meer zurück von seinem Strande,
Und liess das Seegethüm auf trocknem Lande.
Und donnernd kam es dann zurück, und deckte
Den Abgrund wieder zu, die Woge schien
Sich selber zu verschlingen, Feuer streckte
In Blitzen sich herab, so dass Entflieh’n
Fast mehr noch als Zurückzugehn erschreckte,
Und Manche, ihre Hände ringend, schrie'n:
„Die ew’ge Nacht! kein Gott ist, der uns rettet,
Der Hades, die Titanen sind entkettet!“
Des Berges einer Theil war eingesunken;
Im Feuer, das von dort herniederschnob,
Erschien der Häuser Brand wie schwache Funken.
385
Das sahen die, wo dünner Asche stob,
Die nach den Booten schwammen halb ertrunken,
Als aus Betäubung sich ihr Blick erhob,
Um durch die Finsternisse nach dem grauen
Verschütteten Gestad’ zurück zu schauen.
Wie hatte sich gewandelt, o Cythere,
Die Bühne deiner sonnbeglänzten Bucht!
Wie grauenvoll! Apollo, Zeus und Here
Entschwanden mit der Wolken jäher Flucht,
Neptun erhob sich dräuend aus dem Meere,
Und Hermes ftihrte durch die schwarze Schlucht
Zum Thor Proserpina’s die Schaar der Seelen,
Geschmückt mit Kränzen noch und mit Juwelen.
Der Flötenschall, in Wonnerausch verloren,
Die Säulen von der Fackeln Gluth beraucht,
ln Farbenduft vom Sonnenlicht geboren,
Die leuchtenden Gemälde, hingehaucht
In lauter Blumen, Titan und die Horen,
Und Aphrodite, die dem Meer enttaucht:
Auf jedes Glück und fröhliche Begebniss
Sank nun ein tausendjähriges Begräbniss.
Die Masken, die Sandalen und Oothurne,
In Moder hingeweht, Cypressenlaub,
Die Schalen voller Gold, und nun die Urne,
Doch unverweFt die Leichen, Staub bei Staub,
Entrückt dem Alles zwingenden Saturne,
Und Alles doch zumal des Todes Raub;
Der Herr, die Sklaven, Mütter, Kinder, Gatten,
Gefesselt Alles in das Reich der Schatten.
1
i
i '
Pierer'sche Hofbuchdruckerei. Stephan Geibel & Co. in Altenburg.
Deutsches Lesebuch
für
höhere Lehranstalten.
Ausgewählte Stücke
deutscher Dichtung und Prosa
nebst einer historisch-biographischen Lieber sicht
Otto Roquette,
Professor am Polytechnikum in Darmstadt.
II.
Prosa.
Berlin.
Verlag von Wiegandt, Hempel & Parey.
»
Inhaltsverzeichnis.
Nr. Seite Nr. Seite
1. Von der 'Freundschaft . . 1 15. Das Inquifitionsgericht 98
2. Aus Gellerts Briefen . . 7 16. Deutsche Alterthümer . . 104
3. Friedrich’s II. Unterhaltung 17. Die Steppe 116
mit Geliert 11 18. Sommer und Winter in
4. Jung gewohnt, alt gethan . 15 Volksgebräuchen und
5. Wem Gott ein Amt giebt, Volksliedern .... 126
dem giebt er auch Verstand 17 19. Sixtus V 135
6. Mycon 19 20. Julius Cäsars Charakter . 143
7. Der Habicht 22 21. Weltleben im vierzehnten
8. Hippias und A gathon . . 29 Jahrhundert 150
9. Die Kunst der Griechen 38 22. Ulrich von Hutten auf der
10. Ueber dieGrenzenderMalerei Ebernburg 1520 . . . 163
und Poefie 44 23. Soldatenleben und Sitten im
11. Roms Verfall 59 dreissigjährigen Krieg . 171
12. Das Christenthum im römi- 24. Astura 186
sehen Reiche t)6 25. Stiergefechte 196
13. Aus Goethe’s Studienjahren 26. Der Wald 206
in Leipzig 74 27. Tizian Vecellio .... 211
14. Ueber den Grund des Ver- —
gnügens an tragischen Biographische Notizen
Gegenständen 90 von Seite 222—267
-18ind0X3S19VB à'Q-
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1. Von der Freundschaft
(Geliert, Moralische Vorlesungen.)
Die Bande der Verwandtschaft werden von der Natur ge-
knüpft und durch die Pflicht und den Umgang fester zusammen-
gezogen. Die Verbindung durch Freundschaft ist zwar auch
yon der Natur veranstaltet; allein sie ist doch mehr ein Werk
unserer Wahl und moralisch guter Eigenschaften. Die wahre
■Freundschaft setzet allezeit gegenseitige Verdienste voraus,
Wenigstens die Meinung derselben; in meinen Verwandten aber
kann ich nicht stets das Verdienst lieben, und ihr Herz, wenn
es auch gut ist, ist darum nicht mein Herz. Ich achte es hoch,
über ich fühle im genauen Verstände nicht den Reiz der Liebe.
Der Freund kann nicht Freund sein, ohne sich mit mir zur
Fugend zu vereinigen; der Verwandte hingegen, dem ich Liebe
^huldig bin, bat darum nicht einerlei Neigungen und tugend-
hafte Absichten mit mir. In diesem Verstände kann man be-
haupten, dass die Freundschaft die höchste und edelste Verwandt-
schaft fei, und dass ein treuer Freund oft fester als ein
Bruder liebe.
Sieht man die Freundschaft blos von der Seite der Natur
au, so ist sie, insofern sie sich von der allgemeinen Liebe unter-
scheidet, weder Tugend noch Laster. Betrachtet man sie von
der Seite des Vergnügens, das sie uns gewährt, so ist sie das
kostbarste Geschenk des gesellschaftlichen Lebens. Betrachtet
Ulan sie als eine nähere Verbindung edler und gleichgesinnter
Seelen, sich und andere glücklich zu machen, so ist sie Vergnügen
Und Tugend zugleich.
Man hat die Lobsprüche der Freundschaft oft auf Kosten
der allgemeinen Menschenliebe übertrieben und die heftigsten
Ausbrüche einer natürlichen Neigung, die Eines für das Andere
gefühlt, zu einer heroischen Tugend gemacht. Man hat eine
gewisse Verläugnung seiner selbst in der Freundschaft zum Wunder
der Tugend erhoben, die doch oft nur ein glücklicher Eigensinn
oder eine Frucht des Temperaments und der Selbstliebe gewesen
1St- Dass ich den liebe, bei dem ich eine gleiche Anlage des
Verstandes und des Herzens finde, einen Charakter, der in den
Hauptzügen dem meinigen gleicht, eine Gesichtsbildung, die mir
ftoquette. Deutsches Lesebuch. II. 1
2
vorzüglich gefällt und eine solche Seele verspricht, als ich zu
suchen mich gedrungen fühle; ist das Tugend oder Selbstliebe ?
Oder wenigstens natürliche Sympathie? Dass ich einer Person
von meiner Bekanntschaft, die ich vorzüglich liebe, die mir ist
ihren Gesinnungen gefällt, die mich durch Gegenliebe auf das
genaueste fesselt, und durch Worte und Handlungen mir ihre
Neigung für mein Glück zu erkennen giebt, dass ich, sage ich,
dieser Person diene, ihr einen Theil meines sonst gewohnten
Vergnügens aufopfere, dass ich ihr meine Zeit, meine Einsicht,
den Gebrauch meines Vermögens schenke; ist dieses mehr freie
Tugend, oder mehr Zug der Natur? mehr Erfüllung einer Pflicht
oder mehr Befriedigung einer Neigung? Warum liebe ich diesen
Menschen so vorzüglich? Weil er gleiche Neigungen und Ab-
sichten mit mir hat; weil ich in seiner Liebe meine Beruhigung
finde. Ist hierbei die Eigenliebe nicht sehr geschäftig? Und für
einen Pylades sterben wollen, heisst es oft etwas anders als: ich
finde so viel Vergnügen in seiner Freundschaft, dass mir ohne
ihn das Leben eine Last fein wird, und dass ich diesem Elende
zu entgehen, lieber sterben, als ihn sterben sehen will? Der
eifrigste Enthusiasmus in der Freundschaft, der sich nur aus
gleichseitige Neigungen des Temperaments gründet, ist an und
für sich, so sehr er auch den äusserlichen Glanz der Rechtschaffen-
heit von sich wirft, keine Tugend; er ist ein blosser Naturtrieb-
Ja noch mehr, er kann zum Verbrechen werden, und die so ge-
rühmten Opfer, die im Alterthum der Freundschaft gebracht
wurden, sind oft erst dem Altare der allgemeinen Menschenliebe
und Gerechtigkeit geraubt gewesen. Seine Zeit, sein Vermögen,
sein Verstand und sein Herz dem Freunde und seinem Umgänge
durch die eifrigsten Bestrebungen schenken, kann zur Unge-
rechtigkeit gegen sich selbst und gegen die vielen Glieder des
Public! werden.
Man hat der Moral der Religion den Vorwurf gemacht,
dass sie die Freundschaft nicht gebiete, und insonderheit hat sie
der Graf Schaftsbury deswegen der Unvollkommenheit beschuldigt-
Man kann auf diesen Vorwurf sehr leicht durch das antworten,
was wir jetzt erinnert haben. Betrachtet man nämlich die Freund-
schaft als ein Werk der Natur und des Umgangs, das gegen-
seitige Neigungen und Dienstleistungen in sich schliesst; so kann
sie nicht eine allgemeine Pflicht, nicht eine Pflicht aller Zeiten und
Oerter sein. Insofern sie aber eine natürliche Neigung ist, hat sie da,
wo sie ist, nicht erst dürfen, und da, wo sie nicht angeleget ist, nicht
können geboten werden. Sieht man hingegen die Freundschaft
von der Seite der Tugend an, so sind ihre Pflichten in der Pflicht
der allgemeinen Menschenliebe ebenso gewiss enthalten, als die
Früchte eines tragbaren Astes in dem Stamme und seiner Wurzel-
3
Ist es eine Frage, ob ich meinen Freund treu und aufrichtig
lieben soll, wenn ich alle Menschen also zu lieben verbunden
bin? Und kann ich zweifeln, dass ich dem, für den mein Herz
m mir spricht, dessen Tugenden und Bedürfnisse ich genau
kenne, der sich mir tnit seinen Gesinnungen, mit seinem Mit-
leiden , mit seiner Freude über mein Glück und mit seiner Be-
mühung dafür, vor Andern nähert, dass ich dem insbesondere
das leisten soll, was ich mir nach den Regeln der Billigkeit von
Hirn wünsche und verspreche? Was ist endlich die Bruderliebe
der Religion, als die edelste und erhabenste Freundschaft? Was
heissen Brüder in der christlichen Religion? Diejenigen, die
einerlei heiligen Glauben und Tugend haben. Und was heissen
Freunde nach der Vernunft? Menschen, die in ihren Meinungen,
Neigungen und guten Absichten mit einander übereinstimmen
and übereinzustimmen suchen. Also ist die Bruderliebe eine Art
höherer Freundschaft, denn sie setzet gleich göttliche Gesinnungen
voraus, und schliesset die natürliche Gleichheit, wo sie zugegen
ist, nicht aus. Die Schrift gebeut die Wohlthäter insbesondere
lieben und dankbar gegen sie zu sein; und ist nicht der wahre
Freund mein beständiger Wohlthäter? Werde ich ihm also nicht
aine besondere Dankbarkeit schuldig sein? Liebte nicht unser Er-
löser den Johannes wegen seines sanften und leutseligen Charakters
Vorzüglich? und Paulus den Timotheus, weil niemand, wie er
leibst sagt, so gar seines Sinnes war als er? Das Gebot der
Bruderliebe geht so weit, dass wir verbunden sind, auch das
Leben für die Brüder zu lassen, wenn es ihre geistliche Wohl-
fahrt befiehlt. Ist dieses nicht die höchste und schwerste Freund-
schaft? War es nicht der Religion anständiger, die allgemeine
Menschenliebe, die wir als eine Pflicht gegen Gott ausüben sollen,
Und zu der wir uns so ungern verstehen, zu lehren, als die be-
sondere Liebe der Freundschaft, zu der wir von der Natur ein-
geladen werden, die so leicht Parteilichkeit des Herzens und
Wohl gar Selbstliebe wird, und die uns oft gegen Andere gleich-
gültig oder unrecht macht.
Insoweit als die Freundschaft eine gleichseitige Ueberein-
stimmung des Charakters und eine von der Natur veranstaltete
Aehnlichkeit dos Gemüths voraussetzt, insoweit kann sie keine
allgemeine Pflicht sein; und insoweit wir blos dieser Stimme der
Natur, die unsere Herzen einander zuführen soll, folgen, insoweit
1§t es, noch keine Tugend.
Aber wie reizend wird die Freundschaft nicht, wenn sie zu-
gleich auf Natur und Tugend gründet. Man sondere den Be-
griff der Tugend von der Freundschaft ab, so verschwindet ihr*
Werth und ihr heiliger Glanz verliert sich nicht selten in die
Finsterniss des Eigennutzes und der niedrigsten Selbstliebe.
1 *
4
Gehört die Tugend nicht zur Freundschaft: so find die Strassen-
räuber bei ihren gleichen Absichten rühmliche Freunde, denn sie
befördern ihren beiderseitigen Vortheil oft nach Regeln einer ge-
wissen Billigkeit und Liebe.
Die wahre Freundschaft ist die gegenseitige Hochachtung
und Neigung tugendhafter Gemüther, welche durch die Leber-
einstimmnng ihrer Neigungen, Vortheile und Absichten, die in
beiden durchgehends aufrichtig und edel fein sollen, genauer mit
einander vereinigt werden. Man kann also in einem gewissen
Verstände viele Freundschaften, in einem andern nur eine haben
und unterhalten, in soweit sie nämlich die genaueste Ueberein-
stimmung der Gemüther ist. Und obgleich die Liebe gegen eine
Person des andern Geschlechts auch die Freundschaft in sich
schliesst: so unterscheidet sie sich doch dadurch, dass sie mit Aus-
schliessung einer dritten Person, nur auf Eine fällt. Ist die
freundschaftliche Liebe zugleich das freundschaftliche Bündniss
der Weisheit und Tugend, gründet sie sich auf die Güte des
Verstandes, des Herzens, und auf angenehme Sitten, befestigt sie
sich durch einen überlegten und verpflichtenden Beistand, der
sich auf die Grundsätze • der Treue und Aufrichtigkeit gründet:
ist sie, mit einem Worte, zugleich die Sympathie der Natur, der
Vernunft und der Tugend: so kann für den empfindlichen
Menschen nichts schätzbareres und nützlicheres gedacht werden-
An der Seite eines rechtschaffenen Freundes fühlen, dass man
glücklich ist, und dieses Gefühl mit ihm theilen und wissen,
dass unser Glück ein Theil des seinigen ist; an der Seite eines
Freundes unsern Kummer mit ihm theilen, und fühlen, dass er
mit uns leidet, und dass er uns einen Theil der Last durch
Liebe und Mitleiden abnimmt; welche Anmuth im Glücke, und
welcher Trost im Elende! Gewinnt nicht unser Vergnügen schon,
wenn wir’s ihm erzählen? und mindert sich nicht unsere Unruhe
schon, indem wir sie ihm klagen?
Entfernt von ihm wird mir ein Glück zu Theile;
Und wenn im Geist ich’s ihm zu sagen eile,
Wird mir dies Glück gedoppelt lüfs.
Entfernt von ihm drohn mir des Unglücks Pfeile;
Und wenn im Geist ich’s ihm zu klagen eile,
So fühl’ ich minder Kümmerniss.
Pie Liebe eines vernünftigen Freundes ist der untrüglichste
Lobspruch für unser Herz und seine Hochachtung gleichsam das
Siegel unserer Rechtschaffenheit. Er stärkt durch sein Vertrauen
meine Aufrichtigkeit, verschönert meine Absichten durch die
seinigen, tritt uneigennützig in meine Umstände, unterstützt mich
in meinen Unternehmungen durch Rath und Beifall, ruft mich
o
ftütig von Irrthum und Fehltritten zurück, mahnt mich durch
fein edles Beispiel, erbittet mir Gutes von Gott, ist der nächste
bei mir in Unglücksfullen, wie er der Empfindlichste bei meinem
Glücke war, und alles dies ist er mir auf immer; denn selber
Wenn uns das Schicksal trennt, lebt er für mich noch in der
Ferne. Seiner edlen Seele darf ich mein Geheimniss, mein
Vermögen, die Wohlfahrt meines Kindes und meiner Gattin
Anvertrauen. Seine Aufrichtigkeit, feine Dienstbegierde, fein
Verstand wird überall durch Liebe und Klugheit und Geschmack
geleitet; und darum entzückt mich mein Freund so sehr, und
darum nützt er mir so vorzüglich. Ein tugendhafter und also
Wahrer Freund ist das kostbarste Geschenk des Himmels, für
das wir nie dankbar genug fein können. Begegnet er uns schon
auf der Bahn der ersten Jugend, geht er mit uns unter gleichen
Bemühungen und Belohnungen in die Wege des männlichen
Alters fort, geleitet er endlich unsere Tugend auf das Sterbe-
bette: so können wir ihn den sichtbaren Schutzengel nennen, den
Gott unserm Leben zugesellet hat.
Edle Seelen entdecken einander mitten unter dem Gedränge
der Welt, die sich nur aus Eitelkeit und Eigennutz zu ver-
binden pflegt. Oft ist es die gute Miene, in der sich die Seele
abdrückt, wodurch wir zur Freundschaft eingeladen werden, oft
bin kleiner Dienst, an dem wir die Güte des Herzens erkennen,
°ft ein Gespräch, das uns die Art zu denken und zu empfinden,
die wir besonders lieben, offenbaret und uns zu dem Herzen des
Andern zieht. Oft ist es das äusserliche gesittete Betragen, das
llns zuerst in dem Charakter des Andern unser Glück suchen
heisst. Oft gefällt uns zwar der erste Anblick nicht, weil er
das nicht zu versprechen scheint, was unser Herz sucht; und
dennoch nöthiget uns ein fortgesetzter Umgang die Verdienste
dieses Charakters zu entdecken, der uns anfangs missfiel, und
der doch für unser Herz gebildet war. So vielfach läd’t uns die
Vatur zur Freundschaft ein; bald durch den mächtigen und
edlen Zug der Sympathie mit einemmale, bald unvermerkt durch
kleine Dienstleistungen, bald nach und nach vermittelst des
Umgangs.
Niemand hat grössere Empfehlung zur Freundschaft als der-
Jenige, der mit einem guten und empfindlichen Herzen einen
feinen und richtigen Verstand verbindet, der mit der Würde der
Bugend die Anmuth des Anstandes, und mit den Schätzen
'fer Wissenschaft die Schätze der Religion vereiniget. Ein Herz
V°H Eitelkeit, voll Habsucht und Eigensinn ist ungeschickt, Freun d-
fehaften zu unterhalten, so geschickt es auch sein mag, uns bis
2ür Freundschaft durch (¿inen angenommenen Schein zu hinter-
gehen. Wer nicht edel gegen sich gesinnt ist, wie wird er es
6
gegen seinen Freund sein? Aber so aufrichtig unser Herz sein
mag, so wird es doch ohne Geschmack und Sitten wenig An-
muth in die Freundschaft bringen. Der gute Geschmack, den
wir uns durch die schönen Wissenschaften erwerben, begleitet
uns nicht allein in das grosse Leben, sondern auch in den
engen Zirkel der Freundschaft, entzieht unserer Aufrichtigkeit
das Beleidigende, giebt unserer Vertraulichkeit das Bescheidene,
nimmt unserm Rath das Gebieterische und unsern sichtbaren
Dienstleistungen die zu verpflichtende Miene. Durch Hülfe des
Geschmacks verhüten wir viele Unruhen in der Freundschaft
und verschönern die Pflicht der Rechtschaffenheit; und ohne
diesen Geschmack wird der beste Freund oft beschwerlich, und
hört auf für uns ein angenehmer Freund zu fein.
Das beste Herz hat feine kleinen Fehler der Erziehung)
oder des Temperaments. Wie es Pflicht der Freundschaft ist, fte
zu mildern, so ist es auch Pflicht, sie zu dulden, und sie unter
den vielen rühmlichen Eigenschaften seines Freundes aus den
Augen zu verlieren; denn der Freund ohne Fehler ist nicht
mein anderes Ich. Nein,
Dein Freund, ein Mensch, wird seine Fehler haben,
Du duldest lie bei seinen grossem Gaben
Und milderst sie mit sanfter Hand.
Sein gutes Herz bedient sich gleicher Rechte,
Begeistert deins, wenn’s minder rühmlich dächte,
Und fein Verstand wird dein Verstand.
Haben wir einen liebenswürdigen Freund gefunden, j
müssen wir durch seinen Umgang immer edler und liebenswürdiger i
zu werden suchen, denn sonst verlieren wir den wichtigsten Vor-
theil der Freundschaft, und verwandeln das, was dem Herzen
zu einer heilsamen Nahrung dienen soll, in eine Art von üppige1'
Schwelgerei. Warum treten wir zusammen in Verbindung, wenn
wir durch unsern vertrauten Umgang nicht immer unser Glück
erhöhen wollen? Kann man je befürchten, zu gut zu werden |
und zu weise zu verfahren und ereignen sich nicht immer neu*'
Umstände, in denen ich Freund, das ist, Helfer, Rathgeber>
Beispiel, Trost und Anmuth fein soll? Dies ist eben dei
grösste Nutzen der Freundschaft für uns und die Welt, das?
wir immer besser und zu unserer grossen und ewigen Be'
stimmung geschickter werden. Wer der Freundschaft kein Vor
urtheil aufopfern, keinen Fehler, den sie gütig bemerkt, ah'
legen, keine Ermunterung zur Pflicht, weil sie vielleicht unfern
Stolz beugt, von ihr mit Dank annehmen, den Vorzug rle^
Freundes nicht immer gern erblicken und sich zu seinem Lehrer
machen kann, der ist nicht edel gesinnt genug zur Freundschaft)
7
und bei allen Verdiensten, die er haben mag, fehlt ihm doch
das edle Misstrauen gegen sich selbst, zu dem uns die Freund-
schaft mit sanfter Hand führen soll.
So manches Herz, das sich verirrte, hat an dem Freunde
einen Fetter, so manches Herz, das auf der Hahn der Fugend
zu wanken anfing, hat an ihm eine Stütze, und so mancher
Jüngling, der sonst langsam zum Ziele seiner Wohlfahrt gelanget
Wäre, hat an dem Freunde den muthigen und eifrigen Ge-
fährten gefunden, der ihn ohne Umwege dahin gefuhret. Möchte
doch ein Jeglicher unter Ihnen das Glück gemessen, einen solchen
Freund zu besitzen, oder selbst ein solcher Freund zu fein!
Unsere Jugend braucht eine tugendhafte Freundschaft um desto-
mehr, je leichter sie zu blenden, und je geneigter sie ist, sich
selbst irre zu führen. —
2. Aus Gellert’s Briefen.
1.
Ich bin in Bonau, und wenn ich Ihnen auch nicht ver-
sprochen haben sollte, von hier aus zu schreiben, so fühle ich - es
doch, dass es auch ohne Versprechung meine Pflicht ist. Ich
mache den Anfang meines Briefes mit einer kleinen Reise-
beschreibung.
Den 10. Mai ging ich mit Quasi - Postpferden, nachdem ich
von V25 Uhr bis um sieben auf sie gewartet hatte, in der Ge-
sellschaft meines Famulus und noch eines Studenten herzlich
unzufrieden nach Rippach ab. Der Himmel war sehr neblicht,
aber mein Kopf war es noch mehr. Ohne Pelz fror ich und
im Pelz wollte ich verschmachten. Meine drei Pferde, ein
weisses, schwarzes und braunes, schliefen im Gehen, und der
Postillon versicherte mich, dass er krank, noch viel müder als
feine Pferde und auf meine Reife gar nicht wohl zu sprechen
sei. Ich trug alles dies mit einer mürrischen Geduld, ass vor
Unzufr iedenheit eine halbe Semmel, die mir sehr bitter schmeckte,
und kam endlich in Markranstädt an, wo die Pferde getränket
und ein Schmied und ein Wagner herbeigerufen wurden, um
eine Besichtigung an meinem Wagen, der dem Grafen II............
gehörte, anzustellen. Der Postillon behauptete, der Wagen werde
nicht bis Rippach halten, wenn er nicht gemacht würde. Ver-
muthlich wollte er Zeit zur Erholung für sich und feine Pferde
gewinnen-, und der Schmied sagte, wenn er nicht drei bis vjer
heue Schrauben von seiner Arbeit an diesen Wagen ansetzte, so
würde er auf immer unbrauchbar bleiben. Mit dem Wagner liess
ich mich gar nicht ein, denn er sagte, der Mann, der diesen
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Wagen gebaut, müsste gar keinen Menschenverstand, und der
ihn gekauft hätte, viel Geld übrig und nicht viel Verstand mehr
als der Meister gehabt haben; kurz’, ich war in der Gewalt des
Schmieds, der eine Schraube nach der andern abriss und neue
machte, und sie ansetzte, und mich ein über das andere mal an-
fuhr, dass ich mit einer solchen Chaise zu fahren mir kein Ge-
wissen mache. Indem ich also hielt, kam die Frau von.............
mit ihrer Familie, sieben Personen in einem Wagen. Ich musste
nothwendig aus dem mehligen aus steigen und sie becomplimen-
tiren. — Wo wollen Sie denn hin, Herr Professor? — Nach
Lonau, gnädige Frau. — Wo liegt das Lonau? — Bei Weissen-
fels, Naumburg und Zeitz. — Es kann doch nicht bei allen drei
Orten liegen? — Ach ja! es liegt bei allen dreien: ich kann
es nicht ändern. — Was wollen Sie denn in Lonau? — Nichts, auf
der Welt nichts, gnädige Frau. — Ich schickte gestern in Leip-
zig nach Ihnen, Herr Professor: da liess man mir sagen, Sie
wären in........bei.............Sie reisen ja recht herum! —-
Leider! und Sie sind nicht sicher, dass ich nicht zu Urnen komme,
wenn der Krieg noch länger dauert. — Herr Professor, fing
eine von den Fräulein an, Sie stehen ja mit Damen in Brief-
wechsel? — Ich mit Damen? — Ja, sehen Sie — ein aller-
liebster Brief. — Ich mochte gerne nicht sehen noch wissen,
was sie für einen Brief meinte, oder wie sie dazu gekommen
wäre: genug, dies Compliment und das Hämmern des Schmieds
brachten mich vollends um all’ meine Gelassenheit.
Ich konnte auch der gnädigen Frau auf alle Fragen nichts
weiter antworten als Ja und Nein und Nein und Ja. Dieses
hatte die Wirkung, dass sie den Postillon fortfahren und mich
glücklich nachkommen hiess.
Es geschah auch. Ich erreichte Rippach um 12 Uhr.
Aber zu meinem Schrecken erblickte ich mich hier unter lauter
Freihusaren und Freibeutern. Ich bat den Postmeister inständig,
dass er mich bald fortschaffen und mir eine Stube allein geben
sollte. Kommen Sie, sagte er, in meine Schlafkammer, sonst ist
kein Winkel mehr leer. Ich ging hinein, beseufzte mein Schicksal,
dass ich nichts zu essen bekommen, und doch auch keine Pferde
haben konnte. Hier fass ich also, und nun traten sechs Officiere
unangemeldet in mein Zimmer. Ich stehe auf und bücke mich. —
Lassen Sie sich nicht stören, Herr Professor, fing der erste an.
Dies hier ist der Rittmeister K . . ., ein grosser Verehrer
Ihrer Schriften, und ich bin der General S............ Wo ge-
denken Sie hin? — Nach Lonau, Herr General; komme ich
Ihnen etwan verdächtig vor? — Nichts weniger. Sie mögen
wohl oft in Lonau fein? — Um Vergebung, wie hat Ihnen das
bekannt werden können? — Ebenso, Herr Professor, wie mir’s
9
bekannt ist, dass Sie oft in.........sind und oft Besuche von
solchen Leuten haben, wie der Rittmeister K . . . ist. —
Nunmehr trat der Rittmeister auf mich zu, mit einem sehr
freundlichen Gesichte und sagte mir, dass er mich sehr lieb
bähe, und mich gern lese. — Herr Professor, fuhr der General
fort, ich bitte Sie, dass Sie diesen Mittag mit mir speisen-, als-
dann will ich Sie ruhig nach Bonau reisen lassen. — Nun
dachte ich, das wird eine schöne Mahlzeit werden. Aber was
hilft's? — Gehe mit ehe man Gewalt braucht. Ich speiste also
mit diesen Herrn im Garten. Das Essen war sehr gut, und der
Rittmeister und der General begegneten mir mit vieler Freund-
schaft; ich aber konnte nicht essen und nicht trinken, so sehr
sie mir auch zuredeten. Immer dachte ich, ich würde die ganze
Nacht hier relidiren müssen; und diese Furcht gab mir, wie ich
Vermuthe, ein so mürrisches Ansehen, dass sie sich wohl sehr
Uber den menschenfreundlichen Professor wundern mochten: denn
sie sahen mich immer einer um den andern aufmerksam an. Zu
meinem Glücke bliess in der Hälfte der Manlzeit der Postillon.
Halten Sie mir’s zu Gnaden, Herr General, sing ich an, der Po-
stillon ruft mich; und zugleich stund ich auf und zitterte heim-
lich vor der Arretirung. Aber nein, theuerste Freundin, der
General liess mich sehr gütig von sich, und ich muss es rühmen,
dass ich an seiner Tafel kein unanständiges Wort gehöret habe.
Ich lief geschwind durch den Garten, sprang in den Wagen,
Und sagte zum Postillon: Fahr zu, ich gebe euch doppelt
Trankgeld.
Alle Vorposten wollten mich aufhalten. — Wo kommeii
Sie her? — Wo werde ich herkommen? — Von der Tafel des
Generals. — Sie sind der Professor Geliert? — Jawohl. —-
Nun, so fahren Sie ruhig, wir haben Ordre, Sie nicht aufzu-
halten. Fahrt zu Postillon! fahrt zu, rief ich aufs neue, in-
dem ich voll Dank den Hut gegen die guten Husaren abzog.
Her Postillon fuhr, was er konnte, und hörte gar nicht mehr*
die Vorposten mochten rufen, wie sie wollten. Ich kam also
Wie im Trünke nach Bonau. Hier fand ich die gnädige Frau
krank, und zwar krank über das Schrecken, das ihr den 8. Mai
*Wei Husaren von demselben Corps gemacht hatten. Einer
batte sie er schiessen, der andere erstechen wollen, und sie
selbst war von allen ihren Leuten, die von den Husaren durch
Ifrügel waren verscheucht worden, verlassen, die Kammerjungfer
ausgenommen. Ich erzählte dieser amen Dame meine in Rip-
pach gemachten Bekanntschaften; und sie sah meine Ankunft für
em Glück an. Kurz, ich nützte mein Ansehn, und schrieb (an
Wen dächten Sie?) an den Rittmeister K . . ., und bat, dass
er keine solche tyrannischen Husaren mehr nach Bonau schicken
10
sollte, wenn er mich anders lieb hätte. Ich hoffe von diesem
Brief gute Wirkung. Vielleicht kann auch einmal ein demüthiger
und friedfertiger Autor eine Dame beschützen, die alle Land stände
vor solchen Anfällen nicht würden schützen können. Sie hat sich,
da sie nicht mehr in Furcht ist, grösstentheils erholt, und mir
selbst befohlen, es Ihnen zu melden, in welcher Gefahr sie zeit-
her beinahe feit vier Wochen gewesen. Dies habe ich nun,
däucht mich, sehr treulich gethan. — Itzt will ich also spazieren
v gehen, und wünschen, dass keine Husaren wieder kommen. —
Leben Sie wohl.
Bonau den 12. Mai 1 760.
2.
Nun bin ich vollkommen gedecket. Ich habe Fussvolk
und Reiterei, die Grenadiere und die Garde, ich habe alles*,
denn ich habe vier Lazarethe, so nahe, als man sie haben kann,
und mein ganzer Hof ist mit Soldaten angefüllt, von denen
viele kränker und viele auch gesunder sind als ich bin. Man
kocht und bratet und wäscht um mich herum. Man lacht, man
weint, man singt, man flucht, man betet, alles durcheinander.
Man löst hier einen Arm ab, und setzet dort einen Fuss an.
Der eine redet von der Schlacht bei Torgau und hält sie für
die blutigste, der andere zieht die von Colliu noch vor. Der
eine redet von seinem Fleisse auf der Universität Halle und
Jena, und der andere versichert, dass er weder schreiben noch
lesen könne. Der eine lobt meine Schriften und weiset auf
mein Kammerfenster*, und der andere lacht mich aus. Kurz,
die Sonne wird zu ernsthaft und die Nachbarschaft zu gross und
gefährlich. Ich muss fliehen, so sauer mir’s auch ankömmt,
mein sonst einsames schwarzes Bret zu verlassen. In der
Stadt ist vielleicht kein Haus sicher, und das noch sicher ist,
nimmt mich darum nicht auf. Also muss ich aus der Stadt
und wohin? Nach Bonau? Aber Bonau ist fünf Meilen, und
was will ich ohne Beschäftigung in Bonau anfangen ? Der Müssig'
gang ist so gut als ein Lazareth, und vielleicht noch schlimmer-
Doch genug, dass Sie wissen, dass ich bald von hier gehen
werde, wenn ich Ihnen auch heute nicht sagen kann, wohin'
Leben Sie indessen vollkommen wohl.
Leipzig den 3. Dezember 1760.
3.
Um Leipzig zu entfliehen gehe ich nach .... und
um...........zu entfliehen, den andern lag wieder nach Leip'
zig*, das ist sonderbar und zugleich traurig für mich. Hier
11
sitze ich nun, trage meine eigene Last, die nicht klein ist, und
die Last der Besuche, die mir fast unerträglich wird. 0, Ruhm,
was bist du für ein Uebel! Die dich nicht haben, grämen sich,
und die dich haben, beseufzen dich. Ein Brief über den andern
wünschet mir Glück zu der Gnade des Königs. Ja, liebste
Freundin, es ist nicht zu glauben und doch wahr, ich komme
tausend Leuten erst ehrwürdig vor, seitdem der König mit mir
gesprochen und mich gelobt hat; und ist denn fein Lob vor
dem Richterstuhle der Vernunft und des Gewissens wirklich mehr,
als der Beifall eines anderen Menschen. Soviel den 30. Dezem-
ber 1760.
3. Friedrich’s II. Unterhaltung mit Geliert.
(Aus Briefen und Aufzeichnungen zusammengestellt.)
Als Friedrich II. zu Ende des Jahres 1760, in unglück-
licher Lage, trotz des Sieges bei Torgau, in Leipzig verweilte,
um sich zum neuen Feldzug zu rüsten, fand er doch Zeit litera-
rische Interessen wahrzunehmen. Obgleich von der deutschen
Literatur gering denkend, beschloss er, einige Berühmtheiten der
Universität kennen zu lernen, vorzüglich Geliert, dessen Ruf als
Dichter und Lehrer der Moral damals auf dem Gipfel stand. —
Es war am 18. December, Nachmittags 3 Uhr, als der Professor
Geliert im Schlafrock und mit einer weissen Nachtmütze, gar
nicht wohl auf, an seinem Pulte fass und Jemand an die Thür
klopfte. — „Herein!“
Eintrat der Major Quintus Tcilius. Er brachte den Befehl
von Sr. Majestät dem Könige Friedrich II., dass derselbe ihn zu
sprechen verlange. Geliert gerieth in Bestürzung und stellte dem
Major vor, dass ein kranker Mann doch nicht wohl mit dem
König reden könne. Der Major berief sich auf feine Ordre, die
er vom König erhalten, und gab dem Geängstigten eine Stunde
Frist zur Toilette. Um 4 Uhr werde er wiederkommen und
den Professor abholen. Geliert musste wohl oder übel gesund
sein, schickte nach Friseur und Perrücke, und war fertig, als
der Major wieder eintrat. Sie begaben sich nach dem Apel1 sehen
Hause, wo der König Wohnung genommen hatte. Im Vor-
zimmer befinden sich mehrere Personen, die sich freuen den be-
rühmten Geliert kennen zu lernen. Dann geht die Thür zum
Zimmer Sr. Majestät auf, und der Major führt den Befohlenen
hinein, wo sie mit dem König allein bleiben.
König. Ist Er der Professor Geliert?
Geliert. Ja, Ihre Majestät.
K. Der englische Gesandte hat mir viel Gutes von Ihm
gesagt. Wo ist Er her?
12
G. Von Haynichen bei Freiberg.
K. Hat Er nicht noch einen Bruder in Freiberg?
G. Ja, Ihre Majestät.
K. Wo hat Er schreiben gelernt?
G. In der Schule der Natur, Majestät.
K. Sage Er mir, warum wir keinen guten deutschen
Schriftsteller haben?
Der Major. Ihro Majestät sehen hier einen vor sich, den
die Franzosen selbst übersetzt haben, und den deutschen la Fon-
taine nennen.
K. Das ist viel! Hat Er den la Fontaine gelesen?
G. Ja, Ihro Majestät, aber nicht nachgeahmt. Ich bin
ein Original; aber darum weiss ich noch nicht, ob ich ein gutes bin.
K. Das ist also Eines! Aber warum haben wir nicht mehr
gute Autoren?
G. Ihro Majestät sind einmal gegen die Deutschen einge-
nommen.
K. Nein, das kann ich nicht sagen.
G. Wenigstens gegen die deutschen Schriftsteller.
K. Das ist wahr. Warum haben wir keine guten Ge-
schichtsschreiber ?
G. Es fehlt uns nicht daran. Wir haben einen Mascov,
einen Gramer, der den Bossuet fortgesetzt hat.
K. Wie ist das möglich, dass ein Deutscher den Bossuet
fortgesetzt hat?
G. Ja, ja, und glücklich. Einer von Ihro Majestät gelehr-
testen Professoren hat gesagt, dass er ihn mit eben der Bered-
samkeit und mit mehrerer historischer Richtigkeit fortgesetzt habe.
K. Ilat’s der Mann auch verstanden ?
G. Die Welt glaubt’s.
K. Aber warum macht sich keiner an den Tacitus? den
sollte man übersetzen.
G. Tacitus ist schwer zu übersetzen, und wir haben auch
schlechte französische Uebersetzungen von ihm.
K. Da hat Er Recht!
G. Und überhaupt lassen sich verfchiedne Ursachen angeben,
warum die Deutschen noch nicht in aller Art guter Schriften sich
hervorgethan haben. Da die Künste und Wissenschaften bei den
Griechen blühten, führten die Römer noch Kriege. Vielleicht ist
jetzt das kriegerische Säculum der Deutschen; vielleicht hat es
ihnen auch noch an Augusten und an Louis XIV. gefehlt.
K. Er hat ja zwei Auguste in Sachsen gehabt.
G. Wir haben auch in Sachsen einen guten Anfang
gemacht.
K. Wie ? Will Er denn einen August in ganz Deutschland haben ?
13
G. Nicht eben das-, ich wünschte nur, dass ein jeder Herr
in seinem Lande die guten Genies ermunterte.
K. Ist Er garnicht aus Sachsen weggekommen?
G. Ich bin einmal in Berlin gewesen.
K. Er sollte reisen!
G. Ihro Majestät, dazu fehlen mir Gesundheit und Vermögen.
K. Was hat Er denn für eine Krankheit? Etwa die ge-
lehrte?
G. Weil Ihro Majestät sie so nennen, so mag sie so heissen,
in meinem Munde würde es zu stolz geklungen haben.
K. Ich habe sie auch gehabt. Ich will Ihn curiren. Er
niuss alle Tage ausreden, alle Woche Rhabarber nehmen.
G. Ihro Majestät, diese Cur möchte wohl eine neue Krank-
heit für mich sein. Wenn das Pferd gesünder wäre als ich, so
Würde ich es nicht reiten können, und wenn es eben so krank,
so möchte ich auch nicht fortkommen können.
K. So muss Er fahren.
G. Dazu fehlt mir das Vermögen.
K. Ja., das ist wahr, daran fehlt's immer den Gelehrten
in Deutschland! Es sind wohl jetzt böse Zeiten?
G. Ja wohl — und wenn Ihro Majestät Deutschland den
Prieden geben wollten —
K. Kann ich denn? Hat Er’s denn nicht gehört? Es sind
ja Drei wider mich!
G. Ich bekümmre mich mehr um die alte als neue Ge-
schichte. »
K. Was meint Er? Welcher ist schöner in der Epopöe,
Homer oder Virgil?
G. Homer scheint wohl den Vorzug zu verdienen, weil er
•das Original ist.
K. Aber Virgil ist viel polirter.
G. Wir sind zu weit vom Homer entfernt, als dass wir
von seiner Sprache und seinen Sitten richtig genug sollten ur-
theilen können. Ich traue darin dem Quintilian, welcher dem
Homer den Vorzug giebt.
K. Man muss aber nicht ein Sklave von den Urtheilen der
Alten sein.
G. Das bin ich nicht; ich folge ihnen nur alsdann, wenn
ich wegen der Entfernung selbst nicht urtheilen kann.
Der Major. Er hat auch deutsche Verse herausgegeben.
K. So? Hat Er denn auch wider den stylum curiae ge-
schrieben?
G. 0 ja, Ihro Majestät!
K. Aber warum wird das nicht anders? Es ist was Ver-
teufeltes ! Sie bringen mir ganze Bogen, und ich verstehe nichts davon.
14
G. Wenn es Ihro Majestät nicht ändern können, so kann
ich's noch weniger. Ich kann nur rathen, wo Sie befehlen —
K. Kann Er keine von seinen Fabeln auswendig?
G. Ich zweifle. Mein Gedächtniss ist mir sehr untreu.
K. Besinn' Er sich, ich will unterdessen herumgehen. —
— Nun? Hat Er eine?
G. Ja, Majestät, den „Maler“.
Ein kluger Maler in Athen,
Der minder, weil man ihn bezahlte,
Als weil er Ehre suchte, malte,
Liess einen Kenner einst den Mars im Bilde sehn,
Und bat sich seine Meinung aus.
Der Kenner sagt' ihm frei heraus,
Dass ihm das Bild nicht ganz gefallen wollte,
Und dass es, um recht schön zu sein,
Weit minder Kunst verrathen sollte.
Der Maler wandte vieles ein;
Der Kenner stritt mit ihm aus Gründen,
Und konnt’ ihn doch nicht überwinden.
Gleich trat ein junger Geck herein
Und nahm das Bild in Augenschein.
0! rief er hei dem ersten Blicke,
Ihr Götter, welch ein Meisterstücke!
Ach, welcher Fuss! 0 wie geschickt
Sind nicht die Nägel ausgedrückt!
Mars lebt durchaus in diesem Bilde.
Wie viele Kunst, wie viele Pracht
Ist in dem Helm und in dem Schilde,
Und in der Rüstung angebracht!
Der Maler war beschämt gerühret,
Und sah den Kenner kläglich an.
Nun, sprach er, bin ich überführet!
Ihr habt mir nicht zu viel gethan.
Der junge Geck war kaum hinaus,
So strich er seinen Kriegsgott aus.
Der König. Und die Moral?
G ellert:
Wenn deine Schrift dem Kenner nicht gefällt,
So ist es schon ein böses Zeichen;
Doch wenn sie gar des Narren Lob erhält,
Dann ist es Zeit, sie auszustreichen.
K. Das ist recht schön! Er hat so etwas Coulantes in
seinen V ersen, das verstehe ich alles. Da hat mir aber Gottsched
>«! >,
litt!
Al
ibnti
eine Uebersetzung der Iphigenie vorgelesen; ich habe das Fran-
zösische dabei gehabt und kein Wort verstanden. Sie haben mir
ahch einen Poeten, den Pietsch, gebracht, den habe ich weg-
geworfen.
G. Ihro Majestät, den werfe ich auch weg.
K. Nun, wenn ich hier bleibe, so muss Er öfters wieder-
kommen und Seine Fabeln mitbringen und mir was Neues
vorlesen.
G. Ich weiss nicht, ob ich gut lese, ich habe so einen
ßngenden gehn gischen Ton.
K. Ja, wie die Schlesier. Nein, Er muss feine Fabeln
selbst lesen, sie verlieren sonst zu viel. Nun, komme Er bald
wieder!
Zu einem zweiten Gespräch sollte es nicht kommen. Aber
Geliert hatte sichtlichen Eindruck auf den König gemacht. Als
jener sich entfernt hatte, sagte er: „Das ist ein ganz andrer
Mensch als Gottsched!“ Und Tags darauf bei der Tafel sprach
der König über Geliert und sagte: „Gest le plus raisonnable
de tous les savans Allemands.“
4. Jung gewohnt, alt gethan!
(Rabener, Abhandlung von Sprüchwörtem.)
Ich bin noch auf die gegenwärtige Stunde ungewiss, ob ich
dieses Sprüchwort für wahr halten soll, oder glauben soll, dass
ps, wo nicht gar ungegründet, doch bei uns wenigstens ganz aus
der Mode gekommen fei.
Alle Weltweisen, in der unendlichen langen Reihe, vom
Frössen Sokrates bis auf unfern kleinen — tummeln sich mit
dieser Wahrheit, an der sie innerlich selbst zweifeln, weil ein
Philosoph gar selten die moralischen Wahrheiten glaubt, die er
änderen lehrt.
Und wo soll ich den Beweis von der Wahrheit dieses
^prüchwortes hernehmen, wenn mir die Philosophen heucheln,
Wenn mir die Aufführung der halben Welt bezeuget, dass man
es für ungegründet hält, und wenn ich soviel Menschen vor mir
sehe, die in ihrem Alter etwas ganz anders thun, als sie in der
Jugend gewohnt gewesen sind.
Kennen Sie den Greis, welcher dort auf dem Markte unter
den Buden herumschleicht und sich in den alten blauen Mantel
tßbüllet hat? Grüssen Sie ihn, er kann Ihnen nicht dankest;
denn er trägt unter dem Mantel in beiden Händen die Käse
uud die Wurzeln, die er selbst eingekauft hat, um sich die
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Woche hindurch nothdürftig zu ernähren. Wie reich glauben
Sie wohl, dass er fei'? Urtheilen Sie nicht nach seiner ver-
hungerten Miene und noch weniger nach den zerrissenen Kleidern,
die ihm am Leib verfaulen. Er hat 10,000 Thaler auf Hypo-
theken und noch überdies so viel baares Geld, dass er der
halben Stadt auf Pfänder leiht. Und noch ist alles dieses noch
nicht vermögend, ihm die ängstliche Sorge zu benehmen, dass er
in seinem achtundsechszigsten Jahre gar leicht Hungers sterben
könne. Seine nächsten Anverwandten müssen neben ihm darben.
Er lässt sie nichts von seinen Schätzen gemessen: denn er glaubt,
der Himmel habe sie nicht ohne Ursache so arm werden lassen;
und den Absichten des Himmels sich zu widersetzen, das hält
fein frommer Geist für eine grosse Sünde. Er weiss, dass feine
Anverwandten auf seinen Tod ängstlich warten; um deswillen
hält er sie für feine gefährlichsten Feinde. Weil er gehöret hat,
dass man in jenem Leben weder Nahrung noch Kleider braucht,
so wünscht er sich freilich wohl ein sanftes seliges Ende, wenn
er sich nur nicht vor den Begräbniskosten fürchtete. Das
kann er gar nicht begreifen, was die liebe Obrigkeit denkt,
dass sie den Geistlichen zulässt, soviel Unkosten für ein kleines
Grab zu fordern. Die Erde ist ja des Herrn, wie er immer
seufzet, und ihm würde es daher einerlei fein, ob man ihn auf
dem Kirchhof, oder auf dem Anger begrübe, wenn es nur ohne
Unkosten geschehen könnte. Seiner Schwester Sohne, einem
vernünftigen und geschickten Manne hat er den Fluch gegeben,
weil er wider seinen Willen ein tugendhaftes Mädchen ohne
Geld geheirathet hat; und da dieser aus einer guten Absicht,
und feine Freundschaft wieder zu gewinnen, ihn zu Gevatter
bat, so schwur er, ihn zu enterben, und war durch nichts zu
besänftigen, als durch die Erklärung, dass er kein Pathengeld
geben, und für die Erziehung des Kindes auf keine Weife
sorgen sollte. Den Wein flieht er wie die Pest; wenigstens auf
seiner Stube flieht er ihn. Wenn er ein Mädchen sieht, so
schüttelt er den Kopf, und dankt mit gefalteten Händen dem
Himmel, der ihm ein keusches Herz gegeben hat, welches alle
üppigen und kostbaren Laster verabscheut. Die Kleiderpracht ist
ihm was schreckliches; man kann es wohl an seinem Anzuge
sehen. Auch alsdann eifert er dawider, wenn junge Verschwender
ihre gestickten Kleider bei ihm versetzen. Er thut dieses alle-
mal mit einem jüdischen Wucher, und doch hält er es für Gott
gefällige Werke, weil er dadurch die eitle Jugend ausser Stand
fetzt, sich durch Hoffahrt in Kleidern zu versündigen. Nach der
Verschwendung ist ihm das Spielen die grösste Sünde. Liegt
ihm ein Kartenblatt im Wege, so weicht er mit zitternden
Schritten aus; denn er glaubt, dass der Teufel dahinter stecke und
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auf seine arme Seele laure. Länger als ein Jahr kann die Welt
uun nicht mehr stehen; das hat er mir gestern selbst geklagt, da
wan ihn beredet hatte, dass ein starker Schoss von den Köpfen,
ohne Anselm des Alters, und eine erhöhete Abgabe von dem
Vermögen entrichtet werden sollte. Er bittet Gott, er möchte
ihn vor dem nächsten Termine zu lieh nehmen; und wenn er
ihm ja fein kümmerliches Leben fristen sollte, so könne er doch
ganz unmöglich von seinem bischen Armuth was geben, und
Wenn es auch zum Schwure kommen müsste.
Dieser niederträchtige Greis ist in seiner Jugend der grösste
Verschwender gewesen. Von seinem fünfzehnten Jahre an hatte
er sich in die kostbarsten Ausschweifungen gestürzt. Sein Vater
kränkte sich über diesen ungerathenen Sohn und starb. Die
Hälfte des hinterlassenen Vermögens reichte kaum zu, die Schulden
zu bezahlen, die er bei Lebzeiten seines Vaters durch die hung-
rige Dienstfertigkeit des Wuchers gemacht hatte. Nunmehr ward
die andere Hälfte in der Gesellschaft der lüderlichen Weibs-
personen und der niederträchtigsten Schmarotzer verprasst. Seine
Anverwandten merkten, dass er nur noch einen Schritt bis zur
äussersten Armuth zu thun hätte, und ihnen hernach zur Last
falle. Sie stellten dieses der Obrigkeit vor, und man brachte
ihn als einen Verschwender in das Zuchthaus. Die kostbaren
Kleider und das prächtige Hausgeräthe, so noch übrig waren,
''erkaufte man, und machte ein Capital daraus, wovon er sehr
üothdürftig leben sollte.
Auf diese Art brachte er 16 Jahre zu, als ein Vetter von
ihm in Batavia starb, und ihm ein ansehnliches Vermögen hinter-
liess. Man hatte nun keinen Vorwand weiter ihn eingeschlossen
zu halten. Er ward frei gelassen und von dem Augenblick an
hat er so gelebt wie er jetzt lebt. Wer hätte glauben sollen,
dass aus diesem unsinnigen Verschwender ein so niederträchtiger
Wucherer werden sollte?
5. Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch Verstand.
(Habeuer. Abhandlung von Sprüchwörtern.)
Wenn irgend ein Sprüchwort ist, dessen Wahrheit durch
die tägliche Erfahrung bestätigt wird, so ist es dieses, wenn man
lagt: Wem Gott ein Amt giebt, dem giebt er auch Verstand.
Ha ich Gelegenheit gehabt habe, die Verfassung meines Vater-
Hudes sehr genau kennen zu lernen, so getraue ich mir sehr
"Ahl zu behaupten, dass wenigstens zwei Drittheile meiner Mit“
hürger ihren Verstand nicht eher erlangt haben, als bis sie das
Amt bekommen; und kaum ein Drittheil ist, ich weiss nicht
durch was ftlr einen Zufall, vor der Erlangung des Amts mit
Koquette, Deutsches Lesehuch. II. 2
— 18
Verstände begabt gewesen. Ich läge mit gutem Vorbedachte
kaum ein Drittheil. Denn ich muss noch für diejenigen ein
wenig Platz lassen, welche die Ausnahme von dem Sprüchworte
machen, und das Amt zwar feit langer Zeit noch bis diese Stunde,
aber nicht den geringsten Verstand haben.
Ich nehme es also für bekannt an, dass Gott das Amt giebt.
Es hebt dieser Satz dasjenige gar nicht auf, was man aus der
Erfahrung dawider einwenden möchte. Recht wahrscheinlich ist
es freilich nicht. Aber ein guter Ausleger weiss Alles zusammen
zu reimen.
Ich halte mich in einem sehr kleinen Städtchen aus, und
doch ist es noch immer gross genug, meinen Satz zu behaupten-
Ausser dem Nachtwächter weiss ich Niemanden, welcher auf eine
erlaubte Weife zu seinem Amte gekommen wäre. Er würde als
ein alter wohlverdienter und abgedankter Soldat haben ver-
hungern müssen (denn dieses ist immer die gewisse Belohnung'
derer, welche sich für das Vaterland verstümmeln lassen), wenn
er nicht zu diesem wichtigen Posten zu eben der Zeit erhoben
worden wäre, als die Bürgerschaft soweit gebracht war, dass sie
ihn als einen Hausarmen ernähren sollte. Man machte ihn ohne
sein Ansuchen zum Nachtwächter, und sein Beruf muss wohl
rechtmässig fein, weil er den Amtmann nicht bestochen hat, und
von keinem Rathsherrn ein Vetter ist. Dieses ist der einzige
Mann in der Stadt, der fein Amt auf eine billige Art erlangt
hat, und im Vorbeigehen muss ich auch erinnern, dass er zu-
gleich der einzige in unserm Ort ist, welcher den Verstand eher
hatte als fein Amt.
Mit den übrigen ist es ganz anders beschaffen. Der Stadt-
schreiber hatte als Advocat das Unglück, dass er wegen feiner
Geschicklichkeit, die verschiedene Obere Betrügerei nannten, in
die Inquisition kommen sollte. Seine Sache war so beschaffen»
dass er nach dem Eigensinn altväterlicher Rechte gewiss den
Staubbesen würde bekommen haben. Aber ein Edler wohlweiser
Rath sah die unvermeidliche Folge davon ein. Der grösste Theil
von ihnen stund in so genauer Verbindung mit ihm, dass sie
gewiss an seinem Staubbesen hätten Antheil nehmen müssen,
und des Herrn Bürgermeisters Hochedlen am Galgen ersticken
müssen, wenn man diesen wackren Mann nicht den Händen der
blinden Gerechtigkeit entrissen hätte. Man überlegte mit der
Frau Amtmännin die Sache genau, und eine Kleinigkeit von
etlichen Ellen brabanter Spitzen legte feine Unschuld dergestalt
an den Tag, dass er sich mit Ehren von seinem Handel befreit
sah. Der Frau Bürgermeisterin war der Hals ihres theuren
Gemalds so lieb, dass sie vor Freuden nicht eher ruhte, l>lS
diesem angefochtenen Manne die Gerechtigkeit der Stadt un'l
19
das Wohl der ganzen Bürgerschaft anvertraut, und er ungesäumt
zum Stadtschreiber erwählt wurde. Ein jeder seiner Vorgesetzten
glaubte, er sei diesen Dienst fich selbst schuldig, weil ein jeder
Wünschte, dass man bei dergleichen besorglichen Fällen auf
gleiche Weise sich seiner annehmen möchte.
Wie der Amtmann zu seinem Dienst gelangt, weiss die ganze
^tadt. Er hatte durch feine patriotischen Bemühungen es so
Weit gebracht, dass ganze Dörfer wüste und eine ansehnliche
Menge nichts würdiger Bauern mit Weib und Kind Bettler ge-
worden waren. Die Beute, die er dabei gemacht, setzte ihn in
den Stand, unverschämter zu sein als fein Vorfahr, welcher ein-
fältig genug war, sich einzubilden, dass man es mit dem Landes-
berrn nicht redlich meinen könne, wenn man es nicht zugleich
Mit den Unterthanen redlich meine. Er stürzte diesen ge-
wissenhaften Tropf, und bemächtigte sich seines Amtes, auf eine
Art, welche zu gewöhnlich ist, als dass man sie tadeln sollte.
Es sind nicht mehr als zween Priester in unserer Stadt,
der oberste wäre vielleicht noch jetzt Candidat, wenn er nicht
die Geschicklichkeit besessen hätte, alle diejenigen zu verkleinern
ünd ihre Lebensart verdächtig zu machen, welche mit ihm um
ein geistliches Amt ansuchten. Er meinte es aber mit seiner
Geistlichen Gemeine so gut, dass er sieb den Capellan zu seinem
Kollegen selbst ausersah, und ihm dazu beförderlich war, weil die
Natürliche Dummheit dieses lieben Mannes ihm Vortheilhaft zu
fein schien, und weil er das Herz hatte, des Herrn Pastors
•Jungfer Muhme zu heirathen, welcher sehr viel daran lag, einen
dummen Ehemann zu haben.
Sogar bis auf den Küster erstreckte sich in meinem Städtchen
die Art des Berufs. Denn weil er in der ganzen Gegend den
besten Branntwein brennt, so hat es der Kirchenvorsteher für billig
gehalten, ihm das Küsteramt und die Unterweisung der Jugend
anzuvertrauen.
Diese wenigen Exempel beweisen schon genug, wie wunder-
bar oftmals die Wege sind, zu einem Amte zu gelangen. Die
Ausschweifung würde überflüssig fein, wofern ich nicht ver-
sichern könnte, dass der Stadtschreiber, der Amtmann und die
Geistlichen in Gesellschaften niemals von ihrem Amte reden, ohne
Gott mit darein zu mengen, der es ihnen gegeben haben soll.
6. Mycon.
(Gessner, Idyllen.)
Von Miletus kamen wir, Milon und ich, Apollen unser
Opfer zu bringen. Schon sah’n wir von ferne den Hügel, auf
2*
20
dem der Tempel auf glänzenden Säulen aus dem Lorbeerliain
hoch in die blaue Luft emporlieht; und weiter hinaus flimmerte
dem Auge endlos die Ausfleht ins Meer.
Mittag war's, und der Sand brannte unsere Sohlen und die
Sonne die Scheitel, so gerade stund sie über uns, dass die
Locken an der Stirne ihre Schatten das ganze Gefleht herunter
warfen. Die Eidechse schlich lechzend im Farrenkraut am Weg,
und die Grille und die Heuschrecke zwitscherten unter dem
Schatten der Blätter im gefengeten Grase. Von jedem Tritt
flog heisser Staub auf, und brannte die Augen, und fass auf den
gedörrten Lippen. So gingen wir schmachtend. Aber wir ver-
längerten die Schritte, denn vor uns sah’n wir am Weg dicht
emporstehende Bäume; schwarz war der Schatten unter ihnen
wie Nacht. Mit schauerndem Entzücken traten wir da in die
lieblichste Kühlung. Entzückender Ort, der so plötzlich mit
jeder Erquickung uns überraschte! Die Bäume umkränzten ein
grosses Becken, worein die reinste kühlste Quelle fleh ergoss. Die
Aeste hingen ringsum zu ihr herunter, mit reifen Aepfeln und
Birnen behängen, und zwischen den Stämmen flatterten frucht-
bare Gesträuche, Krauseibeeren und Brombeeren und die Erbsel-
staude. Aber die Quelle rauschte aus dem Fuss eines Grabmals
hervor, das Geissblatt und die schlanke Winde und schleichender
Epheu umwanden. Götter, so rief ich, wie lieblich ist dieser
Ort der Erquickung! Heilig und gesegnet sei mir, der diese
Schatten so gutthätig gepflanzt hat; vielleicht ruht seine Asche
hier. Hier, sprach Milon, hier an der Vorderseite des Grabmals
sehe ich unter den Banken von Geissblatt eingegrabene Züge.
Vielleicht sagen uns die, wer er ist, der so für des Wanderers
Erfrischung sorgt. Und jetzt hob er die Banken mit seinem
Stabe in die Höhe und las: Hier ruhet die Asche des Mycon'■
Gutthätigkeit war fein ganzes Leben. Lange nach seinem Tode
wollte er noch Gutes thun, und leitete diese Quelle hieher und
pflanzte diese Bäume.
Gesegnet sei deine Asche, du Bedlicher, so sprach ich, ge-
segnet die Deinen, die du zurückflössest! Und da kam Jemand
unter den Bäumen hervor; ein schönes Weib war’s von schlanker
Gestalt und edlem Ansehen. Einen Wasserkrug trug sie am
Arm und so kam sie zu der Quelle. Seid mir gesegnet
diesem Schatten, so redete sie mit holder Freundlichkeit, ihr seid
Fremde; vielleicht hat ein zu weiter Weg bei der Sonnenhitze
euch ermüdet. Sagt, kann zu eurer Erfrischung noch etwas euch
dienen, als was ihr hier findet. Sei uns gesegnet, so erwie-
derten wir, gutthätiges Weib. Wir bedürfen keiner andern Er-
frischung; friss hat uns diese Quelle, süss diese Früchte und
dieser Schatten erquickt. Ehrfurcht erfüllt uns für den Bedlichen,
21
dessen Asche hier ruht, der so für die Bedürfnisse des Wan-
derers sorgte. Du bist von dieser Gegend, du kanntest den
Mann, sag’ uns, indess dieser heilige Schatten uns kühlt, sag'
uns, wer er war.
Jetzt stellte die Frau ihren Wasserkrug auf den Fuss des
Grabmals, lehnte sich drauf und sprach mit freundlichem Lächeln:
Mycon, so hiess er, der die Götter ehrte, dessen süsseste
Wollust war, andern Gutes zu thun. ln dieser ganzen Gegend
wird kein Hirt sein, der nicht mit Freundschaft und Dankbar-
keit sein Andenken ehrt; keiner, der nicht Geschichten seiner
Redlichkeit und seiner Güte mit Freudenthränen erzählt. Ich
selbst, ich dank's ihm, dass ich das glücklichste Weib bin —
hier glänzten Thränen in ihren Augen — das Weib seines
Sohnes. — Mein Vater war gestorben; in kummervoller Armuth
liess er ein redliches Weib und mich zurück. In häuslicher
Stille, von unserer Arbeit und frommer Gutthätigkeit genähret,
lebten wir, und Tugend und Frömmigkeit war unser einziger
Reichthum. Zwo Ziegen gaben uns ihre Milch, und ein kleiner
Baumgarten feine Früchte. Nicht lange lebten wir in dieser
Ruhe; auch meine Mutter starb, und hinterliess mich trostloses
Kind. Aber Mycon nahm mich in fein Haus und übergab mir
häusliche Geschäfte, und war mehr mein Vater, als mein Herr.
Sein Sohn, der beste und schönste Hirte der ganzen Gegend,
sah meine redliche Geschäftigkeit und meine aufmerksame Sorge,
meines Glückes werth zu fein; er sah es und liebte mich, und
sagt’ es mir, dass er mich liebte. Was in meinem Herzen ich
empfand, wollt’ ich mir selbst nicht gestehen. 0 Dämon, Dämon!
Vergiss deine Liebe! Ich armes Mädchen bin glücklich genug,
die Dienstmagd deines Hauses zu fein! So fleht’ ich ihn immer,
aber er vergase feine Liebe nicht. Eines Morgens war ich eben
im Vorhaus beschäftigt, die Wolle der Heerde zur Arbeit zu
rüsten, da trat Mycon herein, und setzte sich neben mir an
die Morgensonne; lange sah er mit freundlichem Lächeln mich
an. Kind, so sprach er jetzt, deine Frömmigkeit, deine Ge-
schäftigkeit, dein ganzes Betragen gefallen mir so wohl; du bist
das beste Kind, und ich will, geben die Götter das Gedeihen,
ich will dich glücklich sehn! Könnt’ ich, mein bester Herr,
könnt’ ich glücklicher sein, als wenn ich deiner Gutthaten würdig
bin? So antwortete ich, und Thränen der Darkbarkeit flössen
von meinen Wangen. Kind, sprach er, ich möchte das Andenken
deines Vaters und deiner Mutter ehren; ich möcht’ in meinem
Alter meinen Sohn und dich glücklich seh n. Er liebt dich;
kannst du, sag’ mir’s, kannst du durch feine Liebe glücklich
fein? Jetzt entsank die Arbeit meiner Hand; zitternd erröthend
fand ich vor ihm. Er nahm meine Hand; und, kannst du, so
22
sagt’ er, kannst durch, feine Liebe glücklich fein? Ich fiel vor
ihm nieder, drückte im stummen Entzücken feine Hand an mein
bethräntes Gesicht; und von selbigem Tag bin ich das glück-
lichste Weib. Jetzt trocknete sie ihre Augen. Das war der
Mann, der hier ruhet, so fuhr sie fort. Aber wie er diese
Quelle hierher geleitet, und diese Schatten gepflanzt hat, das
wünscht ihr noch zu wissen, und ich will’s euch erzählen:
Gegen das Ende seines Lebens ging er oft und setzte sich
hier an der Strasse, grüfste freundlich den Wanderer und bot
dem Armen und dem Müden Erquickung. Wie, wenn ich einen
kühlen Schatten von fruchtbaren Bäumen hier pflanzte und
eine kühle Quelle in diesen Schatten leitete? Weither ist keine
Quelle und kein Schatten. So erquick’ ich, wenn ich lange
nicht mehr bin, den Müden, und den, der an der Sonnenhitze
schmachtet. So sprach er, und liess vom Feld her die kühlste
Quelle leiten und pflanzte fruchtbare Bäume umher, die früher
oder,später reifen. Die Arbeit war vollendet, und jetzt ging er
zum Tempel des Apolls, opferte und bat: Lass, was ich pflanzte,
gedeihen; so kann der Fromme, der fernher zu deinem Tempel
geht, im kühlen Schatten sich erfrischen.
Der Gott hatte seine Bitte gnädig erhört. Den folgenden
Morgen erwacht’ er frühe, und sah aus seinem Fenster auf die
Strasse. Da sah er, wo er die Sprösslinge pflanzte, hochaufge-
wachsene Bäume. Götter, so rief er, was seh’ ich! Kinder, sagt
mir’s, täuscht mich ein Traum? Ich sehe, was ich gestern ge-
pflanzt, zu Bäumen emporgewachsen. Voll heiligen Erstaunens
gingen wir jetzt unter den Schatten; im vollsten Wüchse stunden
die Bäume da, und streckten die starken Aeste weit umher; die
Last der reifen Früchte bog sich herunter zum blumigen Gras-
0 Wunder, so rief der Greis, ich Alter soll selbst noch in diesen
Schatten wandeln! Und wir dankten und opferten dem Gotte,
der so gnädig noch mehr als feine Wünsche erfüllte. Aber ach!
Er wandelte nicht lange mehr in diesen Schatten; er starb und
wir begruben ihn hier; dass der, welcher in diesen Schatten
ruhet, dankbar seine Asche segne. — So erzählte sie. Gerührt
segneten wir die Asche des Redlichen. Süss hat uns die Quelle,
stiss der Schatten erquickt; aber mehr noch, was du uns so
freundlich erzähltest! fei uns gesegnet! So sprachen wir und
gingen voll frommer Empfindung zum Tempel des Apolls und
opferten.
7. Der Habicht.
(T. Jac. Engel, „Der Philosoph für die Welt.'4)
Verdammter Dieb! — schrie der hypochondrische Tuff, als
vor unsern Augen ein Habicht auf ein Küchlein herabschoss
23
und es erwürgte. — Sein äusserst ängstlicher Ton machte mich
lachen. Er war, als ob er die diebische Klaue an seinem eignen
Herzen ftihlte.
Freund, fing ich an, wenn Sie aus alles, was junge Hühner
stiehlt, so ergrimmt sind, so möcht’ ich wissen, wie Sie sich
selbst ertragen. Denn, wohl bedacht, sind Sie der schlimmste
Habicht im Lande. — Tuff, wie man wissen muss, lebte bei
feiner Brunnencur wie ein andrer Law oder Neuton, von nichts
als Hühnern. .Vlies andere Fleisch, sagte sein Arzt, wäre zu
schwer, und Gemüse wäre zu blähend. Er fand, dass ich Recht
hatte, und ward noch ängstlicher als zuvor. — Schlimm genug,
sagte er endlich, dass ich armer schwächlicher Mann ohne
Hühner nicht leben kann!
Das kann der Habicht auch nicht, mein lieber Tuff. Was
ihnen der Arzt verbeut, das hat ihm selbst die Natur verboten,
ihm bekommt kein Gemüse.
• Dieser Grund war zu einleuchtend , und setzte den Habicht
2u genau in den eignen Fall unseres Tuff, als dass er noch
hätte weiter können. Er sah sich ausdrücklich nach der Stelle
Um, wo der . Fang geschehen war, und that dem Räuber eine
Ehrenerklärung. — Aber, sing er nun an: die Natur! die Natur!
Und dann reclínete er mir mit einer wunderswürdigen Fertigkeit
des Gedächtnisses — ob er gleich alles Gedächtniss glaubte ver-
loren zu haben — eine Menge von Raubthieren her, die er
aus allen Elementen und Himmelsstrichen zusammenbrachte. Ist
nicht die Natur, schloss er endlich, eine grausame Mutter? Zeigt
sich nicht ein offenbarer Widerspruch in ihren Werken und
Anstalten ?
Ein Widerspruch, lieber Tuff? Sie bedenken nur nicht, was
dann folgen würde. Mit Widersprüchen könnte ja die Natur
nicht bestehen.
Warum nicht? — Sie besteht, wie trotz allen seinen Krank-
heiten mein Körper besteht-, und Krankheiten sind ja auch nichts
anders als Widersprüche in der Maschine.
Nun es fei einer! Ich gebe nach, lieber Tuff. — Aber
Wenn Sie manchmal die unangenehme Empfindung haben, als
ob Sie läuten hören; wo vermuthen Sie dann, dass das Läuten
ist? Auf dem Thurm oder in ihrem Kopfe?
Sonderbar, es ist freilich in meinem Kopfe.
Und woher, glauben Sie, dass es kommt?
Von der Schwäche meiner Nerven vermuthlich.
Nun also! die Anwendung gemacht! — Auch jene Wider-
sprüche sind einzig in ihrem Kopfe, und entstehen von der Schwäche
Ihrer Vernunft.
Das kann fein, sagte Tuff; ich will’s glauben. — Aber
24
wahrlich, mein Freund! — und er holte aus voller Brust einen
Seufzer — bei so schwachen Nerven, wie ich sie habe, wäre
es besser, lieber gar nicht zu leben. Man wird fein Leben nur
durch widrige Empfindungen inne. — Und bei so ohnmächtigen
Kräften unsrer Vernunft, wäre es da auch nicht besser, keine zu
haben? Man merkt ja kaum, dass man sie hat, als durch Zweifel
und Unruhen.
Wie spricht denn aber Ihr Arzt, wenn Sie ihm Ihre Zufälle
klagen ?
Muth! Muth! spricht er immer.
Sehr recht! denn auf Muth kommt's nur an. — Mit etwas
mehr Vertrauen zu ihren Kräften und einem etwas fleißigeren
Gebrauch dieser Kräfte würden Sie bald — nicht zu einem
völlig gesunden, aber doch zu einem ganz erträglichen Leben
kommen. Mit der Vernunft, lieber Tuff, ist’s das Gleiche. Sie
darf ihren Kräften nur trauen, und darf sie nur unermüdet ge-
brauchen , so wird sie gewiss — nicht zu einer ganz zweifel-
freien, aber doch zu einer ganz beruhigenden Einsicht kommen. —-
Um mit dem vorhabenden Fall einen Versuch zu machen,
tragen Sie ihren Widerspruch einmal vor!
Braucht es das noch? Ist es nicht klar, was ich will? —-
Wenn ich von der einen Seite die Natur betrachte, o, da ist
alles so mütterlich, so weife, so gütig. Ich finde die vortreff-
lichsten Anstalten zur Erhaltung ihrer Geschöpfe, die sorgsamste
Verwahrung der inneren Quellen des Lebens, die schicklichsten
Werkzeuge zum Ausspähen und zum Ergreifen der Nahrung,
unaufhörliche Thätigkeit aller Elemente Nahrung hervorzubringen,
unerschöpflich reiche Werkstätten der Erzeugung, mächtige In-
stincte den Müttern und Jungen zur Erhaltung der Gattung
eingeprägt. Aber von der anderen Seite? — o, da ist alles
wieder so wild, so fürchterlich, so tyrannisch! Ich sehe so viel
mörderische nach Blut lechzende, zum Blutvergießen gerüstete
Thiere; sehe so viel Bachen und Klauen gewaflhet, so viel
Gewebe und Gruben bereitet, so viel Stachel und Zungen ver-
giftet: dass meine ganze Vernunft daran irre wird, und mein
ganzes Herz nicht weiß, soll es mehr Vergnügen oder mehr
Abscheu empfinden.
Versteh' ich Sie, lieber Tuff? Sie wollen sagen, dass es die
Natur fast so arg macht als der Herr dieses Landgutes. — Die
Gegend umher war ihm zu offen, zu öde, er wünschte den
Prospect durch ein schattiges Wäldchen zu schließen, maß ein
unfruchtbares Stück Land ab, und säete Fichten darauf. Jetzt,
da die jungen Bäume pfeilgerade nebeneinander aufgeschossen
sind, und den lieblichsten Schatten bieten, was thut er? Er
schickt Arbeiter drüber, legt allenthalben eine unbarmherzige Axt
25
an und lässt weit über die Hälfte des Waldes niederhauen. —
Ebenso nun glauben Sie. —
Nicht doch, nicht doch! rief Tuff. Jener Aushau war noth-
wendig, selbst zur Erhaltung des Waldes. Wenn alles so ins
Wilde hineinwüchse, so würde bald nichts mehr wachsen, denn
Eins würde das Andere ersticken. Wir würden am Ende ein
Weit kleineres Wäldchen haben, und dieses Wäldchen würde weit
ünvollkommner sein.
Meinen Sie doch? Nun, so wäre ja eben dies ein Beweis,
dass oft ein Zweck durch Mittel erreicht wird, die ihm Anfangs
durchaus entgegen schienen. — Lassen Sie uns jetzt vor allen
Eingen den Zweck der Schöpfung suchen! — Worin setzen Sie
ihn? In ihre todten oder in ihre lebendigen Werke?
In die letzteren, versteht sich.
Also, wenn eben die Erhaltung des Lebens, die Starke des
Lebens, die Fülle des Lebens jene Aufopferungen nothwendig
machte, so wäre die Natur vollständig gerechtfertigt? Nicht? —
Eenn Sie wollen doch so viel Leben als nur bestehen kann?
End wollen doch dieses Leben so gesund, so blühend, als
möglich ?
Wie anders? — Wenn ich das Leben als Zweck will,
f° muss ich auch viel Leben wollen, und glückliches Leben.
Gut, lieber Tuff! Wir bevölkern also alle Himmelsstriche,
alle Elemente mit Leben. Wo wir nur irgend ein Nahrungs-
mittel in der leblosen Natur finden, da setzen wir eine Thier-
art hin, die es geniesse. Nicht wahr?
Allerdings! —
Mithin behalten wir alle die Thierarten bei, die lieh von
Eras, von Wurzeln, von Kräutern, von Hölzern, von Blumen,
von Blättern, von Moos, allenfalls auch von den übel-flüssigen
Säften der anderen Thiere nähren. Meinen Sie nicht? Ohne
^Weisel! —
Hingegen alle Raubthiere schaffen wir fort: alle blutgierigen
Eiger verbannen wir; alle Gruben der Ameisenlöwen schütten wir
zü; alle hinterlistigen Spinneweben stäuben wir aus allen Winkeln
Natur rein heraus?
Ganz recht! Rein heraus! rief er freudig.
Aber die Habichte, Tuff? — Die ungefiederten wenigstens!
Nein, auch damit fort! lasst sie Gemüse essen. Auch mit
Iltissen fort! Aus jedem Ei muss nun ein Küchlein und
atm jedem Küchlein ein Huhn werden. —
Recht! Und dann und wann auch ein Hahn! Damit wir
m^ch mehr Leben bekommen und glückliches Leben.
Nun jawohl! Auch ein Hahn. Das versteht sieh. - 0, ich
fange an, mich in die Natur, wie sie jetzt wird, zu verlieben.
26
Dieses ungestörte Glück aller Geschöpfe, diese holdselige Ein-
tracht. Dieser tiefe, unschuldige, allgemeine Frieden — —
Schön! Allerdings! Aber wir wollen doch mit der Vernunft
einmal zusehen, was wir hier mit der Einbildung gemacht
haben. — Wär’ es Ihnen denn recht, lieber Tuff, dass kein
andrer lebendiger Laut in der ganzen Natur erschallte, als Halmen-
gekräli und Hühnergeschrei?
Doch gefetzt, dass Sie auch hier wieder Mittel fänden, die
Thiere können doch nicht ewig so fortleben? Die Kräfte der
Natur müssen sich doch endlich erschöpfen?
Nun ja! erschöpfen freilich; nur nicht gewaltsam in der
besten Blüthe vertilgt werden.
Aber wenn sie sich nun erschöpfen? — Wir bekommen da
eine unendliche Menge von Leichnamen; denn wie wir wissen,
ist die Natur einer unbegreiflichen Menge Lebens fähig, und so
viel Leben soll doch da sein, als nur immer bestehen kann. —-
Was fangen wir mit diesen Leichnamen an?
Was die Natur damit anfängt! — Wir übergeben sie der
Verwesung, lassen die zerstörten organischen Theile sich in ihre
Elemente auflösen, befruchten damit den entkräfteten Erdboden,
treiben neue Früchte und Nahrungsmittel zur Erhaltung jeder
Nachwelt heraus; und so im Kreisläufe fort.
Wenn nur das nicht Zeit brauchte, mein Freund! Wenn
nur diese Auflösung das Werk eines Augenblicks wäre! — Er-
innern Sie sich, wie es uns neulich dicht am Fichtenwäldchen er-
ging? was für schnelle Beine Sie da bekamen.
0, ums Himmels willen! rief Tuff, indem er mit abge-
wandtem und vor Ekel ganz verzerrtem Gesichte zurücktrat, an
was erinnern Sie mich? Wissen Sie, dass mir das scheussliche
Bild noch jetzt Athem versetzt? dass ich die ganze Nacht
durch — — — —
Stille! stille davon! Wo ich Sie in’s Erzählen Ihrer Zufälle
lasse, so ist's um unser Gespräch gethan, und das wäre doch
schade. —Sie sehn also nun, dass unsere zu weichherzige Güte
Grausamkeit wird; dass wir den Thieren die Luft, die sie ein-
athmen, verpesten, sie tausend unangenehmen und schmerzhaften
Empfindungen aussetzen, und ihnen endlich ein frühes Grab be-
reiten. Sie sehen, dass wir dem gar zu ängstlichen Schönen des
Lebens zu wirklichen Verschwendern des Lebens werden.
Nicht so recht, Sie überschleichen mich, däucht mir. — Ich
habe Ihnen nur so viel Leben eingeräumt, als zusammen bestehen
könnte. Setzen Sie also gleich Anfangs nicht mehr, als dass
keine Fäulniss, keine Verpestung der Luft zu besorgen stehe.
Aber wenn ich das fetze, — können Sie wissen, auf welche
geringe Anzahl Sie das Leben nun einschränken; oder ist es
27
nicht blosser Eigensinn, zur Verhütung alles Mordes die Zahl
der Wesen, die sich ihres Daseins freuen und glücklich fein können,
so sehr vermindern zu wollen? — Sterben müssen sie doch die
Xliiere; und wer sagt Ihnen denn, dass der gewaltsame Tod
nicht, ebenso wie er der kürzeste ist, auch der leichteste fei? —
Der leichteste? Man stirbt noch leichter, denk' ich, vor
Alter, wo Sterben nur Einschlummern heisst. — Und kommt's
denn nur darauf an, leicht zu sterben? Nicht auch glücklich
zu leben? Werden die Thiere denn nicht zum Leben, nur zum
lode geboren?
Aber sie dürfen nicht alle sterben. Das heisst, den Tod
der Natur nicht. Wir find schon einig über den Punkt.
Er stand stille, und überlegte ein wenig. — Schon einig?
Wir sind’s noch nicht, rief er aus. — Wie, wenn selbst der An-
blick beim Wäldchen mir hier zu statten käme? Wie, wenn
die Natur ihre Anstalten wider die Verpestung bereits gemacht
batte ?
Die möcht’ ich kennen. Die wären? — 0, erinnern Sie
sich! — Jene zahmem Raubthiere, die sich aus der Luft, aus
den Wäldern, aus dem Staube herzufinden, die aus den Ruinen
der todten Körper selbst zu Legionen geboren werden, ihre in
l'äulniss übergehenden Säfte sogleich wieder in frische zu ver-
handeln , und der Erde kaum andere Befruchtungstheile lassen,
als die reinern, gesündern, die von ihnen selbst, als lebendigen
Thieren, abgetrieben und ausgedunstet werden. — Sollten nicht
diese Thiere zur Reinigung der Luft und mithin zur Erhaltung
des Lebens und der Gesundheit hinlänglich sein?
Nein! Denn auch sie werden Leichen. Es ist kein Grund
vorhanden, warum wir nur sie von der Begnadigung ausnehmen
hellten. — Und wenn also auch sie sterben, so kommt ja das
Uebel, das wir vermeiden wollten, zurück, obgleich freilich ein
henig später.
Sei es. Es kommt zurück; aber vermindert. Das Thier
bat bei seinem Leben mehr köiperliche Theile verzehrt, als es
bei seinem Tode zurücklässt. Und eben darum, dächt' ich, wenn
hir für jene Schwärme andere und wieder andere ersännen,
ünd wieder, endlich müssten wir dann so weit kommen, dass
der eigentlichen unmittelbaren Verwesung nur wenig, ganz wenig
bliebe.
Sehr fein. — In der That! — Nur möcht ich dann ein-
gehen, warum wir neulich davon liefen? Jene Thiere, die der
Verpestung vorbeugen sollen, waren doch so zahlreich vorhanden.
Ja, aber der scheussliche Anblick!
0, nicht doch! Seien Sie aufrichtig, Freund! Wenn der An-
blick scheufslich war, so war er’s nur, weil er an die Atmo-
28
Sphäre erinnerte. Das Gesicht an sich ist nicht ekel. — Und
wo mir recht ist, so fuhren wir mit der Hand nach der Nase,
nicht nach den Augen.
Er ward auf einmal stille und blickte nieder. — Sie sehen,
wie erstaunlich schwach jetzt mein Kopf ist.
Verzeihen Sie, nur die Sache war schwach. Wer klüger
als die Natur fein will, der zieht freilich den Kürzeren. — Sie
geben mir also zu, dass wir die Welt durch unsere Einrichtungen
unendlich verschlimmert haben? —
, Es scheint wohl nicht anders.
Nun wohl denn! So müssen wir sehen, wie wir helfen. —
Ich wüsste hier freilich ein Mittel, ein meines Bedünkens sehr
heilsames Mittel, allein — ob Sie’s billigen werden? — —
Lassen Sie hören! Warum nicht? — —
Die Vortheile zwar, die wir erhielten, wären unendlich.
Wir liessen nicht nur unfern fruchtfressenden Thieren ihre ganze
Vermehrbarkeit, liessen nicht nur Millionen, die nach unserm
ersten Plan würden gefehlt haben, geboren werden, und doch
alle ihr Dasein gemessen, alle Freude empfinden und Freude
hervorbringen: wir brächten auch noch mehr Leben, noch mannig-
faltigeres, höheres, wirksameres Leben in die Natur, das ohne
dieses Mittel durchaus nicht da fein würde.
Und wie das? wodurch das? — rief er ganz ungeduldig-
Durch — durch eben das, was die ganze Natur erhält r
durch Kräfte, die einander entgegenkämpfen und sich immer das
Gleichgewicht halten.
Durch Einführung der Baubthiere, wollen Sie sagen?
Wie anders? Sollte wohl ein so schwaches kurzsichtiges Ge-
schöpf, wie der Mensch, auf wahrhaft weise Mittel gerathen
können, die der allsehende Schöpfer nicht schon lange vor ihm
gekannt und angewandt hätte? Ist auch nur der schwächste
Schimmer von Licht in unserer Seele, den nicht unsere Finster-
niss von ihm, als der einzigen Quelle des Lichtes aufgefangen
hätte? Kann unser Verstand etwas anders als feiner Herrlichkeit
nachsehn? — — Kurz, wir setzen den Menschen in die Natur,
dass er täglich Millionen Leben zerstöre und sogleich wieder m
Lebenssäfte verwandle; wir lassen für jede fruchtfressende Thier-
art auf Erden, in der Luft, in Flüssen, im Meer, im Staube, >n
allen bewohnten Elementen und Himmelsstrichen Räuber zu, die
immer für tausend und mehr Leichen nur Eine geben, ja zum
Theil wieder Andern zur Nahrung dienen, ehe sie selbst noch
zu Leichen werden. Was dann übrig bleibt, das geben wir
senen Thieren und Würmern, die von gefallenen Körpern leben,
zum Raube. — Der Mensch, so wie er das Haupt der thierischen
Schöpfung ist, so ist er auch das wichtigste Mittel ihrer Er-
29
Haltung; denn sein Geschlecht ist sehr zahlreich, er bringt sein
Leben sehr hoch, er raubt durch alle Gattungen durch, er hat
die Vernunft seine Todten zu verbrennen, oder in die Ende zu
scharren, und wenn ihm der Leichen von anderen Thieren zu
viel werden, auch diese. — So und nicht anders, mein Freund.-
Ich sehe es, Sie haben Recht! fiel er mir ein. Der Schöpfer
hat wahrlich wohlgethan, — und er lächelte, — dass er feine
Welt schuf, ohne meinen Rath zu erwarten.
8. Hippias und Agathon.
(Aus dem Roman „Agathon“ von Wieland.)
Die Wohnung des Hippias war auf der mittäglichen Seite
von Gärten umgeben, in deren weitläufigem Bezirke die Kunst
Und der Reichthum alle ihre Kräfte aufgewandt hatten, die ein-
fältige Natur mit ihren' eignen und mit fremden Schönheiten zu
Überladen. Gefilde voll Blumen, die aus allen Welttheilen ge-
lümmelt jeden Monat zum Frühling eines andern Klimas machten,
Lauben von allen Arten wohlriechender Stauden, Lustgänge von
Oitronenbäumen, Oelbäumen und Gedern, in deren Länge der
schärfste Blick sich verlor, Haine von allen Arten fruchtbarer
Bäume, und Irrgänge von Myrten, und Lorbeerhecken mit Rosen
von allen Farben durchwunden, wo tausend marmorne Najaden,
die sich zu regen und zu athmen schienen, kleine murmelnde
Bäche zwischen die Blumen hingossen, oder mit muthwilligem
Plätschern in spiegelhellen Brunnen spielten, oder unter über-
hangenden Schatten von ihren Spielen auszuruhen schienen: alles
dies machte die Gärten des Hippias den bezauberten Gegenden
ähnlich, diesen Spielen einer dichterischen und malerischen Phan-
tasie, welche man erftaunt ist ausserhalb seiner Einbildung zu
sehen. Hier war es, wo Agathon feine angenehmsten Stunden
zubrachte; hier fand er die Heiterkeit der Seele wieder, die
er dem angenehmsten Taumel der Sinne unendlich weit vorzog;
hier konnte er sich mit sich selbst besprechen; hier war er von
Gegenständen umgeben, die sich zu seiner Cremüthsbesehaffenheit
schickten; wiewohl die seltsame Denkart, wodurch er die Er-
wartung des Hippias so sehr betrog, auch hier nicht ermangelte,
lein Vergnügen durch den Gedanken zu vermindern, dass alle
(hefe Gegenstände weit schöner wären, wenn sich die Kunst
nicht angemafset hätte, die Natur ihrer Freiheit und rührenden
Einfältigkeit zu berauben. Oft, wenn er beim Mondschein, den
er mehr als den Tag liebte, einsam im Schatten lag, erinnerte
er sich der frohen Scenen seiner ersten Jugend; der unbeschreib-
lichen Eindrücke, die jeder schöne Gegenstand, jeder ihm neue
30
Auftritt der Natur auf seine jugendlichen unverwöhnten Sinne
gemacht hatte; der siissen Stunden, die ihm in den Entzückungen
einer ersten und unschuldigen Liebe zu Augenblicken geworden
waren. Diese Erinnerungen, mit der Stille der Nacht und dem
Gemurmel sanfter Bäche und sanftwehender Sommerlüfte, wiegten
seine Sinne in eine Art von leichtem Schlummer ein, worin die
innerlichen Kräfte der Seele mit verdoppelter Stärke wirken-
Dann bildeten lieh ihm die reizenden Aussichten einer bessern
Zukunft vor; er sah alle seine Wünsche erfüllt, er fühlte sich
etliche Augenblicke glücklich, und erwachte er wieder, so be-
redete er sich, dass diese Hoffnungen ihn nicht so lebhaft rühren,
nicht in eine so gelassene Zufriedenheit senken würden, wenn es
nur nächtliche Spiele der Phantasie, und nicht vielmehr inner-
liche Ahnungen wären, Blicke, welche der Geist in der Stille
und Freiheit, die ihm die schlummernden Sinne lassen, in die
Zukunft und in eine weitere Sphäre thut, als diejenige, die von
der Schwäche seiner körperlichen Sinne umschrieben wird.
In einer solchen Stunde war es, als Hippias, den die An-
muth einer schönen Sommernacht zum Spaziergang einlud, ihn
unter diesen Beschauungen überraschte, denen er, in der Meinung
allein zu sein, sich zu überlassen pflegte. Hippias blieb eine
Weile vor ihm stehen, ohne dass Agathen seiner gewahr wurde;
endlich aber redete er ihn an. und liess sich in ein Gespräch
mit ihm ein, welches ihn nur allzusehr in dem Argwohne be-
stärkte, den er von dem Hang unsers Helden zu demjenigen,
was die Welt Schwärmerei nennt, bereits gefasst hatte. —
Du scheinst in Gedanken vertieft, Kallias?
„Ich glaubte allein zu fein."
Ein andrer an Deiner Stelle würde die Freiheit meines Haufe»
anders zu benützen wissen. Doch vielleicht gefällst Du mir um
dieser Zurückhaltung willen nur desto besser. Aber mit was
für Gedanken vertreibst Du Dir die Zeit, wenn man fragen darf ?
„Die allgemeine Stille, der Mondschein, die rührende Schön-
heit der schlummernden Natur, die mit den Ausdünstungen der
Blumen durchwürzte Nachtluft, tausend angenehme Empfindungen,
deren liebliche Verwirrung meine Seele trunken machte, setzten
mich in eine Art von Entzückung, worin ein andrer Schauplatz
von unbekannten Schönheiten sich vor mir aufthat; es war nur
ein Augenblick, aber ein Augenblick, den ich um eines von den
Jahren des Königs von Persien nicht vertauschen wollte."
Hippias lächelte.
„Dieses brachte mich auf die Gedanken, wie glücklich der
Zustand der Geister fei, die den groben thierischen Leib abge-
legt haben, und im Anschauen des wesentlichen Schönen, ‘des
Unvergänglichen, Ewigen und Göttlichen, Jahrtausende durch-
31
leben, die ihnen nicht länger scheinen als mir dieser Augenblick;
und in den Betrachtungen, denen ich hierüber nachhing, bin ich
von Dir überrascht worden.“
Du schliefst doch nicht, Kallias? Du hast, wie ich sehe,
ui ehr Talente als ich Dir zutraute; Du kannst auch wachend
träumen ?
„Es giebt vielerlei Art von Träumen, und bei einigen Men-
schen scheint ihr ganzes Leben Traum zu fein. Wenn meine
Vorstellungen Träume sind, so sind sie wenigstens angenehmer
als alles, was ich in dieser Zeit wachend hätte erfahren können.“
Du gedenkest also vielleicht selbst einer von diesen Geistern
zu werden, die Du so glücklich preisest?
„Ich hoff es zu werden, und würde ohne diese Hoffnung
Dein Dasein für kein Gut achten.“
Besitzest Du etwa ein Geheimniss, körperliche Wesen in
geistige zu erhöhen, einen Zaubertrank von der Art derjenigen,
Womit die Med een und Circen der Dichter so wunderbare Ver-
wandlungen zuwege bringen?
„Ich verstehe Dich nicht, Hippias.“
»So will ich deutlicher fein. Wenn ich anders Dich ver-
standen habe, so hältst Du Dich für einen Geist, der in einen
thierischen Leib eingekerkert ist.
„Wofür sollt’ ich mich sonst halten?“
Sind die vierfüssigen Thiere, die Vögel, die Fische, die Ge-
würme auch Geister, die in einen thierischen Leib eingeschlossen
sind?
„Vielleicht. “
Und die Pflanzen?
„Vielleicht auch diese.“
Du brauchst also keine Hoffnung auf ein Vielleicht. Wenn
die Thiere vielleicht auch nicht Geister sind, so bist Du vielleicht
oben so wenig einer; denn dies ist einmal gewiss, dass Du ein
Thier bist. Du entstehest wie die Thiere, wächsest wie sie,
hast ihre Bedürfnisse, ihre Linnen, ihre Leidenschaften, wirst er-
halten wie sie, vermehrest Dich wie sie, stirbst wie sie, und wirst
Wie sie wieder zu einem bischen Wasser und Erde, wie Du vor-
her gewesen warst. Wenn Du einen Vorzug vor ihnen hast, so
ist es eine schönere Gestalt, ein Paar Hände, mit denen Du mehr
ausrichten kannst als ein Thier mit seinen Pfoten, eine Bildung
gewisser Gliedmassen, die Dich der Rede fähig macht, und ein
lebhafterer Witz, der von einer schwächem und reizbarem Be-
schaffenheit Deiner Fibern herkommt, und dennoch alle Künste,
Womit wir uns so gross zu machen pflegen, den Thieren abge-
lernt hat.
32
„Wir haben also lehr verschiedene Begriffe von der mensch-
lichen Natur, Du und ich.“
Vermuthlich, weil ich sie für nichts anders halte, als wofür
meine Sinnen und eine Beobachtung ohne Vorurtheile sie mir
geben. Doch ich will freigebig fein; ich will Dir zugeben, das-
jenige, was in Dir denkt, fei ein Geist und wesentlich von Deinem
Körper unterschieden. Worauf gründest Du aber die Hoffnung,
dass dieser Geist noch denken werde, wenn Dein Leib zerstört
sein wird’? Ich will nicht sagen, dass er zu nichts werde. Aber
wenn Dein Leib durch den Tod die Form verliert , die ihn zu
Deinem Leibe machte; woher hoffest Du, dass Dein Geist die
Form nicht verlieren werde, die ihn zu deinem Geiste macht?
„Weil ich mir unmöglich vorstellen kann, dass der oberste
Geist, dessen Geschöpfe oder Ausflüsse die übrigen Geister sind,
ein Wesen zerstören werde, das er fähig gemacht hat. so glücklich
zu fein, als ich es schon gewesen bin.“
Ein neues Vielleicht? Woher kennst Du diesen obersten
Geist?
„Woher kennst Du den Meister, der diesen Amor gemacht hat?“
Weil ich ihm zusah, wie er ihn machte; denn vielleicht
könnte eine Bildsäule auch entstelln, ohne das- sie von einem
Künstler gemacht würde.
„Wie so?“
Eine ungefähre Bewegung ihrer kleinsten Elemente könnte
diese Form endlich hervorbringen.
„Eine regellose Bewegung ein regelmässiges Werk?“ *
Warum das nicht? Du kannst im Würfelspiel von ungefähr
alle drei werfen. So gut als dieses möglich ist, könntest Du
auch unter etlichen Billionen von Würfen einen werfen, wodurch
eine gewisse Anzahl Sandkörner in eine cirkelrunde Figur fallen
werden. Die Anwendung ist leicht zu machen.
„Ich verstehe Dich. Aber es bleibt allemal unendlich un-
wahrscheinlich , dass die ungefähre Bewegung der Elemente nur
eine Muschel, deren so unzählig viele an jenem Ufer liegen, her-
vorbringen könne; und die Ewigkeit selbst scheint nicht lang
genug zu sein, nur diese Erdkugel, diesen kleinen Atomen des
ganzen Weltgebäudes, auf solche Weise entstehen zu machen.“
Es ist genug, dass unter unendlich vielen ungefähren Be-
wegungen, die nichts regelmässiges und dauerhaftes hervorbringen,
eine möglich ist, die eine Welt hervorbringen kann. Dies setzt
der Wahrscheinlichkeit Deiner Meinung ein Vielleicht entgegen,
wodurch sie auf einmal entkräftet wird. „So viel als das Ge-
wicht einer unendlichen Last, durch die Hinwegnahme eines ein-
zigen Sandkorns.“
33
Du hast vergessen, dass eine unendliche Zeit in die andere
Wagfehale gelegt werden muss. Doch ich will diesen Einwurf
fahren lassen, ob er gleich weiter getrieben werden kann-, was
gewinnt Deine Meinung dadurch? Vielleicht ist die Welt immer
in der allgemeinen Verfassung gewesen, worin sie ist? — Viel-
leicht ist sie selbst das einzige Wesen, das durch sich selbst be-
stehet? — Vielleicht ist der Geist, von dem Du sagtest, durch
die wesentliche Beschaffenheit seiner Natur gezwungen, diesen all-
gemeinen Weltkörper nach den Gesetzen einer unveränderlichen
Nothwendigkeit zu beleben? Und gesetzt, die Welt sei, wie Du
meinest, das Werk eines Verständigen und freien Entschlusses;
vielleicht hat sie viele Urheber? Mit einem Worte, Kallias, Du
hast viele mögliche Fälle zu vernichten, ehe Du nur das Dasein
deines obersten Geistes ausser Zweifel gesetzt hast.
„Ein massiger Gebrauch des allgemeinen Menschenverstandes
könnte Dich überführen, Hippias, dass alle die Fälle, von denen
i>u sprichst, keine möglichen Fälle sind. Kein Mensch in der
Welt ist jemals albern genug gewesen zu glauben, dass eine un-
gefähre Bewegung der Buchstaben des Alphabets nur eine Iliade
hervorbringen könnte? Und was ist eine ungefähre Bewegung?
Was ist ein untheilbares, ewiges, nothwendiges, durch sich selbst
bestehendes Stäubchen? Oder eine durch sich selbst bestehende
Welt? Oder eine Welt, welche viele Urheber hat? Entwickle
die Begriffe, die Du mit diesen Wörtern zu verbinden glaubest,
Und Du wirst finden, dass sie einander vernichten, dass Du wirk-
lich nichts dabei denkst noch denken kannst. Die Kede ist hier
nicht davon, sich selbst muthwillig, durch willkürliche Abstrac-
honen zu betrügen, sondern die Wahrheit zu suchen; und wenn
cs Dein Ernst wäre, die Wahrheit zu suchen, wie wäre es mög-
lich, sie zu verfehlen: sie, die sich dem allgemeinen Gefühl der
Menschheit aufdringt? Was ist dieses grosse Ganze, welches wir
die Welt nennen, anders als ein Inbegriff von Wirkungen? Wo
iRt die Ursache davon? Oder kannst Du Wirkungen ohne Ursache,
°de*Kusammenhängende, regelmässige, sich auseinander entwickelnde,
Und in Einen Zweck zusammenstimmende Wirkungen ohne eine
Verständige Ursache denken? 0! Hippias, glaube mir, nicht Dein
Kopf (es müsste nur ein sehr zerrütteter Kopf sein), Dein Herz
l8t ein Gottesläugner. Deine Zweifel sind die unredlichen Aus-
richte eines Menschen, der nur darum der Wahrheit zu ent-
mischen sucht, weil er sich fürchtet von ihr beleuchtet zu werden.
Ein gerades Herz, eine unverfälschte Seele hat nicht vonnöthen,
die erste, die augenscheinlichste und die liebenswürdigste allör
Wahrheiten durch alle diese Irrgänge metaphysischer Begriffe zu
verfolgen. Ich brauche nur die Augen zu öffnen, nur mich
selbst zu empfinden, um in der ganzen Natur, um in dem Innersten
Roquetto, Deutsches Lesebuch. II. 3
34
meines eigenen Wesens den Urheber derselben, diesen höchsten
wohlthätigsten Geist zu sehen. Ich erkenne sein Dasein nicht
blos durch Vernunftschlüsse-, ich fühle es, wie ich fühle, dass
eine Sonne ist, wie ich fühle, dass ich selbst bin.“
Ein Träumender, ein Kranker, ein Wahnwitziger lieht; und
doch ist das nicht, was er sieht.
„Weil er in diesem Zustande nicht recht sehen kann.“
Wie kannst Du beweisen, dass Du nicht gerade in diesem
Punkte krank bist? Frage die Aerzte; man kann in einem ein-
zigen Stücke wahnwitzig, und in allen übrigen klug sein; so wie
eine Laute bis auf eine einzige falsche Saite wohl gestimmt sein
kann. Der rasende Ajax sieht zwei Sonnen, ein doppeltes Thebe.
Was für ein untrügliches Kennzeichen hast Du, das Wahre von
dem, was nur scheint, das, was Du wirklich empfindest, von dem,
was Du Dir nur einbildest, das, was Du richtig empfindest, von
dem, was eine verstimmte Nerve Dich empfinden macht, zu unter-
scheiden? Und wie, wenn alle Empfindung betröge, und nichts
von allem, was ist, so wäre, wie Du es empfindest?
„Darum bektimmre ich mich wenig. Gesetzt, die Sonne sei
nicht so, wie ich sie sehe und fühle; für mich ist sie darum
nicht minder so, wie ich sie sehe und fühle, und das ist für
mich genug. Ihr Einfluss in das System aller meiner übrigen
Empfindungen ist darum nicht weniger wirklich, wenn sie gleich
nicht so ist, wie sie sich meinen Sinnen darstellt, ja, wenn sie gar
nicht ist.“
Die Anwendung hiervon, wenn Dir’s beliebt?.
„Die Empfindung, die ich von dem höchsten Geiste habe,
hat in das innerliche System des meinigen den nämlichen Ein-
fluss, den die Empfindung, die ich von der Sonne habe, aut
mein körperliches System hat.“
Wie so?
„Wenn sich mein Leib übel befindet, so vermehrt die Ab-
wesenheit der Sonne das Unbehagliche dieses Zustandes. Der
wiederkehrende Sonnenschein belebt, ermuntert, erquicket mqjsten
Körper wieder, und ich befinde mich wohl oder doch erleichtert.
Eben diese Wirkung thut die Empfindung des allbeseelendem
Geistes auf meine Seele. Sie erheitert, sie beruhiget, sie ermun-
tert mich; sie zerstreut meinen Unmutli, sie belebt meine Hoff-
nung; sie macht, dass ich in einem Zustande nicht unglücklich
bin, der mir ohne sie unerträglich wäre.“
Ich bin also glücklicher als Du, weil ich alles dieses nicht
vonnöthen habe. Erfahrung und Nachdenken haben mich von
Vor urtheilen frei gemacht; ich geniesse alles, was ich wünsche,
und wünsche nichts, dessen Genuss nicht in meiner Gewalt ist-
Ich weiss also wenig von Unmuth und Sorgen. Ich hoffe wenig»
35
weil ich mit dem Genusse des Gegenwärtigen zufrieden bin. Ich
geniesse mit Mäfsigung, damit ich desto länger gemessen könne;
und wenn ich einen Schmerz ftihle, so leide ich mit Geduld,
Weil dies das beste Mittel ist, feine Dauer abzukürzen.
„Und worauf gründest Du deine Tugend? Womit nährest
und belebest Du sie? Womit überwindest Du die Hindernisse, die
sie aufhalten; die Versuchungen, die von ihr ablocken; das An-
steckende der Beispiele, die Unordnung der Begierden, und die
Trägheit, welche die Seele so oft erfährt, wenn sie sich erheben
will?“
0 Jüngling, lange genug habe ich Deinen Ausschweifungen
zugehört. In was für ein Gewebe von Hirngespinsten hat Dich
die Lebhaftigkeit Deiner Einbildungskraft verwickelt? Deine Seele
schwebt in einer immerwährenden Bezauberung, in einer steten
Abwechselung von quälenden und entzückenden Träumen; und
die wahre Beschaffenheit der Dinge bleibt Dir so verborgen, als
die sichtbare Gestalt der Welt einem Blindgebornen. Ich bedaure
Dich, KalliaS. Deine Gestalt, Deine Gaben berechtigen Dich nach
allem zu trachten, was das menschliche Leben glückliches hat;
Deine Denkungsart allein wird Dich unglücklich machen. Ange-
wöhnt lauter ideal ische .Wesen um Dich her zu sehen, wirst Du
niemals die Kunst, von den Menschen Vortheil zu ziehen, lernen.
Du wirst in einer Welt, die Dich so wenig kennen wird als Du
sie, wie ein Einwohner des Mondes herumirren, und nirgends
am rechten Platze fein, als in einer Einöde oder im Fasse des
Diogenes. Was soll man mit einem Menschen anfangen, der
Geister sieht? Der von der Tugend fordert, dass sie mit aller
Welt und mit sich selbst in beständigem Kriege leben soll? Mit
einem Menschen, der sich in dem Mondschein hinsetzt und Be-
trachtungen über das Glück der entkörperten Geister anstellt?
Glaube mir, Kallias (ich kenne die Welt und sehe keine Geister),
Deine Philosophie mag vielleicht gut genug sein, eine Gesellschaft
mUssiger Köpfe statt eines andern Spieles zu belustigen; aber es
ist Thorheit, sie ausüben zu wollen. Doch, Du bist jung; die
Einsamkeit Deiner ersten Jugend und die morgenländischen
Schwärmereien, die uns von etlichen griechischen Müßiggängern
aus Aegypten und Chaldäa zurückgebracht worden sind, haben
Deiner Phantasie einen romanhaften Schwung gegeben; die über-
mässige Empfindlichkeit Deiner Organisation hat den angenehmen
Betrug befördert. Leuten von dieser Art ist nichts schön genug,
Was sie fühlen; die Phantasie muss ihnen andre Welten schaffen,
die Unersättlichkeit ihres Herzens zu befriedigen. Allein diesem
Uebel kann noch abgeholfen werden. Selbst in den Ausschwei-
fungen Deiner Einbildungskraft entdeckt sich eine natürliche
Dichtigkeit des Verstandes, der nichts fehlt, als auf andre Gegen-
3*
stände angewandt zu werden. Ein wenig Gelehrigkeit ist alles,
was Du nöthig hast, um von dieser seltsamen Art von Wahnwitz
geheilt zu werden, die Du für Weisheit hältst. Ueberlass es
mir, Dich aus den unsichtbaren Welten in die wirkliche herabzu-
ftthren; sie wird Dich anfangs befremden, aber nur, weil sie Dir
neu ist; und wenn Du ihrer einmal gewohnt bist, wirst Du die
ätherischen so wenig vermissen, als ein erwachsener Mensch die
Spiele seiner Kindheit. Diese Schwärmereien sind Kinder der
Einsamkeit und der Müsse. Wer nach angenehmen Empfindungen
dürstet und der Mittel beraubt ist, sich wirkliche zu verschaffen,
ist genöthiget, sich mit Einbildungen zu speisen, und aus Mangel
einer bessern Gesellschaft mit den Sylphen umzugehen. Die
Erfahrung wird Dich hievon am besten überzeugen können. Ich
will Dir die Geheimnisse einer Weisheit entdecken, die zum Ge-
nuss alles dessen führt, was die Natur, die Kunst, die Gesell-
schaft, und selbst die Einbildung (denn der Mensch ist doch
nicht gemacht, immer weife zu fein) Gutes und Angenehmes zu
geben haben; und ich müsste mich ganz mit Dir betrügen, wenn
die Stimme der Vernunft, die Du noch niemals gehört zu haben
scheinst, Dich nicht von einem Irrwege zurückrufen könnte, wo
Du am Ende deiner Heise in das Land der Hoffnungen Dich
um nichts reicher befinden würdest, als um die Erfahrung Dich
betrogen zu haben. Jetzt ist es Zeit schlafen zu gehen; aber
der nächste ruhige Morgen, den ich habe, soll Dein sein. Ich
brauche Dir Acht zu sagen, wie zufrieden ich mit der Art bin,
wie Du bisher Dein Amt versehen hast; und ich wünsche nichts,
als dass eine bessere Uebereinstimmung unsrer Denkungsart mich
in den Stand setze, Dir Beweise von meiner Freundschaft zu
geben. -—
Wir zweifeln nicht, verschiedene Leser dieser Geschichte
werden vermuthen, Agathen müsse über diese nachdrucksvolle
Apostrophe des weisen Hippias nicht wenig betroffen, oder doch
in einige Unruhe gesetzt worden sein. Das Aller des Sophisten,
der Ruf der Weisheit, worin er stand, der zuversichtliche Ton,
womit er sprach, der Schein von Wahrheit, der über seine Rede
ausgebreitet war; und, was nicht das wenigste scheint, das An-
sehen, welches ihm feine Reichthümer gaben; alle diese Umstände
hätten nicht fehlen sollen, einen Menschen aus der Fassung zu
setzen, der ihm so viele Vorzüge eingestehen musste, und über-
dies noch fein Sklave war. Gleichwohl hatte Agathen diese
ganze nachdrucksvolle Rede mit einem Lächeln angehört, welches
fähig gewesen wäre, alle Sophisten der Welt irre zu machen,
wenn die Dunkelheit und das Vorurtheil des Redners für sich
leibst es hätten bemerken lassen: und kaum befand er sich allein,
so war die erste Wirkung derselben, dass dieses Lächeln sich in
37
ein Lachen verwandelte, welches er zum Nachtheil seines Zwerch-
fells länger zurückzuhalten unnöthig hielt, und welches immer
wieder anfing, so oft er sich die Miene, den Ton und die Ge-
berden vorstellte, womit der weise Hippias die kräftigsten Stellen
feiner Hede von sich gegeben hatte. Es ist wahr, sagte er zu
fich selbst, ein Mensch, der so lebt wie Hippias, muss so denken;
Und wer so denkt wie Hippias, würde unglücklich fein, wenn
er nicht so leben könnte. Aber gleichwohl muss ich lachen,
Wenn ich an den Ton der Unfehlbarkeit denke, womit er sprach.
Dieser Ton ist mir nicht so neu, als der weife Hippias glauben
mag. Ich habe Gerber und Sackträger zu Athen gekannt, die
sich nicht zu wenig däuchten, mit dem ganzen Volk in diesem
Tone zu sprechen. Er glaubt mir etwas neues gesagt zu haben,
Wenn er meine Denkungsart Schwärmerei nennt, und mir mit
der Gewissheit eines Propheten die Schicksale ankündiget, die
sie mir zuziehen wird. Wie sehr betrügt er sich, wenn er mich
dadurch erschreckt zu haben glaubt! 0, Hippias, was ist das,
Was du Glückseligkeit nennest? Niemals wirst du fähig fein zu
wissen, was Glückseligkeit ist. Du nennst die meinige Schwär-
merei? Lass mich immer ein Schwärmer fein, und fei Du ein
Weiser! Die Natur hat Dir diese Empfindlichkeit, diese inner-
lichen Sinnen versagt, die den Unterschied zwischen uns beiden
machen; Du bist einem Tauben ähnlich, der die fröhlichen Be-
wegungen, welche die begeisternde Flöte eines Dämon in alle
Glieder feiner Hörer bringt, dem Wein oder der Unsinnigkeit
zuschreibt; er würde tanzen wie sie, wenn er hören könnte. Die
Weltleute sind in der That nicht zu verdenken, wenn sie uns
-tndre für ein wenig mondsüchtig halten. Wer will ihnen zu-
muthen zu glauben, es mangle ihnen etwas, das zu einem voll-
ständigen Menschen gehört? Ich kannte zu Athen ein junges
Frauenzimmer, welches die Natur wegen der Hässlichkeit ihrer
übrigen Figur durch den feinsten Fuss getröstet hatte. Ich
möchte doch wissen, sagte sie zu einer Freundin, was diese jungen
Gecken an der einbildischen Timandra sehen, dass sie sonst für
niemand Augen haben als für sie? Es ist wahr, ihre Gesichtsfarbe
Seht noch mit, ihre Züge sind so, ihre Augen wenigstens auf-
munternd genug; aber was sie für Füsse hat! Wie kann man
einen Anspruch an Schönheit machen, ohne einen feinen Fuss zu
haben ? Du hast Recht, versetzte die Freundin, die der Natur
nichts schöneres zu danken hatte, als ein paar ungemein kleine
Obren; um schön zu sein, muss man einen Fuss haben wie Du;
aber was sagst Du zu ihren Ohren, Uermia? So wahr mir Diafta
gnädig fei, sie würden einem Faun Ehre machen. — So lind
die Menschen, und es wäre unbillig, ihnen übel zu nehmen, dass
siß so sind. Die Nachtigall singt, der Habe krächzt, und er
müsste kein Rabe fein, wenn er nicht dächte, dass er gut
krächze; ja, er hat noch Recht, wenn er denkt, die Nachtigall
krächze nicht gut. Es ist wahr, dann geht er zu weit, wenn
er über die Nachtigall spottet, dass sie nicht so gut krächzt wie
er: aber sie würde eben so Unrecht haben, wenn sie über ihn
lachte, dass er nicht singe wie sie; singt er nicht, so krächzt er
doch gut, und das ist für ihn genug. —
9. Die Kunst der Griechen.
(Winke lma im, Geschichte der Kunst des Alterthums. Buch I.)
1. Anfänge.
Es scheinet, dass die Kunst unter allen Völkern, welche
dieselbe geübet haben, auf gleiche Weife entsprungen sei, und
man hat nicht Grund genug, ein besonderes Vaterland derselben
anzugeben; den ersten Samen zum Nothwendigsten hat ein je-
des Volk bei sich gefunden; und obgleich die Kunst sowie die
Poesie, als eine Tochter des Vergnügens angesehen werden kann,
so ist gleichwohl nicht zu läugnen, dass das Vergnügen der
Menschlichkeit eben so nothwendig ist, als diejenigen Dinge, ohne
welche sie nicht bestehen kann; und man kann behaupten, dass
die Malerei und die Bildung der Figuren, oder die Kunst unsere
Gedanken zu malen und zu bilden, älter sei, als dieselben zu
schreiben, wie aus der Geschichte der Mexikaner und anderer
Völker erweislich ist. Da aber die ersten Bildungen mit Figu-
ren der Gottheiten scheinen angefangen zu haben, so ist die Er-
findung der Kunst verschieden nach dem Alter der Völker, und
in Absicht der früheren oder späteren Einführung des Götter-
dienstes, so dass die Chaldäer oder die Aegypter ihre eingebil-
deten höheren Kräfte zur Verehrung zeitiger als die Griechen
werden sinnlich vorgestellt haben. Denn hier verhält es sich wie
mit anderen Künsten und Erfindungen, dergleichen das Purpur-
färben ist, welche in den Morgenländern eher bekannt und ge-
trieben wurden.
Die Nachrichten der heiligen Schrift von gemachten Bild-
nissen sind weit älter als alles, was wir von den Griechen
wissen. Die Bilder, die anfänglich in Holz geschnitzet, und an-
dere, die aus Erz gegossen wurden, haben in der hebräischen
Sprache jedes feine besondere Benennung; die ersteren wurden
mit der Zeit vergoldet, oder mit goldenen Blechen belegt. Die-
jenigen aber, welche von dem Ursprung eines Gebrauchs sowie
einer Kunst, und von deren Mittheilung durch ein Volk auf das
andere reden, irren insgemein darin, dass sie sich an einzelne
39
Stücke, die eine Aehnlichkeit miteinander haben, halten, und dar-
aus einen allgemeinen Schluss machen. Wenn man also auch
zugestehen wollte, dass die Griechen die Kunst von den Aegyp-
tern erhalten, so muss man wenigstens bekennen, dass es mit
jener, wie mit der Mythologie ergangen fei*; denn die Fabeln
der Aegypter wurden unter dem griechischen Himmel gleichsam
von neuem geboren, und nahmen eine ganz verschiedene Gestalt
und andere Namen an.
In Aegypten blühte die Kunst bereits in den ältesten Zei-
ten, und wenn Sesostris mehr als dreihundert Jahre vor dem
trojanischen Kriege gelebt hat, so waren in diesem Reiche die
grössten Obelisken, die sich in Rom befinden und Werke ge-
meldeten Königs sind, nebst den grössten Gebäuden zu Theben,
bereits ausgeführet, da über die Kunst bei den Griechen annoch
Dunkelheit und Finsterniss schwebten. Von dieser zeitigeren
Blüthe der Kunst bei den Aegyptern scheinet der Grund die
grosse Bevölkerung ihres Reiches und die Macht ihrer Könige
zu fein; da durch diese ausgeführet werden konnte, was der
nothwendige Fleiss, den jene erwecket, erfand. Die Bevölkerung
sowohl als die Macht der Könige in Aegypten beförderte selbst
die Lage und die Natur dieses Landes. Diese in der beständig
gleichen Witterung und unter dem warmen Himmel erleichterte
allgemein das Leben und den Unterhalt der Einwohner. Durch
jene, die Lage, aber hat gleichsam die Natur Aegypten zu einem
einzigen untheilbaren und folglich mächtigen Reiche bestimmt, da
ein einziger grosser Fluss dieses Land durchströmet, und da ge-
gen Norden das Meer und von andern Seiten hohe Gebirge dessen
Grenzen sind, denn der Fluss und die ebene Fläche dieses Landes
War der Theilung zuwider; und wenn zu einer gewissen Zeit
mehrere Könige daselbst waren, so hat diese Verfassung sehr kurze
Zeit gedauert und Aegypten genoss daher, mehr als andere
Heiclie, Ruhe und Frieden, wodurch die Künste erzeuget und
genähret wurden.
Griechenland hingegen war selbst von der Natur durch viele
Gebirge, Flüsse, Inseln und Erdzungen getheilet, und es waren
daselbst in den ältesten Zeiten soviel Könige als Städte, unter
Welchen die nahe und häufige Veranlassung zu Zwistigkeiten
und Kriegen die Ruhe störete und der Bevölkerung, folglich auch
dem Fleisse und der Erfindung in Künsten nachtheilig war. Es
ist also begreiflich, dass die Kunst später unter den Griechen,
uls unter den Aegyptern geübet worden.
Bei den Griechen hat die Kunst, so wie in den Morgen-
andern, mit einer Einfalt ihren Anfang genommen, dass sie von
keinem andern Volke den ersten Samen zu derselben geholet,
sondern die Erfinder sein können. Denn es waren unter ihnen
40
*
schon dreissig Gottheiten sichtbar verehret, da man sie noch nicht
in menschlicher Gestalt gebildet hatte, und sich begnügte, diesel-
ben durch einen unbearbeiteten Klotz oder durch viereckige
Steine, wie die Araber und Amazonen thaten, anzudeuten, und
diese dreissig Steine befanden sich in der Stadt Pherä in Achaja
noch zu Zeiten des Pausanias.
Auf besagte Steine wurden mit der Zeit Köpfe gesetzt; unter
vielen anderen war ein solcher Neptunus zu Tricoloni und ein
Jupiter zu Tegea, beide in Arkadien; denn in diesem Lande
war man unter den Griechen mehr als anderswo bei der ältesten
Gestalt in der Kunst geblieben. Es offenbarte sich also in den
ersten Bildnissen der Griechen eine ursprüngliche Erfindung und
Zeugung einer Figur. Auf Götzen der Heiden, die von der
menschlichen Gestalt nur allein den Kopf hatten, deutet auch
die heilige Schrift. Viereckige Steine mit Köpfen wurden bei
den Griechen, wie bekannt ist, Hermä, das ist: grosse Steine ge-
nannt und von ihren Künstlern beständig beibehalten. Endlich
wurde dem Obertheile der Figur dessen Form gegeben, indem
der Untertheil annoch die vorige Gestalt des Hermen behielt,
doch so, dass man die Absonderung der Schenkel durch einen
Einschnitt andeutete.
Zuletzt fing Dädalus an, wie die gemeinste Meinung ist,
die unterste Hälfte dieser Hermen in Gestalt der Beine völlig
von einander zu sondern; und weil man nicht verstand, aus
einem Steine eine ganze menschliche Figur hervorzubringen, so
arbeitete dieser Künstler in Holz, und von ihm sollen die ersten
Statuen den Namen Dädala bekommen haben.
2 Blüthezeit.
(Buch IV. I.)
Durch die Freiheit erhob sich, wie ein edler Zweig aus
einem gesunden Stamme, das Denken des ganzen Volkes; denn
so wie der Geist eines zum Denken gewöhnten Menschen sieb
höher zu erheben pfleget im weiten Felde, oder auf offenem
Gange, und auf der Höhe eines Gebäudes, als in einer niedrigen
Kammer und in jedem eingeschränkten Orte: ebenso muss auch
die Art zu denken unter den freien Griechen gegen die Begriffe
beherrschter Völker sehr verschieden gewesen sein.
Herodotus zeiget, dass die Freiheit allein der Grund ge-
wesen von der Macht und Hoheit, zu welcher Athen gelanget
ist, da diese Stadt vorher, wenn sie einen Herrn über sich er-
kennen müsste, ihren Nachbarn nicht gewachsen sein könne.
Die Bedekunst fing an, aus eben dem Grunde allererst in dem
41
Genusse der völligen Freiheit unter den Griechen zu blühen*,
und daher legten die Sicilianer dem Gorgias die Erfindung der
Redekunst bei. Aus Münzen der Städte in Sicilien und Gross-
Griechenland könnte behauptet werden, dass die Künste in dieser
Insel und in dem unteren Theile von Italien eher als selbst in
Griechenland zu blühen angefangen, wie denn überhaupt andere
Wissenschaften zeitiger in Sicilien als in Griechenland emporge-
kommen. Dies wissen wir von der Redekunst, in welcher sich
zuerst Gorgias von Leontium in Sicilien hervorthat, und da er
als Abgeordneter dieser Stadt nach Athen geschickt wurde, zog
er daselbst Augen und Ohren auf sich. Die Weltweisheit selbst
bekam in der eleatischen und italischen Schule und in derjenigen,
Welche Pythagoras stiftete, eher als unter anderen Griechen eine
Methodische Form.
Eben die Freiheit, die Mutter grosser Begebenheiten, Staats-
Veränderungen und der Eifersucht unter den Griechen, pflanzte
gleichsam in der Geburt den Samen edler und erhabener Ge-
Atmungen: und so wie der Anblick der unermesslichen Fläche
des Meeres und das Schlagen der stolzen Wellen an den Klippen
des Strandes unfern Blick ausdehnet, und den Geist über niedrige
Vorwürfe hinwegsetzet: so konnte im Angesichte so grosser
Ginge und Menschen nicht unedel gedacht werden. Die Griechen
bi ihrer besten Zeit waren denkende Wesen, welche zwanzig
Und mehr Jahre schon gedacht hatten, ehe wir insgemein aus
uns selbst zu denken anfangen, und die den Geist in feinem
grössten Feuer, von der Munterkeit des Körpers unterstützt, be-
schäftigen, welcher bei uns, bis er abnimmt, unedel genähret wird.
Der unmündige Verstand, welcher, wie eine zarte Rinde,
den Einschnitt behält und erweitert, wurde nicht mit blossen
fönen ohne Begriffe unterhalten, und das Gehirn gleich einer
Wachstafel, die nur eine gewisse Anzahl Worte oder Bilder
fassen kann, war nicht mit Träumen erfüllet, wenn die Wahr-
heit Platz nehmen will. Gelehrt fein das ist: zu wissen, was
Andere gewusst haben, wurde spät geluchet: gelehrt im heutigen
Verstände zu sein, war in ihrer besten Zeit leicht, und weife
konnte ein jeder werden. Denn es war eine Eitelkeit weniger
>N der Welt, nämlich viel Bücher zu kennen, da allererst nach
der ein und sechzigsten Olympias die zerstreuten Glieder der
grössten Dichter gesammelt wurden. Diesen lernete das Kind;
der Jüngling dachte wie der Dichter, und wenn er etwas Wür-
diges hervorgebracht hatte, so war er unter die Ersten seines
Volks gerechnet. »
Mit Vortheilen solcher Erziehung wurde Iphikrates von
fönen Mitbürgern in Athen in seinem vier und zwanzigsten Jahre
zum Heerführer erwählet; Aratus hatte kaum zwanzig Jahre, da er
I
42
lein Vaterland Sicyon von den Tyrannen befreiete, und bald
nachher wurde er das Haupt des ganzen achäischen Bundes;
Philopömen hatte als ein Knabe den grössten Antheil an dem
Siege, welchen Antigonus, König von Macédonien, nebst den
Völkern des achäischen Bundes wider die Lacedämonier erfocht,
welcher jene zu Herrn von Sparta machte. Ein weiser Mann
war der geehrteste, und dieser war in jeder Stadt, wie bei
uns der reichste bekannt. Zu dieser Achtung konnte der Künst-
ler auch gelangen ; ja Sokrates erkläre te die Künstler allein
für weife, als diejenigen, welche es sind, und nicht scheinen.
Der Künstler konnte ein Gesetzgeber werden: denn alle Gesetz-
geber waren gemeine Bürger, wie Aristoteles bezeuget. Er
konnte Kriegsheere führen, wie Lamachus, einer der dürftigsten
Bürger zu Athen, und feine Statue neben Miltiades und Themis-
tokles, ja neben den Göttern selbst gesetzet sehen.
Die Ehre und das Glück eines Künstlers hingen nicht von
dem Eigensinn eines unwissenden Stolzes ab, und ihre Werke
waren nicht nach dem elenden Geschmacke, oder nach dem übel
geschaffenen Auge eines durch die Schmeichelei und die Knecht-
schaft aufgeworfenen Richters gebildet; sondern die weisesten
des ganzen Volkes urtheilten und belohnten sie und ihre Werke
in der Versammlung aller Griechen, und zu Delphos sowie zu
Korinth waren Wettspiele der Malerei unter besonders dazu
bestellten Richtern, welche zur Zeit des Phidias angeordnet
wurden.
Aber die Richter waren nicht fremd in der Kunst, denn es
war eine Zeit in Griechenland, wo die Jugend in den Schulen
der Weisheit sowohl als der Kunst unterrichtet wurde, und Plato
erlernte die Zeichnung zugleich mit den höheren Wissenschaften.
Dieses geschah, damit die Jugend, wie Aristoteles saget, zur wah-
ren Kenntniss und zur Beurtheilung der Schönheit gelangen
möchte.
Daher arbeiteten die Künstler für die Ewigkeit, und die
Belohnung ihrer Werke setzte sie in den Stand, ihre Kunst über
alle Absichten des Gewinns und der Vergeltung zu erheben.
3. Der vaticanische Apollo.
(Buch XI. 3.)
Die Statue des Apollo ist das höchste Ideal der Kunst
unter allen Werken des Alterthums, welche der Zerstörung ent-
gangen sind. Der Künstler derselben hat dieses Werk gänzlich
auf das Ideal gebauet, und er hat nur ebensoviel von der Materie
dazu genommen, als nöthig war, (eine Absicht auszuführen und
sichtbar zu machen. Dieser Apollo übertrifft alle andere Bilder
L
— 43 —
desselben soweit, als der Apollo des Homerus den, welchen die
folgenden Dichter malen. Ueber die Menschheit erhaben ist fein
Gewächs, und sein Stand zeuget von der ihn erfüllenden Grösse.
Kin ewiger Frühling wie in dem glücklichen Elysion bekleidet
die reizende Männlichkeit vollkommener Jahre mit gefälliger
Jugend, und spielet mit sanfter Zärtlichkeit auf dem stolzen Ge-
bäude seiner Glieder. Gehe mit deinem Geiste in das Reich
unkörperlicher Schönheiten, und versuche, ein Schöpfer einer
himmlischen Natur zu werden, um den Geist mit Schönheiten,
die sich über die Natur erheben, zu erfüllen: denn hier ist nichts
Sterbliches, noch was die menschliche Dürftigkeit erfordert. Keine
Adern noch Sehnen erhitzen und regen diesen Körper, sondern
ein himmlischer Geist, der sich wie ein sanfter Strom ergossen,
hat gleichsam die ganze Umschreibung dieser Figur erfüllt. Er
hat den Python, wider welchen er zuerst seinen Bogen gebraucht,
verfolget, und sein mächtiger Schritt hat ihn erreicht und erlegt.
Von der Höhe seiner Genügsamkeit gehet sein erhabener Blick
wie in’s Unendliche, weit über seinen Sieg hinaus: Verachtung
fitzet auf seinen Lippen, und der Unmuth, welchen er in sich
ziehet, blähet in den Nüstern seiner Nase und tritt bis in die
stolze Stirn hinauf. Aber der Friede, welcher in einer seligen
Stille auf derselben schwebet, bleibet ungestört, und sein Auge
ist voll Süssigkeit, wie unter den Musen, die ihn zu umarmen
suchen. In allen uns übrigen Bildern des Vaters der Götter,
Welche die Kunst verehret, nähert sich nicht der Grösse, in welcher
er sich dem Verstände des göttlichen Dichters offenbaret, wie hier
in dem Gesichte des Sohnes, und die einzelnen Schönheiten der
übrigen Götter treten hier, wie bei der Pandora, in Gemeinschaft
zusammen.
Eine Stirn des Jupiters, die mit der Göttin der Weisheit
schwanger ist, und Augenbrauen, die durch ihr Winken ihren
Willen erklären: Augen der Königin der Göttinnen mit Gross-
beit gewölbet. Sein weiches Haar spielet, wie die zarten
Und flüssigen Schlingen edler Weinreben, gleichsam von einer
sanften Luft bewegt, um dieses göttliche Haupt: es scheint ge-
fivlbet mit dem Oel der Götter und von den Grazien mit holder
Fracht auf seinen Scheitel gebunden. Ich vergesse alles andre
Über dem Anblick dieses Wunderwerks der Kunst, und ich nehme
selbst einen erhabenen Stand an, um mit Würdigkeit anzuschauen.
Mit Verehrung scheinet sich meine Brust zu erweitern und zu
erheben, wie diejenigen, die ich vom Geiste der Weissagung
ausgeschweifet sehe, und ich fühle mich weggerücket nach Detos
Und in die Heischen Haine, Orte, welche Apollo mit seiner Gegen-
wart beehrte: denn mein Bild scheinet Leben und Bewegung
zu bekommen, wie l'ygmalion’s Schönheit. Wie ist es mög-
44
lieh, es zu malen und zu beschreiben'? Die Kunst selbst müsste
mir rathen und die Hand leiten, die ersten Züge, welche ich
hier entworfen habe, künftig auszuführen. Ich lege den Begriff,
welchen ich von diesem Bilde gegeben habe, zu dessen Füssen,
wie die Kränze derjenigen, die das Haupt der Gottheiten, welche
He krönen wollten, nicht erreichen konnten.
10. Ueber die Grenzen der Malerei und Poesie.
(Aus dem „Laokoon“, von Lessing.)
Wenn man sagt, der Künstler ahme dem Dichter, oder der
Dichter ahme dem Künstler nach, so kann dieses zweierlei be-
deuten. Entweder der eine macht das Werk des andern zuist
wirklichen Gegenstände seiner Nachahmung, oder sie haben beide
einerlei Gegenstände der Nachahmung, und der eine entlehnet
vor dem andern die Art und Weise es nachzuahmen.
Wenn Virgil das Schild des Aeneas beschreibet, so ahmt
er dem Künstler, welcher dieses Schild gemacht hat, in der
ersten Bedeutung nach. Das Kunstwerk, nicht das, was auf dem
Kunstwerke dargestellt worden, ist der Gegenstand seiner Nach-
ahmung , und wenn er auch .schon das mit beschreibt, was mast
darauf vorgestellet sieht, so beschreibt er es doch nur als eist
Theil des Schildes, und nicht als die Sache selbst. Wenn Virgil
hingegen die Gruppe Laokoon nachgeahmt hätte, so würde dieses
eine Nachahmung von der zweiten Gattung fein. Denn er würde
nicht diese Gruppe, sondern das, was diese Gruppe vorstellet,
nachgeahmet, und nur die Züge seiner Nachahmung von ihr ent-
lehnt haben.
Bei der ersten Nachahmung ist der Dichter Original, bei der
andern ist er Copist. Jene ist ein Theil der allgemeinen Nach-
ahmung, welche das Wesen seiner Kunst ausmacht, und er ar-
beitet als Genie, fein Vorwurf mag ein Werk andrer Künste,
oder der Natur fein. Diese hingegen setzt ihn gänzlich von
seiner Würde herab; anstatt der Dinge selbst ahmet er ihre Nach-
ahmungen nach, und giebt uns kalte Erinnerungen von Zügen
eines fremden Genies, für ursprüngliche Züge seines eigenen.
Wenn indess Dichter und Künstler diejenigen Gegenstände,
die sie mit einander gemein haben, nicht selten aus dem näm-
lichen Gesichtspunkte betrachten müssen: so kann es nicht fehlen,
dass ihre Nachahmungen nicht in vielen Stücken übereinstimmen
sollten, ohne dass zwischen ihnen selbst die geringste Nachahmung
oder Beeiferung gewesen. Diese Uebereinstimmungen können bei
zeitverwandten Künstlern und Dichtern, über Dinge, welche nicht
mehr vorhanden sind, zu wechselsweisen Erläuterungen führen;
45
allein dergleichen Erläuterungen dadurch auszunutzen suchen, dass
nian aus dem Zufälle Vorsatz macht, und besonders dem Poeten
bei jeder Kleinigkeit ein Augenmerk auf diese Statue, oder auf
jenes Gemälde andichtet, heisst ihm einen sehr zweideutigen
Dienst erweisen. Und nicht allein ihm, sondern auch dem Leser,
dem man die schönste Stelle dadurch, wenn Gott will, sehr deut-
lich, aber auch trefflich frostig macht. — —
Ein poetisches Gemälde ist nicht nothwendig das, was in
ein materielles Gemälde zu verwandeln ist; sondern jeder Zug,
jede Verbindung mehrerer Züge, durch die uns der Dichter seinen
Gegenstand sinnlich macht, dass wir uns dieses Gegenstandes
deutlicher bewusst werden, als seiner Worte, heisst malerisch,
heisst ein Gemälde, weil es uns dem Grade der Illusion naher
bringt, dessen das materielle Gemälde besonders fähig ist, der
sich von dem materiellen Gemälde am ersten und leichtesten ab-
Itrahiren lässt.
Nun kann der Dichter zu diesem Grade der Illusion, wie
die Erfahrung zeiget, auch die Vorstellungen anderer, als sicht-
barer Gegenrede, erheben. Folglich müssen nothwendig dem
Artisten ganze Classen von Gemälden abgehen, die der Dichter
Vs>r ihm voraus hat. Drydens Ode auf den Cäcilientag ist\ voller
Musikalischer Gemälde, die den Pinsel müfsig lassen. Doch ich
Will mich in dergleichen Exempel nicht verlieren, aus welchen
Man am Ende doch wohl nicht viel mehr lernet, als dass die
Farben keine Töne, und die Ohren keine Augen sind.
Ich will bei den Gemälden blos sichtbarer Gegenstände
stehen bleiben, die dem Dichter und Maler gemein sind. Woran
liegt es, dass manche poetische Gemälde von dieser Art für den
Maler unbrauchbar sind, und hier wiederum manche eigentliche
Gemälde unter der Behandlung des Dichters den grössten Theil
ihrer Wirkung verlieren?
Exempel mögen mich leiten. Ich wiederhole es: das Ge-
mälde des Pandarus im vierten Buche der Ilias ist eines von
*len ausgeführtes teil, täuschendsten im ganzen Homer. Von dem
Ergreifen des Bogens bis zu dem Fluge des Pfeiles ist jeder
Augenblick gemalt, und alle diese Augenblicke sind so nahe
Und doch so unterschieden angenommen, dass, wenn man nicht
Wüsste, wie mit dem Bogen umzugehen wäre, man, es aus diesem
Gemälde allein lernen könnte. Pandarus zieht seinen Bogen hervor,
legt die Sehne an, öffnet den Köcher, wählet einen noch unge-
brauchten, wohlbesiederten Pfeil, setzt den Pfeil an die Sehne, zieht
^ie Sehne mit sammt dem Pfeile unten an dem Einschnitte zu-
rück, die Sehne nahet sich der Brust, die eiserne Spitze des
— 46 —
Pfeiles dem Bogen, der grosse gerändete Bogen schlägt tönend
auseinander, die Sehne schwirrt, ab sprang der Pfeil, und gierig
fliegt er nach seinem Ziele.
Uebersehen kann Caylus*) dieses vortreffliche Gemälde nicht
haben. Was fand er also darin, warum er es für unfähig
achtete, seinen Artisten zu beschäftigen? Und was war es, warum
ihm die Versammlung der rathpflegenden zechenden Götter zu
dieser Absicht tauglicher dünkte? Hier sowohl als dort sind sicht-
bare Vorwürfe, und was braucht der Maler mehr als sichtbare
Vorwürfe, um feine Fläche zu füllen?
Der Knoten muss dieser sein. Obschon beide Vorwürfe,
als sichtbar, der eigentlichen Malerei gleich fähig sind: so findet
sich doch dieser wesentliche Unterschied unter ihnen, dass jener eine
fortschreitende Handlung ist, deren verschiedene Theile sich
nach und nach, in der Folge der Zeit ereignen, dieser hin-
gegen eine sichtbare stehende Handlung, deren verschiedene
Theile sich neben einander im Raume entwickeln. Wenn nun
aber die Malerei, vermöge ihrer Zeichen oder der Mittel ihrer
Nachahmung, die sie nur im Raume verbinden kann, der Zeit
gänzlich entsagen muss: so können fortschreitende Handlungen,
als fortschreitend, unter ihre Gegenstände nicht gehören, sondern
sie muss sich mit Handlungen nebeneinander, oder mit blossen
Körpern, die durch ihre Stellungen eine Handlung vermuthen
lassen, begnügen. Die Poesie hingegen-------
Doch ich will versuchen, die Sache aus ihren ersten Gründen
herzuleiten.
Ich schliesse so. Wenn es wahr ist, dass die Malerei zu
ihren Nachahmungen ganz andere Mittel oder Zeichen gebrauchet,
als die Poesie, jene nämlich Figuren und Farben in dem Raume,
diese aber artikulirte Töne in der Zeit; wenn unstreitig die
Zeichen ein bequemes Verhältnise zu dem Bezeichneten haben
müssen: so können neben einander geordnete Zeichen auch nur
Gegenstände, die neben einander, oder deren Theile neben ein-
ander existiren, auf einander folgende Zeichen aber auch nur Gegen-
stände ausdrücken, die auf einander, oder deren Theile auf ein-
ander folgen.
Gegenstände, die neben einander, oder deren Theile nebest
einander existiren, heissen Körper. Folglich sind Körper istd
ihren sichtbaren Eigenschaften die eigentlichen Gegenstände der
Malerei.
Gegenstände, die auf einander, oder deren Theile auf eist'
*) Graf Caylus, französischer Archäolog, Schriftsteller und Kunst-
Mäcen, an dessen Schriften Lessing ist diesen Untersuchungen mehr-
fach anknüpft.
— 47 —
einander folgen, heissen überhaupt Handlungen. Folglich sind
Handlungen der eigentliche Gegenstand der Poesie.
Doch alle Körper existiren nicht allein im Raume, sondern
auch in der Zeit. Sie dauern fort, und können in jedem Augen-
blicke ihrer Dauer anders erscheinen und in andrer Verbindung
stehen. Jede dieser augenblicklichen Erscheinungen und Ver-
bindungen ist die Wirkung einer vorhergehenden, und kann die
Ursache einer folgenden, und sonach gleichsam das Centrum einer
Handlung (ein. Folglich kann die Malerei auch Handlungen
nachahmen, aber nur andeutungsweise durch Körper.
Auf der andern Seite können Handlungen nicht für sich
selbst bestehen, sondern müssen gewissen Wesen anhängen. In
so fern nur diese Wesen Körper sind, oder als Körper betrachtet
Werden, schildert die Poesie auch Körper, aber nur andeutungs-
weise durch Handlungen.
Die Malerei kann in ihren coexistirenden Compositionen
Mir einen einzigen Augenblick der Handlung nutzen, und muss
daher den prägnantesten wählen, aus welchem das Vorhergehende
Und das Folgende am begreiflichsten wird.
Eben so kann auch die Poesie in ihren fortschreitenden
Nachahmungen nur eine einzige Eigenschaft des Körpers nutzen,
und muss daher diejenige wählen, welche das sinnlichste Bild
des Körpers von der Seite erwecket, von welcher sie ihn
braucht.
Hieraus Hiesst die Regel von der Einheit der malerischen
Beiwörter, und der Sparsamkeit in den Schilderungen körper-
licher Gegenstände.
Ich würde in diese trockne Schlusskette weniger Vertrauen
setzen, wenn ich sie nicht durch die Praxis des Homers voll-
ständig bestätiget fände, oder wenn es nicht vielmehr die Praxis
des Homers selbst wäre, die mich darauf gebracht hätte. Nur
aus diesen Grundsätzen lässt sich die grosse Manier des Griechen
bestimmen und erklären, so wie der entgegengesetzten Manier
so vieler neuerer Dichter ihr Recht ertheilen, die in einem Stücke
mit dem Maler wetteifern wollen, in welchem sie nothwendig von
ihm überwunden werden müssen.
Ich finde, Homer malt nichts als fortschreitende Handlungen,
Und alle Körper, alle einzelnen Dinge malt er nur durch ihren
Antheil an diesen Handlungen, gemeiniglich nur mit einem Zuge.
Was Wunder also, dass der Maler, da wo Homer malet, wenig
oder nichts für sich zu thun siehet, und dass feine Ernte nur
da ist, wo die Geschichte eine Menge schöner Körper in schönen
Stellungen, in einem der Kunst vortheilhaften Raume zusammen-
bringt, der Dichter selbst mag diese Körper, diese Stellungen,
diesen Raum so wenig malen als er will.
J
— 48 —
Für Ein Ding hat Homer, sage ich, gemeiniglich nur Einen
Zug. Ein Schifi ist ihm bald das schwarze Schiff, bald das hohle
Schiff, bald das schnelle Schiff, höchstens das wohlberuderte,
schwarze Schiff. Weiter lässt er lieh in die Malerei des Schiffes
nicht ein. Aber wohl das Schiffen, das Abfahren, das Anlanden
des Schiffes, macht er zu einem ausführlichen Gemälde, aus
welchem der Maler fünf, sechs besondere Gemälde machen müsste,
wenn er es ganz auf feine Leinwand bringen wollte.
Zwingen den Homer ja besondere Umstände, unsern Blick
auf einen einzelnen körperlichen Gegenstand länger zu heften: I®
wird demohngeachtet kein Gemälde daraus, dem der Maler mit
dem Pinsel folgen könnte: sondern er weiss durch unzählig®
Kunstgriffe diesen einzelnen Gegenstand in eine Folge von Augen-
blicken zu setzen, in deren jedem er anders erscheinet, und in
deren letztem ihn der Maler erwarten muss, um uns entstanden
zu zeigen, was wir bei dem Dichter entstehen sehen. Z. E.'•
Will Homer uns den Wagen der Juno sehen lassen, so muss ihn
Hebe vor unsern Augen Stück vor Stück zusammen setzen. Wir
sehen die Räder, die Achsen, den Sitz, die Deichsel und Riemen
und Stränge, nicht sowohl wie es beisammen ist, als wie es
unter den Händen der Hebe zusammen kömmt. Auf die Räder
allein verwendet der Dichter mehr als einen Zug, und weifet
uns die ehernen acht Speichen, die goldenen Felgen, die Schienen
von Erz, die silberne Nabe, alles insbesondere. Man sollte sagen:
da der Räder mehr als eines war, so musste in der Beschreibung
eben so viel Zeit mehr auf sie gehen, als ihre besondere An-
legung deren in der Natur selbst mehr erforderte. — Will uns
Homer zeigen, wie Agamemnon bekleidet gewesen, so muss sich
der König vor unsern Augen seine völlige Kleidung Stück vor
Stück umthun; das weiche Unterkleid, den grossen Mantel, di®
schönen Halbstiefeln, den Degen: und so ist er fertig und er-
greift das Scepter. Wir sehen die Kleider, indem der Dichter
die Handlung des Bekleidens malet; ein anderer würde die
Kleider bis auf die geringste Franze gemalet haben, und von
der Handlung hätten wir nichts zu sehen bekommen. — Und
wenn wir von diesem Scepter, welches hier blos das väterliche,
unvergängliche Scepter heisst, so wie ein ähnliches ihm an ein >'
anderen Orte blos das mit goldenen Stiften beschlagene Scepter
ist; wenn wir, sage ich, von diesem wichtigen Scepter ein voll-
ständigeres , genaueres Bild haben sollen, was thut Homer?
Malt er uns, ausser den goldenen Nägeln, auch das Holz, den
geschnitzten Knopf? Ja, wenn die Beschreibung in eine Herab
t dik sollte, damit einmal in den folgenden Zeiten ein anderes
genau darnach gemacht werden könnte! Und doch bin ich ge-
wiss, dass mancher neuere Dichter eine solche Wappenkönigs-
49
beschreibung daraus würde gemacht haben, in der treuherzigen
Meinung, dass er wirklich selber gemalt habe, weil der Maler
ihm nachmalen kann. Was bekümmert sich aber Homer, wie
weit er den Maler hinter sich lässt? Statt einer Abbildung giebt
er uns eine Geschichte des Scepters: erst ist es unter der Arbeit
des Vulkans; nun glänzt es in den Händen des Jupiters; nun
bemerkt es die Würde Merkurs; nun ist es Commandoftab des
kriegerischen Pelops; nun der Hirtenstab des friedlichen Atreus
u. s. w. So kenne ich endlich dieses Scepter besser, als mir es
der Maler vor Augen legen, oder ein zweiter Vulkan in die
Hände legen könnte. —
Aber, wird man einwenden, die Zeichen der Poesie sind
nicht bloss auf einander folgend, sie sind auch willkührlich; und
als willkührliche Zeichen sind sie allerdings fähig, Körper, so
Wie sie im Raume existiren, auszudrücken. In dem Homer selbst
fänden sich hiervon Exempel, an dessen Schild des Achilles man
fich nur erinnern dürfe, um das entscheidendste Beispiel zu
haben, wie weitläufig und doch poetisch man ein einzelnes Ding
nach seinen Theilen neben einander schildern könne.
Ich will auf diesen doppelten Einwurf antworten. Ich nenne
dm doppelt, weil ein richtiger Schluss auch ohne Exempel gelten
muss, und gegentheils das Exempel des Homers bei mir von Wichtigkeit
ist, auch wenn ich es noch durch keinen Schluss zu rechtfertigen weiss.
Es ist wahr; da die Zeichen der Rede willkührlich sind,
so ist es gar wohl möglich, dass man durch sie die Theile eines
Körpers eben so wohl auf einander folgen lassen kann, als sie
m der Natur neben einander befindlich sind. Allein dieses ist
eine Eigenschaft der Rede und ihrer Zeichen überhaupt, nicht
Aber in so ferne sie der Absicht der Poesie am bequemsten sind.
Her Poet will nicht blos verständlich werden, seine Vorstellungen
sollen nicht blos klar und deutlich fein; hiermit begnügt sich
der Prosaist. Sondern er will die Ideen, die er in uns er-
wecket, so lebhaft machen, dass wir in der Geschwindigkeit die
Wahren sinnlichen Eindrücke der Gegenstände zu empfinden
glauben, und in diesem Augenblicke der Täuschung uns der
Mittel, die er dazu verwendet, seiner Worte bewusst zu fein
Aufhören. Hierauf lief aber die Erklärung des poetischen Ge-
mäldes hinaus. Aber der Dichter soll immer mehr malen; und
Nun wollen wir sehen, in wie fern Körper nach ihren Theilen
Neben einander sich zu dieser Malerei schicken.
Wie gelangen wir zu der deutlichen Vorstellung eines
H'nges im Raume? Erst betrachten wir die Theile desselben
einzeln, hierauf die Verbindung dieser Theile, und endlich das
Hanze. Unsere Sinne verrichten diese verschiedenen Operationen
mit einer so erstaunlichen Schnelligkeit, dass sie uns nur eine
Roquette, Deutsches Lesebuch. II. 4
50
einzige zu sein bedünken, und diese Schnelligkeit ist unumgäng-
lich nothwendig, wann wir einen Begriff von dem Ganzen,
welcher nichts mehr als das Resultat von den Begriffen der
Theile und ihrer Verbindung ist, bekommen sollen. Gesetzt
nun also auch, der Dichter führe uns in der schönsten Ordnung
von einem Theile des Gegenstandes zum andern; gesetzt, er
wisse uns die Verbindung dieser Theile auch noch so klar zu
machen: wie viel Zeit braucht er dazu? Was das Auge mit
einmal überstehet, zählt er uns merklich langsam nach und nach
zu, und oft geschieht es, dass wir bei dem letzten Zuge den
ersten schon wiederum vergessen haben. Jedennoch sollen wir
uns aus diesen Zügen ein Ganzes bilden: dem Auge bleiben
die betrachteten Theile beständig gegenwärtig; es kann sie abermals
und abermals überlaufen: für das Ohr hingegen sind die vernom-
menen Theile verloren, wenn sie nicht in dem Gedächtnisse zurück-
bleiben. Und bleiben sie schon da zurück: welche Mühe, welche
Anstrengung kostet es, ihre Eindrücke alle in eben der Ordnung
so lebhaft zu erneuern, sie nur mit einer mässigen Geschwindig-
keit auf einmal zu überdenken, um zu einem etwaigen Begriffe
des Ganzen zu gelangen!
Man versuche es an einem Beispiele, welches ein Meister-
stück in seiner Art heissen kann.
„Dort ragt das hohe Haupt vom edlen Enziane
Weit übern niedern Chor der Pöbelkräuter hin,
Ein ganzes Blumenvolk dient unter seiner Fahne,
Sein blauer Bruder selbst bückt sich, und ehret ihn.
Der Blumen helles Gold, in Strahlen umgebogen,
Thürmt sich am Stengel auf, und krönt fein grau Gewand,
Der Blätter glattes Weiss, mit tiefem Grün durchzogen,
Strahlt von dem bunten Blitz von feuchtem Diamant.
Gerechtestes Gesetz! Dass Kraft sich Zier vermähle,
In einem schönen Leib woluit eine schönre Seele.
Hier kriecht ein niedrig Kraut, gleich einem grauen Nebel,
Dem die Natur sein Blatt im Kreuze hingelegt;
Die holde Blume zeigt die zwei vergold’ten Schnäbel,
Die ein von Amethyst gebild’ter Vogel trägt.
Dort wirft ein glänzend Blatt, in Finger ausgekerbet
Auf einen hellen Bach den grünen Wiederschein;
Der Blumen zarten Schnee, den matter Purpur färbet,
Schliesst ein gestreifter Stern in weisse Strahlen ein.
Smaragd und Rosen blüh’n auch auf zertretner Haide,
Und Felsen decken sich mit einem Purpurkleide.“
(Aus Haller's „Alpen“).
51
Es lind Kräuter und Blumen, welche der gelehrte Dichter
mit grosser Kunst und nach der Natur malet. Malt, aber ohne
alle Täuschung malet. Ich will nicht sagen, dass wer diese
Kräuter und Blumen nie gesehen, sich auch aus seinem Gemälde
so gut als gar keine Vorstellung davon machen könne. Es
mag fein, dass alle poetische Gemälde eine vorläufige Bekannt-
schaft mit ihren Gegenständen erfordern. Ich will auch nicht
läugnen, dass demjenigen, dem eine solche Bekanntschaft hier zu
statten kömmt, der Dichter nicht von einigen Theilen eine leb-
haftere Idee erwecken könnte. Ich frage ihn nur, wie steht es
um den Begriff des Ganzen? Wenn auch dieser lebhafter sein
soll, so müssen keine einzelnen Theile darin vorstehen, sondern
das höhere Licht muss auf alle gleich vertheilet scheinen-, unsere
Einbildungskraft muss alle gleich schnell überlaufen können, um
sich das aus ihnen mit eins zusammen zu setzen, was in der
Natur mit eins geschehen wird. Ist dieses hier der Fall? Und
ist es nicht, wie kann man sagen, „dass die ähnlichste Zeichnung
eines Malers gegen diese poetische Schilderung ganz matt und
düster sein würde?“ (Braitingers Critische Dichtkunst IL 807.)
Sie bleibet unendlich unter dem, was Linien und Farben auf
der Fläche ausdrücken können, und der Kunstrichter, der ihr
dieses übertriebene Lob ertheilet, muss sie aus einem ganz
falschen Gesichtspunkte betrachtet haben; er muss mehr auf die
fremden Zierrathen, die der Dichter darein verwebet hat, auf die
Erhöhung über das vegetative Leben, auf die Entwicklung der
innern Vollkommenheiten, welcher die äussere Schönheit nur zur
Schale dienet, als auf diese Schönheit selbst, und auf den Grad
der Lebhaftigkeit und Aehnlichkeit des Bildes, welches uns der
Maler, und welches uns der Dichter davon gewähren kann, ge-
sehen haben. Gleichwohl kömmt es hier lediglich nur auf das
letztere an, und wer da sagt, dass diese blossen Zeilen:
„Der Blumen helles Gold in Strahlen umgebogen,
Thürmt sich am Stengel auf, und krönt fein grau Gewand,
Der Blätter glattes Weiss, von tiefem Grün durchzogen,
Strahlt von dem bunten Blitz von feuchtem Diamant —“
dass diese Zeilen, in Ansehung ihres Eindrucks, mit der Nach-
ahmung eines Iluysum wetteifern können, muss feine Empfin-
dung nie befragt haben, oder sie vorsätzlich verläugnen wollen.
Sie mögen sich, wenn man die Blume selbst in der Hand hat,
sehr schön dagegen recitiren lassen; nur vor sich allein sagen
sie wemg oder nichts. Ich höre in jedem Worte den arbeiten-
den Dichter, aber das Ding selbst bin ich weit entfernt zu
sehen.
Nochmals also: ich spreche nicht der Rede überhaupt das
4*
52
Vermögen ab, ein körperliches Ganze nach seinen Theilen zu
schildern; sie kann es, weil ihre Zeichen, ob sie schon aufein-
ander folgen, dennoch willkührliche Zeichen sind; sondern ich
spreche es der Rede als dem Mittel der Poesie ab, weil der-
gleichen wörtlichen Schilderungen der Körper das Täuschende
gebricht, worauf die Poesie vornehmlich gehet; und dieses Täu-
schende, sage ich, muss ihnen darum gebrechen, weil das Co-
existirende des Körpers mit dem Confecutiven der Rede dabei in
Collision kömmt, und indem jenes in dieses ausgelöset wird, uns
die Zergliederung des Ganzen in feine Theile zwar erleichtert,
aber die endliche Wiederzusammensetzung dieser Theile in das
Ganze ungemein schwer, und nicht selten unmöglich gemacht
wird.
Ueberall, wo es daher auf das Täuschende nicht ankömmt,
wo man nur mit dem Verstände seiner Leser zu thun hat, und
nur auf deutliche und so viel als möglich vollständige Begriffe
gehet, so können diese aus der Poesie ausgeschlossenen Schilde-
rungen der Körper gar wohl Platz haben, und nicht allein der
Prosaist, sondern auch der dogmatische Dichter (denn da, wo er
dogmatisirt, ist er kein Dichter) können sich ihrer mit vielem
Nutzen bedienen. — —
Es bleibt dabei: Die Zeitfolge ist das Gebiet des Dichters,
so wie der Raum das Gebiet des Malers.
Zwei nothwendig entfernte Zeitpunkte in ein und eben
dasselbe Gemälde bringen, so wie Er. Mazzuoli den Raub der
Sabinisehen Jungfrauen, und derselben Auslohnung ihrer Ehe-
männer mit ihren Anverwandten; oder wie Titian die ganze Ge-
schichte des verlorenen Sohnes, fein lüderliches Leben, fein Elend
und feine Reue: heisst ein Eingriff des Malers in das Gebiet
des Dichters, den der gute Geschmack nie billigen wird.
Mehrere Theile oder Dinge, die ich nothwendig in der
Natur auf einmal übersehen muss, wenn sie ein Ganzes hervor-
bringen sollen, dem Leser nach und nach zuzählen, und ihm
dadurch ein Bild von dem Ganzen machen wollen, heisst ein
Eingriff des Dichters in das Gebiet des Malers, wobei der Dichter
viel Imagination ohne allen Nutzen verschwendet.
Doch, so wie zwei billige freundschaftliche Nachbarn zwar
nicht verstatten, dass sich einer in des andern innerstem Reiche
ungeziemende Freiheiten herausnehme, wohl aber auf den äusser-
sten Grenzen eine wechselseitige Nachsicht herrschen lassen, welche
die kleinen Eingriffe, die der eine in des andern Gerechtsame
in der Geschwindigkeit sich durch seine Umstände zu thun ge-
nöthigt sieht, friedlich von beiden Theilen compensiret: so auch
die Malerei und Poesie.
53
Ich will in dieser Absicht nicht anführen, dass in grossen
historischen Gemälden, der einzige Augenblick fast immer um
etwas erweitert ist, und dass lieh vielleicht kein einziges an Fi-
guren sehr reiches Stück findet, in welchem jede Figur voll-
kommen die Bewegung und Stellung hat, die sie in dem Augen-
blick der Haupthandlung haben sollte; die eine hat eine etwas
frühere, die andere eine etwas spätere. Es ist dieses eine Frei-
heit, die der Meister durch gewisse Feinheiten in der Anordnung
rechtfertigen muss, durch die Verwendung oder Entfernung seiner
Personen, die ihnen an dem, was. vorgeht, einen mehr oder
weniger augenblicklichen Antheil zu nehmen erlaubet. Ich will
mich bloss einer Anmerkung bedienen, welche Herr Mengs*)
über die Draperie des Raphael macht. „Alle Falten, sagt er,
haben bei ihm ihre Ursachen, es fei durch ihr eigen Gewicht,
oder durch die Ziehung der Glieder. Manchmal siehet man in
ihnen, wie sie vorher gewesen; Raphael hat auch sogar in diesem
Bedeutung gesucht. Man siehet an den Falten, ob ein Bein oder
.Arm vor dieser Regung, vor oder hinten gestanden, ob das Glied
von Krümme zur Ausstreckung gegangen, oder gehet, oder ob
es ausgestreckt gewesen, und sich krümmet.“ Es ist unstreitig,
dass der Künstler in diesem Falle zwei verschiedene Augenblicke
in einen einzigen zusammen bringt. Denn da dem Fusse, welcher
hinten gestanden und sich vor bewegt, der Theil des Gewands,
welches auf ihm liegt, unmittelbar folget, das Gewand wäre
denn von sehr steifem Zeuge, der aber eben darum zur Malerei
ganz unbequem ist; so giebt es keinen Augenblick, in welchem
das Gewand im geringsten eine andre Falte machte, als es der
jetzige Stand des Gliedes erfordert; sondern lässt man es eine
andere Falte machen, so ist es der vorige Augenblick des Ge-
wandes und der jetzige des Gliedes. Dem ohngeachtet, wer
wird es mit dem Artisten so genau nehmen, der seinen Vortheil
dabei findet, uns diese beiden Augenblicke zugleich zu zeigen?
Wer wird ihn nicht vielmehr rühmen, dass er den Verstand und
das Herz gehabt hat, einen solchen geringen Fehler zu begehen,
um eine grössere Vollkommenheit des Ausdrucks zu erreichen?
Gleiche Nachsicht verdient der Dichter. Seine fortschreitende
Nachahmung erlaubet ihm eigentlich, auf einmal nur eine einzige
Seite, eine einzige Eigenschaft seiner körperlichen Gegenstände
zu berühren. Aber wenn die glückliche Einrichtung seiner
Sprache ihm dieses mit einem einzigen Worte zu thun verstattet;
warum sollte er nicht auch dann und wann ein zweites solches
Wort hinzu fügen dürfen? Warum nicht auch, wenn es die
*) R. Mengs „Gedanken über die Schönheit und über den Ge-
schmack in der Malerei.“
54
Mühe verlohnt, ein drittes? Oder wohl gar ein viertes? Wer
wird ihn darum tadeln? Wer wird ihm diese kleine Ueppigkeit
nicht vielmehr Dank wissen, wenn er empfindet, welche gute
Wirkung sie an wenigen schicklichen Stellen haben kann?
Des Dichters sowohl als des Malers eigentliche Rechtfertigung
hierüber will ich aber nicht aus dem vorangeschickten Gleichnisse
von zwei freundlicher^ Nachbarn hergeleitet wissen. Ein blosses
Gleichniss beweisst und rechtfertigt nichts. Sondern dieses muss
sie rechtfertigen: so wie dort bei dem Nachbar die zwei verschie-
denen Augenblicke so nahe und unmittelbar an einander grenzen,
dass sie ohne Anstoss für einen einzigen gelten können ; so folgen
auch hier bei dem Dichter die mehreren Züge für die verschiedenen
Theile und Eigenschaften im Raume in einer solchen gedrängten
Kürze so schnell auf einander, dass wir sie alle auf einmal zu
hören glauben. — —
Was ich von körperlichen Gegenständen überhaupt gesagt
habe, das gilt von körperlichen schönen Gegenständen um so viel
mehr. Körperliche Schönheit entspringt aus der übereinstimmenden
Wirkung mannigfaltiger Theile, die sich auf einmal übersehen
lassen. Sie erfordert also, dass diese Theile neben einander liegen
müssen; und da Dinge, deren Theile neben einander liegen, der
eigentliche Gegenstand der Malerei sind: so kann sie und nur sie
allein, körperliche Schönheit nachahmen.
Der Dichter, der die Elemente der Schönheit nur nach ein-
ander zeigen könnte, enthält sich daher der Schilderung körper-
licher Schönheit, als Schönheit, gänzlich. Er fühlt es, dass diese
Elemente nach einander geordnet, unmöglich die Wirkung haben
können, die sie, neben einander geordnet, haben; dass der con-
centrirende Blick, den wir nach ihrer Enumeration auf sie zugleich
zurück senden wollen, was doch kein übereinstimmendes Bild ge-
währet; dass es über die menschliche Einbildung gehet, sich vor-
zustellen, was dieser Mund, und diese Nase, und diese Augen
zusammen für einen Effekt haben, wenn man sich nicht aus der
Natur oder Kunst einer ähnlichen Oomposition solcher Theile er-
innern kann.
Und auch hier ist Homer das Muster aller Muster. Er sagt:
Nireus war schön; Achilles war noch schöner; Helena besass eine
göttliche Schönheit. Aber nirgends lässt er sich in die umständ-
lichere Schilderung dieser Schönheiten ein. Gleichwohl ist das
ganze Gedicht auf die Schönheit der Helena gebaut. — —
Aber verliert die Poesie nicht zu viel, wenn man ihr alle
Bilder körperlicher Schönheit nehmen will? — Wer will ihr die
nehmen? Wenn man ihr einen einzigen Weg zu verleiden sucht,
auf welchem sie zu solchen Bildern zu gelangen gedenket, indem
sie die Fusstapfen einer verschwisterten Kunst aufsucht, in denen
sie ängstlich herum irret, ohne jemals mit ihr das gleiche Ziel zu
erreichen: verschliefst man ihr darum auch jeden andern Weg, wo
die Kunst hinwiederum auch ihr nachsehen muss?
Eben der Homer, welcher sich aller stückweisen Schilderung
körperlicher Schönheiten so geflissentlich enthält, von dem wir
kaum einmal im Vorbeigehen erfahren, dass Helena weisse Anne und
schönes Haar gehabt; aber der Dichter weiss demohngeachtet
uns von der Schönheit einen Begriff zu machen, der alles weit
übersteiget, was die Kunst in dieser Absicht zu leisten im Stande
ist. Man erinnere sich der Stelle, wo Helena in die Versammlung
der Aeltesten des Trojanischen Volkes tritt. — Was kann eine
lebhaftere Idee der Schönheit geben, als dass das kalte Alter sie
des Kriegs wohl werth erkennen lassen, der so viel Blut und so viele
Thränen kostet?
Was Homer nicht nach seinen Bestandtheilen beschreiben
konnte, lässt er uns in seiner Wirkung erkennen. Malet uns,
Dichter, das Wohlgefallen, die Zuneigung, die Liebe, das Ent-
zücken, welches die Schönheit verursachet, und ihr habt die Schön-
heit selbst gemalet.
Ein andrer Weg, auf welchem die Poesie die Kunst in
Schilderung körperlicher Schönheit wiederum einholet, ist dieser,
dass sie Schönheit in Reiz verwandelt. Reiz ist Schönheit in
Bewegung, und eben darum dem Maler weniger bequem als dem
Dichter. Der Maler kann die Bewegung nur errathen lassen,
in der That aber sind feine Figuren ohne Bewegung. Folglich
wird der Reiz bei ihm zur Grimasse. Aber in der Poesie bleibt
er was er ist; ein transitorisches Schönes, das wir wiederholt
zu sehen wünschen. Es kömmt und geht; und da wir uns
Überhaupt einer Bewegung leichter und lebhafter erinnern können,
als blosser Formen und Farben: so muss der Reiz in dem nehm-
lichen Verhältnisse stärker auf uns wirken, als die Schönheit.--------
Ein einziger unschicklicher Theil kann die übereinstimmende
Wirkung vieler zur Schönheit stören. Doch wird der Gegenstand
darum noch nicht hässlich. Auch die Hässlichkeit erfordert
mehrere unschickliche Theile, die wir ebenfalls auf einmal müssen
Übersehen können, wenn wir dabei das Gegentheil von dem em-
pfinden sollen, was uns die Schönheit empfinden lässt.
Sonach würde auch die Hässlichkeit, ihrem Wesen nach,
kein Vorwurf der Poesie sein können; und dennoch hat Homer die
äusserste Hässlichkeit in dem Thersites geschildert. Warum war
ihm bei der Hässlichkeit vergönnet, was er bei der Schönheit so
einsichtsvoll sich selbst untersagte? Wird die Wirkung der Häss-
lichkeit durch die auf einander folgende Enumeration ihrer
Elemente nicht eben sowohl gehindert, als die Wirkung der Schön-
heit durch die ähnliche Enumeration ihrer Elemente vereitelt wird?
56
Allerdings wird sie das; aber hierin liegt auch die Recht-
fertigung des Homers. Eben weil die Hässlichkeit in der Schilderung
des Dichters zu einer minder widerwärtigen Erscheinung körper-
licher Unvollkommenheiten wird, und gleichsam, von der Seite
ihrer Wirkung, Hässlichkeit zu fein aufhöret, wird sie dem Dichter
brauchbar; und was er vor sich selbst nicht nutzen kann, nutzt
er als ein Ingrediens, um gewisse vermischte Empfindungen hervor-
zubringen und zu verstärken, mit welchen er uns in Ermangelung
rein angenehmer Empfindungen unterhalten muss.
Diese vermischten Empfindungen sind das Lächerliche und
das Schreckliche.
Homer macht den Thersites hässlich, um ihn lächerlich zu
machen. Er wird aber nicht durch feine blosse Hässlichkeit
lächerlich; denn Hässlichkeit ist Unvollkommenheit, und zum Lächer-
lichen wird ein Contrast von Vollkommenheiten und Unvollkommen-
heiten erfordert. Dieses ist die Erklärung meines Freundes (Moses
Mendelssohn}, zu der ich hinzusetzen möchte, dass dieser Contrast
nicht zu grell und zu schneidend sein muss, dass die Opposita,
um in der Sprache der Maler fortzufahren, von der Art sein
müssen, dass sie siel? in einander verschmelzen lassen. Der weife
und rechtschaffene Aesop wird dadurch, dass man ihm die Hässlich-
keit des Thersites gegeben, nicht lächerlich. Es war eine alberne
Mönchsfratze, das „Lachen-Erregende“ seiner lehrreichen Märchen,
vermittelst der Ungestaltheit auch in seine Person verlegen zu
wollen. Denn ein missgebildeter Körper und eine schöne Seele
sind wie Oel und Essig, die, wenn man sie schon in einander
schlägt, für den Geschmack doch immer getrennt bleiben. Sie
gewähren kein Drittes; der Körper erweckt Verdruss, die Seele
Wohlgefallen; jedes das feine für sich. Nur wenn der missge-
bildete Körper zugleich gebrechlich und kränklich ist, wenn er
die Seele in ihren Wirkungen hindert, wenn er die Quelle nach-
theiliger Vorurtheile gegen sie wird: alsdann hiessen Verdruss
und Wohlgefallen in einander; aber die neue daraus entspringende
Erscheinung ist nicht Lachen, sondern Mitleid, und der Gegen-
stand, den wir ohne dieses nur hochgeachtet hätten, wird interessant.
Der missgebildete gebrechliche Pope musste seinen Freunden weit
interessanter fein, als der schöne und gesunde Wicherley den
seinen. — So wenig aber Thersites durch die blosse Hässlich-
keit lächerlich wird, eben so wenig würde er es gegen dieselbe
sein. Die Hässlichkeit, die Uebereinstimmung dieser Hässlichkeit
mit seinem Charakter; der Widerspruch, den beide mit der Idee
machen, die er von seiner eigenen Wichtigkeit heget; die un-
schädliche, ihm allein demüthigende Wirkung seines boshaften Ge-
schwätzes: alles muss zusammen zu diesem Zwecke wirken. Der
letztere Umstand ist das „Unschädliche“, welches Aristoteles un-
57
umgänglich zu dem Lächerlichen verlanget; so wie es auch mein
Freund zu einer nothwendigen Bedingung macht, dass jener
Fontrast von keiner Wichtigkeit sein und uns nicht sehr interessiren
müsse. Denn man nehme auch nur an, dass dem Thersites selbst
feine hämische Verkleinerung des Agamemnons theurer zu stehen
gekommen wäre, dass er sie, anstatt mit ein Paar blutigen
Schwielen, mit dem Lehen bezahlen müssen: und wir würden
aufhören über ihn zu lachen. Denn dieses Scheusal von einem
Menschen ist doch ein Mensch, dessen Vernichtung uns stets ein
grösseres Uebel scheinet, als alle feine Gebrechen und Laster.--
So nutzt der Dichter die Hässlichkeit der Formen: welchen
Gebrauch ist dem Maler davon zu machen vergönnet?
Die Malerei, als nachahmende Fertigkeit, kann die Häss-
lichkeit ausdrücken; die Malerei, als schöne Kunst, will sie
uicht ausdrücken. Als jener, gehören ihr alle sichtbare Gegen-
wände zu; als diese, schliesst sie sich nur auf diejenigen
sichtbaren Gegenstände ein, welche angenehme Empfindungen
Zwecken.
Aber gefallen nicht auch die unangenehmen Empfindungen
m der Nachahmung? Nicht alle. Ein scharfsinniger Kunstrichter
Wat dieses bereits von dem Ekel bemerkt. „Die Vorstellungen
der Furcht,“ sagt er, „der Traurigkeit, des Schreckens, des Mit-
leids u. s. w. können nur Unlust erregen, in so weit wir das
Febel für wirklich halten. Diese können also durch die Erinne-
rung, dass es ein künstlicher Betrug fei, in angenehme Empfin-
dungen aufgelöset werden. Die widrige Empfindung des Ekels
aW erfolgt, vermöge des Gesetzes in der Einbildungskraft auf
die blosse Vorstellung in der Seele, der Gegenstand mag für
wirklich gehalten werden, oder nicht. Was hilfts dem beleidigten
Fexnüthe also, wenn sich die Kunst der Nachahmung noch so
Wdir verräth? Ihre Unlust entsprang nicht aus der Voraussetzung,
dass das Mittel wirklich fei, sondern aus der blossen Vorstellung
desselben, und diese ist wirklich da. Die Empfindungen des
Fkels sind also allezeit Natur, niemals Nachahmung. “
Eben dieses gilt von der Hässlichkeit der Formen. Diese
Lässlichkeit beleidiget unser Gesicht, widerstehet unserm Ge-
Icltmacke an Ordnung und Uebereinstimmung, und erwecket Ab-
fcheu, ohne Rücksicht auf die wirkliche Existenz des Gegen-
standes, an welchem wir sie wahrnehmen. Wir mögen den
H her fites weder in der Natur noch im Bilde sehen; und wenn
weniger missfällt, so geschieht dieses doch nicht
die Hässlichkeit seiner Form in der Nacliahmung
sein aufhöret, sondern weil wir das Vermögen
ieser Hässlichkeit zu abstrahiren, und uns blos
,ln f]er Kunst des Malers vergnügen. Aber auch dieses Ver-
ton fein Bild
Weswegen, weil
¡Hässlichkeit zu
besitzen, von <
58
gnügen wird alle Augenblicke durch die Ueberleguug unter-
brochen, wie übel die Kunst angewendet worden, und diese
Ueberlegung wird selten fehlen, die Geringschätzung des Künst-
lers nach sich zu ziehen.
Aristoteles giebt eine andere Ursache an, warum Dinge,
die wir in der Natur mit Widerwillen erblicken, auch in der
getreuesten Abbildung Vergnügen gewähren; die allgemeine
Wissbegierde des Menschen. Wir freuen uns, wenn wir entweder
aus der Abbildung lernen können, was jedes Ding ist, oder
wenn wir daraus schließen können, dass es dieses oder jenes
ist. Allein auch hieraus folget, zum besten der Hässlichkeit in
der Nachahmung, nichts. Das Vergnügen, welches aus der Be-
friedigung unsrer Wissbegierde entspringt, ist momentan, und
dem Gegenstände, über welchen sie befriedigt wird, nur zufällig,
das Missvergnügen hingegen, welches den Anblick der Hässlich-
keit begleitet, permanent, und dem Gegenstände, der es erweckt,
wesentlich. Wie kann also jenes diesem das Gleichgewicht
halten? Noch weniger kann die kleine angenehme Beschäftigung,
welche uns die Bemerkung der Aehnlichkeit macht, die unange-
nehme Wirkung der Hässlichkeit besiegen. Je genauer ich das
hässliche Nachbild mit dem hässlichen Urbilde vergleiche, desto
mehr stelle ich mich dieser Wirkung bloss, so dass das Vergnügen
der Vergleichung gar bald verschwindet, und mir nichts als der
widrige Eindruck der verdoppelten Hässlichkeit übrig bleibt-
Nach den Beispielen, welche Aristoteles giebt, zu urtheilen,
scheinet es, als habe er auch selbst die Hässlichkeit der Formen
nicht mit zu den missfälligen Gegenständen rechnen wollen, die
in der Nachahmung gefallen können. Diese Beispiele sind reissende
Thiere und Leichname. Reissende Thiere erregen Schrecken,
wenn sie auch nicht hässlich sind; und dieses Schrecken, nicht
ihre Hässlichkeit ist es, was durch die Nachahmung in angenehme
Empfindung ausgelöset wird. So auch mit den Leichnamen; das
schärfere Gefühl des Mitleids, die schreckliche Erinnerung an
unsre eigne Vernichtung ist es, welche uns einen Leichnam in
der Natur zu einem widrigen Gegenstände macht; in der Nach-
ahmung aber verlieret jenes Mitleid durch die Ueberzeugung des
Betrugs, das Schneidende, und von dieser fatalen Erinnerung
kann uns ein Zusatz von schmeichelhaften Umständen entweder
gänzlich abziehen, oder sich so unzertrennlich mit ihr vereinen,
dass wir mehr wünschenswürdiges als schreckliches darin zu be-
merken glauben.
Da also die Hässlichkeit der Formen, weil die Empfindung,
welche sie erregt, unangenehm, und doch nicht von derjenigen
Art unangenehmer Empfindungen ist, welche sich durch die Nach-
ahmung in angenehme verwandeln, an und vor sich selbst kein
59
Vorwurf der Malerei, als schöner Kunst, fein kann: so käme
es noch darauf an, ob sie ihr nicht eben so wohl wie der Poesie,
als Ingrediens, um andere Empfindungen zu verstärken, nützlich
fein könne.
Darf die Malerei zu Erreichung des Lächerlichen und
schrecklichen sich hässlicher Formen bedienen?
Ich will es nicht wagen, so grade zu mit Nein hierauf zu
antworten. Es ist unläugbar, dass unschädliche Hässlichkeit auch .
;ri der Malerei lächerlich werden kann; besonders wenn eine
Affeetation nach Heiz und Ansehen damit verbunden wird. Es
lSt eben so unstreitig, dass schädliche Hässlichkeit, so wie in der
Hatur, also auch im Gemälde Schrecken erwecket; und dass
Jones Lächerliche und dieses Schreckliche, welches schon vor sich
vermischte Empfindungen sind, durch die Nachahmung einen
Neuern Grad von Anzüglichkeit und Vergnügen erlangen.
Ich muss aber zu bedenken geben, dass demohngeachtet
fich die Malerei hier nicht völlig mit der Poesie in gleichem
Falle befindet. In der Poesie, wie ich angemerket, verlieret die
Hässlichkeit der Form, und die Veränderung ihrer coexistirenden
theile in successive, ihre widrige Wirkung fast gänzlich; sie höret
'°n dieser Seite gleichsam auf,» Hässlichkeit zu fein, und kann
"oh daher mit andern Erscheinungen desto inniger verbinden,
eine neue besondre Wirkung hervorzubringen. In der Malerei
hingegen hat die Hässlichkeit alle ihre Kräfte beisammen, und
wirket nicht viel schwächer, als in der Natur selbst. Unschädliche
Hässlichkeit kann folglich nicht wohl lange lächerlich bleiben;
^fe unangenehme Empfindung gewinnt die Oberhand, und was
1,1 den ersten Augenblicken possirlich war, wird in der Folge
blos abscheulich. Nicht anders geht es mit der schädlichen
Hässlichkeit; das Schreckliche verliert sich nach und nach, und
Unförmliche bleibt allein und unveränderlich zurück.
11. Roms Verfall.
(Herder, Ideen zur Gesch. d. Menschheit.)
Das Gesetz der Wiedervergeltung ist eine ewige Natur-
°rdnung. Wie bei einer Waage keine Schaale niedergedrückt
Werden kann, ohne dass die andere höher steigt; so wird auch
kein politisches Gleichgewicht gehoben, kein Frevel gegen die
Hechte der Völker und der gesummten Menschheit verübt, ohne
jfet-s sich derselbe räche, und das gehäufte Uebermaass selbst
*bi einen desto schrecklicheren Sturz bewirke. Wenn Eine Ge-
buchte uns diese Naturwahrheit zeigt, so ist’s die römische Ge-
buchte; man erweitere aber seinen Blick, und fessle ihn auf
60
eine einzige Ursache des römischen Verderbens. Hätten die
Römer auch Aßen und Griechenland nie gesehen, und gegen
andere, ärmere Länder nach ihrer Weise verfahren; ohne Zweifel
wäre ihr Sturz zu anderer Zeit, unter andern Umständen, den-
noch aber unvermeidlich: gewesen. Der Keim der Verwesung
lag im Innern des Gewächses: der Wurm nagte an seiner Wur-
zel, an seinem Herzen; und so musste auch der riesenhafte Raum
endlich sinken.
1) Im Innern der Verfassung Roms lag ein Zwiespalt, der,
wenn er nicht gehoben ward, den Untergang früher oder später
bewirken musste; es war die Einrichtung des Staats selbst, di0
unbilligen oder unsicheren Grenzen zwischen dem Rathe, der
Ritterschaft und den Bürgern. Unmöglich hatte Romulus all0
zukünftigen Fälle seiner Stadt voraussehen können, als er diel0
Eintheilung machte: er schuf sie nach seinen Umständen und
nach seinem Bedürfnisse; da dies sich änderte, fand schon $r
den Tod durch die, denen sein Ansehn zu lästig war. Keiner
von seinen Nachfolgern hatte Herz oder Bedürfniss, das zu thun-
was Romulus nicht gethan hatte; sie überwogen die Gegenpartei
mit ihrer Person, und lenkten in einem mit Gefahren umgebenen
rohen Staate beide Theile. Servius musterte das Volk, und gab
das meiste Gewicht den Reichen in die Hände. Unter den
ersten Consuln drängten die Gefahren zu sehr; es leuchteten auch
zu grosse, starke, verdiente Männer unter den Patriciern hervor,
als dass das rohere Volk nicht hätte folgen müssen. Bald aber
änderten sich die Umstände, und der Druck der Edlen ward un-
erträglich. Die Schuldenlast ging den Bürgern über ihr Haupt:
sie nahmen zu wenig an der Gesetzgebung, zu wenig am Sieg0
Theil, den sie doch selbst erfechten mussten, und so entwich da8
Volk auf den heiligen Berg, so entstanden Streitigkeiten, die sich als0
durch die ganze Geschichte Roms fortweben. Daher der lang0
so oft verjüngte Streit, über Austheilung der Aecker, über Theil'
nehmung des Volkes an obrigkeitlichen, consularischen, gottes-
dienstlichen Würden; bei welchen Streitigkeiten jede Partei fhr
ihr Eignes stritt, und Niemand das ganze unparteiisch einrichten
wollte. Bis unter die Triumvirate hat dieser Zwist gedauert; F
die Triumvirate selbst waren nur dessen Folgen. Da diese nun
der ganzen römischen Verfassung ein Ende machten, und jener
Zwist beinahe so alt, wie die Republik war: so siehet man, dass
es keine äussere sondern eine innere Ursache war, die vom An'
fang an am Keime des Staates nagte. Sonderbar scheint es da-
her, wenn man die römische Staatsverfassung als die vollkom-
menste schilderte! sie, die eine der unvollkommensten auf der
Welt, aus rohen Zeitumständen entstanden, nachher nie mit einen1
Blick aufs Ganze verbessert, sondern immer hur parteiisch s°
61
"ud anders geformt war. Der einzige Cäsar hätte sie ganz
bessern mögen; es war aber zu spät, und die Dolchstiche, die
lbn tödteten, kamen jedem Entwurf einer besseren Einrichtung
zuvor.
Es liegt ein Widerspruch in dem Grundsatz: Rom, die Kö-
nigin der Nationen, Rom, die Beherrscherin der Welt, denn
^om war nur eine Stadt, und ihre Einrichtung nur eine Stadt-
einrichtung. Zwar trug es allerdings zur hartnäckigen Bekrie-
gUng der Völker, mithin zu seinen langen Siegen bei, dass Roms
Kriegsentschlüsse die Entschlüsse eines unsterblichen Senats, nicht
fcines sterblichen Monarchen waren, weil sich der Geist seiner
"'eltverderblichen Maximen in einem Collegium nothwendig mehr,
als in einer wandelbaren Reihe von Beherrschern erhalten musste,
'la, da Senat und Volk fast immer in Spannung gegen einander
fanden, und jener bald dem unruhigen Haufen, bald einem un-
klugen Kopfe Krieg schaffen und auswärts zu thun geben musste,
^mit inwendig die Ruhe gesichert bliebe, so trug auch diese
Dauernde Spannung allerdings zur fortgesetzten Weltstörung viel
J(Ji. Endlich da der Senat selbst zu seiner Aufrechterhaltung
nicht nur Siege oder Siegesgerüchte, sondern selbst harte,
sollende Gefahren nöthig hatte, und jeder kühne Patricier, der
krebs Volk wirken wollte, Geschenke, Spiele, Namen, Triumphe
bedurfte, welches alles ihm allein, oder vorzüglich der Krieg ge-
währen konnte: freilich so gehörte diese vielgetheilte, unruhige
‘aadtregierung dazu, die Welt in Unruhe zu setzen, und sie
Jahrhunderte darin zu erhalten; denn kein geordneter mit sich
felbst friedlicher Staat hätte, um seiner eigenen Glückseligkeit
W'hen, der Erde dies schreckliche Schauspiel gegeben. Ein an-
dres ist aber Eroberungen machen und sie erhalten: Siege er-
lebten und sie zum Nutzen des Staats gebrauchen. Das letzte
lat Rom, seiner inneren Einrichtung wegen, nie gekonnt; und
das erste vermochte es nur durch Mittel, die der Verfassung
ker Stadt völlig entgegen waren. Schon die ersten Könige,
auf Eroberungen ausgingen, waren genöthigt, einige über-
ladene Städte und Völker in die Mauern Roms zu nehmen,
lamit der schwache Baum Wurzel und Stimm erhielt, der so
^"geheure Aeste treiben wollte; die Zahl der Einwohner Roms
W^hs also schrecklich. Nachher schloss die Stadt Bündnisse
M die Bundesverwandten zogen mit ihr zu Felde; sie nahmen
also
an ihren Siegen und Eroberungen Theil, und waren Römer,
bNn sie gleich noch nicht römische Bürger oder Einwohner der
‘aut waren. Bald also entglommen jene heftigen Streitigkeiten,
l,Ss auch den Bundesgenossen das Bürgerrecht Roms zukomme;
j^e unvermeidliche Forderung, die in der Natur der Sache selbst
Aus ihr entstand der erste bürgerliche Krieg, der Italien
1
(32
dreihunderttaufend seiner Jünglinge kostete, und Rom, das sogar
leine Freigelassenen bewaffnen musste, an die Grenzen des Unter-
gangs brachte-, denn es war ein Krieg zwischen Haupt und
Gliedern, den nicht anders als damit endigen konnte, dass künf-
tig auch die Glieder zu diesem unförmlichen Haupte gehören
sollten. Nun war ganz Italien Rom, und es verbreitete sich zur
grossen Verwirrung der Welt immer weiter. Ich will nicht
daran denken, was diese Romanisirung für gerichtliche Unordnung
in alle Städte Italiens brachte, und nur das Uebel bemerken, das
fortan aus allen Gegenden und Enden in Rom selbst zusammen-
floss. Wenn vorher schon alles nach dieser Stadt drängte und
die Tafeln des Census so wenig rein gehalten werden konnten,
dass es sogar einen Consul gab, der kein römischer Bürger war; wie
denn jetzt, da das Haupt der Welt ein Gedränge aus ganz Italien,
mithin das ungeheuerste Haupt war, das je die Erde getragen-
Gleich nach des Sulla Tode waren die Herren der Erde vier-
hundert fünfzig tausend Mann stark: bei der Aufnahme der
Bundesgenossen stieg ihre Zahl ungleich höher, und zu Cäsars
Zeiten fanden sich dreihundert zwanzig tausend, die bei öffent-
lichen Austheilungen Korn begehrten. Man denke sich diese
ungestümen und, einem grossen Theile nach, müssigen Haufen
bei Stimmversammlungen in Begleitung feiner Patrone und derer,
die sich um Ehren-Aemter bewarben: so wird man begreifen,
wie durch Geschenke, Spiele, Prachtaufzüge, Schmeicheleien, am
meisten endlich durch Soldatengewalt, die Meutereien in Rom
gestiftet, die Blutbäder angerichtet, die Triumvirate gegründet
werden konnten, die jene stolze Beherrscherin der Welt endlich
zur Sklavin ihrer selbst machten. Wo war nun das Ansehn des
Senats, einer Zahl von 400 bis 600 Personen, gegen diese zahl-
lose Menge, die Herrenrechte verlangte, und in gewaltigen Heeren
bald diesem, bald jenem zu Gebote stand? Welche arme Gestalt
spielte der Gott Senat, wie ihn die schmeichlerischen Griechen
nannten, gegen Marius, Sulla, Pompe;us und Cäsar, Antonius und
Octavius! die Kaiserwütheriche noch ungerechnet. Der Vater
des Vaterlandes, Cicero, erscheint in armer Gestalt, wenn ihn
auch nur ein Clodius angreift: feine besten Rathschläge gelten
wenig, nicht nur gegen das, was Pompejus, Cäsar, Antonius u. a-
wirklich thaten, sondern was selbst ein Catilina beinahe zu Stand6
gebracht hätte. Nicht von den Gewürzen Asiens, nicht von der
Weichlichkeit Luculls entsprang dieses Missverhältnis, sondern
von der Grundverfassung Roms, da es als eine Stadt das Haupt
der Welt fein wollte.
2) Aber es gab nicht nur Senat und Volk in Rom, sondern
auch Sklaven, und zwar deren eine um so grössere Menge, Je
mehr die Römer Herren der Welt wurden. Durch Sklaven be*
63
arbeiteten iie ihre weitläufigen Aecker in Italien, Sicilien, Griechen-
land u. s. f.; eine Menge Sklaven war ihr häuslicher Reichthum,
und der Handel mit ihnen, ja die Abrichtung derselben war ein
grosses Gewerbe Roms, dessen sich auch Cato nicht schämte.
Längst waren nun die Zeiten vorüber, da der Herr mit seinem
Knechte fast brüderlich umging, und Romulus das Gesetz geben
konnte, dass ein Vater seinen Sohn dreimal zum Knecht ver-
kaufen konnte: die Sklaven der Weltüberwinder waren aus allen
Gegenden der Erde zusammengetrieben, und wurden von gütigen
Herren gelinde, von unbarmherzigen oft als Thiere behandelt.
3) Ein Wunder wäre es gewesen, wenn aus diesem ungeheueren
Haufen unterdrückter Menschen den Römern kein Schaden hätte ,
zuwachsen sollen, denn wie jede böse Einrichtung, so musste auch
diese nothwendig sich selbst rächen und strafen. Mit nichten
War diese Rache allein jener blutige Sklavenkrieg, den Spartakus j
mit Feldherrnmuth und Klugheit drei Jahre gegen die Römer
ftihrte: von 74 stieg sein Anhang bis zu 70,000 Mann; erschlug
verschiedene Feldherren, selbst zwei Consuln, uxfc es wurden viel
Gräuel verübt. Her grössere Schaden war der, der durch die
Lieblinge ihrer Herren, die Freigelassenen, entstand, durch welche
Rom zuletzt, im eigentlichsten Verstände eine Sklavin der Sklaven
Wurde. Schon zu Sulla's Zeiten fing dieses Uebel an, und unter
den Kaisern mehrte es sich so schrecklich, dass ich nicht im
Stande bin, die Unordnungen und Gräuel zu schildern, die durch
Freigelassene und Lieblingsknechte entstanden sind. Geschichte
und Satyren der Römer sind davon voll, kein wildes Volk auf
der Erde kennet dergleichen. So ward Rom durch Rom ge-
straft; die Unterdrücker der Welt wurden der verruchtesten
Sklaven demüthige Knechte.
4) Endlich kam allerdings der Luxus dazu, dem Rom zu
seinem Unglück so bequem lag, als ihm zu seinen Welteroberungen
allerdings auch feine Lage geholfen hatte. Wie aus einem Mittel-
punkte beherrschte es das mittelländische Meer, mithin die reichsten
Küsten dreier Welttheile; ja über Alexandrien zog es durch an
sehnliche Flotten die Kostbarkeiten Aethiopiens und des äussersten
Indiens an sich. Meine Worte reichen nicht hin, jene rohe Ver-
schwendung und Ueppigkeit zu schildern, die seit der Eroberung
Asiens in Gastmahlen und Spielen, in Leckerbissen und Kleidern,
bi Gebäuden und Hausgeräth nicht nur in Rom selbst, sondern
in allem was zu ihm gehörte, herrschten. Man trauet seinen
Augen nicht, wenn man die .Beschreibungen dieser Dinge, den
hohen Preis ausländischer Kostbarkeiten und mit der Verschwen-
dung zugleich die Schuldenlast der Römer, welche zuletzt Frei-
gelassene und Sklaven waren, liefet. Nothwendig zog dieser Auf-
wand die bitterste Armuth nach sich. Jene Geldquellen, die
I
64
Jahrhunderte lang in Korn aus allen Provinzen zusammenflössen,
mussten endlich versiegen: und da der ganze Handel der Körner
ihnen im höchsten Grade nachtheilig war, indem sie in Ueberfluss
kauften und Geld hingaben, io ist’s nicht zu verwundern, dass
Indien allein ihnen jährlich eine ungeheure Summe frais. Dabei
verwilderte das Land, der Ackerbau ward nicht mehr, wie einst
von den alten Römern und ihren Zeitgenossen in Italien getrieben:
die Künstler Kom’s gingen auf das Entbehrliche, nicht auf das
Nützliche, auf ungeheure Pracht und Aufwand in Triumphbogen,
Bädern, Grabmälern, Theatern, Amphitheatern u. f. Wunder-
gebäude, die allein diese Plünderer der Welt aufführen konnten.
In keiner nützlichen Kunst, in keinem Nahrungszweige der mensch-
lichen Gesellschaft hat je ein Römer etwas erfunden, geschweige
dass er damit andern Nationen hätte dienen und von ihnen ge-
rechten und bleibenden Vortheil ziehen mögen. Bald also ver-
armte das Reich, das Geld wurde schlecht, und schon im dritten
Jahrhundert unserer Zeitrechnung bekam ein Feldherr nach diesem
schlechteren Geld kaum das zur Besoldung, was zu den Zeiten
Augusts für den gemeinen Soldaten zu gering war. Lauter
natürliche Folgen des Laufs der Dinge, die auch blos als Handel
und Gewerbe berechnet, nicht anders als also folgen konnten.
Zugleich nahm, aus eben diesen verderblichen Ursachen das
menschliche Geschlecht ab, nicht nur an Anzahl, sondern auch
an Grösse, Wuchs und innern Kräften. Eben das Rom und
Italien, das die volkreichsten blühendsten Länder der Welt,
Sicilien, Griechenland, Spanien, Asien, Afrika und Aegypten zu
einer halben Einöde gemacht hatte, zog durch feine Gesetze und
Kriege, noch mehr aber durch seine verderbte, müssige Lebens-
art, durch feine ausschweifenden Laster, durch die Verstofsung
der Weiber, Härte gegen die Sklaven, und späterhin durch die
Tyrannei gegen die edelsten Menschen, sich selbst den natürlich
unnatürlichsten Tod zu. Jahrhunderte hin liegt das kranke Rom
in schrecklichen Zuckungen auf dem Siech bette; das Siechbett ist
über eine ganze Welt ausgebreitet, von der es sich feine Hissen
Gifte erpresst hat; sie kann ihm jetzt nicht anders helfen, als
dass sie seinen Tod befördert. Barbaren kommen herzu, nordische
Riesen, denen die entnervten Römer wie Zwerge erscheinen;
sie verwüsten Rom und geben dem ermatteten Italien neue
Kräfte. Ein fürchterlich-gültiger Erweis, dass alle Ausschweifung
in der Natur sich selbst räche und verzehre! Dem Luxus der
Morgenländer haben wir es Dank, dass die Welt früher von
einem Leichnam befreiet ward, der durch Siege in andern Welt-
gegenden zwar, auch wahrscheinlich aber nicht so bald und so
schrecklich in die Verwesung gegangen wäre.
5) Jetzt sollte ich alles zusammenfassen, und die grosse
65
Ordnung der Natur entwickeln, wie auch ohne Luxus, ohne
Pöbel, Senat und Sklaven der Kriegsgeist Roms allein sich zu-
letzt selbst verderben und das Schwert in feine Eingeweide
kehren musste, das er so oft auf unschuldige Städte und Nationen
gezückt hatte; hierüber aber spricht statt meiner die laute Ge-
schichte.
Was sollten die Legionen, die, ungesättigt vom Raube, nichts
mehr zu rauben fanden, vielmehr an den partbischen und deutschen
Grenzen das Ende ihres Ruhmes sahen: was sollten sie thun, als
zurückkehrend ihre Mutter selbst würgen? Schon zu Marius’
und Sulla’s Zeiten fing dies schreckliche Schauspiel an; anhängend
ihrem Feldherrn oder von ihm bezahlt, rächten die wiederkommen-
den Heere ihren Feldherrn an seiner Gegenpartei mitten im
Vaterlande, und Rom floss von Blut über. Dies Schauspiel dauerte
fort. Indem Pompejus und Cäsar in dem Lande, wo einst die
Musen gesungen und Apollo als Schäfer geweidet, theuer ge-
miethete Heere gegen einander führten, ward in dieser Ferne,
von Römern, die gegen Römer fochten, das Schicksal [ihrer Mutter-
stadt entschieden. So ging es bei dem grausamen Vergleiche des
Triumvirs zu Modena, der in einem Verzeichnisse dreihundert
Rathsmitglieder und zweitausend Ritter der Acht und dem Tode
preisgab und zweihundert Talente meistens aus Rom und von
den Weibern selbst erpresste. So nach der Schlacht bei Philippi,
in welcher Brutus fiel, so vor dem Kriege gegen den zweiten
Pompejus, den ediern Sohn eines grossen Vaters, so nach der
Schlacht bei Aktium u. s. f. Vergebens, dass der schwache
grausame August den friedlamen gütigen spielte; das Reich war
durch’s Schwert gewonnen, es musste durch's Schwert vertheidigt
Werden, oder durch dasselbe fallen. Wenn es den Römern jetzt
zu schlummern gefiel, so wollten deshalb nicht auch die be-
leidigten oder regegemachten Nationen schlummern; sie forderten
Rache und gaben Wiedervergeltung, als ihre Zeit kam. Im römischen
Reiche war und blieb der Kaiser immer nur oberster Feldherr,
und als viele derselben ihre Pflicht vergassen, wurden sie
vom Heer daran fürchterlich erinnert. Es setzte und würgte
Kaiser, bis endlich der Oberste der Leibwache lieh zum Gross-
vezier aufdrang und den Senat zur elenden Puppe machte. Bald
bestand auch dieser nur aus Soldaten; aus Soldaten, die mit der
¿eit so schwach wurden, dass sie weder im Kriege noch im
Rathe taugten. Das Reich zerfiel, Gegenkaiser jagten und plagten
einander, die Völker drangen hinan und man musste Feinde ins
Heer nehmen, die andere Feinde lockten. So wurden die Provinzen
zerrissen und verwüstet: das stolze ewige Rom ging endlich im
Sturze unter, von seinen eignen Befehlshabern verlassen und ver-
rathen. Ein fürchterliches Denkmal, wie jede Eroberungswuth
Roquette, Deutsches Lesehuch. II. 5
66
grosser und kleiner Reiche, insonderheit wie der despotische
Soldatengeist nach gerechten Naturgesetzen ende. Fester und
grösser ist nie ein Kriegsstaat gewesen, als es der Staat der Römer
war; keine Leiche aber ist auch je schrecklicher zu Grabe
getragen worden als, Jahrhunderte durch, diese in der römischen
Geschichte, so dass es hinter Pompejus und Cäsar keinen Eroberer
und unter cultivirten Völkern kein Soldatenregiment mehr geben
sollte.
Grosses Schicksal! Ist die Geschichte der Römer uns dazu
geblieben, ja einem Theile der Welt mit dem Schwerte aufge-
drungen worden, damit wir dies lernen sollten? Und doch lernen
wir an ihr entweder nur Worte, oder sie hat, unrecht verstanden,
neue Römer gebildet, deren doch keiner seinem Vorbilde je
gleich kam. Nur Einmal standen jene alten Römer auf der
Schaubühne und spielten, meistens als Privatpersonen, das fürchter-
lich grosse Spiel, dessen Wiederholung wir der Menschheit nie
wünschen mögen. Lasset uns indessen sehen, was im Laufe der Dinge
auch dies Trauerspiel für Glanz und grosse Seiten gehabt habe.
12. Das Christenthum im römischen Reiche.
(Herder, Ideen zur Geschichte der Menschheit.)
1. Rom war die Hauptstadt der Welt: aus Rom ergingen die
Befehle, entweder zur Duldung oder zur Unterdrückung der
Christen. Nothwendig musste auf diesen Mittelpunkt der Macht
und Hoheit eine Hauptwirkung des gelammten Christenthums
sehr frühe streben.
Die Duldung der Römer gegen alle Religionen überwundener
Völker ist über allen Widerspruch erhaben; ohne dieselbe und
ohne den ganzen Zustand der damaligen römischen Verfassung
würde das Christenthum sich nie so schnell und allgemein aus-
gebreitet haben. Es entstand in der Ferne, unter einem ^olke,
das man verachtete und zum Sprüchwort des Aberglaubens ge-
macht hatte: in Rom regierten böse, tolle und schwache Kaiser,
also dass es dem Staat an einer herrschenden Uebersicht des
Ganzen fehlte. Lange* wurden die Christen nur unter dem
Namen der Juden begriffen, deren in Rom, wie in allen
römischen Provinzen, eine grosse Anzahl war. Wahrscheinlich war
es auch der Hass der Juden selbst, der die ausgestossenen Christen
den Römern kenntlich machte; und sodann lag es in der römischen
Denkart, dass man sie als Abtrünnige von ihrer väterlichen Religion,
entweder für Atheisten, oder ihrer geheimen Zusammenkünfte
wegen für Aegypter ansah, die sich gleich anderen Eingeweihten
mit Aberglauben und Greueln befleckten. Man betrachtete sie
67
für einen verworfenen Haufen, den Nero die Schuld seiner Mord-
brenner-Tollheit am ersten tragen lassen durfte-, das Mitleid, das
man ihnen über diese erlittene äusserste Ungerechtigkeit schenkte,
scheint nur die Barmherzigkeit gewesen zu sein, die man einem
ungerecht gequälten Sklaven schenket. Weiter untersuchte man
ihre Lehre nicht, und liess sie sich fortpflanzen, wie sich im
Römerreich alles fortpflanzen konnte.
Als die Grundsätze ihres Gottesdienstes und Glaubens mehr
ans Licht traten, fiel es den Römern, die nur an politische
Religion gewöhnt waren, vor allem hart auf, dass diese Unglück-
lichen die Götter ihres Staates als höllische Dämonen zu schmähen,
und den Dienst, den man den Beschützern des Reichs leistete,
Air eine Schule der Teufel zu erklären wagten. Es fiel ihnen
hart auf, dass sie den Bildsäulen der Kaiser eine Ehrerbietung,
die ihnen selbst Ehre fein sollte, entzogen, und sich von allem,
Was Pflicht oder Dienst des Vaterlandes war, entfernten. Natürlich
wurden sie also für Feinde desselben gehalten, des Abscheues
anderer Menschen würdig. Nachdem die Kaiser gesinnet waren,
und neue Gerüchte sie entweder besänftigten oder aufbrachten,
nachdem wurden Befehle für oder gegen die Christen gegeben;
Befehle, die in jeder Provinz nach den Gesinnungen der Statt-
halter oder nach ihrem eigenen Betragen mehr oder minder be-
folgt wurden. Eine Verfolgung indessen, wie man in späteren
Zeiten z. B. gegen die Sachsen, Albigenser, Waldenser, Hugenotten,
Preussen und Liwen vernahm, ist gegen sie nie ergangen;
Religionskriege der Art lagen nicht in der römischen Denkweise.
Es wurden also die ersten dreihundert Jahre des Christenthums
Während der Verfolgungen, die man ihrer zählet, die Triumph-
zeit der Märtyrer des christlichen Glaubens.
Nichts ist edler, als, seiner Ueberzeugung treu, sie durch
Unschuld der Sitten und Bitterkeit des Charakters bis zum
letzten Athem zu bewahren; auch haben die Christen, wo sie
als verständige gute Menschen dergleichen Unschuld und Festig-
keit zeigten, sich dadurch mehr Anhänger erworben, als durch
Erzählungen von Wundergaben und Wundergeschichten. Mehrere
ihrer Verfolger staunten ihren Muth an, selbst wenn sie nicht
begriffen, warum sie sich der Gefahr aussetzten, also verfolgt zu
Werden. Ueberdem nur das, was ein Mensch herzhaft will, er-
reicht er; und worauf eine Anzahl Menschen lebend und sterbend
beharret, das kann schwerlich unterdrücket werden. Ihr Eifer
zündet an; ihr Beispiel, selbst wenn es nicht erleuchten kann,
Wärmet. Gewiss ist also die Kirche der Standhaftigkeit ihrer
Eekenner jene tiefe Gründung eines Baues schuldig, der mit
ungeheuerer Erweiterung Jahrtausende überdauern konnte; weiche
5* ,
08
Sitten, nachgebende Grundsätze würden vom Anfange an alles
haben zerfliessen lassen, wie ein (chaleloler Satt zersiiesst.
Indessen kommt es in einzelnen Fällen auch darauf an, wo-
für ein Mensch streite und sterbe? Ist’s für eine innere Ueber-
zeugung, für einen Bund der Wahrheit und Treue, dessen Lohn
bis über das Grab reichet; ist’s für das Zeugniss einer unent-
behrlich wichtigen Geschichte, die man selbst erlebt hat, deren
uns anvertrauete Wahrheit ohne uns untergehen würde; wohlan 1
da stirbt der Märtyrer wie ein Held, seine Ueberzeugung labt
ihn in Schmerzen und Qualen, und der offene Himmel ist vor
ihm. So konnten jene Augenzeugen der ersten Begebenheiten
des Christenthums leiden, wenn sie sich in dem nothwendigen
Fall sahen, die Wahrheit derselben mit ihrem Tode zu besiegeln.
Ihre Verläugnung wäre eine Absagung selbsterfahrner Geschichte
gewesen, und wenn es nöthig ist, opfert ein Rechtschaffner auch
dieser sich selbst auf. Solche eigentliche Bekenner und Mär-
tyrer aber konnte nur das älteste Christenthum und auch dieses
ihrer nicht ungeheuer viele haben, von deren Ausgange aus der
Welt so wie von ihrem Leben wir wenig oder nichts wissen.
Anders war’s mit den Zeugen, die Jahrhunderte später, oder
hunderte von Meilen zeugten, denen die Geschichte des Christen-
thums nur als Gerüchte, als Traditionen, oder als eine geschriebene
Nachricht zukam; für urkundliche Zeugen können diese nicht
gelten, indem sie nur ein fremdes Zeugniss, oder vielmehr ihren
Glauben an dasselbe mit ihrem Blute besiegeln. Da dies nun
mit allen bekehrten Christen ausser Judäa der Fall war, so muss
man sich wundern, dass eben in den entferntesten, den lateinischen
Provinzen, so ungemein viel auf das Blutzeugniss dieser Zeugen,
mithin auf eine Tradition, die sie fernher hatten und schwerlich
prüfen konnten, gebauet wurde. Selbst nachdem am Ende des
ersten Jahrhunderts die im Orient aufgesetzten Schriften in diese
entfernteren Gegenden gekommen waren, verstand nicht jeder
sie in der Ursprache und musste sich abermals auf das Zeugniss
feines Lehrers, mit Anführung einer Ueberfetzung begnügen.
Und wie weit seltener beziehen sich die abendländischen Lehrer
überhaupt auf die Schritt, da die morgenländischen, selbst auf
ihren Concilien, mehr nach gesammelten Meinungen voriger Kirchen-
väter als aus der Schrift entschieden! Tradition also und Glaube,
für den man gestorben sei, ward bald das vorzüglichste und
siegende Argument des Christenthums: je ärmer, entfernter und
unwissender die Gemeinde war, destomehr musste ihr eine solche
Tradition, das Wort ihres Bischofs und Lehrers, das Bekenntniss
der Blutzeugen, als ein Zeugniss der Kirche, gleichsam aufs
Wort gelten.
Und doch lässt sich bei dem Ursprung des Christenthums
kaum eine andere Weise der Fortpflanzung als diese gedenken:
denn auf eine Geschichte war es gebauet und eine Geschichte
will Erzählung, Ueberlieferung, Glauben. Sie geht von Munde
zu Munde, bis sie in Schriften aufgenommen, gleichfalls eine fest-
gestellte fixirte Tradition wird, und jetzt erst kann sie von
mehreren geprüft oder nach mehreren Traditionen verglichen
werden. Nun aber sind auch meistens die Augenzeugen nicht
mehr am Leben; wohl also, wenn sie der Sage nach das von
ihnen gepflanzte Zeugniss mit ihrem Tode bekräftigt haben; hier
beruhigt sich der menschliche Glaube.
Und so bauet man zuversichtsvoll die ersten christlichen
Altäre auf Gräber. An Gräbern kam man zusammen : sie wurden
in den Katakomben selbst Altäre, über welchen man das Abend-
mahl genoss, das christliche Bekenntniss ablegte, und demselben
wie der Begrabene treu zu sein angelobte. Ueber Gräbern
wurden die ersten Kirchen gebauet, oder die Leichname der
Märtyrer wurden unter die erbauten Altäre gebracht, bis zuletzt
auch nur mit einem Gebein derselben der Altar geweiht werden
musste. In Ceremonie und Formel ging nun über, was einst
Ursprung der Sache, Entstehung und Besiegelung eines Bundes
christlicher Bekenner gewesen war. Auch die Taufe, bei der
ein Symbolum des Bekenntnisses abgelegt wurde, feierte man
über der Bekenner Gräbern, bis späterhin die Baptisterien über
ihnen erbauet, oder Gläubige, zum Zeichen, dass sie auf ihr
Taufbekenntniss gestorben seien, unter ihnen begraben wurden.
Eins entstand aus dem anderen, und fast die ganze Form und
Gestalt der abendländischen Gebräuche kam von diesem Bekenntniss
und Gräberdienst her.
Allerdings fand sich viel Rührendes bei diesem Bunde der
Treue und des Gehorsams über den Gräbern. Wenn, wie Plinius
sagt, die Christen vor Tag zusammen kamen, ihrem Christus als
einem Gott Loblieder zu singen, und sich mit dem Sacrament,
wie mit einem Eidschwur zur Reinheit der Sitten und zur Aus-
übung moralischer Pflichten zu verbinden: so musste das stille
Grab ihres Brudern ihnen ein redendes Symbol der Beständigkeit
bis zum Tode, ja eine Grundveste ihres Glaubens an jene Aufer-
stehung werden, zu welcher ihr Lehrer und Herr auch als
Märtyrer zuerst gelangt war. Das irdische Leben musste ihnen
vorübergehend, der Tod als eine Nachfolge seines Todes rühm-
lich und angenehm, ein zukünftiges Leben fast sicherer als das
gegenwärtige dünken; und Ueberzeugungen dieser Art find aller-
dings der Geist der ältesten christlichen Schriften. indessen
konnte es auch nicht fehlen, dass durch solche Anstalten die
Liebe zum Märtyrerthum unzeitig erweckt wurde, indem man,
statt des vorübergehenden irdischen Lebens, nach der Blut- und
70
Feuertaufe als nach der Heldenkrone Christi mit nutzlosem Eifer
lief. Es konnte nicht fehlen, dass den Gebeinen der Begrabenen
mit der Zeit eine fast göttliche Ehre angethan ward, und fie
zu Entsühnungen, Heilungen und andern Wunderwerken aber-
gläubig gemissbraucht wurden. Es konnte endlich am wenigsten
fehlen, dass diese Schaar christlicher Helden in kurzem den ganzen
Kirchenhimmel bezog, und so wie ihre Leichname ins Schiff der
Kirche mit Anbetung gebracht waren, auch ihre Seelen alle andre
Wohlthäter der Menschen aus ihren Sitzen vertrieben; womit
dann eine neue christliche Mythologie anfing. Welche Mytho-
logie? Die wir auf den Altären sehen, von der wir in den Le-
genden lesen.
2. Da im Christenthum alles auf Bekenntniss, dies Be-
kenntniss aber auf einem Symbol, und dies Symbol auf der Tra-
dition beruhte, so waren zur Erhaltung der Aufsicht und Ordnung
entweder Wundergaben oder eine strenge Kirchenzucht vor allem
nöthig. Mit dieser Einrichtung stieg das Ansehen der Bischöfe,
und um die Einheit des Glaubens d. i. den Zusammenhang
mehrerer Gemeinden zu erhalten, bedurfte man der Concilien und
Synoden. Ward man auf diesen nicht einig oder fanden sie in
andern Gegenden Widerspruch, so nahm man angesehene Bi-
schöfe als Schiedsrichter zu Hilfe, und am Ende konnte es nicht
fehlen, dass nicht nur unter mehreren dieser apostolischen Aristo-
kraten Ein Haupt - Aristokrat sich allmälig hervorhob. Wer
sollte dies fein? wer konnte es werden? Des Bischof zu Jeru-
salem war zu entfernt und arm, seine Stadt hatte grosse Unfälle
erlitten, sein Sprengel ward von andern auch apostolischen Bi-
schöfen sehr eingeengt; er fass auf seinem Golgatha gleichsam
ausser dem Kreise der Weltherrschaft. Die Bischöfe von Anti-
ochien, Alexandrien, Horn, endlich auch von Konstantinopel traten
hervor und es war Lage der Sache, dass der zu Rom über sie
alle, auch über seinen eifrigsten Mitkämpfer, den Konftantiuopol-
itanisehen, siegte. Dieser fass nämlich dem Throne der Kaiser
zu nahe, die ihn nach Gefallen erheben oder erniedrigen konnten,
mithin durfte er nichts als ihr prächtiger Hofbischof werden.
Dagegen verbanden sich, seitdem die Kaiser Rom verlassen und
sich an die Grenzen Europa's verpflanzt hatten, tausend Umstände,
die dieser alten Hauptstadt der Welt das Primat der Kirche
gaben. An die Verehrung des Namens Rom waren die Völker
feit Jahrhunderten gewöhnt, und in Rom bildete man sich ein,
dass auf ihren sieben Hügeln ein ewiger Geist der Weltbeherr-
schung schwebe. Hier hatten, den Kirchenregistem nach, so
viele Märtyrer gezeuget, und die grössten Apostel, Petrus und
Paulus, ihre Kronen empfangen. Früh also erzeugte sich die Sage
vom Bischofthum Petri in dieser alten apostolischen Kirche, und
I
— 71 —
das unverrückte Zeugnis« seiner Nachfolger wusste man bald zu
erweisen. Da diesem Apostel nun namentlich die Schlüssel des
Himmelreichs übergeben und auf fein Bekenntniss der unzerstörliche
Felsenhau der Kirche gegründet war, wie natürlich, dass Rom
an die Stelle Antiochiens oder Jerusalems trat, und als Mutter-
kirche der herrschenden Christenheit betrachtet zu werden An-
stalt machte. Früh genoss der römische Bischof vor andern ge-
lehrtem und mächtigern selbst auf Concilien Ehre und Vorsitz;
man nahm ihn in Streitigkeiten als einen friedlichen Schieds-
richter an und was lange eine freigewählte Rathserholung ge-
wesen war, ward mit der Zeit als Appellation, feine befehlende
Stimme als Entscheidung betrachtet. Die Lage Roms im Mittel-
punkte der römischen Welt gewährte ihrem Bischöfe west-, süd-
und nordwärts einen weiten Raum zu Rathschlägen und Ein-
richtungen ; zumal der griechische Kaiserthron zu ferne stand,
auch bald zu schwach war, als dass er ihn ausserordentlich
drücken konnte.
Die schönen Provinzen des römischen Reichs, Italien mit
seinen Inseln, Afrika, Spanien, Gallien und ein Theil von
Deutschland, in welche das Cluristenthum frühe gekommen war,
lagen ihm als ein rath- und hülssbedürftiger Garten umher; höher
hinauf standen die Barbaren, deren rauhere Gegenden bald zu
einem urbaren Lande der Christenheit gemacht werden sollten.
Allenthalben war hier bei schwächerer Concurrenz mehr zu thun
und zu gewinnen, als in den mit alten Bischofthümern über-
saeten östlichen Provinzen, die durch Speculation, Widersprüche
und Streitigkeiten, bald auch durch wollüstige Tyrannei der
Kaiser, endlich durch die Einbrüche der mohamedanischen Araber
und noch wilderer Völker eine zerstörte lechzende Aue wurden.
Die barbarische Gutherzigkeit der Europäer kam ihm weit mehr
zu statten, als die Treulosigkeit der feineren Griechen oder die
Schwärmerei der Asiaten.
Das dort brausende Christenthum, das hie und da ein hitziges
Fieber des menschlichen Verstandes zu fein schien, kühlte sich
also in einem gemässigteren Erdstrich durch seine Satzungen,
durch seine Recepte ab; ohne welche wahrscheinlich auch hier
alles in den kraftlosen Zustand gesunken wäre, den wir nach
tollen Anstrengungen zuletzt im Orient bemerkten.
Gewiss hat der Bischof zu Rom für die christliche Welt
viel gethan; er hat, dem Namen seiner Stadt getreu, nicht nur
durch Bekehrung eine Welt erobert, sondern sie auch durch Ge-
setze, Sitten und Gebräuche länger, stärker und inniger, -als das
alte Rom die feine regieret. Gelehrt hat der römische Stuhl nie
sein wollen; er überliess dies Vorrecht andern, z. B. dem
Alexandrinischen, May ländischen, selbst dem Hipponensischen Bischof»
72
stuhle und wer sonst dessen begehrte; aber auch die gelehrtesten
Stühle unter sich zu bringen, und nicht durch 1 ’hilosophie, sondern
durch Staatsklugheit, Tradition, kirchliches Recht und Gebräuche
die Welt zu regieren, das war sein Werk und musste es fein,
da es selbst nur auf Gebräuchen und der Tradition ruht. Von
Rom aus sind also jene vielen Ceremonien der abendländischen
Kirche ausgegangen, welche die Feier der Feste, die Eintheilung
der Priester, die Anordnung der Sacramente, Gebete und Opfer
für die Todten; oder Altäre, Kelche, Lichter, Fasten, die An-
betung der Mutter Gottes, den ehelosen Stand der Priester und
Mönche, die Anrufung der Heiligen, den Dienst der Bilder,
Processionen, Seelmessen, Glocken, Canonisation, Transsubstantiation,
die Anbetung der Hostie u. f. betrafen. Gebräuche, die theils aus
älteren Veranlassungen, oft aus schwärmenden Vorstellungsarten
des Orients entstanden, theils im abendländischen, am meisten in
römischen Localumständen gleichsam gegeben waren und dem
grossen Kirchen-Ritual nur nach und nach einverleibt wurden.
Solche Waffen eroberten jetzo die Welt; es waren die alles
öffnenden Schlüssel des Himmel- und Erdenreichs. Vor ihnen
beugten sich die Völker, die übrigens Schwerter nicht scheuten;
römische Gebräuche taugten mehr für sie, als jene morgeij-
ländischen Speculationen. Freilich sind diese kirchlichen Ge-
setze ein schrecklicher Gegensatz gegen die altrömische Staats-
kunst; indessen gingen sie doch am Ende darauf hinaus, den
schweren Scepter in einen sanfteren Hirtenstab und das barbarische
Herkommen heidnischer Nationen mehr und mehr in ein milderes
Christenrecht zu verwandeln. Der mühsam emporgekommene
Oberhirte zu Rom musste sich wider Willen des Abendlandes
mehr annehmen, als einer seiner Mitbrüder in Ost und Westen
thun konnte und wenn die Ausbreitung des Christenthums an
sich ein Verdienst ist, so hat Er sich dieses in hohem Grade er-
worben. England und der grossesse Theil von Deutschland, die
nordischen Königreiche, Polen, Ungarn, sind durch seine Gesandt-
schaften und Anstalten christliche Reiche; ja dass Europa nicht
von Hunnen, Sarazenen, Tataren, Türken, Mongolen vielleicht
auf immer verschlungen worden, ist mit andern auch fein Werk.
Wenn alle christlichen Kaiser-, Königs-, Fürsten -, Grafen- und
Ritterstämme ihre Verdienste vorzeigen sollten, durch welche
sie ehemals zur Herrschaft der Völker gelangten, so darf der
dreigekrönte grosse Lama in Rom auf den Schultern un-
kriegerischer Priester getragen, sie alle mit dem heiligen Kreuz
segnen und sagen: „Ohne mich wäret ihr nicht, was ihr seid
worden.u Auch das gerettete Alterthum ist fein Werk, und
Rom ist werth, dass es ein stiller Tempel dieser geretteten Schätze
bleibe.
73
Im Abendlande hat lieh also die Kirche so local gebildet,
wie im Orient. Auch hier war ein lateinisches Aegypten, das
christliche Afrika, in welchem, wie dort, manche afrikanischen
Lehren entstanden. Die harten Ausdrücke, die Tertullian von der
Genugthuung, Cyprian von der Busse der Gefallenen, Augustin
von den Gnaden und Willen des Menschen brauche, flössen ins
System der Kirche, und obgleich der Bischof zu Rom in seinen
Anordnungen gewöhnlich den gemässigten Weg ging, so fehlte es
ihm dennoch bald an Gelehrsamkeit, bald an Ansehen, um auf
dem ganzen Ocean der Lehre das .Schiff der Kirche zu steuern.
Von Augustin und Hieronymus ward z. B. dem frommen ge-
lehrten Pelagius viel zu hart begegnet, der erste stritt gegen die
Manichäer, mit einem nur feineren Manichäismus, und was bei
dem ausserordentlichen Mann oft Feuer des Streits und der Ein-
bildungskraft war, ging in zu heftiger Flamme in das System
der Kirche über. Ruhet indessen auch hier wohl, ihr grossen
Streiter für das, was ihr Einheit des Glaubens nanntet! Euer
mühesames Geschäft ist vollendet, und vielleicht habt ihr schon
zu lange und zu stark auf die ganze Reihe christlicher Zeiten
hinab gewirket.
Noch muss ich des Einen und ersten Ordens erwähnen, der
im Occident eingeführt ward, der Benedictiner. Ohngeachtet
aller Versuche das morgenländische Mönchsleben im Abendlande
einheimisch zu machen, widerstand dem guten Glück Europa's das
Klima, bis endlich, unter Begünstigung Roms, dieser gemässigtere
Orden zu Monte Cassino aufkam. Er nährte und kleidete sich besser
als jene im fastenden heissen Orient thun durften; doch legte feine
Regel, die ursprünglich von einem Laien für Laien gemacht
war, auch die Arbeit auf; und durch diese Insonderheit ist er
manchem wüsten und wilden Strich in Europa nützlich geworden.
Wie viele schöne Gegenden in allen Ländern besitzen Benedic-
tiner, die sie zum Theil urbar gemacht haben. Auch in allen
Gattungen der Literatur thaten sie, was männlicher Fleiss thun
konnte; einzelne Männer haben eine Bibliothek geschrieben,
und ganze Congregationen es sich zur Pflicht gemacht, durch Er-
läuterung und Herausgabe zahlreicher Werke insonderheit des
Mittelalters auch literarische Wüsteneien urbar zu machen und
zu lichten. Ohne den Orden Benedicts wäre vielleicht der grösste
Theil der Schriften des Alterthums für uns verloren, und wenn
es auf heilige Aebte, Bischöfe, Cardinäle und Päpste ankommt,
so füllet die Zahl derer, die aus ihnen hervorgegangen sind, mit
dem, was sie veranstalteten, selbst eine Bibliothek. Der Einzige,
Gregor der Grosse, ein Benedictiner, that mehr als zehn geist-
und weltliche Regenten thun konnten; auch die Erhaltung der
74
alten Kirchenmusik, die so viel Wirkung auf die Gemüther der
Menschen gehabt hat, sind wir diesem Orden schuldig.
Weiter schreiten wir nicht. Um von dem zu reden, was
unter den Barbaren das Christenthum wirkte, müssten wir diese
selbst ins Auge nehmen, wie sie in grossen Zügen, nacheinander
ins römische Reich einziehen, Reiche stiften, meistens von Rom
aus gefirmelt“ werden, und was zur Geschichte der Menschheit
daraus ferner folgt.
13. Aus Goethes Studienjahren in Leipzig.
(Goethe: „Aus meinem Leben. Wahrheit und Dichtung.“)
Ueber den Zustand der deutschen Literatur jener Zeit ist so
Vieles und Ausreichendes geschrieben worden, dass wohl jeder-
mann, der einigen Antheil hieran nimmt, vollkommen unterrichtet
sein kann: wie denn auch das Urtheil darüber wohl ziemlich
übereinstimmen dürfte; und was ich gegenwärtig stück- und
sprungweise davon zu sagen gedenke, ist nicht sowohl wie sie
an und für sich beschaffen sein mochte, als vielmehr wie sie sich
zu mir verhielt. Ich will deshalb zuerst von solchen Dingen
sprechen, durch welche das Publikum besonders aufgeregt wird,
von den beiden Erbfeinden alles behaglichen Lebens und aller
heiteren, selbstgenügsamen lebendigen Dichtkunst: von der 8a-
tyre und der Kritik.
In ruhigen Zeiten will jeder nach seiner Weise leben, der
Bürger sein Gewerbe, sein Geschäft treiben und sich nachher ver-
gnügen : so mag auch der Schriftsteller gern etwas verfassen, feine
Arbeiten bekannt machen, und wo nicht Lohn, doch Lob dafür
hoffen, weil er glaubt, etwas Gutes und Nützliches gethan zu
haben. In dieser Ruhe wird der Bürger durch den Satyriker,
der Autor durch den Kritiker gestört, und so die friedliche Ge-
sellschaft in eine unangenehme Bewegung gesetzt.
Die literarische Epoche, in der ich geboren bin, entwickelt
sich aus der vorhergehenden durch Widerspruch. Deutschland,
so - lange von auswärtigen Völkern überschwemmt, von andern
Nationen durchdrungen, in gelehrten und diplomatischen Verhand-
lungen an fremde Sprachen gewiesen, konnte seine eigene unmög-
lich ausbilden. Es drangen sich ihr zu so manchen neuen Be-
griffen auch unzählige fremde Worte nöthiger und unnöthiger
Weife mit auf, und auch für schon bekannte Gegenstände, ward
man veranlasst, sich ausländischer Ausdrücke und Wendungen zu
bedienen. Der Deutsche, seit beinahe zwei Jahrhunderten in einem
unglücklichen tumultuarisehen Zustande verwildert, begab sich bei
den Franzosen in die Schule, um lebensartig zu werden, und bei
75
den Römern, um sich würdig auszudrücken. Dies sollte aber auch
in der Muttersprache geschehen, da denn die unmittelbare An-
wendung jener Idiome und deren Halbverdeutschung sowohl den
Welt- als Geschäftsstyl lächerlich machte. Ueberdies fasste man
die Gleichnissreden der südlichen Sprachen unmässig auf, und be-
diente fich derselben höchst übertrieben. Eben so zog man den
vornehmen Anstand der ftirstengleichen römischen Bürger auf
deutsche kleinstädtische Gelehrtenverhältnisse herüber, und war
eben nirgends, am wenigsten bei sich zu Haufe.
Wie aber schon in dieser Epoche genialische Werke ent-
sprangen, so regte sich auch hier der deutsche Frei- und Froh-
sinn. Dieser, begleitet von einem aufrichtigen Ernste, drang dar-
auf, dass rein und natürlich, ohne Einmischung fremder Worte,
und wie es der gemeine verständliche Sinn gab, geschrieben
würde. Durch diese löblichen Bemühungen ward jedoch der
vaterländischen, breiten Plattheit Thür und Thor geöffnet, ja,
der Damm durchstochen, durch welchen das grosse Gewässer
zunächst eindringen sollte. Indessen hielt ein steifer Pedantismus
in allen vier Facultäten lange Stand, bis er sich endlich viel später
aus einer in die andere flüchtete.
Gute Köpfe, freiaufblickende Naturkinder hatten daher zwei
Gegenstände, an denen sie sich üben konnten, gegen die sie
wirken, und, da die Sache von keiner grossen Bedeutung war,
ihren Muthwillen auslassen konnten! Diese waren eine durch
fremde Wox-te, Wortbildungen und Wendungen verunzierte Sprache
und sodann die Wex-thlosigkeit solcher Schriften, die sich von
jenem Fehler frei zu erhalten besorgt waren ;i wobei niemandem
einfiel, dass, indem man ein Uebel bekämpfte, das andere zu
Hülfe gerufen ward.
Liscow, ein junger kühner Mensch, wagte zuerst einen
seichten albernen Schriftsteller anzufallen, dessen ungeschicktes
Benehmen ihm bald Gelegenheit gab, heftiger zu verfahren. Er
griff sodann weiter um sich, und richtete seinen Spott immer
gegen bestimmte Personen und Gegenstände, die er verachtete
und verächtlich zu machen suchte, ja mit leidenschaftlichem Hass
verfolgte. Allein feine Laufbahn war kurz; er starb gar bald
verschollen als ein unruhiger unregelmässiger Jüngling. In dem,
was er gethan, ob er gleich wenig geleistet, mochte seinen Lands-
leuten das Talent, der Charakter schätzenswerth vorkommen; wie
denn die Deutschen immer gegen frühabgeschiedene, Gutes ver-
sprechende Talente, eine besondere Frömmigkeit bewiesen haben 5
genug, uns ward Liscow sehr früh als ein vorzüglicher Sa Winker,
der sogar den Rang vor dem allgemein beliebten Rabener ver-
langen könnte, gepriesen und anempfohlen. Hierbei sahen wir
uns freilich nicht gefördert; denn wir konnten in seinen Schriften
76
weiter nichts erkennen, als dass er das Alberne albern gefunden
habe, welches uns eine ganz natürliche Sache schien.
Rabener, wohl erzogen, unter gutem Schulunterricht auf-
gewachsen , von heiterer und keineswegs leidenschaftlicher oder
gehässiger Natur, ergriff die allgemeine Satyre. Sein Tadel der
sogenannten Laster und Thorheiten entspringt aus reinen An-
sichten des ruhigen Menschenverstandes und aus einem bestimm-
ten sittlichen Begriff, wie die Welt sein sollte. Die Rüge der
Fehler und Mängel ist harmlos und heiter; und damit selbst die
geringe Kühnheit seiner Schriften entschuldigt werde, so wird
vorausgesetzt, dass die Besserung der Thoren durch's Lächerliche
kein fruchtloses Unternehmen fei. Rabeners Persönlichkeit wird
nicht leicht wieder erscheinen. Als tüchtiger genauer Geschäfts-
mann thut er feine Pflicht, und erwirbt sich dadurch die gute
Meinung seiner Mitbürger und das Vertrauen seiner Oberen;
nebenher überlässt er sich zur Erholung einer heiteren Nicht-
achtung alles dessen, was ihn zunächst umgiebt. Pedantische
Gelehrte, eitle Jünglinge, jede Art von Beschränktheit und
Dünkel, bescherzt er mehr, als dass er sie bespottete, und selbst
fein Spott drückt keine Verachtung aus. Ebenso spasst er über
seinen eignen Zustand, über sein Unglück, sein Leben und
seinen Tod.
Die Art, wie dieser Schriftsteller seine Gegenstände behandelt,
hat wenig Aesthetisches. In den äusseren Formen ist er zwar
mannigfaltig genug, aber durchaus bedient er sich der directen Ironie
zu viel, dass er nämlich das Tadelnswürdige lobt und das Löbens-
würdige tadelt, welches rednerische Mittel nur höchst selten ange-
wendet werden sollte: denn auf die Dauer fällt es einsichtigen
Menschen verdriesslich, die schwachen macht es irre, und behagt
freilich der grossen Mittelklasse, welche, ohne besonderen Geistes-
aufwand, sich klüger dünken kann als andere. Was er aber und
wie er es auch vorbringt, zeugt von seiner Rechtlichkeit, Heiter-
keit, Gleichmütigkeit, wodurch wir uns immer eingenommen
fühlen; der unbegrenzte Beifall seiner Zeit war eine Folge solcher
sittlichen Vorzüge.
Dass man zu seinen allgemeinen Schilderungen Musterbilder
suchte und fand, war natürlich; dass Einzelne sich über ihn be-
schwerten, folgte daraus; feine allzulangen Vertheidigungen, dass
feine Satyre keine persönliche sei, zeugen von dem Verdruss, dem
man ihm erregt hat. Einige seiner Briefe setzen ihm als Menschen
und Schriftsteller den Kranz auf. Das vertrauliche Schreiben,
worin er die Dresdener Belagerung schildert , wie er sein Haus,
feine Habseligkeiten, seine Schriften und Perrücken verliert, ohne
auch im Mindesten seinen Gleichmuth erschüttert, seine Heiter-
keit getrübt zu sehen, ist höchst schätzenswerth, ob ihm gleich
77
seine Zeit- und »Stadtgenossen diele glückliche Gemüthsart nicht
verzeihen konnten. Der Brief, wo er von der Abnahme seiner
Kräfte, von seinem nahen Tode spricht, ist äusserst respectabel,
und ßabener verdient, von allen heiteren, verständigen in die ir-
dischen Ereignisse froh ergebenen Menschen, als Heiliger ver-
ehrt zu werden.
Ungern reisse ich mich von ihm los, nur das bemerke ich
noch: feine Satyre bezieht lieh durchaus auf den Mittelstand,
er lässt hie und da vermerken, dass er die höheren auch wohl
kenne, es aber nicht für räthlich halte, sie zu berühren. Man
kann sagen, dass er keinen Nachfolger gehabt, dass sich niemand
gefunden, der sich ihm gleich oder ähnlich hätte halten dürfen.
Nun zur Kritik! und zwar vorerst zu den theoretischen
Versuchern. Wir holen nicht zu weit aus, wenn wir sagen, dass
damals das Ideelle sich aus der Welt in die Religion geflüchtet
hatte, ja sogar in der Sittenlehre kaum zum Vorschein kam-,
von einem höclisten Princip der Kunst hatte niemand eine
Ahnung. Man gab uns Gottscheds kritische Dichtkunst in die
Hände; sie war brauchbar und belehrend genug; denn sie über-
lieferte von allen Dichtungsarten eine historische Kenntniss, so-
wie vom Rhythmus und den verschiedenen Bewegungen desselben;
das poetische Genie ward vorausgesetzt! Uebrigens sollte aber
der Dichter Kenntnisse haben, ja gelehrt fein, er sollte Geschmack
besitzen, und was dergleichen mehr war. Man wies zuletzt auf
Horazens Dichtkunst; wir staunten einzelne Goldsprüche dieses
unschätzbaren Werks mit Ehrfurcht an, wussten aber nicht im
Geringsten, was wir mit dem Ganzen machen, noch wie wir es
nutzen sollten.
Die Schweizer traten auf als Gottscheds Antagonisten; sie
mussten also doch etwas anderes thun, etwas besseres leisten
wollen: so hörten wir denn auch, dass sie wirklich vorzüglicher
seien. Breitinger’s kritische Dichtkunst ward vorgenommen.
Hier gelangten wir nun in ein weiteres Feld, eigentlich aber nur
in einen grösseren Irrgarten, der desto ermüdender war, als ein
tüchtiger Mann, dem wir vertrauten, uns darin herumtrieb. Eine
kurze Uebersicht rechtfertigte diese Worte.
Für die Dichtkunst an und für sich hatte man keinen Grund-
satz linden können; sie war zu geistig und flüchtig. Die Malerei,
eine Kunst, die man mit den Augen festhalten, der man mit den
äusseren Sinnen, Schritt vor Schritt nachgehen konnte, schien zu
solchem Ende günstiger; Engländer und Franzosen hatten schon
Über die bildende Kunst theoretisirt, und man glaubte nun durch
ein Gleichniss von daher die Poesie zu begründen. Jene stellte
Bilder vor die Augen, diese vor die Phantasie; die poetischen
Bilder also waren das erste, was in Betrachtung gezogen wurde.
t
78
Man fing von den Gleichnissen an, Beschreibungen folgten, und
was nur immer den äusseren Sinnen darstellbar gewesen wäre,
kam zur Sprache.
Bilder also! Wo sollte man diese Bilder aber anders her-
nehmen als aus der Natur? Der Maler ahmte die Natur offen-
bar nach; warum der Dichter nicht auch? Aber die Natur, wie
sie vor uns liegt, kann doch nicht nachgeahmt werden, sie ent-
hält so vieles Unbedeutende, Unwürdige, man muss also wählen;
was bestimmt aber die Wahl? man muss das Bedeutende auf-
suchen; was ist aber bedeutend?
Hierauf zu antworten mögen sich die Schweizer lange be-
dacht haben: denn sie kommen auf einen zwar wunderlichen,
doch artigen, ja lustigen Einfall, indem sie sagen, am be-
deutendsten fei immer das Neue, und nachdem sie dies eine
Weile überlegt haben, so finden sie, das Wunderbare fei immer
neuer als alles andere.
Nun hatten sie die poetischen Erfordernisse ziemlich zu-
sammen, allein es kam noch zu bedenken, dass ein Wunder-
bares auch leer fein könne ohne Bezug auf den Menschen. Ein
solcher nothwendig geforderter Bezug müsse aber moralisch sein,
woraus denn offenbar die Besserang des Menschen folge, und so
habe ein Gedicht das letzte Ziel erreicht, wenn es ausser allem
anderen Geleisteten noch nützlich werde. Nach diesen sämmt-
lichen Erfordernissen wollte man nun die verschiedenen Dichtungs-
arten prüfen, und diejenige, welche die Natur nachahmte, sodann
wunderbar und zugleich auch von sittlichem Zweck und Nutzen
sei, sollte für die erste und oberste gelten. Und nach vieler
Ueberlegung ward endlich dieser grosse Vorrang mit höchster
Ueberzeugung der Aesopischen Fabel zugeschrieben.
So wunderlich uns jetzt eine solche Ableitung vorkommen
mag, so hatte sie doch auf die besten Köpfe den entschiedensten
Einfluss. Dass Geliert und nachher Lichtwer sich diesem Fache
widmeten, dass selbst Lessing darin zu arbeiten versuchte, dass
so viele andere ihr Talent dahin wendeten, spricht für das Zu-
trauen, welches sich diese Gattung erworben hatte. Theorie und
Praxis wirken immer auf einander; aus den Werken kann man
sehen, wie es die Menschen meinen; und aus den Meinungen
voraussagen, was sie thun werden.
Doch wir dürfen unsere Schweizer Theorie nicht verlassen,
ohne dass ihr von uns auch Gerechtigkeit widerfahre. Bodmer,
soviel er sich auch bemüht, ist theoretisch und praktisch zeitlebens
ein Kind geblieben. Breitinger war ein tüchtiger, gelehrter, ein-
sichtsvoller Mann, dem, als er sich recht umsah, die sämmtlichen
Erfordernisse einer Dichtung nicht entgingen, ja, es lässt sich
nachweisen, dass er die Mängel seiner Methode dunkel fühlen
79
mochte. Merkwürdig 'ist z. B. feine Frage: ob ein gewisses
beschreibendes Gedicht von König auf das Lustlager Augusts des
Zweiten wirklich ein Gedicht fei? so wie die Beantwortung der-
selben guten Sinn zeigt. Zu seiner völligen Rechtfertigung aber
mag dienen, dass er, von einem falschen Punkte ausgehend, nach
beinahe schon durchlaufenem Kreise, doch noch auf die Haupt-
sache ftöfst, und die Darstellung der Sitten, Charaktere, Leiden-
schaften , kurz, des inneren Menschen, auf den die Dichtkunst
doch wohl vorzüglich angewiesen ist, am Ende seines Buches
gleichsam als Zugabe anzurathen lieh genöthigt findet.
In welche Verwirrung junge Geister durch solche ausge-
renkte Maximen, halb verstandene Gesetze und zersplitterte Lehren
lieh versetzt fühlten, lasst sich wohl denken. Man hielt sich an
Beispiele, und ward auch darnach nicht gebessert: die aus-
ländischen standen zu weit ab, so sehr wie die alten, und aus
den besten inländischen blickte jedesmal eine entschiedene In-
dividualität hervor, deren Tugenden man sich nicht anmassen
konnte, und in deren Fehler zu fallen man fürchten musste. Für
den, der etwas Productives in sich fühlte, war es ein verzweif-
lungsvoller Zustand.
Betrachtet man genau, was der deutschen Poesie fehlte, so
War es ein Gehalt , und zwar ein nationeller: an Talenten war
niemals Mangel. Hier gedenken wir nur Günthers, der ein
Poet im vollen Sinne des Worts genannt werden darf. Ein ent-
schiedenes Talent, begabt mit Sinnlichkeit, Einbildungskraft, Ge-
dächtniss, Gabe des Fassens und Vergegenwärtigens, fruchtbar
im höchsten Grade, rhythmisch-bequem, geistreich, witzig und dabei
vielfach unterrichtet; genug, er besass alles, was dazu gehört, im
Leben ein zweites Leben durch Poesie hervorzubringen, und
zwar in dem gemeinen wirklichen Leben. Wir bewundern feine
grosse Leichtigkeit, in Gelegenheitsgedichten alle Zustände durch's
Gefühl zu erhöhen, und mit passenden Gesinnungen, Bildern
historischen und fabelhaften Ueberlieferungen zu schmücken. Das
Rohe und Wilde daran gehört seiner Zeit, feiner Lebensweise
und besonders seinem Charakter, oder, wenn man will, seiner
Charakterlosigkeit. Er wusste sich nicht zu zähmen, und so zfer-
rann ihm fein Leben wie fein Dichten.
Durch ein unfertiges Betragen hatte sich Günther das Glück»
verscherzt, am Hofe Augustus des Zweiten angestellt zu werden,
Wo man, zu allem übrigen Prunk, lieh auch nach einem Hof-
poeten umsah, der den Festlichkeiten Schwung und Zierde, geben
und eine vorübergehende Pracht verewigen könnte. Von König
war gesitteter und glücklicher, er bekleidete diese Stelle mit
Würde und Beifall.
In allen souveränen Staaten kommt der Gehalt für die
I
80
Dichtkunst von oben herunter, und vielleicht war das Lustlager
bei Mühlberg der erste würdige, wo nicht nationelle, doch
provinzielle Gegenstand, der vor einem Dichter auftrat. Zwei
Könige, die sich in Gegenwart eines grossen Heeres begrüssen,
ihr sämmtlicher Hof- und Kriegsstaat um sie her, wohlgehaltene
Truppen, ein Scheinkrieg, Feste aller Art; Beschäftigung genug
für den äusseren Sinn und überHiessender Stoff für schildernde und
beschreibende Poesie.
Freilich hatte dieser Gegenstand einen innern Mangel, eben
dass es nur Prunk und Schein war, aus dem keine That her-
vortreten konnte. Niemand ausser den Ersten, machte sich be-
merkbar, und wenn es ja geschehen wäre, durfte der Dichter den
einen nicht hervorheben, um andre nicht zu verletzen. Er musste
den Hof- und Staatskalender zu Rathe ziehen, und die Zeichnung
der Personen lief daher ziemlich trocken ab; ja, schon die Zeit-
genossen machten ihm den Vorwurf, er habe die Pferde besser ge-
schildert als die Menschen. Sollte dies aber nicht gerade zu seinem
Lob gereichen, dass er seine Kunst gleich da bewies, wo sich ein
Gegenstand für dieselbe darbot? Auch scheint die Hauptschwierig-
keit sich ihm bald offenbart zu haben: denn das Gedicht hat sich
nicht über den ersten Gesang hinaus erstreckt. — — —
Schlosser wollte nicht Leipzig verlassen, ohne die Männer,
welche Namen hatten, von Angesicht zu Angesicht gesehen zu
haben. Teil führte ihn gern zu den mir bekannten; die von
mir noch nicht besuchten, lernte ich auf diese Weise ehrenvoll
kennen, weil er, als ein unterrichteter, schon charakterisirter
Mann, mit Auszeichnung empfangen wurde. Unfern Besuch bei
Gottsched darf ich nicht übergehen, indem die Sinnes- und
Sittenweise dieses Mannes daraus hervortritt. Er wohnte sehr
anständig in dem ersten Stock des goldenen Bären, wo ihm der
ältere Breitkopf, wegen des grossen Vortheils, den die Gott-
schedischen Schriften, Ueberfetzungen und sonstigen Assistenzen
der Handlung gebracht, eine lebenslängliche Wohnung zuge-
sagt yhatte.
Wir liessen uns melden. Der Bediente führte uns in ein
grosses Zimmer, indem er sagte, der Herr werde gleich kommen.
* Ob wir nun eine Geberde, die er machte, nicht recht verstanden,
wüsste ich nicht zu lagen; genug, wir glaubten, er habe uns in
das anstossende Zimmer gewiesen. Wir traten hinein zu einer
sonderbaren Scene: denn in dem Augenblick trat Gottsched, der
grosse breite riesenhafte Mann, in einem grün-damastuen mit
rothem Taffet gefütterten Schlafrock zur entgegengesetzten Thür
herein; aber sein ungeheures Haupt war kahl, und ohne Be-
deckung. Dafür sollte jedoch sogleich gesorgt sein, denn der
Bediente sprang mit einer grossen Allongeperrücke auf der Hand
81
(die Locken fielen bis auf die Ellenbogen) zu einer Seiten-
thür herein und reichte den llauptfchinuck seinem Herrn mit
erschrockener Geberde. Gottsched, ohne den mindesten Verdruss
zu äufsern, hob mit der linken Hand die Perrücke von dem Arm
des Dieners, und indem er sie sehr geschickt auf den Kopf
schwang, gab er mit seiner rechten Tatze dem armen Menschen
eine Ohrfeige, so dass dieser, wie es im Lustspiel zu geschehen
pflegt, sich zur Thür hinaus wirbelte, worauf der ansehnliche
Altvater uns ganz gravitätisch zu sitzen nöthigte, und einen
ziemlich langen Diskurs mit gutem Anstand durchführte.
So lange Schlosser in Leipzig blieb, speiste ich täglich
mit ihm und lernte eine sehr angenehme Tischgesellschaft kennen.
Bei diesem Umgänge wurde ich durch Gespräche, durch
Beispiele und durch eigenes Nachdenken gewahr, dass der erste
Schritt, um aus der wässerigen weitschweifigen nullen Epoche sich
herauszuretten, nur durch Bestimmtheit, Präcision und Kürze ge-
than werden könne. Bei dem bisherigen Styl konnte man
das Gemeine von dem Besseren nicht unterscheiden, weil alles
untereinander in’s Flache gezogen ward. Schon hatten Schrift-
steller diesem breiten Unheil zu entgehen gesucht, und es gelang
ihnen mehr oder weniger. Haller und liamler waren von
Natur zum Gedrängten geneigt; Lessing und Wieland sind durch
Keflexion dazu geführt worden. Der erste wurde nach und nach
ganz epigrammatisch in seinen Gedichten, knapp in der Minna,
lakonisch in Emilia Galotti, später kehrte er erst zu einer heiteren
Naivetät zurück, die ihn so wohl kleidet im Nathan. Wieland,
der noch im Agathon, Don Sylvio. den komischen Erzählungen
mitunter prolix gewesen war, wird in Musarion und Idris auf
eine wunderbare Weife gefasst, und genau mit grosser Anmuth.
Klopstock in den ersten Gesängen der Messiade ist nicht ohne
Weitschweifigkeit; in den Oden und anderen kleinen Gedichten
erscheint er gedrängt; so auch in seinen Tragödien. Durch
seinen Wettstreit mit den Alten, besonders dem Tacitus, sieht er
heb immer mehr in’s Enge genöthigt, wodurch er zuletzt un-
verständlich und ungeniessbar wird. Gerstenberg, ein schönes,
aber bizarres Talent nimmt sich auch zusammen; sein Verdienst
wird geschätzt, macht aber im Ganzen wenig Freude. Gleim,
Weitschweifig, behaglich von Natur, wird kaum einmal concis
m den Kriegsliedern, liamler ist eigentlich mehr Kritiker als
Boet. Er fängt an, was Deutsche im Lyrischen geleistet, zu
sammeln. Nun findet er, dass ihm kaum Ein Gedicht völlig
genug thut; er muss auslassen, redigiren, verändern, damit die
Dinge nur einige Gestalt bekommen. Hierdurch macht' er (ich
fast so viel Feinde, als es Dichter und Liebhaber giebt, da
sich jeder eigentlich nur an seinen Mängeln wieder erkennt, und
ä u u o M o , Deutsches Lesebuch. II. 6
82
das Publikum sich eher für ein fehlerhaftes Individuelle interessirt,
als für das, was nach einer allgemeinen Geschmacksregel hervor-
gebracht oder verbessert wird. Die Rhythmik lag damals noch
lange in der Wiege und niemand wusste ihre Kindheit zu ver-
kürzen. Die poetische Prosa nahm überhand. Gessner und
Klop stock erregten manche Nachahmer; andere wieder forderten
doch ein Sylbenmass und übersetzten diese Prosa in fassliche
Rhythmen, Aber auch diese machten es niemand zu Dank: denn
sie mussten auslassen und zusetzen, und das prosaische Original
galt immer für das Bessere. Jemehr aber bei all diesem das
Gedrungene gesucht wird, destomehr wird Beurtheilung möglich,
weil das Bedeutende, enger zusammengebracht, endlich eine sichere
Vergleichung zulässt. Es ergab sich auch zugleich, dass mehrere
Arten von wahrhaft poetischen Formen entstanden : denn indem
man von einem jeden Gegenstände, den man nachbilden wollte,
nur das Nothwendige darzustellen suchte, so musste man einem
jeden Gerechtigkeit widerfahren lassen, und auf diese Weise, ob es
gleich niemand mit Bewusstsein that, vermannigfaltigten sich die
Darstellungsweisen, unter welchen es freilich auch fratzenhafte
gab, und mancher Versuch unglücklich ablief.
Ganz ohne Frage besass Wieland unter allen das schönste
Naturell. Er hatte sich früh in jenen ideellen Regionen aus-
gebildet, wo die Jugend so gerne verweilt; da ihm aber diese
durch das, was man Erfahrung nennt, durch Begegnisse an
Welt und Weibern verleidet wurden, so warf er sich auf die
Seite des Wirklichen, und gefiel sich und andern im Widerstreit
beider Welten, wo sich zwischen Scherz und Ernst, im leichten
Gefecht, fein Talent am allerschönsten zeigte. Wie manche seiner
glänzenden Productionen fallen in die Zeit meiner akademischen
Jahre. Musarion wirkte am meisten auf mich, und ich kann mich
noch des Orts und der Stelle erinnern, wo ich den ersten Aus-
hängebogen zu Gesicht bekam, welchen mir Oeser mittheilte. Hier
war es, wo ich das Antike lebendig und neu wiederzusehen glaubte.
Alles, was in Wielands Genie plastisch ist, zeigte sich hier aufs
vollkommenste, und da jener zur unglücklichen Nüchternheit ver-
dammte Phanias-Timon sich zuletzt mit seinem Mädchen und der
Welt versöhnt, so mag man die menschenfeindliche Epoche wohl
auch mit ihm durchleben. Uebrigens gab man diesen Werken sehr
gern einen heitern Widerwillen gegen erhöhte Gesinnungen zu,
welche, bei leicht verfehlter Anwendung aufs Leben, öfters der
Schwärmerei verdächtig werden. Man verzieh dem Autor, wenn
er das, was man für wahr und ehrwürdig hielt, mit Spott ver-
folgte, lim so eher, als er dadurch zu erkennen gab, dass es ihm
selbst immerfort zu schaffen mache.
Wie kümmerlich die Kritik solchen Arbeiten damals ent-
— 83 —
gegen kam, lässt sich aus den ersten Bänden der allgemeinen *
deutschen Bibliothek ersehen. Der komischen Erzählungen ge-
schieht ehrenvolle Erwähnung; aber hier ist keine Spur von
Einsicht in den Charakter der Dichtart selbst. Der Recensent
hatte seinen Geschmack, wie damals alle, an Beispielen gebildet.
Hier ist nicht bedacht, dass man vor allen Dingen bei Beur-
theilung solcher parodistischen Werke den originalen edlen schönen
Gegenstand vor Augen haben müsse, um zu sehen, ob der Paro-
dist ihm wirklich eine schwache und komische Seite abgewonnen,
ob er ihm etwas geborgt, oder, unter dem Schein einer solchen
Nachahmung, vielleicht gar selbst eine treffliche Erfindung ge-
liefert? Von allem dem ahnet man nichts, sondern die Gedichte
werden stellenweise gelobet und getadelt. Der Recensent hat,
wie er selbst gesteht, so viel, was ihm gefallen, angestrichen, dass
er nicht einmal im Druck alles anführen kann. Kommt man
nun gar der höchst verdienstlichen Uebersetzung Shakespeare's
mit dem Ausruf entgegen: „Von Rechtswegen sollte man einen
Mann wie Shakespeare gar nicht übersetzt haben“, so begreift
sich ohne weiteres, wie unendlich weit die allgemeine deutsche
Bibliothek in Sachen des Geschmacks zurück war, und dass
junge Leute, von wahrem Gefühl belebt, sich nach anderen Leit-
sternen umzusehen hatten.
Den Stoff, der auf diese Weise mehr oder weniger die
Form bestimmte, suchten die Deutschen überall auf. Sie hatten i
wenig oder keine Nationalgegenstände behandelt. Schlegels
Hermann deutete nur darauf hin. Die idyllische Tendenz ver-
breitete sich unendlich. Das Charakterlose der Gessnerschen bei
grosser Anmuth und kindlicher Herzlichkeit machte jeden glauben,
dass er etwas Aehnliches vermöge. Ebenso blos aus dem All-
gemeinmenschlichen gegriffen waren jene Gedichte, die ein Fremd-
nationales darstellen sollten, z. B. die jüdischen Schäfergedichte,
überhaupt die patriarchalischen und was sich sonst auf das alte
Testament bezog. Bodmers Noachide war ein vollkommenes
Symbol der um den deutschen Parnass angeschwollenen Wasser-
siuth, die sich nur langsam verlief. Das Anakreontische Gegängel
liess gleichfalls unzählige mittelmäfsige Köpfe im Breiten horum-
schwanken. Die Präcision des Horaz nöthigte die Deutschen,
doch nur langsam, sich ihm gleichzustellen. Komische Helden-
gedichte, meist nach dem Vorbilde von Pope’s Lockenraub. dienten
auch nicht, eine bessere Zeit herbeizuführen.
Noch muss ich hier eines Wahnes gedenken, der so ernst-
haft wirkte, als er lächerlich fein muss, wenn man ihn näher
beleuchtet. Die Deutschen hatten nunmehr genugsam historische
Kenntniss an allen Dichtarten, worinnen sich die verschiedenen
Nationen ausgezeichnet hatten. Von Gottsched war schon dieses
6*
I
84
Fächerwerk, welches eigentlich den innern Begriff von Poesie
zu Grunde richtet, in seiner kritischen Dichtkunst ziemlich voll-
ständig zusammengezimmert und zugleich nachgewiesen, dass auch
schon deutsche Dichter mit vortrefflichen Werken alle Rubriken
auszufüllen gewusst. Und so ging es denn immerfort. Jedes
Jahr wurde die Collection ansehnlicher, aber auch jedes Jahr
vertrieb eine Arbeit die andere aus dem Local, in dem sie bis-
her geglänzt hat. Wir besassen nunmehr, wo nicht Homere,
doch Virgile und Miltone, wo nicht einen Pindar, doch einen
Horaz: an Theokriten war kein Mangel, und so wiegte man
sich mit Vergleichungen nach Aussen, indem die Masse poeti-
scher Werke immer wuchs, damit endlich eine Vergleichung nach
innen stattfinden konnte.
Stand es nun mit den Sachen des Geschmacks auf einem
sehr schwankenden Fusse, so konnte man jener Epoche auf keine
Weise streitig machen, dass innerhalb des protestantischen Theils
von Deutschland und der Schweiz sich dasjenige gar lebhaft zu
regen anfing, was man Menschenverstand zu nennen pflegt. Die
Schulphilosophie welche jederzeit das Verdienst hat, alles das-
jenige, wonach der Mensch nur fragen kann, nach angenommenen
Grundsätzen, in einer beliebten Ordnung, unter bestimmten Rubri-
ken vorzutragen, hatte sich durch das oft Dunkle und Unnütz-
scheinende ihres Inhalts, durch unzeitige Anwendung einer an
sich respectablen Methode und durch die allzugrosse Verbreitung
über so viele Gegenstände der Menge fremd, ungeniessbar und
endlich entbehrlich gemacht. Mancher gelangte zur Ueberzeugung,
dass ihm wohl die Natur so viel guten und geraden Sinn zur
Ausstattung gegönnt habe, als er ungefähr bedürfe sich von den
Gegenständen einen so deutlichen Begriff zu machen, dass er mit
ihnen fertig werden und zu seinem und anderer Nutzen damit
gebahren könne, ohne gerade sich um das Allgemeinste mühsam
zu bekümmern, und zu forschen, wie doch die entferntesten
Dinge, die uns nicht sonderlich berühren, wohl zusammenhängen
möchten? Man machte den Versuch, man that die Augen auf,
sah gerade vor sich hin, war aufmerksam, fleissig, thätig und
glaubte, wenn man in seinem Kreis richtig urtheile und handle,
so auch wohl herausnehmen zu dürfen, über anderes, was ent-
fernter lag, mitzusprechen.
Nach einer solchen Vorstellung war nun jeder berechtigt, nicht
allein zu philosophiren, sondern sich auch nach und nach für
einen Philosophen zu halten. Die Philosophie war ein mehr oder
weniger gesunder und geübter Menschenverstand, der es wagte,
ins Allgemeine zu gehen und über innere und äussere Erfah-
rungen abzusprechen. Ein heller Scharfsinn und eine besondere
Massigkeit, indem man durchaus die Mittelftrasse und Billigkeit
85
gegen alle Meinungen für das Rechte hielt, verschaffte solchen
Schriften und mündlichen Aeusserungen Ansehen und Zu-
trauen, und so fanden sich zuletzt Philosophen in allen Pari-
täten , ja in allen Ständen und Hantirungen. Auf diesem Wege
mussten die Theologen sich zu der sogenannten natürlichen Religion
hinneigen, und wenn zur Sprache kam, in wiefern das Licht der
Natur uns in der Erkenntniss Gottes, der Verbesserung und
Veredelung unserer selbst zu fördern hinreichend fei, so wagte
man gewöhnlich sich zu dessen Gunsten ohne viel Bedenken
zu entscheiden. Aus jenem Mässigkeitsprincip gab man sodann
sämmtlichen positiven Religionen gleiche Rechte, wodurch denn
eine mit der andern gleichgültig und unsicher wurde.
Uebrigens liess man denn doch aber alles bestehen, und
weil die Bibel so voller Gehalt ist, dass sie mehr als jedes
andere Buch Stoff zum Nachdenken und Gelegenheit zu Betrach-
tungen über die menschlichen Dinge darbietet, so konnte sie
durchaus nach wie vor bei allen Kanzelreden und sonstigen
religiösen Verhandlungen zum Grunde gelegt werden.
Allein diesem Werke stand, sowie den sämmtlichen Profan-
scribenten, noch ein eigenes Schicksal bevor, welches im Laufe
der Zeit nicht abzuwenden war. Man hatte nämlich bisher auf
Treu und Glauben angenommen, dass dieses Buch der Bücher,
in Einem Geiste verfasst, ja, dass es von dem göttlichen Geiste
eingehaucht und gleichsam dictirt sei. t
Doch waren schon längst von Gläubigen und Ungläubigen
die‘Ungleichheiten der verschiedenen Theile desselben bald ge-
rügt, bald vertheidigt worden. Engländer, Franzosen, Deutsche
hatten die Bibel mit mehr öder weniger Heftigkeit, Scharfsinn,
Frechheit, Muthwillen angegriffen und ebenso war sie wieder von
ernsthaften wohldenkenden Menschen einer jeden Nation in
Schutz genommen worden. Ich für meine Person hatte sie lieb
und werth: denn fast ihr allein war ich meine sittliche Bildung
schuldig, und die Begebenheiten, die Lehren, die Symbole, die
Gleichnisse, alles hatte sich tief bei mir eingedrückt und war
auf eine oder die andere Weife wirksam gewesen. Mir miss-
sielen daher die ungerechten spöttlichen und verdrehenden An-
griffe; doch war man damals schon so weit, dass man theils als
einen Hauptvertheidigungsgrund vieler Stellen, sehr willig annahm,
Gott habe sich nach der Denkweise und der Fassungskraft der
Menschen gerichtet, ja, die vom Geiste Getriebenen hätten doch
deswegen nicht ihren Charakter, ihre Individualität verläugnen
können, und Arnos als Kuhhirte führe nicht die Sprache‘.lesaia's,
welcher ein Prinz soll gewesen sein.
Aus solchen Gesinnungen und Ueberzeugungen entwickelte
sich, besonders bei immer wachsenden Sprachkenntnissen gar
86
natürlich jene Art des Studiums, dass man die orientalischen
Localitäten, Nationalitäten, Naturproducte und Erscheinungen ge-
nauer zu studiren und sich auf diese Weise jene alte Zeit zu
vergegenwärtigen suchte. Michaelis legte die ganze Gewalt
seines Talents und seiner Kenntnisse auf diese Seite. Reife-
beschreibungen wurden ein kräftiges Hülfsmittel zur Erklärung der
heiligen Schriften, und neuere Reisende, mit vielen Fragen aus-
gerüstet, sollten durch Beantwortung derselben für die Propheten
und Apostel zeugen.
Mit der Bildung der deutschen Sprache und des deutschen
Styls, in jedem Fache, wuchs auch die Urtheilsfähigkeit, und
wir bewundern in jener Zeit Recensionen von Werken über
religiöse und sittliche Gegenstände, sowie Uber ärztliche-, wenn
wir dagegen bemerken, dass die Beurtheilungen von Gedichten
und was sich sonst auf schöne Literatur beziehen mag, wo nicht
erbärmlich, doch wenigstens sehr schwach befunden werden. Dieses
gilt sogar von den Literaturbriefen und von der allgemeinen
deutschen Bibliothek, wie von der Bibliothek der schönen Wissen-
schaften, wovon man gar leicht bedeutende Beispiele anführen
könnte.
Dieses alles mochte jedoch so bunt durcheinander gehen,
als es wollte, so blieb einem jeden, der etwas aus sich zu produ-
ciren gedachte, der nicht seinen Vorgängern die Worte und
Phrasen nur aus dem Munde nehmen wollte, nichts weiter
übrig, als sich früh und spät nach einem Stoffe umzusehen, ,den
er zu benutzen gedächte. Auch hier wurden wir sehr in der
Irre herumgeführt. Man trug sich mit einem Worte von Kleist,
das wir oft genug hören mussten. Er hatte nämlich gegen die-
jenigen, welche ihn wegen seiner öftem einsamen Spaziergänge
beriefen, scherzhaft, geistreich und wahrhaft geantwortet: er fei
dabei nicht mUssig, er gehe auf die Bilderjagd. Einem Edelmann
und Soldaten ziemte dies Gleichniss wohl, der sich dadurch
Männern seines Standes gegenüber stellte, die mit der Flinte im
Arm auf die Hasen- und Hühnerjagd, so oft sich nur Gelegen-
heit zeigte, auszugehen nicht versäumten. Wir finden daher in
Kleisten’s Gedichten von solchen einzelnen, glücklich aufge-
haschten obwohl nicht immer glücklich verarbeiteten Bildern gar
manches, was uns freundlich an die Natur erinnert. Nun aber
ermahnte man auch ganz ernstlich auf die Bilderjagd auszugehen,
die uns denn doch zuletzt nicht ganz ohne Furcht liess, obgleich
Apels Garten, die Kuchengärten, das Rosenthal, Gohlis, Rasch-
witz und Konnewitz das wunderlichste Revier fein mochte, um
poetisches Wildpret darin aufzusuchen. Und doch ward ich aus
jenem Anlass öfters bewogen, meinen Spaziergang einsam anzu-
stellen , und weil weder von schönen noch erhabenen Gegen-
Händen dem Beschauer viel entgegen trat, und in dem wirklich
herrlichen Rosenthale zur besten Jahreszeit die Mücken keinen
zarten Gedanken aufkommen liessen, so ward ich, bei unennüdet
fortgesetzter Bemühung auf das Kleinleben der Natur (ich möchte
dieses Wort nach der Analogie von Stillleben gebrauchen) höchst
aufmerksam, und weil die zierlichen Begebenheiten, die inan in
diesem Kreise gewahr wird, an und für sich wenig vorstellen, so
gewöhnte ich mich, in ihnen eine Bedeutung zu sehen, die sich
bald gegen die symbolische, bald gegen die allegorische Seite
hinneigte, je nachdem Anschauung, Gefühl oder Reflexion das
Uebergewicht behielt. Ein Ereigniss statt vieler gedenke ich zu
erzählen.
Ich war, nach Menschen weise, in meinen Namen verliebt
und schrieb ihn, wie junge und ungebildete Leute zu thun
pflegen, überall an. Einst hatte ich ihn auch sehr schön an die
glatte Rinde eines Lindem «aumes von massigem Alter gesclmitten.
Den Herbst darauf, als meine Neigung zu Annetten in ihrer
besten Blüthe war, gab ich mir Mühe den ihrigen oben darüber
zu schneiden. Indessen hatte ich gegen Ende des Winters, als
ein launischer Liebhaber manche Gelegenheit vom Zaune ge-
brochen, um sie zu quälen und ihr Verdruss zu machen; Früh-
jahrs besuchte ich zufällig die Stelle, und der Saft, der mächtig
in die Bäume trat, war durch die Einschnitte, die ihren Namen
bezeichneten, und die noch nicht verharscht waren, hervorge-
quollen und benetzte mit unschuldigen Pflanzenthränen die schon
hart gewordenen Züge des mehligen. Sie also hier über mich
weinen zu sehen, der ich oft ihre Tliräuen durch meine Unarten
hervorgerufen hatte, setzte mich in Bestürzung. In Erinnerung
meines Unrechts und ihrer Liebe kamen mir selbst die Thränen
in die Augen, ich eilte, ihr alles doppelt und dreifach abzu-
bitten, verwandelte dies Ereigniss in eine Idylle, die ich nie-
mals ohne Neigung lesen und ohne Rührung andern vorlesen
konnte.
Indem ich nun, als ein Schäfer an der Pleisse, mich in
solche zarte Gegenstände kindlich genug vertiefte, und immer
nur solche wählte, die ich geschwind meinem Busen zuführen
konnte, so war für deutsche Dichter von einer grösseren wich-
tigeren Seite her längst gesorgt gewesen.
Der erste wahre und höhere eigentliche Lebensgehalt kam
durch Friedrich den Grossen und die Thaten des siebenjährigen
Krieges in die deutsche Poesie. Jede National-Dichtung muss
schal sein oder schal werden, die nicht auf dem Menschlich-Ersten
ruht, auf den Ereignissen der Völker und ihrer Hirten, wenn
beide für Einen Mann stehen. Könige sind darzustellen in Krieg
und Gefahr, wo sie eben dadurch als die Ersten erscheinen,
weil sie das Schicksal des Allerletzten bestimmen und theilen, und
dadurch viel interessanter werden als die Götter selbst, die, wenn
sie Schicksale bestimmt haben, sich der Theilnahme derselben ent-
ziehen. In diesem Sinn muss jede Nation, wenn sie für irgend
etwas gelten will, eine Epopöe besitzen, wozu nicht gerade die
Form des epischen Gedichts nöthig ist.
Die Kriegslieder, von Gleim angestimmt, behaupten deswegen
einen so hohen Rang unter den deutschen Gedichten, weil sie
mit und in der That entsprungen sind, und noch überdies, weil
an ihnen die glückliche Form, als hätte sie ein Mitstreitender in
den höchsten Augenblicken hervorgebracht, uns die vollkommenste
Wirksamkeit empfinden lässt.
Ränder singt auf eine andere, höchst würdige Weife die
Thaten seines Königs. Alle feine Gedichte sind gehaltvoll, be-
schäftigen uns mit grossen, herzerhebenden Gegenständen und be-
haupten schon dadurch einen unzerstörlichen Werth.
Denn der innere Gehalt des bearbeiteten Gegenstandes ist
der Anfang und das Ende der Kunst. Man wird zwar nicht
läugnen, dass das Genie, das ausgebildete Kunsttalent durch Be-
handlung aus allem alles machen und den widerspenstigen Stoff
bezwingen könne. Genau besehen, entsteht aber alsdann immer
mehr ein Kunststück als ein Kunstwerk, welches auf einem
würdigen Gegenstände ruhen soll, damit uns zuletzt die Behand-
lung durch Geschick, Mühe und Fleiss die Würde des Stoffes
nur desto glücklicher und herrlicher entgegen bringe.
Die Preussen und mit ihnen das protestantische Deutschland
gewannen also für ihre Literatur einen Schatz, welcher der Gegen-
partei fehlte, und dessen Mangel sie durch keine nachherige Be-
mühung hat ersetzen können. An dem grossen Begriff, den die
preussischen Schriftsteller von ihrem König hegen durften, bauten
sie sich erst heran, und um desto eifriger, als derjenige, in dessen
Namen sie alles thaten, ein für allemal nichts von ihnen wissen
wollte. Schon früher war durch die französische Colonie, nachher
durch die Vorliebe des Königs für die Bildung dieser Nation und
für ihre Finanzanstalten eine Masse französischer Cultur nach
Preussen gekommen, welche den Deutschen höchst förderlich ward,
indem sie dadurch zu Widerspruch und Widerstreben aufgefordert
wurden; ebenso war die Abneigung Friedrichs gegen das Deutsche
für die Bildung des Literarwesens ein Glück. Man that alles,
um sich von dem König bemerken zu machen ,* nicht etwa, von
ihm geachtet, sondern nur beachtet zu werden; aber man that’s
auf deutsche Weise nach innerer Ueberzeugung, man that, was
man für Recht erkannte, und wünschte und wollte, dass der König
dieses deutsche Rechte anerkennen und schätzen solle. Dies ge-
schah nicht und konnte nicht geschehen; denn wie kann man
89
von einem König, der geistig leben und gemessen will, verlangen,
dass er feine Jahre verliere, um das, was er für barbarisch hält,
nur allzuspät entwickelt und geniessbar zu sehen? Tn Hand-
werks- und Fabriksachen mochte er wohl sich, besonders aber
seinem Volke, statt fremder vortrefflicher Waaren sehr massige
Surrogate aufbothigen; aber hier geht alles geschwinder, und es
braucht kein Menschenleben, um solche Dinge zur Reife zu bringen.
Eines Werkes aber der wahrsten Ausgeburt des siebenjährigen
Krieges von vollkommenem norddeutschen Nationalgefuhl muss
ich hier vor allen ehrenvoll erwähnen: es ist die erste aus dem
bedeutenden Leben gegriffene Theaterproduction von specifisch
temporärem Gehalt, die deswegen auch eine nie zu berechnende
Wirkung that: Minna von Barnhelm. Lessing, der, im Gegen-
satz zu Klopstock und Gleim, die persönliche Würde gern weg-
warf, weil er lieh zutraute, sie jeden Augenblick wieder ergreifen
und aufnehmen zu können, gefiel sich in einem zerstreuten Wirths-
haus- und Weltleben, da er gegen fein mächtig arbeitendes
Innere stets ein gewaltiges Gegengewicht brauchte, und so hatte
er sich auch in das Gefolge des Generals Tauenzien begeben.
Man erkennt leicht, wie genanntes Stück zwischen Krieg und
Frieden, Hass und Neigung erzeugt ist. Diese Production war
es, die den Blick in eine höhere, bedeutendere Welt aus der
literarischen und bürgerlichen, in welcher sich die Dichtkunst bis-
her bewegt hatte, glücklich eröffnete.
Die gehässige Spannung, in welcher Preussen und Sachsen
sich während des Krieges gegen einander befanden, konnte durch
die Beendigung desselben nicht aufgehoben werden. Der Sachse
fühlte nun erst recht die Wunden, die ihm der überstolz gewordene
Preüsse geschlagen hatte. Durch den politischen Frieden konnte
der Friede zwischen den Gemüthern nicht sogleich hergestellt
werden. Dieses sollte aber gedachtes Schauspiel im Bilde bewirken.
Die Anmuth und Liebenswürdigkeit der Sächsinnen überwindet den
Werth, die Würde, den Starrsinn der Preussen, und sowohl an den
Hauptpersonen als den Subalternen wird eine glückliche Vereinigung
bizarrer und widerstrebender Elemente kunstgemäss gestellt.
Habe ich durch diese cursorischen und desultorischen Be-
merkungen über deutsche Literatur meine Leser in einige Ver-
wirrung gesetzt, so ist es mir geglückt, eine Vorstellung von
jenem chaotischen Zustande zu geben, in welchem sich mein
armes Gehirn befind, als im Conflict zweier, für das literarische
Vaterland so bedeutender Epochen so viel Neues auf mich ein-
drängte , ehe ich mich mit dem Alten hätte abfinden können, so
viel Altes fein Recht noch über mich geltend machte, da ich
schon Ursache zu haben glaubte, ilrm völlig entsagen zu dürfen.
Welchen Weg ich einschlug mich aus dieser Noth, wenn auch
90
nur Schritt vor Schritt, zu retten, will ich gegenwärtig möglichst
zu überliefern suchen.
Die weitschweifige Periode, in welche meine Jugend gefallen
war, hatte ich treufleissig in Gesellschaft so vieler würdigen Männer
durchgearbeitet. Die mehreren Quartbände Manuscript, die ich
meinem Vater zurückliess, konnten zum genügsamen Zeugniss
dienen, und welche Masse von Versuchen, Entwürfen, bis zur
Hälfte ausgeführten Vorsätzen war mehr aus Missmuth, als aus
Ueberzeugung in Hauch aufgegangen! Nun lernte ich durch
Unterredung, überhaupt durch Lehre, durch so manche wider-
streitende Meinung, besonders aber durch meine Tischgenossen,
den Hofrath Pfeil, das Bedeutende des Stoffs und das Concise
der Behandlung mehr und mehr schätzen, ohne mir jedoch klar
machen zu können, wo jenes zu suchen, dieses zu erreichen fei.
Denn bei der grossen Beschränktheit meines Zustandes, bei der
Gleichgültigkeit der Gesellen, dem Zurückhalten der Lehrer, der
Abgesondertheit gebildeter Einwohner, bei ganz . unbedeutenden
Naturgegenständen war ich genöthigt, alles in mir selbst zu suchen.
Verlangte ich nun zu meinen Gedichten eine wahre Unterlage,
Empfindung oder Reflexion, so musste ich in meinen Busen greifen;
forderte ich zu poetischer Darstellung eine unmittelbare Anschauung
des Gegenstandes, der Begebenheit, so durfte ich nicht aus dem
Kreise heraustreten, der mich zu berühren, mir eine Interesse ein-
zuflössen geeignet war. In diesem Sinne schrieb ich zuerst ge-
wisse kleine Gedichte in Liederform oder freierem Sylbenmass;
sie entspringen aus Reflexion, handeln vom Vergangenen und
nehmen meist eine epigrammatische Wendung.
Und so begann diejenige Richtung, von der ich mein ganzes
Leben über nicht abweichen konnte, nämlich dasjenige, was
mich erfreute oder quälte, oder sonst beschäftigte, in ein Bild,
ein Gedicht zu verwandeln und darüber mit mir selbst abzu-
schliessen, um sowohl meine Begriffe von den äusseren Dingen
zu berichtigen, als mich im Innern deshalb zu beruhigen. Die
Gabe hierzu war wohl niemand nöthiger als mir, den feine Natur
immerfort aus einem Extreme in das andere warf. Alles, was da-
her von mir bekannt geworden, sind nur Bruchstücke einer
grossen Confession, welche vollständig zu machen dieses Büchlein
ein gewagter Versuch ist.
14. Ueber den Grund des Vergnügens an tragischen
Gegenständen.
(Aus der gleichnamigen Abhandlung von Schiller.)
Das Gefühl des Erhabenen besteht einerseits aus dem Gefühl
unserer Ohnmacht und Begrenzung, einen Gegenstand zu umfassen,
91
anderseits aber aus dem Gefühl unserer Uebermacht, welche vor
keinen Grenzen erschrickt, und dasjenige sich geistig unterwirft,
dem unsere sinnlichen Kräfte unterliegen. Der Gegenstand des
Erhabenen widerstreitet also unserem sinnlichen Vermögen, und
diese Unzweckmässigkeit muss uns nothwendig Unlust erwecken.
Aber sie wird zugleich eine Veranlassung, ein anderes Vermögen
in uns zu unserm Bewusstsein zu bringen, welches demjenigen,
woran die Einbildungskraft erliegt, überlegen ist. Ein erhabener
Gegenstand ist also eben dadurch, dass er der Sinnlichkeit wider-
streitet, zweckmässig für die Vernunft, und ergötzt durch das
höhere Vermögen, indem er durch das niedrige schmerzt.
Rührung in seiner strengen Bedeutung bezeichnet die ge-
mischte Empfindung des Leidens und der Lust an dem Leiden.
Rührung kann man also nur dann über eigenes Unglück em-
pfinden, wenn der Schmerz über dasselbe gemässigt genug ist,
um der Lust Raum zu lassen, die etwa ein mitleidender Zuschauer
dabei empfindet. Der Verlust eines grossen Guts schlägt uns
heute zu Boden, und unser Schmerz rührt den Zuschauer; in
einem Jahre erinnern wir uns dieses Leidens selbst mit Rührung.
Der Schwache ist jederzeit ein Raub seines Schmerzens, der
Held und der Weife werden vom höchsten eigenen Unglück nur
gerührt.
Rührung enthält ebenso wie das Gefühl des Erhabenen
zwei Bestandtheile, Schmerz und Vergnügen; also hier wie dort
liegt der Zweckmässigkeit eine Zweck Widrigkeit zum Grunde.
So scheint es eine Zweckwidrigkeit in der Natur zu fein, dass der
Mensch leidet, doch nicht zum Leiden bestimmt ist, und diese
Zweckwidrigkeit thut uns wehe. Aber dieses Wehethun der
Zweckwidrigkeit ist zweckmässig für unsere vernünftige Natur
überhaupt, und, insofern es uns zur Thätigkeit auffordert, zweck-
mässig für die menschliche Gesellschaft. Wir müssen also über
die Unlust selbst, welche das Zweckwidrige in uns erregt, noth-
wendig Lust empfinden, weil jene Unlust zweckmässig ist. Um
zu bestimmen, ob bei einer Rührung die Lust oder die Unlust her-
vorstehen werde, kommt es darauf an, ob die Vorstellung der
Zweckwidrigkeit oder die der Zweckmässigkeit die Oberhand be-
hält. Dies kann nun entweder von der Menge der Zwecke, die
erreicht oder verletzt werden, oder von ihrem Verhältnis zu dem
letzten Zweck aller Zwecke abhängen.
Das Leiden des Tugendhaften rührt uns schmerzhafter, als
das Leiden des Lasterhaften, weil dort nicht nur dem allgemeinen
Zweck der Menschen, glücklich zu sein, sondern auch dem besondern,
dass die Tugend glücklich mache, hier aber nur dem erstem
widersprochen wird. Hingegen schmerzt uns das Glück des Böse-
wichts auch weit mehr, als das Unglück des Tugendhaften, weil
92
erstlich das Laster selbst und zweitens die Belohnung des Lasters
eine Zweckwidrigkeit enthalten.
Ausserdem ist die Tugend weit mehr geschickt, sich selbst
zu belohnen, als das glückliche Laster, sich zu bestrafen; eben
deswegen wird der Rechtschaffene im Unglück weit eher der
fugend getreu bleiben, als der Lasterhafte ifn Glück zur Tugend
umkehren.
Vorzüglich aber kommt es bei Beftimmung des Verhältnisses
der Lust zu der Unlust in Rührungen darauf an, ob der verletzte
Zweck den erreichten, oder der erreichte den, der verletzt wird,
an Wichtigkeit übertreffen. Keine Zweckmässigkeit geht uns so
nah an als die moralische, und nichts geht über die Lust, die
wir über diese empfinden. Die Naturzweckmässigkeit könnte
noch immer problematisch sein, die moralische ist uns erwiesen.
Sie allein gründet sich auf unsere vernünftige Natur und aus
innere Nothwendigkeit. Sie ist uns die nächste, die wichtigste,
und zugleich die erkennbarste, weil sie durch nichts von aussen,
sondern durch ein inneres Princip unserer Vernunft bestimmt wird.
Sie ist das Palladium unserer Freiheit.
Diese moralische Zweckmässigkeit wird am lebendigsten er-
kannt, wenn sie im Widerspruch mit andern die Oberhand behält;
nur dann erweist sich die ganze Macht des Sittengesetzes, wenn
es mit allen übrigen Naturkräften im Streit gezeigt wird, und
alle neben ihm ihre Gewalt über ein menschliches Herz verlieren.
Unter diesen Naturkräften ist alles begriffen, was nicht moralisch
ist, alles, was nicht unter der höchsten Gesetzgebung der Ver-
nunft stehet; also Empfindungen, Triebe, Affekte, Leidenschaften
so gut, als die physische Nothwendigkeit und das Schicksal. Je
furchtbarer die Gegner, desto glorreicher der Sieg; der Wider-
stand allein kann die Kraft sichtbar machen. Aus diesem folgt,
„dass das höchste Bewusstsein unserer moralischen Natur nur in
einem gewaltsamen Zustande, im Kampfe erhalten werden kann,
und dass das höchste moralische Vergnügen jederzeit von Schmerz
begleitet sein wird".
Diejenige Dichtungsart also, welche uns die moralische Lust
in vorzüglichem Grade gewährt, muss sich eben deswegen der
gemischten Empfindungen bedienen, und uns durch den Schmerz
ergötzen. Dies thut vorzugsweise die Tragödie, und ihr Gebiet
umfasst alle möglichen Fälle, in denen irgend eine Naturzweck-
mässigkeit einer moralischen, oder auch eine moralische Zweck-
mässigkeit der andern, die höher ist, aufgeopfert wird. Es wäre
vielleicht nicht unmöglich, nach dem Verhältniss, in welchem die
moralische Zweckmässigkeit im Widerspruch mit der andern er-
kannt und empfunden wird, eine Stufenleiter des Vergnügens von
der untersten bis zur höchsten hinauf zu fuhren, und den Grad
93
der angenehmen oder schmerzhaften Rührung a priori aus dem
Princip der Zweckmässigkeit bestimmt anzugeben. Ja, vielleicht
liessen fich aus eben diesem Princip bestimmte Ordnungen der
Tragödie ableiten, und alle möglichen Klassen derselben a priori
in einer vollständigen Tafel erschöpfen; so dass man im Stande
wäre, jeder gegebenen Tragödie ihren Platz anzuweisen, und den
Grad sowohl als die Art der Rührung im voraus zu berechnen,
über den sie sich, vermöge ihrer Species, nicht erheben kann. Aber
dieser Gegenstand bleibt einer eigenen Erörterung vorbehalten.
Wie sehr die Vorstellung der moralischen Zweckmässigkeit
der Naturzweckmässigkeit in unserm Gemüth vorgezogen werde,
wird aus einzelnen Beispielen einleuchtend zu erkennen sein.
Wenn wir Hiion und Amanda an den Marterpfahl gebunden
sehen, beide aus freier Wahl bereit, lieber den fürchterlichen
Feuertod zu sterben, als durch Untreue gegen das Geliebte sich
einen Thron zu erwerben — was macht uns wohl diesen Auf-
tritt zum Gegenstand eines so himmlischen Vergnügens? Der
Widerspruch ihres gegenwärtigen Zustands mit dem lachenden
Schicksale, das sie verschmähten, die anscheinende Zweckwidrig-
keit der Natur, welche Tugend mit Elend lohnt, die naturwidrige
Verleugnung der Selbstliebe u. s. f. sollten uns, da sie so viele Vor-
stellungen von Zweckwidrigkeit in unsere Seele rufen, mit dem
empfindlichsten Schmerz erfüllen, — aber was kümmert uns die
Natur mit allen ihren Zwecken und Gesetzen, wenn sie durch ihre
Zweckwidrigkeit eine Veranlassung wird, uns die moralische
Zweckmässigkeit in uns in ihrem vollsten Lichte zu zeigen? Die
Erfahrung von der siegenden Macht des sittlichen Gesetzes, die wir
bei diesem Anblick machen, ist ein so hohes, so wesentliches Gut,
dass wir sogar versucht werden, uns mit dem Uebel auszusöhnen,
dem wir es zu verdanken haben. Uebereinstimmung im Reich der
Freiheit ergötzt uns unendlich mehr, als alle Widersprüche in der
natürlichen Welt uns zu betrüben vermögen. Wenn Ooriolan, von
der Gatten- und Kindes- und Bürgerpflicht besiegt, das schon so
gut als eroberte Rom verlässt, feine Rache unterdrückt, fein Heer
zurückführt, und sich dem Hass eines eifersüchtigen Nebenbuhlers
dahingiebt, so begeht er offenbar eine sehr zweckwidrige Handlung;
er verliert durch diesen Schritt nicht nur die Frucht aller bisherigen
Siege, sondern rennt auch vorsätzlich seinem Verderben entgegen —
aber wie trefflich, wie unaussprechlich gross ist es auf der andern
Seite, den gröbsten Widerspruch mit der Neigung einem Wider-
spruch mit dem sittlichen Gefühl kühn vorzuziehen, und auf solche
Art dem höchsten Interesse der Sinnlichkeit entgegen, gegen tlie Re-
geln der Klugheit zu verflossen, um nur mit der hohem moralischen
Pflicht übereinstimmend zu handeln? Jede Aufopferung des Lebens
ist zweckwidrig, denn das Leben ist die Bedingung aller Güter;
I
— 94 —
aber Aufopferung des Lebens in moralischer Absicht ist in hohem
Grade zweckmässig, denn das Leben ist nie für sich selbst, nie
als Zweck, nur als Mittel zur Sittlichkeit wichtig. Tritt also
ein Fall ein, wo die Hingebung des Lebens ein Mittel zur Sitt-
lichkeit wird, so muss das Leben der Sittlichkeit nachstehen.
„Es ist nicht nöthig, dass ich lebe, aber es ist nöthig, dass ich
Rom vor dem Hunger schütze“, sagt der grosse Pompejus, da er
nach Afrika schiffen soll, und seine Freunde ihm anliegen, seine
Abfahrt zu verschieben, bis der Seesturm vorüber sei.
Aber das Leiden eines Verbrechers ist nicht weniger tragisch
ergötzend, als das Leiden des Tugendhaften; und doch erhalten wir
hier die Vorstellung einer moralischen Zweck Widrigkeit. Der Wider-
spruch seiner Handlung mit dem Sittengesetz sollte uns mit Unwillen,
die moralische Unvollkommenheit, die eine solche Art zu handeln
veraussetzt, mit Schmerz erfüllen, wenn wir auch das Unglück der
Schuldlosen nicht einmal in Anschlag brächten, die das Opfer davon
werden. Hier ist keine Zufriedenheit mit der Moralität der Personen,
die uns für den Schmerz zu entschädigen vermöchte, den wir über
ihr Handeln und Leiden empfinden — und doch ist beides ein
sehr dankbarer Gegenstand für die Kunst, bei dem wir mit hohem
Wohlgefallen verweilen. Es wird nicht schwer sein, diese Erschei-
nung mit dem bisher Gesagten in Uebereinstimmung zu zeigen.
Nicht allein der Gehorsam gegen das Sittengesetz giebt uns
die Vorstellung moralischer Zweckmässigkeit, auch der Schmerz
über Verletzung desselben thut es. Die Traurigkeit, welche das
Bewusstsein moralischer Unvollkommenheit erzeugt, ist zweck-
mässig, weil sie der Zufriedenheit gegenüber steht, die das mora-
lische Rechtthun begleitet. Reue, Selbstverdammung, selbst in
ihrem höchsten Grad, in der Verzweiflung, sind moralisch erhaben,
weil sie nimmermehr empfunden werden könnten, wenn nicht tief
in der Brust des Verbrechers ein unbestechliches Gefühl für
Recht und Unrecht wachte, und feine Aussprüche selbst gegen
das feurigste Interesse der Selbstliebe geltend machte. Reue über eine
That entspringt aus der Vergleichung derselben mit dem Sitten-
gesetz und ist Missbilligung dieser That, weil sie dem Sitten-
gesetz widerstreitet. Also muss im Augenblick der Reue das Sitten-
gesetz die höchste Instanz im Gemüth eines solchen Menschen
sein; es muss ihm wichtiger fein, als selbst der Preis des Ver-
brechens, weil das Bewusstsein des beleidigten Sittengesetzes ihm
den Genuss dieses Preises vergällt. Der Zustand eines Gemüths
aber, in welchem das Sittengesetz für die höchste Instanz er-
kannt wird, ist moralisch zweckmässig, also eine Quelle mora-
lischer Lust. Und was kann auch erhabener fein, als jene
heroische Verzweiflung, die alle Güter des Lebens, die das Le-
ben selbst in den Staub tritt, weil sie die missbilligende Stimme
ihres innern Richters nicht ertragen und nicht übertäuben kann?
Ob der Tugendhafte fein Leben freiwillig dahin giebt, um dem
-Sittengesetz gemäss zu handeln — oder ob der Verbrecher unter
dem Zwange des Gewissens fein Leben mit eigner Hand zer-
stört, um die Uebertretung jenes Gesetzes an sich zu bestrafen, so
steigt unsere Achtung für das Sittengesetz zu einem gleich hohen
(Irade empor; und, wenn ja noch ein Unterschied statt fände,
so würde er vielmehr zum Vortheil des Letztem ausfallen, da
das beglückende Bewusstsein des Rechthandelns dem Tugendhaften
feine Entschliessung doch einigermassen konnte erleichtert haben,
und das sittliche Verdienst an einer Handlung gerade nur eben
so viel abnimmt, als Neigung und Lust daran Antheil haben.
Reue und Verzweiflung über ein begangenes Verbrechen zeigen
uns die Macht des Sittengesetzes nur später, nicht schwächer;
es sind Gemälde der erhabensten Sittlichkeit, nur in einem ge-
waltsamen Zustand entworfen. Ein Mensch, der wegen einer
verletzten moralischen Pflicht verzweifelt, tritt eben dadurch zum
Gehorsam gegen dieselbe zurück, und je furchtbarer seine Selbst-
verdammung sich äussert, desto mächtiger sehen wir das Sitten-
gesetz ihm gebieten.
Aber es giebt Fälle, wo das moralische Vergnügen nur
durch einen moralischen Schmerz erkauft wird, und dies geschieht,
wenn eine moralische Pflicht übertreten werden muss, um einer
hohem und allgemeinem desto gemässer zu handeln. Wäre Corio-
lan, anstatt seine eigene Vaterstadt zu belagern, vor Anthun oder
Corioli mit einem römischen Heere gestanden, wäre seine Mutter
eine Volskierin gewesen, und ihre Bitten hätten die nämliche
Wirkung auf ihn gehabt, so würde dieser Sieg der Kindespflicht
den entgegengesetzten Eindruck auf uns machen. Der Ehrer-
bietung gegen die Mutter stände dann die weit höhere bürger-
liche Verbindlichkeit entgegen, welche im ('ollisionsfall vor jener
den Vorzug verdient. Jener Commandant, dem die Wahl ge-
lassen wird, entweder die Stadt zu übergeben, oder seinen ge-
fangenen Sohn vor seinen Augen durchbohrt zu sehen, wählt
ohne Bedenken das Letztere, weil die Pflicht gegen fein Kind
der Pflicht gegen fein Vaterland billig untergeordnet ist. Es
empört zwar im ersten Augenblick unser Herz, dass ein Vater
dem Naturtriebe und der Vaterpflicht so widersprechend handelt,
aber es reifst uns bald zu einer Hissen Bewunderung hin, dass
sogar ein moralischer Antrieb, und wenn er sich selbst mit der
Neigung gattet, die Vernunft in ihrer Gesetzgebung nicht irre
machen kann. Wenn der Korinther Timoleon einen geliebten,
aber ehrsüchtigen Bruder Timophanes ermorden lässt, weil feine
Meinung von patriotischer Pflicht ihn zu Vertilgunng alles dessen,
was die Republik in Gefahr setzt, verbindet, so sehen wir ihn
96
l
zwar nicht ohne Entsetzen und Abscheu diese naturwidrige, dem
moralischen Gefühl so sehr widerstreitende Handlung begehen;
aber unser Abscheu löst sich bald in die höchste Achtung der
heroischen Tugend auf, die ihre Aussprüche gegen jeden fremden
Einfluss der Neigung behauptet, und im stürmischen Widerstreit
der Gefühle eben so frei und eben so richtig als im Zustand der
höchsten Ruhe entscheidet. Wir können über republikanische
Pflicht mit Timoleon ganz verschieden denken; das ändert an
unserm Wohlgefallen nichts. Vielmehr sind es gerade solche
Fälle, wo unser Verstand nicht auf der Seite der handelnden
Person ist, aus welchen man erkennt, wie sehr wir Pflichtmässig-
keit über Zweckmässigkeit, Einstimmung mit der Vernunft über die
Einstimmung mit dem Verstand erheben.
Ueber keine moralische Erscheinung aber wird das Urtheil
der Menschen so verschieden ausfallen, als gerade über diese,
und der Grund dieser Verschiedenheit darf nicht weit gesucht
werden. Der moralische Sinn liegt zwar in allen Menschen, aber
nicht bei allen in derjenigen Stärke und Freiheit, wie er bei
Beurtheilung dieser Fälle vorausgesetzt werden muss. Für die
meisten ist es genug, eine Handlung zu billigen, weil ihre Ein-
stimmung mit dem Sittengesetz leicht gefasst wird, und eine an-
dere zu verwerfen, weil ihr Widerstreit mit diesem Gesetz in die
Augen leuchtet. Aber ein heller Verstand und eine von jeder
Naturkraft , also auch von moralischen Trieben (insofern sie in-
stinktartig wirken) unabhängige Vernunft wird erfordert, die
Verhältnisse moralischer Pflichten zu dem höchsten Princip der Sitt-
lichkeit richtig zu bestimmen. Daher wird die nämliche Hand-
lung, in welcher einige Wenige die höchste Zweckmässigkeit- er-
kennen, dem grossen Haufen als ein empörender Widerspruch
erscheinen, obgleich beide ein moralisches Urtheil fallen; daher
rührt es, dass die Rührung an solchen Handlungen nicht in der
Allgemeinheit mitgetheilt werden kann, wie die Einheit der
menschlichen Natur und die Nothwendigkeit des moralischen Ge-
setzes erwarten lässt. Aber auch das wahrste und höchste Er-
habene ist, wie man weiss, Vielen Ueberspannung und Unsinn,
weil das Mass der Vernunft, die das Erhabene erkennt, nicht
in Allen dasselbe ist. Eine kleine Seele sinkt unter der Last io
grosser Vorstellungen dahin, oder fühlt sich peinlich über ihren
moralischen Durchmesser auseinander gespannt. Sieht nicht oft
genug der gemeine Haufe da die hässlichste Verwirrung, wo der
denkende Geist gerade die höchste Ordnung bewundert? — So
viel über das Gefühl der moralischen Zweckmässigkeit, insofern
es der tragischen Rührung und unserer Lust an dem Leiden zu
Grunde liegt. Aber es sind demohngeachtet Fälle genug vor-
handen, wo uns die Naturzweckmässigkeit selbst auf Unkosten
!
97
der moralischen zu ergötzen scheint. Die höchste Consequenz
eines Bösewichts in Anordnung seiner Maschinen ergötzt uns
offenbar, obgleich Anstalten und Zweck unserm moralischen Ge-
fühl widerstreiten. Ein solcher Mensch ist fähig, unsere leb-
hafteste Theilnahme zu erwecken, und wir zittern vor dem Fehl-
schlag derselben Pläne, deren Vereitlung wir, wenn es wirklich
andern wäre, dass wir alles auf die moralische Zweckmässigkeit
beziehen, aufs feurigste wünschen sollten. Aber auch diese Er-
scheinung hebt dasjenige nicht auf, was bisher über das Gefühl
der moralischen Zweckmässigkeit, und seinen Einfluss auf unser
Vergnügen an tragischen Rührungen behauptet wurde.
Zweckmässigkeit gewährt uns unter allen Umständen Ver-
gnügen, sie beziehe sich entweder gar nicht auf das Sittliche, oder
sie widerstreite demselben. Wir gemessen dieses Vergnügen rein, so
lange wir uns keines sittlichen Zwecks erinnern, dem dadurch
widersprochen wird. Eben so wie wir uns an dem verstandähnlichen
Instinkt der Thiere, an dem Kunstfleiss der Bienen u. dergl. er-
götzen, ohne diese Naturzweckmässigkeit auf einen verständigen
Willen, noch weniger auf einen moralischen Zweck zu beziehen,
so gewährt uns die Zweckmässigkeit eines jeden menschlichen
Geschäfts an sich selbst Vergnügen, sobald wir uns weiter nichts
dabei denken, als das Verhältnis der Mittel zu ihrem Zweck.
Fällt es uns aber ein, diesen Zweck nebst seinen Mitteln auf ein
sittliches Princip zu beziehen, und entdecken wir alsdann einen
Widerspruch mit dem letzteren, kurz, erinnern wir uns, dass es
die Handlung eines moralischen Wesens ist, so tritt eine tiefe In-
dignation an die Stelle jenes ersten Vergnügens, und keine noch
so grosse Verstandeszweckmässigkeit ist fähig, uns mit der Vor-
stellung einer sittlichen Zweckwidrigkeit zu versöhnen. Nie darf
es uns lebhaft werden, dass dieser Richard HI., dieser Jago,
Menschen sind; sonst wird sich unsere Theilnahme unausbleib-
lich in ihr Gegentheil verwandeln. Dass wir aber ein Ver-
mögen besitzen und auch häufig genug ausüben, unsre Aufmerk-
samkeit von einer gewissen Seite der Dinge freiwillig abzulenken
und auf eine andere zu richten, dass das Vergnügen selbst, welches
durch diese Absonderung allein für uns möglich ist, uns dazu
einladet, und dabei festhält, wird durch die tägliche Erfahrung
bestätigt. •
Nicht selten aber gewinnt eine geistreiche Bosheit vorzüglich
deswegen unsre Gunst, weil sie ein Mittel ist, uns den Genuss
der moralischen Zweckmässigkeit zu verschaffen. Je gefährlicher
die Schlingen, je härter die Proben sind, auf welche die erfin-
derische Grausamkeit eines Despoten die Standhaftigkeit seines
unschuldigen Opfers stellt, in desto höherem Glanz sehen wir
die moralische Zweckmässigkeit triumphiren. Wir freuen uns
Roquette, Deutsches Lesehuch. II. 7
98
über die Macht des moralischen Pflichtgefühls, welches die Er-
findungskraft eines Verführers so sehr in Arbeit setzen kann.
Hingegen rechnen wir dem consequenten Bö so wicht die Be-
siegung des moralischen Gefühls, von dem wir wissen, dass es
sich nothwendig in ihm regen musste, zu einer Art von Ver-
dienst an, weil es von einer gewissen Stärke der Seele und
einer grossen Zweckmässigkeit des Verstandes zeugt, sich durch
keine moralische Regung in seinem Handeln irre machen zu
lassen.
Uebrigens ist es unwiderfprechlich, dass eine zweckmässige
Bosheit nur alsdann der Gegenstand eines vollkommenen Wohl-
gefallens werden kann, wenn sie vor der moralischen Zweck-
mässigkeit zu Schanden wird. Hann ist sie sogar eine wesent-
liche Bedingung des höchsten Wohlgefallens, weil sie allein vermag,
die Hebermacht des moralischen Gefühls recht einleuchtend zu
machen.
Insoferne sich der tragische Dichter zum Ziel setzt, das Ge-
fühl der moralischen Zweckmässigkeit zu einem lebendigen Be-
wusstsein zu bringen, insofern er also die Mittel zu diesem Zweck
verständig wählt und anwendet , muss er den Kenner jederzeit
auf eine gedoppelte Art, durch die moralische und durch die
Naturzweckmässigkeit, ergötzen. Durch jene wird er das Herz,
durch diese den Verstand befriedigen. Der grosse Haufe erleidet
gleichsam blind die von dem Künstler auf das Herz beabsichtete
Wirkung, ohne die Magie zu durchblicken, vermittelst welcher
die Kunst diese Macht über ihn ausübte. Aber es giebt eine
gewisse Klasse von Kennern, bei denen der Künstler, gerade
umgekehrt, die auf das Herz abgezielte Wirkung verliert, deren
Geschmack er aber durch die Zweckmässigkeit der dazu ange-
wandten Mittel für sich gewinnen kann. In diesen sonderbaren
Widerspruch artet öfters die feinste Kultur des Geschmacks aus,
besonders wo die moralische Veredlung hinter der Bildung des
Kopfes zurückbleibt. Diese Art Kenner suchen im Rührenden
und Erhabenen nur das Verständige-, dieses empfinden und prüfen
sie mit dem richtigsten Geschmack, aber man hüte sich, an ihr
Herz zu appelliren. Alter und Kultur führen uns dieser Klippe
entgegen, und diesen nachtheiligen Einfluss von beiden glücklich
besiegen, ist der höchste Charakterruhm des gebildeten Mannes.
15. Das Inquiütionsgerich.t.
(Schiller, Geschichte des Abfalls der vereinigten Niederlande.)
Philipp der Zweite sah sich nicht so bald durch den Frieden
von Chateau - Cambresis im ruhigen Besitz seiner Reiche, als er
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sich ganz dem grossen Werke der Glaubensreinigung hingab, und
die Furcht seiner niederländischen Unterthanen wahr machte.
Die Verordnungen, welche sein Vater gegen die Ketzer hatte
ergehen lassen, wurden in ihrer ganzen Strenge erneuert, und
schreckliche Gerichtshöfe, denen nichts als der Name der Inqui-
sition fehlte, wachten über ihre Befolgung. Aber fein Werk
schien ihm kaum zur Hälfte vollendet, so lange er die spanische
Inquisition nicht in ihrer ganzen Form in diese Länder ver-
pflanzen konnte — ein Entwurf, woran schon der Kaiser ge-
scheitert hatte.
Eine Stiftung neuer Art und eigener Gattung ist diese
spanische Inquisition, die im ganzen Laufe der Zeiten kein Vor-
bild findet, und mit keinem geistlichen, keinem weltlichen Tri-
bunal zu vergleichen steht. Inquisition hat es gegeben, seitdem
die Vernunft sich an das Heilige wagte, seitdem es Zweifler und
Neuerer gab; aber erst um die Mitte des dreizehnten Jahr-
hunderts , nachdem einige Beispiele der Abtrünnigkeit die Hier-
archie aufgeschreckt hatten, baute ihr Innocentius der Dritte einen
eigenen Richter stuhl und trennte auf eine unnatürliche Weise
die geistliche Aufsicht und Unterweisung von der strafenden Ge-
walt. Um desto sicherer zu fein, dass kein Menschengefuhl und
keine Bestechung der Natur die starre Strenge ihrer Statuten
auflöse, entzog er sie den Bischöfen und der säkular!sehen Geist-
lichkeit, die durch die Bande des bürgerlichen Lebens noch zu
sehr an der Menschheit hing, um sie Mönchen zu übertragen,
einer Abart des menschlichen Namens, die die heiligen Triebe
der Natur abgeschworen, dienstbaren Kreaturen des römischen
Stuhls. Deutschland, Italien, Spanien, Portugal und Frankreich
empfingen sie; ein Franziskanermönch fass bei dem fürchter-
lichen Urtheil über die Tempelherren zu Gericht; einigen wenigen
Staaten gelang es, sie auszuschliessen, oder der weltlichen Hoheit
zu unterwerfen. Die Niederlande waren bis zur Regierung Karls
des Fünften damit verschont geblieben; ihre Bischöfe übten die
geistliche Censur, und in ausserordentlichen Fällen pflegte man
sich an fremde Inquisitionsgerichte, die französischen Provinzen
nach Paris, die deutschen nach Cöln zu wenden.
Aber die Inquisition, welche jetzt gemeint ist, kam aus dem
Westen von Europa, anders in ihrem Ursprung und anders an
Gestalt. Der letzte maurische Thron war im fünfzehnten Jahr-
hundert in Granada gefallen, und der sarazenische Gottesdienst
endlich dem überlegenen Glücke der Christen gewichen. „Aber
neu und noch wenig befestigt war das Evangelium in diesem
jüngsten christlichen Königreiche, und in der trüben Mischung
ungleichartiger Gesetze und Sitten hatten sich die Religionen
noch nicht geschieden. Zwar hatte das Schwert der Verfolgung
7 *
i
100
viele tausend Familien nach Afrika getrieben, aber ein weit
grösserer Theil, von dem geliebten Himmelsstriche der Heimath
gehalten, kaufte sich mit dem Gaukelspiel verstellter Bekehrung
von dieser schrecklichen Nothwendigkeit los, und fuhr an christ-
lichen Altären fort, seinem Mahomet und Moses zu dienen. So
lange es feine Gebete nach Mecca richtete, war Granada nicht
unterworfen, so lange der neue Ghrist im Innersten seines Hauses
wieder zum Juden und Muselmann wurde, war er dem Thron
nicht gewisser als dem römischen Stuhl. Jetzt war es nicht
damit gethan, dieses widerstrebende Volk in die äusserliche Form
eines neuen Glaubens zu zwingen, oder es der siegenden Kirche
durch die schwachen Bande der Ceremonie anzutrauen; es kam
darauf an, die Wurzel einer alten Religion auszuroden, und
einen hartnäckigen Hang zu besiegen, der durch die langsam
wirkende Kraft von Jahrhunderten in seine Sitten, seine Sprache,
seine Gesetze gepflanzt worden, und bei dem fortdauernden Ein-
fluss des vaterländischen Bodens und Himmels in 'ewiger Uebung
blieb. Wollte die Kirche einen vollständigen Sieg über den
feindlichen Gottesdienst feiern, und ihre neue Eroberung vor
jedem Rückfall sicher stellen, so musste sie den Grund selbst
unterwühlen, auf welchen der alte Glaube gebaut war; sie musste
die ganze Form des sittlichen Charakters zerschlagen, an die er
aufs innigste geheftet schien. In den verborgensten Tiefen der
Seele musste sie feine geheimen Wurzeln ablösen, alle seine
Spuren im Kreise des häuslichen Lebens und in der Bürgerwelt
auslöschen, jede Erinnerung an ihn absterben lassen, und wo
möglich selbst die Empfänglichkeit für feine Eindrücke todten.
Vaterland und Familie, Gewissen und Ehre, die heiligen Gefühle
der Gesellschaft und der Natur sind immer die ersten und nächsten,
mit denen Religionen sich mischen, von denen sie Stärke em-
pfangen, und denen sie siegeben. Diese Verbindung musste jetzt
aufgelöst, von den heiligen Gefühlen der Natur musste die alte
Religion gewaltsam gerissen werden — und sollte es selbst die
Heiligkeit dieser Empfindungen kosten. So wurde die Inquisition,
die wir zum Unterschiede von den menschlicheren Gerichten, die
ihren Namen führen, die spanische nennen. Sie hat den Kardinal
Ximenes zum Stifter; ein Dominicanermönch, Torquemada, stieg
zuerst auf ihren blutigen Thron, gründete ihre Statuten, und ver-
fluchte mit diesem Vermächtnis seinen Orden auf ewig. Schän-
dung der Vernunft und Mord der Geister heisst ihr Gelübde;
ihre Werkzeuge sind Schrecken und Schande. Jede Leidenschaft
steht in ihrem Solde, ihre Schlinge liegt in jeder Freude des
Lebens. Selbst die Einsamkeit ist nicht einsam für sie; die
Furcht ihrer Allgegenwart hält selbst in den Tiefen der Seele
die Freiheit gefesselt. Alle Instincte der Menschheit hat sie herab-
101
gestürzt unter den Glauben; ihm weichen alle Bande, die der
Mensch sonst am heiligsten achtet. Alle Ansprüche auf seine
Gattung find für einen Ketzer verscherzt; mit der leichtesten
Untreue an der mütterlichen Kirche hat er fein Geschlecht aus-
gezogen. Ein bescheidener Zweifel an der Unfehlbarkeit des
Papstes wird geahndet wie Vatermord, und schändet wie Sodomie;
ihre Urtheile gleichen den schrecklichen Fermenten der Pest, die
den gesundesten Körper in schnelle Verwesung treiben. Selbst
das Leblose, das einem Ketzer angehörte, ist verflucht; ihre
Opfer kann kein Schicksal ihr unterschlagen; an Leichen und
Gemälden werden ihre Sentenzen vollstreckt, und das Grab selbst
ist keine Zuflucht vor ihrem entsetzlichen Arme.
Die Vermessenheit ihrer Urtheilssprüche kann nur von der
Unmenschlichkeit übertroffen werden, womit fie dieselben voll-
streckt. Indem sie Lächerliches mit Fürchterlichem paart, und
durch die Seltsamkeit des Auszugs die Augen belustigt, ent-
kräftet sie den theilnehmenden Affekt durch den Kitzel eines
andern, im Spott und in der Verachtung ertränkt sie die Sym-
pathie. Mit feierlichem Pompe führt man den Verbrecher zur
Richtstatt, eine rothe Blutfalme weht voran, der Zusammenklang
aller Glocken begleitet den Zug; zuerst kommen Priester im
Messgewande und singen ein heiliges Lied. Ihnen folgt der
verurtheilte Sünder, in ein gelbes Gewand gekleidet, worauf man
schwarze Teufelsgestalten abgemalt sieht. Auf dem Kopfe trägt
er eine Mütze von Papier, die sich in eine Menschenfigur endigt,
um welche Feuerflammen schlagen, und scheusslicho Dämonen
herumfliegen. Weggekehrt von dem ewig Verdammten wird das
Bild des Gekreuzigten getragen, ihm gilt die Erlösung nicht mehr.
Dem Feuer gehört sein sterblicher Leib, wie den Flammen der
Hölle seine unsterbliche Seele. Ein Knebel sperrt seinen Mund,
und verwehrt ihm, seinen Schmerz in Klagen zu lindern, das
Mitleid durch feine rührende Geschichte zu wecken, und die Ge-
heimnisse des heiligen Gerichts auszusagen. An ihn schliesst sich
die Geistlichkeit im festlichen Ornat, die Obrigkeit und der Adel;
die Väter, die ihn gerichtet haben, beschliessen den schauerlichen
Zug. Man glaubt eine Leiche zu sehen, die zu Grabe geleitet
wird, und es ist ein lebendiger Mensch, dessen Qualen jetzt das
Volk so schauderhaft unterhalten sollen. Gewöhnlich werden
diese Hinrichtungen auf hohe Feste gerichtet, wozu man eine
bestimmte Anzahl solcher Unglücklichen in den Kerkern des hei-
ligen Hauses zusammenspart, um durch die Menge der Opfer die
Handlung zu verherrlichen, und alsdann sind selbst die Könige
zugegen. Sie sitzen mit unbedecktem Haupte auf einem niedrigem
Stuhle als der Grossinquisitor, dem sie an einem solchen Tage
den Rang über sich geben — und wer wird nun vor einem
8
— 102 —
Tribunal nicht erzittern, neben welchem die Majestät selbst
versinkt ?
Die grosse Glaubensrevolution durch Luther und Calvin
brachte die Nothwendigkeit wieder zurück, welche diesem Ge-
richte seine erste Entstehung gegeben; und was anfänglich nur
erfunden war, das kleine Königreich Granada von den schwachen
Ueberresten der Sarazenen und Juden zu reinigen, wurde jetzt
das Bedürfniss der ganzen katholischen Christenheit. Alle Inqui-
sitionen in Portugal, Italien, Deutschland und Frankreich nahmen
die Form der spanischen an; sie folgte den Europäern nach Indien,
und errichtete in Goa ein schreckliches Tribunal, dessen unmensch-
liche Proceduren uns noch in der Beschreibung durch schauern.
Wohin sie ihren Fuss setzte, folgte ihr die Verwüstung; aber so.
wie in Spanien, hat sie in keiner andern Weltgegend gewüthet.
Die Todten vergisst man, die sie geopfert hat; die Geschlechter-
der Menschen erneuern sich wieder, und auch die Länder * blühen
wieder, die sie verheert und entvölkert hat; aber Jahrhunderte
werden hingehen, ehe ihre Spuren aus dem spanischen Charakter
verschwinden. Eine geistreiche treffliche Nation hat sie mitten
auf dem Weg zur Vollendung gehalten, aus einem Himmelsstrich,
worin es einheimisch war, das Genie verbannt, und eine Stille,
wie sie auf Gräbern ruht, in dem Geist eines Volks hinterlassen,
das vor vielen andern, die dieser Welttheil bewohnen, zur Freude
berufen war.
Den ersten Inquisitor setzte Karl der Fünfte im Jahre 1522
in Brabant ein. Einige Priester waren ihm als Gehülfen an die
Seite gegeben, aber er selbst war ein Weltlicher. Nach dem
Tode Adrians des Sechsten bestellte sein Nachfolger, Clemens
der Siebente, drei Inquisitoren für alle niederländischen Provinzen,
und Paul der Dritte setzte diese Zahl wiederum bis auf zwei
herunter, welche sich bis auf den Anfang der Unruhen erhielten.
Im Jahr 1530 wurden, mit Zuziehung und Genehmigung der
Stände, die Edicte gegen die Ketzer ausgeschrieben, welche allen
folgenden zum Grunde liegen, und worin auch der Inquisition
ausdrücklich Meldung geschieht. Im Jahr 1550 sah sich Karl
der Fünfte durch das schnelle Wachsthum der Secten gezwungen,
diese Edicte zu erneuern und zu schärten, und bei dieser Ge-
legenheit war es, wo sich die Stadt Antwerpen der Inquisition
widersetzte, und ihr auch glücklich entging. Aber der Geist
dieser niederländischen Inquisition war, nach de>n Genius des
Landes, menschlicher, als in den spanischen Reichen, und noch
hatte sie kein Ausländer, noch weniger ein Dominicaner ver-
waltet. Zur Richtschnur dienten ihr die Edicte, welche jeder-
mann kannte, und eben darum fand man sie weniger anstössig.
weil sie, so streng sie auch richtete, doch der Willkür weniger
103
unterworfen schien, und fich nicht, wie die spanische Inquisition,
in Geheimniss hüllte.
Aber eben dieser letztem wollte Philipp einen Weg in die
Niederlande bahnen, weil sie ihm das geschickteste Werkzeug zu
fein schien, den Geist dieses Volks zu verderben, und für eine
despotische Regierung zuzubereiten. Er fing damit an, die Glau-
bensverordnungen seines Vaters zu schärfen, die Gewalt der In-
quisitoren je mehr und mehr auszudehnen, ihr Verfahren will-
kürlicher und von der bürgerlichen Gerichtsbarkeit unabhängiger
zu machen.
Bald fehlte dem Tribunale zu der spanischen Inquisition
wenig mehr, als der Name und Dominicaner. Blosser Verdacht
war genug, einen Bürger aus dem Schoofs der öffentlichen Ruhe,
aus dem Kreise seiner Familie herauszustehlen, und das schwächste
Zeugniss berechtigte zur Folterung. Wer in diesen Schlund
hinabfiel, kam nicht wieder. Alle Wohlthaten der Gesetze hörten
ihm auf. Ihn meinte die mütterliche Sorge der Gerechtigkeit
nicht mehr. Jenseits der Welt richteten ihn Bosheit und Wahn-
sinn nach Gesetzen, die für Menschen nicht gelten. Nie erfuhr
der Delinquent seinen Kläger, und sehr selten sein Verbrechen;
ein ruchloser teuflischer Kunstgriff, der den Unglücklichen zwang,
auf feine Verschuldung zu rathen, und im Wahnwitz der Folter-
pein, oder im Ueberdruss einer langen lebendigen Beerdigung,
Vergehungen anzusagen, die vielleicht nie begangen, oder dem
Richter doch nie bekannt worden waren. Die Güter der Ver-
urtheilten wurden eingezogen, und die Angeber durch Gnaden-
briefe und Belohnungen ermuntert. Kein Privilegium, keine bürger-
liche Gerechtigkeit galt gegen die heilige Gewalt. Wer sie berührte,
den hatte der weltliche Arm verloren. Diesem war kein weiterer
Antheil an ihrer Gerichtspfiege verstattet, als mit ehrerbietiger
Unterwerfung ihre Sentenzen zu vollstrecken. Die Folgen dieses
Instituts mussten unnatürlich und schrecklich sein. Das ganze zeit-
liche Glück, selbst das Leben des unbescholtenen Mannes war
nunmehr in die Hände eines jeden Nichtswürdigen gegeben.
Jeder verborgene Feind, jeder Neider hatte jetzt die gefährliche
Lockung einer unsichtbaren und unfehlbaren Rache. Die Sicher-
heit des Eigenthums, die Wahrheit des Umgangs war dahin.
Alle Bande des Gewinns waren aufgelöst, alle des Bluts und
der Liebe. Ein ansteckendes Misstrauen vergiftete das gesellige
Leben; die gefürchtete Gegenwart eines Lauschers erschreckte
den Blick im Auge imd den Klang in der Kehle. Man glaubte
an keinen redlichen Mann mehr, und galt auch für keinen.
Guter Name, Landsmannschaften, Verbrüderungen, Eide selbst,
und alles, was Menschen für heilig achten, war in seinem Werthe
gefallen. — Diesem Schicksale unterwarf man eine grosse blühende
104
Handelsstadt, wo hunderttausend geschäftige Menschen durch das
einzige Band des Vertrauens zusammenhalten. Jeder unent-
behrlich fur jeden, und jeder zweideutig, verdächtig. Alle durch
den Geist der Gewinnsucht aneinander gezogen, und ausein-
ander geworfen durch Furcht. Alle Grundsäulen der Gesellig-
keit umgerissen, wo Geselligkeit der Grund alles Lebens und
aller Dauer ist.
Kein Wunder, dass ein so unnatürliches Gericht, das selbst
dem duldsamem Geiste der Spanier unerträglich gewesen war,
einen Freistaat empörte. Aber der Schrecken, den es einflöfste,
vermehrte die spanische Kriegsmacht, die auch nach wiederherge-
stelltem Frieden beibehalten wurde, und, der Reichsconstitution
zuwider, die Grenzstädte anfüllte. Karl dem Fünften hatte
man diese Einführung fremder Armeen vergeben, weil man ihre
Nothwendigkeit einsah, und mehr auf seine guten Gesinnungen
baute. Jetzt erblickte man in diesen Truppen nur die fürchter-
lichen Zurüstungen der Unterdrückung und die Werkzeuge einer
verhassten Hierarchie. Eine ansehnliche Reiterei, von Einge-
bomen errichtet, war zum Schutz des Landes hinreichend, und
machte diese Ausländer entbehrlich. Die Zügellosigkeit und Raub-
sucht der Spanier, die noch grosse Rückstände zu fordern hatten,
und sich auf Unkosten des Bürgers bezahlt machten, vollendeten
die Erbitterung des Volks, und brachten den gemeinen Mann
zur Verzweiflung. Als nachher das allgemeine Murren die Re-
gierung bewog, sie von den Grenzen zusammenzuziehen, und in
die seeländischen Inseln zu verlegen, wo die Schiffe zu ihrer Ab-
fahrt ausgerüstet wurden, ging ihre Vermessenheit so weit, dass
die Einwohner aufholten, an den Dämmen zu arbeiten, und ihr
Vaterland lieber dem Meere überlassen wollten, als länger von
dem viehischen Muthwillen dieser rasenden Bande leiden.
10. Deutsche Alterthümer.
(Jacob Grimm, Geschichte der deutschen Sprache.)
1. Zeitalter und Sprache.
Weder das in unermessner Zeit von den höchsten Sternen
auf uns niederfünkelnde Licht, noch die am Gestein der Erde
lagernden Schichten unvordenklicher Umwälzungen geben unsere
älteste Geschichte her, welche erst anhebt, wenn Menschen auf-
treten. Was vor den Menschen geschah, so erhaben es fei, ist
unmenschlich und erwärmt uns nicht.
Um des Menschengeschlechts Anfänge spielt Mythus. Bald
steht im Vordergrund ein seliges Paradies, wo Milch und Honig
105
fliessen, die Erde ungepflügt und unbesaet Früchte trägt, und noch
die Thiere reden, bald muss, was alle Thiere, gleich der mensch-
lichen Sprache, entbehren, sogar das lebendige Feuer den Menschen
erst errungen werden.
Ein goldnes, silbernes, ehernes, eisernes Zeitalter folgen auf
einander; unter Kronos Herrschaft heissen die langlebigen Menschen
selbst noch goldne, der nordische Fruoto liess Gold und Friede
malen, Amrita, der Unsterblichen Trank, wurde aus flüssigem
Gold und Milch bereitet. An des Friedens Stelle trat sodann
der Krieg, und der Mensch brauchte statt des Goldes Eisen, auf
den Duft und Glanz der Vorzeit gefolgt ist farblosere Wirklich-
keit, wie wir für alte Poesie der Prosa bedürfen. Es wird da-
durch, nach unverrückbarer Stufe, ein Herabsinken vom Gipfel
früher Vollendung wehmüthig ausgedrückt, im scheinbaren Wider-
spruch zu dem ewig steigenden Aufschwung der Menschheit, die
sich jenes göttliche Feuer immer entreissen lässt.
Eine andre Sage, indem sie von den Menschen als jetzt
lebenden einheimischen Geschlechtern ausgeht, setzt ihnen früher
geschaffne fremde von Riesen und Zwergen entgegen. In den
Riesen scheint unmittelbar das Steinalter dargestellt, da sie auf
Felsen hausen, ungeheure Mauern thürmen, Steinkeulen fuhren
und durch kein Metall zu erlegen sind, während mit den schmächtigen
aber kunstfertigen Zwergen die Zeit des Erzes beginnt, das sie
unter der Erde schärfen und schmieden. Aus ihrer Hand em-
pfängt der Mensch köstliches Geschmeide und leuchtende Waffe.
Auf beide, Riesen und Zwerge, fällt aber ein doppeltes Licht,
günstig oder ungünstig. Bald wird den Riesen uralte Treue und
Weisheit beigelegt, sie sind Milchesser, säen und ernten nicht,
sondern weiden ihre Heerden, kämmen der Rosse Mähnen, legen
ihren Hunden Goldbänder an; die Zwerge bilden das stille, fried-
liche Volk, das von einfacher Speise lebt und mit dem Menschen
gute Nachbarschaft hält. Bald stehen jene unbeholfen, steinkalt
und grausam da, diese tückisch und feindselig, und des Menschen
ausharrende Kraft trägt am Ende den Sieg davon über des
Riesen leiblichen Vorzug, den sie mit dem Geist, über des Zwergs
geistigen, den sie mit dem Leib bezwingt. Jedesmal widerfährt
aber den Riesen und Zwergen gemeinschaftlich, dass sie zuletzt
dem Andrang der Menschen weichen und das Land räumen
müssen.
So verschieden sie gewendet sind, greifen diese Vorstellungen
von den vier Altem und drei Geschlechtern in einander, und der
Mensch des Eisenalters gleicht dem Besieger der Riefest und
Zwerge. Beide Sagen erreichen zuletzt den Boden der Wirklich-
keit, allein rückwärts sind sie undeutbar auf die Geschichte; sie
können nur dumpfen Anklang geben.
I
— 106 —
Der menschliche Geist hat andre Wege eingeschlagen nach
den Geheimnissen der Vorwelt und ist beinahe wieder auf die-
selbe Spur gerathen.
Wie das Messer in Leichname schneidet, um den mensch-
lichen Leib innerst zu ergründen, ist in verwitterte Erdhügel
eingedrungen und die lange Ruhe der Gräber gestört worden.
Von Schnee eingeschneit, von Regen geschlagen, von Thau durch-
trieben musste die todte Völva*) dem mächtigen Gott Rede stehen;
was in Staub und Asche übrig geblieben war, fragt unermüdliche
Neugier nach dem Zustand der Zeit, aus welcher es abzustammen
scheint. Beschaffenheit der Gräber, Gestalt der morschen Schädel.
Art und Weise des eingelegten Geräths sollen Antwort geben.
Alle diese Zeugen sind beinah stumm, nur Inschrift und deutliche
Münze haben noch Kraft des Wortes, Samenkörnern, die unsre
Geschichte befruchten, gleicht das in unendlicher Menge durch
alle europäischen Felder und Hügel zerstreute römische Gold.
Nach den allenthalben unternommenen Ausgrabungen hat
man drei verschiedne Zeitalter ermittelt, die jenen mythischen
zu begegnen scheinen. Zuerst angesetzt wird ein Steinalter, aus
welchem mächtige Felsengräber mit unverbrannten Leichen und
steinernen Waffen übrig sind; das Volk, welches sie baute und
brauchte, soll nur Jagd und Fischerei getrieben, aller Metalle
entbehrt haben; hierauf fei die eherne Zeit oder das Brennalter
gefolgt, dem Gold und Erz zu Waffen und Schmuck eigen waren,
das man in Feuer schmiedete und durch dasselbe Element feine
Leichen zerstörte, deren Asche in irdnen Krügen beisetzte, Acker-
bau, Weberei und Schifffahrt kannte. Endlich ein Eisenalter,
welches wieder unverbrannte Leichen in Hügel begrabend eiserne
Waffen und Schrift besessen habe. Diesen Kennzeichen gemäss
pflegt man die aufgefundnen Denkmäler zu ordnen und sorgsam
zu betrachten; es scheint einleuchtend, dass jene Steingrüfte den
Riesenbetten der Sage entsprechen und der Volksglaube versetzt
die unterirdischen Schmiede des Zwergstamms mit ihren Schätzen
unmittelbar in die Grabhügel der ehernen Zeit, so «lass mit der
eisernen das Treiben und die Kraft dos menschlichen Geschlechts
eingetreten wäre.
Als oberste Frage erhebt sich aber nun hierbei, inwiefern
die gewonnene Unterscheidung auf bestimmte Völker der Ge-
schichte Anwendung leide, ob sie Stufen eines und desselben
Stammes zusage, oder bei dem unablässigen Wechsel vieler hinter-
einander von verschiednen gelten müsse? Jene mythischen Zeit-
alter gründeten sich auf wiederholte Schöpfung, und die goldnen
*) Völva: Priesterin, Wahrsagerin, Norne, ein geheiligtes Wesen
des nordischen Alterthums. Jac. Grimm, Deutsche Mythologie.
107
Menschen waren nicht einer Abkunft mit den eisernen, Riesen,
Zwerge, Menschen, jede für sich besonders entsprossen. Wenn
aber auch, und dafür streitet manches, das historische Steinalter
einem eignen Volksschlag überwiesen werden darf, scheint es desto
bedenklicher, Erzalter und Eisenalter auf ungleiche Volksstämme
zu beziehen, und nicht nach dem Fortschritt eines und desselben
auszulegen. Mag man immer befugt fein zu der Annahme, dass
Gebrauch des Erzes und Goldes dem des Silbers und Eisens
vorausgehe und nach dieser Folge die Waffenschmiedekunst sich
ausgebildet habe, es wird schwer bleiben zu erhärten, dass in
einzelnen Ländern das Erz nicht länger gedauert, das Eisen nicht
früher begonnen haben könne.
So lange diese Zweifel dauern, so lange nicht sichere Merk-
male aus der Form der Waffen, des Schmuckes und aller Ge-
räthe gewonnen werden, die den Ausschlag gäben, scheint die
älteste Geschichte der europäischen Völker hier keine eigentliche
Aufklärung zu erlangen, wie manches Willkommene für Sitten
und Gebräuche daraus hervorgehen mag. An dem ehernen
Zeitalter scheitert alle Mühe der Forscher; sie haben sich um die
Reihe berechtigt zu der Annahme gehalten, bald dass es den
Kelten, bald den Deutschen gehöre, und es scheint, Slaven
hätten gleich starke Ansprüche darauf zu erheben. Wer Deutschen
Steinhämmer, Kelten eherne Waffen beimisst, muss die Riesen-
gräber von dem Gebrauch der Steinwaffen absondern und unser
Volk aus der Mitte und dem Vorschrift seiner Entwicklung
reissen; weit naturgemäßer ist es, das eherne Zeitalter Kelten,
Deutschen, Slaven und allen übrigen Völkern auf ähnliche Weise,
wenn auch nicht zugleich, einzuräumen, und aus ihm für jedes
einzelne Volk den Lebergang in die Zeit zu finden, wo das
Eisengeräth sich verbreitete. Ein neulicher anziehender Fund in
Schwaben hat sogenannte Todtenbäume, d. h. zur Leichenbestattung
ausgehöhlte Eichstämme an den Tag gebracht, die nicht unwahr-
scheinlich noch dem alemannischen Heidenthum angehören; wer
aber möchte feststellen, dass zu gleicher Zeit nicht schon die
übrigen Deutschen und selbst Alemannen auch aus Brettern Särge
zimmerten ?
Es giebt ein lebendigeres Zeugniss über die Völker, als
Knochen, Waffen und Gräber, und das sind ihre Sprachen.
Sprache ist der volle Athem menschlicher Seele, wo sie er-
schallt, oder in Denkmälern geborgen ist, schwindet alle Unsicher-
heit über die Verhältnisse des Volks, das sie redete, zu seinen
Rachbarn. Für die älteste Geschichte kann da, wo uns alle
andern Quellen versiegen oder erhaltene Leberbleib sei in unauf-
lösbarer Unsicherheit lassen, nichts mehr austragen als sorgsame
%
108
Erforschung der Verwandtschaft oder Abweichung jeder Sprache
und Mundart bis in ihre feinsten Adern oder Fasern.
Aus der Geschichte der Sprachen geht zuvörderst bedeutsame
Bestätigung hervor jenes mythischen Gegensatzes; in allen findet
Absteigen von leiblicher Vollkommenheit statt, Aufsteigen zu
geistiger Ausbildung. Glücklich die Sprachen, welchen diese
schon gelang, als jene nicht zu weit vorgeschritten war; ße ver-
mählten das milde Gold ihrer Poefie noch mit der eisernen Ge-
walt ihrer Prosa.
Seien alle über den Erdball gebreiteten Menschen ausge-
gangen von einem ersten Paar, folglich die mannigfaltigen Zungen
geflossen aus einer einzigen, oder nicht; fei die weisse, braune,
oder schwarze Race unter den Himmelsstrichen von einander aus-
geartet, oder ihre Abweichung unvereinbar; die Meinung zählt
nur noch geringe Gegner, dass. Europa’s Gefammtbevölkerung
erst im Laufe der Zeiten von Aßen eingewandert fein, dass die
meisten europäischen Sprachen in unverkennbarer Urverwandt-
schaft stehen müssen zu einem grossen auch noch heut in Aßen
wurzelnden Sprachgefchlecht, aus welchem sie entweder fortge-
zeugt find, oder, was weit mehr für sich hat, neben dem fie auf
gleichen Urquell zurückweisen. Einzelne europäische Sprachen
scheinen aber von ihnen abzurücken und auch ihre besondere
Wurzel an andrer Stätte Asiens zu begehren, so dass ihr Zu-
sammenhang mit jenen ungleich ferner und dunkler aussieht.
Ehmals liat man gestrebt, wie alle alte Geschichte, auf die
Ueberlieferungen der heiligen Schrift zu beziehen, so der neueren
Sprachen Ursprung in der hebräischen zu erspüren; seitdem die
Kenntniss des Sanskrit geöffnet wurde, ist volle Einsicht auf-
gegangen, dass zu ihm und dem Zend unsere europäischen Zungen
in engem Band stehen, von den semitischen weiter abliegen.
Viel härter hält es Eindrücke zu verwinden, die wir von Jugend
auf empfangen haben. Es ist wahr, die gesummte europäische
Bildung gründet sich, seit dem Christenthum, auf die unsterblichen
Werke der Griechen und Römer; aber weit über die ihrem Ein-
fluss gebührende Gerechtigkeit hinaus hat man sich allzulange
gewöhnt den Massstab griechischer und lateinischer Sprachen
an alle übrigen zu legen, beinahe jede germanische, slavische,
keltische Eigenthümlichkeit zu verkennen, und als blosse Trübung
jener lauteren Quelle anzusehen. Wie wenig, für sich erwogen
und den Gehalt ihrer Denkmäler redlichst angeschlagen, unsere
Sprachen jene mit vollem Recht klassisch genannten erreichen;
so hat in der Geschichte Alles, auch das Geringere fein Recht
und feinen Reiz, erst eine ernsthafte Bekanntschaft mit den
einheimischen, angeblich neueren, an sich aber gleich alten, der
109
lateinischen oder griechischen blos verschwisterten Sprachen, und
mit der frischen, unbillig verachteten Roheit ihres Alterthums
unsern Forschungen, wenn sie von allen Seiten her gedeihen
sollen, die rechte Freiheit verliehen. Da die Sprache mit dem
Glauben, dem Recht und der Sitte jedes Volks von Natur eng
zusammenhiingt, so werden dem, der seinen Fleiss diesen zuwendet,
über die Sprache selbst unerwartete Aufschlüsse daher entspringen.
Jeder Sprache, welche sie auch sei, stehn ausser ihren
heimischen Wörtern auch fremde zu, die der Verkehr mit den
Nachbarn unausbleiblich einführte, und denen sie Gastrecht wider-
fahren liess. Sie nach langer Niederlassung auszutreiben ist eben
so unmöglich, als es die Reinheit der Sprachsitte gefährdet, wenn
ihr Zudrang leichtsinnig gestattet wird. Für die Geschichte der
Sprachen leisten diese Lehnwörter guten Dienst, weil sie bei
ihrer Wurzellosigkeit leicht ins Auge fallen und als Ausnahme
die Regel der Sprache, gegen welche sie sich allenthalben sträuben,
hervorheben. Die einheimischen Wörter sind wiederum doppelter
Art, je nachdem sich ihre Wurzel in Kraft und Fülle frisch
erhalten hat, oder abgestorben ist, und nur noch in einzelnen
Formen fortdauert. Jene regen Wurzeln verleihen der Sprache
sinnliche Stärke und gewähren die günstigste Entfaltung aller
ihrer grammatischen Eigenheiten; in deutscher Sprache wird sie
durch das Vermögen abzulauten kennbar.
Hiernach kann nur alle Gemeinschaft zwischen Sprachen
theils auf jenem zufälligen äussern Anstoss beruhen, der hier und
dort Einzelnes aus der Fremde borgen liess, theils auf einer lang-
sam fortwirkenden, wesentlichen Urverwandtschaft, die vorhanden
gewesen sein muss, als die Sprachen, von einander sich abtrennend,
jede ihren eigenthümlichen Weg einschlugen, auf dem sie sich
mehr oder minder entfremdeten. Als deutlichstes Zeichen solcher
Urgemeinschaft werden einstimmige, persönliche Pronomina, Zahl-
wörter und das Verbum - Substantivum anerkannt; sie wird zu-
mal in jenen lebendigen Wurzeln, von welchen das innere Ge-
webe der Sprache abhängt, verbrechen, aber auch in einer
grossen Zahl von abgestorbnen aufzusuchen sein, deren wahrer
Keim gerade in der andern Sprache haften kann. Bei Sprach-
vergleichungen überhaupt glaube ich den Grundsatz aufstellen
zu dürfen, dass zwischen den Wörtern verschiedener Völker
zwar Gleichheit der Buchstaben wie der Begriffe obwalten,
dennoch für jedes Volk eigenthümliche Beziehung auf ihm ver-
traute Wurzeln, Formen und Vorstellungen eintreten könne.
Nothwendigkeit und Freiheit sind auch in den Sprachen ewiges
Gesetz. — —
110
2. Hirten und Ackerbauer.
Hat die Ansicht von den Zeitaltern Grund, so muss sie noch
mit einem andern durchgreifenden Gegensatz zusammentreffen,
den wir auf dem Boden der Geschichte wahrnehmen. Die
Menschen des Steinalters waren Hirten, die des ehernen Acker-
leute, und der milchessende Riefe weidete Heerden. Bedeutungs-
voll scheint die weit bekannte Sage von der Hünenjungfrau, die
verwundert auf einen Ackernden stiess und ihn sammt Pflug und
Rindern in der Schürze als artiges Spielzeug heimtrug. Doch
der alte Hüne schalt, hiess sie die Erdwürmer schnell zurück-
bringen, deren Andränge das Riesenge schlecht bald werde weichen
müssen. Hier sind aber Riesen und Menschen als verschiedene
Stämme aufgefasst, während die Geschichte lehrt, dass bei jedem
einzelnen Volk dem Hirtenleben der Ackergang nachfolge.
Jenes unaufhaltsame Einrücken der Völker aus Asien in
Europa setzt kühne kampflustige Stämme voraus, die sich zu-
weilen Ruhe und Rast gönnten, im Drang der Fortbewegung
von ihrer Heerde, Jagd und Beute lebten. Bevor sie sich fried-
lichem Ackerbau ergaben, müssen sie Jäger, Hirten und Krieger
gewesen sein, und erst auf der Grundlage beider Zustände konnte
ein höherer Aufschwung des Geistes wie der Sitte gedeihen, der
den Begabtesten und Glücklichsten unter ihnen zu Theil ward.
Ich will ausführen, wie dieser Unterschied in alle Verhält-
nisse des Lebens greift.
Den Tapfern stand die Welt offen. Sie ziehen aus der
Heimath, wo es ihnen zu enge geworden war, von Hungersnoth
und Misswachs, von Feindschaft der Stämme, oder Wanderlust
und Drang nach Abenteuern getrieben. Das Loos und der Götter
Rath geleitet sie, Vögel fliegen voraus, eine Hindin zeigt die
Furt über den Strom, ein Bär oder Wolf weist den Pfad durch
Wald und Gebirge. Sie reisen sammt Frauen, Kindern, Ver-
wandten, Freunden; vor Allem heilig sind ihnen die Bande der
Brüderschaft und das Gastrecht. In Lucians Toxaris findet man
mit treffenden Zügen, durch ergreifende Beispiele skythiseher
Nomaden feste Treue und unerschütterlichen Muth dem gesittigten
aber schlaffen Leben der Griechen gegenüber gestellt.
Dieser wandernden Völker Habe sind Wagen und Vieh,
Waffen und Schmuck. — Ein Reicher unter ihnen besitzt zehn
Goldschalen und achtzig vierlagerige Wagen; ein Armer, dem
weder Wagen noch Heerden gehören, ist reich an Blutsbrüdern.
Wagenhäuser legt Plinius noch ausdrücklich den wandernden
Cimbern bei, und eine Wagenburg ums Lager zu führen gegen
nächtlichen Ueberfall blieb bis in die späten Zeiten Kriegsgebrauch.
Anschaulichstes Bild solcher Wagen geben uns die Holzhäuser
111
der Schäfer karren; wo aber länger gerastet wird, treten Wald-
hütten und Erdhöhlen an deren Stelle.
Pferde, Rinder, Schafe und Hunde sind das Vieh der Hirten
und Jäger. Der Hund schützt Heerde und Wagen, feine Treue
überdauert den Tod des Herrn. Beim gefallenen Held liegt noch
fein Hund, steht traurig nickend fein Ross, denn beide hatte er
oft mit Namen gerufen, und zwischen Ross und Reiter waren Ge-
spräche gewechselt worden. Der Rinder und Schafe folgt eine
grössere, schon minder zutrauliche Schaar.
Auch das Schwert wird benannt und angeredet, es ist des
Mannes grösstes Kleinod, das nur auf seinen nächsten männ-
lichen Erben übergeht; fräuliche Habe sind Schmuck und Ringe.
Den ganzen Unterschied zwischen Hergewäte und Gerade darf
man auf heilige Vorstellungen des Hirtenlebens zurückleiten.
Nie legt der Mann fein Schwert ab, bei jedem Anlass treten
Hirtenvölker bewaffnet auf, was noch Tacitus an den Germanen
beobachtete. Schwert und Speer war den Kriegern ein hehres
Wesen, bei dem sie feierlichen Eid schwuren, das sie als gött-
liches Zeichen aufrichteten und verehrten. Von allen Göttern
stand ihnen der Gott des Schwertes zunächst, oder der des
Hammers, dessen Wagen donnernd durch die Lüfte rollt; ihm
fallen blutige Opfer, zumal von Pferden, und der Wald ist fein
Tempel. Wie wollte ihr Gott zwischen Wände gedrängt werden,
so lange sie selbst nicht in festen Häusern wohnen?
Aller Kauf scheint noch Tausch, und wird mit Vieh, Pelz
oder Ringen unterhandelt, selbst die Münze war ursprünglich
Zierrath. Alle Bussen sind kriegerisch, der ausgehauene Knochen
soll im Schild erklingen.
Das ganze Treiben dieser Völker ist freies Waldleben,
zwischen Zügen, Weide und Krieg getheilt. Der Kampf, den
sie begierig suchen, führt sie gleich der Jagd zur Beute, Schlacht
und Jagd ist was sie ergötzt. Weida in unsrer alten Sprache
bedeutet sowohl pastio, als venatio und piscatio, Waidmann den
Hirten und «Jäger. Noch heute ist der Alpenhirt auch der
kühnste Gemsenjäger. In den wandernden Rittern, die nach
Kampfund Sieg durstig durch die Welt zogen, ist noch nomadischer
Anklang.
Speise war Milch und Fleisch der Heerde, Wildobst und
Wildbret. — Weder Stutenmilch wurde verschmäht noch Pferde-
fleisch, dessen Genuss nach der Bekehrung allen Christen für heid-
nischer Greuel galt. — Da sie blos am Gewinn von der Heerde
und an Kriegsbeute hängen, fast keine Frucht aus dem Boden
erzielen und die Waldtrift wechseln, hat Grundeigenthum noch
keinen Werth, und leicht verständigen sie sich über den Nieß-
brauch solcher eine Zeitlang dem Gemeinbesitz einzelner Ge-
112
schlechter und Horden belassenen Gebiete, die nach deren Ab-
zug andern einzunehmen freisteht. Zwischen diesen Waldbezirken
mag die Grenze nicht durch mühsame Messung bestimmt worden
fein, sondern ganz in Weise der späteren Markgemeinden durch
raschen Hammerwurs oder andre friedigende Zeichen.
Dem unstäten Aufenthalt, der Ungebundenheit des Hauses,
das der Hirt auf Rädern nach Gefallen an andre Stellen ver-
setzen kann, scheint auch Vielweiberei zu entsprechen, der wir
bei allen aus dem Nomaden stand tretenden Völkern noch be-
gegnen. Krieger und Hirten streben schönen Weibern nach, dem
Ackermann genügt die einzige Ehefrau, welcher er, wenn ihn
Feldarbeiten rufen, sein Haus zu ordnen überlässt.----
Unter solchen Menschen, die ihre Tage und Jahre auf-
geregt, aber auch still und ruhig, über Wonne und Weide in der
Sommerfrische, oder vom engen Wagendach geschützt, verbrachten
und die heimliche Natur belauschten, muss Glaube an einen Ver-
kehr mit Thieren gewurzelt und die Thierfabel begonnen haben,
die sich in spätere Zeiten forttrug. Auch die Aufnahme muthiger
Thiere in menschliche Eigennamen, ihre Abbildung auf Helm
und Schild, und der Bezug vieler Kräuternamen auf Thiere scheint
mir damals entsprungen.
Die Sprache der Nomaden enthält einen Reichthum mannig-
facher Ausdrücke für Schwert und Waffen und für die Vieh-
zucht in jeder Lage, welche dem gebildeten Zustand hernach
lästig oder überflüssig erscheinen. Das Begatten, trächtig fein,
gebären, sterben, schlachten, wird fast bei jedem Vieh anders
und eigens benannt, wie der Jäger am verschiedenen Wild den
Gang und einzelne Glieder des Leibes mit abweichenden Wörtern
zu bezeichnen pflegt. Dieser in freier Luft lebenden Hirten
Auge sieht weiter, ihr Ohr hört schärfer, wie sollte nicht über-
all ihre Rede sinnliche Anschauung und Fülle gewonnen haben?
Ihnen gegenüber lässt sich nun leicht auch ein Bild der
zum Ackerbau übergegangenen Völker entwerfen.
Jene Bewegung ist zur Ruhe gelangt, und friedliche Nieder-
lassungen an glücklich erkämpfter fester Stelle sind erfolgt. Zu
der Habe an beweglichem Gut, die ehmals genügte, tritt sicheres
erbliches Grundeigenthum und der Ackerbau verbreitet seinen
Segen; statt des Viehes wird jetzt Getreide in Tausch und Kauf
gebraucht, Theilbarkeit der Felder durch geregeltes Maass ge-
heiligt. Für die blutigen Opfer der Hirten bringen Ackerleute ihre
Früchte dar, und milderen Göttern oder Göttinnen, die im Pflug
und in der Spindel unterwiesen haben. Statt des Schwerts auf
dem Reisig ist ein Pfahl, eine Hanna und bald unter gewölbtem
Dach errichtet, die bewegliche Wagenwohnung durch ein fest
113
gemauertes und gebalktes Haus ersetzt: an einander reiben sich
die Häuser.
Inwendig waltet die spinnende, webende Frau, den Angel-
sachsen Friedeweberin geheissen; ihre Gerade (Radewant), wenn
ärmer an Goldschmuck, ist reicher an Gewand und Tüchern, die
Ehe rein und streng geworden, und des Hausvaters Macht und
Ansehn hat vieles zu schlichten, was sonst dem Priester zustand.
Entschiedner zur Freiheit als zum Königthum scheint sich die
Sitte hinzuneigen. Verliert das Leben an Geräusch, so hat es
an wiederkehrenden Festen, Zusammenkünften, Gerichten ge-
wonnen; die Sprache, verarmend an sinnlicher Fülle und Be-
hendigkeit beginnt sich mehr an geistige Verknüpfung der Ge-
danken zu gewöhnen. Knechte, deren Vorfahren auf Heerzügen
gewonnen waren, sind schon durch viele Geschlechter vererbt,
Und führen, blos im Recht unterschieden, Namen und Sprache
der Freien.
Indem sich überhaupt an der Stelle des Gefälligen, Leichten,
Schmucken ein Nützliches geltend zu machen weiss und den
Wechsel des unstäten Schwedens ein behaglicher, dauernder
Wohl stand zu vertreten beginnt, behält der unansehnliche Acker-
mann über den gewandten Krieger und Hirten allmälig die
Oberhand.
Von dem Hirtenleben zum Ackerbau müssen aber langsame
Gebergänge angenommen werden, es giebt nirgend steife gleich-
zeitige Grenze zwischen beiden, und da die Hirten an Alter
vorausgehen, kann es nicht wundern, dass manche ihrer Bräuche
Und Einrichtungen auch noch unter einzelnen Stämmen haften,
die längst des Ackers pflegen. Umgekehrt, dürfen entschieden
Nomaden schon im voraus Feldwirthschaft versucht haben; es
lebte vielleicht kein Hirtenvolk völlig ohne Ackerbau, und bei
allen Ackerbauenden erhalten sich geraume Zeit hindurch, ob-
fehon in stäter Abnahme und Schmälerung, Weide und Viehtrift.
In den Gesängen des Rigveda, welche uns frühe Nachricht
v'on den Zuständen eines urverwandten Volkes überliefern, sind
Weits Ackerbau, Dörfer und Städte erwähnt; daneben aber
Wird noch deutlich auf das Umherziehen nach grasreichen Weiden
Rezug genommen. Handmühle und Brotbacken war den Hirten
länge schon bekannt, bevor in dauernder Niederlassung Wasser-
mühlen erfunden wurden.
Man kann nicht Krieger, Jäger und Hirten absondern und
W Hirten als Mittelstufe zwischen Krieger und Ackerbauer
Wien, denn alle wandernden Hirten waren kriegerisch und alle
Krieger führten Heerden mit, ohne deren Milch und Fleisch sie
W Leben nicht gefristet hätten, wofür Fisch und Wildbret un-
zureichend gewesen wäre; Rindes bedarf der steppendurchziehende
Roquette, DeutschesLesokuch. II. 8
\
114
Wagen so gut als der erdwühlende Pflug. Auch ist Ackerbau
ein friedlicher Stand, kein sanfter zu nennen, weil er schwerere
Arbeit kostet als Weidgang, zu dem nach bestandener Kriegs-
gefahr der Hirte wiederkehrt. Aber selbst unter den Hirten
steht der rinderweidende dem Ackerbau näher als der wildere
freiere Schäfer.
Mir scheint unzweifelhaft, dass bei ihrem ersten Eintritt in
die Geschichte die Germanen noch überwiegend dem Hirtenleben
anhingen, während die ihren voraus gegangenen Kelten bereits
Ackerbauer waren. Die Cimbern ziehen auf ihren Wagen ein-
her und Cäsar versichert allgemein von den Germanen: agri-
culturae non student, indem er sie Kelten entgegensetzt. Einige
Menschenalter können viel ändern, späterhin findet Tacitus zwar
germanische Feldbestellung, doch Frauen und Knechten über-
lassene; Männer, wo sie nicht kriegen, pflegen nomadischer
Ruhe fort. Gartenbau und Obstzucht scheinen bald nachher erst
ihrem römischen Nachbar die Deutschen abzulernen. Den gemein-
samen, wechselnden Ackergang, wie ihn schon Cäsar den Sueven,
Horatius den Geten, Tacitus mehr im Ganzen den Deutschen
beilegt, hat man eben als feine einfachste, unmittelbar für die
Gewohnheit der Hirten sich ergebende Anwendung zu betrachten;
noch unfest an die Scholle gebunden mussten sie von selbst
darauf verfallen ihren Triften jährliche Frucht abzugewinnen.
Diesen ersten Betrieb des Ackers unter den Hirten hat bis auf
uns herab den Markgenossen ein von althergebrachter Weidesitte
ungern ablassender Feldbau vergolten. Tiefe Wälder nährten
die angestammte Lust, kein andres Volk in Europa hat diese
uralte Hirtengemeinschaft so lange festgehalten wie unsere Mark-
genossen, und erst allmälig legte der freie Mann feine Waffen
ab. Auch dass die Germanen nur langsam Städte gründeten,
ihre Häuser und Burgen zerstreut, wo es ihnen auf der Flur
gefiel, anlegten, darf für Nachwirkung ihres festwurzelnden
Nomadensinnes gelten. —
3. Die Falkenjagd.
Der Mensch, wenn er Thieren nachstellt, kann dazu deß
Thieres selbst nicht entrathen. Dem Jäger gesellt sich fein
Hund, um das Wild aufzuspüren, behend zu erreichen und fest-
zuhalten; es ist als gehe kein Geschlecht zu Grunde, gegen das
nicht aus feiner eignen Mitte Helfer dem Feinde auferstehen-
Unser Alterthum pflog aber nicht allein Hunde abzurichten, son-
dern auch Raubvögel zu zähmen, die es in die Luft auffliege®
und nach der Beute ftossen liess. Erst dadurch erreichte die
Jagdlust ihren Gipfel.
115
Es kann keine edlere Jagd ersonnen werden, als wenn der
Jäger ausreitend durch die Wälder den Falken auf der Hand
hielt, und den Hund vor sich laufen hatte; welches Thier auf
dem Feld oder in den Lüften mochte ihnen entrinnen? Durch
das Pulver ist der Krieg grausamer und unmenschlicher, die
Jagd tückisch und weniger poetisch geworden; ein feiger Schuss
erlegt das stolzeste Thier aus weiter Ferne, das gegen Speer
und Pfeil noch feine letzte Kraft aufbieten konnte. Wie wissen
die Dichter den kühnen Flug des Falken und feine leuchtenden
Augen in ihre Bilder und Gleichnisse zu ziehen! — Oft trugen
auch Frauen auf ihrer Hand den Falken, und die Jagd empfing
dadurch noch höheren Reiz, dass sie an ihr Theil nahmen.
In den alten Sagen unseres Volks spielt der Habicht eine
grosse Rolle. Sigurds Habicht setzt sich in ein Fenster von
Brynhilds Thurm, und leitet, als jener ihn aufsucht, den Bund
zwischen beiden ein. Gleich wichtig erscheint in der Sage von
Irmenfried und Irin» der über die Unstrut fliegende Habicht.
Die angelsächsischen Genealogien überliefern einen göttlichen
Stammhelden Vesterfaluna, und die alte Form eines sächsischen
Volksnamens lautet Westfalah. Aus des heiligen Bouifacius Briefen
erhellt, dass der König Aethelbert von Kent Falken von ihm
begehrte, und dem König Athebald von Mercia schrieb Boni-
facius: direximus tibi accipitrem unurn et duos falcones. Was
aber noch mehr bedeutet, schon in den Volksrechten, zumal dem
sälischen, steht der Habicht unter den werthvollen Gegenständen,
auf deren Diebstahl besondere Busse verordnet wird. — Durch
das ganze Mittelalter hindurch hielt diese Lust der Könige,
bürsten und Ritter in Europa an, Falkenmeister gehörten zu
den Hofämtern, und noch bis auf unsere Zeit wurden Reiher
zur Falkenbeize gehegt. Alles lässt auf tiefeingewurzelte, schon
im fünften und sechsten Jahrhundert langbestehende, nicht erst
Ueueingeführte Volkssitte schliefsen. ,
Die Falkenjagd gehört zu den Bräuchen, die unsere Vor-
eltern nicht von den Römern empfingen, sondern bereits vor
ihnen kannten, und mit andern rückwärts im Osten hausenden
Völkern gemein hatten. Weder Römer noch Griechen übten
balkenjagd, so bekannt ihnen und von ihren Naturforschern
beobachtet diese Raubvögel waren. Sie verstanden es nicht, sie
*Ur Jagd abzurichten, und kein römisches oder griechisches
Kunstwerk, meines Wissens, spielt darauf an. — —
Man könnte sagen, dass Tacitus und Plinius keines Falken
ln der eigentlichen Germania gedenken; doch in ihren nicht
emmal vollständig bewahrten Schriften sind schwerlich alle Beob-
achtungen niedergelegt, die ihnen zu Gebot standen, und von
(Kn östlich wohnenden Völkern bleibt ihre Meldung überhaupt
8 *
116
unvollständig. Diese Ansicht ziehe ich einer andern vor, auf
die man auch verfallen dürfte. Es ist allerdings glaublich, dass
von Thrakien aus, oder von Asien her, die Ergötzlichkeit der
Falkenjagd zu den Byzantinern drang, und erst von ihnen wäre
sie dann im vierten, fünften Jahrhundert zu den Deutschen ge-
langt. Wie viel glaublicher, dass es früher schon geschah, im
Verkehr der »Sueven mit (beten, Sarmaten und »Skythen, deren
grosse Wälder wilde Jagdlust nährten. — Völlig fabelhaft er-
scheint, wenn man im Mittelalter den Ursprung der Falkenjagd
auf Ulysses, oder einen ägyptischen König Ptolemäus zurückleitet-
Die Aegypter richteten keine Falken ab, auf ihren zahlreichen
Bildwerken wären sie sonst gewiss oft vorhanden.
Desto sichrer scheint, dass die Falkenjagd von früh auf
unter Arabern im »Schwung ging. Kaiser Friedrich*) legt ihnen
ausdrücklich die Erfindung des capellus (der Falkenhaube) bei.
Ausserdem war und ist sie noch heutzutage bei Tataren, Türken.
Persern, Mongolen und Chinesen in Übung. Arabische und zu-
mal persische Dichter gedenken ihrer oft; Keifende schildern die
Gewandtheit und Menge der Falken in den »Steppen. Hat im
Kriege zwischen zwei »Stämmen ein Beduine etwas unter den
Feinden zu verhandeln, so ergreift er eine Lanze oder einen
Falken, und ruft Zeugen aus, dass er dem Schech des feindlichen
Stammes ein Geschenk damit mache; dann darf er im Feindes-
lager io lange verweilen, als das Geschäft erfordert.
Unser deutscher Jagdvogel ist eigentlich der Habicht, unter
dessen Benennung aber auch Falken und Sperber begriffet!
wurden. —
Die Falken unterscheiden mannigfache Arten. Für den vor-
nehmsten galt der girofalco (altfranzösisch gerfaut, ital. grifagno)
entweder von den weiten Kreisen, die er in der Luft nimmt
(gyrofalco a gyrando) oder mit dem deutschen Geier (gir) ver-
wandt, Geierfalk. Albertus Magnus hält den sacer falco für den
ersten, und lässt dann den girofalco folgen, was Andre umkehren-
Diesen beiden edelsten Falken zunächst stand der montanarius
und peregrinus (Pilgrimfalke, faucon pelerin). —
17. Die Steppe.
(A. v. Humboldt: Ansichten der Natur.)
Am Fusse des hohen Granitrückens, welcher im Jugendalter
unseres Planeten bei Bildung des antillisehen Meerbusens dem
Einbruch der Wasser getrotzt hat, beginnt eine weite unabfeh-
*) Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen schrieb ein lateinisches
Werk über die Falknerei.
117
bare Ebene. Wenn man die Bergthäler von Caracas und den
inselreichen See Tagaricua, in dem die nahen Pisangstämme sich
spiegeln; wenn man die Fluren, welche mit dem zarten und
lichten Grün des thahitifchen Zuckerschilfes prangen, oder den
ernsten Schatten der Caeaobüsche zurücklässt: so ruht der Blick
im Süden auf Steppen, die scheinbar ansteigend in schwindelnder
l erne den Horizont begrenzen.
Aus der üppigen Fülle des organischen Lebens tritt der
Wanderer betroffen an den öden Rand einer baumlosen pflanzen-
armen Wüste. Kein Hügel, keine Klippe erhebt sich inselförmig
in dem unermesslichen Raume. Nur hier und dort liegen ge-
brochene Flötzschichten von 200 Quadratmeilen Oberfläche, be-
merkbar höher als die angrenzenden Theile. ,,Bänke“ nennen
die Eingebornen diese Erscheinung, gleichsam ahnungsvoll durch
die Sprache den alten Zustand der Dinge bezeichnend, da jene
Erhöhungen Untiefen, die Steppen selbst aber der Boden eines
grossen Mittelmeeres waren.
Noch gegenwärtig ruft oft nächtliche Täuschung diese Bilder
der Vorzeit zurück. Wenn im raschen Aufsteigen und Nieder-
sinken die leitenden Gestirne den Saum der Ebene erleuchten,
oder wenn sie zitternd ihr Bild verdoppeln, in der unteren Schicht
der wogenden Dünste: glaubt man den küstenlosen Ozean vor
sich zu sehen. Wie dieser erfüllt die Steppe das Gemüth mit
dem Gefühl der Unendlichkeit, und durch dies Gefühl, wie den
sinnlichen Eindrücken des Raumes sich entwindend, mit geistigen
Anregungen höherer Ordnung. Aber freundlich zugleich ist der
Anblick des klaren Meeresspiegels, in welchem die leichtbewegliche,
sanft aufschäumende Welle sich kräuselt; todt und starr liegt die
Steppe hingestreckt wie die nackte Felsrinde eines verödeten
Planeten.
In allen Zonen bietet die Natur das Phänomen dieser gross-
artigen Ebenen dar; in jeder haben sie einen eigenthümlichen
(Larakter, eine Physiognomie, welche durch die Verschiedenheit
ihres Bodens, durch ihr Klima und durch ihre Höhe über die
Oberfläche des Meeres bestimmt wird.
Im nördlichen Europa kann man die Haideländer, die von
einem einzigen, alles verdrängenden Pflanzenzuge bedeckt, von der
Spitze von Jütland bis an den Ausfluss der Schelde sich erstrecken,
als wahre Steppen betrachten; aber Steppen von geringer Aus-
dehnung und hochhügeliger Fläche, wenn man sie mit den Llanos
Und Pampas von Südamerika oder gar mit den Grasfluren am
Missouri und Kupferflusse vergleicht, in denen der zottiges Bison
und das kleine Moschusthier umher sch wärmen. Einen grösseren
und ernsteren Anblick gewähren die Ebenen im Innern von Afrika.
Gleich der weiten Fläche des stillen Ozeans, hat man sie erst
"
— 118 -
in neueren Zeiten zu durchforschen gesucht; sie sind Theile eines
Sandmeeres, welches gegen Osten fruchtbare Erdstriche von ein-
ander trennt, oder inselförmig einschliefst, wie die Wüste am
Bafaltgebirgfe Harudsch, wo in der dattelreichen Oafis von Siwah
die Trümmer des Ammontempels den ehrwürdigen Sitz früher
Menschenbildung bezeichnen. Kein Thau, kein Regen benetzt
diese öden Flächen und entwickelt im glühenden Schoo ss der
Erde den Keim des Pflanzenlebens. Denn heisse Luftsäulen
steigen überall aufwärts, lösen die Dünste und verscheuchen das
vorübereilende Gewölk. Wo die Wüste sich dem atlantischen
Ozean nähert, wie zwischen Wadi-Nun und dem weissen Vor-
gebirge, da strömt die feuchte Meeresluft hin, um die Leere zu
füllen, welche durch jenen senkrechten Wind erregt wird. Selbst
wenn der Schiffer durch ein Meer, das wiesenartig mit Seetang
bedeckt ist, nach der Mündung des Gambia steuert, ahnt er,
wo ihn plötzlich der tropische Ostwind verlässt , die Nähe des
weitverbreiteten wärmestrahlenden Sandes.
Heerden von Gazellen, schnellfussige Strausse, durstende
Pantherthiere und Löwen durchirren in ungleichem Kampfe den
unermesslichen Raum. Rechnet man ab die im Sandmeere un-
entdeckten Gruppen quellenreicher Inseln, an deren grünen Ufern
die nomadischen Tibbos und Tuariks schwärmen, so ist der übrige
Theil der Wüste als für den Menschen unbewohnbar zu betrachten.
Auch wagen die angrenzenden gebildeten Völker sie nur periodisch
zu betreten. Auf Wegen, die der Handelsverkehr feit Jahrhun-
derten unwandelbar bestimmt hat, geht der lange Zug von Tadlet
bis Timbuktu oder von Murzuk bis Bornu — kühne Unterneh-
mungen, deren Möglichkeit auf der Existenz des Kameels beruht,
des Schiffes der Wüste.
Diese afrikanischen Ebenen füllen einen Raum aus, welcher
den des nahen Mittelmeeres übertrifft. Sie liegen zum Theil
unter den Wendekreisen selbst, zum Theil denselben nahe; und
diese Lage begründet ihren individuellen Naturcharakter. Dagegen
ist in der östlichen Hälfte des alten Continents dasselbe geogno-
stische Phänomen der gemässigten Zone eigenthümlich. Auf dem
Bergrücken von Mittelasien, zwischen dem Goldberge oder Altai
und dem Küen-Lün, von der chinesischen Mauer an bis jenseits
des Himmelsgebirges und gegen den Aralsee, in einer Länge von
1000 Meilen breiten sich die höchsten und grössten Steppen der
Welt aus. Einige sind Grasebenen, andere mit saftigen, immer-
grünen, gegliederten Kalipflanzen geschmückt; fernleuchtend von
flechtenartig aufspriessendem Salze, das gleich frischgcfallencm
Schnee ungleich den Boden bedeckt.
Diese mongolischen und tatarischen Steppen, durch mannig-
faltige Gebirgszüge unterbrochen, scheiden die uralte, langgebildete
1
119
Menschheit in Tibet und Hindostan von den rohen nordaiiatischen
Völkern. Auch ist ihr Dasein von mannigfaltigem Einfluss auf
die wechselnden Schicksale des Menschengeschlechts gewesen. Sie
haben die Bevölkerung gegen Süden zusammengedrängt; sie haben
mehr als der Himalaja, als das Schneegebirge von Siriangur und
Horka den Verkehr der Menschen gestört, und im Norden un-
wandelbare Grenzen gesetzt der Verbreitung milderer Sitten und
des schaffenden Kunstlinnes. Aber nicht als hindernde Vormauer
allein darf die Geschichte die Ebene von Inneralien betrachten.
Unheil und Verwüstung hat sie mehrmals über den Erdkreis ge-
bracht. Hirtenvölker dieser Steppen, die Avaren, Mongolen,
Alanen und Uzen, haben die Welt erschüttert. Wenn im Laufe
der Jahrhunderte frühe Geistescultur, gleich dem erquickenden
Sonnenlicht, von Osten nach Westen gewandert ist, so haben
späterhin in derselben Richtung Barbaren und sittliche Roheit
Europa nebelartig zu überziehen gedroht. Ein brauner Hirten-
stamm, türkischer Abkunft, die Hiognu, bewohnten in ledernen
Gezeiten die hohe Steppe von Gobi. Der chinesischen Macht
lange furchtbar, ward ein Theil des Stammes südlich nach Inner-
asien zurückgedrängt. Dieser Stoss der Völker pflanzte sich un-
aufhaltsam bis in das alte Finnenland am Ural fort. Von dort
aus brachen Hunnen, Avaren, Chasaren und mannigfaltige Ge-
mische asiatischer Völkerracen hervor; hunnische Kriegsheere er-
schienen erst an der Wolga, dann in Pannonien (Ungarn), dann
an der Marne und an den Ufern des Po, die schön bepflanzten
Fluren verheerend, wo die bildende Menschheit Denkmal auf
Denkmal gehäuft. So wehete aus den mongolischen Wüsten ein
verpesteter Windhauch, der auf cisalpinischem Boden die zarte
langgepflegte Blüthe der Kunst erstickte.
Kehren wir nun von den Salzsteppen Asiens, von den euro-
päischen Haideländem, die im Sommer mit honigreichen röth-
lichen Blumen prangen, und von den pflanzönleeren Wüsten Afrika’s
zu den Ebenen von Südamerika zurück! Keine Oase erinnert
hier an frühere Bewohner, kein behauener Stein, kein verwilderter
Fruchtbaum an den Fleiss untergegangener Geschlechter. Wie
den Schicksalen der Menschheit fremd, allein an die Gegenwart
fesselnd, liegt dieser Erdwinkel da, ein wilder Schauplatz des
freien Thier- und Pflanzenlebens.
Von der Küstenkette von Caracas erstreckt sich die Steppe
bis zu den Wäldern des Guyana; von den Schneebergen von
Merida bis zu dem grossen Delta, welches der Orinoco an seiner
Mündung bildet. Südwestlich zieht sie sich gleich einem* grossen
Meeresarm jenseits der Ufer des Meta und des Vichada, bis zu
den unbesuchten Quellen des Guaviare und bis zu dem einsamen
Gebirgsstock hin, welchen spanische Kriegsvölker im Spiel ihrer
120
regsamen Phantasie den Paramo de Ia suma pax, gleichsam den
schönen Sitz des ewigen Friedens, genannt haben.
Diese Steppe nimmt einen Raum von 1600 Quadratmeilen
ein. Aus geographischer Urkunde hat man sie als in gleicher
Breite bis zur Magelhaens-Strasse und ununterbrochen fortlaufend
geschildert; nicht eingedenk der waldigen Ebene des Amazonen-
flusses, welche gegen Norden und Süden von den Grassteppen
des Apure und des La Plata-Stromes begrenzt wird. Die Andes-
kette von Cochabamba und die brasilianische Berggruppe senden
zwischen der Provinz Chiquitos und der Landenge von Villabella
einzelne Bergjoche sich entgegen. Eine schmale Ebene vereinigt
die Hyläa des Amazonenflusses mit den Pampas von Buenos-Ayres.
Letztere übertreffen die Llanos von Venezuela dreimal an Flächen-
inhalt. Ja, ihre Ausdehnung ist so wundervoll gross, dass sie auf
der nördlichen Seite durch Palmgebüsche begrenzt und auf der
südlichen fast mit ewigem Eise bedeckt sind. Der casuar-ähnliche
Tuyu (Struthio Raca) ist diesen Pampas eigenthümlich, wie die
Colonnen verwilderter Hunde, welche gesellig in unterirdischen
Höhlen wohnen, oft aber blutgierig den Menschen anfallen, für
dessen Vertheidigung ihre Stammväter kämpften.
Gleich dem grössten Theile der Wüste Sahara liegen die
Llanos oder die nördlichste Ebene von Südamerika in dem heissen
Erdgürtel. Dennoch erscheinen sie in jeder Hälfte des Jahres
unter einer verschiedenen Gestalt: bald verödet wie das libysche
Sandmeer, bald als eine Grasflur, wie so viele Steppen von Mittel-
asien. Sie sind mit einer dünnen Rinde fruchtbarer Erde bedeckt,
die periodisch durch Regengüsse getränkt und dann mit üppig
aufschiessendem Grafe geschmückt sind. Doch hat dies die an-
grenzenden Völker nicht reizen können, die schönen Bergthäler
von Caracas, das Meeresufer und die Flusswelt des Orinoco zu
verlassen, um sich in dieser bäum- und quellenleeren Einöde zu
verlieren. Daher ward die Steppe bei der Ankunft europäischer
und afrikanischer Ansiedler fast menschenleer gefunden. Wohl
sind die Llanos zur Viehzucht geeignet; aber die Pflege milch-
gebender Thiere war den ursprünglichen Einwohnern des neuen
Continents fast unbekannt. Kaum wusste einer der amerika-
nischen Stämme die Vortheile zu benutzen, welche die Natur in
dieser Hinsicht ihnen dargeboten hatte. Die amerikanischeMenschen-
race (eine und dieselbe vom 65.° nördlicher bis zum 55.° südlicher
Breite, die Eskimos abgerechnet) ging vom .Jagdleben nicht
durch die Stufe des Hirtenlebens zum Ackerbau über. Genuss
von Milch und Käse, wie der Besitz und die Cultur mehlreicher
Grasarten, ein charakteristisches Unterscheidungszeichen der Nationen
des alten Welttheils.
Um so freier haben sich in den südamerikanischen Steppen
121
die Naturkräfte in mannigfaltigen Tkiergestalten entwickelt; frei
und nur durch sich selbst beschränkt, wie das Pflanzenleben in
den Wäldern am Orinoco, wo der Hymenäani dem riefenstämmigen
Lorbeer nie die verheerende Hand des Menschen, sondern nur
der üppige Andrang schlingender Pflanzen droht. Agutis, kleine
buntgefleckte Hirsche, gepanzerte Armadille, welche rattenartig den
Hasen in seiner unterirdischen Höhle aufschrecken, Heerden von
trägen Chiguiren, schön gestreifte Viverren, welche die Luft ver-
pesten; der grosse ungemähnte Löwe; buntgefleckte Jaguars (meist
Tiger genannt), die den jungen selbsterlegten Stier auf einen
Hügel zu schleppen vermögen: — diese und viele andere Thier-
gestalten durchirren die baumlose Ebene.
Fast nur ihnen bewohnbar, hätte sie keine der nomadischen
Völkerhorden, die ohnedies (nach asiatisch - indischer Art), die
vegetabilische Nahrung vorziehen, fesseln können, stände nicht
hier und da die Fächerpalme (Mauritia) zerstreut umher. Weit
berühmt sind die Vorzüge dieses Lebensbaumes. Er allein er-
nährt am Ausfluss des Orinoco die unbezwungene Nation der
Guaraunen. Als sie zahlreicher und zusammengedrängt waren,
erhoben sie nicht blos ihre Hütten auf abgehauenen Palmen-
pfosten, die ein horizontales Tafel werk als Fussboden trugen;
sie spannten auch — so geht die Sage — Hängematten, aus den
Blattstielen der Mauritia gewebt, künstlich von Stamm zu Stamm,
um in der Hegenzeit, wenn das Delta überschwemmt ist, nach
Art der Affen auf den Bäumen zu leben. Diese schwebenden
Hütten wurden theil weise mit Letten bedeckt. Auf der feuch-
ten Unterlage schürten die Weiber zu häuslichen Bedürfnissen
Feuer an. Wer bei Nacht an dem Fluss vorbeifuhr, sah die
Flammen reihenweise auflodern, hoch in der Luft, vom Boden
getrennt. Die Guaraunen verdanken noch jetzt die Erhaltung
ihrer physischen, vielleicht auch ihrer moralischen Unabhängigkeit
dem lockern, halb flüssigen Moorboden, über den sie leichtflüssig
fortlaufen, und ihrem Aufenthalt auf den Bäumen, die ihnen zu-
gleich Mehl zum Brot und Saft zum Wein liefern. Die Existenz
eines ganzen Völkerftammes ist hier an die Existenz eines Baumes
geknüpft. Seit der Entdeckung des neuen Continents sind die
Ebenen (Llanos) dem Menschen bewohnbar geworden. Um den
Verkehr zwischen der Küste und Guayana zu erleichtern, sind
hier und da Städte an den Steppenflüssen erbaut. Ueberall hat
Viehzucht in dem unermesslichen Raum begonnen. Tagereisen
von einander entfernt liegen einzelne mit Rindsfellen gedeckte,
aus Schilf und Riemen geflochtene Hütten. Zahllose Schaaren
verwilderter Stiere, Pferde und Maulesel (man schätzte sie zur
friedlichen Zeit der Reise des Herrn von Humboldt auf \l/3
Million Köpfe) schwärmen in der Steppe umher. Die ungeheure
122
Vermehrung dieser Thiere der alten Welt ist um io bewunderns-
würdiger, je mannigfaltiger die Gefahren sind, mit denen sie in
diesen Erdstrichen zu kämpfen haben.
Wenn unter dem senkrechten Strahl der nie bewölkten
Sonne die verkohlte Grasdecke in Staub zerfallen ist, klafft der
erhärtete Boden auf, als wäre er von mächtigen Erdstössen er-
schüttert. Berühren ihn dann entgegengesetzte Luftströme, deren
Streit sich in kreisender Bewegung ausgleicht, so gewährt die
Ebene einen seltsamen Anblick. Als trichterförmige Wolken,
die mit ihren Spitzen an der Erde hingleiten, steigt der Sand
dampfartig durch die luftdünne, elektrisch geladene Mitte des
Wirbels empor, gleich den rauschenden Wasserhosen, die der
erfahrene Schiffer fürchtet. Ein trübes, fast strohfarbiges Halb-
licht wirst die nun scheinbar niedrigere Himmelsdecke auf die
verödete Flui*. Der Horizont tritt plötzlich näher; er verengt
die Steppe, wie das Gemüth des Wanderers. Die heisse staubige
Erde, welche im nebelartig verschleierten Dunstkreise schwebt,
vermehrt die erstickende Luftwärme. Statt Kühlung führt der
Ostwind neue Gluth herbei, wenn er über den langerhitzten
Boden hinfährt.
Auch verschwinden allmälig die Lachen, welche die gelb-
gebleichte Fächerpalme vor der Verdunstung schützte. Wie im
eisigen Norden die Thiere durch. Kälte erstarren, so schlummern
hier, unbeweglich, das Krokodil und die Boaschlange, tief ver-
graben im trocknen Letten. Heberall verkündet Dürre den
Tod; und doch überall verfolgt den Dürstenden, im Spiele des
gebogenen Lichtstrahls, das Trugbild des wellenschlagenden Wasser-
spiegels. Ein schmaler Luft streifen trennt das ferne Palmengebüfch
vom Boden. Es schwebt durch die Kiemung gehoben bei
der Berührung ungleich erwärmter und also ungleich dichter Luft-
schichten. In finstere Staubwolken gehüllt, von Hunger und
brennendem Durste geängstigt, schweifen Pferde und Kinder
umher: diese dumpf aufbrüllend, jene mit langgestrecktem Halse
gegen den Wind anschnaubend, um durch die Feuchtigkeit des
Luftstromes die Nähe einer nicht ganz verdampften Lache zu er-
rathen.
Bedächtiger und verschlagener sucht das Maulthier auf
andere Weife seinen Durst zu lindern. Eine kugelförmige und
vielrippige Pflanze, der Melonen-Oactus, verschliefst unter seiner
stachlichen Hülle ein wasserreiches Mark. Mit dem Vorderstes
schlägt das Maulthier die Stacheln seitwärts, und wagt es dann
erst, die Lippen behutsam zu nähern, und den kühlen Distel fast
zu trinken. Aber das Schöpfen aus dieser lebendigen vege-
tabilischen Quelle ist nicht immer gefahrlos; oft sieht man Thiere,
welche von Cactusstacheln am Hufe gelähmt sind.
Folgt auf die brennende Hitze des Tages die Kühlung der,
immer gleich langen, Nacht, so können Rinder und Pferde sich
dann nicht der Ruhe erfreuen. Ungeheure Fledermäuse saugen
ihnen während des Schlafes vampyrartig das Blut aus, oder
hängen sich an dem Rücken fest, wo sie eiternde Wunden erregen,
in welche sich Mosquitos und andere Schaaren stechender Insecten
ansiedeln. So führen diese Thiere ein schmerzenvolles Leben,
wenn vor der Cfluth der Sonne das Wasser auf dem Erdboden
verschwindet.
Tritt endlich nach langer Dürre die wohlthätige Regenzeit
ein, so verändert sich plötzlich die Scene in der Steppe. Das
tiefe Blau des bis dahin nie bewölkten Himmels wird lichter.
Kaum erkennt man bei Nacht den schwarzen Raum im Stern-
bild des südlichen Kreuzes. Der sanfte phosphorartige Schimmer
der Magellanisehen Wolken verlischt. Selbst die scheitelrechten
Gestirne des Adlers und des Schlangenträgers leuchten mit zittern-
dem Lichte. Wie ein entlegenes Gebirge erscheint einzelnes Ge-
wölk im Süden, senkrecht aufsteigend am Horizont. Nebel-
artig breiten allmälig die vermehrten Dünste sich über den Zenith
aus. Den belebenden Regen verkündet der ferne Donner.
Kaum ist die Oberfläche der Erde benetzt, so überzieht sich
die duftende Steppe mit mannigfaltigen Gräsern und Kräutern.
Vom Lichte gereizt, entfalten krautartige Mimosen ihre gesenkt
schlummernden Blätter und begrüssen die aufgehende Sonne, wie
der Frühgesang der Vögel und die sich öffnenden Blüthen der
Wasserpflanzen. Pferde und Rinder weiden nun im frohen Ge-
nuss des Lebens. Das hochaufschiessende Gras birgt den schön-
gefleckten Jaguar. Im sicheren Versteck auflauernd und die
Weite des einzigen Sprunges vorsichtig messend, erhascht er die
vorüberziehenden Thiere, katzenartig wie der asiatische Tiger.
Bisweilen sieht man — so erzählen die Eingebomen — an
den Ufern der Sümpfe den befruchteten Letten sich langsam und
schollenweise erheben. Mit heftigem Getöse wie beim Ausbruch
kleiner Schlammvulkane, wird die aufgewühlte Erde hoch in die
Luft geschleudert. Wer des Anblicks kundig ist, flieht die Er-
scheinung, denn eine riesenhafte Wasser schlänge oder ein gepanzertes
Krokodil steigt aus der Gruft hervor, durch den ersten Regen-
guss aus dem Scheintode erweckt.
Schwellen nun allmälig die Flüsse, welche die Ebene süd-
lich begrenzen: der Arauca, der Apure und der Pagara, so zwingt
die Natur dieselben Thiere, welche in der ersten Jahreshälfte auf
dem wasserleeren staubigen Boden vor Durst verschmachteten, als
Amphibien zu leben. Ein Theil der Steppe erscheint nun wie
ein unermessliches Binnen'wasser. Die Mutterpferde ziehen sich
mit den Füllen auf die höheren Bänke zurück, welche eichelformig
über den Seespiegel hervorragen. Mit jedem Tage verengt sich
der trockene Raum. Aus Mangel an Weide schwimmen die zu-
sammengedrängten Thiere stundenlang umher und nähren sich kärg-
lich von der blühenden Grasrispe, die sich über dem braun
gefärbten gährenden Wasser erhebt. Viele Füllen ertrinken; viele
werden von den Krokodilen erhascht, mit dem zackigen Schwänze
zerschmettert und verschlungen. Nicht selten bemerkt man Pferde
und Kinder, welche dem Rachen dieser blutgierigen riesenhaften
Eidechsen entschlüpft, die Spur des spitzigen Zahnes am Schenkel
tragen. •
Auch unter den Fischen haben die südamerikanischen Pferde
einen gefährlichen Feind. Die Sumpfwasser von Bera und Rastro
sind mit zahllosen elektrischen Aalen gefüllt, deren schleimiger gelb-
gefleckter Körper aus jedem Theile die erschütternde Kraft nach
Willkür aussendet. Diese Gymnoten haben 5 — 6 Fuss Länge.
Sie sind.mächtig genug, die grössten Thiere zu todten, wenn sie
ihre nervenreichen Organe auf einmal in günstiger Richtung ent-
laden. Die Steppenstrasse von Urituku musste einst verändert
werden, weil sich die Gymnoten in solcher Menge in einem Flüss-
chen angehäuft hatten, dass jährlich vor Betäubung viele Pferde
in der Furt ertranken. Auch fliehen alle anderen Fische die Nähe
dieser furchtbaren Aale. Selbst den Angelnden am hohen Ufer
schrecken sie, wenn die feuchte Schnur ihm die Erschütterung aus
der Ferne zuleitet. So bricht hier elektrisches Feuer aus dem
Schoo sse der Gewässer aus.
Ein malerisches Schauspiel gewährt der Fang der Gymnoten.
Man jagt Maulthiere und Pferde in einen Sumpf, welchen die
Indianer eng umzingeln, bis der ungewohnte Lärm die muthigen
Fische zum Angriff reizt. Schlangenartig sieht man sie auf dem
Wasser schwimmen, und sich verschlagen unter den Bauch der
Pferde drängen. Von diesen erliegen viele der Stärke unsicht-
barer Schläge. Mit gesträubter Mähne, schnaubend, wilde Angst
im funkelnden Auge, fliehen andere das tobende Ungewitter. Aber
die Indianer mit langen Bambusstäben bewaffnet, treiben sie in
die Mitte der Lache zurück.
Allmälig lässt die Wuth des ungleichen Kampfes nach. Wie
entladene Wolken zerstreuen sich die ermüdeten Fische. Sie be-
dürfen einer langen Ruhe und einer reichlichen Nahrung, um zu
sammeln, was sie an galvanischer Kraft verschwendet haben.
Schwächer und schwächer erschüttern nun allmälig ihre Schläge.
Vom Geräusch der stampfenden Pferde erschreckt, nahen sie sich
furchtsam dem Ufer, wo sie durch Harpunen verwundet und mit
dürrem, nicht leitendem Holze auf die Steppe gezogen werden.
So ist das Leben auf diesen weiten Ebenen. Werfen wir
noch einen Blick auf ihre Grenzen! Afrika's nördliche Wüste
scheidet die beiden Menschenarten, welche ursprünglich demselben
Welttheil angehörten, und deren unausgeglichener Zwist so alt
ist als die Mythe von Osiris und Typhon. Nördlich vom Atlas
wohnen schlichte und langhaarige Völkerstämme von gelber Farbe
und kaukasischer Gesichtsbildung. Dagegen leben südlich vom
Senegal gegen Sudan hin Negerhorden, die auf mannigfaltigen
Stufen der Civilisation gefunden werden. In Mittelasien ist durch
die mongolische Steppe sibirische Barbarei von der uralten Men-
schenbildung auf der Halbinsel von Hindostán getrennt.
Auch die sudamerikanischen Ebenen begrenzen das Gebiet
europäischer Haibcultur. Nördlich zwischen der Gebirgskette von
Venezuela und dem antillischen Meere liegen gewerbsame Städte,
reinliche Dörfer und sorgsam bebaute Fluren an einander gedrängt.
Selbst Kunstsinn, wissenschaftliche Bildung und die edle Liebe
zur Bürgerfreiheit sind längst darinnen erwacht. Gegen Süden
umgiebt die Steppe eine schaudervolle Wildniss; tausendjährige
Wälder, ein undurchdringliches Dickicht erfüllen den feuchten Erd-
strich zwischen dem Orinoco und dem Amazonen ström. Mächtige
bleifarbige Granitmassen verengen das Bett der schäumenden Flüsse.
Berge und Wälder hallen wieder von dem Donner der stürzenden
Wasser, von dem Gebrüll des tigerartigen Jaguar, von dein dum-
pfen, Regen verkündenden Geheul des bärtigen Affen. Wo der
seichte Strom eine Sandbank übrig lässt, da liegen mit offnem
Rachen, unbeweglich wie Fels stücke hingestreckt, oft bedeckt mit
Vögeln, die ungeschlachten Körper der Krokodile. Den Schwanz
um einen Baumast befestigt, zusammengerollt, lauert am Ufer, ihrer
Beute gewiss, die schachbrett-fleckige Boaschlange. Schnell ent-
rollt und vorgestreckt ergreift sie in der Furt den jungen Stier
oder das schwächere Wildbret, und zwängt den Raub, in Geifer
gehüllt, mühsam durch den schwellenden Hals.
In dieser grossen und wilden Natur leben mannigfache Ge-
schlechter der Menschen. Durch wunderbare Verschiedenheit der
Sprachen gesondert, sind einige Nomaden, dem Ackerbau fremd,
Ameisen, Gummi und Erde geniessend, ein Auswurf der Mensch-
heit — wie die Otomaken und Jaruren; andere angesiedelt, von
selbst erzielten Früchten genährt, verständig und sanfterer Sitten,
— wie die Maquiritarer und Macos. Grosse Räume zwischen
dem Cassiquiare und dem Atabapo sind nur vom Tapir und vom
geselligen Affen, nicht von Menschen bewohnt. In Felsen gegrabene
Bilder beweisen, dass auch diese Einöde einst der Sitz höherer
Cultur waj. Sie zeugen für die wechselnden Schicksale der Mensch-
heit, wie es auch die ungleich entwickelten biegsamen Sprachen
thun, welche zu den ältesten unvergänglichen historischen Denk-
mälern der Menschheit gehören.
r"
fl
— 126 —
18. Sommer und Winter in Volksgebräuchen und Volks-
liedern.
(Uhland, Abhandlung über die deutschen Volkslieder.)
In den Mythen des germanischen Alterthums, wie bei andern
Völkern, lind die Erscheinungen und Kräfte der Natur als persön-
liche Wesen aufgefasst und dargestellt. Die Auffassung ist zwie-
facher Art: sie beruht einerseits in dem Glauben an das dämonische
Leben der persönlich genommenen Naturgewalten, andrerseits in
bewusster Allegorie. Beiderlei Weisen laufen vielfach in ein-
ander, vermittelt find sie durch die freie dichterische Thätigkeit,
welche die geglaubten Götterwesen, wie die gestalteten Begriffe,
Mythen bildend, in Handlung bringt.
Ein grosser Gegensatz im Naturleben, der durch alle Lieder-
classen spielt, der Streit zwischen Sommer und Winter, jenen
beiden Trägern der alten Jahrestheilung, soll hier an die Spitze
treten, zunächst in seinem allegorischen Ausdruck, den auch die
f christliche Zeit offen sich aneignen durfte, dann allmälig zu-
rückgeleitet an die Grenze seiner verhülltem heidnisch-mythischen
Gestaltungen.
Am Sonntag Lätare, zu Mittfasten, wann Frost und Früh-
ling sich die Wage halten, wurde, noch in neuerer Zeit, haupt-
sächlich auf beiden Seiten des Ober- und Mittelrheins ein länd-
liches Kampfspiel begangen. Zwei Personen, Sommer und Winter
vorstellend, die eine in Laubwerk, die andre in Stroh oder Moos
gekleidet, ringen mit einander. Der Winter unterliegt und wird
seiner Hülle beraubt. Von der versammelten Jugend, die mit
weissen Stäben ausgezogen ist, wird dabei" mancherlei gesungen,
dem Sommer zum frohen Empfange, dem Winter zum Hohn
und Trotze: „stab aus, stab aus! (staubaus) stecht dem Winter
die Augen aus!" Die älteste bestimmte Meldung von diesem
Spiele steht in Sebastian Francks Weltbuch 1542: „Zur Mitter-
fasten ist der Rosensonntag etc. An diesem tag hat man an
etlichen orten (in Franken) ein spil, dass die buoben an langen
ruoten bretzeln herumb tragen in der statt, und zwen angethone
mann, einer in Singrüen oder Ephew, der heisst der Summer,
der ander mit gmöss angelegt, der heisst der Winter, darnach
geht man darauf! zum wein." Des Singcns ist hier nicht be-
sonders gedacht, auch in den übrigen Nachrichten erscheint der
Aufzug als die Hauptsache, die alterthümlichen Reime sind be-
gleitender Zuruf. Daneben aber hat sich frühe schon das aus-
geführte Gesprächslied der streitenden Jahreszeiten entwickelt,
und während die vorwaltend mimische Darstellung sich in der sicht-
baren Niederlage des Winters am besten verständlich machte,
war umgekehrt der Wettstreit mit Gründen Wohl geeignet, die
I
127
beiderseitige Berechtigung im wohlgeordneten Jahreslaufe darzu-
thun und hiedurch einen versöhnlichen Ausgang herbeizuführen.
So stellt sich denn zunächst die Meldung des Weltbuchs das
in Druckblättern von 1576 und 1580 vorkommende Lied, nicht
eben durch dichterische Schilderungen ausgezeichnet, bedeutender
durch altvolksmässige Anlage und die weiten Beziehungen, die es
eröffnet. Sommer und Winter treten an dem fröhlichen Tage,
da „man den Sommer gewinnen mag“, in einem Kreise von
Zuhörern (laut der wiederkehrenden Anrede: „alle ihr Herren
mein“) einander entgegen zu raschem Wortwechsel: wer des
Andern Herr oder Knecht Bei. Der Sommer mit den Seinigen
zieht „aus Oesterreich“ , dem sonnigen Osten, daher, und heisst
den Winter sich aus dem Lande heben. Dieser kommt aus dem
Gebirge und bringt mit sich den kühlen Wind, er droht mit einem
frischen Schnee und will sich nicht verjagen lassen; der Winter
rühmt sich der weissen Felder, der Sommer der grünen; jener
ist ein grober Bauer, trägt rauhe Pelzschauben; zu des Sommers
Zeiten wächst Laub und Gras, zu denen des Winters wird manch
kühler Trunk gefunden; der Sommer bringt Heu, Korn und
Wein, aber was er einführt, wird alles im Winter verzehrt;
zuletzt behält gleichwohl der Sommer Recht, der Winter nennt
sich seinen Knecht und bittet ihn um seine Hand, damit sie
zusammen in fremde Lande ziehen, hierauf erklärt der Sommer
ihren Krieg für beendigt und wünscht Allen eine gute Nacht.-----
Der allgorisehe Wettstreit der Jahreszeiten belebt sich noch
weiter durch einen Gegensatz aus dem Pflanzenreiche. Dass die
Darsteller der Singgespräche je ihrer Rolle gemäss aufgeputzt
waren, lässt sich allgemein voraussetzen, wie es von diesen
Spielen in der Schweiz und in Baiern ausdrücklich gemeldet
wird. Je mehr der Streit in Handlung gesetzt und dem blossen
Wortgefechten enthoben war, um so weniger durfte die Ver-
mummung fehlen. Nach Seb. Francks Berichte war der Sommer
in Singrün oder Epheu, der Winter mit Moos angethan. Nun
giebt es Gesprächslieder, in welchen Gewächse, statt nur das
bezeichnende Beiwerk herzuleihen, selbst und persönlich die
Gegner sind. Den Streit in dieser Gestalt hat Altengland bis in
die Weihnachtsfeier, die Zeit der Wintersonnenwende, hinauf-
gerückt. Bei dieser Feier wurde besonders das unerftorbene
Grün der Stechpalme und des Epheus zum Schmuck der Kirchen
und Häuser verwendet; Kirchenrechnungen aus dem 15. und
16. Jahrhundert verzeichnen die Ausgabe für Hülst und Epheu:
eine Stange mit solchem Laube geziert, scheint in der Pesthalle
gestanden zu sein. Diese beiden Gewächse fiihrt ein englisches
Lied, das in einer Handschrift des 15. Jahrhunderts bewahrt
ist, auf die Weife feindlich zusammen, dass hier die dunkle
128
Epheuranke > die in deutschen Spielen,. im Gegensatze zu Moos
oder Stroh, den Sommer schmückt, das winterliche Wesen ist,
der glänzend grüne Hülst des sommerlichen Epheu (Ivy) ist
weiblich gedacht, Hülst (Holy) männlich. Hülst steht in der
Halle, lieblich anzuschauen, Epheu steht vor der Thür und friert
gewaltig; Hülst und seine lustigen Leute tanzen und fingen,
Epheu und ihre Mägde weinen und ringen die Hände; Epheu
hat eine Frostbeule, so wird es Allen angewünscht, die zu Epheu
halten; Hülst hat Beeren, roth wie eine Rose, Förster und
Jäger hüten dieselben vor den Rehen; Epheu hat Beeren, schwarz
wie eine Schlehe, da kommt die Eule und isst sie auf; Hülst hat
Vögel, eine gar hübsche Schaar, die Nachtigall, den Papagei,
die artige Lerche; gute Epheu! was für Vögel hast du? keinen,
als das Käuzlein, das schreit hu hu! Der Kehrreim fordert
Epheu auf, dem Hülst gebührend die Meisterschaft zu lassen.
Das Abfingen dieses Liedes, das durchaus für den Hülst Partei
nimmt, mochte mit einer mimischen Vorstellung verbunden sein,
wobei die Hauptpersonen in entsprechender Laubbekleidung, die
Gestalten der zugehörigen Vögel vorweisend, auftreten; Hülst mit
seinen lustigen Gesellen in der Halle tanzend und singend, Epheu
mit ihren frierenden Mägden vor der Thüre stehend. —
Die altenglischen Lieder erschliessen nun auch den ursprüng-
lichen Sinn des Deutschen von Buchsbaum und Felber. Dieses
feit der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts vielverbreitete Volks-
lied bringt den wintergrünen Buchs mit dem frühlingsmässigen
Fahlweidenbaum in ein Kampfgespräch. Soweit zeigt sich aller-
dings noch der alte Gegensatz, im Besondern aber wird nicht
sowohl die Verschiedenheit der Jahreszeiten, als die mannigfache
Verwendung der beiderlei Holzarten hervorgehoben und der her-
kömmliche Rahmen ist dazu benützt, eine Keihe ansprechender
Lebensbilder aus Stadt und Haus, Feld und Wald, rasch vor-
überzuführen. So kommt vom Buchsbaum der Kranz, den die
schöne Jungfrau zum Tanze trägt, der Becher, aus dem ihr
rothes Mündlein trinkt, vom Felber der Sattel, auf dem der gute
Gesell durch den grünen Wald reitet, die Pfeife, die er kriegerisch
im Felde bläst. Rühmt (ich der Buchsbaum, dass er Sommer
und Winter grün bleibe, so giebt der Felber zuletzt noch ein
echtes Frühlingsbild, das ihm mit liecht den Sieg verschafft:
ich steh dort mitten in der Mahd,
und halt ob einem Brünnlein kalt,
daraus zwei Gerzlieb trinken.
Solche Züge lenken doch wieder nach dem dargelegten Ur-
sprung ein. Auch äusserlich knüpft sich dieses Gesprächslied an
dasjenige zwischen Sommer und Winter, von dem die Erörterung
ausging. „So bist du mein Herr und ich dein Knecht“ wird
abermals vernommen, und das Spiel hat vor einer zahlreichen
Versammlung I tattgefunden.
In sämmtlichen bisher ausgezählten Spielen und Kampf-
gesprächen sind Sommer und Winter lediglich allegori sehe Personen,
sie erscheinen mit ihrem nackten begrifflichen Namen, oder doch
nur in leichter Verhüllung. Dieselbe Gesprächsform brauchen
volksmässige Lieder für mehrerlei Gegensätze, z. B. des Wassers
und des Weins, der Fasten und Nichtsasten, geistliche Dichtungen
für den des Leibes und der Seele. Die beiden Jahreshälften sind
auch in ihrem Wechsel und Unterschiede so gemeinfasslich,
bringen so von selbst ihre natürlichen Abzeichen und den mannig-
fachen Anlass zu Ruhmrede oder Schelte mit sich, dass es hier
am wenigsten der Ueberlieferung aus vergangenen Zeiten oder
von einem Volke zum andern bedurfte. Winter und Frühling
z wie sprechen schon in einer äsopischen Fabel, sie sollen es auch
in einem Märchen der nordamerikanischen Indianer thun. Wie
auf der niederländischen und englischen Schaubühne, spielen die
persönlichen Jahreszeiten auch in spanisch-portugiesischen Stücken,
welche Gil Vicente im Eingang des 16. Jahrhunderts vor dem
Hofe von Lissabon zur Darstellung brachte. Bei allem dem sind
schon durch den Zusammenhang mit den Volks spielen wie sie in
Ländern deutschen Zeichens zur Zeit der Frühlingsgleiche oder
bereits der Wintersonnenwende stattfanden, auch die Streitlieder
auf dem Boden alter, heimischer Jahresfeiern befestigt.
Das Spiel an Mittsästen ist, der Jahreszeit gemäss, haupt-
sächlich auf die Vertreibung oder Niederlage des Winters ge-
richtet. Der Sommer wird da schon fröhlich begrüsst, empfangen,
„gewonnen“; aber voll und festlich kann dies erst dann geschehen,
wenn er sich in seinem eignen reichen Schmucke, nicht mehr
blos im erborgten Singrün oder Epheu zeigt, wenn die Blumen
springen, die Vögel singen, und der Wald ergrünt, Auch damit
geht es stufenweise. Wer das erste Veilchen sieht, „hat den
Sommer funden“, wie dies in späteren Neidhardsliedern dar-
gestellt ist. Der Finder des ersten Veiels beginnt laut zu singen
und meldet feinen Fund auf der Burg; die Herzogin von Bayern
eilt an seiner Hand mit Pfeifern und Fiedlern herbei, um den
Sommer zu grüssen. Inzwischen hat schon ein Bauer das Veil-
chen abgebrochen, es ist auf den Tanzbühel getragen und auf
eine Stange gesteckt, um welche die Dörper fröhlich tanzen und
springen. Hans Sachs hat nachmals den unsaubern Schwank als
Fastnachtsspiel bearbeitet; liier singt die Herzogin zum Reigen,
etwas frühzeitig, ein kleines Mailied vor: „der Maie, der Maie,
der bringt uns Blümlein viel“ u. s. w. und auch die Bauern
fingen zum Tanz um den aufgerichteten Veiel. Ist nun wirklich
Roquette, Deutsches Lesebuch. II. 9
130
der erste Mai, der Walburgtag, angebrochen, so kann eine andre,
aber aufgehende Blume eingebracht werden. Zu Thann im Li-
las» hält an diesem Tage das Maienröslein seinen Umzug, ein
Kind, das einen mit Blumensträuisern und Bändern geschmückten
Maien trägt ; ein andres trägt einen Korb, um die (laben in
Empfang zu nehmen, die übrigen folgen und singen vor den
Häusern; ihr Liedchen hebt an:
Maienröslein, kehr' dich dreimal rum,
lass dich beschauen rum und num!
Maienröslein komm in grünen Wald hinein!
Wir wollen alle lustig fein,
so fahren wir vom Maien in die Rosen!
Im Verlaufe des Liedes wird den Leuten, die nicht Eier.
Wein, Oel, Brot spenden wollen, angewünfcht, dass der Marder
die Hühner nehme, der Stock keine Trauben, des Baum keine
Nüsse, der Acker keine Frucht mehr gebe; das Erträgnis» des
Jahres hängt von dem kleinen Frühlingsopfer ab.
Stattlicher und mächtiger geschieht die Einführung des
Sommers in der Maienfahrt, dem Mairitt. Von diesem Ge-
brauch und dessen förmlicher Einrichtung kommen die meisten
Nachrichten aus Scandinavien und Norddeutschland. In den
Städten Südsciiwedens und Gothlands war um die Mitte des 16-
Jahrhunderts die Maifeier mit dem Kampfe zwischen Sommer
und Winter unmittelbar verbunden, gemäss dem späteren Eintritt
des nordischen Frühlings. Am ersten Mai rückten zwei Keiterfchaaren,
die eine vom Winter angeführt, der, in Pelze gehüllt und mit
Handfpiefsen bewaffnet, Schneebällen und Eisschollen auswarf,
die andre vom Blumengrafen, der mit grünen Zweigen, Laub-
werk und kaum erst gefundenen Blumen bekleidet war, von ver-
schiednen Seiten in die Stadt und hielten ein Speer stechen, worin
der Sommer den Winter überwand und durch Ausspruch des um-
stehenden Volkes für den Sieger erklärt wurde. Die späteren
Berichte aus Schweden und Dänemark schweigen vom Kampf
und sprechen nur noch vom Einführen oder Einreiten des Sommers
durch feierlichen Umzug des Maigrafen, der den Maienkranz
einbringt. Wenn der dänische Maigraf am Walburgtage mit
seinem Gefolge einritt, warf er den Kranz auf das Mädchen, das
er sich damit zur Maiin wählte. Von dem „alten leichtfertigen“
Maienliede, das dazu gesungen wurde: „Hausherr, wenn du da-
lieime bist“ u. f. w. mit der Kehre: „Maie, fei willkommen!“
sind nur noch diese Bruchstücke verzeichnet; doch hat auch ein
dafür eingetretenes geistliches Lied noch die Kehrzeilen: „Maie,
fei willkommen! all so weit die Welt ist, spriesset, ihr Rosen-
blumen!“ Auch der Maigreve niederdeutscher »Städte brachte den
131
Kranz, den ihm zu Greifs walt ein Schiitjunge vortrug; eines
Kampstpiels ist nicht gedacht, wenngleich der Aufzug in vollem
Harnisch und mit anfehidichem Geschwader stattfand. Einige
beachtenswertste Beispiele der Maienfahrt sollen hier noch aus-
geholte» werden.
Zuerst ein Zeugniss, das sich in einer altfranzösischen Er-
zählung aus dem 13. Jahrhundert vorfindet. Ein junger Burg-
herr in der Bretagne erhebt sich am frühen Maimorgen und zieht,
es scheint unberitten, mit fünf Spielleuten, Flöten und Schal-
meien , nach dem Walde, um mit grossem Schalle den Mai ein-
zubringen, ihn selbst nennen die Frauen „Nachtigall“.
Ernsthaft in die Geschichte greift der Ausritt des deutschen
Königs Albrecht am 1. Mai 1308. Der König war zu Baden
im Aargau und wollte nach altem Landesbrauch an diesem Tag
eine Maienfahrt halten. Er ritt mit Fürsten und Herren nach
Brugg und im Gefolge befand sich fein junger Bruderssohn Jo-
hann, der wegen unbefriedigter Erbansprüche dem höniglichen
Oheim grollte. Nachdem Johann eben wieder vergeblich ange-
halten hatte, fass man zum Mahle nieder. Als nun der König
Wasser nahm, berichtet Ottokars Keimchronik, kam ein Junker,
der viel grüne Schlägel (Kränze) von Salbei und Kaute trug.
„Herr König,“ sprach er, „empsahet den trauten Maien, licht und
glanz, und setzet einen Kranz auf!“ Der König nahm die Kränze,
so viel der Knabe deren hatte, ging damit den Tisch entlang
und hiess jeden der Herren, grosse und kleine, ein Scldagel nehmen;
als er zu seinem Vetter kam, erlas er das schönste und setzte es
ihm auf, aber wohl mochte man gewaliren, dass dem Herzog
übles im Sinne lag. Nach andrer Meldung setzte der König-
feinen Söhnen und dem Herzog Johann jedem einen Ko sen-
kranz auf das Haupt, der Herzog aber legte weinend seinen
Kranz auf den Tisch Der noch zeitgenössische Abt von Vic-
tring lässt ihn seinem Uninuth Worte geben: „Längst, o Herr!
wart ihr der Pfleger meiner Unmündigkeit, jetzt, da die Kindheit
vorüber ist, hab ich die Zweige der blühenden Jugend ergriffen;
nicht mit knabenhaften Kränzen eracht’ ich mich in meine Herr-
schaft eingesetzt, sondern wie ich öfters Euch gemahnt, verlang’
ich nochmals flehentlich, dass mir das Meine wiedergegeben werde,
damit ich Namen und Amt eines Fürsten führen möge.“ Nach
dem Mahle ritt der König weiter und auf dem Wege fliese ihm
der Neffe das Messer in den Hals. Furchtbare Kaclie vollzog
der Sohn des Ermordeten, Herzog Leopold, und man hat die
Maienlust sagenhaft vollständig gemacht, indem erzählt ' wurde,
dass bei Hinrichtung der unschuldigen Burgmänner zu Fahr-
wangen „Die Königin“ im Blute gewandelt sei und gesagt habe:
nun bade sie in Maienthau.
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132
Geschichtlich merkwürdig ist ferner ein westfälischer Mai-
ritt, der nämlich, welchen die Bürger von Soest im Jahr 1466
während ihrer Fehde mit dem Erzbischof von Köln ausführten.
xVuf Walburgtag, da man nach alter Sitte in den Mai zu reiten
pflegte, wollten die Soester dies nicht unterlassen, wiewohl sie
sich vor ihren Feinden zu wehren hatten; sie zogen mit grosser
Kriegsmacht aus der Stadt in den Arasberger Wald, wo sie ihre
Schaaren ordneten, fielen dann mit Raub und Brand in die Graf-
schaft Arnsberg, zerstörten Dörfer und Vesten, führten Heerden,
beladene Wagen, selbst aufgefangene Frauen, die jedoch vor der
Stadt wieder freigelassen wurden, hinweg und kamen, nachdem
sie der verfolgenden Feinde sich erwehrt, mit Frieden und Freude
„unter dem grünen Maien“ nach Haufe.
Dieser grüne Maie, unter welchem das Heer einreitet, wird
im Arnsberger Walde gehauen fein. Auch der bretagnische
Ritter zog mit seinen Spielleuten in den Wald, um den Mai zu
holen. Anschaulich heisst es in einem Reigenliede Neidhards:
„Der Mai ist mächtig, er führt getreulich den Wald an feiner
Hand, der ist nun neues Laubes voll, der Winter hat fein Ende.“
Nun erst, da der Wald belaubt ist, hat der Sommer völlig ge-
siegt und im Mairitte soll dieser grünende Wald mit seinem
frischen Glanz und seinen Wohlgerüchen auch in das Weichbild
der Ortschaften, auf Markt und Gassen, in Kirchen und Häuser,
eingebracht werden; vornehmlich soll der aufgepflanzte Maibaum
von der Einkehr des ersehnten Gastes zeugen. Darum waren
mit der Maifeier Holzrechte verbunden, der Wald war noch reich
und konnte genug des grünen Schmuckes spenden. In einem
niederländischen Lied bringt der Bauer seinem Herrn ein Fuder
Holz und zugleich der Frau „den kühlen Mai“. Zu Hildesheim
wurde der Maiwagen mit dem gehauenen Buschwerk zur Aus-
schmückung der Klöster, Kirchen, Thürme festlich eingeholt und
sammt dem Maikranze von dem Maigrafen in Empfang genommen.
Besonders aber ist hieher noch des vormaligen „Walgerzugs“ von
Erfurt zu gedenken. Wieder am Walburgtage, wovon der Ge-
brauch seinen Namen hatte, zogen die Bürger zu Pferd und zu
Fuss nach der Wagweide, einem kurmainzischen Gehölze, wo
sie auf diesen Tag vier Eichen fällen durften. Fahnenträger
und Spielleute, vier „Walgerherren“ aus jedem Stadtviertel, be-
kränzte Stäbe tragend, gingen im Zuge, die Jugend fang:
Willst du mit nach Walgern gehn?
Willst du mit, so komm! u. s. w.
Nachdem man den Tag fröhlich draussen zugebracht, bewegte
sich der Zug, grüne Maien, die man im Walde geschnitten,. in
den Händen, nach der Stadt zurück, und man pflegte zwei Kna-
ben, mit Goldketten und anderem Geschmeide-ausgeschmückt, zu
133
Pferde mit in die Stadt einzuführen. Ueber den Ursprung dieses
Zugs gab es verschiedene Sagen. Laut der einen stand ehemals
auf der Kuhweide ein festes Schloss, darin sich Räuber aufhielten,
denen ein aus der Stadt -vertriebener Bürger als Koch dienen
musste. Als sie jiinst nach ihrer Gewohnheit auf weissen Pferden
ausgeritten waren und den Schlüssel einer alten Frau anver-
traut hatten, erbat sich der Mann von ihr einen kurzen Gang
vor das Schloss machen zu dürfen, und benutzte die Erlaubniss
dazu, dem Käthe von Erfurt, unter dem Beding der Wieder-
aufnahme die Ueberlieferung des Schlosses zu versprechen 5 nach
seiner Anweisung kamen die Erfurter auf weissen Pferden vor
das Schloss, wurden für Burgleute angesehen und eingelassen,
bemächtigten sich desselben, so wie der arglos wieder einreitenden
Käuber und zerstörten die Veste. Eine andere Chronikmeldung
besagt: die Edelleute des Schlosses Dienstberg feien Käuber ge-
worden, deshalb fei Kaiser Kudolf mit den Erfurtern hinaus-
geritten, diese haben Alles erschlagen und das Schloss zerstört,
da habe die Edelfrau ihre zwei jungen Söhne mit all ihrem Ge-
schmeide behängt, sei herausgekommen und habe dem Kaiser um
der Kinder Leben einen Fussfall gethan, die Bitte fei gewährt
und die Edelsöhne seien auf den Pferden nach Erfurt gebracht
worden; bei dieser Einnahme des Schlosses haben die Erfurter
ein Lied gemacht, das noch von der Jugend gesungen werde,
beim Walgerzug aber, der zum Gedächtniss der Stadt gestiftet
worden, habe man fortan auch die zwei geschmückten Knaben
mit eingeführt. Die Zerstörung der thüringischen Kaubburgen
durch den Kaiser Rudolf in Gemeinschaft mit den Bürgern von
Erfurt konnte wohl im Laufe der Zeit sagenhaftes Aussehn er-
langen, und das Andenken an die Kriegsfahrt dem örtlichen
Feste verknüpft werden; auch dass der Name des eingenommenen
Schlosses wechselt, und anderwärts die im Jahre 1304 eroberte
Burg Greifenberg genannt wird, verträgt sich mit einer geschicht-
lichen Erinnerung, aber der Walgerzug als solcher gehört nicht
der Stadt Erfurt ausscldiesslich an, er fällt in den dargelegten
allgemeinen Zusammenhang der deutschen Maifeier und kann
darum nicht wohl in dem besondern Ereignisse begründet fein.
Dieser Walgerzug mochte von Anfang an auf eine Eroberung
ausgehen, aber die Besiegten sind nicht Raubritter, sondern Winter-
unholde, denen der freundliche Sommer abgewonnen wird. Ixn
Sinne des Ganzen sind dann auch die erheblichern Einzelheiten
aufzufassen. Die zwei reichgeschmückten Knaben, die njan mit
den Maibüschen jubelnd in die Stadt geleitete, waren ursprüng-
lich nicht Söhne der Edelfrau, sondern Träger des einkehrenden
Frühlings. Das Geschmeide, mit dem sie behängt sind, mahnt
wieder an ein Reigenlied Neidhards, das im Mai den Hagedorn
134
schön wie Gold ergrünen lässt. Auf einen Kampf weist auch
bei früher angeführten Mairitten die kriegerische Wappnung. Der
tapfere Gedanke der Soester, den Festritt in einen Fehdezug zu
verwandeln, lag näher, wenn mit dem Maireiten selbst schon die
Vorstellung von streitbarer Ausfahrt und von Einbringung einer
Kriegsbeute verbunden war, und in den schwedischen Städten
fiel der Ritt am ersten Mai mit dem Gefechte zwischen Sommer
und Winter zusammen. Gleichwohl geben die deutschen Mai-
ritte, soweit sie sich verfolgen liessen, mehr nur den Sieges-
zug und scheinen den wirklichen Kampf, der hier schon im
März stattfinden konnte, als einen früher vollbrachten vorauszu-
setzen.
Was von den besprochnen Sommerspielen an dichterischem
Erzeugn iss abfällt, das sind die formelartigen Liedchen, welche
die Jugend dazu fang, die Streitgespräche nebst den Einführungen
der Jahreszeiten auf die Schaubühne. Die Poesie liegt weniger
in den begleitenden Reden und Gelangen, als unmittelbar in den
Festgebräuchen selbst. Die Gestalten, welche hierbei auftreten,
waren allegorischer Art und eben darum, selbst wenn sie aus
heidnischer Zeit stammten, auch der christlichen unanstössig. Aber
die sonst übel berufene Allegorie stand hier in ihrem guten
Rechte. Wo eine Volksmenge sich festlich bewegt, da bedarf es
eines einheitlichen Ausdrucks, welcher den Sinn der Bewegung
augenfällig darlegt, eines vernehmlich und unzweideutig aus-
gesprochenen Gedankens. Das gerade leistet die Allegorie und ihr
eigenes starres Wesen beseelt sich durch das freudige Volksleben,
dem sie zur Losung dient. Vornehmlich bringen nun die Wand-
lungen des Jahreslaufs, auch allegorische Personen, schon in
ihrem natürlichen Beiwerk einen regsamen Hauch und Farben-
glanz mit sich heran. Gil Vicente hebt den Aufzug seiner Jahres-
zeiten durch angeklungene Volkslieder, insbesondere streut der
Frühling die reizendsten Liebes - und Blumenlieder ein. Nash
und Shakespeare lassen den fröhlichen Kuckucksruf ertönen. Der
grüne Hülst mit seinen flatternden Vögeln tanzt und singt schon
in der Weihnachtshalle; der persönliche Mai 'geht wohl auch
völlig in den Blumenkranz oder den wehenden Maibaum über.
Alle trockene Absichtlichkeit schwindet, wo die jugendliche Ge-
stalt mit dem lachenden Frühlingsschmucke sich eint. So ist
das elfässische Mairöslein eine allerliebste kleine Allegorie. Zier-
lich bringt der Edelknabe den lichten Mai, die Rautenkränze
zum Festgelag, rüstig trägt der Greifswalder Schildjunge den
Maikranz vor und zuletzt noch reiten märchenhaft die gold-
geschmückten Söhne der Edelfrau im Walgerzug. In solch anmuth-
roichen Vertretern wird der Frühling leibhaftig, sie selbst aber
gelangen zhr festlichen Geltung dadurch, dass sie den Mai be-
135
deuten. Pulsschlag dieser Volksspiele, der einfachen wie der
prunkhaftern. ist die jauchzende Herzenslust lebensfrischer Ge-
schlechter.
19- Sixtus V.
(Ranke, Geschichte der Päpste im 10. und 17. Jahrhundert.)
Bei den ersten glücklichen Fortschritten der Osmanen in
den illyrischen und dalmatischen Provinzen flohen viele Ein-
wohner derselben nach Italien. Man sah sie ankommen, in
Gruppen geschaart an dem Ufer sitzen, die Hände gegen den
Himmel ausstrecken. Unter solchen Flüchtlingen ist wahrschein-
lich auch der Ahnherr Sixtus V. Zanetto Peretti, herüber- r
gekommen: weder er noch feine Nachkommen, die sich in Montalto
niedergelassen, hatten sich in ihrem neuen Vaterlande eines be-
sonderen Glückes zu rühmen. Peretto Peretti, der Vater
Sixtus V., musste sogar Schulden halber diese Stadt verlassen;
erst durch feine Verheirathung wurde er in den Stand gesetzt,
einen Garten in Grotte ä Mare bei Fermo zu pachten. Es war
das eine merkwürdige Localität, zwischen den Gartengewächsen
entdeckte man die Ruinen eines Tempels der etruskischen Juno,
der Cupra, es fehlte nicht au den schönsten Südfrüchten, wie
denn Fermo sich eines milderen Klimas erfreut, als die übrige
Mark. Hier ward dem Peretti am 18. Dezember 1521 ein
Sohn geboren. Kurz vorher war ihm im Traume vorgekommen,
als werde er, indem er feine mancherlei Widerwärtigkeiten be-
klage, durch eine heilige Stimme mit der Versicherung getröstet,
er werde einen Sohn bekommen, der fein Haus glücklich machen
solle. Mit aller Lebhaftigkeit eines träumerischen, durch das
Bedürfniss erhöhten, schon ohnehin den Regionen des Geheimniss-
vollen zugewandten Selbstgefühls ergriff er diese Hoffnung: er-
nannte den Knaben Felix.
ln welchem Zustande die Familie war, sieht man wohl,
wenn z. B. das Kind in einen Teich fällt, und die Tante, die
an dem Teiche wäscht, es herauszieht Der Knabe muss das
Obst bewachen, ja die Schweine hüten; die Buchstaben lernt
er aus den Fibeln kennen, welche andere Kinder, die über Feld
nach der Schule gegangen und von da zurückkommen, bei ihm
liegen lassen; der Vater hat nicht die fünf Bajocchi übrig, die
der nächste Schulmeister monatlich fordert. Glücklicherweise
hat die Familie ein Mitglied in dem geistlichen Stande, einen
Franziskaner, Fra Salvatore. der sich endlich erweichen lässt,
das Schulgeld zu zahlen.
Da ging auch der junge Felix mit den übrigen zum Unter-
richt; er bekam ein Stück Brot mit; zu Mittig pflegte er dies
136
an dem Brunnen sitzend zu verzehren, der ihm das Wasser dazu
gab. Trotz so kümmerlicher Umstände waren doch die Hoff-
nungen des Vaters auch bald auf den Sohn übergegangen; als
dieser sehr früh, im zwölften Jahre, denn noch verbot kein
tridentinisches Concilium so frühe Gelübde, in den Franziskaner-
orden trat, behielt er den Namen Felix bei. Fra Salvatore hielt
ihn streng: er brauchte die Autorität eines Oheims, der zugleich
Vaterstelle vertritt; doch schickte er ihn auch auf Schulen. Oft
studirte Felix, ohne zu Abend gegessen zu haben, bei dem Scheine
einer Laterne im Kreuzgang, oder wenn diese ausging, bei der
Laterne, die vor der Hostie in der Kirche brannte; es findet sich
nicht gerade etwas bemerkt, was eine ursprüngliche religiöse An-
schauung oder eine tiefere wissenschaftliche Richtung in ihm an-
deutete; wir erfahren nur, dass er rasche Fortschritte gemacht
habe, sowohl auf der Schule zu Formo, als auf den Schulen und
Universitäten zu Ferrara und Bologna; mit vielem Lob erwarb
er die akademischen Würden.
Besonders entwickelte er ein dialektisches Talent. Die
Mönchsfertigkeit, verworrene theologische Fragen zu behandeln,
machte er sich in hohem Grade zu eigen. Bei dem Generalcon-
vent der Franziskaner im Jahre 1549, der zugleich mit literari-
schen Wettkämpfen begangen wurde, bestritt er einen Telesianer,
Antonio Pérsico, aus Calabrien, der sich damals zu Perugia viel
Ruf erworben, mit Gewandtheit und Geistesgegenwart. Dies
verschaffte ihm zuerst ein gewisses Ansehen; der Protector
des Ordens, Cardinal Pio von Capri, nahm sich (seitdem seiner
eifrig an.
Sein eigentliches Glück schrieb sich von einem andern Vor-
fall her.
Im Jahre 1552 hielt er die Fastenpredigten in der Kirche
8. Apostoli zu Rom mit dem grössten Beifall. Man fand seinen
Vortrag lebhaft, wortreich, fliessend; ohne Floskeln; sehr wohl
geordnet; er sprach deutlich und angenehm. Als er nun einst
dort, bei vollem Auditorium, in der Mitte der Predigt inne hielt,
wie es in Italien Sitte ist, und nachdem er ausgeruht, die ein-
gelaufenen Eingaben ablas, welche Bitten und Fürbitten zu ent-
halten pflegten, ftiess er auf eine, die versiegelt auf der Kanzel
gefunden worden, und ganz etwas Anderes enthielt.
Alle Hauptsätze der bisherigen Predigten Peretti’s, vor-
nehmlich in Bezug auf die Lehre von der Prädestination, waren
darin verzeichnet; neben einem jeden stand mit grossen Buch-
staben: du lügst. Nicht ganz konnte Peretti sein Erstaunen ver-
bergen; er eilte zum Schluss; so wie er nach Hause gekommen,
schickt er den Zettel an die Inquisition. Gar bald sah er den
Grossinquisitor Michel Ghislieri, in seinem Gemach anlangen.
137
Die strengste Prüfung begann. Oft hatte Peretti später erzählt,
wie sehr ihn der Anblick dieses Mannes, mit seinen strengen
Brauen, den tiefliegenden Augen, den scharfmarkirten Gesichts-
zügen in Furcht gesetzt habe. Doch fasste er lieh, antwortete
gut und gab keine Blosse. Als Ghislieri sah, dass der Frater
nicht allein unschuldig, sondern in der katholischen Lehre so
bewandert und fest war, wurde er gleichsam ein anderer
Mensch; er umarmte ihn mit Thränen: er ward sein zweiter
Beschützer.
Auf das entschiedenste hielt lieh seitdem Fra Felice Peretti
zu der strengen Partei, die soeben in der Kirche emporkam.
Mit Ignatio, Felino, Fillippo Neri, welche alle drei den Namen
von Heiligen erworben, war er in vertrautem Verhältniss. Dass
er in seinem Orden, den er zu reformiren suchte, Widerstand
fand, und von seinen Ordensbrüdern einmal aus Yenedig ver-
trieben wurde, vermehrte nur fein Ansehen bei den Vertretern
der zur Macht gelangenden Gelinnung. Er ward bei Paul IV.
eingeführt und oft in schwierigen Fällen zu Bäthe gezogen.
Das Vertrauen Pius V. erwarb er völlig. Dieser Papst ernannte
ihn zum Generalvicar der Franziskaner — ausdrücklich in der
Absicht, ihn zur Reformation des Ordens zu autoriliren, — und
in der That fuhr Peretti gewaltig durch: er setzte die General-
commissäre ab, die bisher die höchste Gewalt in demselben be-
sessen; er stellte die alte Verfassung her, nach welcher diese
den Provinzialen zustand, und führte die strengste Visitation aus.
Pius sah feine Erwartungen nicht allein erfüllt, sondern noch
Ubertroffen. Die Zuneigung, die er für Peretti hatte, hielt er für
eine Art göttlicher Eingebung; ohne auf die Afterreden zu hören,
die denselben verfolgten, ernannte er ihn zum Bi schof von St.
Agatha, im Jahre 1570 zum Cardinal.
Auch das Bisthum Ferme wurde ihm ertheilt. ln dem
Purpur der Kirche kam Felice Peretti in fein Vaterland zurück,
Wo er einst Obst und Vieh gehütet. Doch waren die Vorher-
sagungen seines Vaters und feine eigenen Hoffnungen noch nicht
völlig erfüllt.
Es ist zwar unzählige Mal wiederholt worden, welche
Ränke Cardinal Montalto — so nannte man ihn jetzt -— an-
gewendet habe, um zur Tiara zu gelangen; wie demüthig er lieh
angestellt, wie er gebeugt, hustend und am Stock einhergeschlichen,
der Kenner wird von vornherein erachten, dass daran nicht viel
Wahres ist, nicht auf diese Weise werden die höchsten Orden
erworben.
Montalto lebte still, sparsam und Heilsig für sich hin. Sein
138
Vergnügen war, in seiner Vigna bei Santa Maria Magiore, die
man noch besucht, Bäume, Weinstöcke zu pflanzen und seiner
Vaterstadt einiges Gute zu erweisen. In ernsteren Stunden be-
schäftigten ihn die Werke des Ambrosius, die er 1580 heraus-
gab. So vielen Fleiss er auch darauf wandte, so war feine Be-
handlung doch etwas willkürlich. Uebrigens erschien sein Cha-
rakter gar nicht so harmlos, wie man gesagt hat; bereits eine
Relation von 1574 bezeichnet Montalto als gelehrt und klug, aber
auch als arglistig und boshaft. Doch zeigte er eine ungemeine
Selbstbeherrschung. Als fein Neffe, der Gemahl der Vittoria
Accarombuona, ermordet worden, war er der erste, der den Papst
bat, die Untersuchung fallen zu lassen. Diese Eigenschaft, die
jedermann bewunderte, hat vielleicht am meisten dazu beigetragen,
dass, als die Intriguen des Conclave von 1585 dahin gediehen,
ihn nennen zu können, die Wahl wirklich auf ihn fiel. Auch
beachtete man, wie es in der unverfälschten Erzählung des Vor-
gangs ausdrücklich heisst, dass er nach den Umständen noch in
ziemlich frischem Alter, nehmlich 64 Jahre, und von starker und
guter Complexion war.
Jedermann gestand, dass man unter den damaligen Umständen
vor allem eines kräftigen Mannes bedurfte.
Und so sah sich Fra Felice an seinem Ziele. Es musste
auch ein menschenwürdiges Gefühl fein, einen so erhabenen und
legalen Ehrgeiz erfüllt zu sehen. Ihm stellte sich alles vor die
Seele, worin er jemals eine höhere Bestimmung zu erkennen
gemeint hatte. Er wählte zu seinem Sinnspruch: „Von Mutter-
leib an bist du, o Gott, mein Beschützer!“
Auch in allen seinen Unternehmungen glaubte er fortan,
von Gott begünstigt zu werden. Sowie er den Thron bestieg,
erklärte er seinen Beschluss, die Banditen und Missethäter aus-
zurotten. Sollte er dazu an fleh nicht Kräfte genug haben, so
wisse er, dass ihm Gott Legionen von Engeln zu Hülfe schicken
werde.
Er hatte eine Natur, die lieh dem Gedächtnis» des Menschen
einprägte und fabelhaften, grossartig lautenden Erzählungen
Glauben verschaffte.
Ist nun dem auch nicht völlig so, wie man sagte, so bleibt
seine Verwaltung doch immer sehr merkwürdig.
In einem besonderen Verhältnis» stand sie gegen die gregoria-
nische. Gregor war in seinen allgemeinen Massregeln streng,
durchgreifend, einseitig; einzelne Fälle des Ungehorsams sah er
nach. Eben dadurch, dass er auf der einen Seite die Interessen
gegen sich aufregte und auf der andern Seite eine Straflosigkeit
ohne Gleichen einreifsen liess, veranlasste er die unheilvoll« Ent-
wicklung, die er erlebte. Sixtus dagegen war im Einzelnen uner-
139
bittlich; über feine Gesetze hielt er mit einer Strenge, die an
Grausamkeit grenzte; in allgemeinen Massregeln dagegen finden
wir ihn mild, nachgiebig und versöhnend. Unter Gregor hatte
der Gehorsam nichts genützt, und die Widersetzlichkeit nichts ge-
schadet. Unter Sixtus hatte man alles zu furchten, sobald man
ihm Widerstand zeigte; dagegen durfte man Beweise seiner Gnade
erwarten, wenn man in gutem Vernehmen mit ihm stand. Nichts
förderte feine Absichten besser.
Nicht sowohl dadurch unterschied sich Sixtus, dass er einen
ganz neuen Weg einschlug, als vielmehr dadurch, dass er auf
dem schon eingeschlagenen rascher und nachdrücklicher verfuhr.
Eben daher rührt es, dass er den Menschen im Gedächtniss
blieb.
Nicht selten hat man auch diesem Papste die Zerstörung des
Nepotismus zugeschrieben: Näher betrachtet verhält es sich auch
damit anders.
Seine Begünstigungen haben etwas Naives und Vertrauliches;
sie verschaffen ihm eine Grundlage von öffentlichem und privatem
Wohlwollen, aber niemals giebt er das Heft aus den Händen,
immer regiert er selbst. So sehr er die (Kongregationen zu be-
günstigen schien, so sehr er selbst freimüthige Aeusserungen heraus-
forderte, so ward er doch allemal ungeduldig und heftig, sobald
sich jemand dieser Erlaubniss bediente. Seinen Willen setzte er
immer und eigensinnig durch. „Bei ihm,“ sagt Giov. Gritti, „hat
beinahe niemand eine berathende, geschweige eine entscheidende
Stimme.“ Bei allen jenen persönlichen und provinziellen Gunst-
bezeigungen hatte feine Verwaltung doch schlechthin einen durch-
greifenden, strengen eigenmächtigen Charakter.
Mit einer Art von Religion betrachtete man unter Leo X.
die Trümmer des alten Rom; man nahm mit Entzücken den
göttlichen Funken dt* antiken Geistes an ihnen wahr, wie
liess sich jener Papst die Erhaltung derselben empfohlen lein,
„dessen was von der alten Mutter des Ruhmes und der Grösse
von Italien noch allein übrig geblieben. “
Von diesem Geiste war Sixtus himmelweit entfernt. Für
die Schönheit der Ueberreste des Alterthums hatte dieser Franzis-
kaner keinen Sinn. Das Septizonium des Severus, ein höchst
merkwürdiges Werk, das sich durch alle Stürme so vieler Jahr-
hunderte bis auf ihn erhalten, fand keine Gnade vor seinen
Augen. Er zerstörte es von Grund aus und brachte einige Säulen
davon nach St. Peter. Er war eben so heftig im Zerstören als
eifrig im Bauen. Jedermann fürchtete, er werde auch darin kein
Mass finden. Man höre, was der Cardinal von Santa Severina
erzählt: es würde unglaublich scheinen, wenn er es nicht selbst
erlebt hätte. „Da man sah,“ sagt er, „dass sich der Papst ganz
140
und gar zur Zerstörung der römischen Alterthümer hinneigte, so
kamen eines Tages eine Anzald römischer Edelleute zu mir, und
baten mich, das Meine zu thun, um 8. Heiligkeit von einem so
abschweifenden Gedanken abzubringen.“
An den Cardinal wandten sie sich, der damals ohne Zweifel
als der grösste Zelot anzusehen war. Cardinal Colonna schloss
sich an ihn an. Der Papst antwortete ihnen, er wolle die häss-
lichen Antiquitäten wegschaffen, die übrigen aber, die dies be-
dürften, restauriren.
Die Monumente des Heidenthums sollten selber zur Ver-
herrlichung des Kreuzes dienen.
Mit ganzer Seele widmete er sich diesen seinen Bauten.
Ein Hirtenknabe, im Garten und Feld aufgewachsen, liebte er
die Städte; von einer Villeggiatura wollte er nichts wissen; er
sagte, „seine Erholung sei viele Dächer zu sehen“.
Ich verstehe: seine Bauunternehmungon machten ihm das
grösste Vergnügen.
Viele tausend Hände waren unaufhörlich beschäftigt, keine
Schwierigkeit schreckte ihn ab.
Noch immer fehlte die Kuppel von St. Peter, und die Bau-
meister forderten zehn Jahre zu ihrer Vollendung; Sixtus wollte
fein Geld dazu hergeben, doch an dem Werke auch selber noch
seine Augen weiden. Er stellte 600 Arbeiter an, auch die Nacht
liess er nicht feiern; im 22. Monate wurde man fertig. — —
Wir kommen hier noch einmal auf Sixtus V. Nachdem wir
feine innere Verwaltung, seinen Antheil an der kirchlichen
Restauration beobachtet, müssen wir noch ein Wort von seiner
Politik überhaupt sagen.
Da ist es nun besonders auffallend, wie der unerbittlichen Justiz,
die er ausübte, dem harten Finanzsystem, das er einführte, feinem
genauen Haushalt eine ausserordentliche Neigung zu phantastischen
Plänen zur Seite stand.
Was sind ihm nicht ¡alles für Ideen durch den Kopf ge-
gangen! Lange Zeit hat er sich geschmeichelt, dem türkischen
Reiche ein Ende machen zu können. Er knüpfte Verständnisse
im Orient an, mit Persien. einigen arabischen Häuptlingen, den
Drusen; er richtete Galeeren aus; andere sollten ihm Spanien
und Toskana liefern; so dachte er von der See her dem Könige
Stephan Bathory von Polen zu Hülfe zu kommen, der den Haupt-
angriff von der Landseite auszuführen bestimmt war.
Der Papst hoffte alle Kräfte des Nordostens und des Süd-
westens zu dieser Unternehmung zu vereinigen ; er überredete sich,
Russland werde sich dem König von Polen nicht allein anschliessen,
sondern unterwerfen.
Ein andermal erging er sich in dem Gedanken, entweder
141
allein, oder doch nur mit Toskana vereinigt, Aegypten zu erobern.
Die weitaussehendsten Absichten fasste er hierbei in Sinn; dio Ver-
bindung des rothen Meeres mit dem mittelländischen, die Rer
stellung des alten Welthandels, die Eroberung des heiligen Grabes.
Gesetzt aber, das zeige lieb nicht sogleich ausführbar, — könnte
man dann nicht wenigstens einen Streifzug nach Syrien unter-
nehmen, um des Heilandes Grab von geschickten Meistern aus
dem Felsen herauszuheben und wohl umkleidet nach Italien
schaffen zu lassen? Schon gab er der Hoffnung kaum, dies
grösste Heiligthum der Welt einmal in Montalto aufstellen zu
können; dann werde sein Vaterland, die Mark, wo ja auch das
heilige Haus zu Loretto stehe, die Geburtsstätte und die Grabstätte
in sich schliesset
Entwürfe, oder vielmehr — denn dieses lautet tast zu be-
stimmt , Einbildungen, Luftschlösser der. ausserordentlichsten Art.
Wie sehr scheinen sie jener angestrengten realen, auf das Ziel
dringenden Thätigkeit des Papstes zu widersprechen!
Und doch — dürfte man nicht behaupten, dass auch diese
oft auf überschwenglichen, unausführbaren Gedanken beruhte?
Die Erhebung von Rom zu einer regelmässig, nach Verlauf be-
stimmter Jahre, aus allen Ländern, selbst aus Amerika, zu be-
suchenden Metropole der Christenheit, — die Verwandlung antiker
Monumente in Denkmale der Ueberwältigung des Heidenthums
durch die christliche Religion — die Anhäufung geliehener ver-
zinsbarer Gelder zu einem »Schatze, auf dem die weltliche Macht
des Kirchenstaats beruhen soll: alles Pläne, die das Mass des
Erreichbaren überstiegen, deren Ursprung in dem Feuer religiöser
Phantasie liegt — und die doch die Lebensthätigkeit des Papstes
grösstentheils bestimmten.
Mn unserm Franziskaner war dieser Reiz und Antrieb per-
sönlicher Hoffnungen immer um so stärker gewesen, da er sich
auf einer Laufbahn befand, die ihm die erhabenste Aussicht er-
öffnete; von »Stufe zu Stufe hatten sie ihn begleitet, und feine
»Seele in Tagen der Pc,drängn iss genährt; jedes vorbedeutende Wort
hatte er lebhaft aufgefasst, in feinem Herzen festgehalten und
für den Fall des Gelingens hohe Pläne einer mönchischen Be-
geisterung daran geknüpft; endlich hatte sich ihm alles erfüllt:
von geringem hoffnungslosem Anfang war er zur obersten Würde der
Christenheit gestiegen, einer Würde, von deren Bedeutung er
einen überschwänglichen Begriff hegte; er glaubte, durch eine
unmittelbare Vorsehung erwählt zu sein, um die Ideen zu ver-
wirklichen, die ihm vorgeschwebt.
Auch in dem Besitz der höchsten Gewalt verliess ihn dann
die Gewohnheit nicht, in den Verwickelungen der Welthändel
die Möglichkeit glänzender Unternehmungen wahrzunehmen, sich
142
mit Entwürfen dazu zu tragen. Es ist in ihnen immer ein per-
sönliches Element; Gewalt, Nachruhm sind ihm reizend, über
das, was ihm nahe steht, feine Familie, seinen Geburtsort, feine
Provinz, will er seinen Glanz ausbreiten; aber diese Antriebe
werden doch allezeit von einem allgemeinen Interesse der katho-
lischen Christenheit getragen; für grossartige Ideen zeigte er sich
immer offen.
Nur ist der Unterschied, dass er Einiges selbst auszuführen
vermag, Anderes zum grössten Theile Anderen zu überlassen hat.
Jenes greift er mit der unermüdlichen Thätigkeit an, welche
Ueberzeugung, Begeisterung und Ehrgeiz hervorbringen; in diesem
dagegen, sei es, weil er von Natur misstrauisch ist, oder weil
der vornehmste Theil der Ausführung und damit auch des
Ruhmes, des Vortheils Andern zu überlassen wäre, finden wir
ihn lange nicht so eifrig.
Fragen wir, was er zur Ausführung z. B. jener orientalischen
Ideen wirklich gethan, so ist es doch nur, dass er Verbindungen
angeknüpft, Briefe gewechselt, Ermahnungen erlassen, Anstalten
vorbereitet hat; dass er ernstliche Massregeln ergriffen hätte, die
zum Ziele führen konnten, bemerken wir nicht. Er fasste den
Plan mit lebendiger, schwärmerischer Phantasie: aber da er nicht
gleich selbst Hand anlegen kann, da die Vollführung in der
Feme liegt, ist fein Wille nicht recht wirksam; den Entwurf,
der ihn eben sehr beschäftigt, lässt er doch wieder fallen, ein
anderer tritt an die Stelle desselben.
Aber nicht so ganz befangen war doch Sixtus V., dass nicht
Gegengründe von wesentlichem Inhalt Eindruck auf ihn gemacht
hätten. Er war eigensinnig, hochfahrend, rechthaberisch, hart-
näckig; aber dabei auch innerlich umzustimmen, für eine fremde
Ansicht zu gewinnen, im Grunde gutmüthig. Indem er Moch
stritt, seinen Satz hartnäckig verfocht, fühlte er sich im Herzen
erschüttert, überzeugt.
Es entlud sich gerade ein Gewitter über den Quirinal, als
er verschied. Die alberne Menge überredete sich, Fra Felie habe
einen Pact mit dem Bösen gehabt, durch dessen Hülfe er von
Stufe zu Stufe gestiegen; nach abgelaufener Zeit sei nun seine
Seele in dem Unwetter hinweggeführt worden. So verfinnbildeten
sie ihr Missvergnügen über so viele neu eingeführte Auslagen und
den Zweifel an seiner vollkommenen Rechtgläubigkeit, der in
den letzten Zeiten so oft rege geworden. In wildem Ungestüm
rissen sie die Bildsäule nieder, die sie ihm einst errichtet hatten;
ja auf dem Capitol ward ein Beschluss gefasst, dass man niemals
wieder einem Papst bei seinem Leben eine Bildsäule setzen wolle.
143
20. Julius Cäsars Charakter.
(Mommfen, Römische beschichte.)
Der neue Monarch von Rom, der erste Herrscher über das
ganze Gebiet römisch - hellenischer Civilisation, Cajus Julius
Cäsar, stand im 56. Lebensjahr (geboren 12. Juli 652), als die
Schlacht bei Thapfus, das letzte Glied einer langen Kette folgen-
schwerer Siege, die Entscheidung über die Zukunft der Welt in
seine Hände legte. Weniger Menschen Spannkraft ist also auf
die Probe gestellt worden, wie die dieses einzigen schöpferischen
Genies, das Rom, und des letzten, das die alte Welt hervorge-
bracht, und in dessen Bahnen sie denn auch bis zu ihrem eigenen
Untergange sich bewegt hat. Dem Sprössling einer der ältesten
Adelsfamilien Latiums, welche ihren Stammbaum auf die Helden
der Ilias und die Könige Roms, ja auf die beiden Nationen ge-
meinsame Venus-Aphrodite zurückführte, waren feine Knaben-
und ersten Jünglingsjahre vergangen, wie sie der vornehmen
Jugend jener Epoche zu vergehen pflegten. Auch er hatte von
dem Becher des Modelebens den Schaum wie die Hefen gekostet,
hatte recitirt und declamirt, auf dem Faulbett Literatur getrieben
und Verse gemacht, Liebeshändel jeder Gattung abgespielt, und
sich einweihen lassen in alle Rasir-, Frisir- und Manschetten-
mysterien der damaligen Manschettenweisheit, sowie in die noch
weit geheimnissvollere Kunst, immer zu borgen und nie zu be-
zahlen. Aber der biegsame Stahl dieser Natur widerstand selbst
diesem »erfahrenen und windigen Treiben; Cäsar blieb sowohl
die körperliche Frische ungeschwächt, wie die Spannkraft des
Geistes und des Herzens. Im Fechten und Reiten nahm er es
mit jedem seiner Soldaten auf und sein Schwimmen rettete ihm
bei Alexandria das Leben; die unglaubliche Schnelligkeit seiner
gewöhnlich des Zeitgewinns halber nächtlichen Reisen — das
rechte Gegenstück zu der processionsartigen Langsamkeit,* mit der
Pompejus sich von einem Ort zum andern bewegte — war das
Erstaunen seiner Zeitgenossen und nicht die letzte Ursache seiner
Erfolge. Wie der Körper war der Geist. Sein bewundrungs-
würdiges Anscliauungsvennögen offenbarte sich in der Sicherheit
und der Ausführbarkeit all seiner Anordnungen, selbst wo er
befahl, ohne mit eigenen Augen zu sehen. Sein Gedächtnis«
War unvergleichlich, und es war ihm geläufig, mehrere Geschäfte
mit gleicher Sicherheit neben einander zu betreiben. Obgleich
Gentleman, Genie und Monarch, hatte er dennoch ein Herz. So
lange er lebte, bewahrte er für seine würdige Mutter Aurelia —
der Vater rarb ihm früh — die reinste Verehrung, seinen Frauen
und vor Allem seiner Tochter Julia widmete er eine ehrliche
Xuneigung, die selbst auf die politischen Verhältnisse nicht ohne
B
144 —
Wirkung blieb. Mit den tüchtigsten und kernigsten Männern
feiner Zeit, hohen und niederen Ranges, stand er in einem schönen
Verhältnis gegenseitiger Treue, mit jedem nach seiner Art. Wie
er selbst niemals einen der »Seinen in Pompejus' kleinmüthiger und
gefühlloser Art fallen liess und, nicht blos aus Berechnung, in
guter und böser Zeit lüigeirrt an den Freunden festhielt, so haben
auch von diesen manche, wie Aulus Hirtius und Gajus Martins,
noch nach seinem Tode ihm in schönen Zeugnissen ihre Anhäng-
lichkeit bewährt. Wenn in einer lo harmonisch organisirten
Natur überhaupt eine einzelne Seite als charakteristisch hervor-
gehoben werden kann, so ist es die, dass alle Ideologie und alles
Phantastische ihm fern lag. Es versteht sich von selbst, dass
Cäsar ein leidenschaftlicher Mann war, denn ohne Leidenschaft
giebt es keine Genialität; aber feine Leidenschaft war niemals
mächtiger als er. Er hatte eine Jugend gehabt, und auch in
fein Gemüth waren Lieder, Liebe und Wein in lebendigem
Leben eingezogen; aber sie drangen ihm doch nicht bis in den
innerlichsten Kern seines Wesens. Die Literatur beschäftigte ihn
lange und ernstlich; aber wenn Alexandere der homerische Achill
nicht schlafen liess, so stellte Cäsar in seinen schlaflosen Stunden
Betrachtungen über die Beugungen der lateinischen Haupt- und
Zeitwörter an. Er machte Verse wie damals jeder, aber sie
waren schwach; dagegen interessirten ihn astronomische und natur-
wissenschaftliche Gegenstände. Wenn der Wein für Alexander
der Sorgenbrecher war und blieb, so mied nach durch sch wärmter
Jugendzeit der nüchterne Römer denselben durchaus. Wie allen
denen, die in der Jugend der volle Glanz der Frauenliebe um-
strahlt hat, blieb ein »Schimmer davon unvergänglich auf ihm
ruhen: noch in späteren Jahren begegneten ihm Liebesabenteuer
und Erfolge bei Frauen und blieb ihm eine gewisse Stutzerhaftig-
keit im äusseren Auftreten, oder richtiger ein erfreuliches Be-
wusstsein der eignen männlich schönen Erscheinung. »Sorgfältig
deckte er mit dem Lorbeerkranz, mit dem er in späteren .Jahren
öffentlich erschien, die schmerzlich empfundene Glatze, und hätte
ohne Zweifel manchen seiner »Siege darum gegeben, wenn er
damit die jugendlichen Locken hätte zurückkaufen können. Aber
wie gern er auch noch als Monarch mit den Frauen verkehrte,
so hat er doch nur mit ihnen gespielt und ihnen keinerlei Ein-
fluss über sich eingeräumt; selbst fein vielbesprochenes Verhältnis»
zu der Königin Kleopatra war nur angesponnen, um einen schwachen
Punkt in seiner politischen Stellung zu maskiren. Cäsar war
durchaus Realist und Verstandesmensch; und was er angriff und
tliat, war von der genialen Nüchternheit durchdrungen und ge-
tragen, die feine innerste Eigenthümlichkeit bezeichnet. Ihr ver-
dankte er das Vermögen, unbeirrt durch Erinnern oder Er-,
145
warten energisch im Augenblick zu leben*, ihr die Fähigkeit, in
jedem Augenblick mit gesammelter Kraft zu handeln, und auch
dem kleinsten und beiläufigsten Beginnen feine volle Genialität
zuzuwenden; ihr die Vielseitigkeit, mit der er erfasste und be-
ben* sehte , was der Verstand begreifen und der Wille zwingen
kann; ihr die sichere Leichtigkeit, mit der er seine Perioden fügte
wie seine Feldzugspläne entwarf; ihr die wunderbare Heiterkeit,
die in guten und bösen Tagen ihm treu blieb; ihr die vollendete
Selbständigkeit, die keinem Liebling und keiner Maitresse, ja
nicht einmal dem Freunde Gewalt über sich gestattete.
Aus dieser Verstandsklarheit rührt es aber auch her, dass
Cäsar sich über die Macht des Schicksals und das Können des
Menschen niemals Illusionen machte; für ihn war der holde
Schleier gehoben, der dem Menschen die Unzulänglichkeit seines
Wirkens verdeckt. Wie klug er auch plante und alle Möglich-
keiten bedachte, das Gefühl wich doch nie aus seiner Brust,
dass in allen Dingen das Glück, das heisst der Zufall, das gute
Besse thun müsse; und damit mag es denn auch zusammen-
hängen, dass er so oft dem Schicksal Paroli geboten und
namentlich mit verwegener Gleichgültigkeit seine Person wieder
und wieder auf das Spiel gesetzt hat. Wie ja wohl überwiegend
verständige Menschen in das reine Hasardspiel sich flüchten, so
war auch in Cäsars Rationalismus ein Punkt, wo er mit dem
Mysticismus gewissermaßen sich berührte. — Aus einer solchen
Anlage konnte nur ein Staatsmann hervorgehen. Von früher
Jugend an war denn auch Cäsar ein Staatsmann im tiefsten Sinne
des Wortes und (ein Ziel das höchste, das dem Menschen ge-
stattet ist, sich zu stecken: die politische, militärische, geistige
und sittliche Wiedergeburt der tief gesunkenen, eigenen und der
noch tiefer gesunkenen, mit der (einigen verschwisterten hellenischen
Nation. Die bittere Schule dreissigjähriger Erfahrungen änderte
feine Ansichten über die Mittel, wie dies Ziel zu erreichen fei;
das Ziel blieb ihm dasselbe in den Zeiten hoffnungsloser Er-
niedrigung* wie unbegrenzter Machtvollkommenheit, in den Zeiten,
wo er als Demagog und Verfchworner auf dunklen Wegen zu
ihm hinschlich, wie da er als Mithaber der höchsten Gewalt und
sodann als Monarch vor den Augen einer Welt im vollen Sonnen-
schein an seinem Werke schuf. Alle zu den verschiedensten
Zeiten von ihm ausgegangenen Massregeln bleibender Art ordnen
in den grossen Bauplan zweckmässig (ich ein. Von einzelnen
Leistungen sollte darum eigentlich nicht geredet werden; er hat
nichts Einzelnes geschaffen. Mit Recht rühmt man den lledner
Cäsar wegen seiner aller Advokatenkunst spottenden männlichen
Beredsamkeit, die wie die klare Flamme zugleich erleuchtete und
erwärmte. Mit Recht bewundert mau an dem Schriftsteller Cäsar
Roquette, Deutsches Lesebuch. II. 10
146
die unnachahmliche Einfachheit der Composition, die einzige
Reinheit und »Schönheit der Sprache. Mit Recht haben die
grössten Kriegsmeister aller Zeiten den Feldherrn Cäsar gepriesen,
der wie kein anderer, ungeirrt von Routine und Tradition, nur
daran festhielt, dass immer diejenige Kriegführung die rechte ist,
durch welche in dem gegebenen Falle der Feind besiegt wird;
der mit divinatorischer »Sicherheit für jeden Zweck das rechte
Mittel fand; der nach der Niederlage schlagfertig dastand wie
Wilhelm von Oranien, und mit dem Siege ohne Ausnahme den
Feldzug beendigte; der das Element der Kriegsfuhrung, dessen
Behandlung das militärische Genie vor der gewöhnlichen Officiers-
tüchtigkeit unterscheidet, die rasche Bewegung der Massen, mit
unübertroffener Vollkommenheit handhabte und der massenhaften
Streitmacht die mobile, dem langen Vorbereiten das rasche
Handeln, selbst mit unzulänglichen Mitteln bis zur Verwegenheit,
vorzog. ' Allein alles dieses ist bei Cäsar nur Nebensache; er war
zwar ein grosser Redner, Schriftsteller und Feldherr, aber jedes
davon ist er nur geworden, weil er ein vollendeter Staatsmann
war. Namentlich spielt der Soldat in ihm eine durchaus bei-
läufige Rolle, und es ist eine der hauptsächlichsten Eigenthüm-
lichkeiten, die ihn von Alexander, Hannibal und Napoleon unter-
scheidet, dass in ihm nicht der Officier, sondern der Demagog
der Ausgangspunkt der politischen Thätigkeit war. Seinem ur-
sprünglichen Plan zufolge hatte er sein Ziel wie Perikies und
Gaius Gracchus ohne Waffengewalt zu erreichen gedacht, und
achtzehn Jahre hindurch hatte er als Führer der Populärpartei
ausschliesslich in politischen Plänen und Intriguen sich bewegt,
bevor er, ungern sich überzeugend von der Nothwendigkeit eines
militärischen Rückhaltes, schon ein Vierziger, an die »Spitze einer
Armee trat. Es war erklärlich, dass er auch späterhin immer
noch mehr »Staatsmann blieb als General — ähnlich wie Orom-
well, der auch aus dem Oppositionsführer zum Militärchef und
Demokratenkönig sich umschuf und der überhaupt, wie wenig
auch der Puritanerheld dem lockeren Römer zu gleichen scheint,
doch in seiner Entwickelung wie in seinen Zielen und Erfolgen
vielleicht unter allen Staatsmännern Cäsar am nächsten verwandt
ist. Selbst in seiner Kriegführung ist diese improvilirte Feld-
herrn schaff noch wohl zu erkennen; in Napoleons Unternehmungen
gegen Aegypten und England ist der zum Feldherrn ausgediente
Artillerielieutenant nicht deutlicher sichtbar, wie in den gleich-
artigen Cäsars der zum Feldherrn metamorphosirte Demagog.
Ein geschulter Officier würde es schwerlich fertig gebracht haben,
aus politischen Rücksichten nicht durchaus zwingender Natur die
gegründetsten militärischen Bedenken in der Art bei »Seite zu
schieben, wie dies Cäsar mehrmals am auffallendsten bei seiner
147
Landung in Epirus that. Einzelne seiner Handlungen sind darum
militärisch tadelhaft*, aber der Feldherr verliert nur, was der
Staatsmann gewinnt. Die Aufgabe des Staatsmannes ist uni-
verseller Natur wie Cäsars Genie; wenn er die vielfältigsten und
von einander entlegensten Dinge ergriff, so gingen he doch alle
ohne Ausnahme zurück auf das eine grosse Ziel, dem er mit
grenzenloser Treue und Folgerichtigkeit diente; und nie hat er von
den vielfältigen Seiten und Richtungen seiner grossen Thätigkeit
eine vor der anderen bevorzugt. Obwold ein Meister der Kriegs-
kunst, hat er doch aus ftaatsmännischen Rücksichten das Aeusserste
gethan, um den Bürgerkrieg abzuwenden und um, da er dennoch
begann, wenigstens keine blutigen Lorbeeren zu ernten. Ob-
wohl der Begründer der Militärmonarchie, hat er doch mit einer
in der Geschichte beispiellosen Energie weder Marschallshierarchie
noch Prätorianerregiment aufkommen lassen.
Wenn überhaupt eine Seite der bürgerlichen Verdienste, so
wurden von ihm vielmehr die Wissenschaften und die Künste des
Friedens vor den militärischen bevorzugt. Die bemerkenswerthe
Eigenthümlichkeit seines ftaatsmännischen Schaffens ist dessen
vollkommene Harmonie. In der That waren alle Bedingungen
zu dieser schwersten aller menschlichen Leistungen vereinigt.
Durch und durch Realist liess er die Bilder der Vergangenheit
und die ehrwürdige Tradition nirgends sich anfechten; ihm galt
nichts in der Politik als die lebendige Gegenwart und das ver-
ständige Gesetz, eben wie er auch als Grammatiker die historisch-
antiquarische Forschung bei Seite schob und nichts anerkannte
als einerseits den lebendigen Sprachgebrauch, andererseits die
Regel der Gleichmässigkeit. Ein geborener Herrscher regierte er
die Gemüther der Menschen wie der Wind die Wolken zwingt
und nöthigte die verschiedenartigsten Naturen ihm sich zu eigen
zu geben, den schlichten Bürger und den derben Unterofficier,
die vornehmen Damen Roms und die schönen Fürstinnen Aegyptens
und Mauretaniens, den glänzenden Cavalieriegeneral und den
kalkulirenden Banquier. Sein Organisationstalent ist wunder-
bar, nie hat ein Staatsmann feine Bündnisse, nie ein Feldherr
feine Armee aus ungefügen und widerstrebenden Elementen so ent-
schieden zusammengezwungen und so fest zusammengehalten wie
Cäsar seine Coalitionen und seine Legionen; nie ein Regent mit
so scharfem Blick seine Werkzeuge beurtheilt und ein jedes an
den ihm angemessenen Platz gestellt.
Er war Monarch, aber nie hat er den König gespielt. Auch
als unumschränkter Herr von Rom blieb er in seinem Auftreten
der Parteiführer; vollkommen biegsam und geschmeidig, bequem
und anmuthig in der Unterhaltung, zuvorkommend gegen Jeden,
schien er nichts fein zu wollen als der erste unter seines Gleichen.
1V*
148
Den Fehler so vieler ihm sonst ebenbürtiger Männer, den
militärischen Commandanten auf die Politik zu übertragen, hat
Cäsar ganz vermieden-, v^ie vielen Anlass das verdriessliche Ver-
hältnis zum Senat ihm auch dazu gab, er hat nie zu Brutali-
täten gegriffen, wie die des achtzehnten Brumaire eine war.
Cäsar war Monarch, aber nie hat ihn der Tyrannenschwindel er-
fasst. Er ist vielleicht der Einzige unter den Gewaltigen des
Herrn, welcher im Grossen wie im Kleinen nie nach Neigung
oder Laune, sondern ohne Ausnahme nach seiner Regentenpflicht
gehandelt hat, und der, wenn er auf sein Leben zurücksah,
wohl falsche Berechnungen zu bedauern, aber keinen Fehltritt
der Leidenschaft zu bereuen fand. Es ist nichts in Cäsars
Lebensgeschichte, das auch nur im Kleinen lieh vergleichen liesse
mit jenen poetisch-sinnlichen Aufwallungen, mit der Ermordung
.Kleitos oder dem Brande von Persepolis, welche die Geschichte
von seinem grossen Vorgänger berichtet. Er ist endlich vielleicht
der Einzige unter jenen Gewaltigen, der den ftaatsmännischeu
Takt für das Mögliche und Unmögliche bis an das Ende seiner
Laufbahn sich bewahrt hat und nicht gescheitert ist an derjenigen
Aufgabe, die für grossartig angelegte Naturen von allen die
schwerste ist, an der Aufgabe auf der Zinne des Erfolges dessen
natürliche Schranken zu erkennen. Was möglich war, hat er
geleistet und nie um des unmöglich Bessern willen das mögliche
Gute unterlassen, nie es verschmäht, unheilbare Uebel durch
Palliative zu lindern. Aber wo er erkannte, dass das Schicksal
gesprochen, hat er immer gehorcht. Alexander am Hyphasis,
Napoleon in Moskau kehrten um, weil sie mussten, und zürnten
dem Geschick, dass es auch seinen Lieblingen nur begrenzte Er-
folge gönnt, Cäsar ist an der Themse und am Rhein freiwillig
zurückgegangen und gedachte auch an der Donau und am
Euphrat nicht ungemessene Pläne der Selbstüberwindung, sondern
blos wohlerwogene Grenzregulirungen ins Werk zu setzen. —-
So war dieser einzige Mann, den zu schildern so leicht scheint
und doch so unendlich schwer ist. Seine ganze Natur ist durch-
sichtige Klarheit-, und die Ueberlieferung bewahrt über ihn aus-
giebigere, lebendigere Kunde als über irgend einen seiner Pairs
in der antiken Welt. Eine solche Persönlichkeit konnte wohl
flacher oder tiefer, aber nicht eigentlich verschieden aufgefasst
werden-, jedem nicht ganz verkehrten Forscher ist das hohe Bild
mit denselben wesentlichen Zügen erschienen, und doch ist das-
selbe anschaulich wiederzugeben noch keinem gelungen.
Das Geheimniss liegt in dessen Vollendung. Menschlich wie
geschichtlich steht Cäsar in dem Gleichungspunkt, in welchem
die grossen Gegensätze des Daseins sich ineinander aufheben. Von
gewaltigster Schöpferkraft und doch zugleich vom durchdringendsten
149
Verstände; nicht mehr Jüngling und noch nicht Greis; vom
höchsten Wollen und vom höchsten Vollbringen; erfüllt von
republikanischen Idealen und zugleich geboren zum König; ein
Körner im tiefsten Kern seines Wesens, und wieder berufen die
römische und hellenische Entwickelung in sich wie nach aussen
hin zu versöhnen und zu vermählen, ist Cäsar der ganze und
vollständige Mann. Drum fehlt es auch bei ihm mehr als bei
irgend einer anderen geschichtlichen Persönliclikeit an den s. g.
charakteristischen Zügen, welche ja doch nichts anderes sind
als Abweichungen von der naturgemäßen menschlichen Ent-
wickelung. Was dem ersten oberflächlichen Blick dafür gilt,
zeigt sich bei näherer Betrachtung nicht als Individualität, sondern
als Eigenthümlichkeit der Culturepoche oder der Nation; wie
denn feine Jugendabenteuer ihm mit allen gleich gestellten be-
gabteren Zeitgenossen gemein sind, fein unpraktisches aber energisch-
logisches Naturell das Naturell der Körner überhaupt ist. Es
gehört dies mit zu Cäsars voller Menschlichkeit, dass er im
höchsten Grade durch Zeit und Ort bedingt ward; denn eine
Menschlichkeit an sich giebt es nicht, sondern der lebendige
Mensch kann eben nicht anders, als in einer gegebenen Volkseigen-
thümlichkeit und einem bestimmten Culturzug stehen. Nur da-
durch war Cäsar ein voller Mann, weil er wie kein Anderer
mitten in die Strömungen seiner Zeit sich gestellt hatte, und weil
er die kernige Eigenthümlichkeit der römischen Nation, die reale
bürgerliche Tüchtigkeit vollendet in sich trug; wie denn auch
lein Hellenismus nur der mit der italienischen Nationalität längst
innig verwachsene war. Aber eben hierin liegt auch die Schwierig-
keit, man darf vielleicht sagen die Unmöglichkeit, Cäsar anschau-
lich zu schildern. Wie der Künstler alles malen kann, nur
nicht die vollendete Schönheit, so kann auch der Geschichts-
schreiber, wo ihm idle tausend Jahre einmal das Vollkommene
begegnet, nur darüber schweigen. Denn es lässt die Kegel wohl sich
aussprechen, aber sie giebt uns nur die negative Vorstellung von
der Abwesenheit des Mangels; das Geheimniss der Natur in
ihren vollendetsten Offenbarungen, Normalität und Individualität
mit einander zu verbinden, ist unaussprechlich. Uns bleibt nichts
als diejenigen glücklich zu preisen, die dieses Vollkommene
schauten, und eine Ahnung desselben aus dem Abglanz zu ge-
winnen , der auf den von dieser grossen Natur geschaffenen
Werken unvergänglich ruht. Zwar tragen auch diese den Stempel
der Zeit. Der römische Mann selbst stellte seinem jugendlichen
griechischen Vorgänger nicht blos ebenbürtig, sondern überlegen
sich an die Seite; aber die Welt inzwischen war alt geworden
und ihr jugendlicher Schimmer verblasst. Cäsars Thätigkeit ist
nicht mehr wie die Alexanders ein freudiges Vorwärts streben
150
in die ungemessene Weite; er baute auf und aus Ruinen, und
war zufrieden in den einmal angewiesenen weiten, aber be-
grenzten Räumen möglichst erträglich und möglichst sicher sich
einzurichten. Mit Recht hat denn auch der feine Dichtertakt der
Völker um den unpoetischen Römer sich nicht bekümmert, und
nur den Sohn des Philippos mit allem Goldglanz der Poesie, mit
allen Regenbogenfarben der Sage bekleidet. Aber mit gleichem
Recht hat das staatliche Leben der Natur seit Jahrhunderten
wieder und wieder auf die Linien zurückgelenkt, die Cäsar ge-
zogen hat, und wenn die Völker, denen die Welt gehört, noch
heute mit seinem Namen die höchsten ihrer Monarchie nennen,
so liegt darin eine tiefsinnige, leider auch beschämende Mahnung.
21. Weltleben im vierzehnten Jahrhundert.
(Schnaase, Geschichte der bildenden Künste, Band VI.)
Die Blüthezeit der Dichtkunst war jetzt vorüber, sie löste sich
in ihre Elemente auf. Der Geist wahrer Poesie ging auf die
namenlosen Verfasser der Volkslieder über, den Söhnen der ritter-
lichen Sänger der vorigen Epoche blieb nur das Aeufserliche, der
Vers, der stoffliche Apparat. Die Dichtung gedeiht nur in jugend-
lichen Zuständen, sie setzt ein Geheimniss voraus, das jeder ahnet
und keiner auszusprechen weiss, das nur der Dichter anzudeuten
wagt. Die jetzige ritterliche Welt suchte nicht mehr, sie glaubte
zu besitzen und wollte in ererbtem Schmucke prunken. Herren
und Damen spielten im Leben Poesie und wollten in der Dichtung
nur sich selbst wiederfinden. Die älteren Dichterwerke, die Vor-
bilder dieser ritterlichen Sitte, standen zwar noch in hergebrachtem
Ansehen, aber für das eigentlich Poetische, für den Hauch der
Begeisterung hatte man keinen Sinn mehr, sondern suchte in ihnen
nur anwendbaren Stoff oder stärker reizende M otive. In diesem
Sinne wurden sie dann vorgetragen und verbessert, die Episoden
der verschiedenern Bearbeitungen wurden gesammelt und zusammen-
gedrängt, das Wunderbare noch wunderbarer, das Bedeutungsvolle
noch verheissender, das Zarte noch feiner, mehr im Style neuester
Courtoisie gefärbt, bis man den Reiz des alten Epos völlig ertödtet
und die Weitschweifigkeit und Geschmacklosigkeit scholastischer
Prosa überboten hatte.
Auch die ersten selbständigen Schritte der dramatischen
Kunst fallen in diese Epoche. Die rohen oder unbedeutenden
Dialoge, welche herumziehende Gaukler und Histrionen oder auch
Troubadours mit ihren Jongleurs vortrugen, hatten mit ihr nichts
gemein, wohl aber hatte man in den Klöstern niemals aufgehört,
151
Stücke nach dem Vorbilde der Terenzi scheu, nur mit erbaulichen
Gegenständen, von Schülern und jungen Geistlichen auffuhren zu
lassen, auch die Vorlesung der Evangelien in den Kirchen dadurch
zu beleben, dass man die darin eingelegten Reden von verschiede-
nen Personen, zuweilen im Costüm und mit Handlung, auch wohl
in weiterer poetischer Ausführung sprechen oder singen liess. In
manchen Gegenden, namentlich im südlichen Frankreich, hatte
man sich bei solchen Zwischenreden schon frühe der Landessprache
bedient, indessen blieb doch die kirchliche und lateinische Vor-
lesung die Hauptsache, bis allmälig bei weiterer Ausbildung der
Nationalsprachen diese Darstellungen belebter wurden. Man liess
nun die untergeordneten oder hassenswerthen Charaktere von
Laien spielen, welche durch karikirten Ausdruck und barocke
Verkleidung die Wirkung zu erhöhen suchten, und verlegte end-
lich im dreizehnten Jahrhundert, da dies Anstoss erregte und
kirchliche Verbote zur Folge hatte, diese nun schon volksbelieb-
ten Aufführungen ins Freie, wo sie dann an den Vorabenden der
hohen Feste oder bei anderen Gelegenheiten mit grosser Theil-
nahme und nun mit wachsender Licenz vor sich gingen. Neben
den Haupthergängen der heiligen Geschichte, welche durch Oster-
und Weihnachtsspiele zur Anschaulichkeit gebracht wurden, wagte
man nun auch Parabeln und Legenden zu dramatisiren, und selbst
bei jenen heiligsten Gegenständen fand man Gelegenheit, leichtere
und sogar burleske Scenen einzumischen, etwa so, dass mau im
Osterspiele die Frauen zum Einkäufe der Salben auf den Markt
gehen und nun den Quacksalber mit seinem Narren allerlei derbe
Schwänke sprechen liess. Indessen behielten diese Spiele dennoch
immer den kirchlichen Charakter, indem bei den geeigneten Mo-
menten die lateinischen Hymnen gesungen wurden, und dass durch
diese Behandlung die religiöse Wirkung nicht litt, beweist schon
die Nachricht, dass bei einer Darstellung der Parabel von den
klugen und thörichten Jungfrauen, welche im Jahre 1322 im Wild-
park bei Eisenach von Schülern und jungen Klerikern gegeben
wurde, ein Markgraf von Meissen durch die Klagen der thörichten
Jungfrauen und durch die Fruchtlosigkeit der Fürbitte der Maria
so erschüttert wurde, dass er in Wahnsinn fiel. In Deutschland
blieb es in dieser Epoche bei solchen kirchlichen Spielen, obgleich
sie, wie dieses Beispiel und die erhaltenen Handschriften bewei-
sen, an Lebendigkeit der Darstellung zugenommen hatten; in Frank-
reich ging die angeborene dramatische Neigung schon einen Schritt
weiter und löste sich völlig von der Kirche ab. Es fanden sich
Volksdichter, welche komische Hergänge ohne Anknüpfung an
die kirchliche Feier dramatisch behandelten, und nachdem einmal
Bahn gebrochen war, wurden im Lause des vierzehnten Jahrhun-
derts diese Darstellungen immer häufiger; namentlich gaben die
152
Legenden einen reichen, ihr romantische Ausbildung und Ein-
mischung komischer Nebenpersonen sehr geeigneten Stoff, bei wel-
chem gerade die fromme Tendenz eine grössere Ablösung von
kirchlichen Beschränkungen begünstigte. Bisher war jedes Schau-
spiel ein neues Ereigniss, zu welchem man die Mitagirenden erst
einüben musste; bei dieser wachsenden Vorliebe fanden sich dann
aber auch bald Personen, welche aus der Schauspielkunst mehr
oder weniger ein Gewerbe machten. Im vierzehnten .Jahrhundert
zog schon durch die französischen Städte eine Gesellschaft angeb-
lich aus dem gelobten Lande kommender Pilger, welche die Passion
darstellten, und im Anfänge des fünfzehnten wurden in Paris so-
gar mehrere Gesellschaften privilegirt, und zwar mit einer bemer-
kenswerthen Theilung der Gegenstände, die confrérie de la pas-
' sion für „Mysterien“, heilige Gegenstände, die clercs de la Bazoche
für sogenannte Moralitäten, Stücke allegorischen Inhalts, endlich
sogar die enfans sans souci für Farcen und Sottisen. Indessen
war das eigentlich künstlerische Element bei diesen Spielen ein
sehr geringes. Die Mitglieder jener Gesellschaften machten daraus
nicht einen Lebensberuf, sondern waren Handwerker und Schreiber,
welche ihre Künste nur bei festlichen Veranlassungen producirten,
und vor Allem war, wie der ziemlich grosse Vorrath solcher
dramatischen Werke uns erkennen lässt, ihr poetischer Werth
nicht gross; dazu reichte überall die Entwickelung des psycho-
logischen Elementes nicht aus. Sie enthalten wohl komische
oder auch zarte und liebenswürdige Züge, aber von Charakteren
ist noch keine Spur und die Ereignisse sind so grob motivirt,
dass man unwillkürlich an Marionetten und an die sichtbaren Fäden
denkt, von denen sie bewegt werden. Diese dramatische Literatur
bestätiget also die Wahrnehmungen, die wir schon bei Betrach-
tung der Allegorie gemacht haben, und dient zur Erklärung der
Vorliebe für diese. Man vermochte noch nicht Charaktere zu
zeichnen, sondern nur wie auf beigehefteten Spruchzetteln zu
benennen. Dann aber hängt diese Erscheinung ferner zusammen
mit der unermüdlichen Schau und Vergnügungslust und mit der
ganzen Aeusserlichkeit dieses Zeitalters, die wir jetzt näher be-
trachten wollen.
Fangen wir dabei mit den Elementen an, nämlich mit der
Tracht. Schon an ihr erkennen wir die grosse Verschiedenheit
dieser Epoche von den vorhergegangenen. Seit dem Anfang des
Mittelalters bis um diese Zeit war die Kleidung, trotz aller Klagen
eifriger Sittenrichter, fast unverändert geblieben; jetzt dagegen
finden wir sie in beständigem Wechsel. Der Verfasser der Lim-
burger Chronik zählt im Laufe von vierzig Jahren sieben solche
Aenderungen auf. Er ist sich bewusst, dass sie plötzlich und
153
launenhaft erfolgen. Wer lieuer, bemerkt er einmal, ein Meister
unter den Schneidern fei, werde übers Jahr nur ein Knecht fein.
Die Mode im neueren Sinne des Wortes hat also begonnen, und
der Chronist selbst, obgleich er über die ,,grosse Hoffahrt“ klagt,
legt doch augenscheinlich Werth darauf, und kann sich nicht ent-
halten, Einzelnes „gar zierlich“ oder „gar fröhlich“ zu finden.
Es ist nicht nöthig, diesen Veränderungen im Einzelnen nach-
zugehen, da sie alle, obgleich unter einander abweichend, doch
im Gegensatze gegen die bisherige Tracht das mit einander ge-
mein haben, dass an die Stelle der weiten und meistens langen,
oberhalb der Hüften durch einen Gürtel zusammengehaltenen
Tunika jetzt nach dem Körper zugeschnittene Kleider treten. Das
Wams bezeichnet durch seinen Schnitt, die Taille; Aermel und
Beinkleider sind enganliegend. Auch die Mäntel, die bisher nur
aus einem geradwinkeligen Stücke bestanden, das über der Brust
zusammengehalten wurde, erhielten einen künstlicheren Schnitt; sie
wurden am Halse eng, unten weit gemacht, so dass sie den
Körper vollständig verhüllten und ringsumher weit abstanden,
weshalb man sie statt ihres gewöhnlichen Namens Hoike auch
Glocken nannte. Es kam dadurch ein pikanter und charakte-
ristischer Gegensatz in die Bekleidung; denn während bisher wie
in der antiken Tracht Mantel und Tunica beide die Körper-
bildung unbestimmt andeuteten, hatte man jetzt theils ganz weite
Kleider, welche sie gar nicht erkennen liessen, theils ganz enge,
welche sie möglichst deutlich zeigten. Neben dem Mantel wurde
zwar auch eine Art Oberrock immer häufiger, der Tappert
(Tabardus), der weit und faltig über den Hüften durch den
Gürtel zusammengehalten war und von da nach unten offen stand,
um das kostbare Futter zu zeigen; aber auch dieser war so ver-
hüllend, dass man, da er von beiden Geschlechtern getragen
wurde, sich beklagte, sie nicht unterscheiden zu können. Um so
mehr überbot man sich, die Unterkleider immer enger zu machen.
Die Männer, sagt der Chronist, „nestelten“ sich hinten und vorn
hart zu und gingen „hart gespannt“. Dabei wurden die Schösse
immer mehr gekürzt; eine Neuerung, die ernsten und ehrbaren
Leuten anstöisig war. Diese enge und kurze Jacke hiess im
Französischen bezeichnend; Cöte-hardie, im Deutschen: Schecke,
Wams oder Lendner. Aeltere Männer behielten die lange Tunika
bei, doch war auch sie zugeschnitten, in Falten genäht, deren
Zahl die Mode bestimmte, eng über den Hüften, weit auf der
Brust, bis auf den Gürtel aufgeschlitzt, und oben mit einer Art
Krause oder zierlichem Bande versehen, „gemützert oder gemtzert“.
Dazu kamen dann für festliche Gelegenheiten noch besondere
Zierden. Herren, Ritter und Knechte trugen, wenn sie „hof-
tahrteten“, lange, offene Oberärmel oder Lappen, welche bis auf
154
die Erde herabfielen (Stauchen), und Gelegenheit gaben, mit dem
Futter, das nach Massgabe des Ranges aus mehr oder weniger
kostbarem Pelzwerk oder anderen Stoffen bestand, zu prunken.
Die Unterärmel hatten dagegen manschettenartige Vorstösse (Preis-
gen), welche über die Hände fielen. Endlich liebte man auch
bunte, auffallende Farben und machte namentlich die Erfindung,
die Kleider aus zwei verschiedenfarbigen Stoffen, mitten durch-
getheilt (im Franzöiiselten: mi-partie) zusammenzusetzen. Auch
die Frauen trugen enge Mieder und faltige, weite Röcke, um
die Feinheit der Taille herauszuheben, die auch von Dichtern
als. eine Schönheit erwähnt wird. Kleid und Hemde wurden
ausgeschnitten, so dass, wie der Chronist rügt, die halbe Brust
zu sehen war. Dabei trugen die Frauen zwei Kleider, das
Oberkleid mit herunterhängenden Aermeln und kürzer, so dass
man das Unterkleid, und an den Seiten aufgeschlitzt, dass man
auch das Futter sah, auf dessen Wahl auch hier Rang und
Stand Einfluss hatten. Der Gürtel wurde durch die Enge der
Kleider nutzlos und daher oft fortgelassen, oft aber auch als
Schmuck doppelt, unter der Brust und über den Hüften getragen
und dabei möglichst kostbar gemacht. Dante nennt daher Gürtel
und Halsketten den Schrecken der Väter und Ehemänner. Bei
der Kopftracht machte sich eine ähnliche Koketterie des Ver-
hüllens geltend, wie bei den Mänteln; im vierzehnten Jahrhundert
wurden nämlich für beide Geschlechter die sogenannten Gogeln
Mode, die ihren Namen von den mönchischen Kaputzen (cuculli)
haben und wie diese den Kopf so verhüllten, dass nur das da-
durch eingerahmte Gesicht zu sehen war; sie hafteten indessen nicht
immer an einem Kleide, sondern nur an einem Kragen desselben
Stoffes, der Hals und Schultern umschloss und über den Kopf
gezogen oder vorn zugeknöpft wurde. Diese scheinbar finstere
und mönchische Verhüllung wurde aber theils durch die bunte
Farbe des Stoffes, theils durch die wechselnden und phantastischen
Formen, die man daran anbringen konnte, ein fruchtbares Thema
der Eitelkeit. Die, Frauen trugen sie zunächst in mannigfacher
Weife ausgezackt oder „gezattelt“, dann mit langen, zuweilen zwei
Ellen lang herunterhängenden oder um Kinn und Hals geschlungenen
Zipfeln, oder „geknäuft“, oben mit einem Knopfe zuiümmen-
gefasst, oder gesteift, dass sie sich wie Hörner auf beiden Seiten
hoben, oder, wie die Limburger Chronik klagt, „vorn zu Berge
stunden über das Haupt, als wenn man die heiligen malet mit
den Diademen“; endlich wurden sie wirklich kugelförmig. Da-
neben erhielten sich dann die Schleier und Kopftücher, theils als
züchtig verhüllende Tracht älterer Frauen, theils als festlicher
Schmuck, bei welchem der Stoff und die Art des Tragens Reich-
thum und Stand bezeichnen konnten. Auch der Schnitt der
155
Haare wechselte: bald trug man sie lang, wogegen die Kirche
früher so sehr geeifert hatte, bald kurz gesclmitten; die Frauen
fassten die langen, wallenden Haare in Flechten zusammen, welche
herunterhingen oder um die Ohren gelegt wurden-, die Männer
erschienen mit „Krollen“, dicken Locken, Uber den Ohren. Da-
gegen kam das Tragen des Bartes fast ganz ausser Gebrauch-,
Fürsten und Ritter wenigstens sind auf ihren Grabmälern durch-
weg rasirt. Die Fussbekleidung war zwar einmal vorübergehend
stumpf, aber im Ganzen erhielt sie sich spitz und ging endlich
in die berüchtigten Schnabelschuhe (poulaines) über, deren Spitzen
sich zu so monströser Höhe erhoben, dass man sie zuletzt, um
nicht am Gehen gehindert zu fein, mit silbernen Ketten am
Beine befestigte. Noch wunderlicher und renommistischer war
dann die Sitte, sich mit Schellen oder Glöckchen zu behängen,
welche am Gürtel, dem „Dusing“, oder an einem über die Schulter
hängenden Bande befestigt, jede Bewegung verkündeten. Herren
und Damen trugen sie, anfangs jedoch, wie es scheint, nur die
der vornehmen Gesellschaft, bis sie am Anfange des fünfzehnten
Jahrhunderts auch in den ehrbaren städtischen Kreisen Zugang
fanden. Bezeichnend ist, dass schon während ihrer Blüthezeit
(1381) ein Graf von Cleve eine Glockengesellschaft stiftete, bei
deren Versammlungen jedes Mitglied möglichst mit Schellen
ausgestattet und deren Ordenszeichen ein Narr mit Schellen war,
so dass der Humor diese übermüthige Tracht gleich von ihrem
Entstehen an begleitete.
Uebrigens waren auch sonst alle Missbräuche der Eitelkeit
im Gange; Schminke, die freilich fast keinem Zeitalter ganz un-
bekannt war, wird häufig gerügt, junge Stutzer liessen sich
Locken brennen, und neben den Schnabel schuhen der Männer
kommen die langen Schleppkleider der Frauen in Aufnahme.
Die Zahl wechselnder Namen zur Bezeichnung feiner Verschieden-
heiten des Schnittes ist unerschöpflich und ihr Verständniss um
so schwieriger, da sie aus einer Sprache in die andere übergingen.
So ist das Wort: Sorkett, das im Deutschen für das Oberkleid
der Frauen gebraucht wird, offenbar aus dem französischen Sur-
cote entstanden, während das deutsche Wort Wams bei Fran-
zosen und Engländern in Gambeson verwandelt ist. Häufig be-
deuten diese Namen neben der Eigenthümlichkeit des Schnittes
auch eine bestimmte Art des Stoffes, für deren Mannigfaltigkeit
die Industrie schon reiche Auswahl bot.
Auch die Bewaffnung änderte sich mehrmals im Laufe der
Epoche, freilich nicht aus Schönheitsrücksichten, sondern in Folge
der veränderten Kriegsgebräuche und namentlich, um den Rittern
die bisher behauptete Lebermacht bei der zunehmenden Verwen-
dung des Fussvolks zu erhalten. Am Ende des dreizehnten
156
Jahrhunderts bestand die ritterliche Rüstung noch, wie feit langer
Zeit, aus dem Panzerhemde, unter welchem man das wattirte
Wams trug, dem konischen oder cylindrischen Helm und dem
bald kleineren, bald grösseren Schilde. Man rechnete, dass
hundert so bewaffnete Ritter es mit tausend Mann des leicht-
bewaffneten Volks aufnähmen. Dann kam im Anlange des Jahr-
hunderts eine schwerere und zugleich prachtvollere, und endlich,
etwa seit der Mitte desselben, wieder eine leichtere Bewaffhungs-
art auf. Bei jener deckte man Brust und Rücken durch einen
über dem Panzerhemde getragenen Plattenharnisch, der an den
Seiten zugeschnallt wurde, und mit zierlich ausgezackten Blättern
über die Hüften fiel. Vor- und Rückseite des Panzers waren
dann durch metallene, mit Löwenköpsen oder ähnlichen Formen
verzierte Schulterstücke verbunden. Das Schwert, an einem brei-
ten , mit Platten und Schnallen besetzten Gurte hängend, und
der an der rechten Seite getragene Dolch waren an ihren Griffen
mit Ketten versehen, die an zwei Agraffen auf der Brust be-
festigt waren, damit der Ritter nach Bedürfniss sie fallen lassen
konnte, und nicht in die Scheide zu stecken brauchte. Dazu kamen
Arm- und Beinschienen von gepresstem Leder oder von steifer,
mit eisernen Knöpfen oder Ringen durchzogener Watte, eiserne
„Böcklein“ auf Knien und Ellbogen und eiserne Handschuhe. Das
lange Obergewand, das feit den Kreuzzügen gebräuchlich gewesen
war, und bald auch der Schild, wurden dabei als überflüssig und
hindernd fortgelassen, so dass die Gestalt schlanker erschien und
der Ritter sich in dieser, wenngleich schwereren Rüstung vermöge
ihres engen Anliegens leichter bewegen konnte. Die Hauptzierde
war der Helm, der unter Beibehaltung der cylindrischen Form
oben noch einen Aufsatz erhielt mit der dem Stande des Ritters
angemessenen Krone und einem aus dem Wappen genommenen
Schmuck von Hörnern, Thierköpfen und dergleichen. Indessen
war dieser prunkende Helm nicht eben sehr praktisch, man
setzte ihn wegen seiner Schwere erst im Augenblicke des Kam-
pfes auf, und liess ihn bis dahin von einem Knappen auf einer
Stange tragen; auch setzte man ihn nicht auf den blossen Kopf,
sondern brauchte noch eine besondere Haube (coife, cerveilliere)
entweder von Eisen und gefüttert, oder blos von Tuch oder
Leinen. Daher ging man denn auch später für den Kriegs-
gebrauch von dieser Bewaflhungsart ab; man behielt zwar die
Arm- und Beinschienen bei, beschwerte die Rüstung aber nicht
mehr mit so vielen eisernen Platten, liess jene Helme ganz fort,
und bedeckte das Haupt in der Schlacht mit einem einfachen
Becken von Eisen (bassinet). Diese Neuerung kam wahrschein-
lich in den französisch - englischen Kriegen auf, wo zuerst das
Fussvolk, besonders von den Engländern, mit grossem Erfolg
157
verwendet wurde, und man daher die Nothwendigkeit einsah,
auch die Reiterei in mehrmahligen und leichteren Schaaren in die
Schlacht zu fuhren. Indessen finden wir sie auch schon um 1350
in Deutschland. Man bezeichnete nun auch die Stärke der
Kriegsheere nach der wirklichen Anzahl der „reisigen Leute"
oder der bestimmten Waffen nicht mehr wie anfangs nach der
Zahl der gekrönten „Dehne", bei welchen dann immer die nicht
genau bestimmte Zahl der Knappen und sonstigen Begleiter der
Ritter vorausgesetzt war. Bei festlichen Gelegenheiten und Tur-
nieren behielt mau indessen jenen Helmiclimuok noch lange und
weit über die Grenzen dieser Epoche hinaus bei, bis er endlich
ganz ausser Gebrauch kam und nur im Wappenschilde paradirte.
Die Pracht und Schönheit der Rüstung war ein Gegenstand des
Wetteifers und fast eine Ehrensache; minder vermögende er-
schöpften sich darin, und nicht selten bestand ihr ganzer Besitz
in ihrem Waffenschmucke. Dieser Luxus konnte sogar gefähr-
lich werden, indem er dem Ritter in der Schlacht eine Geber-
zahl von Gegnern, auch wohl eine illoyale Behandlung zuzog.
Die grossen Heerhaufen waren in der Regel noch nicht unifor-
mirt; gewisse Waffenstücke waren zwar für Lelmsleute und
Söldner vorgeschrieben, aber es kam nur auf den Nutzen, nicht
auf die Form an. Indessen waren die flandrischen Städte schon
auf den Gedanken gekommen, ihre Soldtruppen selbst zu be-
kleiden und sie nach der Farbe ihrer Röcke zu benennen, und
auch die aufgebotenen Schaaren nahmen öfter eine im wesentlichen
gemeinsame Tracht an: so pflegten die englischen Bogenschützen
grün gekleidet zu gehen. Grosse Vasallen zogen auch wohl mit
einer Zahl gleich gekleideter Lehnsleute heran, und ebenso trugen
die Mitglieder der Ritterorden ihre Abzeichen und gleichgeformte
Waffen und Kleider, so dass sich in der allgemeinen Mannig-
faltigkeit doch schon Gruppen sonderten. Leberhaupt fehlte es
nicht an Abzeichen für die verschiedenen Stufen der Lehnsgewalt,
und man suchte Würde und Reichthum oder auch individuelle
Beziehungen durch Gestalt und Farbe der Waffentracht auszu-
drücken. Einzelne Ritter und Fürsten nahmen manchmal ge-
wisse Farben aus freier Wahl und ohne Rücksicht auf ihre
Wappen so bleibend an, dass die Geschichte sie noch jetzt da-
nach benennt. Unter den Grafen von Savoyen folgt ein rother
Graf auf einen grünen, beide so nach den Farben genannt, in
denen sie und ihr Gefolge auf den Turnieren erschienen, und
Englands schwarzer Prinz war schon unter diesem Namen in
Frankreich gefürchtet.
Ein ausrückendes Heer in feinem noch unversehrten Waffen-
glanze giebt zu allen Zeiten ein anziehendes Bild, aber in keiner
wohl mehr, als in dieser, wo neben den Anfängen der Ordnung
158
und Regelmässigkeit sich das feine Spiel der Persönlichkeit geltend
machte, wo Form und Farbe nicht bedeutungslose Unterscheidungen
bildeten , sondern eine bestimmte Sprache redeten, ernste Er-
innerungen hervorriefen, und den Ausdruck verschiedener Charak-
tere ritterlicher Kühnheit oder doch phantastischen Uebermuthes
gaben. Man kann sich daher nicht wundern, wenn Froissard
es gern ausmalt, wie Banner und Fähnlein flattern, Ritter und
Knappen in leuchtenden und zierlichen Rüstungen über das Feld
sprengen, Pferde mit reichen Wappenstickereien vorbeigeführt
werden; wenn er dann prüfend und mit Kennermiene hinzu-
fügt, dass es von grosser Schönheit und untadelhaft gewesen.
Allerdings sind die Trachten dieser Zeit, sowohl die ritter-
lichen wie die der Bürger, keineswegs durchgängig geschmack-
voll oder auch nur zweckmässig; die Schnabelschuhe, die ellen-
langen , bis zur Erde herabhängenden Ueberärmel, die Farben-
verschiedenheit der beiden Körperhälften sind geradezu hässlich
und verkehrt, die vielen ausgezackten Ränder der Kleider, die
Buntfarbigkeit der Muster, der Ueberfluss an goldenen und
silbernen Zierrathen, mit denen sich die Frauen und die Vor-
nehmen behaupten, gaben der Erscheinung einzelner Gestalten
etwas Unruhiges und Ueberladenes. Indessen war doch meist
dafür gesorgt, dass die Körperform deutlich hervortrat, so dass
sich jene Uebertreibungen als Zusätze und Anhängsel von ihr
ablösten und, wenn auch an sich weder einfach noch edel, doch
durch ihre Art und Gestaltung, Ausdehnung oder Beschränkung
den Vortheil individuellen Ausdrucks gewährten. Mag daher
diese Tracht das Gepräge von Sinnlichkeit und Eitelkeit, Hoffahrt
und bizarrer Willkür tragen, sie ist jedenfalls weder plump noch
langweilig, und musste bei Versammlungen grosser Menschen-
massen den Eindruck eines jugendlichen, lebensfrohen Wesens,
ein heiteres, glänzendes Bild geben, das nicht blos das Auge,
sondern auch den Sinn beschäftigte, indem sie ihm die Ver-
schiedenheiten der äusseren Verhältnisse, namentlich der viel-
getheilten Gewerblichkeit, und selbst der Charaktere und Lebens-
ansichten in scharfer Ausprägung vorführte.
Und an solchen Versammlungen buntgeschmückter Menschen-
massen war kein Mangel; derselbe Trieb, welcher diese Ge-
staltungen der Tracht erzeugte, brachte auch eine Festlust her-
vor, wie sie kaum in anderer Zeit, wenigstens nicht so auf-
fallend, so öffentlich, so malerisch dagewesen war. Es ist, als
ob die Unglücksfälle, welche die Welt gerade jetzt so häufig
und so erschütternd heimsuchten, bei der grossen Menge nur die
Vergnügungssucht und Lachlust gesteigert haben. Kaum sind die
zahllosen Todten bestattet, welche die Seuche hingerafft, kaum die
Trümmer der im Erdbeben gestürzten Gebäude aufgeräumt, kaum
159
die verheerenden Kriegsschaaren, die wilden Volkshaufen, welche
unter dem Vorwände des Judenhasses plündernd umherschwärmten,
die Geisseler mit ihrem jedenfalls ernste Gedanken erregenden
Aufzuge vorübergegangen, so schlagen überall die Wellen der
Lust höher empor wie je. Gerade unter der unglücklichen Re-
gierung Königs Johann von Frankreich, während er selbst in
der Gefangenschaft war, die Engländer das Land verwüsteten
und der Aufruhr des Landvolkes die Gefahr auf das Aeusserste
steigerte, erreichte auch der Luxus des französischen Adels feine
grösste Höhe. Während im südlichen Deutschland eine kaum
überstandene Hungersnoth, Ueber sch wemmungen, Feuersbrünste,
blutige Fehden, ungewöhnliche Verbrecher die Gemüther ängstigten
und aufregten, so dass sie überall drohende Gespenster sahen und
sich mit fabelhaften Schreckgerüchten, z. B. von einem nahen
Einfalle der Tataren, herumtrugen, verbanden sich in dem Städtchen
Ueberlingen am Bodensee sieben reiche Bürgerssöhne zum lustigen
Leben, und tobten nun zum Aerger ihrer Mitbürger so lange, bis
sie ihr Vermögen fast ganz vergeudet hatten und nun den Rest
dazu verwandten, mit Pfeifen und Pauken schlag auszuziehen, um
in der Lombardei Kriegsdienste zu suchen. Dass vorübergehende
öffentliche Leiden solche Gegenwirkung hervorbringen, ist psycho-
logisch zu erklären; beschreibt doch schon Thukydides die Aus-
gelassenheit nach der Pest in Athen ganz ähnlich, wie Boccaz
sie in Florenz in diesem Jahrhundert fand. Aber dass sich die-
selbe Erscheinung immer wiederholte, dass die Dauer und Wieder-
kehr der Unglückstalle den Leichtsinn nicht demüthigte, ist diesem
Zeitalter eigenthümlich.
Den ersten Rang im Luxus und in der Veranstaltung pracht-
voller Feste behauptet Frankreich. War auch die dramatische
Kunst als solche, wie wir gesehen haben, hier wie überall noch
in ihrer Kindheit, so war doch der Umfang und das Gepränge
der öffentlichen Schauspiele grösser, als in den andern Ländern.
Der Hof und die städtische Behörde von Paris wetteiferten, die
unruhige und gedrängte Bevölkerung damit zu unterhalten; alle
grossen kirchlichen Feste und alle freudigen Ereignisse der könig-
lichen Familie wurden damit begangen. Es handelte sich dabei
nicht um wirklich gesprochene Dramen, sondern mehr um stumme,
vielleicht von Gesang oder von beschreibenden Versen eines
Sprechenden eingeführte und erläuterte Handlungen oder Bilder,
bei denen aber Hunderte von Personen thätig waren, und welche
Bühnen von gewaltigem Umfange erforderten, gewöhnlich in drei
Stockwerken, um neben den irdischen Hergängen auch Himmel
und Hölle zu zeigen. Oft begnügte man sich nicht mit Einer
Bühne, sondern zog von einem Bilde zum andern; bei der Ein-
holung der nachher so verhassten Isabella von Bayern als Ge-
160
mahlin des jungen Königs Karl’s VI. im dairre 1389 waren der
Schaustellungen so viele, dass der Zug erst Nachts bei Notre Dame
anlangte. An mechanischen Vorrichtungen, um Wunder oder
übernatürliche Erscheinungen darzustellen, fehlte es dabei nicht.
Eben bei jenem Einzuge der Isabella war an einem der Halte-
punkte die Einrichtung getroffen. dass (wie Froissart erzählt)
Engel von oben herunterschwebend ihr eine Krone aufsetztest,
und in einem 1378 bei der Anwesenheit Kaiser Karl's IV. in
Paris gegebenen Schauspiele aus 'den Kreuzzügen kamen sogar
Schiffe aus die Bühne. Die Schaulust war unermüdlich; ein vor
Karl’s VI. im Jahre 1380 dargestelltes Mysterium hatte 23 Ab-
theilungen , und eine Darstellung der Schöpfungsgeschichte in
London im Jahre 1409 spielte acht Tage. Zusammenhängend
mit dieser Schaulust war die Sitte der Maskenfeste, welche in
diesem Jahrhundert aufkam und beliebt wurde, und bei denen
es wild genug herging. Aber auch ohne »solche besondere Ver-
anstaltungen wurde jede Handlung der Fürsten und Grossen zu
einem Volksfeste. Dahin gehörten Reichstage und Zusammen-
künfte der Herrscher, dann aber auch alle Familienfeste. Bei
der Hochzeit des Markgrafen Waldemar von Brandenburg zu
Rostock im Jahre 1310 belief sich allein die Zahl der zu Rittern
geschlagenen Knappen auf 1700; die Menge der Herzoge, Grafen,
Barone, der Ritter in goldglänzenden Rüstungen, der Edeldamen
war unzählbar, die »Stadt konnte sie nicht fassen, es war daher
ein Lager von scharlachrothen Zelten aufgeschlagen; Wein, Bier
und Meth flössen in Brunnen, und selbst die Specereien, deren
man zu den Mahlzeiten bedurfte, bildeten ganze Schiffsladungen.
Noch viel pomphafter und geräuschvoller waren natürlich die
Krönungsfeste des Kaisers oder des Königs von Frankreich. Zu
diesen ausserordentlichen und seltenen Festen kamen dann die
Turniere der Rittergesellschaften, die Feierlichkeiten, mit denen
die Städte den Besuch fürstlicher Personen oder frohe Ereignisse
begingen, und endlich die grösseren Kirchenfeste, welche in Kathe-
dralen und reichen Klöstern immer von prachtvollen Aufzügen,
Schauspielen und anderen Ergötzlichkeiten begleitet waren und
daher auch durch diesen Reiz nahe und entfernte Gäste herbei-
zogen.
Neben diesem Luxus bestanden in vielen Beziehungen noch
selir primitive, fast rohe Gebräuche. Bei Mahlzeiten wurden die
Gäste in vielen Gegenden paarweise bedient, so dass zwei, und
zwar häufig ein Herr und eine Dame, nur einen Teller und einen
Becher hatten, woraus sich dann viele sorgfältig erlernte Regeln
des guten Benehmens ergaben. Gabeln kamen zwar in diesem
Jahrhundert mehr in Gebrauch, nachdem man sich bisher statt
ihrer kleiner Messer bedient hatte, dagegen kannte man Servietten
1(31
noch lange nicht. Der Vorschneider zerlegte den Braten kunst-
gerecht auf einem dazu bereiteten flachen Brote, dessen Unter-
lage eine hölzerne oder silberne Tafel bildete. Dabei aber zeigte
man dann an Gerathen und bei Anrichtung der Speisen möglichste
Pracht. Der Gebrauch silberner und goldener Geschirre war in
diesem und im folgenden Jahrhundert mehr als je ausgedehnt.
Selbst in Wirthshäusern setzte man den Gästen silberne Becher
vor, und in adelichen und bürgerlichen Häusern waren Schmuck
und Silberzeug weit über Bedürfniss vorhanden. Es war dies
Luxus und Wirtschaftlichkeit zugleich, denn ein solcher Besitz
war eine Art der Anlage von Capitalien, die man im Nothfalle
leicht versilbern konnte, und die ihre Zinsen durch ihren fest-
lichen Glanz abtrugen. In fürstlichen Häusern, obgleich auch
da diese Schätze nicht gegen den Schmelztiegel gesichert waren,
suchte man doch den Werth des Stoffes durch die Kunst der
Bearbeitung zu erhöhen. Auf der Tafel König Philipp des
Schönen sah man ein silbernes Becken, in welches der Wein sich
aus den Rachen von Bären und Leoparden ergoss und worin
Schwäne und Sirenen schwammen. Andere Tafelaufsätze ent-
hielten figürliche Darstellungen, etwa das Schloss der Liebe oder
sonst Scenen eines Romans, oder sie stellten Schiffe vor, welche
die grossen Braten trugen, während daneben auf silbernem Meere
kleine Nachen mit süssem oder scharfem Beiwerk angebracht
waren. Dem reichen Geräthe entsprachen dann auch die Speisen,
unter denen nicht blos der Fasan oder Pfau, die das Ehrengericht
ausmachten, sondern auch Eber, Lämmer, grosse Fische vergoldet
und mit allerlei glänzenden oder scherzhaften Zierden geschmückt
waren. Es versteht sich, dass die Zahl der Gänge gewaltig gross
war, meistens stark gewürzte Fleischspeisen und am Schlüsse
süsses Backwerk. Auch die Bedienung war dann mehr oder
minder bedeutsam; bei Krönungsmahlzeiten wurden Kaiser und
Könige und selbst geringere Fürsten von ihren vornehmsten Va-
sallen auf edeln Rossen bedient, welche nach vollbrachtem Ehren-
dienste den anwesenden Spielleuten und Gauklern zufielen; bei
minder feierlichen Gelegenheiten trugen Pagen in phantastischer,
oft maskenartiger Tracht, etwa als Saracenen, die Speisen auf.
Es ist natürlich, dass diese Festlust nicht blos den Tagen
der Feier zu Gute kam, sondern gerade wegen der Unvollkommen-
heit des Transportes und mancher Hülfsmittel lange Vor- und
Nachfreuden gab. Wie malerisch muss schon der Anblick der
Landstrassen bei der Annäherung eines solchen Festes, wi« jener
Hochzeitsfeier des brandenburgisehen Fürsten in Rostock gewesen
sein. Damen und Herren in bunter Reisetracht, reitend oder in
Sänften liegend, die von Pferden oder Menschen getragen wurden,
Knappen in ihren Rüstungen, Wagen und Saumthiere, die in
Uoquette, Deutsches Lesebuch. II. 11
162
mehr oder weniger geschmückten Truhen und Kisten die vielen
Bedürfnisse und Kostbarkeiten trugen, welche vornehme Reisende
damals mit sich zu führen pflegten. Dann wieder Krämer, fahrende
Leute aller Art, Gaukler mit ihrem Apparat, Thierführer und
Bänkelsänger, und dazwischen Pilger, Mönche, Kranke und Bettler,
die hei dem Feste ihre Rechnung zu finden hofften. Auch ohne
so ungewöhnliche Veranlassung waren die Landstrassen belebter
als je. Das Mittelalter hatte nie die bürgerliche Ruhe des acht-
zehnten Jahrhunderts gekannt; alle Geschäfte wurden persönlich
betrieben und erforderten Reisen; Ritter und Geistliche, Bürger
und Mönche waren beständig unterweges. Aber gerade jetzt,
wo die Kreuzzüge aufgehört hatten, wo auch die deutschen
Könige ihre Römerzüge nur selten und meistens nur mit geringem
Gefolge antraten, nahm diese Unruhe eher zu als ab; zu den
geschäftlichen Reisen, welche Handel, Lehnsdienst, geistliche
Missionen, Nationalkriege oder Privatfehden erforderten, kamen
die mehr willkürlich gewählten. Die Kunde von. den Kreuzzügen
der Väter liess die Enkel nicht ruhen, die Wanderlust erzeugte
Gelübde und nahm auch ohne solche fast den Charakter einer
religiösen Pflicht an. Einzelne pilgerten noch immer nach dem
gelobten Lande und hatten dann, weil sie nicht mehr in Heeres-
massen einherzogen, um so abenteuerlichere Ereignisse; andere
wallfahrteten nach Preussen oder Spanien, wo man sich noch
gegen Heiden und Mauren schlug. Bei der leichten Erreichbar-
keit dieser Schauplätze heiliger Kriege scheint es wenigstens bei
den französischen Rittern Regel gewesen zu sein, dass jeder in
seinem Leben eine solche „Reise“ mache; Froissard nennt es
geradezu „le voyage de Prasse“, etwa wie man heute bei einem
Künstler von seiner Reise nach Italien sprechen würde. Es ge-
schieht selbst während der englischen Kriege. Wer das nicht
konnte, unternahm dann eine Pilgerfahrt nach irgend einem be-
rühmten näheren oder entfernteren Wallfahrtsorte, wo Leute der
verschiedensten Stände und Zwecke in der bunten Mischung zu-
sammentrafen, welche Chaucer so humoristisch geschildert hat.
Rückte nun gar die Jubelfeier von Rom heran, die Bonifaz VIII.
im Jahre 1300 eingeführt hatte und deren Wiederkehr im 1 jause
dieses Jahrhunderts von 100 anfangs auf 50, dann auf 33 Jahre
gesetzt wurde, so machten sich ganze Völkerschaften auf den Weg,
so dass man die Pilger in Rom täglich nach Hunderttausenden
rechnen konnte. Dann kamen die stürmischen Züge der Geissler
oder ähnlicher, von plötzlichen Aufwallungen fortgerissener Pilger,
dann wieder abenteuernde Ritter, wie Froissard sie einige Male
nennt, die zur Ehre ihrer Damen in auffallender Tracht herum-
zogen und Kämpfe herausforderten, dann Söldner, welche Dienste
suchten oder nach beendetem Kriege heimkehrten. Wohl dem
— 163 —
Lande, wenn sie sich nicht zn Raubichaaren gesellten. Seihst die
Kriegsuntemehmungen der Fürsten waren oft so leichtsinnig und
mit so geringen Mitteln unternommen, dass man sie geradezu
nur als Aeusserungen abenteuernden Muthes ansehen kann, und
dass sie nur dazu dienten, die Strassen mit neuen Abenteurern
zu bevölkern. Wichtig war es dann, »dass die allgemeine Wander-
lust einzelne Reisende, wie den englischen Ritter John von Maunde-
ville (j- 1378), oder den klugen ¿'enetianischen Handelsmann Marco
Polo weit über die Grenzen des Abendlandes hinaus in ferne
Länder fast märchenhaften Klanges verlockte, wo sich neben der
Sucht nach Abenteuern oder Gewinn doch schon ein Trieb der
Forschung in ihnen regte. Ihre anziehenden und lehrreichen
Erzählungen, welche, wenn auch nicht ohne phantastische Ein-
mischung, doch schon schärfere und richtigere Beobachtungen
zeigen, als in der vorigen Epoche, wirkten als eine Lieblings-
lectüre des Jahrhunderts überaus anregend auf ihre Zeitgenossen,
indem sie den Gesichtskreis . erweiterten, den Sinn für Völker-
und Erdkunde erweckten und dadurch das Auge auf die bisher
missdeuteten oder übersehenen Wunder der Natur leiteten. Jene
Unruhe und Beweglichkeit, welche zunächst nur als sinnliche Ge-
nusssucht erschien, diente also auch höheren Zwecken und ver-
mittelte den Uebergang in die Anschauungsweise eines neuen
Zeitalters. —
22. Ulrich von Hutten auf der Ebernburg.
1520.
(D. F. Strauss: Ulrich von Hutten.)
Die festen Burgen, in denen Hutten um diele Zeit sich
hielt, waren die seines Freundes Franz von Sickingen, und dahin
muss ihm jetzt unsre Erzählung folgen.
Den ritterlichen Gestalten jener Zeit, einem Franz von
Sickingen, Götz von Berliohingen und ihresgleichen, ist für uns,
die wir in einem ganz andern Weltzustande leben, nicht leicht,
in unserem Urtheile gerecht zu werden. Entweder wir nehmen
sie zu hoch, oder zu niedrig. Ersteres begegnet uns insgemein,
so lange wir nur Allgemeines und Unbestimmtes, letzteres, wenn
wir einmal das Einzelne von ihnen wissen. Denn der Wahn
verschwindet in diesem Falle gründlich, als hätten jene Ritter
ihr Schwert in der Regel zum Besten der Unterdrückten, aus
uneigennütziger Liebe zu Recht und Freiheit, gezogen. Sie er-
scheinen nicht allein roh, sondern auch mit Berechnung eigen-
nützig. An ihren Fehden empört uns nicht blos die Unbarmherzig-,
keit, mit der Einer des Andern arme Leute plündert, ihre Dörfer
anzündet, ihre Felder verwüstet; sondern fast mehr noch die
11*
164
Beobachtung, dass das alles wie ein Gewerbe betrieben wird,
bei dem der Gewinn an Beute oder Lösegeld der Zweck, das
Recht aber, die angebliche Beleidigung durch einen andern
Edelmann, eine Stadt u. s. f., meistens nur ein Vorwand ist,
um die Bauern des Einen brandschatzen, die Kaufleute der
Andern niederwerfen und berauben zu können. Dies wird aus
Götzens naiven Selbstbekenntnissen zum Greifen deutlich, und
auch Franz von Sickingen, den man nicht mit Unrecht einen
Götz in höherem Style genannt hat, war doch aus demselben
Holze geschnitzt.
Das Geschlecht der Sickingen war alt, doch schrieb sich
seine Bedeutung erst von Franzens Vater her. Dieser, Schweickard
von Sickingen, dehnte durch allerlei Fehden, die er theils im
Dienste, theils unter dem Schutze der Pfalz, deren Marschalk er
war, besonders auch gegen Städte führte, feine Besitzungen aus.
Wie auch er zu solchen Fehden kam, davon nur Ein Beispiel.
Einst ging er in Cöln herum und trug, wie er pflegte, seinen
Dolch im Gurt. Da dies wider die Stadtordnung lief, so musste
er denselben auf der Strasse von sich thun und abliefern. Das
erschien ihm als eine solche Schmach, dass er von Stund an der
Stadt Feind wurde, ihr viel Schaden that, und sogar Anschläge
machte, sie zu erobern. Der hoch strebende Mann war ein
Mathematicus und beobachtete die Sterne. In seines Sohnes
Franz Geburtsstunde bemerkte er am Himmel eine wunderbar-
liche Constellation, aus der er abnahm, dass derselbe ein treff-
liches Ansehen in der Welt gewinnen, sein Ende aber beschwer-
lich fein werde. Auch Schweickard’s Ende war tragisch. In
dem bairischen Erbfolgekriege von 1503 und 1504 verfocht er
die Ansprüche seines Herrn von der Pfalz, gegen den Spruch
des Kaisers Maximilian, und musste diesen Ungehorsam, so wie
manche andere Gewaltthat, über welche sich bei der Gelegenheit
Klage erhob, auf dem Blutgerüste büssen.
Auf der Ebernburg bei Kreuznach (neben Landstuhl bei
Kaiserslautern, dem wichtigsten Schlosse des Sickingers) war
Franz im Jahre 1481 geboren. Seine Erziehung, ob er gleich
dem gelehrten Johann Beuchlin Einfluss auf dieselbe zuschreibt,
war doch nur eine ritterliche. Des Vaters Unglück und früher
Tod hinterliess ihm die Aufgabe, den Glanz des Geschlechts wieder
herzustellen. In allerlei Diensten und Kämpfen arbeitete er
sich empor. Seine Fehde mit Worms war diejenige, welche zu-
erst die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihn lenkte; die gegen den
Herzog von Lothringen diejenige, welche feinen Bus auf den Gipfel
brachte. Bei diesen und andern Händeln und Zügen war Anlass
und Kriegführung im Wesentlichen von gleicher Art. Verbannte
Bürger einer Stadt, beeinträchtigte Unterthanen oder Nachbarn
165
eines Fürsten riefen gegen wirkliches, oder öfter blos vermeint-
liches Unrecht, gegen Verzögerung eines Rechtshandels durch
die Gerichte den Ritter zu Hülfe, traten etwa auch Güter oder
Schuldforderungen an ihn ab; nun verlangte er ihre Wiederauf-
nahme und Entschädigung, die Herausgabe ihrer Güter, oder
Auszahlung ihres Guthabens an ihn; wurde dies verweigert, zog
er vor die Stadt, oder fiel in das Land, verwüstete dieses, be-
schädigte jene, plünderte und fing die unterwegs betroffenen
Kaufleute, denen schwere Ranzionen aufgelegt wurden; um die
Abmahnungen des Kammergerichts, in der Wormser Fehde selbst
die kaiserliche Acht, kümmerte er sich nicht, und liess sich end-
lich seinen Abzug von den Angegriffenen mit grossen Summen
abkaufen. Dem Kaiser machte seine schwankende Stellung un-
möglich, in solchen Fällen sich immer als strengen Richter zu
behaupten. Die mehrjährige Fehde gegen Worms, die heillose
Beschädigung einer Reichsstadt wurde dem Ritter zuletzt ver-
ziehen, weil Kaiser Maximilian seine Dienste gegen Ulrich von
Würtemberg nicht missen wollte. Statt die Acht wider ihn auf-
recht zu erhalten, nahm er ihn in seinen Sold, und als bald
darauf Maximilian starb, stand Sickingen als eine Macht im
Reiche da, um welche sich die beiden Thronbewerber, Franz von
Frankreich und Carl von Spanien und Oesterreich, wetteifernd be-
mühten. Sickingen löste eine frühere Verbindung mit dem
Ersteren, bei der er feine Rechnung nicht gefunden hatte, auf,
und widmete sich dem Dienste Carls, wirkte zu seiner Wahl
nach Kräften mit und verpflichtete ihn überdies durch ein baares
Darlehn von 20,000 Fl. Carl ernannte ihn zu seinem Feldhaupt-
mann, Rath und Kämmerer mit einem Jahrgehalt von 3000 Fl. und
gestattete ihm eine Leibwache von 20 Kürassieren.
So weit ist Sickingens Treiben einfach das eines Ritters,
der mit und wider seinesgleichen, neben und auf Kosten der
städtischen und Fürstenmacht, wenn auch nach Umständen an die
letztere gelehnt, sich emporzubringen sucht, dazu, ohne viel Be-
denklichkeit über den Rechtspunkt, jeden tauglichen Vorwand
ergreift und seiner Ritterehre genügt zu haben glaubt, wenn er
seinem Angriff einen ordentlichen Fehdebrief vorausgehen liess.
In dem lockern Verbände des damaligen deutschen Reichs fühlte
sich der Ritter als selbständige Macht, die im Zusammentreffen
mit andern ähnlichen Mächten ebenso nur durch Rücksichten des
Vortheils und ebenso wenig durch Grundsätze des Rechts und
der Moral sich leiten liess, als von jeher in der politischen Welt
die Staaten im Verhältniss zu einander: so oft auch hier wie
dort jene hochtönenden Worte im Munde geführt werden.
Doch Ein Fall wenigstens ist uns vorgekommen, wo
Sickingen, so viel wir einsehen können, sich uneigennützig und
166
edel eines Bedrängten annahm: der Handel Reuchlins; und ein
andrer wird uns sogleich begegnen, wo er sich für eine Sache,
die ihm freilich auch politisch dienlich werden konnte, doch zu-
gleich um ihrer selbst willen begeisterte: die Reformation. Beides
in Gefolge des Einflusses von Hutten, der, wie ein geschickter
Gärtner, auf den rauhen, aber tüchtigen Stamm die edelsten
Reiser zu pfropfen wusste. Ohne gelehrte Bildung war Sickingen
doch nicht ohne Sinn für dieselbe und für das Ideale überhaupt;
so kam ihm denn die Bekanntschaft Huttens, die er im würtem-
bergifchen Feldzuge machte oder enger knüpfte, ganz gelegen
und wurde bald zu einer Freundschaft, welche, ob ihr schon das
Schicksal nur wenige Jahre gegönnt hat, doch unter den Bei-
spielen dieser Art, an denen die deutsche Geschichte so reich ist,
eine der obersten Stellen einnimmt. Sickingen war um sieben
Jahre älter als Hutten und diesem eben so weit an Reichthum,
Macht und Einfluss überlegen, als Hutten ihm an Geist und
Bildung; dabei stand jenem reiche Lebenserfahrung, Uebung in
Geschäften des Kriegs und Friedens zur Seite; so ergänzten sich
Beide, wie Idee und Praxis, wie Kopf und Arm.
Sickingen war bis dahin in den herkömmlichen religiösen
Vorstellungen mitgegangen. Zu seinem und der Seinigen Seelen-
heil hatte er in Gemeinschaft mit seiner Ehefrau, Hedwig von
Fiersheim, unweit der Ebernburg eine Beguttenclause erneuert
und begabt; ja er ging, womit Hutten ihn später aufzog, als
dieser ihn kennen lernte, mit dem Plane um, „den holzfüssigen
Franziscanern ein neues Nest zu bauen.“ Hutten wusste ihn erst
für Reuchlin, dann für Luther zu interessiren; er führte ihn den
gleichen Weg, den er selbst in seiner Entwickelung gegangen
war. Auf sein Betreiben bot Sickingen beiden Männern eine
Freistatt auf seinen Schlössern an. Sie machten von seinem An-
erbieten keinen Gebrauch, da der Erstere nicht wirklich verfolgt,
für den Andern aber die neutrale Haltung seines weifen Kur-
fürsten der sicherste Schutz war. Nun aber bedurfte Hutten dieser
Freistatt, den sein geistlicher Kurfürst, wollte er nicht förmlich
mit Rom brechen, nicht weiter schützen konnte, der auch mit
blossem Schutze nicht wie Luther zufrieden war, sondern von
den Schlössern seines Freundes aus, wie wir sehen werden, neben
dem geistigen Kampfe zugleich einen wirklichen Feldzug gegen
die Sendlinge und Anhänger Roms vorzubereiten suchte.
Die Ebernburg, in dem Winkel, den (an der Nordspitze der
jetzigen bairischen Pfalz) die Einmündung der Alsenz in die
Nahe bildet, auf einem steilen Felsen gelegen, und von Franz
von Sickingen als fein Hauptsitz mit stattlichen Wohnräumen
und festen Werken versehen, war in den Jahren 1520—22 einer
der merkwürdigsten Schauplätze der deutschen Geschichte. Her-
167
bergen der Gerechtigkeit nennt Hutten die Burgen seines Freun-
des. Ausser ihm öffneten sie (icli auch Andern, die um ihrer
Begeisterung für die Kirchenverbesserung willen Verfolgung litten.
Caspar Aquila war einst Franzens Feldprediger gewesen, dann
Pfarrer in der Gegend von Augsburg geworden, bis feine An-
hänglichkeit an die Reformation ihn in den bischöflichen Kerker
zu Dillingen brachte. Es gelang ihm zu entfliehen: und die
Schlösser seines ehemaligen Herrn gewährten ihm mit Weib und
Kindern Schutz und Brot. Martin Bucer, der nachmalige
Strassburger Reformator, war aus dem Dominicanerorden getreten:
bei Sickingen fand er eine Zufluchtsstätte. Der Weinfperger
Johann Oekolampadius, später als der schweizerische Melanchthon
hochberühmt und hochverdient, war aus dem Brigittenkloster
Altenmünster entflohen: ihm öffnete sich die Ebemburg. Reuch-
lins Landsmann, Johann Schwebe!, hatte den heil. Geistorden
verlassen und war in seiner Heimath nicht mehr sicher: Sickingen
stellte ihn als Geistlichen an und richtete ihm bald hernach auf
Landstuhl die Hochzeit aus.
Von September 1520 an erscheint Hutten auf der Ebern -
burg, und sein erstes Geschäft war hier, die Anschläge Roms
gegen ihn öffentlich zu enthüllen, um Kaiser, Fürsten und alle
freien deutschen Männer gegen eine Macht aufzubringen, die
solche Absichten hege, solcher Mittel sich bediene. Eben schickte
Franz von Sickingen sich an, zur Begrüssung des aus Spanien
angekommenen Königs Karl abzureisen, von dem er auch so-
fort bei seiner Kaiserkrönung (28. October) mit einer Auszeichnung
behandelt wurde, die ihm eine einflussreiche Stellung zu ver-
sprechen schien. Ihm gab jetzt Hutten ein Klagschreiben an den
Kaiser mit, in welchem er die Anschläge, die an dessen Hofe
gegen fein Leben gesponnen worden, den aus der römischen
Ourie an verschiedene deutsche Fürsten ergangenen Befehl, ihn
gefesselt nach Rom zu schicken, zu seiner Kenntniss bringt und
ihn bittet, dem an ihn selbst gestellten Ansinnen, diese Aus-
lieferung zu gestatten, keine Folge geben zu wollen. Ein
deutscher Ritter habe mit dem römischen Bischof nichts zu
schaffen, er dürfe nur in Deutschland, nur vom Kaiser gerichtet
werden. Heberhaupt sucht Hutten in diesem Schreiben seine
Sache zugleich als Sache des Kaisers, den Hass der Römlinge
gegen ihn als Folge seiner kaiserlichen Gesinnung, jedes Leid,
das Karl jetzt ihm geschehen liesse, als eine Beeinträchtigung
seiner Kaisermacht darzustellen. Zuerst habe er es mit jenen
Menschen durch seine Türkenrede verdorben, wo er ihVen Um-
trieben gegen Karls Erwählung zum römischen König entgegen-
getreten sei. Auch weiterhin habe nichts sie so gegen ihn auf-
gebracht, als dass er ihren mafslofen Eingriffen in die Rechte
168
des Kaisers, der täglichen Plünderung des Vaterlandes, iiabe ein
Ende machen wollen, dass er der deutschen Nation ein Mahner
an ihre Würde gewesen sei.
„Welche Schmach, dass eine tapfere Nation, die Königin
der andern, Jemandem, geschweige denn faulen Pfaffen, dienst-
bar fein sollte! Lieber den Türken, die doch ein mannhaftes
Volk und deren Joch auch wirklich weniger drückend fei.
Der Schaden aber liege in der Verarmung Deutschlands vor
Augen. Und wenn nur das Geld, das wir uns entziehen und
nach Rom senden, dort zu guten Zwecken verwendet würde.
Aber es diene den schlimmsten. Wohlan, ruft Hutten aus, wenn
wir Philosophen sein und unser Geld wegwerfen wollen, haben
wir in der Nähe Meere und Flüsse genug: bei uns den Main,
weiter den Rhein, dort bei den Sachsen die Elbe und andere
Wasser; da lasset uns das Geld hinein werfen, damit es lieber
selbst verderbe, als dass es Vielen aller Arten Ursache des Ver-
derbens fei, indem wir dadurch jene römische Sittenpest ernähren,
und zwar so überflüssig, dass sich von dort die Ansteckung auch
hierher und in alle Welt ergiesst. Doch nein, nicht wegwerfen
lasset es uns, sondern nur nicht dulden, dass es anderswohin ge-
führt und verwendet werde. Das wird das erste und beste
Mittel fein, die Tyrannei zu zerstören.“ — „Wollte Gott, dass
entweder ihr dazu den Willen hättet, die ihr die Macht besitzet,
oder ich die Macht besässe, wie ich den Willen habe. Kann
ich euch aber nicht bewegen, noch auch anderswo einen Brand
zu erregen, der jene Dinge verzehren mag, so werde ich doch,
was ich für mich allein kann, leisten: ich werde nichts thun,
was eines tapferen Ritters unwürdig wäre; ich werde nie, so lange
ich bei gesunden Sinnen bin, euch nur einen Schritt von meinem
Vorhaben weichen; euch aber, die ich von männlicher Festigkeit
abfallen sehe, (wenn ich das sehen sollte) werde ich bedauern.
Ich selbst werde frei bleiben, weil ich den Tod nicht fürchte.
Auch wird man nie von Hutten hören, dass er einem fremden
König, wie gross und mächtig der auch fei, geschweige denn
dem unthätigen Papste dienstbar geworden. . . Doch nun ver-
lasse ich die Städte, weil ich die Wahrheit nicht verlassen kann,
und halte mich aufs Freieste verborgen, weil ich nicht mehr frei
unter Menschen wandeln daiff, mit grosser Verachtung der Ge-
fahr, die mich umringt. Denn sterben kann ich, aber Knecht
sein kann ich nicht. Auch Deutschland geknechtet sehen kann
ich nicht. Aber der Tag wird kommen, denke ich, an dem ich
aus diesen Schlupfwinkeln hervorbrechen, der Deutschen Treu und
Glauben anrufen, und vielleicht eben da, wo die grösste Ver-
sammlung ist, ausrufen werde: Ist Keiner da, der um gemeiner
Freiheit willen mit Hutten zu sterben wagt? — Das habe ich
169
an Dich, mehr der Bewegung des Gemüths, als Deiner Würde
gemäss, freimüthig geschrieben. Allein ich hoffe von Dir das
Beste. Daher glaube ich an einen Freien frei schreiben zu
sollen. Gehab Dich wohl und ermanne Dich.“ — —
Von dem Wiederklang, den seine Worte und Bestrebungen
in der Nähe und Ferne fanden, blieb Hutten nicht ohne Nachricht.
Zahlreiche Briefe, die ihn dessen versicherten, aus Deutschland
und den Nachbarländern, liefen bei ihm ein. Aus Böhmen schickten
die Hussiten ihm wie Luthem die Schriften ihres Meisters zu.
Das alles vermehrte nur die fieberhafte Ungeduld, die ihn während
seiner unfreiwilligen Müsse auf der Ebernburg verzehrte. Das
Schreiben genügte ihm nicht; er hätte gar zu gern mit dem
Schwerte dreingeschlagen. Lebenslänglich standen in Hutten der
Schriftsteller und der Kitter im Wettstreite, der erstere mochte
thun und leisten, was er wollte, so war der letztere unzufrieden,
dass ihm die Gelegenheit, auch etwas zu leisten, so ganz ent-
gehen sollte. Es war eine Täuschung; denn was- hätte der Ritter
Hutten thun können, das demjenigen, was er als Schrift-
steller wirkte, zu vergleichen gewesen wäre? Die Täuschung war
für Huttens Leben verhängnisvoll; aber seiner Schriftstellerei
kam sie zu Gute: der ganze Ueberschuss des ritterlichen Feuers
in Hutten, das sich durch den Degen nicht Luft machen konnte,
ergoss sich durch die Feder in feine Schriften und gab ihnen
jenen kriegerischen, jugendlich heldenhaften Ton, der ihren unver-
gänglichen Reiz ausmacht.
„Mich quälen,“ schrieb er um jene Zeit an Capito, „diese
häufigen und immer wiederholten Erwartungen von den Freunden.
Hätte ich doch gleich von Anfang gewagt, mir selbst zu rathen
und auf eigene Faust zu handeln. Denn diese andern Rath-
geber wollen mir je länger je weniger gefallen.“* An Luther
aber schrieb er: „Gewiss, du würdest Mitleid mit mir haben,
wenn du sehen solltest, wie ich hier zu kämpfen habe: so wenig
kann man sich auf die Menschen verlassen. Während ich neue
Bundesgenossen anwerbe, fallen die alten ab. Ein Jeder hat eine
Menge von Bedenken und Vorwänden. Vor Allem ist es der
Aberglaube, der die Menschen schreckt, die eingesogene Meinung,
dem Papste, und wäre es auch der ungerechteste und schlechteste,
zu widerstehen, sei ein unsühnbares Verbrechen. Doch ich thue,
was ich kann und weiche nimmer dem Missgeschick.“ Nur Franzens
Gesinnung fand Hutten probehaltig; doch dieser gerade war es,
der ihn abhielt einen Gewaltstreich zu thun, indem er, wie Hutten
an Erasmus schrieb, erst einen Versuch mit dem jungen 'Kaiser
machen wollte, in der Hoffnung, dieser werde entweder die Sache
der Reform selbst in die Hand nehmen, oder derselben doch
nichts in den Weg legen; eine Hoffnung, welche freilich durch
170
ultramontanen Einfluss schon so gut wie vereitelt war, weswegen
Hutten eine gewaltsame Schilder Uebung zuletzt doch für unver-
meidlich ansah. Gar zu gerne hätte schon damals wie noch später
Hutten den beiden päpstlichen Nuncien, welche sich nach Karls
Krönung in Cöln befanden, um den Kaiser und die Fürsten gegen
Luther zu stimmen, die Wege verlegt und sie abgefangen: allein
wozu sollte ein solches liitterftückchen helfen? Es konnte einen
Poeten wie Eoban, selbst Luther in manchen Stimmungen er-
getzen, aber Sickingen hatte Recht, es dem Freunde auszureden.------
Je weniger Aussicht auf Unterstützung seiner Plane Hutten,
des Kaisers zu geschweigen, selbst von Seiten desjenigen Fürsten
hatte, welcher der Sache der Reformation am günstigsten zu fein
schien, desto mehr suchte er sich seines Gastfreundes Franz von
Sickingen, dessen Macht und Bedeutung um jene Zeit der eines
Fürsten kaum nachstand, zu versichern. Es fehlte nicht an Solchen,
welche diesen, theils aus verwandtschaftlichem, theils aus Partei-
interesse, von Hutten und der Reformation abzuziehen suchten.
Sein übrigens trefflicher Schwager, Philipp von Fiersheim, damals
Domsänger, in der Folge Bischof von Speier, dessen Chronik eine
Hauptquelle für Sickingen’s Geschichte ist, wie fein Gegen sch wäher,
der Ritter Dietrich von Handschuchsheim, an dessen Umstimmung
er in der Folge ein eignes Sendschreiben wendete, waren ohne
Zweifel auch mit unter den Verwandten und Freunden, von
denen Hutten schreibt, dass sie in Franzen gedrungen, fleh von
einer so gefährlichen Sache loszusagen. Man suchte ihm von
Luthers Meinungen und Planen eine, abschreckende Vorstellung
beizubringen, und führte dabei wohl auch Stellen aus dessen
Schriften an, die in denselben gar nicht zu finden waren.
Franz hatte bis daher von Luther nur Weniges obenhin ge-
lesen : jetzt benutzte Hutten die winterliche Müsse auf der Ebern-
burg, den Freund tiefer in die Schriften des Reformators einzu-
führen. Einige Proben, die er ihm vorlas und mündlich erläuterte,
mussten ihn erst begierig machen; bald fing die Sache ihm ein-
zuleuchten an, und bei weiterem Lesen kam es zur Ueberzeugung.
Er übersah die Grundlagen, ermass den Aufbau der lutherischen
Lehre, und: Wie? rief er aus, das wagt Jemand erschüttern zu
wollen, oder wenn er’s wagt, hofft er’s zu können? In Kurzem
liess er keine Mahlzeit vorüber gehen, nach der ihm nicht Hutten
etwas von Luther oder auch von sich selbst vorlesen musste; woran
sich Gespräche knüpften, in denen Hutten die Fassungskraft seines
Freundes, fein Talent, das Aufgefässte beredt wieder zu geben
und selbständig weiter auszuführen, bewundern lernte. Jetzt
war Sickingen gegen die Versuche, ihn wankend zu machen, ge-
stählt : auf die schon oben erwähnte Warnung seiner Verwandten
vor der Betheiligung an einer so zweifelhaften Sache, war jetzt
seine Antwort, die Sache sei keineswegs zweifelhaft, denn es fei
die Sache Christi und der Wahrheit; überdies fromme es dem
deutschen Gemeinwesen, dass Luther’s und Hutten’s Mahnungen
Gehör finden und der Glaube geschirmt werde.
Stehen wir einen Augenblick vor diesem Bilde still: es ist
eines der schönsten in der Geschichte unseres Volkes. Am gast-
lichen Tische der Ebernburg sitzen in den Winterabenden zwei
deutsche Ritter in Gesprächen über die deutsche Angelegenheit.
Der Eine Flüchtling, der Andre sein mächtiger Beschützer: aber
der Flüchtling, der Jüngere, ist der Lehrer, der Aeltere schämt
sich des Lernens nicht, wie der ritterliche Lehrer selbst neidlos
dem grösseren Meister, dem Mönch zu Wittenberg, sich unter-
ordnet.
23. Soldatenleben und Sitten im dreissigjährigen Krieg.
(Freytag, Bilder aus der deutschen Vergangenheit.)
Fast alle Völker Europa’s sandten ihre schlechtesten Söhne
in den langen Krieg. Nicht nur einzeln zogen fremde Söldner
den Werbetrommeln zu, wie Krähen einer Wahlstatt; das ganze
christliche Europa wurde in den Kampf hineingerissen; in
Compagnien und Regimentern zertraten die Fremden den deutschen
Acker. Engländer und Schotten, Dänen, Schweden, Finnen fochten
ausser den Niederländern, die vom Volk noch als Landgenossen
betrachtet wurden, auf Seite der Protestanten. Sogar die Lapp-
länder fuhren mit ihren Renthieren an die deutschen Küsten,
drei Compagnien derselben brachten im Wintermonat 1630 auf
ihren Schlitten Pelze für die schwedische Armee über das Eis.
Aber noch bunter sah es in den kaiserlichen Heeren aus. Die
romanischen Wallonen, irische Abenteurer, Spanier, Italiener, fast
jeder slavische Stamm brach in das Land, am gräulichsten die
leichte Reiterei: Kosaken (1620 polnische Hilfstruppen, sie wurden
grösstentheils vom Landvolk erschlagen), Stradioten (unter ihnen
sicher auch Muhamedaner), und -am meisten verhasst die Kroaten.
Es ist bezeichnend für die Stellung des Kaisers beim Beginn des
Krieges, dass er fast nur slavische und romanische Krieger, und
nur romanisches Geld gegen die deutschen zu setzen hatte. Durch
sie wurde die nationale Erhebung niedergeschlagen; auch die
Truppen der Liga bestanden vielleicht zur Hälfte aus Fremden.
Fast jedes Heer war eine Musterkarte verschiedener Nationa-
litäten, in jedem ein Durcheinander vieler Sprachen. Und der
Hass der Nationen ruhte selten, während die Fahne flatterte.
Zumal im Lager mussten die Regimenter sorgfältig nach Beschaffen-
heit ihrer kameradschaftlichen Gefühle zusammengelegt werden,
Deutsche und Wälsche immer auseinander.
172
Der Feldmarschall oder Quartiermeister wählte den Platz des
Lagers womöglich am fliefsenden Wasser, auf einer Stätte, die der
Vertheidigung günstig war. Zunächst wurde der Raum für den
Feldherrn und seinen Stab ausgemessen. Dort erhoben sich die
grossen verzierten Zelte auf verbotenem Grund, der durch eine
Barriere und eingesteckte Spiesse, oft durch Befestigungen von dem
übrigen Lager getrennt war. In der Nähe blieb ein freier Platz
mit der Hauptwache; weilte das Heer längere Zeit im Lager,
so wurde dort der Feldgalgen als Waruungszeichen aufgerichtet.
Jedem Regiment und Fähnlein wird mit Zweigen feine Stelle
abgesteckt, dann rücken die Truppen ein, Glieder und Rotten
werden geöffnet, die Fahnen jedes Regiments werden in Reihen
nebeneinander in die Erde gesteckt, dahinter liegt in parallelen
Linien die Lagerstätte des Fähnleins, je fünfzig Mann in einer
Reihe, bei der Fahne der Fähnrich, der Kaplan in der Nähe
des Hauptmanns. Die Officiere wohnen in Zelten, welche oft
konische Form haben und mit Stricken am Erdboden befestigt
sind. Die Gemeinen bauen sich auf dem angewiesenen engen
Raum ihre kleinen Hütten von Stroh und Bretern. Neben der
Hütte steckt der Pxkenier seinen Spiels in den Boden, die Piken,
Kurzspiesse, Hellebarden, Partisanen und Standarten zeigen schon
von weitem Rang und Waffe der Zeltbewohner. In den Hütten
hausen die Soldaten häufig zu Zweien oder Vieren, bei ihnen
Weiber, Dirnen, Buben und Hunde. So lagert Fähnlein neben
Fähnlein, Regiment neben Regiment im grossen Viereck oder im
Kreise, das ganze Lager ist von breitem Raum umgeben, der zum
Lärmplatz dient. Vor dem dreissigjährigen Kriege war es ge-
wöhnlich, um das Lager eine Wagenburg zu schlagen, dann wurden
die Train- und Bagagewagen in doppelter oder mehrfacher Reihe,
an einander geschoben und mit Ketten oder Klammern zum
grossen Viereck oder Kreis verbunden, die nothwendigen Aus-
gänge freigelassen. Damals hatte die Reiterei zunächst an der
innern Seite der Wagen ihr Lager; für die Pferde waren neben
den Hütten und Zelten der Reiter nothdürftige Verschlüge auf-
gerichtet. Dieser Brauch war veraltet, nur selten umschliefsen
Wagen das Lager, man ist bemüht, dasselbe durch Graben, Wall
und Feldgeschütze zu decken. An den Ausgängen sind Lager-
wachen, ausserhalb des Lagers werden Reitertrupps und eine
Postenkette von Musketieren oder Schützen aufgestellt. Vor dem
Zelt jedes Fähnrichs steckt die flatternde Fahne im Boden, da-
neben liegt eine Trommel der Compagnie, ein Musketier hält
Wache, die brennende Lunte in der Hand, die Muskete wagrecht
auf die Gabel gestützt.
In solchem Lager hauste das wilde Volk in zügellosem Haus-
halt, auch in Freundesland eine unerträgliche Plage der Umgegend.
173
Die Landschaften, Städte und Dörfer mussten Holz, Stroh, Lebens-
mittel und Futter herbeischaffen, auf allen Wegen rollten die
Lastwagen herzu, wurden Heerden Schlachtvieh eingetrieben.
Schnell verschwanden die nächsten Dörfer vorn Erdboden, alles
Holzwerk und Dachstroh wurde von den Soldaten abgerissen und
zum Bau der Hütten verwendet, nur die zertrümmerten Lehm-
wände blieben zurück. Die Soldaten und ihre Buben strichen
plündernd und stehlend in der Umgegend umher, die Marketender
fuhren mit ihren Karren ab und zu. Im Lager aber drängten sich
die Kriegsleute vor ihren Hütten und auf den Plätzen zusammen;
unterdessen kochten die Weiber, wuschen, besserten Kleider aus
und haderten untereinander. Häufig war Tumult und Auflauf,
ein Kampf mit blanken Waffen, eine blutige Unthat, Schlägereien
zwischen den verschiedenen Waffen oder Nationen. Alle Morgen
rief die Trommel und der Ausrufer zum Gebet, auch bei den
Kaiserlichen; am Sonntag früh hielt der Regimentsprediger feine
Feldpredigt, dann fassen die Kriegsleute und ihr Tross andächtig
auf der Erde, auch war verboten, während des Gottesdienstes in
den Marketenderhütten zu liegen und Getränke zu schenken.
Es ist bekannt, wie viel Gustav Adolf auf fromme Sitte und
Gebet achtete, er liess nach seiner Ankunft in Pommern im
Lager zweimal täglich Betstunde halten, aber auch in seinen
Kriegsartikeln war nöthig, die Trunkenheit der Feldprediger zu
bedräuen.
In dem freien Raum des Lagers vor der Hauptwache war
der Spielplatz, mit Mänteln überdeckt, mit Tischen besetzt, um
alle drängte sich die Gesellschaft der Spieler. Dort hatte das
Kartenspiel der alten Landsknechte der schnellern Entscheidung
durch Würfel weichen müssen. Oft war das Würfelspiel im
Lager verboten, durch Rumormeister und Profosse verhindert worden,
dann waren die Spieler heimlich hinter Hecken zusammengekommen
und hatten ihr Kommissbrot, Waffen, Pferde, Kleider verspielt;
so fand man gerathen, diese Leidenschaft unter Aufsicht der Lager-
wache zu stellen. Auf jedem Mantel oder Tisch rollten drei
viereckige Würfel, in der Feldsprache „Schelmbeine“ genannt;
jeder Gesellschaft stand ein Schulderer vor, ihm gehörten Mantel,
Tisch und Würfel, er hatte in streitigen Fällen das Richteramt
und erhielt seinen Antheil am Gewinn, oft aber auch Schläge.
Denn häufig waren Betrug und falsche Würfel; manche Würfel
hatten zwei Fünfen oder Sechsen, manche zwei Es oder Daus,
andere waren mit (Quecksilber oder Blei gefüllt, mit zerschnittenen
Haaren, Schwamm, Spreu und Kohlen, es gab Würfel von Hirsch-
horn , welche oben leicht, unten schwer waren, Niederländer, die
man schleifend rollen musste, Oberländer, welche „aus der
bairischen Höhe“ geworfen werden mussten, wenn sie gut fallen
174
sollten. Und oft wurde die lautlose Arbeit durch Flüche, Gezänk
und blitzende Kappiere unterbrochen. Und zwischen den aufge-
regten Gesellen schlichen lauernde Handelsleute, oft Juden, bereit,
die gesetzten Ketten, Ringe und Beutestücke zu schätzen und
aufzukaufen.
Hinter den Zelten der Oberofficiere und des Regimentspro-
fossen, durch eine breite Strasse von ihnen getrennt, standen die
Buden und Hütten der Marketender in parallelen Querreihen.
Marketender, Metzger und gemeine Garköche bildeten eine
wichtige Gemeinschaft. Der Preis ihrer Waaren, der Speisen oder
Getränke ward vom Profoss gegen eine Abgabe in Geld oder
eine Naturallieferung — er erhielt z. B. von jedem Stück Rind-
vieh die Zunge — bestimmt. Auf jedes Fass, welches ausgezapft
wurde, schrieb er mit Kreide den Preis, um den ausgeschenkt
werden musste.
Diese Verbindung und die durch Gefälligkeiten zu erkaufende
Gunst des Gewaltigen erhielt die Lieferanten des Heeres in ver-
hältnissmässig sicherer Stellung und half ihnen zu immerhin un-
regelmässiger Bezahlung ihrer langen Kerbhölzer, die sie für
Ofticiere wie Gemeine zurechtschnitten. Oft hielt der Marketender
lustige Dirnen für Officiere und Soldaten. In guten Zeiten kamen
von weither Kaufleute mit theuren Stoffen, Juwelen, Gold- und
Silberarbeiten und Delicatessen in das Lager. Namentlich beim
Beginn des Krieges war der Luxus und der Tross der Ofticiere
zum bösen Beispiel für das Heer ausschweifend: jeder Hauptmann
wollte einen französischen Koch halten und die theuersten Weine
wurden von ihnen massenhaft verbraucht.
Die militärischen Zeichen des Lagers gab beim Fussvolk der
Trommelschläger, bei der Cavalerie der Trompeter ; die Trommel
war sehr gross, die Schläger oft halbwüchsige Buben, zuweilen
die Narren der Compagnie. — Aber beim Beginn des Krieges
hatten die deutschen Heere wunderlicher Weise für viele Fälle
denselben einförmigen Schlag, und jeder Befehl, welchen der Feld-
herr dem Lager zu geben hatte, musste noch durch einen Herold,
der hinter dem Trompeter durch das Lager ritt, ausgerufen werden.
Der Herold trug bei solchen Gelegenheiten über seinem Kleide
einen „Levitenrock“ von bunter Seide, vorn und hinten mit dem
Wappen des Kriegsherrn bestickt. Dies Ausrufen, welches den
Abend vorher dem ganzen Lager die Arbeit des nächsten Tages
verkündete, war schnellen und geheimen Operationen sehr hinder-
lich, es verschlechterte auch die Disciplin, denn es sicherte den
Lungerern und Räubern des Lagers die Nacht, wenn sie auf
Beute hinausschlichen.
War gute Zeit gewesen, eine Schlacht gewonnen, eine reiche
Stadt geplündert, eine wohlhabende Landschaft in Contribution
175
gesetzt, dann war alles vollauf, Speisen und Getränke billig; es
kam ausnahmsweise noch in den letzten Jahren des Krieges vor,
dass man im bairischen Heere einmal eine Kuh um eine Pfeife
Tabak kaufen konnte. Dann fass in den Marketenderbuden Kopf
an Kopf eine gedrängte Schaar singender, prahlender, schwatzender
Helden, dann hatten die Handelsleute gute Zeit, der Soldat ftaffirte
sich neu aus, — er kaufte theure Federn auf seinen Hut, Scharlach-
hosen mit goldenen Gallonen, bunte Röcke und runde Maulesel
ftir seine Dirne, dann prangte er in Zobel und Marder, Stall-
knechte ritten ganz in Sammt gekleidet. Die Kroaten der kaiser-
lichen Armee in Pommern hatten im Winter 1630 — 31 die
Gürtel mit Gold überfüllt, und ganze Platten von Gold und Silber
geschlagen vor der Brust. Paul Stockmann, Pfarrer in Lützen,
erzählt, dass in der kaiserlichen Armee vor der Lützener Schlacht
ein Reiter sein Pferd mit etlichen Schock goldener Sterne, ein
anderer mit dreihundert silbernen Monden bekleidet hatte, dass
Soldatendimen die schönsten Kirchengewänder und Messornate
trugen, einige Stradioten ritten in geraubten Priesterröcken zum
Jubel ihrer Kameraden. In solcher Zeit tranken die Zecher
einander theuren Wein aus geraubten Altarkelchen zu und liessen
aus dem erbeuteten Golde lange Ketten machen, von denen sie
nach altem Reiterbrauch einzelne Glieder ablösten, wenn sie eine
Zeche zu bezahlen hatten. Aber je länger der Krieg dauerte,
desto seltener wurde solche goldene Zeit. Häufiger als UeberHuss
War Mangel und Armseligkeit. Die Verwüstung der Landschaften
rächte sich furchtbar an den Heeren selbst, das bleiche Gespenst des
Hungers, Vorbote der Pest, schlich durch die Lagergassen und hob
die knöcherne Hand gegen jede Strohhütte. Dann hörte die Zufuhr
aus der Umgegend auf, die Preise der Lebensrnittel wurden uner-
schwinglich, der Laib Brot wurde z. B. 1640 bei der schwedischen
Armee in der Nähe von Gotha mit einem Dukaten bezahlt.
Dann wurde der Aufenthalt im Feldlager auch für den abge-
härteten Soldaten unerträglich. Ueberall hohläugige, bleiche Gesichter
in jeder Hütten reihe Kranke und Sterbende, Gassen und Umgebung
des Lagers verpestet durch die verwesenden Leiber der gefallenen
Thiere. Dann war ringsum eine Wüste von unbebauten Aeckern
und geschwärzten Dorftrümmem, und das Lager selbst eine
grause Todten statt; der Tross des Heeres, Dirnen und Knaben,
verlor sich plötzlich in den Todtengruben, nur die grimmigsten
Hunde erhielten sich von ekler Nahrung, die andern wurden ge-
schlachtet und verzehrt. In solcher Zeit schmolzen die «Heere
dahin, und keine Kunst der harten Führer vermocht!' das Ver-
derben abzuwenden.
Das abenteuerliche Leben des Kriegsmanns, so sehr auf
leidenschaftlichen Genuss des Augenblicks gestellt, unsicher nicht
176
nur vor dem Feind, steigerte nicht nur die Lasterhaftigkeit der
Mehrzahl in das Ungeheuere, es entwickelte auch Eigenthüm-
liches und Seltsames in Unart, Sitten und Bräuchen.
Ein breiter Strom von Aberglauben fluthet durch die Seelen
der Völker von der Urzeit bis zur Gegenwart. Lange Zeit
wälzt er sich fast unbeachtet unter der dünnen Decke, welche
Bildung und Wissen über ihn legt, und nur leise tönt dem Ge-
bildeten fein Rauschen ins Ohr. Zuweilen erweitert die kranke
Laune einer Zeit einzelne Richtungen zu einem weiten trüben
Sumpfe, erstaunt sehen wir dann die entstellten Trümmer uralter
Kulturzustände obenauf schwimmen. Dann scheint wieder lebendig
und mächtig, was lange abgelebt und vergessen war. Auch das
Soldatenleben des dreissigjährigen Krieges hat eine Fülle von
eigenthümlichem Aberglauben lebendig gemacht, der zum Theil
noch heut dauert; es lohnt bei dieser charakteristischen Er-
scheinung zu verweilen.
Der Glaube, dass man den Leib gegen das Geschoss der
Feinde versessen, und wieder, dass man die eignen Waffen
durch Zauber jedem Feind tödtlich machen könne, ist älter als
das geschichtliche Leben der germanischen Völker. Aber schon
in den frühsten Zeiten hängt etwas Unheimliches an solcher Kunst,
sie wird leicht dem Gefeiten selbst zum Verhängniss. Die Un-
verwundbarkeit ist nicht unbedingt, und gegen den Zauber der
treffenden Waffe giebt es einen Gegenzauber, der stärker sein
mag. Schon Achill hatte eine Ferse, die nicht gefeit war; der
nordische Gott Baldur konnte durch keine Waffe verletzt werden,
aber der Mistelzweig, den ein Blinder bewegte, tödtete ihn, Sieg-
fried hatte eine offene Stelle zwischen den Schultern, dieselbe *
Stelle, welche auch den Soldaten des dreissigjährigen Krieges für
offen galt. In zahlreichen nordischen Sagen wird von Waffen-
zauber berichtet. Das Schwert, die edelste Waffe des Helden,
wurde gern als lebendes Wesen aufgefässt, als tödtende Schlange
oder vertilgender Brand; wenn es zersprang, so „starb“ es dem
nordischen Dichter; Schwerter, welche Zwerge geschmiedet hatten,
konnten nicht bezaubert werden, wohl aber war in ihnen ein
tödtender Zauber verborgen; so musste das Schwert llagens,
des Vaters von Hilde, eines Menschen Tod sein, wenn es aus
der Scheide gezogen wurde; in Griff und Klinge der Schwerter
wurden Zauberrunen geritzt. Und auch der Glaube blühte schon
in der nordischen Heidenzeit, dass die beste Waffe gegen hieb-
feste Kämpfer und Zauberer die Kolbe oder Holzkeule fei. Zu-
verlässig galten schon im deutschen Heidenthum solche Zauber-
mittel für finstere Nachthilfe, von Vermessenen eifrig begehrt,
von wackeren Kriegsmännern gemieden, eine verhängnisvolle
Gabe für die Helden der epischen Dichtung.
177
Den deutschen Christen wurde der Teufel die dunkle Macht,
welche solchen verderblichen Schutz gewährte. Aber daneben
fehlte auch die harmlosere Hoffnung nicht, dass es dem Gebet
zum Christengott und seinen Heiligen ebenfalls gelingen könne,
die Unverwundbarkeit zu liebern. Denn weit anders als jetzt
betrachtete man im Mittelalter die zu einer Formel verbundenen
Worte und ihre Zeichen, die Schrift. In der Rede lebte eine
geheime Kraft, durch welche der Mensch auf die Aussenwelt zu
wirken vermochte. Das Gefüge der Worte in der gesprochenen
Formel war nicht nur ein Schall, der von Mund zu Ohr drang,
es wohnte in ihm auch eine vielleicht furchtbare und unwider-
stehliche Wirkung. Schon weise Sprichworte, kluge Lebens-
regeln übten besonderen Einfluss auf das Leben dessen, der sie
gebrauchte; man konnte sie kaufen und wieder an andere ab-
geben. Auch Gott und seine Heiligen konnte man durch be-
stimmte Gebete veranlassen, zu erhören, ein Spruch war kräftiger,
als der andre. Solche Gebete und starke Sprüche fand das
Mittelalter flir zahllose Fälle, für viele Heilige; die Kirche war
nur zu geneigt, auch auf diese heidnische Auffassung der ger-
manischen Seele einzugehen. Ausser den grossen und allgemein
bekannten Gebeten und Beschwörungen gab es viele geheime,
die von Geistlichen und Laien in bestimmten Lebensverhältnissen
eifrig gesucht und gebraucht wurden. Es war also kein be-
fremdlicher Aberglaube, wenn die Kirche des Mittelalters ihre
Gebete und Segenssprüche gegen den Tod in der Schlacht gerade
so richtete, wie einst die deutsche Heidenzeit; und ganz in der
Empfindungsweise jener Zeit ist es, dass diesen Gebeten und
Segen auch von guten Cliristen sichere Wirkung zugeschrieben
wurde. Solcher Schlachtsegen sind uns mehrere erhalten, auch
solche, durch welche sich deutsche Kaiser fest zu machen glaubten.
Die Einführung der Feuerwaffen gab diesem Aberglauben
neues Ansehn und weite Ausbreitung. Blitz und Knall des Ge-
wehres und die fernhin treffende Kugel imponirten der Phantasie
um so mehr, je weniger die unvollkommene Waffe das Treffen
sicherte. Tückisch und unberechenbar war der Lauf des thätlichen
Geschosses, immer ungenügender wurden die Schutzwaffen, welche
die neue Methode der Kriegführung ohnedies lästig machte.
Zwar beschäftigt sich die Literatur der Reformationszeit nur
selten mit dieser Art von Zauber, sie wird erst um die Mitte
des Jahrhunderts redselig, wo es gilt, die Zustände des Volkes
zu schildern. In den Heeren aber war der Zauberglaube all-
gemein und verbreitet, fahrende Schüler und Zigeuner galten für
die eifrigsten Verkäufer seiner Geheimnisse, eine Generation der
Bandsknechte theilte ihn der nächsten mit, in Italien und den
Heeren Karls des Fünften mischten sich romanischer und deutscher
Roquette, Deutsches Lesebuch. II. 12
178
Aberglaube, und fast jede Technik der Kunst festzumachen, ist
aus der Zeit Fronspergs und Sehärtlins nachzuweisen.
Schon Luther, der die Gedanken feines Volkes besser kannte
als irgend ein anderer Zeitgenosse, stellt die Kunst, fest zu werden
und zu machen, in ihren Hauptzügen mehr als einmal dar; er
weiss von Solchen, welche die Waffen durch bestimmte Worte
und Zeichen beschwören, so dass sie an keinem Orte verletzt
werden können; er selbst sah einen Jüngling, der sich ein Schwert
auf die Brust setzte und so heftig gegen sich drückte, dass sich
das Heft bis zur Spitze herumbog und doch drang die Spitze
nicht in feine Haut. Andere aber konnten solche gesegnete
Waffen wieder des Segens entledigen durch einen Zirkel und
Zeichen, die sie in den Sand machten. „So nahm Einer dem
Andern die Kraft seines Messers.“ Andere hatten Briefe, worin
viel heilige Worte und Zeichen standen; wer sie bei sich trug,
konnte nicht getödtet werden. Bald war es ein Brief, den Papst
Leo dem Kaiser Karolus in den Krieg geschickt haben sollte,
bald das St. Johannisevangelium, oder sonst etwas. Manche be-
fahlen sich dem St. Georg, Andere dem St. Christophei, Andere
gar dem Teufel, auch solche kannte er, welche Ross und Reiter
zu segnen und zu bannen vermochten. Er hatte auch einen
Landsknecht gekannt, der durch den Teufel unüberwindlich ge-
macht, zuletzt doch erstochen wurde und vorher Tag und Stelle
seines Todes angab. Und Bernhard von Milo, Landvogt zu
Wittenberg, sandte Luthern schon einen geschriebenen Wund-
segen zur Begutachtung, es war ein langer zusammengerollter
Zettel mit wunderlichen Zeichen.
Aber die dunkeln Mächte, welche sich der Kriegsmann zu
Helfern warb, waren treulos. Sie schützten nicht gegen jedes.
Schon das war unbequem, dass sie nicht vor der Hand des
Scharfrichters bewahrten. Zimmermann berichtet mehrere Fälle,
wo die zu weit gehenden Hofthungen eines Gefrorenen und seiner
Anhänger auf der Richtstätte getäuscht wurden. Einzelne Theile
des Körpers, der Nacken und der Rücken zwischen den Schultern,
die Armhöhle, die Kniekehle galten für nicht hart oder fest.
Auch war der Leib nur gefeit gegen die gewöhnlichen Metalle,
Blei und Eisen. Den Gefrorenen tödtete die einfachste Bauern-
waffe, die Holzkeule, ferner Kugeln von edlem Metall, zumal
ererbtes Silber. So konnte ein österreichischer Gouverneur von
Greifswald, auf den die Schweden mehr als zwanzig Kugeln ab-
geschossen hatten, nur durch den geerbten silbernen Knopf, den
ein Soldat in der Tasche trug, erschossen werden. So ward eine
Hexe in Schleswig, die in einen Wehrwolf verwandelt war, durch
Erbsilber getödtet. Auch durch andere Mischungen beim Kugel-
giessen, sowie durch geheime Waffenweihe vermochte man den
179
Zauber zu öffnen. Schon in der Heidenzeit feite man die Waffen,
und von den alten Zaubermitteln mochten sich manche erhalten
haben. Es gab Nothschwerter und Nothbüchsen. Die Schärfe
des Stahls ward mit Roggenbrot, das in der Osternacht gesäuert
und gebacken war, kreuzweise überstrichen, auf Klingen und
Rohr wurden Zeichen geätzt; man verstand Kugeln zu giessen,
welche tödteten, ohne die Haut zu verletzen, andere, welche
Blut haben mussten, solche, welche jede Festigkeit öffneten, und
präparirte diese durch Beimischung von pulverisirten Weizen-
körnern , Spiessglanz, Donnerkeilen, durch Ablöschen in Giften.
Auch diese Künste galten für unnatürlich und gefährlich. Daneben
suchte man eifrig nach „natürlichen“ Kunststücken, welche ein
ehrlicher Kriegsmann mit Vortheil gebrauchen könnte. Man
glaubte durch Beimischung von gepulvertem Hundsbein Büchsen-
pulver zu verfertigen, welches keinen Knall gab. Man richtete
Pulver zu, womit man das Geschossene nicht beschädigte, aber
auf Stunden betäubte, anderes, das nicht anbrannte, auch wenn
man glühenden Stahl hineinsteckte. Durch Beimischung von Borax
und Quecksilber wusste man Sprengpulver zu schaffen, womit
man die Stücke des Feindes, die man beim Ausfall zu vernageln
nicht Zeit hatte, zersprengte. Man suchte das Geheimniss, einem
Menschen auch ohne Zauberei doppelte Stärke zu geben u. s. w.
Der unheimlichste Mann des Regiments war der finstere
Prosass; es war natürlich, dass vorzugsweise er für einen Wissen-
den galt. Schon 1618 wusste der Henker von Pilsen mit einem
Gehilfen alle Tage drei treffende Kugeln gegen das Mansfeldische
Lager zu schiessen; er wurde nach Eroberung der Stadt an
einem besondern Galgen gehenkt. Noch grössere Zauberkünste
verstand der Profoss der Hatzfeldischen Armee von 1638, er
Wurde, weil er gefroren war, von den Schweden mit einer Axt
erschlagen. Es lag sehr im Interesse dieser Gewaltigen, den Glauben
an ihre Unverwundbarkeit bei den rachelustigen Soldaten zu
erhalten.
Wir dürfen zu solchem Glauben auch das Bestreben rechnen,
aus dem Lauf der Gestirne den Ausgang der Kriegsaffairen und
das eigne Schicksal zu lesen. Die Prognoftica häuften sich
Während des Krieges, unermüdlich wurden aus Konstellationen,
ftternschnuppenfall, Kometen und atmosphärischen Erscheinungen
die Schrecken der nächsten Jahre prophezeit, und durch eine
grässlichere Wirklichkeit widerlegt. Die Nativitätftellerei war
allgemein. Auch das zweite Gesicht besassen einzelne Individuen,
de empfanden vorher, wenn die nächste Zukunft Verhängnis«
dringen werde. Als 1636 die sächsisch-kaiserliche Armee vor
Magdeburg lag, war ein kranker „Mathematikus“ im Lager, der
deinen Freunden vorher gesagt hatte, dass ihm der 26. Juni Ver-
12*
180
derben bringen werde. Er lag im geschlossenen Zelt, da ritt
ein Lieutenant heran, knüpfte die Zeltschnüre auf, drang ein, und
bat den Kranken, er möge ihm die Nativität stellen. Nach
langer Weigerung prophezeite ihm der Kranke, er werde noch
in dieser Stunde aufgehängt werden. Der Lieutenant, empört
darüber, dass einem Cavalier solches gesagt werden dürfe, zog
seinen Degen und erstach den Kranken. Es entstand ein Auf-
lauf, der Mörder schwang sich auf sein Pferd und wäre ent-
kommen; da wollte der Zufall, dass der Kurfürst von Sachsen
neben dem General Hatzfeld mit grossem Gefolge durch die
Lagergasse hereinritt. Der Kurfürst rief: Das wäre schlechte
Disciplin im kaiserlichen Lager, wenn auch ein Kranker im Bett
nicht vor Mördern seines Lebens sicher fein sollte. Der Lieutenant
wurde aufgeknüpft.
Aber der Krieger hatte nicht nur um die Gunst der
Schicksalsgötter, noch mehr um den Beifall seiner Kameraden zu
werben. Wer aufmerksam in jene Zeit hineinsieht, der verliert
zwar nicht das Grausen über die zahllosen und raffinirten Scheuß-
lichkeiten, welche verübt werden, aber er erkennt auch, dass
aus der tiefen Barbarei und Verwüstung der Seelen immer noch
einzelne mildere Tugenden aufleuchten und zuweilen eine gesunde
unzerstörbare Tüchtigkeit zu Tage kommt. Der Söldner fühlte,
kurze Zeit ausgenommen, keine Begeisterung für die Partei,
welcher er gerade diente, selbst der Glaube verlor in den wilden
Gemüthern viel von seiner Fähigkeit zu erwärmen. Aber den
Besseren blieb die eigene Soldatenehre und eine lebhafte Em-
pfindung für die Ehre der Fahne, der sie geschworen hatten,
jedem aber der Stolz, dass er als Krieger ein Herr der zer-
rütteten Welt fei, oft der einzige geistige Besitz, der ihn vom
Räuber und Mörder unterschied. Nicht selten wechselte der
Krieger feine Fahne, freiwillig oder gezwungen, aber auch im
letztem Fall war er dem neuen Kriegsherrn zuweilen treu und
zuverlässig. Die Achtung der Kameraden erwarb er nur, wenn
er ein ehrlicher Soldat und kein „Hundsfott“ war, schnell bildete
sich ein eigenthümlicher Codex der Soldatenehre aus, der eine
wenn auch sehr verkümmerte Sittlichkeit rettete. Von der guten
Laune, welche das Gefühl einer souveränen Herrschaft über Bürger
und Bauer gab, sind uns nur wenige Reste geblieben. Die zahl-
reichen Soldatenlieder, welche in den Lagern selbst entstanden,
sind bis auf dürftige Trümmer verklungen. Aber sprichwörtliche
Redensarten drücken oft genug dieselbe Stimmung aus, welche
fMhillers Reiterlied idealisirt: „Der scharfe Säbel ist mein Acker,
und Beutemachen ist mein Pflug.“ „Die Erde ist mein Bett, der
Himmel meine Decke, der Mantel mein Haus, der Wein mein
ewiges Leben.“ Sobald ein Soldat wird geboren, sind ihm drei
181
Bauern auserkoren. Der erste, der ihn ernährt, der andere, der
ihm ein schönes Weib bescheert, der dritte, der für ihn zur
Hölle fährt.
Dass die Sinnlichkeit in der Regel zügellos und ohne Scham
war, wird man voraussetzen, die Völlerei, das alte deutsche
Laster, beherrschte Officiere wie Gemeine. Das Tabakrauchen
und - Kauen oder wie man damals sagte: Tabaktrinken, - Essen
und - Schnupfen verbreitete sich schnell in allen Heeren, und
die Wachtstuben wurden dem Nichtraucher ein beschwerlicher
Aufenthalt. Dieser Brauch, im Anfang des Krieges durch die
Holländer und englische Hilfstruppen zu den deutschen Soldaten
gekommen, war am Ende des Krieges so gewöhnlich, dass in
jedem Bauerhaus eine Pfeife zu finden war, dass die Lehrjungen
und von zehn Tagelöhnern neun während der Arbeit rauchten.
Auch die deutsche Sprache verwilderte in den Heeren, bald
war es den Gemeinen modisch, italienische und französische
Wörter einzumischen, sogar die Ungarn, Kroaten und Czechen
bereicherten den Sprachschatz, sie liessen uns ausser ihrer „Kar-
batsche“ und Aehnlichem auch volltönende Flüche. Den frommen
Theologen waren die Soldatenflüche ein besonderer Greuel; so
oft ein Soldatenmund sich öffnete, flogen die „Potz“ und „Pieu“
— rücksichtsvolle Entstellungen des göttlichen Namens — un-
aufhaltsam heraus. —
Beute war der unsichere Gewinn, um den der Soldat fein
Leben einsetzte, auf sie zu hoffen, die traurige Poesie, welche
ihn in verzweifelter Lage standhaft erhielt. Der Sold war be-
scheiden, die Zahlung unsicher, die Beute verhiess Wein, Spiel,
eine schmucke Dirne, ein goldverbrämtes Kleid mit einem Feder-
busch, ein oder zwei Pferde, die Aussicht auf grössere Bedeutung
in der Compagnie und auf Avancement. Eitelkeit, Genusssucht
und Ehrgeiz entwickelten diese Sehnsucht zu einer gefährlichen
Krankheit der Heere. —
Mehl- als einmal wurde der Erfolg einer Schlacht dadurch
vernichtet, dass die Soldaten sich zu früh der Plünderung über-
liessen. Nicht selten gelang es Einzelnen, grosse Beute zu machen,
das Gewonnene wurde fast immer in wüster Schwelgerei verthan,
nach dem Soldatensprichwort: „Was mit Trommeln erobert wird,
geht mit Pfeifen verloren.“ Der Ruf solcher Glücksfälle ging
durch alle Heere. Zuweilen bekam den glücklichen Findern ihr
Gewinn schlecht. In der Armee des Tilly hatte ein gemeiner
Soldat nach der Eroberung von Magdeburg eine grosse Beute,
man sprach von dreissigtausend Dukaten, gewonnen und sogleich
wieder im Würfelspiel verloren. Tilly liess ihn henken, nachdem
er zu ihm gesagt: „Du hättest mit diesem Geld dein Lebtag wie
ein Herr leben können, da du dir aber selbst nicht zu nützen
182
verliehst, so kann ich nicht einsehen, was du meinem Kaiser
nützen sollst.“ Noch am Ende des Krieges hatte einer von
Königsmarks Truppe in der Kleinseite von Prag eine ähnliche
Summe erbeutet und auf einem Sitz wieder verspielt. Königs-
mark wollte ihn ebenfalls expediren, der Soldat rettete sich durch
die unerschrockene Antwort: „Es wäre unbillig, wenn Ew. Ex-
cellenz mich um dieses Verlustes willen aufhängen liessen, da ich
Hoffnung habe, in der Altstadt noch grössere Beute zu erhalten.“
Diese Antwort galt für ein gutes Omen. — Bei der bairischen
Armada wurde im Holtzischen Fussregiment ein Soldat durch
gleichen Glücksfall berühmt. Er war längere Zeit Musketier
gewesen, kurz vor dem Frieden war er zur Pike herunter-
gekommen und übel bekleidet, das Hemd hing ihm hinten und vorn
zu den zerrissenen Hofen heraus. Dieser Gesell hatte im Treffen
bei Herbsthausen ein Fass mit französischen Dublonen erbeutet,
so gross, dass er es kaum forttragen konnte. Darauf entfernte
er sich heimlich vom Regiment, ftaffirte sich wie ein Prinz heraus,
kaufte eine Kutsche und sechs schöne Pferde, hielt mehrere Kutscher,
Lakaien, Pagen und einen Kammerdiener in schöner Livree, und
nannte sich selbst mit düsterem Humor Oberst Lumpus. So reiste
er nach München und lebte dort herrlich in einer Herberge. Zu-
fällig kehrte General Holtz in derselben Herberge ein, hörte
durch den Wirth viel von Reichthum und Qualitäten des Obersten
Lumpus, und konnte sich doch nicht erinnern, jemals unter den
Cavalieren des römischen Reichs oder unter den Soldaten von
Fortun diesen Namen gehört zu haben. Deshalb trag er dem
Wirth auf, den Fremden zum Abendessen einzuladen. Oberst
Lumpus nahm die Einladung an, liess beim Confect in einer
Schüssel fünfhundert neue französische Pistolen und eine Kette
von hundert Ducaten Werth auftragen, und sagte dabei zum
General: „Mit diesem Tractament wollen Ew. Excellenz vorlieb
nehmen, und meiner dabei bestens gedenken.“ Der v. Holtz
sträubte sich ein wenig, aber der freigebige Oberst drängte mit
den Worten: „Bald wird die Zeit kommen, wo Ew. Excellenz
selbst erkennen werden, dass ich diese Verehrung zu thun ob-
ligirt war. Die Schenkung ist nicht übel angelegt, denn ich
hoffe alsdann von Ew. Excellenz eine Gnade zu erhalten, die
keinen Pfennig kosten soll.“ Darauf acceptirte der v. Holtz nach
damaliger Sitte Kette und Geld mit courtoisen Promessen, solches
vorkeimnendenfalls zu remeritiren. Der General reiste ab, der
falsche Oberst lebte fort; wenn er bei einer Wache vorüberfuhr,
trat die Soldateska ihm zu Ehren ins Gewehr, dann warf er
ihr ein Dutzend Thaler zu. Sechs Wochen darauf war fein Geld
zu Ende. Da verkaufte er Kutsche und Pferde, darauf Kleider
und Weisszeug und vertrank alles. Die Diener entliefe« ihm,
183
zuletzt hatte ei- nichts mehr als ein schlechtes Kleid, und keinen
Pfennig darin. Ua schenkte ihm der Wirth, der viel an ihm
gewonnen, fünfzig Thaler Reisegeld, der Oberst aber verweilte,
bis auch das verzehrt war; wieder gab ihm der Wirth zehn
Thaler als Zehrgeld; der beharrliche Schwelger aber antwortete,
wenn es Zehrgeld fein solle, wolle er es lieber bei ihm als bei
einem andern verzehren. Als auch das verthan war, opferte der
Wirth noch fünf Thaler und verbot seinem Gesinde, dem Ver-
schwender etwas dafür zu geben. Jetzt endlich quittirte er das
Wirthshaus und ging in das nächste, wo er auch die fünf Thaler
in Bier vertrank. Darauf trollte er nach Heilbronn zu seinem
Regiment. Dort wurde er sogleich in Eisen geschlossen und mit
dem Galgen bedroht, weil er auf so viele Wochen vom Regiment
entwichen war. Da liess er sich zu seinem General führen,
stellte sich ihm vor, und erinnerte ihn an den Abend in der
Herberge. Dem scharfen Verweis des Generals gab er die Ant-
wort: er hätte fein Lebtag nichts so sehr gewünscht, als zu wissen,
wie einem grossen Herrn zu Muthe sei, dazu habe er seineBeute benutzt.
ln den ungarischen Kriegen war Gesetz gewesen, die Beute
gemeinsam zu vertheilen, bald kam das ab. Doch fand der
glückliche Gewinner rathsam, den Officieren seiner Compagnie
einen Antheil zu gönnen. Dies gemeinsame Interesse am Ge-#
winn, so wie die Nothwendigkeit, sich durch Requisition in ent-
fernten Gegenden zu erhalten, entwickelte den Parteigängerdienst
zu grosser Vollkommenheit. Zunächst unter den Truppen, welche
gewöhnlich den Dienst der Streifcorps verrichteten, wie Holk und
Isolani bei den Kaiserlichen. Aber auch Einzelne versuchten bei
den Regimentern ihr Glück auf eigene Hand. So wurden die
„Freireutera, welche sich, ohne regelmässigen Dienst zu thun und
— wie es scheint — ohne Sold zu erhalten, in die Regimenter
gedrängt hatten, eine besonders arge Plage der Landschaften, und
selbst der erbarmungslose Bauer kam ihretwegen in „Gemüths-
Commotion“, er erklärte sie wiederholt für vogelfrei und befahl
sie von den Regimentern zu jagen und niederzustechen, wo es
auch sei. Ausserdem aber wählten auch die einzelnen Compagnie-
führer die gewandtesten Leute zu dem gewinnreichen Geschäft.
Das „Parteimachen“ — der Auszug zu einer geheimen Expedition
— musste in ungerader Zahl geschehen, wenn es Glück bringen
sollte. Solche Parteien schlichen sich tief in das Land hinein,
das Haus eines reichen Mannes zu plündern, eine kleine Stadt
zu überfallen, Waaren- oder Geldtransporte aufzufangen, Vieh
und Lebensrnittel heranzuführen. Mit feindlichen Besatzungen in
der Nähe ward zuweilen ein Abkommen getroffen, was im ge-
meinsamen Hereich zu schonen sei. Jede Art von List ward bei
solchen Zügen geübt, man wusste den Knall des schweren Ge-
184
schützes hervorzubringen, indem man Handgewehre mit doppelter
Ladung durch eine leere Tonne schoss, man benutzte Schuhe
mit verkehrten Sohlen, liess den Pferden die Hufeisen verkehrt
anschlagen, den gestohlenen Kühen wurden Schuhe übergezogen,
den Schweinen im Futter ein Schwamm eingegeben, an welchem
ein Bindfaden befestigt war. Die Soldaten verkleideten lieh in
Bauern, in Frauen, und bezahlten unter den Bürgern und Land-
leuten der Umgegend Spione. Ihre Boten liefen mit Kundschafter-
zetteln, die in der Lagersprache „Feldtauben“ hiessen, hin und
her, sie trugen ihre Briefe als Kügelchen zusammengerollt im
Ohr, banden sie in das Haar zottiger Hunde, drückten sie in eine
Erdscholle oder nähten sie mit grüner Seide zwischen die Blätter
eines Eichenzweigs, um sie in der Noth ohne Verdacht wegzu-
werfen. Die Zettel waren in Rothwälfch oder Kauderwälsch ge-
schrieben , mit fremden Lettern, wenn verlaufene Studenten bei
der Compagnie waren, vielleicht gar französisch mit griechischen
Buchstaben; man übte sich zu solchem Zweck in einfacher Ge-
heimschrift, indem man die Buchstaben der Wörter verstellte,
oder verabredete, dass in jedem Worte nur der mittlere Buch-
stabe gelten sollte, u. s. w. Leicht war der Uebergang von
solchem Parteigängerdienst zum unehrenhaften Lungern des Maro-
deurs und Freibeuters. In der ersten Hälfte des Krieges war
ein neugeworbenes Regiment des Grafen Merode durch angestrengte
Märsche und schlechte Verpflegung so heruntergekommen, dass
es kaum seine Fahnenwache besetzen konnte, es löste sich auf
dem Marsche fast ganz in Nachzügler auf, die an den Zäunen
und Hecken lagen, mit defecten Waffen und ohne Ordnung um
die Armee herumschlichen. Seit der Zeit wurden die Nachzügler,
welche der Soldatenwitz vorher Sausänger und Immenschneider
(Drohnen) genannt hatte, als „Merodebrüder“ bezeichnet. Nach
verlorenen Schlachten, bei schlechter Verpflegung wuchs ihre Zahl
ins Ungeheure. Leicht verwundete Reiter, die ihre Pferde ver-
loren hatten, gesellten sich zu ihnen und es war der damaligen
Kriegszucht unmöglich, sie zu bannen. Sie stahlen Soldatenpferde
von der Weide und aus den Quartieren, minirten bei Nacht die
Zelte und zwackten hervor, was sich greifen liess, sie lauerten
an Engpässen auf die Felleisen, welche die letzten Weiber des
Trosses auf Pferden und Wagen mit sich führten.
Die Zuchtlosesten verliessen dann wohl ganz den Pfad ihres
Heeres, lebten als Schnapphähne, Heckenbrüder, Waldfischer auf
eigne Faust, bald im Kampfe, bald im Bunde mit verwilderten
Landleuten, welche ein ähnliches Gewerbe trieben. Leicht war
der Verkauf des gestohlenen Gutes, die jüdischen Hehler und
Käufer frugen nur, was die Waare gewesen sei, ob kaiserlich,
ob schwedisch, ob hessisch, um beim Verkauf Äen frühern Eigen-
185
thümer zu meiden. Vergeblich waren nach dem Ende des Krieges
die Bemühungen der Landesherren, die grossen Räuberbanden zu
vernichten, sie haben in einer gewissen Kontinuität bis zum An-
fang dieses Jahrhunderts gedauert.
So sah die Kriegsfurie aus, welche durch dreissig Jahre in
Deutschland tobte. Ein Menschenalter voll Blut, Mord und Brand,
radicale Vernichtung der beweglichen Habe, Zerstörung der un-
beweglichen, geistiges und materielles Verderben der Nation.
Die Feldherren schrieben unerschwingliche Contributionen aus
und bargen einen Theil davon in ihrer Tasche, der Oberst und
Hauptmann brandschatzten die Städte und Dörfer, in denen feine
Truppen lagerten: erbarmungslos ward das Unerschwingliche zu-
gemuthet, dann begann ein Handeln und Feilschen, aus der einen
Seite wilde Drohungen, auf der andern demüthige Bitten, im
besten Fall ward zuletzt ein Abkommen getroffen und durch
grosse Geschenke an die Oberofficiere besiegelt; und selten ward
das Abkommen gehalten, oft in der rohesten Weife gebrochen.
Die Fürsten schickten ihr Silbergeschirr und die Pferde ihres
Marstalls als Geschenke an die Generale, die Städte Geldsummen
und Fässer Wein an die Hauptleute, die Dörfer Reitpferde und
goldene Tressen an Cornet und Wachtmeister, so lange von
solchen Bestechungsmitteln noch etwas vorhanden war. Lagerte
das Heer in einer Landschaft, so suchten sich angesehene Guts-
besitzer, Stifter und Dörfer durch eine salva guardia zu schützen.
Sie wurde theuer bezahlt, musste gut behandelt und ernährt
werden, und übte doch arge Ungebühr. Lag ein Ort zwischen
zwei Heeren, so musste er von beiden Parteien die salva guardia
erbitten, dann lebten wohl die Feinde auf Kosten ihrer Wirthe
im Gart eil und friedlichen Einvernehmen. Aber nur selten waren
Einzelne oder Ortschaften so glücklich, diesen ungenügenden Schutz
zu bewahren; denn das Heer musste leben. Schnell wurden die
Pressuren zu einem System ausgebildet, die Plünderung, Zerstörung
und Quälerei zu einem teufelischen Raffinement. Wenn der
Soldatentrupp im Dorf oder der Landstadt einrückte, sprangen
die Soldaten wie Teufel in die einzelnen Häuser, die grösste
Düngerstätte lockte am meisten, denn dort war der grösste Wohl-
stand zu erwarten. Die Qualen, welche den Einwohnern zuge-
fügt wurden, hatten meist den Zweck, das versteckte Gut aus
ihnen herauszulocken, auch sie wurden durch besondere Namen
unterschieden, so der schwedische Tunk, das Rädeln. Die Plün-
derer schraubten die Steine von den Pistolen, zwängten an ihre
Stelle den Daumen der Bauern, sie rieben die Fusssohlen mit
Salz und liessen sie von Ziegen ablecken, sie banden die Hände
auf den Rücken, zogen mit durchlöcherter Ahle ein Rosshaar
durch die Zunge und bewegten dies leise auf und ab! sie banden
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ein Seil mit Knöpfen um die Stirn und drehten es hinten mit
einem Knebel zusammen, sie schnürten zwei Finger an einander
und fuhren mit einem Ladeftock auf und ab, bis Haut und Fleisch
auf den Knochen verbrannten, sie drängten ihre Opfer in den
Backofen und zündeten Stroh hinter ihnen an, dann mussten die
Gequälten durch die Flamme kriechen. Heberall fand sich Ge-
sindel, das sich zu ihnen schlug und die eigenen Nachbarn ver-
rieth. Und das waren die abscheulichsten Qualen noch nicht.
Was sie den Frauen und Mädchen, Greisinnen und Kindern zu-
fügten, bleibe verschwiegen. Es gab für ein Weib in offenen
Städten und auf dem Lande damals keine Kettung, als die zweifel-
hafte einer schnellen Flucht in eine unsichere Ferne. Die sich
nicht vorher retten konnten, und nur wenige vermochten das,
verfielen dem Kriege. —
So hausten die Heere im Volke, jedes Bett entehrend, jedes
Haus beraubend, jede Flur verwüstend, bis der allgemeine Ruin
ihnen selbst Verderben brachte. Und dies dreissigjährige Ver-
derben vollendete sich in einer gewissen Steigerung. Die Jahre
1635—1641 sind es, welche die letzte Kraft der Nation ver-
nichten*, von da bis zum Frieden liegt eine tödtliche Ermattung
auf dem Lande; sie theilt sich den Heeren mit, und gern möchte
man erkennen, dass bitteres eigenes Elend auch bei den Soldaten
einige Rücksicht auf die Existenz der Bürger und Bauern hervor-
gerufen habe. Wenigstens kam in die Raubsucht mehr Methode.
Die gewandtesten Räuber wurden die Oberbefehlshaber. Als
der schwedische General Wrangel die erste Nachricht von dem
geschlossenen Frieden erhielt, trieb der Wilde den Eilboten mit
Scheltworten von sich, warf seinen Generalshut grimmig auf deif
Boden und trat ihn mit Füssen; er war noch nicht reich genug;
und Graf Königsmark, einst ein armer deutscher Edelknabe, einer
der ärgsten Raubvögel, welche durch Deutschland flogen, führte
so viele Wagenladungen von Gold und Kostbarkeiten nach Schweden,
dass er seiner Familie ein jährliches Einkommen von 130,000
Thalern hinterliess, eine Rente, die im Verhältniss der Preise
350,000 Thalern unsers Geldes entspricht. Selbst da der Krieg
beendet war, wurde noch einmal das übriggebliebene Volk bis
zur Verzweiflung angestrengt, die Unterhaltungskosten und Friedens-
gelder für die stillstehenden Truppen zu zahlen. Dann zerrannen
die Heere unter der Bevölkerung. —
24. Astura.
(F. Gregorovius, Wanderjahre in Italien.)
Am 28. Juni machten wir uns auf, der Maler und ich,
längs dieser Küste drei kleine Wegstunden nach Astura zu gehen.
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Es war ein Morgen von kry stallreiner Aetherfrische; die rosen-
fingerige Eos blühte eben über dem Meer auf und verklärte jenes
homerische Cap der Circe vor uns, dessen Anblick über diese
Ufer einen classischen Hauch ergiefst. In Nettuno kauften wir
uns Brot und Wein, und so wanderten wir von dannen. Auf
einem alten Baumstumpf neben einem grossen Kohlenhaufen hiel-
ten wir unser Frühbrot; es schmeckte uns so gut, wie es nur
dem wandernden Ulyss schmecken konnte, als jene Circe ihm
das wohlbereitete Mahl in ihrem Palast aufgetragen. Wie ist es
doch herrlich, sich an einem Trunk Wein zu erlaben, in solcher
seligen Frühe, im Anblick dieser homerischen Ufer und hin-
gelagert an dem endlos blauenden Meer, welches sich weiter und
weiter in Licht und Kosenduft aufzulösen scheint.
Und bis so weit war Alles Herrlichkeit in und um uns.
Nun aber hob ein ¡Sorgen an, denn wir waren in die Region
gekommen, wo der Buschwald nahe an’s Meer tritt. Wir fürch-
teten nicht die Räuber, wohl aber die Büffel- und Rinderheerden,
welche hier in wildem Zustande, nicht einmal von Hirten ge-
hütet, umherschweifen. Alles Küstenland bis Terracina ist mit
zahllosen Heerden bedeckt, mit hoch und prächtig gehörnten
Ochsen, Kühen und Stieren von derselben classischen Gestalt,,
wie man sie lebend auf der Campagna von Rom sieht, und in
den Opferscenen am Fries des Parthenon dargestellt findet. Ihre
Hörner sind fast drei Fuss lang, weit auseinander stehend, in den
kühnsten Linien geschweift, dick, klar und schön gefärbt. Man lieht
solche Hörner fast in jedem Haufe im Süden als Amulete gegen den
Malocchio, den bösen Blick, und ihre Abbilder im Kleinen trägt
der Principe an der Uhrkette, das Fischerkind an der Halskette.
Die Ochsen sind scheu und wild und höchst gefährlich, nur der
Hirt auf seinem Pferde weiss sie mit der Lanze zu schrecken. Aber
noch weit gefährlicher sind die Büffel. Sie leben hier in Gehe-
gen oder laufen wild umher; gern wälzen sie sich in Morästen wie
das Schwein. Sie schwimmen mit grosser Leichtigkeit. Wenn man
die pontinischen Sümpfe oder die Niederung von Pästum durch-
reist, so kann man diese schwarzen Ungeheuer rudelweise im Moor
liegen sehen, woraus sie oft nur die plumpen Köpfe wildäugig,
schnaufend und dämonisch hervorstrecken. Der Büffel hält den
Kopf stets zur Erde und blickt tückisch von unten auf. Er ge-
braucht sein Horn nicht, weil dies wie beim Widder rückwärts ge-
krümmt ist. Aber mit der ehernen Stirn ftösst er den Menschen
um, welchen er verfolgt und erreicht, dann senkt er seine plumpen
Knie auf seinen Leib und zerstampft ihm die Brust, so lange er
noch einen Odemzug darin verspürt. Das fürchterliche Thier bän-
digt der Hirt mit dem Speer. Er zieht ihm den Ring durch die
Nase, und so wird es vor den Karren gespannt, die schwersten
188
Lasten, Steinblöcke und Stämme fortzuschleppen. Die Büffelkuh
giebt aus ihrer Milch die Provatura, den Büffelkäse, welcher schwer
verdaulich ist. Das Büffelfleisch ist hart, und weil es verachtet wird,
kaufen es die armen Juden im Ghetto zu Rom, deren allgemeine
Fleischspeise es ist. Büffelheerden bevölkern die pontinisehen Sümpfe,
jene trostlosen und fieberfeuchten Reviere von Oisterna, Conca
und Campo morto, wo selbst der Mörder nicht gefahndet wird,
wenn er sich dort hinüber rettet; die Menschen aber, welche
jene Büffelheerden beaufsichtigen, fieberhaft und elend, leben
selbst im Zustande der Verwilderung, den Indianern ähnlich.
Vor solchen Begebnissen hatten wir nicht geringe Angst,
und kaum waren wir in jene Region des Buschwaldes gekommen,
als wir das ganze Ufer von Heerden wimmeln sahen. Allein sich
überlassen, haben sie hier ihre althergebrachten Pfade, wie die
Regel ihrer Stunden. Mit dem Morgen kommen sie aus dem
Buschwäld ans Meer, um das Salzwasser zu saufen, dann strecken
sie sich am Strande hin oder weiden an der Küste. Sie bleiben
dort die heisse Tageszeit über, und wenn die Nachmittagskühle
zu wehen beginnt, erheben sie sich vom Sande und wandeln
langsam grasend die Küste hinauf und ziehen sich weiter ins Ge-
büsch, bis sie im tiefen Wald zur Nachtzeit sich niederlegen, um
dann morgens wieder zur Küste hinabzusteigen.
So standen wir zweifelnd bei diesem Anblick der wimmeln-
den Küste still. Wie sollten wir hindurchkommen, da zahllose
Rinder sie bedeckten, uns den Weg abschnitten, und da viele
schon in den Wellen standen, um die Fluth zu schlürfen. Wenn
wir nun auf dem Strand fortgingen, so durchschnitten wir
offenbar ihre Richtung, weil sie doch den Zug meerwärts nahmen,
und irgend ein wüthender Stier schleuderte uns vielleicht nach
dem Gap der Circe hinüber. Wir überlegten daher, ob es nicht
besser fei, uns in den Buschwald zu schlagen, und „dieser Hath
schien den Zweifelnden endlich der beste“.
Immer stiegen neue Schaaren herab und andere liessen sich
im Walde vernehmen, wo sie aus dem Myrthendickicht hervor-
brachen. Ein paar herrliche Stiere sahen uns, hoben die schim-
mernden Stirnen auf, stutzten; wir wandten uns stillschweigend
seitwärts nach dem Busch und im Augenblick waren wir darin.
Schwerlich kann sich die Phantasie einen Buschwald denken, der
sich zum Räuberleben besser eignete als dieser Wald von Astura.
Hier sind es noch nicht hochstämmige Eichen, die ihn bilden,
sondern dichtestes Gestrüpp von Korkholz, Oleaster, Mastix, Ar-
butus, Schwarzdornen und Myrthen. Die Gebüsche sind von den
Schlingpflanzen dicht verfilzt oder von dem herrlichsten Epheu
so übersponnen, dass sie hohe Kuppeln nebeneinander bilden,
gleich grünen Waldmoscheen, undurchdringlich für die Sonne oder
I
— 189 —
den Kegen. Wir fanden Myrthengebüsche von Baumeshöhe,
bliithenbedeckt und duftig, und rings flog und wehte im Geruch
der Wildniss, welcher wohlig alle Sinne durchdrang. Der Boden
ist wellenförmig gebügelt, von Quellen durchrieselt, oder von
Sümpfen durchzogen. Das Stachelschwein, die Schildkröte und
die Schlangen wohnen hier. Oft iahen wir die zerrauften
Flügel und Federn eines wilden Huhns am Boden hingeitreut,
Reste eines Adlermahls, deren Anblick die düstere Poesie dieses
Ufers noch erhöhte.
Wir vermieden glücklich die Heerden, und so oft ein Nach-
zügler herabftieg, hielten wir uns still im Busch, bis er vorüber
war, und nachdem wir kreuz und quer über Quellen und Gräben
und Hecken gestiegen waren, gelangten wir endlich wieder ans
Ufer, sahen den Strand frei und ruhten behaglich an einem Ge-
mäuer am Meer, von dem eine Verzäunung quer über den Strand
gezogen war, die Abtheilung einer Heerde zu bezeichnen. Auch
dies Gemäuer gehörte zu einem alten römischen Palast, wie uns
ein Stück Mosaik deutlich überzeugte.
Wir hatten nun Astura eine Stunde weit vor uns, und in-
dem wir auf dem traurigen Strande den melancholisch rauschen-
den Wellen entlang gingen, überschlich mich selbst eine Traurig-
keit, wie sie die menschliche Seele an Gräbern grosser Vergangen-
heit zu rühren pflegt. Es ist nicht die Erinnerung an das tra-
gische Ende des jungen Konradin und des Hohenstaufengeschlechts
allein, welche diesen Ufern ihre wehmüthige Seele giebt und die
das deutsche Gemüth mehr als ein anderes ergreifen muss; es
ist auch der Charakter der Gegend selbst. Ich wünschte ihn so
ganz ausdrücken zu können, wie es mein Gefährte in seiner
Zeichnung vermochte, und es ist mein Wunsch, dass er die
Blätter, die er hier entwarf, bald veröffentlichte. Ueberhaupt
sollte irgend ein artistisches Institut Deutschlands ein Hohenstaufen-
Album herausgeben. Landhinein schliesst hier die Gegend der
wilde Sumpfwald, über welchem die Volskergebirge aufsteigen und
in ernsten Formen sich zum Meere nieder senken; seitwärts erhebt
sich inselartig das flimmernde blaue Cap der Circe; im Mittel-
grunde zieht der todtenstille, schneeweise Strand hin und endet
in einer ins Meer lausenden Düne. Auf ihr trauert hin verloren
eine kleine Kapelle, und wenige Schritte weiter steht mitten in
der Fluth das Schloss Astura, ein kleines Viereck von crenelirten
Mauern, aus dessen Mitte ein Thurm ragt. Kapelle und Schloss
sind die einzigen Gebäude, die man in dieser weiten, grenzen-
losen Einsamkeit erblickt. Weit und breit sahen wir keine an-
dere lebende Seele als ein paar dunkle Gestalten auf den Zinnen
der Burg, und zwei graue Fischer fassen am Gemäuer schweigend
und wie verzaubert in der glimmernden Sonnenwärme und flochten
I
190
still vor sich hin ein Trugnetz von Binsen, den Fisch zu umgarnen,
während ihre Barke auf den smaragdenen Wellen schaukelte.
Es war in den letzten Tagen des August 1268, nach der
verlorenen Schlacht von Tagliacozzo, als über diesen Strand ge-
sprengt kamen fliehend und angstvoll der junge Konradin, Fried-
rich, Prinz von Oesterreich, der Graf Galvan Lancia mit seinen
Söhnen und die beiden Grafen Deila Gherardesca, Verwandte
des unglücklichen Ugolino von Pisa, welchen Dante unsterblich
gemacht hat. Sie waren von Rom gekommen, denn so erzählt
der Chronist Saba Malafpina, dass sie nach der Schlacht in
jene Stadt geflüchtet waren, wo Guido von Montefeltro als Vicar
des Senators Heinrich von Castilien zurückgeblieben war. Kon-
radin war dort eingezogen „mit abgelegtem Pomp der Macht, nicht
wie ein Oberhaupt, sondern wie Einer, der seine Beute im Stiche
gelassen und entflohen, heimlich, verstörten Sinnes“ (latenter in-
greditur mente captus). Aber zugleich waren feine Feinde Jo-
hann und Pandolf Savelli und Berthold und viele Gneisen vom
Schlachtfeld her nach Rom gekommen und wiegelten die Stadt
auf; da riethen dem Jüngling feine Freunde, schnell zu entfliehen.
Sie flohen gegen das Meer, um von dort Pisa zu erreichen und
dann nach Sicilien zu gelangen. Sie suchten ein Schiff, das sie
fortbrächte; die Leute im Schloss Astura gaben es ihnen, und
also stachen sie in See. Aber Johannes Frangipani, der Herr
von Astura, erhielt davon Kunde, und indem er aus den Klein-
odien, welche Konradin hergegeben hatte, erkannte, dass die
Flüchtlinge vornehme Herren fein mussten, bemannte er sogleich
ein anderes Schiff, setzte ihnen nach und führte sie in das Schloss
zurück. Vergebens beschwor ihn Konradin, ihn und die Seinigen
durch die Flucht zu retten, sie nicht in die Hände des blut-
gierigen Karl zu liefern; er mahnte ihn an die Dankbarkeit, die
er dem Schwabenhause schulde, denn die Frangipani hatten vom
Kaiser Friedrich grosse Lehen und Johann selbst den Ritterschlag
erhalten. Konradin versprach ihm den reichsten Lohn; es heisst,
er verpflichtete sich sogar, Frangipani’s Tochter feine Hand zu
geben. Der Herr von Astura schwankte, vielleicht gerührt von
der Jugend, von der Anmuth und dem Unglück Konradins,
hauptsächlich aber, wie es auch die Chronisten sagen, ungewiss,
wo er grossem Gewinn zu ziehen habe, von Konradin oder von
Karl von Anjou. Während sie so im Schloss hin und her unter-
handelten, erschien Robert von Lavena, Capitän der Galeeren Karls,
vor dem Castell und forderte Frangipani auf, ihm die Flüchtlinge
auszuliefern. Man liest bei Saba Malafpina, Frangipani habe
die Unglücklichen in ein anderes Castell in der Nähe hinüber-
gebracht, um nicht wider seinen Willen und ohne Ausbedingung
des Lohns von Robert zur Ueberlieferung Konradins gezwungen
— 191 —
zu werden. Aber dies Castell, wohl ein noch festerer Thurm
von Astura selbst, wird nicht benannt. Bald darauf erschien
auch von der Landseite her der Cardinal .Jordan von Terracina,
Rector der campanischen Grafschaft für den Heiligen Stuhl, mit
Volk zu Fuss und zu Ross vor Astura und forderte die Aus-
lieferung. Da gab der feige Verräther die edeln Herren, welche
das Gastrecht bei ihm angesprochen, um schnöden Judaslohn in
die Hände der grausamen Feinde. Man führte sie durch den
Wald in die Gebirge von Pal estriña und von dort weiter durch
die schönen Gefilde, welche Konradin kurz vorher siegreich durch-
zogen hatte, nach Neapel. Schon am 29. October fielen die
Edeln alle auf dem Schaffet, Konradin zuerst, dann Friedrich, die
tapfern Grafen della Gherardesca, der hochherzige Galvan Lancia,
der Bruder jener schönen Bianca, welche den grossen Friedrich
Manfred geboren hatte, und feine beiden jungen Söhne Galeotto
und Gherardo, die man in des Vaters Armen zuvor erwürgte.
Am Thurm Astura und auf den einsamen Ufer kamen mir
nun wieder alle jene fernen Stätten, welche die Geschichte der
Hohenstaufen geheiligt hat, und die ich, Italien durchwandernd,
besuchte, in die Erinnerung. Da trat auch vor mich die schöne,
blondgelockte Gestalt Manfreds vom Feld von Benevent, wie
sie Dante sah, mit doppelter Wunde auf Stirn und Brust und
traurig klagend: „Jo son' Manfred!, Ñipóte di Constanza impe-
radrice!“ Ich liess erinnerungsvoll die Blicke Uber das Meer
schweifen, dorthin, wo das schöne Sicilien liegt, und wo unter
immer blühenden Gärten am seligsten Gestade der Welt jenes
Schloss von Palermo steht, in dem einst Friedrich als Jüngling
gelebt und gesungen und die italienische Poesie erweckt hatte;
nach erinnernd stand ich noch ein Mal im schönen Dom Palermo’s,
in jener dämmerdunkeln Kapelle, wo in blutigrothen Porphyr-
sarkophagen Heinrich VI. und Friedrich und die beiden Con-
stanzen schlafen, die Kronen auf dem Haupt und angethan mit
der seidenen Dalmática, deren Saum saracenische Inschriften
verzieren.
Wir gingen ins Schloss. Eine gemauerte Brücke verbindet
es mit dem Land, und eine Zugbrücke führt in das Innere.
Aus dem kleinen Hof erhebt sich der achteckige Thurm, und
oben läuft um ihn her eine Terrasse, auf welcher eine einzige
verrostete Kanone stand. Die Besatzung, acht Mann Artillerie,
exercierte eben im Hofraum, und Don Pasquale, Lieutnant von
Astura, sah von der Terrasse nieder wie Einer, der gern irgend-
wo anders, nur nicht hier fein möchte. Er führte uns in fein
kleines und ärmliches Thurmgemach; er selbst 'malt gut und
getröstet sich seiner schauervollen Einsamkeit mit Zeichnen von
pompejanischen Arabesken. Der Lieutnant sagte uns, dass jeder
I
192
dieser Küstenthürme acht Mann Besatzung habe mit einem
Marschall oder Officier, und dass die Küstenwacht, aus Furcht
vor Mazzinistischen Handstreichen, nun strenger gehandhabt
werde.
Wir besahen die kleinen Räume des Schlosses, traurige
Thurmzimmer, an deren Wänden die Spinne ihre Netze webt
und in deren Ritzen der giftige Scorpion sich eingegraben hat;
aber die Aussicht nach allen Fernen in die grüne Wüste land-
hinein und in die schimmernde Meeresweite, über welche die
beschwingten Schiffe gleiten, ist wundersam, ja ich möchte sagen,
sie ist berauschend. Es ist ein Thurm ftir einen Barden, hier
die Harfe zu schlagen und mit einem Schwanenliede zu sterben,
wenn die niedersinkende Sonne das Cap Circeion ganz in Rur-
pur malt. Dann, in dieser sirenischen Stille, wandelt es über
das Meer, ein Schein, nicht in Worte zu fassen, im Geist der
Lebensveribhnung, ohne Namen; es ist, wie wenn Thanatos und
die Höre Eirene mit irisfarbigen Flügeln über See schweben,
und jenes eilende Schiff, das ums Cap der Circe meisterhaft zu
kreisen scheint, dünkt wohl das Schiff des mohnbekränzten
Oneiros, der daher segelt und Schlaf und Ruhe über die Wellen
streut.
In sanften Hebergängen wechselt hier die Stimmung. Wenn
jenes Cap der Circe fort und fort an die homerischen Sagen er-
innert und mit odysseifchen Gestalten bezaubert, erhebt auch der
einsame Thurm von Astura feine Stimme, und redet von ebenso
grossen und weit tiefsinnigern Sagen aus der Hohenstaufenzeit.
Was verknüpft er nicht mit dem Namen der Hohenstaufen und
Karls von Anjou aus der Provence! Ehe man es gewahr wurde,
ist man schon tief in den „Parzival“ von Wolfram von Eschen-
bach versenkt, und Konradin wird zum Parzival, der in die
Welt hineinreitet, die heilige Blutschale vom Graal zu finden,
Elisabeth von Baiern aber wird zur Herzeleide, zu seiner Mutter,
die ihn nicht will ziehen lassen, und so kommen auf und ab
Gottfried von Anjou, der Ritter Gawein und Feirefiz, Arthur
und Titurel, das Graalschloss im wilden Walde, die Sara-
cenen, Harfner, Bttsser, Pilger und tiefsinnige Weife des Morgen-
landes.
Astura ist die Warte der Romantik, der deutsche Poeten-
thurm in Italien. Es gehört den Romantikern wie die blaue
Grotte von Capri. In der Stille habe ich von ihm in ihrem
Namen Besitz genommen und dies Sagenschloss für deutsches
Nationaleigenthum erklärt.
Aus der Zeit der Frangipani ist nur der Thurm allein,
alles übrige Gemäuer spätern Ursprungs, denn schon im Jahre
1286 kamen die Sicilianer, welche den Fall Konradin's durch
198
die Vesper an dem Wütherich Karl so blutig gerächt hatten,
unter ihrem Flottenhauptmann Bernardo da Sarriano vor das
Schloss, zerstörten es bis auf den Thurm, und erstachen auch den
Sohn Frangipani’s. Heute sieht man an der Aussenmauer das
Wappen der Colonna, denn diese mächtigen römischen Herren,
Ghibellinen, besassen einst das Schloss. Nach den Frangipani
War es Lehen der Gaëtani geworden, dann hatten es nacheinander
besessen die Malabranca, die Orsini, die Colonna, welche es im
Jahr 1594 an Clemens VIII. verkauften. Heute ist Astura ein
Feudum der Borghese.
Aber auch ältere historische Erinnerungen knüpften sich an
dies Astura. Schon vor der Schlossbrücke war mir ein Marmor-
mosaikboden aufgefallen, welchen der Ufersand nur leicht bedeckt,
und bald sah ich auch, dass das Castell mitten in den Wellen
auf den Fundamenten eines grossen römischen Palastes stand,
welche noch von allen Seiten und um Vieles umfangreicher als
das Schloss unter der Fluth heraufspiegelten oder frei hervor-
ragten. Auf einer Sandbank war er aufgebaut; vielleicht nennt
deshalb Plinius Astura, die Colonie von Anthun, eine Insel, denn
so bezeichnet er den alten Ort als Fluss und Insel. Strabo
nennt den kleinen Fluss Storas (¿Voçag nozaixôç) ; Plutarch den
Ort Astyra {zà "Aoivqd), und er ist es, der von einer andern
tragischen Flucht erzählt, die hier ihre Scene hatte, von der
Flucht des Cicero selbst. Fürwahr, es sollten meine Leser nicht
Wenig erstaunen, wieviel andre dunkle Erinnerungen dies ein-
same Astura verbirgt, und wie es schon lange vor Konradin ein
verhängnissvoller, den Eumoniden geweihter Ort gewesen ist.
Cicero besass hier eine Villa. Er nennt sie oft in seinen
Briefen und schreibt einmal von Astura aus an Atticus : „Est
hic locus amoenus et in mari ipso, qui et Antio et Circaeis
aspici possit.w (Es ist hier ein angenehmer Ort und im Meere
selbst, den man von Anti um und Circëi erblicken kann.) Er
Wohnte gern in diesem Landhaus, das ihm mehr als jede andere
seiner köstlichen Besitzungen Einsamkeit und Musse gab. Kurz
vor seinem Ende hielt er sich hier auf, ja Astura selbst brachte
ihm das Verderben. Als er im Frühling vernahm, dass er auf
die Proscriptionsliste gesetzt sei, flüchtete er nach Astura; Plutarch
erzählt, er habe hier ein Schiff bestiegen, um nach Macédonien
zum Brutus sich zu retten. Aber er schwankte in seinem Ent-
schluss, er kehrte wieder um. Indem er nun nach Rom wollte,
Octavians Herz zu erweichen, verliess er Astura in der Richtung
auf die Stadt, doch nach zwölf Millien Wegs kehrte er plötzlich,
von Furcht bewegt, wieder um. Nun liess er sich in einer
Sänfte gegen Gaëta tragen; unterwegs aber ereilten ihn an der
Roquette, Deutsches Lesebuch. II. 13
I
194
Stelle, die man noch heute bezeichnen will, die nachfolgenden
Reiter und gaben ihm den Tod.
Wunderbar! Derselbe Octavian holte sich nach Sueton’s
Angabe in demselben Astura den Todeskeim. Er kam hierher
vor seinem Ende und auf feiner letzten Reise nach Campanien.
„Und nachdem er seine Reife begonnen hatte, gelangte er nach
Astura, und wie er von hier wider seine Gewohnheit zur
Nachtzeit ausfuhr, den günstigen Wind zu benutzen, zog er sich
den Grund seiner Krankheit zu aus einer Dysenterie.“ Er
starb bald darauf in Nola, nachdem er kurz vorher in Capri
gewesen war.
Aber hier endet der dämonische Einfluss von Astura noch
nicht. Auch Augustus’ Nachfolger Tiberius erkrankte in dem-
selben Astura kurz vor seinem Tod. Dies sind die Worte des
Sueton: „Er kehrte eilig nach Campanien zurück und verfiel in
Astura sogleich in eine Krankheit. Er erholte sich ein wenig
und schiffte dann nach dem Cap der Circe.“ Hier wurde er
kränker, hielt sich jedoch aus Furcht aufrecht, schiffte nach
Misenum, da er Capri nicht erreichen konnte, und fand dort
seinen Tod.
Und was soll man nun dazu sagen, wenn eben dies Astura
feine dämonische Gewalt auch an Tiberius’ Nachfolger Caligula
geltend macht? Denn kurz vor seinem Tode landet auch Cali-
gula hier, und Plinius erzählt: „Ein Tischchen, Romora genannt,
hängte sich an den Mast des Fünfruderers, welcher den Caligula
von Astura nach Anthun führte, und das betrachtete man als
eine Vorbedeutung seines nahen Todes.“
Astura mala terra, maledetta! Und auch uns, harmlose
Wanderer, sollte der verhängnisvolle Thurm noch in athemlofe
Flucht und in schimpfliche Todesangst versetzen.
Als wir Astura verliessen, beschlossen wir, nicht wieder den
Weg am Meer entlang zurück zu nehmen, sondern durch den
wilden Urwald zu gehen, von dessen Pracht wir so viel gehört
hatten. Der wegewirren Wildnis nicht kundig, nahmen wir
mit uns einen Soldaten aus dem Thurm, einen schönen, athletisch
gebauten jungen Mann, der uns einige Miglien begleiten und
zugleich als Beistand nicht gegen Räuber, wohl aber gegen
Büffel und Stiere dienen sollte. Wir schlugen uns rechts hin,
eine Weile am Strand entlang gehend, wo wir auf dem Ufer
die prächtigsten schwarzen Stiere sahen, von so herrlicher Gestalt,
dass Jupiter keine andern wählen durfte, als er die schöne
Europa durch das Meer trug. Bald umgab uns der Wald. Wir
gingen zwischen duftigen Myrtengebüschen und unter riesengrossen
breitwipfeligen Eichen auf lieblichen Waldpfaden und ergötzten
uns an der heiligen Sonnendämmerung, welche golden überall
195
durch die Wipfel wehte und ihre Lichter weit und breit spielen
liess. Der Wald von Astura ist sehr schön. Ich dachte an den
heimathlichen Küstenwald und an feine hochstämmigen Eichen,
durch die das blaue Meer scheint, und konnte mich ganz in die.
Vergangenheit zurückversetzen. Dort ist es auch schön zu
wandern und Reh und Hirsch zu belauschen, wenn sie im
Busche stutzend und neugierig ihr gekröntes Haupt hervorstrecken*,
hier blickt aus dem Waldes schatten statt ihrer manchmal das
schwarze diabolische Haupt eines Büffels oder die hochgehörnte
Stirn eines wilden Rindes, und lange schöngefleckte Schlangen
schlüpfen über den Pfad. Die Pflanzenvegetation ist von einer
tropischen Pracht; der Epheu umschlingt die Riesenstämme der
Eichen, Stamm neben Stamm, und bewundernd stand ich vor
dieser noch nie in solcher Herrlichkeit gesehenen Erscheinung still.
Denn die Epheuranke hat hier selbst einen Stamm so dick wie
ein Baum; so umstrickt sie die majestätische Eiche, ringelt sich
mit Gewalt um sie, gleich der Schlange des Laokoon, zieht sich
zusammen, als wollte sie den ungeheuern Stamm mit den Wurzeln
dem Boden entreissen und in herkulischer Umarmung ersticken,
und tausend grüne Aeste, Zweige und tanzende Ranken lässt sie
bacchantisch niederhängen und windet und knüpft ihre Schlingen
durch alles knorrige und laubige Eichengeäst fort bis zum
sonnigen Wipfel, den der Flügelschlag wilder Waldvögel umwittert.
Wir waren so in immer angespannter, froher Betrachtung
einige Miglien hingegangen. Der Gefährte von Astura hatte
uns auf den Weg gebracht, der nun wieder an die Küste hinab-
führte, und verliess uns da, wo der Wald lichter wurde. Bald,
so sagte er, würden wir in niedriges Gebüsch kommen und das
Meer sehen. Wir gingen nun allein fort zwischen Myrthen und
Oelgesträuch in der heitersten Stimmung. Plötzlich sahen wir
vor uns eine Heerde, wohl mehr als hundert Stück beisammen.
Wir blieben stehen. Ein Stier stutzte, hob die Stirn auf, sah
uns mit majestätischem Ernst an, löste sich von der Heerde ab
und kam gegen uns. In diesem Augenblick machte der Maler
den verdammten grossen weissen Malerschirm zu, und kaum hatte
er das gethan, als der Stier wild wurde und einen Sprung that;
sogleich setzte sich die ganze Heerde gegen uns in Bewegung.
Eine Staubwolke erhob sich im Walde, und wie wir in wilder
Flucht davon sprangen, in grosser Angst immerfort umschauend,
War es ein grauser und schöner Anblick, im wirbelnden Staube
diese mächtigen Geschöpfe daherstürmen zu sehen. Wir* nun
sprangen ins Dickicht, und über hohe Gebüsche setzten wir hin-
weg, und schlüpften wieder durch die Myrthenfträucher, und
sprangen weiter, an den Händen von den Dornen blutend, die
uns zerrissen, hinter uns die wirbelnde Staubwolke und die
13*
196
herausblitzenden Hörner und das Gekrach der brechenden
Büsche.
Ich sah niemals so die lebendige Physiognomie des Ent-
setzens als auf dem Angesicht meines Gefährten, und mein
Schreck war um nichts geringer. Endlich wurde es still, wir
waren im dichten Wald, und nichts mehr war zu sehen. Die
wilde Heerde war meerwärts fortgestürzt. Wir holten ein wenig
Odem, und schlugen uns nun in die Wildniss, eingeängstigt und
immer nach den Stieren umschauend, bis wir endlich gegen die
Küste kamen und, da wir diese frei fanden, auf den Strand
sprangen. Und nie habe ich die Meereswellen mit solcher
Freude begrüsst. So musste ich denn in Astura, auf den Spuren
Konradin's, selbst erfahren, was athemlose Flucht und Todes-
angst fei. Es war, als hätte irgend ein ironischer Geist, der
Dämon dieses Ortes, weil er mich von Erinnerung so tief be-
wegt gesehen, mir von des armen Konradin Flucht ein lebendiges
Nachgefühl geben wollen. Doch waren die Stiere der Wild-
niss barmherziger, als es einst die Menschen gewesen.
So wanderten wir weiter, und ruhten wieder an dem alten
Römerpalast eine Stunde vor Astura, dessen melancholisches
Schloss nun schön und schöner die sinkende Sonne iiberfunkelte.
Neue Sorge erfasste uns, als wir hierauf den ganzen Strand bis
Nettuno hin mit Heerden erfüllt sahen. Einige lagerten noch
am Meer, andere zogen sich schon aufwärts, denn es kam die
Abendkühle, wo sie wieder zu Walde gingen. Als wir nun
vorwärts schritten, war es wie ein Spiessruthenlaufen an hundert
und aber hundert spitzen Hörnern vorbei: aber die herrlichen
Geschöpfe thaten uns kein Leid, weil wir hinter ihrer Richtung
an den Wellen blieben; auch kamen zwei stattliche Hirten, die
ersten, die wir sahen, mit ihren Lanzen das Meer entlang ge-
sprengt und flössten uns guten Muth ein.
Glücklich erreichten wir Nettuno und betrachteten nun
von hier aus freudigen Gefühls die zurückgelegte Strasse und
das Schloss Astura, welches nun wieder in traumhafter Weite
wie ein Schwan auf den abendlichen Wellen zu schwimmen schien.
25. Stiergefechte.
(Fr. v. Tschudi: Peru. Reiseskizzen.)
Dieses Nationalvergnügen der Spanier tritt am grellsten und
schroffsten in Lima hervor und charakterisirt vorzugsweise den Sinn
und die Eigenthümlichkeit des Volkes.
Sobald ein Stiergefecht angekündigt wird, erfüllt ein all-
gemeiner Jubel die Stadt. Die Hoffnungen und Erwartungen
197
und Vergnügungen jenes Festtages bilden den Hauptgegenstand
der Gespräche, besonders der weiblichen Bevölkerung der Stadt.
Mehrere Tage vorher werden die Anzeigen des Stiergefechts an
den Strassenecken angeklebt und verkauft. Jedermann sucht sich
eine Liste de los toros (der Stiere) zu verschaffen, um das kämpfende
Thierpersonal genau kennen zu lernen und im Voraus ein Ur-
theil sich zu bilden.
Besonders gross ist die Aufregung, wenn die Saison der
Toros beginnt, und nach Jahresfrist zum ersten Mal wieder eine
Corrida stattfindet. Die erste Vorstellung ist immer die brillanteste.
Wenn Peru politisch ruhig ist (was in zehn Jahren kaum ein Jahr
der Fall), so beginnen die Stiergefechte in der heissen Jahreszeit
vom Monat Januar und dauern acht Wochen. Während dieser
Zeit werden jeden Montag 10 — 12 der schönsten Stiere meistens
auf sehr grausame Weise dem öffentlichen Vergnügen geopfert.
Zu Revolutionszeiten werden keine Corridas abgehalten; nur aus-
nahmsweise zur Feier eines Sieges, und dann auch des Winters.
„Que lastima!“ hört man in diesem Falle von allen Seiten
rufen, „dass die Sonne nicht brennt, die Stiere werden sehr
träge fein 1“
Die besten Stiere werden in der ganzen Umgegend aus-
gewählt und bereits in der Mitte der Woche mit Blumen be-
kränzt nach Lima gebracht, damit sie einige Tage von ihrem be-
schwerlichen Marsche ausruhen können.
Unterdessen bereiten sich auch die Limeñas für den Fest-
tag. Die Billete für die offenen und geschlossenen Logen werden
zeitig angekauft, je nach der Grösse zu 4 bis 8 Thaler. Die
Frauen sind besonders in Aufregung. Keine ächte Limeña bleibt
am festlichen Montag zu Haufe; sie würde es für einen unglück-
lichen und verlornen Tag ihres Lebens ansehen, wenn sie ge-
zwungen würde, dem Vergnügen eines Stiergefechts zu entsagen.
Der Platz ist ein weites, aus Luftziegeln ausgeführtes Amphi-
theater, ohne Dach. Der Haupteingang ist ein grosses Doppel-
thor durch welches man zuerst in eine Art Hofraum gelangt,
der das eigentliche Amphitheater wie ein breites Band umgiebt;
verschiedene Gebäude, wie das Toril, Corales u. s. w. sind darin
aufgeführt. Mehrere Eingänge führen von hier aus in die Arena,
die einige Zoll tief mit Sand bedeckt ist. Die unterste Loge der
für die Zuschauer bestimmten Plätze besteht aus gemauerten
Zimmerchen, mit niedrigen aber breiten Oeffnungen. Ihre vordere
Wand bildet eine Brustwehr, die der Stier nicht überspringen
kann. Ueber diesen Zimmerchen folgen stufenweis mehrere Reihen
von Bänken; ganz oben ist der Kreis der Logen. Sie sind, wie
ein Theater, an den Seiten ganz geschlossen und nur nach vorne
offen. In der Mitte des Kreises, links vom Haupteingang, ist die
198
Loge des Präsidenten (früher Vicekönigs), mit rothem Tuch aus-
geschlagen; in ihrer Nähe sind die Plätze für die Musik und
der Sitz des Kampfrichters, des jedesmaligen Subpräfecten der
Provinz Lima. Der Präsidentenloge gegenüber ist die schmale
Thüre des Torils. Es ist dies ein schmaler Gang, in welchem
der zum Kampfe bestimmte Stier den Augenblick des Hervor-
stürzens erwartet; er ist so enge, dass sich das Thier darin nicht
umdrehen kann. Mit dem noch überdies durch Querstangen
eingepferchten Schlachtopfer werden die grausamsten Vorspiele
vorgenommen. Mit breiten Nadeln werden ihm die bunten Bänder
durch das Pell gezogen * und in künstliche Knoten verschlungen,
auch reiche Schabracken auf den Rücken genäht, Schwärmer und
Raketen an die Ohren, die Hörner und den Schwanz geheftet.
Mit spitzigen feinen Lanzen wird er von allen Seiten gestochen.
Ohnmächtig tobt der Stier gegen die Stachel; seine Wuth steigert
sich auf den höchsten Grad.
Rechts neben dem Toril ist die Loge des Wärters, der die
Aufgabe hat, dem tobenden Thiere die Thüre zu öffnen und sie
hinter ihm rasch wieder zu verschliessen, links ist ein grösseres
Thor, durch welches diejenigen Stiere aus der Arena getrieben
werden, denen die Schmach widerfährt mit ihrem Blute nicht den
Kampfplatz zu färben.
In der Mitte des Circus sind ein Dutzend Pfähle in der
Form eines Kreuzes eingerammelt und oben durch Querbalken
verbunden; sie stehen so enge, dass nur ein Mann durchschlüpfen
kann. Hierher retten sich die hart bedrängten Oapeadores vor
den gefährlichen Verfolgungen des Stiers.
Am bestimmten Tage ist die Alameda (Allee) in der Nähe
des Circus schon früh mit langen Reihen von Tischen besetzt,
auf denen Limonade, Branntwein, Chicha (eine Art Bier aus
Mais), Fische und Süßigkeiten aller Art ausgestellt sind. Nur die
Farbigen sprechen diesen Erfrischungen und Leckerbissen zu; die
vornehmen limenischen Familien bringen in der Regel Mund-
vorrath in die Loge mit. Von 12 Uhr an beginnt der Zug nach
dem Kampfplatz, und ganz Lima ist in Bewegung. Das Amphi-
theater füllt sich mehr und mehr, und um 2 Uhr sind 12—15,000
Menschen darin versammelt. Gegen halb drei kommt der Wagen
des Präsidenten, von einer starken Leibwache Lanzenträger es-
kortirt, vorgefahren, und bald erscheint die Excellenz, von Ministem,
Adjutanten u. s. f. begleitet, in der Regierungsloge. Je nach
der Stimmung des Publicums und dessen Zufriedenheit mit der
Staatsverwaltung wird sie mit stürmischem Viva oder stumm em-
pfangen.
Die Musik spielt eine rauschende Fanfare, und schweigend
199
treten die elegant gekleideten „Capeadores“ *) zu Pferde und zu
Fuss in den Circus, um den sie dreimal herumgehen, den Präsidenten
und das Publicum grüssend. Nur hin und wieder giebt einer
der Reiter seinem Pferde die Hülfe, um die edlen Formen des
schönen Thierts mehr hervorzuheben. Jubelnd begrüsst die Menge
die wohlbekannten Gestalten; wenn aber die neue Amazone
Felipa Munos **> in die Arena sprengt, dann ertönt tausendfältiges
Jauchzen.
Die schmetternde Trompete giebt das Zeichen zum Beginn
des Kampfes. Die Capeadores zerstreuen sich; einer stellt sich
dem Toril gegenüber, noch einmal ruft die Trompete und heraus
zum aufgerissenen Thore stürzt der „schwarze Rächer von
Bujama.“ Ein schönes Thier, echt castilianifche Race, kräftige
gedrängte Formen, niedrige feine Beine, ein kurzer Rumpf mit
mächtigem Kopfe! Wenig gekräuselte Locken bekränzen die
eherne Stirn, von welcher, Verderben drohend, in leichter Biegung
die kurzen scharfen Hörner nach vorn ragen und verrätherisch
mit Blumen umwunden sind. Eine weiss eingefasste, mit Gold-
und Silbermünzen reich behangene purpurne Schabracke bedeckt
den glänzend schwarzen Rücken, den bunte Bänder zieren. Mit
hochaufgehobenem Schwänze, feuersprühenden Blicken und grimmig
geöffneten Nüstern tobt „der Rächer“ in blinder Wuth durch die
Arena. Ruhig erwartet ihn der Capeador zu Pferde mit vor-
gehaltenem Poncho. Schon ist der Stier bei ihm, feine Hörner
scheinen sich in die Nüstern des Pferdes zu bohren, fein Unter-
gang ist gewiss; aber eine leise Bewegung des Capeadors, fein
Ross macht eine kühne Wendung — und vorbei rennt der Stier;
aber eben so rasch überholt ihn der Reiter, reizt ihn von neuem,
wendet ab, reizt ihn wieder und entwickelt in einer Reihe von
wohlberechneten geschickten „Suertes“ feine bewunderungswürdige
Gewandtheit und . seinen kalten Muth.
*) Capeadores heissen diejenigen, welche mit einem Mantel oder
Poncho sich dem Stier gegenüber stellen, denselben reizen, und wenn
er auf sie losstürzt, durch geschickte Wendungen ausweichen, um
ihn von neuem zu reizen. Sie sind unbewaffnet. In Spanien waren
früher nur Capeadores zu Fuss. Ein Neger des Marquis von Vallum-
brosa aus Lima war der erste, der als Capeador zu Pferd auftrat
und ungeheuren Beifall erntete. Seitdem ist diese Vervollkommnung
der Taurmaquia auch in Spanien sehr in Aufnahme gekommen. Das
„Capear“ zu Pferd ist viel schwieriger, aber auch interessanter
als der Kampf zu Fuss. Die Pferde müssen besonders dazu ab-
fjerichtet und aufgesattelt werden, damit der Stier nicht in dein
untern Theil des Sattelzeugs hängen bleibt und den Reiter zu
Boden wirft.
**1 Felipa Munos, eine Zamba, zeichnet sich eben so sehr durch
ihre Gewandtheit im Reiten, als durch die Kühnheit aus. mit der
sie die wildesten Stiere reizt.
200
Stürmischer Beifall ertönt von allen Seiten, und ein zweiter
Capeador zu Fuss löfst ihn ah. Der Stier stürzt sich auf diesen
los, aber behende weicht er ihm aus und hält ihm wieder den
scharlachrothen Mantel vor, springt auf die Seite, und neckt
wieder; aber das Thier lässt sich nicht irre macken, es dreht
sich in kurzen Wendungen und greift ihn immer rascher an.
Der hart bedrängte Capeador kann nur noch durch die Flucht
sein Leben retten; in kurzem Zickzack eilt er den sicheren
Pfählen des Centrums zu; der Stier hinter ihm ftösst mit seiner
Stirn machtlos gegen die Balken, rennt einige Mal um das Kreuz,
stutzt, sammelt sich und stürzt auf eine weisse Gestalt,*) die
wenige Schritte vor ihm steht. Ein Knall folgt, Bauch steigt
auf und zahllose Schwärmer schwirren um das tobende Thier.
Die brennenden Beste des Phantoms hängen an seinen Hörnern;
mächtig schüttelt er den Kopf, stampft, brüllt, rennt bebend vor
Wuth durch die Arena, um sich von seiner Qual zu befreien.
Ein Capeador zu Pferd stellt sich ihm entgegen, schwenkt
ab, kehrt wieder, macht eine zu kurze Wendung, der „Yengador“
stürzt sich auf ihn, und sein Name bewährt sich. Das Pferd
bäumt, und im weiten Bogen spritzt ein dicker Blutstrom aus
der durchbohrten Brust. Wie mit Grausen über seine Bache er-
füllt, weicht der Stier einige Schritte zurück und eilt nach einer
anderen Stelle des Circus hin. „Bravo toro!“ ertönen tausend
Stimmen, während der Capeador mit seinem Pferde vom Platze
eilt; aber noch ehe er das Thor erreicht, stürzt das Thier unter
seinem Beiter zusammen.
La espada! la espada !**) schreien einige Zuschauer und bald
wird dieser Bus allgemein. Ein Matador erscheint; in der rechten
Hand einen langen breiten Dolch, in der linken einen kurzen
Mantel. Mit ruhigem Blick und fester Haltung tritt er einige
Schritte vor, schwingt ein paar Mal leicht seinen Mantel, um die
Aufmerksamkeit des Stiers auf sich zu lenken, aber schon hat
ihn dieser bemerkt und rüstet sich zum Angriff. Weite Kreise
schlägt er mit seinem Schweif, tief gesenkt hält er den Kopf
und mit Heftigkeit wühlt er bald mit einem, bald mit beiden Vor-
derfüssen den leichten Sand auf, und hüllt sich in eine Staub-
wolke, aus der ein dumpfes Brüllen, ähnlich dem fern dahin-
rollenden Donner, erdröhnt. Wenige ängstliche Minuten ver-
*) Es werden aus Reifen und Papier Männer und Frauengestalten
angefertigt, mit leicht entzündbaren Schwärmern und Raketen gefüllt
und in die Arena gestellt. Sowie sie der Stier umrennt, entzünden
sie sich mit heftiger Explosion.
**) Espada, der Degen. Diejenigen, welche den Stier mit dem
Degen oder ihrem Dolche todten sollen, werden kurzweg espadas
genannt.
201
streichen. Mit leicht vorgebeugtem Körper und etwas aufgehobenem
Arme, dessen Faust krampfhaft um den Dolch gebannt ist, heftet
der kühne Matador feine Augen auf den furchtbaren Feind, der
nun mit Macht herantobt. Noch einen Augenblick und im Todes-
zucken liegt der „Vengador“ zu den Füssen seines Gegners.
Ununterbrochener Jubel erfüllt die Lüfte und übertäubt die
rauschende Musik. Blumen und Gold werden von allen Seiten
auf den Sieger geworfen, der auf dem glatten Haare des leblos dahin
gestreckten Thieres seinen Dolch vom Blute reinigt, die reiche
Schabracke als Siegestrophäe ablöst und vom Kampfrichter feine
Belohnung erhält.
Unterdessen wird dem Stier ein Strick um die Hörner ge-
bunden; das Hauptthor des Circus öffnet sich, und zwei Neger
auf vier stolzen reichgeschmückten Hengsten, die einen eisernen
Haken nach sich schleppen, kommen herein. Wie fie sich dem
todten Thiere nähern, scheuen die Pferde zurück, bäumen sich,
aber mit Behendigkeit wird der Haken in den Strick eingehängt
und in sausendem Galopp, von Trompetengeschmetter begleitet,
reissen es die feurigen Rosse, eine tiefe Furche zurücklassend
mit sich in der Arena herum und zum Thor hinaus. Einige
Neger mit Besen gleichen den Sand aus im Circus und ver-
wischen alle Blutspuren.
Während dieses Zwischenactes geht es unter den Zuschauern
sehr lebhaft zu. Jeder giebt sein Urtheil oder seine Meinung ab.
Besuche werden gemacht, Backwerk gekauft, und die Plätze be-
zahlt. Beim Eingang in den Circus wird nämlich ein halber
Piaster Eintrittsgeld bezahlt, später aber verlangen besondere
Einsammler noch vier bis sechs Reales Platzgeld.
Schon wird wieder zum Kampf geblasen, und die „mala
intención alazan de la Escala“ *) mit blauer Decke und vielfarbigen
Bändern geschmückt, tobt in die Arena. Die Capeadores zu
Fuss und zu Pferd thun ihre Schuldigkeit. Glänzende „Suertes“
(Stösse und Wendungen) werden producirt. Sobald die erste
Wuth des Stiers gebrochen ist, reiten die tödtenden „Rejoneadores“
vor. Bald greift er sie an. Auf zitterndem Pferde erwartet ihn
der Erste mit aufgehobenem Arme, um die scharfe Spitze der
kurzen Lanze in sein Herz zu bohren. Das Pferd, vielleicht in
einem früheren Kampfe schon einmal verwundet, ist unruhig
der Stoss geht fehl, aber der Stier hat sicher getroffen. Seine
scharfen Hörner haben die Weichen des Pferdes weit aufgerissen
*) Mala intención alazan: die böse Absicht fuchsfarben, von der
Hacienda (Landflur) de la Escala. Man sieht aus solchen Namen, mit
welchem Geschmack die Neger ihre Stiere taufen. Der Name be-
zieht sieh gewöhnlich auf eine Eigenschaft des Thieres.
202
und die Gedärme quellen hervor. Unbekümmert darum sucht
der Reiter seinen Fehler gut zu machen, sprengt hinter seinem
Gegner einher, neckt ihn, stösst das zweite Mal besser, aber nicht
tödtlich, wird dadurch noch mehr gereizt, und wiederholt mit
gleichem Erfolge feine Versuche. Ein grässlicher Anblick! Ein
Theil der Eingeweide des Pferdes schleppt im Sand nach, aber
doch folgt das edle Thier feurig dem Zaume, bis es todt zusammen-
bricht. Der zweite Rejoneador ist nicht viel glücklicher; feine
Stösse sind nicht tödtlich, sie vermehren nur die Wuth des mala
intención, der wie fein Vorgänger seinem Namen Ehre macht.
Bald sind Reiter und Pferd über den Haufen geworfen und müssen
sich zurückziehen.
Bluttriefend ruht das Schlachtopfer einige Augenblicke aus,
um einen neuen Gegner zu erwarten. Keiner wagt sich hinan.
Nun treten die „Desgarretadores“ auf, um ihr schändliches Amt
zu erfüllen. Jeder hält eine 14—16 Fuss lange Stange, an deren
Spitze ein sehr grosses äusserst scharfes, sichelförmiges gebogenes
Eisen befestigt ist. Leise nähert sich einer von hinten dem Stiere
bis auf 30 oder 40 Schritt, wirft mit aller Gewalt feine Waffe
nach den Hinterfussen und durchschneidet ihm die Achillsehne.
Der Stier knickt ein. Ein zweiter Desgarretador bricht ihm auf
dieselbe Weise den andern Hinterfuss, und er fällt mit dem gan-
zen Hinterkörper auf die Erde. Seine Kraft ist gelähmt, aber
fein Muth nicht gebrochen. Mit dem tiefsten Abscheu wendet
sich der gefühlvolle Mensch von diesem empörenden Schauspiel ab.
Auf den Knien rutscht das gequälte Thier seinen nun muthig ge-
wordenen Gegnern entgegen. Sand und Blut vermischen sich zu
Klumpen in den Wunden; bewegungslos schleppen die Hinter-
beine den langsam davon gezogenen Körper nach. Ein dumpfes
herzzerroissendes Gebrüll zeugt laut von den Schmerzen des
hülflofen Thieres. Mit satanischem Triumphe eilen nun die Neger,
bewaffnet mit Messern und Lanzen, um es vollends zu Tode zu
martern. Noch im Todeskampfe vertheidigt es sich mit Muth,
und schon mancher dieser Henker hat seine Mordlust mit dem
Tode gebüsst, wenn er glaubte, mit dem Dolche ungestraft im
Fleische des Thieres wühlen zu können.
Die meisten meiner Leserinnen werden bei der blossen
Schilderung dieser Scene schaudern; aber die Damen von Lima
finden sehr grosses Wohlgefallen, ihr zuzusehen, einen hohen Ge-
nuss an diesem Schauspiel. Ländlich , sittlich! Auch sind sie ja
von früher Jugend an diesen schauderhaften Anblick gewöhnt.
Kehren wir aber auf den Kampfplatz zurück, den so eben
der „Palangano mulato“ (tiefbraun) di Vergara durchrennt. Ein
leises Murmeln wird im Kreise gehört. „Que toro tan flojo!“
(Wie ist der Stier so flau) tönt es von verschiedenen Seiten.
203
Der Stier erhält und verdient auch nicht die Gunst des Publicums.
Die Heftigkeit, mit der er die Arena betrat, ist bald zu Ende ; er
steht still, lieht lieh ganz verwundert im Kreise um, läuft im
kurzen Trab durch die Plaza und sucht eine Thür, um hinaus-
zukommen. Vergeblich necken ihn die Capeadores, er lieht sich
nicht nach ihnen um, sondern glotzt das geschlossene Thor an
und brüllt sehnsüchtig seinen abwesenden Gefährten zu. Die
Rejoneadores stechen ihn mit ihren Lanzen, um ihn etwas zu
reizen ; für Augenblicke rafft er sich zusammen, rennt ihnen nach,
aber bald trottet er wieder harmlos im Circus herum. „Fort
mit ihm!“ schreit das Publicum, und der Schiedsrichter giebt das
Zeichen, dem Wunsche Folge zu leisten. Mehrere Kühe und Ochsen
werden in die Arena getrieben, und in ihrer Gesellschaft verlässt das
feige Thier unter dem Hohngelächter der Zuschauer den Kampfplatz.
Der folgende Stier wird den laut werdenden Unwillen des
Publicums besänftigen. Er ist für eine „Lanzada“ *) bestimmt. Ein
untersetzter starker Indianer erscheint mit einer ungeheuren Lanze.
Der Stiel ist 12 —14 Fuss lang und an seinem hinteren Ende
fast schenkeldick ; die Spitze ist breit und über eine Spanne lang.
Dem Toril gegenüber, ungefähr 25—30 Schritte davon entfernt, ist
ein starker Stein in den Boden gerammt, zu welchem der Indianer
geht, um seine Vorbereitungen zu treffen. Nochmals untersucht er
Lanze und Stein sorgfältig, probirt die Höhe, in der er die Spitze
richten muss, legt die, Lanze nieder, zieht seinen Rosenkranz und
betet, andächtig einige Paternoster und Ave, bekreuzt sich, greift
wieder zu seiner Waffe und lässt sich auf ein Knie nieder.
Mit beiden Händen fasst er den Stiel, den er mit aller Kraft
gegen den Stein stemmt, erhebt die Spitze kaum eine halbe
Elle, über die Erde und giebt das Zeichen zum Angriff.
Ein banger Augenblick folgt, Todesstille herrscht im weiten
Kreise, und mit angehaltenem Athem erwartet Jeder den ver-
hängnisvollen Moment. Die Thür fliegt auf und der Stier stürzt
sich mit Macht in die Lanze. Die Gewalt des Stosses schleudert
den Indianer weit weg', er hatte das Ziel verfehlt; statt die Stirn
zu durchbohren und so den Stier augenblicklich zu todten, drang
die Lanze unter dem Schulterblatt in den Körper und zu den
Weichen hinaus. Mit diesem Balken im Leibe rennt der Stier
auf seinen wehrlos dahin geworfenen Gegner, stöfst ihn mit den
Hörnern und tritt ihn mit den Füssen, bis die Capeadores her-
beieilen und ihn dem sichern Tod entreissen. Die Rejoneadores
reiten vor, um dem vom grossen Blutverlust erschöpften Schlacht-
opfer den Garaus zu machen. Mit Wehegeheul stemmt es sich
gegen die andringende Gewalt, und empfängt den Todesstoss.
') Lanzenstich.
204
Jeder der folgenden Stiere bietet mehr oder weniger Interesse
dar, je nachdem er mehr oder weniger Menschen verwundet oder
tödtet, und nach der Geschicklichkeit, welche die Capeadores, Re-
joneadores und Espadas entwickeln. Aber das Publicum will
noch eine buntere Abwechslung, welche ihm die Mojarreros*)
verschaffen werden. Ein halbes Dutzend Indianer von ihrem
Capataz angeführt, kommen singend und tanzend in die Plaza
und springen eine Zeit lang unter drolligen Geberden herum.
Der Stier wird in die Arena gelassen, er wendet sich bald gegen
die lustige Gruppe und greift sie an. Vom Capataz geleitet
stellen sich die Indianer zur Wehr, halten den Stier ab, setzen
ihre Tänze fort, werden wieder angegriffen, vertheidigen sich und
verwunden ihren Gegner, aber immer springend und tanzend; zuletzt
werfen sie sich auf die Erde und stossen dem Stiere, indem er über
sie hinwegsetzt, die Lanzen in den Leib, dass er todt niederstürzt.
Es wird Abend, schon seit vier Stunden hat das Schauspiel
gedauert und 14 Stiere sind als Opfer eines barbarischen Ver-
gnügens gefallen; 16 stehen auf der Liste. Ein Theil muss auf
den nächsten Kampftag aufbewahrt werden, denn schon fängt
das Publicum an sich zu entfernen: aber noch einmal öffnet sich
das Thor und heraus sprengt ein Reiter auf umgesatteltem Stiere.
Die Schwierigkeit sich auf einem solchen tobenden Thiere zu
halten, ist sehr gross; der Reiter bekommt daher feine Prämie
wenn er nur vom Toril bis mitten in die Arena gelangt, ohne
abgeworfen zu werden. Es giebt einige sehr gewandte Neger,
die nicht nur mehrmals durch die Plaza reiten, sondern auch zu
gleicher Zeit Feuerwerke losbrennen, wodurch sie des lebhaften
Beifalls sich erfreuen.
Die anbrechende Nacht macht der Belustigung ein Ende, und
das Amphitheater entleert sich. In unabsehbaren Reihen kehren
die Bewohner von Lima nach der Stadt zurück; wieder sitzen
eine Menge Damen auf den Bänken der Alameda, die Brücke
ist aber diesmal von Männern besetzt, die den langen Zug
von Wagen und Eussgängern an sich vorüberwogen lassen und
die vorübergehenden Frauen necken, aber immer mit witzigen
Antworten bezahlt werden.
Die Stiergefechte werden in Lima nicht mehr mit der Pracht
und in den strengen Formen gehalten, wie zu Zeiten der Virey’s.
*) Die Mojarreros sind gewöhnlich Indianer, die sich in Masse
dem Stiöre entgegenstellen. Sie vertheidigen entweder einen mit
Früchten und Branntwein besetzten Tisch, wobei sie, um ihre Prämie
zu erhalten, darauf sehen müssen, dass der Tisch nicht verrückt wird,
oder sie führen Tänze auf. Es geschieht zuweilen, dass der Stier über
den Tisch setzt und im nämlichen Augenblick von den Lanzen durch-
bohrt wird.
205
Man hört sehr oft ältere Männer über den Verfall dieser National-
belustigung bitter klagen. Bald fehlt es an den Capeadores und
Rejoneadores, bald taugen die Espadas nichts. Besonders schwer
zu befriedigen lind die Altspanier, die immer von den Meistern
der Peninsula (Halbinsel) sprechen. Eine jetzt ganz vernachlässigte
Ceremonie der früheren Stiergefechte ist die Hebergabe des Toril-
fchlüssels. Ein geschickter Reiter mit einem grossen goldnen
Schlüssel in der Hand, stellte lieh mit einem ausgezeichneten
Pferde vor das Toril. Auf ein gegebenes Zeichen wurde die
Thür geöffnet und der Schlüsselträger ritt im schärfsten Passe,
ohne in Galopp übergehen zu dürfen, nach der Loge des Viee-
königs, wo er den Schlüssel abgab. Der Stier folgte ihm natür-
lich dicht auf den Fersen und wurde erst in der Nähe des Zieles
von den Capeadores abgelenkt. Es ist ein Beweis von der un-
glaublichen Schnelligkeit einiger peruanischen Passgänger, denn
es ist eine bekannte Thatsache, dass ein Stier auf kurze Distanz
ein Pferd im stärksten Galopp überholt. Das Pferd, das diese
Probe ablegte, wurde immer von ganz Lima gefeiert.
Peru ist das einzige Land in Südamerika, in welchem noch
förmliche Stiergefechte gefeiert werden. Wie es sich am letzten,
dem Rufe der Freiheit folgend, von der spanischen Herrschaft
befreite, so hat es auch am längsten die Gebräuche seines Mutter-
landes beibehalten, da ihm jede Energie und sich aus sich selbst
entwickelnde Nationalität mangelt. Die Charakterlosigkeit der
Peruaner zeigt sich hier deutlich. Die Fehler der Spanier werden
bei ihnen zu Lastern, indem sie rücksichtslos dieselben auf den
höchsten Punkt treiben. Wenn die Stiergefechte auf der Halb-
insel grausam sind, so sind sie in Lima ehrlose Thierquälereien.
Diese werden zwar nur von der Hefe des Volks, von Negern
und Zambos ausgeführt, aber vom gebildeten Heil des Publicums
gebilligt und mit Beifall aufgenommen. Die Limeños wollen Ver-
gnügungen, sie mögen so unmenschlich sein als sie wollen, wenn
es nur Vergnügungen sind, die ihre zügellosen Leidenschaften
aufregen und wobei sie einen Tag müssig fein und sich öffentlich
zeigen können. Ein Gouvernement, das sich beim Volke schnell in
Gunst setzen will, muss ihm öffentliche Unterhaltung geben, und
die Stiergefechte stehen darin obenan. Damit werden zwei Zwecke
erreicht: die Regierung sichert sich die Anhänglichkeit, wenn
auch nicht die Liebe des Publicums, und lenkt zugleich die
Aufmerksamkeit von der politischen Schaubühne ab, was in einem
Lande wie Peru, welches fortwährend durch Revolutionen von
einem irregeleiteten Pöbel, und ein ehr- und pflichtvergessenes Mili-
tair zerfleischt wird, von höchster Bedeutung ist.
Wohl könnte eine weife Regierung darauf achten, dass bei
den Stiergefechten, wenn sie doch als nothwendiges Uebel bei-
206
behalten werden sollen, mehr Vorsicht und Menschlichkeit ge-
braucht würde; und Eltern, denen es daran gelegen ist, nicht
den Keim der Hoheit von frühester Jugend an ihren Kindern
einzupflanzen, sollten dieselben von einem Schauspiel zurückhalten,
das jedes edlere Gefühl verletzt und am Ende vernichtet.
26. Der Wald.
(Riehl, „Land und Leute.“)
Die Männer der Staats wirthschaft führen den Beweis, dass
unser gegenwärtiger Waldbestand zur Befriedigung des Holz-
bedarfs keineswegs zu gross, eher zu gering ist. Die principiellen,
die politischen Feinde des Waldes aber zählen uns die alljährig
sich mehrenden Ersatzstoffe des Holzes vor und deuten sieges-
gewiss auf die nicht mehr ferne Zeit, wo man gar keine Wälder
mehr brauchen wird, wo man alles Waldland in Ackerland ver-
wandeln kann, damit jede Scholle in den civilisirten Staaten
Europa's auch einen Menschen ernähre. Dieser Gedanke, jeden
Fleck Erde von Menschenhänden umgewühlt zu sehen, hat für
die Phantasie jedes natürlichen Menschen etwas grauenhaft Un-
heimliches; ganz besonders ist er aber dem germanischen Geiste
zuwider. Es wäre alsdann Zeit, dass der jüngste Tag anbräche.
Emanuel Geibel hat dieses natürliche Grauen vor dem äussersten
Mass der absoluten Civilisation in seinem Gedichte „Mythus“
symbolisirt. Er schafft sich eine Sage von dem zum Knechtsdienst
gefesselten Dämon des Dampfes. Erst dann wird dieser seine
Bande sprengen, und mit seiner im Kern der Erde schlummern-
den titanischen Urkraft die Erde selber zertrümmern, wenn einmal
der ganze Ball überzogen sein wird von dem Zaubernetz der
Eisenbahnen. Bis dahin werden auch alle Wälder in Ackerland
umgewandelt fein.
Es ist eine matte Defensive, welche die Fürsprecher des
Waldes ergreifen, wofern sie lediglich aus ökonomischen Gründen
die Erhaltung des gegenwärtigen massigen Waldumfangas fordern.
Die socialpolitischen Gründe wiegen mindestens eben so schwer.
Haut den Wald nieder, und ihr zertrümmert die historische
bürgerliche Gesellschaft. In der Vernichtung des Gegensatzes
von Feld und Wald nehmt ihr dem deutschen Volksthum ein
Lebenselement. Der Mensch lebt nicht vom Brote allein. Auch
wenn wir keines Holzes mehr bedürften, würden wir doch noch
den Wald brauchen. Das deutsche Volk bedarf des Waldes wie
der Mensch des Weines bedarf, obgleich es zur Nothdurst voll-
kommen genügen mag, wenn sich lediglich der Apotheker eine
Viertelohm in den Keller legte. Brauchen wir das dürre Holz
207
nicht mehr um unfein äussem Menschen zu erwärmen, dann
wird das grüne, in Saft und Trieb stehende zur Erwärmung
seines inwendigen Menschen um so nöthiger sein.
In unsern Walddörfern, — und wer die deutschen Gebirge
durchwandert hat, der weiss, dass es noch viele ächte Walddörfer
in unserem Vaterlande giebt — sind unserm Volksleben noch
die Teste uranfänglicher Gesittung bewahrt, nicht blos in ihrer
Schattenseite, sondern auch in ihrem naturfrischen Glanze. Nicht
blos das Waldland, auch die Sanddünen, Moore, Heiden, die
Felsen und Gletscherstriche, alle Wildniss und Wüstenei sind eine
nothwendige Ergänzung zu dem cultivirten Feldland. Freuen
wir uns, dass es noch so manche Wildniss in Deutschland giebt.
Es gehört zur Kraftentfaltung eines Volkes, dass es die verschieden-
artigsten Entwickelungen gleichzeitig umfasse. Ein durchweg
in Bildung abgeschliffenes, in Wohlstand gesättigtes Volk ist ein
todtes Volk, dem nichts übrig bleibt, als dass es sich mit sammt
seinen Herrlichkeiten selber verbrenne wie Sardanapal. Der aus-
studirte Städter, der feiste Bauer des reichen Getreidelandes, das
mögen Männer der Gegenwart fein, aber der armselige Moor-
bauer, der rauhe, zähe Waldbauer, das sind die Männer der
Zukunft. Die Lehre von der bürgerlichen Gesellschaft ist wesent-
lich die Lehre von der natürlichen Ungleichheit der Menschen.
Ja in dieser Ungleichheit der Gaben und Berufe wurzelt die
höchste Glorie der Gesellschaft, denn sie ist der Quell ihrer un-
erschöpflichen Lebensfülle. Wie die See das Küstenvolk in einer
gewissen rohen Ursprünglichkeit frisch erhält, so wirkt gleiches
der Wald bei den Binnenvölkern. Weil Deutschland so viel
Binnenland hat, darum braucht es soviel mehr Wald als England.
Die ächten Wald dort! er, die Förster, Holzhauer und Waldarbeiter,
sind der kräftige, derbe Seemannsschlag' unter uns Landratten.
Kottet den Wald aus, ebnet die Berge und sperrt die See ab,
wenn ihr die Gesellschaft in dem gleichgeschliffenen Universalismus
der Geistesbildung nivesiiren wollt. Wir sehen, wie ganz ge-
segnete Länder, denen man schützenden Wald geraubt, den ver-
heerenden Finthen der Gebirgswasser, dem ausdörrenden Odem
der Stürme verfallen sind, und ein grosser Theil Italiens, des
Paradieses von Europa, ist ein ausgelebtes Land, weil fein Boden
keine Wälder mehr trägt, unter deren Schutz es sich wieder
verjüngen könnte. Aber nicht blos das Land ist ausgelebt, auch
das Volk. Ein Volk muss absterben, wenn es nicht mehr zurück-
greifen kann zu den Hintersassen in den Wäldern, unj, sich bei
ihnen neue Kraft des natürlichen, rohen Volksthumes zu holen.
Eine Nation ohne beträchtlichen Waldbesitz ist gleich zu achten
einer Nation ohne gehörige Meeresküste. Wir müssen den Wald
erhalten, nicht blos damit uns der Ofen im Winter nicht kalt
208
werde, sondern auch damit die Pulse des Volkslebens warm und
fröhlicher weiter schlagen, damit Deutschland deutsch bleibe.
Die Bewohner der deutschen Walddörfer haben fast durch-
weg ein ungleich originelleres, frisches, geistiges Gepräge als die
der reinen Felddörfer. Hier steht meist mehr feister Wohlstand
grell neben grösserer Entartung der Sitten als dort. Die Wald-
dörfer sind oft sehr arm, aber ein eigentliches Proletariat sitzt
weit entschiedener in den reinen Felddörfern. Die letzteren sind
Volkswirthschaftlich, die ersteren social-politisch von grösserer
Wichtigkeit. Der Waldbauer ist roher, händelsüchtiger, aber
auch lustiger als der Feldbauer; es wird oft da ein genialer
Lump aus ihm, wo aus dem schwerfälligen Feldbauer ein herz-
loser Geizhals geworden wäre. Die Erhaltung oder Vertilgung
der alten Volkssitten und -Trachten folgt nicht so sehr dem
Gegensatz von Bergland und Flachland als dem von Waldland
und Feldland, wofern man unter jenes auch die Heiden, Moore
und andere wüste Gegenden einbegreift. Das Waldland ist der
Heerd der volkstümlichen Kunst. Ein Dorf ohne Wald ist wie
eine Stadt ohne historische Architekturen, ohne Denkmäler, ohne
Kunstsammlungen, ohne Theater und Concerte, kurz ohne ge-
müthliche und ästhetische Anregung. Der Wald ist der Turn-
platz der Jugend, oft auch die Festhalle der Alten. Wiegt das
nicht mindestens ebensoschwer, als die ökonomische Holzfrage?
Im Gegensatz von Feldland und Waldland tritt die einfachste
und natürlichste Vorstufe des deutschen socialen Individualismus
zu Tage, der ein Segen der Nation ist, während der politische
Particularismus ihr Fluch.
Die Zopfzeit hatte kein Auge für den Wald, sie hatte ent-
sprechend auch kein Verständniss für das Naturleben im Volks-
thum, keine Ahnung von den natürlichen socialen Besonderungen.
Sie versetzte die fürstlichen Lustschlösser überall in deutschen
Gauen aus den waldigen Bergen hinaus in das entwaldete Flach-
land. Die Kunst der Zopfzeit war aber auch eine fast durch-
aus undeutsche. Den Künstlern des Zopfes war der Wald zu
unordentlich in der Anlage, zu buckelig in den Formen, zu dunkel
in der Farbe. Der Wald wird als ein flaches Beiwerk der
Landschaft in den Hintergrund geschoben, während die Land-
schaftsmaler der vorhergegangenen grossen Kunstperiode ihre
Waldbilder so recht aus der Tiefe der Waldeinsamkeit heraus
gemalt haben. Kein Künstler romanischen Stammes hat den
Wald gemalt wie Ruisdael und Everdingen; sie setzen sich in
ihren besten Bildern gradezu mitten ins Dickicht hinein. Poussin
und Claude Lorrain haben grossartige Studien am Wald gemacht,
Ruisdael aber kann den Wald von Kindesbeinen an auswendig,
wie das Vaterunser. Die französisirte Hagedorn-Gleim’sehe Lyrik
209
singt Waldlieder, als ob sie aufs Hörensagen hin sich nach dein
Wald sehne. Da kommt mit dem wiedererweckten Shakespeare,
der des Waldes Herrlichkeit tiefer als Alle poetisch ausgekundet
hat, die englische Gartenkunst, die Nachbildnerin der freien
Waldnatur, nach Deutschland; gleichzeitig schlägt Goethe den
ächten Waldton in deutscher Dichtung wieder an, und von dem
Augenblick, wo den Poeten der Wald nicht mehr zu unordent-
lich erschienen ist, erscheint ihnen auch das derbkräftige Volks-
thum nicht mehr zu unsauber und zu struppig zur künstlerischen
Gestaltung. Der herrliche neueste Wiederaufschwung der Land-
schaftsmalerei knüpft sich aufs engste an die erneute Vertiefung
der Künstler in das Waldstudium. So musicirten auch zur Zeit,
da Goethe seine besten Lieder dichtete, Mozart und Haydn, als
ob sie’s „den Vögeln abgelauscht“, nämlich den Vögeln im Walde,
nicht wie eine neueste Zweigschule romantischer Miniaturpoeten den
Vögeln, die in vergoldeten Käfigen im Salon ihr krankes Lied schlagen.
Der Wald allein lässt uns Culturmenschen noch den Traum
einer von der Polizeiaufsicht unberührten persönlichen Freiheit
gemessen. Man kann da doch wenigstens noch in die Kreuz
und Quere gehen, nach eigenem Gelüsten, ohne an die patentirte
allgemeine Heerstrasse gebunden zu fein. Ein gesetzter Mann
kann da noch laufen, springen, klettern nach Herzenslust, ohne
dass ihn die altkluge Tante Decenz für einen Narren hält. Diese
Trümmer germanischer Waldfreiheit sind in Deutschland fast
überall glücklich gerettet worden. Politische freiere Nachbar-
länder, wo die fatalen Abzäunungen der fessellosen Wanderlust
gar bald ein Ende machen, kennen sie nicht mehr. Was hilft
dem nordamerikanischen Grossstädter seine Polizeilosigkeit in den
Strassen, wo er nicht einmal im Wald der nächsten Umgebung
frei umher laufen kann, da ihn dort die gräulichen Fenze des-
potischer als ein ganzes Regiment Conftabler überall auf den ge-
weisten Weg bannen? Was helfen den Engländern ihre liberalen
Gesetze, da sie nur eingehegte Parke, da sie kaum noch einen
freien Wald haben.
Der Zwang der Sitte ist in England und Nord-Amerika
einem deutschen Manne unerträglich. Da die Engländer ja nicht
einmal mehr den freien Wald zu schätzen wissen, so ist es kein
Wunder, dass sie fordern, man solle zu dem Eintrittsgeld, welches
man für Theater- und Concertbesuch bezahlt, auch noch einen
schwarzen Frack und eine weisse Halsbinde mitbringen. Deutsch-
land hat eine weit grössere Zukunft der socialen Freiheit als
England, denn es hat sich den freien Wald gerettet. Den Wald
ausrotten, das könnte man vielleicht in Deutschland, aber ihn
sperren, das würde eine Revolution hervorrufen. In dieser deutschen
Waldfreiheit, die so fremdartig aus unfern übrigen modernen Ein-
Boquette, Deutsche« Lesebuch. II. 14
210
richtungen hervorlugt, liegen mehr bestimmende Einflüsse auf
unser höheres Bildungsleben, und namentlich auf die romantische
Stimmung in demselben, als mancher sich träumen lässt. Unserm
speciell grossstädtischen Leben merkt man es dann wieder in
tausend Zügen an, wie weit sich der ächte Wald von diesen
Städten zurückgezogen hat, wie entfremdet die Bevölkerung dem
Wald geworden ist.
Den freien Wald und das freie Meer hat die Poesie mit
tiefsinnigem Wort auch den heiligen Wald und das heilige Meer
genannt, und nirgends wirkt darum diese Heiligkeit der unbe-
rührten Natur ergreifender als wo der Wald unmittelbar dem
Meer entsteigt. Wo der Wogenschlag des brandenden Meeres mit
den rauschenden Wipfeln der Bäume zu einem Hymnus zusammen-
braust, aber auch in dem lautlosen mittägigen Schweigen des
deutschen Gebirgswaldes, wo der Wanderer, meilenweit von jeder
menschlichen Niederlassung entfernt, nur den Schlag des eigenen
Herzens in der Kirchenstille der Wildniss hört, da ist der rechte
heilige Waid. Doch selbst für den freien, heiligen Wald giebt
es in Deutschland Prachtstücke polizeilichen Humors. Wenn man
auf der Insel Rügen in den von den Norddeutschen als eine Art
Urwald gepriesenen Buchenforst der Granitz tritt, so leuchtet
dem Wanderer an einem mächtigen Baumstamm ein Placat ent-
gegen mit der Inschrift: dass man in diesem Wald nur umher-
gehen dürfe in Begleitung eines fürstl. Putbus'sehen Forstauf-
sehers zu 5 Sgi’. die Stunde.
Es ist eine seltsame Begriffsverwirrung, wenn viele die
Waldrodungen in dem Deutschland des 19. Jahrhunderts noch
wie ein Urbarmachen des Bodens, wie einen Act der inneren
Colonisation ansehen, durch den das gerodete Stück überhaupt
erst der Cultur gewonnen würde! Der Wald ist für uns nicht
mehr die Wildniss, aus der wir in’s geklärte Land hinausstreben
sollen, sondern eine wahrhaft grossartige Schutzhege unserer
eigensten volkstümlichen Gesittung. Den Waldboden roden
heisst bei uns nicht mehr ihn urbar machen, sondern nur eine
Culturform des Bodens mit einer anderen vertauschen. Wer den
Werth einer Bodencultur nur nach den Procenten ihres Reiner-
trags schätzt, der wird freilich Waldflächen roden wollen, um
sie urbar zu machen. Wir schätzen die verschiedenen Formen
der Bodencultur nicht blos nach ihrem materiellen, sondern auch
nach ihrem ideellen Werthe ab. Die Verschiedenartigkeit der
Bodenculturform ist eins? der tiefsten Wurzeln unseres Reichthums
an individuellen socialen Bildungen, und damit der Lebeusfulle
unserer Gesellschaft selber.
211
27. Tizian Vecellio.
(W. Lübke, Kuusthistorifche Studien.)
Nirgends hat der locale Sondergeist (ich zu Gestaltungen
von so hoher Idealität ausgeprägt, wie in Italien. Wie jede der
alten Städte des kunstgesegneten Landes schon in ihrer baulichen
Gesammterscheinung eine reif durchgebildete Physiognomie von
charaktervoller Bedeutsamkeit zeigt, so findet man auch in jeder
eine selbständige Kunstschule, deren Entwicklung als die feinste
geistige Blüthe ihrer besonderen Bedingungen, ihrer Volksanlage,
Stadtgeschichte und Schicksale erwachsen ist. Und so reich, so
vielgestaltig erscheint die geistige Triebkraft dieses begabten
Volkes, dass nicht blos in den Brennpunkten eines bewegten
politischen Lebens, in Florenz, Rom, Mailand und Venedig, Schulen
erstanden, an deren Spitze die Grossmeister der neueren Kunst
den Reigen anfuhren, sondern dass selbst mittlere, kleinere Städte,
selbst abgelegene Orte in ihrem Schoosse manch trefflichen
Künstler erzeugten oder hegten, der in voller Kraft und Selb-
ständigkeit seine eignen Wege wandelte. So hatte Padua seinen
Mantegna, Perugia seinen Perugino (der wie so oft in Italien
seinen eigentlichen Namen verlor und den seines Wohnsitzes dafür
eintauschte); so etwas später Siena den liebenswürdigen Soddoma,
Brescia den milden Moretto, Ferrara den feurigen Dosso Dossi.
Wie alle diese Schulen im 15. und 16. Jahrhundert neben
einander aufwachsen, in wechselseitigem Austausch sich steigern
und fordern, immer höher zur Vollendung reifen und den reinen
Lichtstrahl ewiger Schönheit in so vielen und verschiedenen Farben
accorden zurückwerfen, das gehört im weiten Bereiche mensch-
licher Bildungsgeschichte zu den genussvollsten, erhebendsten
Eindrücken.
In diesem herrlichen Gemälde bildet einen der schimmemdsten
Lichtpunkte die Schule von Venedig. Seit dem 14. Jahr-
hundert kann man ihr stetiges Wachsen und Reifen neben den
andern Schulen des mittleren und oberen Italiens verfolgen.
Während aber die übrigen Kunstgebiete, trotz mancher Ver-
schiedenheiten untereinander, durch das Band einer gemeinsamen
Tradition, eines verwandten Strebens verbunden sind, tritt von
Anbeginn Venedig, durch feine Lage mehr auf sich angewiesen
und fortwährend unter der gleichen Einwirkung derselben ört-
lichen Bedingungen, selbständiger den andern gegenüber. Mit
dem Beginne des 16. Jahrhunderts, wo in einer Reihe der grössten
Meister die Spitze des künstlerischen Schaffens erreicht und der
ganze Umfang an idealer Begabung, der dem italienischen Geiste
gegeben ward, nach allen Seiten hin erschöpft wird, sieht Venedig
die entsprechende Vollendung seiner Kunstweise in Tizian voll-
14*
r
1
212
zogen. Mit Lionardo, Michelangelo, Rafael und Correggio tritt
Er ebenbürtig und gleichberechtigt in eine Linie und schliesst
die herrliche Pentarchie der grössten italienischen Meister glor-
reich ab.
Fragt man nun nach dem, was die Malerei der Venezianer
so bestimmt von den übrigen italienischen Schulen unterscheide,
so wird selbst der nur oberflächlich mit der Kunstgeschichte Ver-
traute sogleich ohne Bedenken die Farbe bezeichnen. Uie
Venezianer stehen darin am schärfsten der florentinisch-römischen
Schule gegenüber, welche vor allen Dingen auf strenge Zeichnung
und eine mehr plastische Modellirung der Formen ausgeht. Aber
wie es auch unter den Florentinern einen grossen Coloristen
giebt, den anziehenden Andrea del Sarto, und wie Rafael,
der Gipfel, in welchem sämmtliche Schulen Mittelitaliens ihre ge-
meinsame Vollendung feiern, in einem oft an die Venezianer er-
innernden Grade der Farbenwirkungen mächtig war, so kommen
fast alle Schulen Oberitaliens, obwohl auch fíe grösstenteils von
der Grundlage des strengen Zeichnens ausgehen, obwohl Mantegna
darin so gut wie Lionardo da Vinci das Fundament aller weiteren
Entwicklung gelegt haben, bald dazu, das Colorit und das davon
nicht zu trennende Helldunkel — die Seele der Farbe — über-
wiegend zu betonen. Das zeigen schon jene beiden Meister
selbst, durch welche fast alle Schulen Oheritaliens nachhaltige
Einflüsse erfahren haben; das beweist auf dem Punkte der Voll-
endung wieder der grosse Künstlergenius des Correggio. Wenn
man nun, trotz so mancher Schattirungen, in dem tief abgestuften
Bilde der italienischen Kunstgeschichte die Venezianer dennoch
recht eigentlich die Vertreter der Farbe nennen kann, so fordert
dies zu einer eingehenderen Betrachtung auf, die uns nach den
Ursprüngen und der fortschreitenden Entwicklung jener Schule
mit Nothwendigkeit hinführt. —
Wer nur einmal an einem jener sonnigen Tage des Südens
die Wunderstadt des heiligen Markus gesehen, wie sie noch im
Verfall so zauberhaft schön mit ihrem alten ewig jungen Geliebten,
dem Meere, lächelt und scherzt und alle die Grüsse, die er ihr
aus der Tiefe emporsendet, und die in schimmernden Lichtreflexen
an den Marmorfäxjaden verwitterter Paläste hinaufzittem, mit
ihrem vollsten Accord erwidert, der begreift, dass hier alle Lust
eines farbenglänzenden, fchönheitverklärten Erdendaseins ihre
Heimath gefunden hat. Die milde Feuchte der Seeluft vermählt
sich mit dem Strahlenschein eines sonnig klaren Himmels, und
beide Elemente im Verein weben jenen duftigen Schmelz der
Töne, der wie ein geheimnissvolles Klingen die Lüfte durchbebt;
alle Gestalten wonnig umgaukelt, die Umrisse jeder Form in
einen weichen Schleier hüllt, und in die tiefsten Schatten eine
213
Schaar muthwilliger Kinder des Lichtes in neckischem Wiederfchein
wirft, dass selbst das Dunkel sich in ahnungsvolles verstohlenes
Leuchten auflöst. Und welche Gestalten umspielte einst, umspielt
auch jetzt noch manchmal dies wunderbare Zwillingselement,
welche Gestalten eines frei und zwanglos unter glücklicherem
Himmel erblühten Menschengeschlechtes, dessen edelste Repräsen-
tanten auf allen Bildern der Venezianer den Abglanz eines unver-
gänglichen Lebens höchster Erdenfreude bis in späte kümmerliche
Zeiten werfen! Und dazu sandte der ferne Orient der weithin
handelnden Seestadt seine prachtvoll phantastischen Söhne, Männer
von hohem Wuchs und würdevoller Schönheit in kostbar schimmern-
den faltenreichen Gewändern, eine Welt eigenartiger charakter-
voller Gestalten, die auf den Marmorfliessen des Markusplatzes
unter dem weichfluthenden Mondlicht der orientalischen Pracht
der Umgebung eine entsprechende Staffage schufen.
Und dieser Dom von San Marco selbst, wie ragt er mit
seinen vergoldeten Kuppeln und seinen schimmernden Mosaiken in die
Luft, ein märchenhafter Gruss des Morgenlandes an das Abend-
land, ein byzantinisches Enclave auf dem Kunstgebiet Italiens!
Hatte doch in seiner Form und mehr noch in seiner kostbaren
innern Ausschmückung die Kunst des Orients einen neuen Triumph
erlebt und den Wundem der natürlichen Umgebung ein kaum
minder angestauntes Wunder der bildenden Menschenhand gegen-
übergestellt! Wer in Venedig in den früheren Jahrhunderten des
Mittelalters mit dem Auge des Künstlers geboren ward, dem
musste der feierliche Goldglanz und die strenge Farbenpracht
der Mosaiken von San Marco als ein Höchstes künstlerischer
Herrlichkeit in die Seele brennen und den Sinn zur Lust an solchem
überirdischen Schimmer entzünden. Trat er dann hinaus ins
Freie und sah die Vaterstadt mit ihren Palästen und ihren Denk-
malen sich im klaren Tageslicht sonnen, sah den Reichthum und
die Schätze einer fremden Welt sich in ihren Kaufhallen aus-
breiten, sah ihre edlen Söhne und Töchter voll Selbstgefühl sich
in festlicher Lust auf dem engen, unvergleichlichen Fleck Erde
bewegen, den die Vorväter dem launenhaften Elemente ab-
gerungen hatten, so musste wohl all der vereinte Glanz sich zu
wundersamer Farbengluth in der empfänglichen Seele entzünden.
Einen Wiederschein davon finden wir wirklich schon in
einigen Gemälden des vierzehnten Jahrhunderts, die in Venedig
entstanden sind. — Dann aber wird ein hochbedeutender Künstler
nach Venedig berufen und bringt der dortigen Malerei von ariderer
Seite her verwandte Einflüsse. Es ist Gentile da Fabriano,
dessen Werke noch jetzt durch ihre reine Stimmung, ihre liebens-
würdige Klarheit und den zarten Far bensch immer den Beschauer
fesseln; derselbe Meister, den der berühmte Roger von der Wey de
214
für den ersten Maler Italiens erklärte, als er des Jubiläums wegen
im Jahre 1450 nach Rom gekommen war und in der Laterans-
basilika die Gemälde bewunderte, die jener dort ausgeführt hatte.
Und doch konnte der flandrische Meister, als einer der aus-
gezeichnetsten Nachfolger des Hubert van Eyck, bereits die
Wunder von Leuchtkraft und Farbenschmelz, welche die Malerei
des Nordens durch die vervollkommnete Anwendung des Oeles
sich zu eigen gemacht hatte. Sollte aber die Farbe auch in
Italien zur Herrschaft gelangen, so mussten die Meister sich mit
dieser neuen Art der Oelmalerei vertraut machen, die erst im
Stande war, dem lebendig erwachten Sinn für naturwahre Durch-
bildung der Gestalten Genüge zu leisten. Wie so oft in der
Geschichte menschlicher Entwicklung begegnete auch damals ein
neues geistiges Bedürfniss einem entsprechenden äusseren Mittel
zu seiner Befriedigung. Denn längst schon hatte der Sinn der
Menschen keinen Gefallen mehr an der einfach typischen, fast
nur symbolischen Art der früheren Kunst, die mehr durch eine
allgemeine Andeutung der körperlichen Form die Phantasie zur
Ergänzung anzuregen suchte. In voller Wirklichkeit des Lebens
wollte man fortan die Menschengestalt hervortreten sehen, nicht
mehr wie früher auf einen idealen Goldgrund gebannt, sondern
in der Frische und Pracht der natürlichen Umgebung, auf weitem
Plan in blühender Landschaft, umstrahlt vom Lichte eines klaren
Frühlingshimmels. Das Alles bot erst in vollendeter Weife die
Oelmalerei, und diese brachte nun ein begabter Schüler des van
Eyck, Antonello da Messina, in fein Heimathland. Es war die
Morgengabe, welche die alte Kunst Italiens von dem Geiste der
neuen Zeit entgegennahm. — Die wichtige Erfindung wurde
zuerst als ein kostbares Geheimniss gehütet. Antonello soll es
seinem vertrautesten Freunde Domenico von Venedig mitgetheilt
haben. Diesem wusste, wie Vasari uns erzählt, Andrea del Castagno
es zu entlocken, worauf er verrathen sch Jenem den Tod gab,
um im Alleinbesitze des beneideten Geheimmittels zu bleiben.
Glücklicher Weife hat sich diese Anekdote als völlig aus der Luft
gegriffen erwiesen, da Domenico seinen angeblichen Mörder um
beinahe vier Jahre überlebte. Gewiss ist nur, dass wir in den
letzten Decennien des fünfzehnten Jahrhunderts die Meister von
Venedig im freien Gebrauche der neuen Behandlungsweise finden.
Giovanni Bellini, der noch aus der alten Schule von Murano, wo
damals der tüchtige Bartolomeo Vivarini eine umfassende Thätig-
keit entfaltete, hervorgegangen war, und auf den auch Einflüsse
des Gentile da Fabriano bedeutend gewirkt haben müssen, ist der
treffliche Meister, der in einem neunzigjährigen Leben (1426—1516)
die Kunst der Venezianer bis dicht an den Gipfel der Vollendung
führt und ihr eine sichere Grundlage gewinnt, auf welcher sie
215
in gediegenster Lebensfülle sich nach allen Seiten auszubreiten
vermochte. Er ist es auch, der früh in Padua bei seinem be-
rühmten Schwager Mantegna sich in der Kunst einer strengen
Zeichnung und gewissenhaften Modellirung übte, im Studium der
Perspective und der Antike sich vervollkommnete. Manche seiner
früheren Bilder tragen noch das herbe Gepräge der paduanischen
Schule in ganzer Schärfe und Härte, wie eine kleine Madonna
mit dem Kinde in der Akademie zu Venedig, welche man kaum
ihm zutrauen würde, wenn sie nicht seine unzweifelhafte Namens-
bezeichnung trüge. Sieht man aber Werke seiner Spätzeit; wie
das herrliche Abendmahlsbild in S. Salvatore zu Venedig oder die
aus seinem sieben und achtzigsten Lebensjahre (1513) stammende
Altai-tafel des heiligen Hieronymus in 8. Giovanni Crisostomo
daselbst, so möchte man die freie Grossartigkeit der Charaktere,
die glühende Leuchtkraft , den weichen Schmelz der Farben
geradezu dem Tizian zusprechen. Vor solchen Bildern begreift
man, dass Albrecht Dürer, als er im Jahre 1506 sich längere Zeit
in Venedig aufhielt, an seinen Freund Willibald Pirkheimer
über den hochbetagteh Meister Giovanni schreiben konnte: „Er
ist ser alt und noch der pest im gemcll.u Hier in der That
kündigt sich schon der Höhepunkt der venezianischen Malerei
an, den wir nunmehr, in Tizian verkörpert, näher zu betrachten
haben. —
Hoch in einem wildromantischen Alpenthal, unfern der Grenze
Deutschlands, durchströmt von den klaren Wellen der Piave,
liegt der kleine Flecken Pieve di Cadore, der dem grössten
Maler der Venezianer das Leben schenken sollte. Die Abhänge
der kärnthischen und cadorischen Alpen, die mit sanfter Abdachung
sich in die fruchtbare Ebene von Friaul hinabsenken, scheinen
damals in ihren Bewohnern eine hohe Begabung für die Kunst
geweckt zu haben. Die Mehrzahl der berühmtesten Maler Venedigs
stammt aus dieser Gegend. Cima aus Conegliano, Giorgione aus
Castelfranco, Paris Bordone aus Treviso, Pordenone und die
Bassani, die man nur nach den Namen ihres Geburtsortes zu
nennen gewohnt ist. Tizian erblickte im Jahre 1477, drei Jahre
nach Michelangelo’s, sechs .Jahre vor Kafaels Geburt das Licht der
Welt. Er stammte aus der alten Familie der Vecelli, die man bis in
den Anfang des 14. Jahrhunderts hinauf verfolgt hat, und deren
Mitglieder oftmals in ihrem Heimathsorte die angesehensten Aemter
verwaltet haben, wie denn im .Jahre 1321 ein Guecello als Podestä
von Cadore erwähnt wird. .
In der herrlichen Umgebung seines kleinen Heimathortes
wuchs der junge Tizian frei und kräftig auf und empfing in
zartester Kindheit die Eindrücke einer grossartigen Alpennatur,
welche sich nachmals in seinen Bildern zu den edelsten land-
216
schädlichen Schöpfungen verklären sollten. Der Abbate Cadorin
in seiner sorgfältigen Schrift über den Meister hat das Haus als
noch bestehend nachgewiesen und abbilden lassen, in welchem
Tizian geboren worden ist. Es zeigt die malerische Anlage
schlichter Wohngebäude des Südens, geniesst aber nach allen Seiten
eine herrliche Aussicht. Ob der Knabe schon im Kindesalter
Zeichen besonderer Anlagen für die Malerei dadurch bekundet
hat, dass er einst ein Bild der Madonna mit dem Saft von Blumen
gemalt, ob er schon in Cadore von dem dortigen Maler Antonio
Bossi Unterricht in der Kunst erhalten, lassen wir dahingestellt
sein. Gewiss ist, dass er in seinem zehnten Jahre nach Venedig
geschickt wurde, um dort unter Aufsicht eines Oheims sich weiter
auszubilden. Dieser gab ihn zuerst dem Sebastiane Zuccato,
einem geschickten Mosaikmaler, bald aber dem berühmten Giovanni
Bellini in die Lehre.
Ohne Zweifel hat der junge Tizian mit allem Eifer sich den
Lehren des schon sechzigjährigen, aber in voller Frische schaffenden
Meisters hingegeben. Aus demselben Jahre 1487, in welchem
vermuthlich der talentvolle Schüler zu ihm kam, stammt in der
Sammlung zu Venedig ein mit Bellini’s Namen bezeichnetes Brust-
bild einer Madonna, welches das vor ihr aut einer Brüstung
stehende Jesuskind hält. Es ist ein kleines Bild von zartester
Ausführung, in einem milden Colorit mit feinen durchsichtigen
Schatten, der Kopf der Maria vornehm grossartig und doch liebe-
voll blickend; nur die Hände erscheinen etwas schwer und unge-
schickt. Man erkennt noch die Fesseln, welche die hergebrachte
Anordnung der Andachtsbilder und die überlieferte befangene
Farbenbehandlung dem Meister auferlegten. —
Die vollständige Befreiung der venezianischen Malerei aus
diesen Banden sollte ein hochbegabter Meister in feurigem Ungestüm,
ein Altersgenosse Tizians, Giorgio Barbare 11 i aus Kastel-
franco, seiner grossartigen Erscheinung und Kunstweise nach all-
gemein „Giorgione“ zugenannt, bewirken. Er war in demselben
Jahre mit Tizian geboren und lernte gleich diesem die Malerei
beim alten Bellini. Eine dichterisch angelegte Natur, tiefsinnig,
phantasievoll, durchglüht von bedeutenden schöpferischen Gedanken,
fand er bald kein Genüge mehr in der still gemessenen Weise,
dem fast ängstlichen Detailliren des alten Styles. Mit dem ächten
Blick des Malers begabt, entdeckte er für feine Kunst neue Ge-
biete, erfasste die Bedeutung der Gegensätze von Licht und Schatten,
von kalten und warmen Tönen, den Werth einer breiteren,
kühneren Pinselführung tiefer als ein Andrer vor ihm. So schuf
er sich einen grossen, feurigen Styl, der feine Zeitgenossen zu
solcher Bewunderung hinriss, dass nicht blos fein Mitschüler
Tizian mit ihm wetteiferte, sondern ihr gemeinsamer Meister mit
217
itaunenswerther Jugendfrische sich in seinen letzten Werken der
neuen Behandlungsweile hingab. Als nach einem Brande vom
Jahre 1504 die Tuchhalle der Deutschen (fondaco de' Tedeschi)
prächtiger wieder aufgebaut worden war, erhielt Giorgione den
Auftrag, die nach dem Canale grande gelegene Seite mit Fresken
zu schmücken. Seine Arbeit erregte allgemeinen Beifall. Begierig
nach gleicher Auszeichnung, wusste Tizian (1507) es dahin zu
bringen, dass man ihm die gegenüber liegende Seite auszumalen
anvertraute, und mit solcher Gewandtheit hatte er den Styl
Giorgione’s sich angeeignet, dass das Werk für eine Arbeit seines
Nebenbuhlers gehalten wurde, und man der Ansicht war, dieser
habe sich selbst darin übertreffen. Solche Urtheile scheinen den
leidenschaftlichen Giorgione verstimmt zu haben, so dass er sich
grollend von Tizian zurückzog. Schon vier Jahre darauf (1511),
in seinem einunddreissigsten Jahre, starb der kühne Geist, der
für die venezianische Kunst als Bahnbrecher zu bezeichnen ist.
Vasari sagt, die Pest habe ihn sammt seiner Geliebten fortgerafft;
Andere wollen in dem heftigen Gram über die Untreue seiner
Geliebten und dem verräterischen Undank seines Schülers, der
sie entführt habe, die Ursache seines Todes finden. Wie dem
auch fei, mit ihm verschwand vom Schauplatze der einzige Meister,
der bei längerer Lebenszeit seinem Mitschüler und Nebenbuhler
vielleicht die Hälfte seines Erfolges und Peines Ruhmes streitig
gemacht hätte. Für den glücklichen Tizian lag die Bahn nun-
mehr offen, auf der er in einem fast hundertjährigen Leben un-
angefochten feine Kunst zu den höchsten Triumphen führen
sollte.
Vergleichen wir nun den ferneren Lebensgang Tizians etwa
mit dem Rafaels, so tritt uns ein schlagender Gegensatz entgegen,
der auch für die von beiden vertretenen Kunstrichtungen be-
zeichnend ist. Rafael wächst in der Waldeinsamkeit seiner Um-
brüchen Heimath auf, erfüllt sich mit der Gemüthsinnigkeit
der Kunst Perugino’s, strebt dann in ein freieres Leben hinaus
und nimmt die ganze Frische und charaktervolle Energie der
Horentinischen Schule in sich auf, um endlich in der Hauptstadt
der Christenheit die Frucht eines kurzen, aber vielfach bewegten
Bildungsganges in Werken von grossartigem Umfang und un-
ermesslicher Gedankentiefe niederzulegen. Tizian, ebenfalls ein
Sohn des Gebirges, gelangt frühzeitig nach der reichen, lee-
beherrschenden Handelsstadt, eignet sich die Kunstweise, die sich
dort aus dem Wirken einer Reihe tüchtiger Meister entwickelt
hatte, mit grosser Begabung an und bildet den schon aus der
Knospe hervorbrechenden Styl Venedigs zu üppiger, vollendeter
Blüthe aus. Dem wirklichen Leben, den Aeusserungen der
Natur mit offenem Blicke zugethan, empfängt er keine fremden
218
Einflüsse, in reiferen Jahren besucht er Rom und erfreut sich
an Michelangelo’s und Rafaels unsterblichen Werken, ohne sich
in feinem eigenen Wege beirren zu lassen. Vielmehr wendet
er feine, auf dem Boden Venedigs erwachsene Kunstweise gleich-
mässig auf alle Gebiete der Darstellung an, schliefst zwar tief-
sinnige gedankenhafte Compositionen aus, giebt aber in allen
feinen Werken ein zum Idealen erhöhetes, künstlerisch verklärtes
Dasein, und beschliefst so, fast ohne alle Wandlungen des Styles,
eine schöpferische Laufbahn, die an Zeitdauer die Rafaels um
mehr als das Doppelte überragt. Was sich in der Reihe seiner
Werke an Verschiedenheiten bemerkbar macht, beruht mehr auf
einer aus den natürlichen Verhältnissen, aus dem zunehmenden
Alter und der Massenhaftigkeit der von ihm geforderten Pro-
duction nothwendig sich ergebenden Aenderung im Grade der
Ausführung, als auf einer Wandlung des Styles.
So prächtig reich dies seltne Künstlerleben hell wie im
vollsten Tageslicht aus seinen Werken uns entgegenstrahlt, so
wenig Klarheit ist über die nächsten persönlichen Verhältnisse
des Meisters verbreitet.
Suchen wir für unseres Meisters künstlerische Entwick-
lung nach äusseren Anhaltspunkten, so scheint es zunächst nicht
ohne Bedeutung, dass in den schon erwähnten Briefen, welche
Albrecht Dürer 1506 aus Venedig schrieb, seiner mit keiner Sylbe
gedacht, der damals achtzigjährige Giovanni Bellini noch „der
beste in der Malerei“ genannt wird. Hätte damals Tizian schon
als bedeutender Meister gegolten, so dürfte dies schwerlich der
scharfen Beobachtungsgabe Dürers entgangen fein. Erst 1507
mit dem bereits erwähnten ersten öffentlichen Aufträge für die
Kaufhalle der Deutschen scheint Tizian selbständig hervorgetreten
zu sein und bald seine Mitstrebenden in Schatten gestellt zu
haben. Aber schon in einer unterm 31- Mai 1513 an den Senat
von Venedig gerichteten Bittschrift kann er sich darauf berufen,
dass er mehrmals von Papst Leo X. und anderen Herren auf-
gefordert worden fei, in ihre Dienste zu treten, dass er aber aus
Liebe zu seiner selbstgewählten Heimathftadt vorgezogen habe
in Venedig zu bleiben. Er knüpft daran die Bitte ihm im Saale
des grossen Rathes malen zu lassen, und verspricht all sein Talent
und seinen Geist darauf zu verwenden und mit dem Schlacht-
bilde auf der Seite nach dem Platze hin zu beginnen, welches,
wie er nicht ohne Selbstgefühl hinzusetzt, „das schwierigste ist,
ein Unternehmen, dem sich bisher noch kein Mensch hat unter-
ziehen wollen.“ Dafür aber bittet er, ihm das Amt des Maklers
(die „Sanseria“) im Kaufhause der Deutschen zu verleihen. Dies
war ein Ehrenamt, welches die Herren von Venedig jedesmal
dem ausgezeichnetsten Maler der Stadt vertheilten, und mit
219
welchem eine .Jahreseinnahme von 120 Ducaten und die Ver-
pflichtung, den jedesmaligen Dogen für den Preis von acht Scudi
zu malen, verbunden war. Damals befass Giovanni Bellini noch
jenes Amt; gleichwohl beschloss der Rath am 28. November
1514 bereits, dass Tizian seiner Zeit die Anwartschaft darauf
geltend machen dürfe. Solches geschah denn auch in einem
Briefe des Meisters, in welchem er sich erbietet, das im Saale
des grossen Rathes von Pietro Perugino begonnene Wandbild
der Begegnung Kaiser Friedrichs des Rothbarts mit dem Papst
Alexander III. zu Venedig um die Hälfte des von jenem ge-
forderten Preises von 800 Ducaten zu malen, wogegen er fein
Anrecht auf die Sanseria geltend macht. In einem Erlass vom
28. Januar 1515 wurden ihm statt der 400 Ducaten freilich
nur 300 zugestanden, die Anwartschaft auf das Makleramt dagegen
bestätigt, und als Bellini am 29- November 1516 gestorben war,
erhielt Tizian durch einen Senatsbeschluss vom 5. December
desselben Jahres die Stelle.
Man erkennt aus diesen Verhandlungen deutlich die Geltung
Tizians, der offenbar schon damals als der erste Meister der
Malerei in Venedig betrachtet wurde. Um dieselbe Zeit sehen
wir ihn denn auch für auswärtige Fürsten vielfach thätig. Für
Herzog Alfons von Ferrara namentlich malte er mehrere mytho-
logische Bilder, ferner den berühmten Christus mit dem Zins-
groschen, und die Portraits des Fürsten und seiner Geliebten,
der Signora Laura. Am glänzenden Hofe von Ferrara schloss
er damals Freundschaft mit Lodovico Ariosto, der in seinem
„rasenden Rolandu Gelegenheit nahm, ihn zu verherrlichen.
Etwa seit 1530 erscheint der grosse Meister im Zenith seines
Ruhmes, wie ein schimmerndes Gestirn, das allmählich, aber
stetig am Horizont heraufgestiegen ist, um einen weiten majestä-
tischen Kreis am Himmel zu beschreiben und in langsamem
Gange fast ohne Abnahme der Leuchtkraft den Aether zu er-
hellen. Die kunstsinnigsten und mächtigsten Fürsten der Zeit
suchten ihn auf und überhäuften ihn mit Aufträgen und Gunst-
bezeugungen. Seit 1530 etwa finden wir ihn, wie eine Reihe
von Briefen beweist, in lebhafter (Korrespondenz mit dem Mar-
chese Federigo Gonzaga zu Mantua, für den er manch treffliches
Bild malte, und der mit den freundschaftlichsten Ausdrücken sich
an ihn wendet. —
Um dieselbe Zeit (1530) beschied Kaiser Karl V. ihn zu
sich an sein Hotlager nach Bologna, wo der lebens^ewandte
Meister sogleich im höchsten Grade die Gunst seines kaiserlichen
Mäcens zu erringen wusste. Ohne eifrig oder gar ängstlich um
die Huld der Grossen sich zu bemühen, verstand Tizian vortreff-
lich. in kluger Weltkunde die Verhältnisse zu nutzen. Seine
220
vornehme, imposante Erscheinung, die vollendete Anmuth des
Benehmens, die edle und gefällige Art der Unterhaltung unter-
stützten feine glänzenden künstlerischen Gaben in einer Weise,
dass in dem grossen Maler der ausgezeichnete Mensch zugleich
geschätzt wurde. Manche Anekdoten sind uns überliefert, welche
die Verehrung des Kaisers für den Meister schildern. Bekannt
ist jene Erzählung, dass Karl einst, als beim Malen unserm
Künstler der Pinsel entfiel, ihn selbst aufgehoben habe. Als
nun die Hotleute darüber stutzig wurden, sagte der Kaiser:
„Tizian ist werth, von einem Kaiser bedient zu werden.“ Und
ebenso soll Karl seinen Edelleuten ein anderes Mal, da sie über
die Bevorzugung des Malers murrten, das bedeutende Wort zu-
gerufen haben: „Grafen und Barone könne er nach Belieben
schaffen, einen Tizian Gott allein.“
Mehrmals finden wir auch Tizian in der Folgezeit am Hose
des Kaisers. So im Frühling 1536 zu Asti im Feldlager, als
Karl gegen Frankreich rüstete; so 1548 und kurz nachher 1550
wiederholt mit grossem Gefolge in Augsburg, wo er unter andern
Philipp II. und den Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen
malte. Mit welcher Aufmerksamkeit mag der wackere Lucas
Uranach, der seinem Herrn getreu in die Gefangenschaft gefolgt
war, zugeschaut haben, als der berühmte italienische Meister das
Bildniss desselben entwarf! Auch für Philipp war er in den
letzten Zeiten seines Lebens vielfach beschäftigt, und eine Reihe
der glühendsten, jugendffischesten Bilder verdankte diesem Ver-
hältniss ihre Entstehung.
Von solchen Ausflügen mochte der „Fürst der Maler“, mit
Ehren überhäuft, gern nach seiner Lagunenheimath zurückkehren,
wo er im Kreise kunstverwandter und geistvoller Freunde ein
Leben voll Thätigkeit und Genuss in voller Unabhängigkeit
führte. Hatte er durch feine Kunst sich Reichthümer erworben,
so wusste er dieselben in freigebiger Weise zu verwenden. Seine
Tochter stattete er in einer für jene Zeit glänzenden Art mit
einer Summe von 2400 Ducaten aus; für seinen Sohn Pomponio,
der den geistlichen Stand erwählt hatte, sorgte er, indem er ihm
Benefizien und Pfründen von seinen hohen Gönnern verschaffte.
Für seine Freunde war er unablässig bemüht sich zu verwenden.
Tizian wohnte in einem abgelegenen Theile der Stadt, fern
vom Geräusch, an der nördlichen Seite dicht am Meere. Sein
Haus, über welches der Abbate Cadorin in seiner mehrfach er-
wähnten Schrift Mittheilungen gemacht hat, war mit einem schönen
Garten umgeben, welcher die Aussicht über die weite Wasser-
fläche bis nach der fernen Insel Murano, dem alten Ausgangs-
punkt der venezianischen Malerschule gewährte. Den Horizont
schlossen die feinen schimmernden Linien der Alpenkette, die
!
— 221 —
-Berge seines Geburtslandes, die Schauplätze seiner Kindheit.
Hier lebte er in behaglicher Unabhängigkeit der Kunst und
dem erheiternden Verkehr mit seinen Freunden; hier empfing
und bewirthete er, schon sechsundneunzigjährig, König Hein-
rich HI. von Frankreich nebst zahlreichem Gefolge in wahrhaft
fürstlicher Weife. Hier war der Schauplatz jener reizenden
geselligen Unterhaltungen, von denen ein dabei Beteiligter,
Francesco Priscianese in einem 1553 veröffentlichten Briefe eine
so anziehende Schilderung entwirft. In dem prächtigen Garten
Tizians versammelten sich Jacopo Sansovino, Pietro Aretino,
Jacopo Nardi (der berühmte florentinische Geschichtsschreiber)
und der Erzähler. Unter Besichtigung der Gemälde, mit denen
das Haus angefüllt war, und unter geistvollen Gesprächen ver-
flog die Zeit bis zum Abend. Als die Sonne gesunken war,
und das Meer und die fernen Inseln in rosig goldene Lichtströme
sich tauchten, belebte sich die weite Wasserfläche mit tausend
Gondeln, von denen das Lachen schöner Frauen, untermischt
mit Gesang und Lautenklängen, herüberschallte. Die kleine er-
lesene Gesellschaft aber fass, angesichts dieser anmutigen Scenerie,
in der erquickenden Kühle beim köstlich bereiteten Abendmahle
bis tief in die Nacht hinein.
Zu andern Stunden mochte wohl der Meister, im höchsten
Alter noch voll Jugendfrische, am Abende seines Lebens hier
sinnend weilen, nach den fernen Bergen seiner Heimat hinüber-
blicken und die lange Reihe seiner glückgesegneten Jahre an sich
vorüberziehen lassen. Was ein Erdendasein schmücken und er-
heben kann, das hatte er in reichstem Masse genossen; die höchste
Kraft künstlerischer Begabung und eine über die gewöhnlichen
Grenzen weit hinausreichende unerschöpfliche Lebensfülle. Das
Bild ursprünglichster Gesundheit und Tüchtigkeit des Geistes und
des Körpers, schien er der zerstörenden Macht der Zeit Trotz
zu bieten. Jeder höchste Erfolg in seiner Kunst, Ruhm, Gewinn
und Anerkennung der Besten beglückte ihn und blieb ihm bis
an das späte Lebensende treu. Wenn fein bevorzugter Sohn
Pompon io durch ausschweifendes Leben dem Vater manchen
Kummer machte, so erscheint dies als der einzige Schatten in
einer solchen Ueberfiille von Licht, wie eine nothwendige Sühne
für eine so wunderbare Gunst des Geschickes. Aber wir dürfen
nicht ausschliesslich vom beispiellosen Glück des Meisters sprechen.
Wir müssen nicht vergessen, dass es in dem schönen Gleichmass
seiner Natur, in der seltensten Harmonie von Geistigem qnd Sinn-
lichem begründet war. Als im Jahre 1576 die Pest den neun-
undneunzigjährigen Meister sammt seinem Sohne und Schüler
Orazio hinraffte, endete eine der reichsten und glücklichsten Exi-
stenzen, die je gelebt wurden.
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Biographische Notizen
über diejenigen Dichter und Schriftsteller, von
welchen Stücke aufgenommen worden sind.
(In historischer G-ruppirung.)
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itOT -Wkksrlàiîsâ [mu isídoid no'giaojaih ladil
Simon Dach, geb. 1605 in Memel, gest. 1659 in Königs-
berg i. Pr. als Professor der Dichtkunst. Einer der besten Lyriker
des 17. Jahrhunderts, erwachsen unter dem Einfluss Opitz’,
wie alle Dichter dieser Zeit, ihn aber übertreffend an Innerlich-
keit und musikalischem Fluss der Sprache. Er war der Mittel-
punkt einer dichterischen Genossenschaft in Königsberg, welche
sich die „Kürbis-Hütte“ nannte, und zu welcher auch Robert
Robert hin und der Musiker Heinrich Albert gehörten. Hier
wurden heitere Gesellschaftslieder gedichtet, so wie die damals
üblichen Gelegenheitsgedichte und geistlichen Lieder in beträcht-
licher Anzahl. Der grosse Kurfürst von Brandenburg begünstigte
Dach besonders bei seinen Reisen nach Preussen. (S. Roquette,
Geschichte d. deutschen Dichtung I, 332.)
Paul Flemming, geb. 1609 zu Hartenstein im Voigt-
lande, erzogen auf der Fürstenschule zu Meissen, studierte Arznei-
kunde in Leipzig. Seine Liederdichtung entfaltete sich hier schon
frisch und unerschöpflich. Gewaltige und tief ergreifende Ein-
drücke stimmten ihn bald ernster, so die Schlacht bei Lützen,
unfern von Leipzig. Der Ruin des deutschen Vaterlandes in
dem verheerenden Kriege aller Nationen erfüllte ihn mit Trauer,
und feine Gedichte wenden sich mit Mahnungen, Anklagen und
Zomrufen gegen die allgemeine Zerrüttung, zum Theil besingen
sie die Helden dieser Tage. Den erschütternden Ereignissen
einer rohen Zeit gern aus dem Wege gehend, schloss sich Flemming
als Reisearzt einer Gesandtschaft nach Persien an, welche Herzog
Friedrich von Holstein ausrüstete. Die Reife umfasste mehrere
Jahre, und nach Abenteuern, Gefahren, Schiflbruch im schwarzen
Meer, Aufruhr und Verfolgung in Ispahan (beschrieben von Adam
Olearius, • Flemmings Reisegefährten) gelang die Rückkehr.
Aber Flemmings Gesundheit war durch die Anstrengungen unter-
graben, er starb bald nach der Heimkehr in Hamburg 1640, in
noch jungen Jahren. Unter den Lyrikern des 17. Jahrhunderts
ist er der Bedeutendste, zumal er mit beredten Worten an das
patriotische Gewissen seiner Nation zu pochen weiss, und in
Formen, Bildern, Anschauungen und Gedanken grosse Mannig-
faltigkeit entwickelt. (S. Geschichte der .deutschen Dichtung
I, 337.)
Roquette, Deutsches Lesebuch. II. 15
226
Friedrich von Hagedorn, geb. 1708 in Hamburg,
gest. eben da 1754, als Secretär einer Handelsgesellschaft. Als
am Anfang des 18. Jahrhunderts das deutsche Leben, noch
krankend an den Nachwehen des grossen Krieges, geistig er-
storben und theilnahmlos, durch die Wochenschriften der Züricher,
Bodmer und Breitinger, so wie Gottscheds in Leipzig,
gleichsam wieder urbar gemacht wurde für das Verständniss der
Dichtung, waren es Albrecht von Haller u. Fr. v. Hagedorn,
welche zuerst wieder als Dichter begrüsst werden konnten.
Haller im beschreibenden Gedicht (die Alpen) und in reflectiren-
den Dichtungen, deren Stil noch hart und schwerfällig; Hagedorn
in den gefälligeren Formen des Gesanges, vorwiegend des heitern
Liedes. Er war es, der in unmuthiger Leichtigkeit wieder singen
lehrte, und in der Fabeldichtung und poetischen Erzählung
(„Johann der muntre Seifensieder“) neue Anregungen gab.
Gottlieb Willi. Babener, geb. 1714 in Wachau bei
Leipzig, besuchte die Fürstenschule in Meissen, studierte in Leipzig
die Rechte, lebte daselbst im Amt und starb als Steuerrath in
Dresden 1771- Er ist Prosaiker, Verfasser von Abhandlungen
und Zeitschilderungen, die er Satiren nannte. Als solche sind
sie sehr matt und zeigen nur den Alltagströdel gewöhnlicher
bürgerlicher und ländlicher Kreise auf, ohne etwas Gefährliches
anzutasten; als Sittenschilderungen aber und Kostümbilder einer
begrenzten Epoche sind sie nicht zu unterschätzen, zumal bei ihrer
sprachlichen Durchbildung der Reinheit. Für die geistige Er-
ziehung des Bürgerstandes in seiner Zeit war er von nicht ge-
ringer Bedeutung.
Christian Fürchtegott Geliert, geb. 1715 zu Hai-
nichen in Sachsen, erzogen auf der Fürsten schule zu Meissen,
gest. 1769 als Professor der Philosophie in Leipzig. Er hatte
von allen Dichtern und Schriftstellern in der ersten Hälfte des
18. Jahrhunderts den umfassendsten und am tiefsten greifenden
Einfluss auf das deutsche Leben, und zwar unter allen Ständen.
Hauptsächlich durch seine Fabeln, Erzählungen und geistlichen
Lieder. Sein ganzes Wirken und Dichten, von der Moral be-
herrscht, aus einer Mittelstufe zwischen Empfindung und Verstand,
kam der Auffassungstakigkeit seiner Zeit recht eigentlich entgegen,
und fand Verständniss in den höchsten und niedrigsten Ständen.
Tausende verlangten von ihm, auch brieflich, Rath, Hülfe, Trost,
in den verschiedensten Lebenslagen; arme Bauern, Bürger,
Soldaten des siebenjährigen Krieges statteten ihm Dank ab fttr
seine Dichtungen: Fürsten, Minister, Generale erwiesen ihm Ehre
und boten ihm Unterstützung, wovon er doch das Wenigste fih'
sich verwendete. Den meisten Eindruck machte feine Audienz
bei König Friedrich II. von Preussen, und das günstige Urtheil
227
des Königs, der sonst deutschen Dichtern und Gelehrten nicht
viel Geschmack abgewann. Dieser allgemeine Beifall erstreckte
sich hauptsächlich auf Gellerts geistliche Lieder, Fabeln und Er-
zählungen. In den letzteren besonders, kleinen Bildern aus dem
Verkehr der Menschen, ihrer Leidenschaften, Thorheiten, Be-
strebungen und Schranken, entfaltete er grosse Mannigfaltigkeit, und
Wusste sie durch Züge der Beobachtung, leichten Humor und
wechselnde Darstellungsweise anziehend zu machen. Geht er da-
bei immerhin moralisirend zu Werke, so bleiben diese Geschichten,
die er ebenfalls Fabeln nennt, in ihrer Art doch unübertroffen.
Nur vorübergehend beschäftigte er sich in jüngeren Jahren mit
dem Drama („das Loos in der Lotterie; das Band; die zärtlichen
Schwestern“) und fein Roman „Leben der schwedischen Gräfin
v. G.“ ist zu Gunsten der Moral nur eine Verirrung. Wenn in
seinen späteren Jahren eine neu heranwachsende Jugend auf der
Universität, darunter der junge Goethe (1765—68) sich mit
seinen moral-philosophischen Vorlesungen nicht mehr einverstanden
erklärte, so war es doch Goethe, der, die Bedeutung Gellerts
richtig erkennend, sich im Verfolg zu seinem beredten Anwalt
machte.
Chr. Ewald von Kleist, geb. 1715 bei Köslin, studierte
in Königsberg, wurde Officier in dänischen Diensten, trat dann
in die preussische Armee über. Er war Major, als er in der
Schlacht bei Kunersdorf tödtlich verwundet wurde, und bald
darauf in Frankfurt a. d. Oder starb, 1759. Er, der mehr als
die Hälfte seines Lebens unter Waffen im Kriegslager, auf Zü-
gen und Märschen zubrachte, ist doch mehr ein Sänger des Frie-
dens, als des Kriegs. Nur aus ein paar patriotischen Oden und
dem kleinen Heldengedicht „Cissides und Faches“ klingt ein
heroischer Ton, glücklicher ist er in idyllischen Darstellungen.
Sein Hauptwerk ist „der Frühling“, ein beschreibendes
Gedicht.
Joh. Willi. Ludwig Gleim, geb. 1719 zu Ermsleben,
starb als Secretär des Domcapitels in Halberstadt 1808. Er
versuchte sich in fast allen poetischen Gattungen, eine angeregte
und anregende Natur, ohne tiefere dichterische Begabung. Sein
Streben, andere Dichter, besonders jüngere, zu fördern, Talente
zu entdecken, zu unterstützen, an sich zu ziehen, ihnen mit allen
Kräften nützlich zu sein, dazu sein unermüdlicher, umfangreicher
brieflicher Verkehr, machten ihn eine Zeit lang zum Mittelpunkt
eines literarischen Kreises. Sein persönlicher Einfluss und freund-
schaftliches Entgegenkommen bewirkten, dass man ihn überschätzte
und in „Vater Gleim“ auch einen bedeutenden Dichter sehen
Wollte. Er blieb auf einer bestimmten Bildungsstufe zurück, und
konnte dem neuen Aufschwung der deutschen Literatur, der mit
15*
Goethe und Schiller sich entwickelte, nicht folgen. Er schrieb
Fabeln, Erzählungen, tändelte in „anakreontiscben“ Liedern,
dichtete Weisheit in dem umfangreichen moralischen Lehrgedicht
„Halladat, oder das rothe Buch“. Am berühmtesten wurde er
durch feine „Kriegslieder eines preussischen Grena-
diers“, worin er die Siege Friedrichs II. und seiner Armee
besang. Diese Gedichte, im Ton wechselnd zwischen höchster
Begeisterung, trivialer Reimerei und gelehrter Abschweifung,
machten ihn zum Haupt der sogenannten „preussischen Dichter-
schule“ , zu welcher auch Rami er in Berlin, E. v. Kleist
und Andre zu zählen sind, und deren Bestreben es war, den
Ruhm Preussens zu singen, wobei Ueberzeugung und viel guter
Wille oft das Beste thaten. (Siehe Geschichte der deutschen Dich-
tung II, 134.)
Friedr. Gottlieb Klopstock, geb. 1724 in Quedlinburg,
vorbereitet auf der Schulpforta, studierte in Jena und Leipzig Theo-
logie. Hier schon liess er die ersten Gesänge des „Messias“ er-
scheinen, nahm dann eine Hauslehrerstelle in Langensalza an,
hielt sich einige Zeit in Zürich bei Bodmer auf, nahm dann
eine Berufung durch den Minister Grafen Bernstorf nach Kopen-
hagen an. Seit 1771 lebte er in Hamburg, wo er 1803 starb.—
Die ersten Gesänge des Messias erregten einen Sturm in der
zeitgenössischen Literatur und spalteten die Kritik in zwei feind-
liche Heerlager. Während die bisherige Verstandesrichtung, ver-
treten durch Gottsched in Leipzig und seine Schule, diese
Dichtung in ihrer Form, Darstellung und poetischen Eigenart
ablehnte und bekämpfte, hiessen Alle sie willkommen, die eine
tiefere Innerlichkeit von einem poetischen Werke verlangten.
Phantasie, überströmendes Gefühl, dichterische Würde und Ho-
heit, lyrische Empfindung, bis zur Ueberschwänglichkeit, finden
sich hier zum erstenmal, und zwar in höchster Ausdrucksfähig-
keit. Der Einfluss dieser Gesänge ging weit über den blossen
Eindruck, und eine ganze Umgestaltung, eine neue Epoche der
Dichtung begann von hier aus. Die nächsten Gesänge erfüllten
die allgemeinen Hoffnungen nicht so ganz, und der Abschluss des
Messias, zu dessen Vollendung Klopstock 25 Jahre gebraucht
hatte, zeigten nur noch ein abgeblasstes Bild der ursprünglichen
Ausführung. Als Ganzes ist der Messias weder ein Epos, noch
ein dichterisches Kunstwerk, sondern mehr der allgemeine Aus-
druck einer von tiefster Sittlichkeit und lyrischer Kraft erfüllten
poetischen Natur. Der Dichter versteht weder zu zeichnen, noch
zu gestalten, noch zu componiren, noch zu erzählen; alles Stoff- ,
liehe tritt zurück gegen das Wesen des Poeten, der an dem
Stoffe mehr sich selbst und fein Empfindungswesen entwickelt.
Trotzdem waren die Anfänge des Messias für die Zeit von weit-
229
tragender Bedeutung. Ebenso Klopftocks Oden in ihrer idealen
innerlich vertieften Auffassung aller Verhältnisse, des Lebens über-
haupt, wodurch für Deutschland eine ganz neue Empfindungs-
welt ausgeschlossen und willkommen geheissen wurde. Selbst
feine im dramatischen Sinne ganz unzulänglichen Schauspiele, die
er „Bardiete“ nannte („Die Hermannschlacht, Hermann und die
Fürsten, Hermanns Tod“) wirkten nachhaltig durch den Hinweis
auf die Liebe zum Vaterlande, den stolzen Mannesmuth und den
starken Freiheitsinn, der sich darin ausspricht. Von Klopstock
ging eine neue Entwicklung aus, welche den grössten Theil
der heranwachsenden dichterischen Generation umfasste. Der
Göttinger Dichterbund, die „Stürmer und Dränger“, die „Ori-
ginalgenies“ — hervorragende und oft in Verirrung befangene
Kräfte bildeten sich unter dem Einfluss Klopftocks; eine Reihe,
deren Productionen erst mit den Jugendwerken Schillers
einen Absclduss findet. (Siehe Geschichte d. deutschen Dich-
tung II, 69.)
Martin Christoph Wieland, geb. in dem Dorfe Ober-
holzheim, unweit Biberach, erzogen in der Schule zu Klosterberge
bei Magdeburg, studierte in Tübingen Rechtswissenschaft. Von
hier aus schickte er eine Dichtung an Bodmer, der ihn zu sich
nach Zürich einlud. Wieland betrat Bodmers Haus bald nach-
dem Klopstock es verlassen hatte, blieb eine Reihe von Jahren
in Zürich, ging dann als Hauslehrer nach Bern. Nach Biberach
zurückgekehrt, wurde er Kanzleirath; bekleidete kurze Zeit eine
Professur in Erfurt, wurde endlich von der Herzogin Amalia von
Sachsen - Weimar zur Erziehung ihres Sohnes, des Erbprinzen
Karl August, berufen. Hier traf er 1772 ein, als erster der
Dichtergruppe, welche das fast noch unbekannte kleine Weimar
zur literarisch bedeutendsten Stadt Deutschlands erheben sollte.
Er lebte hier, bald im Verkehr mit Goethe, Herder, Schiller,
unausgesetzt thätig bis zu seinem Tode 1813. Wieland hatte
bereits vor seinem 20. Lebensjahre einige Werke veröffentlicht,
die ihm in der Jugend schon eine gewisse Berühmtheit eintrugen.
(„Ueber die Natur der Dinge; Anti-Ovid; Frühling; Lobgesang
auf die Liebe.“) Der Einfluss Klopftocks und die pietistische
Richtung der Schule von Klosterberge vereinigen sich in diesen
Arbeiten, und geben ihnen den Charakter einer scheuen Innerlich-
keit, bis zur mönchischen Weltverachtung und frömmelnden
Geftihlsüberhebung. Das Unwahre dieser Richtung wurde schon
damals von dem jungen Lessing empfunden, der, zur Zeit in
Berlin, nur wenige Jahre älter, feine kritischen Anfänge machte
und unter der kopfhängerischen Maske Wielands einen ganz
andern Charakter witterte. Wirklich trat bald durch die Be-
rührung mit dem Leben und der Gesellschaft eine tiefgreifende
— 230 —
Wandlung bei ihm ein, die in seinen „Griechischen Erzählungen“
ihn in seinem äussersten Gegensatz zeigte: sinnlig, üppig, glän-
zend, farbenreich in der Darstellung, und trotz alles Bedenklichen
darin doch zum erstenmal von wirklicher dichterischer Bedeu-
tung. Diese innere Umwandlung kam dann noch mehr zur Er-
scheinung in seinen Romanen „Don Silvio von Ro salva “ , vor-
züglich in Agathen, der bereits die weltliche Richtung von
einer philosophischen Betrachtung beherrscht darstellt. Wieland
entfaltete nun eine erstaunliche literarische Fruchtbarkeit in Ro-
manen, epischen Dichtungen, Uebersetzungen (Werke von Cicero,
Horaz, Lucian, den ganzen Shakespeare) so wie als Herausgeber
der Wochenschrift „Der deutsche Merkur“ , an welcher alle be-
deutenden Schriftsteller sich betheiligten. Wielands Romane, die
grösstentheils auf altgriechischem Boden spielen, mit dem der sehr
moderne Inhalt sich oft sehr schwer vertragen will, behandeln
zum Theil auch jenen Uebergang aus einem haltlosen Ideale und
Traumleben zur Wirklichkeit (Peregrinus Proteus), oder sie
stellen psychologisch interessante Charaktere, (Agathodämon), auch
wohl Satyren auf die Gegenwart dar (die Abderiten). Noch mehr
betont ist die Wandlung aus der Schwärmerei zur Weltlichkeit,
die er selbst durchlebt, in den erzählenden Dichtungen. Die
frühesten sind noch befangen durch die Lüsternheit nach sinnlichen
Darstellungen (Idris und Zenide) bald aber bringen sie den Le-
bensgenuss in eine Art von philosophisch - künstlerischem System
(Musarion). In den späteren tritt mehr und mehr ein rein künst-
lerischer Gesichtspunkt auf (Geron; Clelia und Sinibald; Gan-
dalin). In seinem reifsten Werke, dem grossen Epos Oberon
sind die früheren Irrungen überwunden. Trotz der Uneben-
heiten der Form in Strophen- und Versbau ist doch der Oberon
durch die künstlerische Verschlingung der Handlung, die schöne
Charakteristik, den Glanz der Darstellung ein Werk von dauern-
dem Werth geblieben. — Wieland tritt als der äusserste Gegen-
satz zu Klopstock auf, aber seine Gegenwirkung war nur vor-
theilhaft für die Entwickelung der Literatur. Denn wenn diese
Gefahr lief, durch Klopstocks Einfluss sich ganz in Geist und
Seele aufzulösen, eroberte ihr Wieland das Recht an die Sinnen-
welt und ein mannigfacher entwickeltes Leben wieder. Wielands
Bildung, Geist und umfassendes literarisches Wirken geben ihm
eine Bedeutung, die einige Mängel seines Wesens bei weitem
aufwiegt. (S. Gesell, der deutschen Dichtung II, 94.)
Gotthold Ephraim Lessing, geb. 1729 zu Kamenz in
der Lausitz, vorgebildet auf der Fürstenschule zu Meissen, machte
in seinen Universitätsjahren in Leipzig Studien auf allen Gebieten
des Wissens. Hier auch entstanden bereits feine ersten Lust-
spiele (der junge Gelehrte, der Schatz, die Juden u. a.). Seine
s
— 231 —
kritischen Anfänge begannen darauf in Wittenberg und Berlin,
und auch ein unstätes Leben während der Zeit des 7jährigen
Krieges, zwischen Berlin und Leipzig wechselnd, hinderte ihn
nicht seine gelehrten Studien und sein literarisch kritisches Wir-
ken zu unterbrechen. Die „Literaturbriefe“ , zu welchen er sich
in Berlin mit Franz Nicolai, Moses Mendelssohn u. A. ver-
band, stellten zuerst neue Gesichtspunkte für Kritik und Lite-
ratur auf. In den Jahren 1760—65 lebte er als Gouvernements-
fecretär in Breslau, und verdankte dieser Zeit die Anregung zu
seinem Lustspiel „Minna von Barnhelm“, dem ersten histo-
rischen, zugleich dem ersten musterhaften deutschen Lustspiel.
Die nächste Zeit sah ihn wieder in Berlin, wo er seinen „Lao-
koon, oder die Grenzen der Malerei und Poesie“ schrieb. In
Hamburg, wohin man ihn zur Begründung eines Nationaltheaters
als Kritiker und Dramaturgen berief, verweilte er nur kurze
Zeit und stellte seine Untersuchungen über das Drama darauf zu-
sammen unter dem Titel „Hamburgische Dramaturgie“.
Er folgte endlich einem Ruf als Bibliothekar nach Wolfenbüttel,
gab gelehrte Werke heraus, deren eins ihn in Gegensatz zu den
Theologen brachte. Das Resultat dieses Kampfes ist die kritische
Streitschrift „Antigöze“, ein versöhnender Abschluss aber fein
dramatisches Gedicht „Nathan der Weife“. Er starb bei
einem Ausflug zu seinen Freunden in Braun schweig 1781. Lessings
Bedeutung ist nicht in Kürze zu erschöpfen. Jedes seiner grö-
sseren Werke, auf gelehrtem, kritischem, dichterischem Ge-
biete, bezeichnet einen Fortschritt und ein Muster des Ge-
staltens und Bildens. Im Laokoon und in der Dramaturgie
leitete er von den Untersuchungen über das Wesen der Kunst
eine neue Beurtheilungsweise her, lenkte von den Verirrungen
des Geschmacks zudem Streben nach einer nationalen Kunst
und Dichtung über. Jedes seiner grösseren dramatischen Werke:
Miss Sara Sampfön, Minna von Barn heim, Emilia
Galotti, Nathan der Weise — ist gleichsam eine praktische
Anwendung der von ihm aufgestellten neuen Gesichtspunkte
und Regeln, zugleich eine literarische That, ein Sieg der deutschen
Dichtung über die bisherigen Nachahmer des französischen Thea-
ters. Lessing, seinem Geburtsjahr nach zwischen Klopstock und
Wieland stehend, und schon in seiner Jugend die Verdienste
beider richtig gegen einander abwägend, wurde durch die Genialität
seines Verstandes der erste Gesetzgeber und Reformator der deut-
schen Literatur. (Siehe Geschichte d. deutschen Dichtung II, 152.)
Johann Joachim Winkelmann, geb. 1717 in Stendal,
seit 1743 Gonrector in Seehausen. Aus dürftigen Verhältnissen
sich emporringend, gelang ihm endlich fein Streben, der Kunst
und ihrer Erforschung ganz angehören zu können. Er ging nach
t
232
Italien, wo er zuletzt in einflussreicher Stellung als Oberaufseher
der Alterthümer in und um Rom thätig war. Von einer Reise
aus Deutschland zurückkehrend, wurde er in Triest von einem
Italiener (der nach seiner Sammlung antiker Goldmünzen trach-
tete) ermordet, 1768. Nicht nur durch seine Ausgrabungen und
Entdeckungen antiker Kunstwerke in Rom, Neapel, Pompeji, und
ihre Erklärung, erwarb er sich bleibende Verdienste, er wurde
durch feine schriftstellerischen Werke der Begründer der Kunst-
wissenschaft. Auf diesem Gebiet eine Lessing verwandte refor-
matorische Kraft, begann er, wie dieser, das Wesen der Kunst
zu ergründen, um das historische Erwachsen derselben aus natio-
nalen , klimatischen und geographischen Ursachen herzuleiten.
Sein bedeutendstes Werk: die „Geschichte der Kunst des
Alterthums“ wurde das erste Muster historischer, künstlerischer,
ästhetischer und zugleich stilistischer Darstellung. (Siehe Geschichte
der deutschen Dichtung II, 196.)
Johann Gottfried von Herder, geb. 1744 zu Meh-
rungen in Ostpreussen, von bürgerlicher Familie, studierte in Königs-
berg, wird Lehrer und Prediger in Riga, dann Reiseprediger
eines Prinzen von Holstein-Eutin. Bei einem längeren Aufent-
halt in Strassburg (eines Augenübels wegen) lernt er den jungen
Goethe (damals Student) kennen und wirkt anregend auf ihn.
Darauf Hofprediger in Bückeburg, endlich, auf Veranlassung
Goethe's, von dem Herzog Karl August nach Weimar berufen,
wo er in hohen kirchlichen Aemtern, geadelt, im Jahr 1803
starb. Herder war eine rastlose Natur, unruhig zwischen Ver-
standesrichtung, Phantasie und Empfindung schwankend, was sich
bis in seinen Stil und seine Darstellungsweise geltend macht. Er
ging, wie Lessing, von der Kritik aus („Kritische Wälder“) um
reformirend, aufbauend und anregend zu wirken. In der Reihe
seiner prosaischen Schriften, die bald für die Erziehung des Men-
schen, für die Betrachtung der Geschichte, die Kunst und Dich-
tung u. s. w. Anregung und neue Gedanken ausstreuten, wirkte
fein Werk „Ideen zur Philosophie der Geschichte der Mensch-
heit“ am nachhaltigsten. — Wenn Lessing für die Entwicklung
der deutschen Literatur den Gesichtspunkt der nationalen
Dichtung aufstellte, so begrenzte Herder sein Streben, indem er
das Volksthümliche der Poesie betonte. Lessings Hinweise
und eigne Schöpfungen umfassten mit Vorliebe das Drama; Herder,
eine lyrisch gestimmte Natur, wendete sich vorwiegend der volks-
tümlichen Liederdichtung zu. So entstand sein Werk „Stimmen
der Völker in Liedern“, worin er sammelnd, übersetzend
und ordnend, aus den Volksgesängen aller Völker ein Ganzes
zusammenstellte. Der Einfluss dieses Werkes, welches einen
neuen Urquell der Poesie aufschloss, machte sich sofort bei der
233
jüngeren Dichtergeneration sichtbar. Als Dichter ist Herder nicht
hoch anzuschlagen, wie vielgestaltig sich seine regsame poetische
Natur immer auszusprechen wusste. Auch fein umfangreichstes Ge-
dicht „Der Cid“, ist nur ein Werk seiner Uebersetzungs - und
Sammlerthätigkeit, indem er aus dem spanischen Balladenbuche,
das die Thaten des Helden erzählt, die bezeichnendsten auszog
und zusammen stellte. Wurde daraus kein Epos, so entstand doch
eine anziehende, glänzende Bilderreihe, die sich dauernden Bei-
fall erhalten konnte. (Siehe Geschichte der deutschen Dichtung
n, 199.)
Johann Jakob Engel, geb. 1741 zu Parchim, Professor
am Joachhnstharsehen Gymnasium, in den Jahren 1787—94
Director des Theaters in Berlin, gest. 1802. Ein Prosaiker, der,
im Stil mit Lessing wetteifernd, eine populäre Philosophie in
Abhandlungen, kleinen Geschichten und Lebensbildern vorzu-
tragen wusste, die er unter dem Titel „Der Philosoph für die
Welt“ sammelte. Sein Hauptwerk ist der Roman „Herr Lorenz
Stark“, welcher zuerst in Schillers Monatsschrift „Die Horen“
erschien; musterhaft in Charakterzeichnung, Darstellung und Stil-
vollendung.
Salomon Gessner, geb. 1730 in Zürich, lebte einige
Zeit in Berlin, ging nach seinem Heimathsorte zurück, wo er
die Buchhandlung seines Vaters übernahm, starb 1787. Gessner
war Dichter und ausübender Künstler zugleich. Seine Idyllen,
für welche er eine poetisch geschmückte Prosa wählte, und seine
Gemälde, Stiche, Radirungen entsprechen einander. Ideale land-
schaftlicher Darstellungen, mit menschlicher Staffage, oft antikisirt
mit Faunen, Hirten, Opferaltären und Architekturen geschmückt.
Er erzählt naiv kleine, an sich unbedeutende Vorgänge, stellt
ein kindlich unschuldiges Naturleben mit poetischer Anmuth dar.
Selten erhebt sich seine Erzählung (wie in dem „Ersten Schiffer“)
zu einer erweiterten Handlung. Er wurde einst übertrieben hoch
gehalten, um später übertrieben gering geschätzt zu werden.
Gottfried August Bürger, geb. 1748 in Wollmers-
wende im Halber städtischen, studierte in Halle, dann in Göttingen
die Rechte, wurde .1 ustizbeamter in Altengleichen, gab fein Amt
auf und liess sich als Docent an der Universität in Göttingen
nieder. Nach vielen Irrungen und selbstverschuldeten Lebens-
wirren starb er 1794. Bald nachdem Bürger nach Göttingen
gekommen war, bildete sich dort der Dichterbund (Voss, Hölty,
Miller, die Grafen Stollberg u. A.), zu dem er zwar m;t seiner
Richtung nicht gehörte, mit dessen erstem Vorsitzenden, Boie,
er aber eng befreundet war. Auch zu dem Göttinger Musen-
almanach, dem eigentlichen Organ des Bundes, lieferte er
feine Balladen. Ja, er, der bei seiner sinnlichen Natur, von der
234
idealen Klop stock’sehen Richtung des Bundes ausgeschlossen blieb,
lockte doch die Brüder des Bundes in die Nachahmung seiner
Balladen, worin es ihm freilich keiner gleich thun konnte. Bür-
ger war einer der Ersten, die sich von Herders „Stimmen der
Völker“ und seinem „Natur-Evangelium“ ergriffen fühlten. Die
englische und schottische Volksballadendichtung gab ihm neue
Anregung. So bildete er für sich eine neue Gattung der Ballade
in breiterer Anlage aus. Die „Lenore“ führte den Reigen,
um, bei dem ungewöhnlichen Beifall, den sie mit Recht errang,
eine ganze Reihe, zum Theil vorzüglicher Balladen, heranreifen
zu lassen. Bürgers unvergleichliches Talent in dieser Gattung,
seine glühende lyrische Empfindung und glänzende Ausdrucks-
fähigkeit wurde leider viel getrübt durch die sittlichen Mängel
seiner Natur, so dass aus der Reihe seiner Gedichte ebensoviel
wegzuwünschen, als dichterisch bedeutend zu nennen ist. (Siehe
Geschichte der deutschen Dichtung II, 234.)
Johann Heinrich Voss, geb. 1751 zu Sommersdorf in
Mecklenburg - Schwerin, musste sich als Sohn eines armen Schul-
lehrers kümmerlich durchhelfen, und die Mittel zum Universitäts-
studium als Hauslehrer selbst erwerben. Er ging nach Göttingen,
wo er den Dichterbund (Boie, Hölty, Miller, die beiden Grafen
Stollberg, Leisewitz u. A.) mit stiftete, und bald das Haupt und
die Seele des Bundes wurde. In jugendlicher Begeisterung schloss
sich dieser Kreis eng an Klopstock an, und suchte in seinem
Sinne zu wirken, während man Wieland offen den Krieg er-
klärte. Der Göttinger „Musenalmanach“, zuerst von Boie, in
den späteren Jahren von Voss herausgegeben, in welchem dieser
Kreis feine Gedichte erscheinen liess (auch von dem jungen Goethe
brachte er Dichtungen) leitete eine neue Epoche der Lyrik ein.
Voss verliess Göttingen um nach Wandsbeck zu ziehen, ver-
heirathete sich mit der Schwester seines Freundes Boie (welche
später in hohem Alter das Leben und Wirken ihres Gatten
schilderte), wurde Rector zu Otterndorf, dann zu Eutin. Nach-
dem er sein Amt niedergelegt, zog er nach Jena, wo er in Ver-
kehr mit Goethe und Schiller trat, folgte dann 1805 einem Ruf
nach Heidelberg, wo er unter Arbeiten und Plänen 1826 starb.
Voss wareine scharfkantige deutsche Natur, ein schroffer ('harakter,
aus dem die mehrfachen literarischen und gelehrten Fehden, die
er führte, herzuleiten sind: Seine Ueberzeugung konnte er nie
verleugnen, sein Gewissen trieb ihn, sogar gegen Freunde hart
aufzutreten, wie gegen Fr. Stolberg, als dieser, zum Katholicis-
mus übergetreten, sich in Schriften gegen den Protestantismus
wendete. Als Gelehrter hat Voss grosse Verdienste („Mytho-
logische Briefe“ — „Zeitmessung der deutschen Sprache“) und
stand auf diesem Gebiet als Autorität da, ebenso als Uebersetzer.
235
Seine Ueber tragung des Homer ist so volksthümlicli geworden,
dass, trotz der vielen Härten des Ausdrucks., sie durch keine
andre hat verdrängt werden können; sie ist der deutsche Homer
geworden. Voss, als Dichter, hat von seinem einstigen Ruhme
mit der Zeit viel eingebiisst. Seine Lieder waren die am meisten
gesungenen. Sie haben leichten Fluss, berühren aber nicht tief,
und besonders feine Gesellschafts-, Haus-, Tisch- und dem Volke
angepassten Lieder verlaufen sich bis in die plattste Reimerei.
In der Idylle aber betrat er neugestaltend ein noch unbetretnes
Gebiet, welches er als fein bestes poetisches Eigenthum verwal-
tete. Indem er sich der Form und Darstellung Homers anschloss,
erschuf er Bilder aus dem ländlichen, bäuerlichen Kreise, volks-
tümlich gehalten, einige sogar in plattdeutscher Mundart ge-
schrieben. Auch Scenen aus dem kleinen bürgerlichen Kreise
behandelte er in Idyllenform („Der siebzigste Geburtstag“), stellte
auch wohl das ländliche Familienleben der Ueppigkeit der Cultur-
welt gegenüber („Der Abendschmaus“). Den für ihn höchsten An-
lauf nahm er in dem Idyllencyclus „Louise“, wo sich die ein-
fachen idyllischen Zustände etwas mehr novellistisch zusammen-
schliessen. Wie wenig das Gedicht auch aus poetischer Tiefe
stammt, oder einen höheren Schwung der Phantasie zeigt, wurde
es eines der populärsten. Es bleibt immer ein bemerkenswerthes
Culturbild, wenn es gleich bald verdrängt wurde durch Goethe's
„Hermann und Dorothea“, zu welchem es mit anregend gewirkt
hatte. (Siehe Geschichte der deutschen Dichtung II, 243).
Friedrich Leopold Graf von Stolberg, geb. 1750
zu Bramstedt in Holstein, bezog zugleich mit seinem zwei Jahre
älteren Bruder Christian, die Universität zu Göttingen, wo beide
Mitglieder des Dichterbundes wurden. Durch die nahe Beziehung
der Brüder zu Klopstock gewann der Göttinger Kreis noch engeren
Anschluss an den Dichter des Messias. Nach Vollendung ihrer
Studien reisten beide nach Frankfurt a. M., um Goethe kennen
zu lernen, der sich aus der Entfernung den Bestrebungen des
Bundes schon befreundet hatte, und lockten ihn mit nach der
Schweiz. Friedrich Stolberg wurde Lübeck - Oldenburgischer Ge-
sandter in Kopenhagen, dann Regierungspräsident in Eutin, wo
er mit Voss wieder zusammentraf. Eine Reise nach Rom führte
ihn innerlich dem Katholicismus näher, zu dem er dann, durch
die Fürstin Gallitzin völlig gewonnen, in Münster übertrat. Er
legte fein Amt nieder, schrieb seine, „Geschichte der Religion
Jesu“, die ihm die harte Erwiderung seines Freundes.Voss zu-
zog, lebte zurückgezogen an verschiedenen Orten, zuletzt in
Sondermühlen bei Osnabrück, wo er 1819 starb. Seine Jugend
und sein Mannesalter bilden den schroffsten Gegensatz. In der
Göttinger Zeit ein glühender Freiheitsschwärmer, ein unbändiges
236
Sturm - und Drang-- Genie, später innerlich verdüstert, alle feine
Ideale, feine geistige Freiheit verleugnend, in seiner Umkehr
Alles bekämpfend, was er sonst mit Feuer vertreten hatte. Sein
lyrisches Talent trat am glänzendsten in seinen jugendlichen
Oden im Styl Klopstocks auf, feine balladenartigen Lieder wurden
viel gesungen. Christian Stolberg, der ältere Bruder (gest.
1821), versuchte sich auch auf lyrischem, später auf dramatischem
Gebiet, mehr angeregt, als dichterisch begabt.
Lud. Heinr. Christoph Hölty, geb. 1748 zu Mariensee
im Hannoverschen, besuchte die Schule in Celle, dann die Uni-
versität zu Göttingen, wo er zu den Stiftern des Dichterbundes
gehörte. (Siehe Voss.) Er starb in jungen Jahren, 1776. Hölty
ist ganz Lyriker, dessen weiches, kindliches Gemüth sich am
schönsten in Oden und Liedern ausspricht. In dem Gefühl den
Todeskeim in der Brust zu nähren, von dem Gedanken an den
Tod stets erfüllt, ist auch feine poetische Stimmung meist von
Schwermuth befangen, und selbst wo er erzählen will, schildert
er gern das Sterben und das Begraben, und feine Phantasie er-
geht sich mit Vorliebe auf Kirchhöfen. Dazwischen leuchtet ihm
zuweilen ein heller Sonnenstrahl der Jugendfreude durch Gemüth
und Lieder. Die Versuche, in der Weise Bürgers, scherzhafte
Balladen zu dichten, stehen feinem Wesen sehr übel an, besser
gelingen ihm volkstümliche Anklänge. Am meisten neigt sich
feine Natur nach der sentimentalen Seite Klopstocks. Aus Hölty's
Oden spricht eine Jünglingsseele, die an Reinheit ihres Gleichen sucht.
Matthias Claudius, geb. 1740 zu Reinfeld in Holstein,
lebte meist in Wandsbeck, starb 1815 in Hamburg. Befreundet
mit Voss, den übrigen Göttingern und Klopstock, aber doch eine
Sondernatur. In seiner Dichtung wechselt stille Sentimentalität
mit volkstümlicher, oder mehr burlesker Komik. Sehr bekannt
wurden in der letzteren Richtung feine Lieder „Bekränzt mit
Laub den lieben vollen Becher“ und „Wenn jemand eine Reife
thut“ (Herrn Urians Reife um die Welt), so wie seine Monats-
schrift „der Wandsbecker Bote“.
Johann Wolfgang von Goethe, geb. 1749 in Frank-
furt a. M., stammt von bürgerlicher frankfurter Familie, wo sein
Vater, wohlhabend und ohne Amt, mit dem Titel eines kaiserlichen
Rathes lebte. Von dem Vater und einigen Lehrern unterrichtet,
ohne eigentliche Schulbildung, aber durch eigene Studien mannig-
fach gefördert und frühreif entwickelt, wurde er in feinem 16.
Jahre auf die Universität nach Leipzig geschickt, um seine
juristischen Studien zu beginnen. Leipzig stand immer noch in
dem Rufe der ersten Literaturstadt Deutschlands, obgleich Gott-
scheds Bedeutung vorüber und Gelierte Kraft durch Alter und
Kränklichkeit gebrochen war. Beide lernte Goethe noch kennen,
237
und hörte Gellerts Vorlesungen über Moral. Goethe’s dichterische
Anfänge stammen schon von früher, seine poetische Kraft beginnt
in Leipzig sich selbständiger zu regen, in Liedern und kleinen
Dramen (die Laune des Verliebten; die Mitschuldigen). Nach
drei Jahren kehrte er nach Frankfurt zurück, brachte aber die
Nachwehen einer Krankheit (Blutsturz) mit nach Hause, die ihn
lange an das Zimmer und die Einsamkeit fesselten. Zu dieser
Zeit, wo er sich an mystischen Büchern unterhielt, tauchte bereits
die Gestalt des Doctor Faust vor seiner Phantasie auf, die. ihn
60 Jahre seines Lebens fesseln und poetisch beschäftigen sollte.
Nach seiner Genesung nahm er in Strassburg feine Studien auf,
wurde durch den Verkehr mit Herder vielfach angeregt, erwarb
den juristischen Doctorgrad und kehrte auf kurze Zeit nach
Frankfurt zurück, um sich dann in Wetzlar, dem Sitz des Reichs-
kammergerichts, für die Advocaturge schäfte zu unterrichten. Diese
begann er dann in Frankfurt, mehr aber beschäftigte ihn sein
erstes grö sseres W erk, GötzvonBerlichingen. Diese Dichtung,
welche alle bisherigen Regeln des Dramas kühn vernichtete, wirkte
fortreissend und leitete auf dramatischem Gebiet die Epoche der
„Stürmer und Dränger“ ein (Klinger, Lenz, Wagner, Leisewitz
u. A.), deren Werke doch an dieses nicht reichten. Was im Götz
begonnen war, führte Goethe's nächstes Werk weiter, der Roman,
„die Leiden des jungen Werther, ein Zeit- und Charakter-
bild, die Entfesselung der Subjektivität und ihre Selbstvernichtung
tragisch darstellend. Durch diese beiden Werke wurde der junge
Goethe ein Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit, und weder
gjie Geschäfte noch die Dichtung konnte in der nächsten Zeit
bei Zerstreuungen, Besuchen (die Grafen Stolberg, Klopftock,
Lavater, Basedow, Jung u. s. w.) gefordert werden. Zahlreiche
Pläne, die Anfänge des Faust und Egmont, die Dramen
Clavigo, Stella, Erwin und Elwire, Claudine, so wie
Kleinigkeiten und Lieder (deren er einige den Göttingern für
den Musenalmanach sandte. — Siehe: Voss und Bürger) stammen
aus dieser Zeit. Unter den zahlreichen Anknüpfungen mit Fremden
und Durchreisenden war die wichtigste die mit dem jungen Erb-
prinzen und baldigen Herzog Karl August von Weimar. Dieser,
vom ersten Augenblick an Goethen lebhaft zugeneigt, lud ihn
zu sich nach Weimar ein. Goethe folgte der Einladung, traf
zu Ende des Jahres 1775 in Weimar ein, zuerst als Gast, bald
aber dauernd an die Person des Herzogs als Freund, und an
die Verwaltung des Staates gefesselt. Hier fand er Wieland
und wusste den Herzog für die Berufung Herders zu stimmen,
der bald darauf eintraf. Goethe wurde Legationsrath (später
geadelt), um endlich fast alle Geschäfte des fürstlichen Hauses und
des Landes als Minister in seiner Hand zu vereinigen. Diese
238
Ueberlast von Arbeit, geselligen Pflichten und Zerstreuungen liess
auch in den nächsten Jahren feine Dichtung nicht zu ihrem Recht
kommen und gab nur Raum zu kleinen Dramen (die Fischerin,
Lila, die Vögel u. s. w.), die zur Darstellung im Hofkreise be-
stimmt waren. Diese Stücke soll nur der lesen und beurtheilen,
der steh mit ihrer Entstehungsgeschichte bekannt gemacht hat.
Zu gleichem Zweck entstand auch (1773) das Drama Iphigenie
in Tauris, vorerst in Prosa geschrieben, um später erst in
künstlerischer Form veröffentlicht zu werden. Aus all diesen An-
sprüchen, die der Hof und der Staat an ihn machten, und worin
der Dichter zu Grunde gehen zu müssen schien, glaubte Goethe
sich nicht anders retten zu können, als durch eine Art von Flucht.
Er reiste 1786 zur Cur nach Carlsbad, und ging von da nach
Italien. Erst feine Briefe von Rom aus sagten, wo er geblieben
war. Diese Reise nach Italien bringt eine Wandlung in
Goethe’s Leben. Es bildete sich die reine dichterische Kunsthöhe
in ihm aus, zugleich jene Einheit von Kunst und Leben, in
welcher die innere und äussere Lebensform des Menschen und
Dichters sich als ein Kunstwerk darstellt. Ausser den bedeutendsten
Anregungen brachte er von diesem Aufenthalt in Italien die
Iphigenie und den Egmont vollendet, den Torquato Tasso
fast abgeschlossen nach Weimar mit. Nachdem er, um nun der
Dichtung mehr leben zu können, den grössten Theil seiner Ge-
schäfte abgegeben hatte, konnte er sich seinen wissenschaftlichen und
dichterischen Arbeiten fast allein widmen. Die Bekanntschaft mit
Schiller brachte ihm bald neue Anregung. War das Verhält-
nis, bei der Verschiedenheit der Naturen anfangs noch kein
engeres, so konnte Goethe dem Jüngeren doch nützlich fein,
indem er ihm einen Lehrstuhl für Geschichte an der Universität
Jena auswirkte. Während Goethe in der nächsten Zeit an seinem
Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ arbeitete, wurde
der Verkehr mit Schiller lebhafter, und bald gestaltete sich
ein fast täglicher Briefwechsel. Gern betheiligte sich Goethe an
Schillers Unternehmungen, den „Horen“ und den „Musen-
almanachen“, für welche letztere sie, oft gemeinsam arbeitend
(Balladen — Xenien) sich immer näher traten, um endlich
jenen Freundschaftsbund zu schliessen, wie er von zwei grösseren
Dichtem nie gesehen worden ist. Mit Entzücken nahm Schiller
Goethe’s neu entstandene Werke, den Wilhelm Meister und
Hermann und Dorothea auf, während Goethe sich angelegen
fein liess, auf dem Theater zu Weimar, welches er leitete, Schillers
neue dramatische Dichtungen, den Wallenstein, Maria Stuart, die
Jungfrau von Orleans darstellen zu lassen. Als Schiller darauf
nach Weimar übersiedelte, um im Anschauen der Bühne seine
ferneren dramatischen Pläne zu fördern, war auch hier die Thätig-
239
keit eine gemeinsame, indem beide abwechselnd Stücke (Shake-
speare) zur Aufführung einrichteten, die Proben selbst leiteten,
Schauspieler einübten, und das Theater in Weimar zu dem ersten
in Deutschland machten. In täglichem Gedankenaustausch über
Kunst und Dichtung erschufen fie in ihren Werken das „klassische
Kunst ideal“, welchem sie gemeinsam lebten. Schillers plötzlicher
Tod war für Goethe ein harter Schlag, und er fühlte, dass er,
nachdem der einzige ihm Ebenbürtige abgeschieden, für sich allein
stehen müsse. Er hatte noch ein reiches und langes Leben vor
sich, in welchem er Ruhm, Ehre und Grösse vor der Welt genoss,
das aber doch im Innern ihm allein und seinem Schaffen ange-
hörte. Bis zum letzten Augenblick seines Lebens geistig gesund,
jugendlich und thätig, starb er 83jährig, 1832. Ein so viel-
umfassender dichterischer Genius, der so zahlreiche Werke von
höchster Vollendung geschaffen, ist in seinem ganzen Umfang
nicht in Kürze zu behandeln. Nur auf einige Hauptwerke kann
hingewiesen werden. Als Lyriker ist er in allen Formen (in
Liedern, Hymnen, Dithyramben, Balladen, Legenden, Elegieen,
Epigrammen, Sonnetten u. s. w.j Meister, und unerreicht in innerer
Vertiefung. Im erzählenden Gedicht erschuf er den Re in ecke
Fuchs und Hermann und Dorothea. Im Drama ging er, nach
den ersten regelfreien Stücken Götz, Clavigou. a. zu der schönsten
künstlerischen Vollendung über, in der Iphigenie, dem T a s s o,
dem Egmont, um endlich in der Tragödie Faust die Schöpfer-
kraft aller seiner Lebensstufen zusammengefasst zu hinterlassen.
Im Roman erschuf er den Werther, den Wi lhelm Me ist er,
die Wahlverwandtschaften. Unter seinen prosaischen Werken
sind ferner hervorzuheben: die Beschreibung seiner Reise nach
Italien, die Biographien Winkelmanns und des Malers
Hack ert; feine Uebertragung der Selbstbiographie des Bild-
hauers Benvenuto Fellini; endlich ein Meisterwerk deutscher
Prosa und Darstellung der Zeitverhältnisse, Wahrheit und
Dichtung, die Schilderung seines eigenen Jugendlebens bis
zur Reife nach Weimar. Vervollständigt wird dieses Werk durch
die A n n a 1 e n oder Tag- und Jahres heft e , welche besonders
feine Gemeinsamkeit mit Schiller, und die Geschichte des
weimarischen Theatern erzählen. Ein unermesslicher Reichthum,
wie ihn nur der Grössten einer ausstreuen konnte. (Siehe Geschichte
der deutschen Dichtung II, 287—328. 357—433.)
Friedrich von Schiller, aus bürgerlicher Familie, geb.
1759 zu Marbach, nach mehrfachem Ortswechsel, der durch seines
Vaters militärische Stellung veranlasst war, im 14. Lebensjahre
der Karls schule, einer Schöpfung des Herzogs Karl von
Württemberg überwiesen. Es war ein Befehl, der ihn in diese
Anstalt zwängte, wider seine und seines Vaters Wünsche. Hier
240
durfte er unter strengster soldatischer Dressur Medicin studiren.
Die harte Zucht, welche jede menschliche Eigenart nieder zu
halten suchte, erschuf eine tiefe Verbitterung und Empörung seines
nach Freiheit strebenden dichterischen Genius, und unter diesem
Dingen entwarf er hier schon seine Tragödie: Die Räuber,
welche seine und seiner Genossen Gemüths ftimmung gesteigert
wiederspiegelt. Aus der Karlsschule entlassen, und als Regiments-
medikus nach Stuttgart kommandirt, begann er in Gedichten und
dramatischen Plänen auszugestalten, was feine gewaltige Phantasie
unter despotischem Druck ergriffen hatte. Ohne Welt und Menschen-
kenntnis erschuf er sich eine eigne Welt, deren Gestalten zwischen
Ungeheuern und Halbgöttern schwanken, und eine, wenn auch
dichterisch gedankenreiche, doch von pathetischer Rhetorik be-
herrschte Sprache reden. Dieser Auffassungs- und Darstellungs-
weise seiner Jugend gehören ausser den Räubern noch
Kabale und Liebe, Fiesko und Don Car 1 os an, obgleich
das letzte Stück in seiner Form (zuerst der Dialog in Versen)
schon den Uebergang zu einer höheren Kunststufe bezeichnet.
Dass "aber Schiller der geborne Dramatiker war, dessen Stücke
in ihrem technisch sicheren Bau das Recht auf die Bühne bean-
spruchten, zeigten schon die Räuber, welche, bald nach der
Veröffentlichung durch den Druck, in Mannheim zur Ausführung
kamen. Schillers heimliche Reisen, ohne Urlaub, zu diesen Auf-
führungen kamen dem Herzog zu Ohren, und die Kenntnissnahme
von dem Stück selbst erregten den Zorn des tyrannischen Herrn
in dem Grade, dass für den Dichter Alles auf dem Spiel zu
stehen schien. Um seine Freiheit zu wahren, entfloh er aus
Stuttgart, gab damit seinen Dienst, feine Heimath auf und eilte
nur andern Gefahren entgegen. Die Hoffnung, in Mannheim
beim Theater fein Glück zu machen, täuschte ihn, und erst nach-
dem er einen Winter lang in strengster Zurückgezogenheit gelebt
hatte (in Bauerbach bei Meiningen, auf dem Gute der Frau von
Wolzogen, der Mutter seines Studiengenossen) zeigten sich günstigere
Aussichten für ihn in Mannheim. Er reiste dahin, trat in ein
engeres Verhältnis zum Theater, feine Stücke wurden darge-
stellt. Dennoch war diese Zeit für ihn eine sehr unglückliche.
Krankheitszufälle, die er durch gewaltsame Selbstkuren nur ver-
schlimmerte , um seine Gesundheit für immer zu untergraben,
hinderten ihn, seinen Verpflichtungen nachzukommen; Geldver-
legenheiten drückten ihn, und wurden durch journalistische Unter-
nehmungen („Rheinische Thalia“, so wie schon früher das „Württem-
bergische Repertorium“) nicht gehoben; die abgebrochene Ver-
bindung mit der Heimath und die trübe Stimmung seiner Familie
kamen dazu. Um so willkommener war ihm die brieflich aus
der Ferne angesponnene Beziehung mit Freunden, an deren Spitze
241
Christ. Gottfried Körner (der Vater Theodor Körners) stand.
Eine Einladung von ihm nach Sachsen nahm Schiller gern an,
wurde in Leipzig empfangen, wohnte kurze Zeit in Gohlis, um
dann nach Dresden überzusiedeln. Auf Körners Weinberg bei
Loschwitz an der Elbe vollendete er seinen Don Carlos. Philo-
sophische und historische Studien beschäftigten ihn in den nächsten
Jahren ausschliesslich, und es entstanden eine Reihe von Auf-
sätzen und Abhandlungen (Ueber Anmuth und Würde; Ueber
die ästhetische Erziehung des Menschen; Ueber das Erhabene;
Ueber tragische Kunst; Geschichte des Abfalls der Niederlande;
Geschichte des dreissigjährigen Krieges u. s. w.), welche ihn den
Freunden bald reich gefordert und durchgebildet erscheinen liessen.
— Eine Reife nach Weimar (1787) bot den Anlass, ihn für die
Zukunft hier zu fesseln. Nicht die Bekanntschaft mit Herder und
Wieland war es (sie gaben ihm eher ein ungünstiges Bild von
Weimar, und wohl auch von Goethe), die ihn schon angenehm
fesselte; dagegen fühlte er sich in dem unfernen Rudolstadt durch
die Familie von Lengefeld, Verwandten der Familie von Wol-
zogen, lebhafter angezogen, besonders von den Töchtern des
Hauses Caroline (später verheirathet mit Wilh. v. Wolzogen,
und Verfasserin des Romans „Agnes von Lilien") und Charlotte,
welche feine Gattin werden sollte. Er nahm einen Sommer-
aufenthalt in Volkstedt in der Nähe, und lernte bald darauf im
Lengefeld’sehen Hause Goethe kennen, der kürzlich aus Italien
nach Weimar zurückgekehrt war Die Bekanntschaft schien für
beide Dichter noch nicht vielversprechend, auch nicht, da Schiller
sich für den nächsten Winter in Weimar niederliess. Goethe, in
Italien innerlich künstlerisch umgewandelt, konnte Schillers wilderen
Jugendwerken keinen Geschmack abgewinnen, und Schiller, damals
äusseren Einflüssen durch Gegner Goethe’s noch zugänglich, fühlte
sich eher abgeftossen. Beider verschiedene Naturen bedurften
einiger Zeit, um sich in einander zu finden. Doch wusste Goethe
in Schillers historischen Aufsätzen eine Handhabe zu finden, um
diesem nützlich zu sein, und schlug ihn dem Herzog vor, für
eine Professur der Geschichte an der Universität zu Jena. Schiller
erhielt den Lehrstuhl, verheirathete lieh mit Charlotte v. Lenge-
feld (wurde später selbst geadelt), und eine Pension aus Kopen-
hagen setzte ihn für die nächste Zeit über äussere Verlegenheiten
hinaus. Allein die angestrengte Arbeit für feine akademischen
Vorträge regte alte körperliche Uebel wieder auf, er musste feine
Thätigkeit einstellen, und begab sich zur Erholung nach seiner
schwäbischen Heimath, wo er jetzt, unangefochten durch den
Herzog, wieder erscheinen durfte. Auf dieser Reise machte
Schiller den Plan zu einer Monatsschrift, welche schöne Literatur,
Geschichte, Philosophie in sich vereinigen, und alle hervorragenden
Roquette, Deutsches Lesehuch. II. 16
242
Schriftsteller verbinden sollte. Goethe, den er dazu einlud, war
bereit mitzuwirken, und als Schiller darauf nach Jena zurück-
gekehrt war und Goethe dort begegnete, gestaltete sich nach
einem längeren Gespräch das Verhältniss bald zu einem freund-
schaftlichen , und ein täglicher Austausch von Briefen begann.
Goethe besonders nahm es ernst, denn er fühlte, dass er in
Schiller einen Ebenbürtigen voll unendlicher Anregung, eine Er-
gänzung seines Wesens gefunden hatte. Es begann jener Freund-
schaftsbund der beiden grossen Dichter, welcher einzig in der
Literatur dasteht, und zugleich ein gemeinsames Arbeiten und
Schaffen. Die Musenalmanache, welche Schiller in den
nächsten Jahren herausgab, zeigten beide vereinigt in der Ballade,
für die sie eine neue Gattung geschaffen hatten, und in den
Xenien oder Epigrammen, worin sie ein Strafgericht über das
Verwerfliche in der zeitgenössischen Literatur eigehen liessen. —
Schiller ging darauf an die Ausarbeitung seines Wallenstein,
seit 13 Jahren wieder des ersten dramatischen Werkes, dessen
einzelne Theile in den Jahren 1798—99 nacheinander unter
Goethe’s Leitung aufgeführt wurden. Um feine ferneren drama-
tischen Pläne im Anschauen einer Bühne ausführen zu können,
siedelte Schiller 1799 ganz nach Weimar über. Es begann nun
jene glänzende Zeit seiner Thätigkeit, in welcher dem Wallen-
stein in wenigen Jahren Maria Stuart, die Jungfrau von
Orleans, Turandot, die Braut von Messina, Wilhelm
Teil und das schöne Festspiel die Huldigung der Künste,
folgten, und überdies Schiller zugleich mit Goethe durch Ueber-
setzungen und praktische Uebungen das Theater in Weimar auf
den Gipfel erhoben. (Ueber alles dieses vergleiche oben unter:
Goethe.) Es war die Zeit des classischen Kunstideals, welches
die beiden Dichter gemeinsam erschufen. Sie dauerte für Schiller
nur wenige Jahre, denn mitten in seiner grossartigsten Arbeit
wurde er durch den Tod ereilt. Er war mit der Tragödie
Demetrius beschäftigt, als er, von alten Uebeln wieder er-
griffen, plötzlich starb. 1805. Als Dramatiker der grösste Dichter
Deutschlands, wurde er auch in seiner Lyrik der Liebling seiner
Nation. In seinen Balladen steht er neben Goethe (in dieser be-
stimmten Gattung der Kunstballade) unerreicht. Seine be-
deutendsten Gedichte: Die Künstler, der Spaziergang, die
Glocke u. a. sind das Schönste, was die philosophisch-reflectirende
Lyrik in der deutschen Literatur hervorgebracht hat. (Siehe Ge-
schichte der deutschen Dichtung II, 328—354. 365—421.)
Job. Christ. Hölderlin, geb. 1770 zu Lauften in
Württemberg, wurde schon 1807 von unheilbarem Irrsin befallen,
in welchem er bis zum Jahre 1843 zu leben hatte. Eine ver-
einsamte Dichterseele, die ganz und gar in dem Anschauen des
243
alten Griechenlands aufging-, und in der Betrachtungsweise nicht
über die der Schiller’sehen „Götter Griechenlands“ hinauskam, nur
dass er sich feine Stoffwelt romantisch zurecht legte. Sein un-
vollendeter Roman „Hyperion“, sein Drama „Empedokles“
sind nur lyrische Ergüsse. In seinen Gesängen die alle durch
einen hymnenartigen Schwung gehoben sind, ist hohe Begeisterung,
grossartiger Styl, makellose Reinheit der Empfindung, meist aber
ein Verschwimmen im „Aether“, wo alle Gestalten und Umrisse
verschwinden.
Friedrich von Matthisson, geb. 1761 zu Hohendode-
leben bei Magdeburg, aus bürgerlicher Familie, nach verschiedenen
Stellungen zuletzt in Wörlitz bei Dessau, wo er 1831 starb.
In seinen besten Gedichten geht Naturmalerei und sentimental-
schwermüthige Betrachtung Hand in Hand.
Aug. Friedr. Ernst Langbein, geb. 1757 zu Radeberg
bei Dresden, starb 1835 in Berlin. Schrieb leichte Erzählungen,
oft leichtfertigen Inhalts. In der komischen Ballade, worin er
sich an Bürger anschloss, gelangen ihm einige sehr wohl, trotz
etwas breiter Ausspinnung.
Gottlieb Konrad Pfeffel, geb. 1736 in Colmar, studierte
in Halle, erblindete in seinem 21. Lebensjahre. Gründete trotz-
dem in Colmar ein Erziehungshaus, und errang sich grosses
Ansehen; starb als Präsident des Oberconsistoriums 1803. In
seinen zahlreichen Gedichten, Fabeln und Erzählungen (10 Bände)
lehnt er sich sehr an französische Dichter an. Am besten ge-
lingen ihm anekdotische Züge in poetischer Einkleidung, deren
einige sehr populär wurden. .
Friedrich von Schlegel, bürgerlich geb. 1772 in
Hannover, ftihrte ein unstätes Leben, hielt in Jena, Dresden.
Berlin Vorlesungen, wurde 1805 in Köln katholisch. In Wien
kaiserlicher Hofsecretär, dann nach Paris um Indisch zu lernen,
endlich östreichischer Legationsrath beim Bundestage, geadelt,
stirbt 1829. In seiner Jugend frivol, dann bekehrt, schliesslich
ein gehässiger Gegner religiöser und politischer Freiheit. Friedr.
Schlegel ist einer der Stifter der „romantischen Schule", in
welcher sich die Anschauungsweisen aller Zeiten und Völker zu
einer „Universalpoesie“ verschmelzen sollten, für welche er eine
aus Paradoxen und Sophistik gemischte Philosophie erfand. Die
Stifter dieser Schule brachten nur poetische Ungeheuer hervor,
so Fr. Schlegel den berüchtigten Roman L u c i n d e und das
Trauerspiel Alarkos, welches bei der Auffahrung in Weimar
ausgelacht wurde. Von seinen Gedichten haben nur einige Lieder
poetische Geltung zu beanspruchen. Dagegen wirkte er anregend
auf vielen Gebieten durch seine Vorlesungen („Ueber die Ge-
schichte der alten und neuen Literatur“ u. a. m.) Ebenso durch
16*'
244
seine Werke: Poesie der Griechen und Römer; Sprache und
Weisheit der Inder. — Bleibendere Verdienste erwarb sich fein
Bruder August Wilhelm von Schlegel (geb. 1767, stirbt
als Professor in Bonn 1845) hauptsächlich durch seine Ueber-
setzung des Shakespeare (später durch Tieck und seinen Kreis
vollendet), durch die der britische Dichter in Deutschland erst
recht eingebürgert wurde. Auch August Wilhelm gehört zu den
Häuptern der romantischen Schule, und schuf in ihrem Sinne
das Trauerspiel „Jon“. Seine zahlreichen Gedichte sind in der
Form durchgebildet, aber ohne poetische Kraft. Neben seiner
Bedeutung als Uebersetzer (auch „Spanisches Theater“) sind feine
Anregungen durch wissenschaftliche Vorlesungen hervorzuheben,
vorzüglich durch die „Vorlesungen über dramatische Kunst
und Literatur“ 3 Bände.
Ludwig Tieck, geb. 1773 in Berlin, studierte in Halle,
Göttingen, Erlangen, lebte dann eine Zeitlang in Jena, dem
Mittelpunkte der romantischen Schule (die beiden Schlegel, No-
valis) um dann, nach Reisen durch Italien und nach England,
und abwechselndem Aufenthalt in Wien, München, Prag, in
Dresden sich dauernder niederzulassen. Hier, als Mitglied der
Schauspieldirection, und als berühmter Vorleser in seinen Abend-
zirkeln, lebte er bis 1842, wo er nach Berlin berufen wurde.
Er starb 1853. — Tieck ist der Hauptvertreter der romantischen
Schule, die in seinen Dichtungen den Gipfel ihrer Bestrebungen
begrüsste. Wenn er sich die Stoffwelt der Sagen, Märchen,
Volksbücher des Mittelalters für feine dramatischen Dichtungen
wählte, so war die Erneuerung dieser vergessnen nationalen Schätze
an sich nur anzuerkennen; die Form der Bearbeitung aber
spottete der nationalen Form, ja der Kunstform Überhaupt, da
anstatt der inneren Ordnung nur die romantische Willkür darin
herrschte (Genofeva, Octavian, Fortunat). Es ist nur
das Kostüm des Mittelalters ohne tiefere Kenntniss desselben, es
ist nur eine bunte, prächtige, phantastische Bilderreihe, worin die
Formenspiele aller Nationen sich vereinigen, und in welchen die
Schatten aller Charaktere durch einander wirren, nur kein einziger
menschlicher von poetischer Vertiefung. In andern, dem ge-
stiefelten Kater, Zerbino, der verkehrten Welt,
Blaubart, Däumchen, die sich zum Theil tendenziös gegen
Zeitrichtungen wenden, wird alles positiv Stoffliche durch die
Ironie sofort wieder aufgehoben, und in dem Bestreben des
Dichters, sich mit geistreicher Selbstverspottüng als über seinem
Stoffe stehend darzustellen, wird der poetische Inhalt willkürlich
vernichtet. Diese ungeheuerlichen Bildungen, welche im Grunde
nur die Unfähigkeit eines eigenen festen Geftaltens zeigen (aber
verhüllen sollen), wurden in grenzenloser Ueberschätzung als
245
höchste Blüthen der Poesie verkündigt, bewundert und von der
Schule selbst den Werken Schillers gegenüber gehalten. Eine
ganze Reihe dieser Dramen, nebst anderen Märchen, Gedichten
und Novellen, erschien dann gesammelt unter dem Titel
„Phantasus“, in 6 Bänden. Unter der grossen Anzahl seiner
Romane und Novellen sind nur die seiner späteren Epoche hervor
zu heben (die Gemälde, Dichterleben, des Dichters Tod, die
Gesellschaft auf dem Lande, des Lebens Ueberfluss, der Hexen -
sabbath), die in ihrem Styl musterhaft durchgebildet sind. Aber
schöpferische Kraft, Charakteristik, die Fähigkeit, zu erzählen,
fehlen gänzlich, eine geistreiche Unterhaltung ist Alles, was die
Gestalten dieser Novellen zu leisten vermögen; der Dialog tritt
an die Stelle der Handlung. Wo Tieck einmal versucht wirk-
lich zu erzählen, wie in dem „Aufruhr in den Cevennen“, muss
er abbrechen, wo die Handlung einen grösseren Kraftaufwand
erfordert. Ueber 20 Jahre lang beherrschte Tiecks Novellen-
gattung, als das eigentliche Muster, die Literatur und verleitete
zu dem Irrthum, die Novelle habe es wesentlich mit einer Ab-
handlung über einen Gegenstand zu thun, wobei das Stoffliche
Nebensache sei. Auch davon kam man zurück, um das Recht
einer Begebenheit, einer Handlung, des Erzählens überhaupt für
die Novelle wieder einzusetzen. Von der unabsehbaren Masse
seiner poetischen und prosaischen Werke, deren nur wenige hier
erwähnt wurden, hat sich kein einziges als reines Kunstwerk
der Nachwelt erhalten — was oft Dichtem gelungen ist, die
weitaus nicht Tiecks Geist, Phantasie, Bildung, Kenntnisse und
künstlerisches Verständniss besassen. Die romantische Unordnung
und Willkür zerstörte bei ihm jedes Beginnen. Er gehörte aber,
wie die beiden Schlegel zu den bedeutend Anregenden, die,
mehr als durch eigene Schöpfungen, durch Kritik, Herausgabe
älterer und neuerer Werke und durch Uebersetzungen wirkten.
Die Fortführung der Uebertragung der Werke Shakespeares,
von Aug. Wilh. Schlegel begonnen, welche Tieck in Gemein-
schaft mit jüngeren Genossen zu Ende führte, macht seinen
Namen dauernder, als feine eignen Dichtungen.
Novalis, angenommener Schriftftellername für: Friedr.
von Hardenberg, geb. 1772 auf dem Familiengute Wiederstedt,
gest. ebenda schon 1801. Mit seiner ganzen Dichtung ein Ver-
treter der romantischen Schule, das Kostüm des deutschen Mittel-
alters dureli gestaltlos phantastiiche Gebilde ausfüllend. („Hein-
rich von Ofterdingenu, ein Roman, unvollendet)# Eine
reine poetische Natur, voll Gemüth und schwärmerischer Hingabe
an Religion und Kunst, aber jede Darstellung verdämmernd durch
Mystik, Grübelei und die Verkehrtheiten der gemachten Romantik,
der fein Talent verfallen war.
246
Ludwig Achim von Arnim, geb. 1781 in Berlin, lebte
nach seinen Universitätsstudien lange in Heidelberg, dann auf
seinem Gute und in Berlin, wo er 1881 starb, der romantischen
Schule angehörig mit seinen masslos willkürlichen Dramen („Halle
und Jerusalem“) Schwänken, Hanswurstiaden und Puppenspielen,
so wie durch seine Romane: Gräfin Dolores, die Kronen-
wächter, in welchen sich gleichwohl fein bedeutendes Talent
ausspricht. Trotz aller Unmöglichkeiten der Charakteristik und
der Unordnung der künstlerischen Form zeigen doch seine beiden
Novellen „Isabelle von Egypten“ und „Die drei lieb-
reichen Schwestern und Der glückliche Färber“ grosse
Schönheiten, wie auch die vielfach eingestreuten Lieder den Dichter
erkennen lassen. Das bleibendste Verdienst erwarb er sich durch
die mit Brentano herausgegebene Sammlung von Volksliedern
unter dem Titel „Des Knaben Wunderhorn“. Er verhei-
rathete sich mit Bettina Brentano (1785—1859), der Schwester
seines Freundes, welche alle Wunderlichkeit der Romantiker so-
gar in ihrer Person zu vereinigen wusste. Unter ihren Schriften
ist die bedeutendste ein Roman: „Goethe’s Briefwechsel
mit einem Kinde“, dessen Heldin sie selbst ist und für welchen
sie einige Anknüpfungen mit Goethe verwerthete. Unter den
Werken der Romantiker ist dieser Roman eins der hervorragendsten,
glänzend durch Phantasie und Darstellung einer poetischen und
ungebundenen Natur.
Clemens Brentano, geb. zu Frankfurt a. M. studierte in
Jena, ist dann in Heidelberg, wechselte seinen Aufenthalt häufig,
ward katholisch und zog sich nach Kloster Dülmen zurück, um
dann unstät, bald in Italien bald in Deutschland, im Dienste der
katholischen Kirche zu wirken. Starb zu Aschaffenburg 1842.
Seine verdienstlichste Gabe ist die Volkslied er sammlung „Des
Knaben Wund er hörn“, die er mit Arnim (Siehe oben)
herausgab, und einige eigne Lieder von schönem Klang. Sonst
aber spricht sich bei diesem Zögling der romantischen Schule die
Verwirrung aller sittlichen, künstlerischen und poetischen Begriffe
in erstaunlichster Weife aus. Sein Roman: „Godwi, oder das
versteinerte Bild der Mutter, ein verwilderter Roman“, giebt
sich durch den Titel selbst zu erkennen als das, was er fein
will. Seine Märchen („Gockel, Hinkel und Gackeleia“) sind mehr
ein kindisches Stammeln der Romantik. Alles in seinen Novellen
und Dramen verräth ein nicht geringes poetisches Talent, das
aber ohne Selbstzucht und Beherrschung nur widerliche Miss-
formen hervorbringen konnte.
Friedrich Baron de laMotte-Fouqu6, geb. 1777 in
Brandenburg a. d. H., Officier, nach den Befreiungskriegen als
Major verabschiedet, lebte meist in Berlin, wo er 1843 starb. Er
247
gehörte von Anfang an zur romantischen Schule, feine ersten
Werke („dramatische Spiele“ unter dem Namen Pell eg rin) gab
A. W. Schlegel heraus. Er taucht mit Vorliebe in das deutsche
und nordische Mittelalter und lässt feine Phantasie mit dem Ritter-
thum , Naturmächten, Geistern und Spukgestalten spielen, aber
harmlos und naiv, erfüllt von Begeisterung für „deutsche Herr-
lichkeit“, und nicht so massV)S und ausschweifend wie die übrigen
Romantiker. Schon seine Märchenromane „Der Zauber ring“
und „die Fahrten Thiodolfs des Isländers“ unterscheiden
sich vortheilhaft von den gleichartigen Arbeiten der Schule, von
dauerndem poetischen Inhalt aber sind die Märchennovellen:
„Sintram“ und „Undine“. Unter seinen kleineren Gedichten
sind viele von grosser Schönheit.
Joseph Freiherr von Eichendorff, geb. 1788 auf
dem Schlosse Lubowitz bei Ratibor, studierte in Halle und Heidel-
berg, zog 1813 mit zu Felde, lebte als Regierungsrath in Danzig,
Königsberg, endlich in Berlin, starb 1857 zu Neisse. Die frühesten
Anregungen zur Dichtung kamen ihm durch die romantische
Schule (Siehe oben Schlegel, Ti eck ff.), deren Anschauungen
und Manier er nicht nur in seinen ersten Werken vertrat (die
Romane „Ahnung und Gegenwart“ — „Das Marmor-
bild“), sondern noch in späteren Jahren theoretisch und tenden-
ziös zu vertreten suchte („Ueber die religiöse und ethische Be-
deutung der neueren romantischen Poesie in Deutschland.“ 1847).
Gleichwohl ist Eichendorff ein so reines und unbefangnes Talent,
dass feine eigentliche Dichternatur unter dem Wust der gemachten
Romantik hervorsprudelt wie. ein befreiter Waldbach, dessen Lauf
man in einem zopfigen Park eine Strecke lang gefesselt hatte.
Etwas Liebenswürdigeres, als feine kleine Novelle „Aus dem
Leben eines Taugenichts“ hat die gelammte romantische
Schule nicht aufzuweisen. Als Liederdichter gehört Eichendorff
zu den besten der deutschen Literatur. Es ist ein beschränkter Kreis,
den die EmpfindungsweL seiner kleinen Gedichte umschreibt:
Natur, Wanderlust, Jugend sch wärmerei, aber in Ernst und Freude
ist hier Alles rein, wahr, geftihlswarm, ursprünglich, und im Aus-
druck musikalisch klangvoll.
Heinrich von Kleist, geb. 1776 in Frankfurt a. 0.,
zuerst dem Militärstand angehörig, dann auf der Universität, den
Aufenthalt fortwährend wechselnd, führte das Leben eines Un-
ftäten. In Paris, in der Schweiz, in Jena und Weimar, in
Königsberg, dann als Gefangener in Frankreich; nach seiner
Freigebung ist er in Dresden, in Prag, in Berlin. Ein starrer,
eigenartiger (Charakter, voll von Widersprüchen, rastlos innerlich
erregt, dazu erfüllt von tiefster Verbitterung über das Schicksal
Deutschlands unter französischem Joche; enttäuscht über die po-
248
litischen, so wie Uber die Hoffnungen auf lein dichterisches Wirken,
mit sich und der Welt zerfallen, tödtete er sich selbst durch einen
Pistolenschuss, am heiligen See bei Potsdam 1811. H. v. Kleist
war nächst Schiller wohl das bedeutendste dramatische Talent,
aber leider neigte sein Wesen sich früh zu den Anschauungen
der romantischen Schule (siehe Schlegel, Tieck ff.) und so wurden
seine schönsten Dichtungen durch unlautre Einwirkungen getrübt.
Wunder und Hexenspuk, Träume, Vorherbestimmungen, über-
natürliche Einflüsse, gehen durch feine Schauspiele „Die Familie
Schroffenstein“ und „Das Käthchen von Heilbronn“.
Selbst in seinem Meisterwerke, „Prinz Friedrich von Hom-
burg“, ist das Nachtwandeln und der zu stark betonte mysteriöse
Zug der Todesfurcht des Helden ein aufgesetzter Farbenton aus
der romantischen Mischung, den man hinwegwünscht. Wo er
diesen Gelüsten entsagte, wie in dem Lustspiel „Der zer-
b r o c h n e Krug“, einem niederländischen Bilde, voll von dra-
matischem Leben, erschuf sein Talent Vollendefas. Selbst in
Stücken, die man mehr psychologische Experimente oder Studien
einer gewaltigen Kraft nennen könnte, wie im „Amphitryon“
und in der „Penthasilea“, tritt, bei allen Irrungen, das Be-
deutende seiner Gestaltungskraft hervor. Dramatisch am wenigsten
zulänglich ist das Schauspiel „Die Hermannschlacht“, welches
erst nach seinem Tode bekannt wurde, aber in dem Inhalt legt
er seiner Nation gleichsam sein Glaubensbekenntniss, zugleich
einen Gewissensruf zum Handeln vor. Hermann und die Stammes-
häuptlinge sind nur ein Spiegelbild der deutschen Fürsten zur
Zeit der napoleonisehen Herrschaft; die Römer eine Umschreibung
der Franzosen. Kleist ist in seinen Entwürfen grossartig, in der
Charakteristik scharf und aus reicher innerer Fülle schöpfend, in
den Mitteln, die psychologischen Conflicte durchzuführen, stets
eigenartig, dabei energisch, oft unbarmherzig, bis zur Furchtbar-
keit. Seine dichterische Eigenart spricht sich auch im poetischen
und prosaischen Redestyl aus, der in Lebendigkeit der Wendungen,
Schärfe des Ausdrucks, charakteristisch, auch wohl bis zur Ueber-
treibung der Satzfügungen gehend, einzig dasteht. Niemand hat
verstanden in der prosaischen Erzählung und Novelle so schmuck-
los, auf jeden Ueberfchuss verzichtend, rein auf das Thatsächliche,
die Folge der Begebenheiten und den Conflict hinzuarbeiten, wie
er in „Michael Kohlhaas“ — „Die Marquise von 0.“ —
„Das Erdbeben in Chili“ — „Die Verlobung auf St. Domingo“;
lauter grossen Entwürfen, die, wenn ihnen das Liebenswürdige
und Verlohnende fehlt, überall die tief und gewaltig angelegte
dichterische Kraft zeigen. Diese Kraft war der Lyrik nicht
sehr zugewendet, sammelte aber ihre glänzendste AusdrucksfUhig-
keit in dem Gedicht, „Germania an ihre Kinder“.
\
— 249 —
Adam 0ehlenschläger, geb. 1779 zu Frederiksborg bei
Kopenhagen, wo fein Vater, ein Deutscher, Schlossgärtner war.
Der deutschen wie der dänischen Sprache mächtig, studierte er die
Rechte, reiste nach Italien, machte bei längerem Aufenthalt in
Deutschland seine literarischen Studien (in Weimar Goethe’s An-
regung), wurde Professor der Aesthetik in Kiel, dann in Kopen-
hagen, wo er in angesehener juristischer Stellung starb, 1850.
0ehlenschläger empfing seine dichterischen Anregungen durch
die deutsche Literatur, und schrieb viele seiner Werke deutsch,
um sie dann in’s Dänische zu übersetzen, wie er die dänisch ge-
schriebenen in'8 Deutsche übertrug, so dass er als Dichter zwei
Nationen angehört. Auch fein junges Talent fiel unter den Ein-
fluss der romantischen Schule (siehe Tieck, Schlegel ff.), wie die
zuvor Genannten, liess sich aber von den verderblichen Irrungen
derselben im Ganzen wenig berücken. Denn den Sinn für
Ordnung und künstlerische Selbstbeherrschung fc bringt er als
charakteristische Eigenart schon bei seinem ersten Auftreten mit.
Sein dramatisches Märchen „Aladdin“, mit welchem er in die
Fusstapfen der Tieck’scheu Formlosigkeiten tritt, unterscheidet sich
sehr zum Vortheil von seinen Vorbildern; dichterische Ursprüng-
lichkeit, Unbefangenheit und naiv heitres Spiel mit dem Stoffe
machen das Werk zu einer der liebenswürdigsten Gaben der
Romantik. Bald aber liess Oehlensehläger diese Richtung fällen,
um sich mit seinen Dramen der Bühne zuzuwenden, und sich
Schiller zum Vorbild zu wählen, der die romantische Schule ab-
lehnte und verschmähte. Mit Vorliebe wählte er sich jetzt Stoffe aus
der nordischen Welt, wodurch er der deutschen Dichtung ganz neue
Gebiete und Schöpfungen von grosser Kraft, Zartheit und Frische
eröffnete. Seine Trauerspiele: Axel und Walburg, Hagbarth
und Signe, Palnatoke, Erich und Abel, Hakon Jarl, die
Wäringer, bringen eine Fülle von grossen Zügen und ächt poe-
tischen Gestalten, wenn sie auch, bei den Mängeln der Oomposition,
den Forderungen der Bühne nicht immer entgegenkommen. Belieb-
ter als diese nordischen Gebilde wurde sein Trauerspiel Correggio,
dessen poetische Schönheiten doch durch eine bis zur Weichlich-
keit gehende Sentimentalität aufgelöst werden. Die Anzahl seiner
dramatischen Dichtungen ist nicht gering, nicht minder die seiner
prosaischen Erzählungen. Unter diesen ist der Roman „König
Hroar in Leire“ am anziehendsten durch die phantasiereiche
und charaktervolle Gestaltung der alten Sage des Nordens.
Ernst Moritz Arndt, geb. 1769 zu Schoritz, auf der
Insel Rügen, studierte in Greifswald und Jena, wurde nach weiten
Reisen Professor in Greifewald. Als Patriot voll tiefer Erbitterung
gegen die napoleonische Willkürherrschaft in Deutschland, liess er
1806 den ersten Band des Werkes „Geist der Zeit“ er-
l
250
scheinen, dessen Freimuth und kühne Sprache den Zorn Napo-
leons herausforderte und den Verfasser vernichtet hätte, wenn
er dem französischen Strafgericht nicht durch die Flucht ent-
kommen wäre. Arndt ging nach Schweden, dann nach Fussland,
immer für die Befreiung Deutschlands im Bunde mit den bedeu-
tendsten Männern, durch Agitation, in Schriften und Gedichten
wirkend. Als Deutschland sich erhob, ging Arndts Thätigkeit
ebenfalls mit Stein, Scharnhorst, Gneifenau Hand in
Hand, und es giebt kaum eine bedeutende Persönlichkeit in
dieser Zeit, mit der er nicht zusammenwirkend in Beziehung ge-
standen hätte. Die Reihe seiner hier einschlagenden Flugschriften:
„Was bedeutet Landsturm und Landwehr?“ — „Der Soldaten-
katechismus“ — „Der Rhein, Deutschlands Strom, aber nicht
Deutschlands Grenze“ u. a. hatten unmittelbaren Einfluss auf die
Bewegung der Zeit. Nach Beendigung des Krieges wurde Arndt
als Professor an die neu gegründete Universität Bonn berufen.
Sein ehrlicher Zorn und die Freimüthigkeit seiner Rede, gegen-
über den deutschen Regierungen, welche die Hoffnungen der
Nation über grössere innere Selbständigkeit getäuscht hatten,
zogen Arndt (1819), wie so vielen Unschuldigen, eine Anklage
wegen demagogischer Umtriebe und Amtsentsetzung zu. Erst
1840 erhielt er fein Amt wieder. Seine prosaischen Schriften
(„Geist der Zeit“, 4 Bde. „Meine Wanderungen und Wand-
lungen mit dem Reichsfreiherrn von und zu Stein“; „Märchen
aus Jugenderinnerungen“, u. a.) sind sämmtlich für die Geschichte
der Zeit von Bedeutung. Bis in das hohe Alter rüstig und fort-
schreitend , und nachdem ganz Deutschland noch den 90. Ge-
burtstag des volkstümlichen Mannes gefeiert hatte, starb Arndt
zu Bonn 1860. Von poetischer Wirkung auf die gelammte Na-
tion waren doch hauptsächlich seine in den Jahren der deutschen
Erhebung und des Kriegs gedichteten patriotischen Lieder, die
männlich, kraftvoll und mit Schlagfertigkeit des Wortes den rechten
Ton trafen, um die Gemüther zu entflammen und zu ermutigen.
Max von Schenkendorf, geb. 1784 zu Tilsit, studierte in
Königsberg, zog mit ins Feld, wo er sich wenigstens der Arbeit
im Generalstab widmete, da eine Lähmung des Arms ihn verhin-
derte die Waffen zu tragen. Starb als Regierungsrath in Co-
blenz 1817. Seine Lyrik ist nur im Zusammenhang mit der
patriotischen Zeitbewegung von Bedeutung, auf welcher ihm aber
doch eine Reihe glänzender Lieder gelangen, durchdrungen von
der Grösse deutscher Vergangenheit, der Städte, der Volkskraft,
und eines von ihm besonders betonten „christlichen Ritterthums“.
Seine Hinneigung zur Romantik macht ihn häufig mystisch unklar,
seine vielgepriesene poetische Tiefe ist mein traumhafte Schwär-
merei, als freie dichterische Empfindung.
251
Karl Theodor Körner, geb. 1791, verlebte seine Jugend
unter den günstigsten Verhältnissen, als Sohn des durch feine
Freundschaft mit Schiller bekannten Rath Körner, der auch mit
Goethe in naher Beziehung stand. Durch diese Verbindungen
überall auf Kunst und Dichtung hingewiesen, entwickelte sich
sein Talent früh. Er bezog die Bergakademie in Freiberg, dann
die Universität in Leipzig, ging nach Berlin, dann nach Wien,
wo er, da seine ersten dramatischen Stücke bereits bekannt waren,
als Theaterdichter angestellt wurde. Er war in jungen Jahren
schon ein gefeierter Dichter, dessen Trauerspiele (Zrini, Rosa-
munde, Toni) selbst Goethe in Weimar zur Aufführung brachte,
da sich durch Aufmunterung des vielversprechenden Talentes
vielleicht ein Ersatz für Schiller im Drama erwarten liess. Diese
Stücke zeigen in der That die Schule Schillers, und ein von
jedem romantischen Sondergelüst entferntes reines künstlerisches
Streben. Sie wurden dargestellt, noch häufiger seine kleinen Lust-
spiele (der Nachtwächter, die Gouvernante, die Braut u. a.), sie
blieben beliebt, obgleich sie noch keine dichterische Selbständig-
keit oder Originalität zeigen. Körners Entwickelung wurde ab-
geschnitten durch einen frühen ruhmvollen Tod, der aber durch
die heroische Kraft seiner Lyrik die höchste Verklärung erhielt,
und so auch auf sein Leben und Streben einen dichterischen Ab-
glanz zurückwarf. Als im Jahre 1813 Preussen sich gegen die
französische Herrschaft erhob, und die deutsche Jugend sich von
überall her freiwillig zu den Fahnen stellte, verliess auch Körner
Wien und trat in das Lützow’sche Corps, dessen Führer ihn bald
zu seinem Adjutanten ernannte. Noch in demselben Jahre fand
er den Tod in einem Gefecht bei Gadebusch. Kurz vor dem
Kampfe hatte er den Waffenbrüdern sein eben vollendetes „Schwert-
lied“ vorgelesen. Die Lieder, welche der junge Dichter in den
letzten Monaten, zwischen Angriffen und Vertheidigungskämpfen,
auf kurzer Rast, niedergeschrieben, sammelte der Vater Körner
und gab sie unter dem Titel „Leier und Schwert“ heraus.
Sie wurden bleibendes poetisches Eigenthum des deutschen Vol-
kes. Die reinste jugendliche Begeisterung spricht aus ihnen, eine
dichterische Seele, die gleichsam zuerst erwacht zu einem grossen
inneren Leben; pflichtvolles Bewusstsein einer ernsten heiligen
Aufgabe, Muth und Freude, dazu die von Herzen und zum Her-
zen sprechende sittliche Kraft; eine Macht des Ausdrucks, bald
in rhetorischen Glanz gehüllt, bald durch schlichtes poetisches
Wort ergreifend. .
Ignaz He inr. Karl Frhr. v. Wessenberg, geb. zu Dres-
den 1774, starb zu Fon stanz 1860. Ein verdienter Historiker,
der als katholischer Theolog wegen seiner Freisinnigkeit von
der römischen Curie angefeindet, sich rein und mit männlichem
J
— 252 —
(Jharakter zu halten verstand; dazu einer der tapfersten Vor-
kämpfer für die Wiedergeburt der deutschen Nation. An der
Spitze seiner historischen Schritten steht: „die grossen Kirchen-
versammlungen des 15. und 16. Jahrhunderts in Bezug auf
Kirchenverbesserung“. 4 Bde. Als Dichter hielt er sich vor-
wiegend auf geistlichem Gebiet, doch wusste er auch den Er-
zählungs- und Balladenton oft glücklich zu treffen.
Karl Friedr. Gottl. Wetzel, geb. 1779 in Bautzen, starb
als Arzt zu Bamberg 1819. Als Herausgeber des „Fränkischen
Merkurs“, eines der bedeutendsten politischen Blätter, lange Zeit
thätig. Von ihm zwei Trauerspiele: „Hermanfried“ und „Jeanne
d' Are,“ so wie Gedichte, Balladen, Lieder u. m. Am besten
feine Zeitgedichte und patriotischen Lieder aus dem Jahre 1813.
Alexander von Humboldt, geb. 1769 in Berlin, studierte
in Göttingen und Frankfurt a. 0., besuchte dann die Bergakademie
zu Freiberg. Nach dreijährigen Keifen durch Europa, geht er
1799 mit seinem Strebensgenossen Bonpland nach Amerika, wo
er 5 Jahre lang als Naturforscher Studienreisen macht, besonders
in den tropischen Gegenden, und fast auf allen Gebieten der
Natur eine reiche Ausbeute von Entdeckungen und neuen An-
schauungen gewinnt. Zur Ausarbeitung seiner gewonnenen Resultate
wählte er dann Paris zum Aufenthalt, um in den Jahren 1827
bis 29 eine Reife nach Sibirien und an das Kaspische Meer zu
unternehmen. Abwechselnd in Paris und Berlin lebend, brachte
er die letzten Jahre in Berlin zu, wo er 1859 starb. Einer der
grössten Naturforscher, in welchem sich umfassende Kenntniss durch
eigne Untersuchung, grossartige Natur- und Weltanschauung ver-
einigen mit schöner und geistvoller Darstellung. Das Erhabenste,
wie das scheinbar Geringfügigste in der Natur mit gleichem
Forschungseifer ergreifend, weiss er es unter gemeinsame Gesichts-
punkte und in universale Betrachtung zu ziehen; so in seinem
„Kosmos“ (5 Bände), einem Gesammtbilde des Schöpfungs-,Natur-
und Culturlebens. Seine „Ansichten der Natur“ bringen eine
Reihe der schönsten Schilderungen ferner Länder und Gegenden
in künstlerisch gebildeter Darstellung. Ferner von ihm „Reise
in die Aequinoctialgegenden“ — Sein Bruder ist Wilhelm von
Humboldt (1767 —1835), Staatsmann, Gesandter, preussischer
Minister, Philosoph, Aesthetiker, Sprachforscher; wie Alexander
v. H. einer der bevorzugtesten Geister und gebildetsten Männer.
Ein Aufenthalt in Jena brachte ihm die Bekanntschaft mit Schiller,
die zu dauernder Freundschaft und zu einem bis zu Schillers
Tode fortgeführten Briefwechsel führte, welcher Wilhelm v. H.
mit jener classischen Epoche in Jena und Weimar eng verknüpft
zeigt.
Jacob Grimm, geb. 1785 in Hanau, studierte in Marburg,
I
253
arbeitete in den Bibliotheken in Paris, ward (nach einigen vorüber-
gehenden Stellungen) Professor und Bibliothekar in Göttingen —
zugleich hier wirkend mit seinem Bruder Wilhelm Grimm,
mit dem er bis an dessen Tod zusammen lebte, forschte und ar-
beitete. Als sie im Jahre 1837 in Gemeinschaft mit fünf andern
Universitätslehrern Einsprache thaten gegen die Aufhebung des
hannöver’sehen Staatsgrundgesetzes, -wurden die sieben Professoren,
mit Verlust ihrer Aemter, des Bandes verwiesen. Die Brüder
Grimm gingen nach Gassei, wurden 1841 nach Berlin berufen,
wo Jacob 1863 starb, nachdem Wilhelm ihm 1859 vorausgegangen
war. Die grösste gemeinsame Arbeit der beiden „ Sprach -
gewaltigen“ (wie Goethe sie nennt) ist das „Deutsche Wörterbuch“,
eine unermessliche Aufgabe deutschen wissenschaftlichen Fleisses,
aber für ein Menschenleben zu umfangreich, daher die Vollendung
Andern überlassen bleiben musste. Ebenso gaben sie gemeinsam
die deutschen „Kinder und Hausmärchen“ heraus, eine
der schönsten und tiefsten Fundgruben deutscher Volksdichtung,
zu gleich, bei der Mannigfaltigkeit des Erzählungstons, ein Meister-
werk poetischer Darstellung überhaupt. Jacob Grimms grösste
und unschätzbare Werke sind: die „deutsche Grammatik
(4 Bde.); Geschichte der deutschen Sprache (2 Bde.);
deutsche Rechtsalterthümer; deutsche Mythologie;
Weisthümer“; jedes für sich eine Riesenaufgabe, wie nur die
tiefste Gelehrsamkeit und der unermüdlichste Fleiss sie lösen
konnte. Aber über diese scheinbar nüchterne Arbeit fliegt oft,
wie aus tiefen Schachten geheimer Glanz, ein poetisches Licht,
das die Darstellung verklärt und das dichterische Verständniss
zeigt, welches der still arbeitende Gelehrte den urältesten Regungen
des deutschen Volksgemüths entgegenbrachte. Er begründete nicht
nur die historische Sprachforschung, er eröffnete der Geschichte
und der Dichtung neue unbekannte Quellen und Gesichtspunkte.
Wenn die Poeten der „romantischen Schule“ (Siehe Schlegel,
Tieck ff. Fouqu6) in ihren Schöpfungen ein Mittelalter darstellten,
das sie sich selbst zurecht machten, und wobei sie das Kostüm
und das Zufällige als Hauptsache betonten, unbekannt mit dem
Mittelalter wie es war — so grub Jacob Grimm die Kenntniss
dieser Zeit aus dem Schutt der Jahrhunderte erst wieder aus
und erschuf durch die Wissenschaft vertieften: poetische Bilder
des Mittelalters, als die Romantiker durch ihre Willkürlichkeiten
vermocht hatten.
Ludwig Uhl and, geb. 1787 zu Tübingen, wo er auch
feine Schul- und Universitätsjahre zubrachte, um sich dann als
Advocat daselbst niederzulassen. Eine Reife nach Paris benutzte
er zu gelehrten Studien in den dortigen Bibliotheken. In ver-
schiedenen belletristischen Almanachen hatte er bereits Gedichte er-
254
scheinen lassen, als die Erhebung Deutschlands gegen Napoleon I.
auch ihn zu politisch-patriotischen Liedern erregte. Auch für
den kleineren Schauplatz der Verfassungskämpfe in Württemberg
trat er später mit seiner Dichtung ein, zumal er 1813 eine Wahl
in die Ständerersammlung annahm. Er wurde 1829 Professor
der deutschen Sprache und Literatur, legte seine Stellung aber
nieder, da er, von Stuttgart wieder zum Abgeordneten gewäldt,
den Urlaub dazu von der Regierung nicht erhalten konnte. Nach-
dem er sich so das Recht erworben, seinen Verpflichtungen als
Volksvertreter nachzukommen, lebte er diesen und später seinen
gelehrten Studien und Forschungen allein. Nur im Jahre 1848
unterbrach er sie, um in der Nationalversammlung in Frankfurt
und Stuttgart in politischer Thätigkeit aufzutreten. Seitdem lebte
er in Tübingen zurückgezogen wieder seinen wissenschaftlichen
Arbeiten bis an seinen Tod, 1862. Im Jahre 1815 war Uhlands
erste Gedichtsammlung erschienen, die seine Bedeutung als Dichter
begründete. Wenn man ihn seitdem durch manche gelehrte
Arbeit, die er herausgegeben („Walther von der Vogel weide, ein
altdeutscher Dichter1'; „Mythus von Thor“, u. a.), als Literar-
historiker und Mythenforscher kennen gelernt hatte, so über-
raschte doch die Fülle von wissenschaftlichen Werken, die nach
seinem Tode als fein Nachlass gefunden wurde, und die jetzt
in einer Reihe von zehn starken Bänden (mit Einschluss der
Sammlung der Volkslieder) vor uns steht. Uhland verstand es,
wie Jacob Grimm, über die scheinbar nüchternste Gelehrtenarbeit
von mittelalterlichen oder mythologischen Forschungen plötzlich
den hellsten Glanz der Poesie zu breiten, und aus den Tiefen
des Volksgemüths auch für die Wissenschaft zu schöpfen. Seine
Abhandlung über die deutschen Volkslieder, die den dritten Band
seiner Schriften bildet, ist die wunderbarste Verschmelzung von
gelehrtem Fleiss und Gewissenhaftigkeit mit poetischem Verständ-
niss, und, in der oft einfachsten Form, doch hinreissender Dar-
stellungsweise. An den Quellen des Volksliedes hatte er sich
auch als Dichter selbst gebildet, und er verstand diese Sprache
der unmittelbarsten Einfachheit und Wahrheit zu reden und zu
singen, wie nur Goethe vor ihm es verstanden. Uhland empfing
in seiner Jugend einige Anregungen von den Romantikern (Siehe
Schlegel, Tieck ff.), die sich jedoch kaum über den Hinweis auf
das Mittelalter erstreckten (das er bald gründlicher kennen lernte,
als jene) und auf die Annahme einiger südlicher Formen (Sonnette,
Glossen, altfranzösische Romanzen) für seine Lyrik, in welcher
er die Tieck’sehe Romantik auch wohl verspottete. Es war der
Ton des Volksliedes, der, ihm aus dem Mittelalter entgegen-
klingend , die schönsten Klänge seines einen Wesens erweckte.
Und zwar im Stimmungsliede wie in der Ballade. Mit diesem
I
— 255 —
an sich regen Kreise ist eigentlich Uhlands gelammte Dichtung
und Bedeutung begrenzt, aber er verstand es aus dem Geringen
das Höchste zu gestalten. Zwar dichtete Uhland auch zwei
Dramen: Ernst von Schwaben und Ludwig der Baier;
fie bringen die ganze Tiefe des Gemüths seiner Lyrik, die Männ-
lichkeit und Reinheit seines Charakters, doch geben sie dem
Theater keine Handhabe, sich ihrer zur Darstellung zu bemäch-
tigen. — Ulilands Lieder wirken so unmittelbar durch die ein-
fache Natürlichkeit ihres Ausdrucks, die um so tiefer berührt, als
sie die überreichliche Innerlichkeit erschliesst, ohne sich überreich
im Schmuck der Rede zu geben. Selbst wo er an Gegebenes
anknüpft, an ein kleines Ereigniss, eine Situation, wie in dem
„Knaben vom Berge", dem Liede vom Apfelbaum („Einkehr“),
in dem „Schifflein“, wird der Liederton bewahrt und über das
Gegenständliche der einfache Zauber der Stimmung verbreitet.
Auch in der Ballade knüpfte Uhland bei dem Volksliede an.
Der Gattung der Kunstballade, wie Goethe und Schiller sie er-
schaffen hatten, ging er aus dem Wege, um die Pfade einzu-
schlagen, die Goethe für sich allein in Gedichten, wie Erlkönig,
der Fischer u. a. in. auch schon gegangen war. Uhland aber
gestaltete die Gattung für sich noch eigen aus, indem er besonders
die einfachen Vorgänge des Volkslebens in ihrer gemüthlichen
Seite durch seinen Erzählungston zu verklären wusste, andrer-
seits historische Stoffe seines Vaterlandes mit patriotischer Schaffens-
lust verherrlichte. Wie sehr er es dabei verstand, auch in der
glänzendsten Ausmalung zu wirken, zeigen Balladen wie „des
Sängers Fluch“ und andere.
Leopold Ranke, geb. 1795 zu Wiehe an der Unstrut,
1818 Oberlehrer am Gymnasium zu Frankfurt a. 0., seit 1825
Professor der Geschichte in Berlin. Einer der bedeutendsten
Geschichtsschreiber, der durch geistreiche Gruppirung des Materials,
Charakterzeichnung und neue Anschauungen, jede von ihm be-
handelte Zeitepoche glänzend zu beleben versteht. Von ihm:
„Fürsten und Völker von Südeuropa im 16. und 17 Jahr-
hundert“. — „Die römischen Päpste, ihre Kirche und ihr Staat
im 16. und 17. Jahrhundert“. — „Deutsche Geschichte im Zeit-
alter der Reformation“ — „Neun Bücher preussischer Ge-
schichte“ u. a. m.
Karl Schnaase, geb. 1798 in Danzig, Jurist, feit 1848
Obertribunalrath in Berlin; nachdem er seinen Abschied aus dem
Staatsdienst genommen, lebte er in Wiesbaden, wo er 1&75 starb.
Einer der ersten Kunsthistoriker, in dessen Werken gewissen-
hafte Forschung und Schönheit der Darstellung Hand in Hand
gehen. Schrieb zuerst „Niederländische Briefe“, 1884. Sein
umfassendes Werk „Geschichte der bildenden Künste“ gedieh
256
bis auf acht Bände, ohne noch über das Mittelalter hinaus zu
gelangen. Das Vorhandene aber gehört seinem Inhalt nach zu
dem Vollendetsten, was die deutsche Geschichtsschreibung hervor-
gebracht.
David Friedrich Strauss, geb. 1808 zu Ludwigsburg,
studierte Theologie in Tübingen und in Berlin, wurde Repetent
am theologischen Seminar in Tübingen, hielt Vorlesungen an der
Univerlität. Sein erstes grösseres Werk, „Das Leben Jesu,
kritisch bearbeitet“, brachte durch seine Abweichung von der
bisherigen theologischen Anschauung die ganze kirchliche Welt
gegen ihn auf, und ihn selbst in kurzer Zeit zu einem der ge-
lesensten und berühmtesten Schriftsteller. Während die Gegen-
schriften, Beurtheilungen, Angriffe zu Legionen auftauchten, wurde
er selbst seiner Stellung enthoben und nach Ludwigsburg versetzt.
1839 erhielt er eine Berufung nach Zürich, als Professor der
Kirchengeschichte und Dogmatik. Noch ehe er sein Amt an-
treten konnte, machte das von der Gegenpartei aufgehetzte Volk
eine Revolution, und stürzte die freisinnige Regierung, welche ihn
berufen hatte. Strauss lebte von nun an in verschiedenen Orten
als Privatmann, beschäftigt mit Entgegnungen und Streitschriften,
zu welchen er herausgefordert wurde, welche durch ihren Scharf-
sinn und die Schlagfertigkeit, ihren Geist und ihre Ueber-
legenheit, den gleichartigen Schriften Lessings ebenbürtig sind.
Er lebte fortan, bald mit grossen historischen Arbeiten, bald mit
kleineren literarhistorischen beschäftigt, in Heilbronn, in Darm-
stadt, endlich in Ludwigsburg, wo er 1874 starb. Von seinen
zahlreichen Werken, die ihn überall als den gründlichen Ge-
lehrten, den scharfsinnigen Kritiker, den glänzendsten Erzähler,
oft den liebevollsten Detailmaler deutschen Kleinlebens zeigen,
mögen hier genannt fein: Vor Allem fein Werk „Ulrich von
Hutten“ 2 Bände, eine der schönsten Biographien aus der
Reformationszeit. „Leben und Schriften Nicodemus Frisch-
ling“, eines Gelehrten und Poeten aus dem 16. .Jahrhundert.
„Schubarts Leben in seinen Briefen“. „Christian Märk-
lin, ein Lebens- und Charakterbild aus der Gegenwart“, worin
der Verfasser fein und seines Freundes Jugendleben mit einer
fast novellistischen Lebendigkeit und Wärme der Darstellung er-
zählt. In seinen „Kleinen Schriften“ findet sich eine Reihe
der ausgezeichnetsten Aufsätze und Bilder aus der Literatur-
geschichte. Mit seinem letzten Werke „der alte und der neue
Glaube. Ein Bekenntniss“, regte er vor seinem Tode noch ein-
mal die ganze Gegnerschaft wider sich auf, die sich gegen sein
erstes Auftreten zur Wehr gesetzt hatte. Wie sehr man von
seinen Anschauungen abweichen möge, eine objective Beur-
theilung muss in David Fr. Strauss einen der ersten deutschen
S
— 257 —
Historiker und Kritiker, und bei der meisterhaften Durchbildung
seines Styls, einen der vorzüglichsten deutschen Schriftsteller
erkennen.
Franz Kugler, geb. 1808 in Stettin. Wurde 1833
Professor an der Akademie der Künste in Berlin, in das Ministerium
des Cultus berufen, starb in Berlin 1858. Eines der vielseitigsten
Talente, als Dichter, Erzähler, Geschichtschreiber, hauptsächlich
als Kunsthistoriker angesehen. Von seinen lyrischen Gedichten
ist eins zum Volkslied geworden („An der Saale“ u. s. w.); feine
gesammelten „Belletristischen Schriften“ (8 Bände) enthalten
Dramen und Novellen, welche den hochgebildeten Mann und
feinen Beobachter psychologischer Wandlungen zeigen. In seinem
„Handbuch der Kunstgeschichte“ gab er zum erstenmal
das Ganze dieser Wissenschaft in knapper, übersichtlicher Form,
und damit dem Studium derselben eine allgemeinere Anregung und
Bedeutung. Von ihm ferner: „Handbuch der Geschichte
der Malerei“ 2 Bände. „Geschichte Friedrichs des
Grossen“.
Justinus Kerner, geb. 1786 zu Ludwigsburg, studierte in
Tübingen Medicin. Seit 1819 war er Oberamtsarzt zu Weins-
berg, wo er sich am Fuss der Burg Weibertreu anbaute und ein
offenes Haus hatte für Besuche von nah und fern. Er starb 1862.
Hier auch betrieb er seine Studien über das Hereinragen der
Geisterwelt, und legte dieselben in einer Reihe von Werken dar.
Sein Freund, der Historiker D. Fr. Strauss, der ihn sonst zu
schätzen weiss, sagt über ihn: „Kerners Schriften in diesem Fache
bilden eine Reihe, die von einfachen magnetischen Erscheinungen
zu vermeintlichen Kundgebungen von Geistern und Dämonen auf-
steigt, um zuletzt bei einem Punkte anzulangen, wo dem Leser
der Verstand stillsteht, aber auch der Verdacht einer groben
Mystification der allzu arglosen Beobachter unabweisbar wird.“
Im Jahr 1824 erschien die „Geschichte zweier Somnambulen;
1829 „Die Seherin von Prevorst“; 1834 „Geschichten Besessener
neuerer Zeit“; 1836 „Eine Erscheinung aus dem Machtgebiete
der Natur“; wozu dann noch die Zeitschriften: „Blätter aus
Prevorst“, und „Magikon“ kommen. Schon früher hatte er
„Reiseschatten“ herausgegeben, ein Buch voll des barocksten
Humors in wilder Formlosigkeit. Kerners lyrische Gedichte
zeigen ihn von ganz andrer Seite. Seine Balladen sind frisch
und volksmässig, einige seiner Lieder von schönster Anmuth;
ganz volksthümlich wurde das Abschiedslied „Wohlauf noch ge-
trunken den funkelnden Wein!“ In andern, und besonders seinen
späteren Gedichten waltet eine fast krankhafte und überzarte
Empfindung, die sich in Grabesscliatten und Todessucht auflöst.
Roquette, Deutsches Lesebuch. II. 17
258
Gustav Schwab, geb. 1792 zu Stuttgart, starb, nach ver-
schiedenen Stellungen ebenda als Oberstudienrath und Ober-
consistorialrath 1850- Er wird als Landsmann Uhlands und
Kerners stets mit diesen genannt, ohne doch als Dichter beide
zu erreichen; man hat für die Gruppe (zu der auch noch Andre
gezählt werden) den Namen der „schwäbischen Schule“ erfunden,
der, wie alle solche Bezeichnungen, nichts tiefer Bezeichnendes sagt.
Schwab's poetische Bedeutung ist nur gering, wie hoch theologische
Literarhistoriker sie auch anschlagen mögen. Ausser Gedichten
(Balladen) gab er eine Reihe landschaftlicher Schilderungen heraus
(„Die Schweiz in ihren Ritterburgen und Schlössern“; „Wan-
derungen durch Schwaben“; „der Bodensee nebst dem Rhein-
thal“); er erzählte deutsche Sagen wieder, so wie die des Alter-
thums; gab Mustersammlungen deutscher Prosa und Dichtung
heraus, schrieb ein Leben Schillers und vieles Andre.
Eduard Mörike, geb. 1804 zu Ludwigsburg, Landsmann
von Uhland, Kerner, Schwab, D. Fr. Strauss. Anfangs Pfarrer,
später amtlos in Stuttgart lebend, starb 1875. Sein Roman
„Maler Nölten“ (1832) ist eines der bemerkenswerthesten
Werke auf dem Gebiet psychologischer Novellistik. Ferner von
ihm das „Idyll am Bodensee“, Märchen, Novellen, worunter
„Mozart auf der Reise nach Prag“ hervorzuheben. Als
Lyriker einer der liebenswürdigsten Dichter, in Balladen und
Liedern an den Volkston anklingend. Bald ernst und gemüthvoll,
bald heiter bis an den Lebermuth spielend. Trotz aller Vor-
züge gleichen die meisten seiner Gedichte nur abgerissnen
Stimmungen und machen den Eindruck des Fragmentarischen.
Adalbert von Chamisso, geb. 1781 auf dem Schlosse
Boncourt in der Champagne. Seine Familie flüchtete mit ihm
aus den Unruhen der Revolution nach Berlin. Der Knabe wurde
Page der Königin Luise, dann Militär, und befreundete sich in
Berlin mit Fouque, Varnhagen, W. Müller. Nahm Theil an
der Weltumseglung Otto’s v. Kotzebue, und kehrte im Jahre 1818
zurück. Ward Gustos des botanischen Gartens in Berlin, wo er
1838 starb. Franzose von Geburt, Deutscher von Charakter
und Gesinnung, hauptsächlich durch seine lyrischen Gedichte und
seine Novelle „Peter Schlemihl“ ausgezeichnet. Die letzte
besonders gehört zu den Dichtungen von nie veraltendem Werth.
Seine Balladen und Erzählungen (die letzten häufig in Terzinen-
form) behandeln mit Vorliebe schreckliche und schauerliche Stoffe,
doch ist er auch im Komischen glücklich. Seine Stimmungslieder
sind einfach und herzlich. Er beschrieb ferner seine Weltreise
und übersetzte Berangers Lieder.
Friedrich Rückert, geb. 1789 zu Schweinfurt, studierte
in Jena Philologie, ward Privatdocerrt; reiste nach Italien; Prof.
*
— 259 —
der oriental. Sprachen in Erlangen-, 1841 nach Berlin berufen,
feit 1846 auf seinem Gute Neuses bei Kobux-g, wo er 1866
starb. Er ist Lyriker, alle heimischen, romantischen, orientalischen
Formen mit Meisterschaft nachbildend. Hauptsächlich reflectirender
Dichter, unerschöpflich gedankenreich, weniger aus der Tiefe des
Gemüths schöpfend, als feine unermesslichen Beobachtungen und
Anregungen in die Breite verarbeitend. Er trat zuerst mit seinen
Gedichten unter dem Namen Freimund Reimar auf. Mit seinen
„Geharnischten Sonnetten“ und dem „Kranz der
Zeit“ gehört er zu der Gruppe der Dichter der Befreiungskriege.
Der persischen Dichtung bildete er nach: die „Oestlichen
Rosen und Ghaseien“; den arabischen Dichtern folgte er
in den „Makamen des Hariri“ und übertrug das Balladen-
buch der Araber, die „Hamasa“. Er übersetzte das alte Lieder-
buch der Chinesen, den „Schiking“; und folgte der
indischen Dichtung in „Nal und Damaj ante “, und in
„Röstern und Suhrab“. In seinem Lehrgedicht „ d i e W e i s -
heit des Brahmanen“ entwickelte er eine Fülle von Gedanken,
und Alles in Allem in seiner Dichtung eine Technik der Sprache,
wie sie niemals mit solcher Virtuosität, aber auch niemals mit
solchem Missbrauch gehandhabt worden ist. Sein versificirtes
Leben Jesu, seine biblischen und historischen Dramen lassen in
ihm den Dichter nicht mehr erkennen.
Wilhelm Müller, geb. 1794 in Dessau, studierte in Berlin;
zog 1813 mit zu Feld. Nach einer Reise durch Italien wurde
er Gymnasiallehrer und Bibliothekar in Dessau, wo er 1827 starb.
Als Liederdichter am bekanntesten; leicht und heiter, volksmässig und
liebenswürdig. („Gedichte aus den hinterlassnen Papieren eines
reisenden Walclhomisten“.) Gern bildet er Liedergruppen, in
welchen sich eine Begebenheit novellistisch abspinnt: „Die schöne
Müllerin“. — „Die Winterreise“. Seine innere Betheiligung an
dem Aufstand der Neugriechen fingt er in den „Griechenliedern.“
Ausser wissenschaftlichen Arbeiten („Bibliothek deutscher Dichter
des 17. Jahrhunderts“) schrieb er auch seine Reisebeobachtungen
nieder in dem Buche: „Rom, Römer und Römerinnen.“
Friedrich von Heyden, geb. 1789 in Ostpreussen auf
dem väterlichen Gute Merfken, starb als Oberregierungsrath in
Breslau. Ein in allen Gattungen der Dichtung gewandter Dichter,
dessen tief sittliche Natur und Empfindung sich überall mit reinem
Kunstgefühl verband. Seine Lyrik spricht sich bald resiectirend,
bald in schöner Liederform aus. Eine Reihe von dramatischen Werken,
historischen Tragödien, wie modernen Lustspielen, welche, besonders
die letzteren, vielfach dargestellt wurden, und sich durch geistvollen,
fein gebildeten Dialog auszeichnen, ist zusammengestellt in 3
Bänden „Theater“. Enter seinen novellistischen Arbeiten ist her-
17 *
260
vorzuheben der Roman „die Intriguanten.“ Am bedeutendsten
entfaltete lieh fein Talent in seinen epischen Dichtungen („die
Gallione; Reginald, der Schuster von Ispahan; die Königsbraut“),
deren jede reich ist an poetischen Schönheiten. Am beliebtesten
wurde feine Dichtung „Das Wort der Frau“ durch prächtige
Schilderungen besonders ausgezeichnet.
August Graf von Platen-Hallermünde, geb. 1796
zu Anspach, erzogen auf der Cadettenschule in München, machte
1815 als Offici er den Feldzug nach Frankreich mit; gab nach
dem Kriege den Militärdienst auf, bezog die Universität in Würz-
burg, dann in Erlangen, wo er sich dem Studium der Sprachen
hingab. Eine Reise nach Italien wurde um so entscheidender für
seine Zukunft , als er feine Gesinnung und feine Hoffnungen mit
dem deutschen Leben, das in jenen zwanziger Jahren jedem
poetischen Aufschwung und jeder freien Lebensäusserung ungünstig
war, unerträglich fand. Er wählte, in freiwilliger Selbstverbannung
Italien für immer zu seinem Aufenthalt, um nur noch besuchsweise
in die Heimath zurückzukehren. Er starb 1885 in Syracus.
Platen kehrte nur äusserlich seinem Vaterlande den Rücken, im
Innern hing er aufs Engste mit Deutschland und seiner Literatur
zusammen, und selbst der Missmuth gegen den Verfall derselben,
der so vielfach aus seinen Dichtungen spricht, ist ein patriotischer.
Man thut Platen Unrecht, wenn man allein von seiner Form
spricht, und die bedeutende Dichtematur in ihm dagegen zurück-
treten lassen will. Seine poetische Sprache ist in der That die
vollendetste; Rückert kann man den Virtuosen der Sprachform
nennen, Platen ihren ächten Künstler. Sein ganzes Streben war
höchste Kunstvollendung, die er in allen Gattungen der Lyrik
und im erzählenden Gedicht, so wie in zweien seiner dramatischen
Dichtungen auch wirklich erreichte. Viele feiner Lieder gehören
zu dem Schönsten der deutschen Lyrik überhaupt; so auch seine
Sonnette. Das Ghasel bildete er mit Vorliebe aus und überwand
auch darin (manche blosse Reinstudien abgerechnet) die wider-
strebende Form durch den poetischen Inhalt. Auch von feinen
Hymnen, Oden, Balladen ist die Mehrzahl musterhaft. Nicht so
günstig war sein Talent für das Drama gebildet. Seine ersten kleinen
Komödien „Der gläserne Pantoffel; der Schatz des Rhampsinit;
der Thurm mit sieben Pforten“ zeigen wenig dramatisches Ver-
ständniss, sind überdies stark mit der Farbenmischung der
„romantischen Schule“ gemalt. Noch schlimmer steht es um die
ernster gehaltnen Schauspiele „Treue um Treue“ und „die Liga
von Cambrai“, die ganz undramatisch sind. Wenn demnach hier
die Schranke seines Talentes lag, so erneuerte er dagegen die Gattung
der alten griechischen Komödie, nach dem Voxbild des Aristo-
phanes, mit zwei Dichtungen von dauerndem Werth. „Die
261
verhängnisvolle Gabel“, eine Satire auf die sogenannten
„Schicksalstragödien“, die zur Zeit in Deutschland Mode machten,
und „der r o man tische 0 e d i p u s “ , gegen Immermann (in
seinen Jugend werken) gerichtet, zwei Strafgerichte gegen die
Entartung, nicht nur der Literatur, sondern auch des Publicums,
gerichtet, sind die Meisterwerke Platens. In ihnen zeigt sich
feine Dichternatur, fein Geistesreichthum, fein hohes Kunstgefühl
und Streben, auch wohl einige Mängel seines Wesens, am be-
deutendsten ausgeprägt. — In dem Gedicht „die Abbassiden“
(in neun Gesängen) entfaltet er ein buntes orientalisches Märchen.
Von ihm ferner in Prosa „Geschichte des Königreichs Neapel“
und Anderes mehr.
August Kopi sch, 1799 in Breslau geb. Lyrischer
Dichter und Maler. Begann seine akademischen Studien in
Dresden, ging nach Italien, wo er lange Zeit verweilte. Hier
befreundete er sich mit Platen, und hatte das Glück, bei einer
Schwimmpartie die blaue Grotte unter den Uferzerklüftungen
von Capri zu entdecken. Er starb 1853 in Potsdam. Seine Ge-
dichte bieten eine glückliche Mischung von Humor und Phantasie,
und wissen, oft in kunstvoll schwieriger Form, eine knappe Er-
zählungsform zu treffen; so in der Sammlung „Allerlei Geister“.
Von seinen Weinliedern wurde eins: „Als Noah aus dem Kasten
war“, zum Gemeingut aller Singenden. Auch übersetzte er Dante'8
„Göttliche Komödie“ und italienische Volkslieder ins Deutsche.
Wilhelm Smets von Ehrenstein, geb. 1796 in Reval.
Studierte in Bonn, machte den Krieg gegen Frankreich mit, wurde
Schauspieler in Wien, studierte darauf katholische Theologie, wurde
Priester, Domcaplan in Köln, zuletzt ( 'anonicus in Aachen. Nach-
dem er noch in die Nationalversammlung in Frankfurt a. M.
gewählt worden war, starb er 1848. Von ihm zahlreiche
Schriften verschiedenen Inhalts, darunter Trauerspiele, kleine
epische und lyrische Gedichte.
Karl Egon Ebers, geb. in Prag 1801, studierte daselbst,
wurde 1825 Bibliothekar und Archivar des Fürsten zu Fürstenberg
zu Donaueschingen, lebte später in Prag. Sein erstes Werk
„Wlasta, böhmisch-nationales Heldengedicht in 3 Büchern (1829)
erregte Goethe’s Interesse, wie Eckermann in den „Gesprächen
mit Goethe“ ausführlich erzählt. Von ihm ferner: „Das Kloster,
idyllische Erzählung in 5 Gesängen“, zahlreiche Dramen und
lyrische Gedichte, darunter besonders die Balladen hervorzuheben.
Julius Mosen, geb. 1803 zu Marienei im sächsischen
Vogtlande, studierte in Jena und Leipzig Rechtswissenschaft, wurde
Advocat in Dresden. Da feine dramatischen Arbeiten ihm Ruf
gemacht hatten, wurde er 1845 als Dramaturg nach Oldenburg be-
rufen. Bald von einem unheilbaren Leiden befallen, welches
262
seinen ganzen Körper lähmte, ging seine übrige Lebenszeit der
Dichtung so gut wie verloren. Er starb in Oldenburg 1867.
Mosen ist ein sehr vielseitiger Dichter. Er trat zuerst mit den
allegorischen Epen „Das Lied vom Kitter Wahn;“ und „Ahasver“
auf. Seine Lyrik ist stimmungsreich und von seinen Balladen
wurden einige populär (Andreas Hofer). Seine dramatischen
Stücke (Bernhard v. Weimar; der Sohn des Fürsten; Cola Rienzi;
die Bräute v. Florenz u. a.) wurden auf vielen Bühnen dargestellt.
Ferner von ihm der Roman „Der Congress von Verona“ und
Novellen „Bilder im Moose“.
Friedrich von Sallet, geb. in Neisse 1812, im Kadetten-
hause zu Berlin erzogen, kam 1829 als Lieutenant nach Mainz.
Er nahm seinen Abschied, um ganz seiner Musse leben zu können,
starb aber in seiner besten dichterischen Entwickelung schon 1843
zu Reichau in Schlesien. Ein bedeutendes Talent und scharfer
Verstand vereinigen sich in ihm, daher seine Dichtungen meist
geistvoll reflectirend sind. Dabei gelingen ihm auch in Liedern
frische klangvolle Töne. Seine Gedichte legen sein poetisches
Ringen, feine religiösen und politischen Kämpfe offen dar. Sein
„Laienevangelium“ behandelt die Glaubenssätze des neuen
Testaments, die er in modernem Geist zu erläutern sucht; zum
Theil erzählt er die Begebenheiten der Evangeliengeschichte;
diese meist ausserordentlich poetisch und glänzend. Die Freiheit
ist ihm der einzige Gesichtspunkt alles Lebens und Strebens, so
auch im Christenthum. Sallet ist, in Liebe und Hass, in Tadel
und Zorn, des markigen und bezeichnenden Wortes Meister,
handhabt es aber auch wohl, als liesse er Recruten exercieren.
Die Novelle „Contraste und Paradoxen“ (welcher leider
der anspruchsvolle Titel für grössere Verbreitung schadet), ist, in
ihrem ersten Theil wenigstens, ein Prachtstück von Humor, der
die märchenhafte Vereinigung des Alltäglichen mit dem Wunder-
baren poetisch zu rechtfertigen versteht.
Nicolaus L enau, angenommener Name für Nie. Ni emb sch
Edler von Strehlen au, geb. 1802 in dem ungarischen
Dorfe Czatad bei Temesvar, erzogen in Ofen und Tokay, studierte
in Wien und Heidelberg. Machte 1833 eine Reise nach Amerika,
lebte dann ohne bindende Stellung in Wien und in Stuttgart.
Ein schweres Leiden erfüllte feine letzten Lebensjahre, er starb
im Irrsinn in einer Anstalt bei Wien 1850- Lenau ist einer
der gemütvollsten und innerlich vertieftesten Lyriker. Seine
ganze Dichtung ist von einer träumerischen Schwermut beherrscht,
die vielleicht in seiner magyarischen Abstammung liegt, jenem
Naturell, auf dessen melancholischer Grundlage die Stimmungen
von Weichheit, düstrem Hinbrüten und leidenschaftlicher Wild-
heit oft jäh wechseln. Daher auch sein Verständniss der ähn-
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liehen Züge des ungarischen Zigeunerthums, welches in Liedern
und Balladen nie charakteristischer, farbenglänzender gemalt worden
ist, als von Lenau. Nicht nur die umgebende landschaftliche
Natur, die er in den zartesten Stimmungen zu zeichnen verstand,
das ganze Leben ist bei ihm unter den Gesichtspunkt eines düster
schönen Scheinbildes gestellt, dessen Verfall oder Vergänglichkeit
er zuerst in's Auge fasst. Dazu kommt ein angeborener Drang
nach Freiheit, den er für sich selbst unter Kämpfen durchzu-
setzen wusste, den er auch mit seiner Dichtung überall aufsuchte,
wo in der Geschichte die Freiheit des Gedankens, des nationalen
und politischen Strebens zu ringen hatte und untergehen musste.
So entstanden seine Po len lie der, so seine erzählenden Ge-
dichte ,,8avonarola“ und „die Albigenser“ und so gehören
zu der Gruppe die Gedichte aus Amerika (Die drei Indianer)
und die Zigeunerlieder, in deren völliger Weltverachtung der
Trotz auf individuelle Freiheit sich am stärksten ausspricht. Ferner
von ihm: „Faust“, ein dramatisches Gedicht (welches mit
Goethe's Faust nicht rivalisiren darf), und Don Juan, ein Gedicht,
das sich unvollendet unter seinem Nachlass fand.
Anastasius Grün, angenommener Dichtername für A n t o n
Alex. Graf von Auersperg, geb. 1806 in Laibach. Er-
zogen theils auf den Gütern seiner Familie in Krain, theils in
Wien. Politisch thätig seit 1848, wo er in das Vorparlament
nach Frankfurt gewählt wurde. Später lebenslängliches Mitglied
des östr. Herrenhauses, in hervorragender politischer Stellung,
Führer der liberalen Partei. Lebte in Wien oder in Krain (f 1877).
Einer der hervorragendsten österreichischen Dichter, als Lyriker und
poetischer Erzähler. Die Unzufriedenheit des freisinnigen Denkers
und Politikers mit den jeden geistigen Aufschwung erdrückenden
öffentlichen Verhältnissen, sprach sich zuerst in seinen politischen
Gedichten, „Spaziergänge eines wiener Poeten“ 1831
aus, dann auch in der Sammlung „Schutt“ worin Phantasie,
Glanz der Darstellung und warme Hingabe an Freiheit, Mensch-
lichkeit und M ensch en würde sich zu glanzvollen Bildern vereinigen.
In der Sammlung seiner „Gedichte“ sind diese Vorzüge nicht
minder reich ausgestreut, und auch von seinen reinen Stimmungs-
liedern gehören viele zu den schönsten der neueren Lyrik. Sein
frühestes Werk „Der letzte Ritter“, ein Romanzencyclus,
die Jugendabenteuer und die Brautfahrt Kaiser Maximilians be-
handelnd, ist in ihrer naiv einfachen Erzählungsart eine der lie-
benswürdigsten Dichtungen. Von ihm noch Werke epischer Art:
„Die Nibelungen im Frack“ und „Der Pfaff vom
Kahlenberg“.
Georg Herwegh, geb. 1817 in Stuttgart, lebte in jour-
nalistischer Thätigkeit, bis feine politischen „Gedichte eines Leben-
264
digen“ (1841) ihn plötzlich zu einer deutschen Berühmtheit
machten. Er reiste überall in Deutschland umher, um seine
Lorbeeren einzuernten, die ihm im Lebermass gespendet wurden.
In der Bewegung des Jahres 1848 fiel er mit einer Schaar
französischer und deutscher Arbeiter in Baden ein, wurde jedoch
unrühmlich von den württembergischen Truppen zurückgetrieben,
und verscholl seitdem, wie als Dichter, so als Feldherr und Po-
litiker. Er starb in Zürich 1875. Bei Herwegh nimmt die
politische Lyrik allen Glanz einer virtuosen Farbengebung an,
sie hat es mehr mit Brillantfeuerwerk und Rhetorik zu thun, als
mit Gedanken ernst und innerer Wärme. Gleichwohl gelangen
ihm einige sangbare Lieder und Gedichte auch ausserhalb des
politischen Gebietes.
Ferdinand Freiligrath, geb. 1810 zu Detmold, lebte,
dem Handels stände angehörig, in Amsterdam, in Barmen, lange
Jahre in England, dann in Stuttgart (f 1876). Ein Lyriker, der
bei seinem Auftreten durch die phantastische Pracht der Bilder
aus fremden Zonen, den Glanz der Ausmalung und die Virtuosität
der Effecte Aussehen erregte. Daneben sprach sich in Liedern
auch wohl die Innerlichkeit lebhafter aus, aber selbst hier, und
auch wo er erzählt, geht etwas rhapsodisch Theatralisches durch
feine Darstellung. Seine Zeitgedichte weisen mit klarerem Ein-
blick, als Herweghs politische Lyrik, auf die wichtigsten Punkte
hin, wo eine Verbesserung der bestehenden Verhältnisse nöthig
war, und zeigten ihn lebhaft ergriffen für eine freiere Gestaltung
des deutschen Lebens.
Robert Prutz, geb. 1816 in Stettin, studierte in Berlin,
Breslau, Halle, lebte dann an verschiedenen Orten, 1847 in
Hamburg, bei der Leitung des Theaters betheiligt, 1849 als
Professor der Literaturgeschichte berufen. Gab seine Stellung
auf, lebte in Stettin, reiste, Wandervorträge haltend, umher und
starb in seiner Vaterstadt. Ein auf fast allen Gebieten der Lite-
ratur thätiger Schriftsteller. Als Lyriker nur durch feine politischen
Gedichte hervorragend, in welchen das Rhetorische vorwaltet.
Das Rednerische und Declamatorische geht auch durch seine
Schauspiele (Moritz von Sachsen, Karl von Bourbon, Erich der
Bauernkönig); es macht sich auch in seinem prosaischen Styl, so-
gar in seinen wissenschaftlichen Arbeiten geltend. Das Beste ist
„Die politische Wochenstube“, eine Komödie, in der von
Platen neu belebten Aristophanischen Weise. Von ihm, ausser
Romanen und Novellen, literarhistorischen Abhandlungen: „Der
Göttinger Dichterbund; Vorlesungen über die Geschichte des
deutschen Theaters“ u. A.
Gottfried Kinkel geb. 1815 in Oberkassel bei Bonn,
studierte in Berlin Theologie. Wurde Hülfsprediger, dann Privat-
265
docent in Bonn. Gab die Theologie zu Gunsten der Kunst-
geschichte auf, seit 1847 Professor. Ein bewegtes Leben folgte
für ihn feit 1849, wo er sich am Aufstande betheiligte, in der
Pfalz und in Baden mit focht, von den preussischen Truppen
gefangen, und in Rastatt von dem Kriegsgericht zu lebenslangem
Gefängniss verurtheilt wurde. Aus der Festung Spandau mit
fremder Hülfe befreit, entkam er nach England, wo er lange
Jahre lebte. Zur Zeit ist er Professor der Kunstgeschichte in
Zürich. In Kinkels lyrischen Gedichten steht fast gar nichts aus
seinem vielbewegten öffentlichen Leben zu lesen. Meister in
jeder Form, spricht er hier nur ein reiches inneres Leben aus,
am schönsten in einigen Stimmungsliedern. Seine Schauspiele
kommen nicht in Betracht, dagegen hat sein kleines episches
Gedicht „Otto der Schütz“ mit Recht grossen Beifall erhalten,
und wird wohl dauernd eine Lieblingsdichtung bleiben. Unter
feinen prosaischen Erzählungen ist die Novelle „Margret“ aus-
gezeichnet. Von ihm auch „Geschichte der bildenden Künste
bei den christlichen Völkern“ u. A.
Emanuel Geibel, geb. in Lübek, studierte in Bonn und
Berlin, lebte 1838—1840 in Griechenland. 1852 nach München
berufen, lebt zur Zeit in Lübeck. Hauptsächlich Lyriker, in
Liedern innig, fromm, sentimental, oft frisch und unmuthig; in
allen strengeren Formen, so wie in jeder Nachbildung sehr ge-
wandt. Als Dramatiker schrieb er: König Roderich; Brunhild;
Meister Andrea, Sophonisbe. Ferner das erzählende Gedicht
„Sigurds Brautfahrt“, trat auch mit politischen Gedichten in die
Zeitbewegung ein; „Zeitstimmen; Sonnette für Schleswig-Holstein.“
Hermann Lingg, geb. 1820 zu Lindau, wurde Militär-
arzt, legte feine Stellung nieder, lebt in München. Von ihm
lyrische Gedichte von ungemeiner Kraft des Ausdrucks, charakte-
ristisch in der Wahl historischer Stoffe; ernst männlich und in
der Form tadellos. Auch einige Schauspiele erschienen von ihm.
Sein umfangreichstes Gedicht ist „die Völkerwanderung“
(bis jetzt 2 Bände); kein Epos, sondern eine fortlaufende Schil-
derung der historischen Vorgänge, in geschickter Gruppirung.
Die einzelnen Bilder runden sich oft künstlerisch zum Ganzen,
und zwar mit aller phantastischen Farbenpracht der Schilderung
und Darstellung.
Theodor Fontane, geb. 1819 zu Neu-Ruppin. Lebt
gegenwärtig in Berlin. Trat mit lyrischen Gedichten auf, dann
mit dem Balladen-Cyclus „von der schönen Rosamunde“. Die Samm-
lung „Männer und Helden“ feiert eine Reihe von preussischen
Heerführern. In einem Bande „Balladen“ folgten dann feine
bedeutendsten Dichtungen, die sich mit Vorliebe auf dem nordischen
Gebiet halten. Dem altenglischen und schottischen Volksballaden-
266
ton folgend, hat er die Gattung für sich mit charakteristischer
Eigenheit und in künstlerischer Form ausgebildet. Seine Dich-
tungen erschienen gesammelt: „Gedichte“ 1875. Ausser einigen
Novellen (John Monmouth; die goldne Hochzeit u. a.) sind zu
nennen die Reisewerke „Ein Sommer in London“, ferner „Aus
England. Studien über englische Kunst, Theater, Presse u. s. w.“
Eine Fundgrube für Kulturgeschichte in lokaler Begrenzung, sind
die „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“. Endlich die
historischen Schilderungen der Kriegstheater der neuesten Zeit: Der
fchleswig - holsteinsche Krieg“ 1864, „der deutsche Krieg von
1866;“ „der Krieg gegen Frankreich“ 1870—71.
Gustav Freytag, geb. 1816 zu Kreuzburg in Schlesien,
studierte in Breslau, lebt abwechselnd in Leipzig und auf seinem
Landsitz bei Gotha. Schrieb die Schauspiele „Valentine und
Graf Woldemar“, dann das Lustspiel „die Journalisten“, später
die Tragödie „die Fabier“, überall moderne Verhältnisse und Ge-
danken geistvoll behandelnd. Dasselbe gilt von seinen Romanen
„Soll und Haben“ und „die verlorne Handschrift“.
Ein neuerer weitschichtig angelegter Romancyclus „die Ahnen“,
von welchem bis jetzt fünf Abtheilungen erschienen sind (Ingo,
Ingraban, das Nest der Zaunkönige, die Brüder vom deutschen
Hause, Markus Koenig) behandelt mittelalterliche Verhältnisse mehr
in culturhistörischern Sinne. Sein Hauptwerk ist: „Bilder aus
der deutschen Vergangenheit“, ein Meisterwerk der Ge-
schichtschreibung und der Schilderung deutschen Lebens, von der
Völkerwanderung bis nahe an die Gegenwart.
Theodor Mommfen, geb. 1817 zu Garding in Schles-
wig. Nach Studienreisen in Italien und Frankreich lebte er als
Professor in Leipzig, Zürich, Breslau, zur Zeit in Berlin. Unter
seinen historischen Werken ist hauptsächlich zu nennen die
„Römische Geschichte“, epochemachend für die Geschicht-
schreibung durch eigenartig bedeutende Auffassung und historische
Charakterzeichnung.
Johann Jakob von Tschudi, geb. 1818 in Glarus. Eine
Reife nach Peru (1838) beschäftigte ihn 5 Jahre lang mit natur-
historischen und ethnographischen Studien. 1857 folgte eine Reise
nach Brasilien, den Laplatastaaten, Chile, Bolivia u. s. w. 1860
wurde er vom schweizerischen Bundesrathe als ausserordentlicher
Gesandter nach Brasilien geschickt, wo er zwei Jahre blieb. Seit
1866 Gesandter in Wien. Ausser einer Reihe gelehrt wissen-
schaftlicher Werke, von ihm: „Peruanische Reiseskizzen“ und
„Reisen durch Südamerika“. (5 Bände.)
Ferdinand Gregorovius, geb. 1821 zu Neidenburg,
besuchte das Gymnasium zu Gumbinnen, studierte in Königsberg.
Nachdem er sich bereits durch einige Schriften bekannt gemacht
267
hatte („Goethe’s Wilhelm Meister in seinen socialen Elementen“),
ging er 1852 nach Italien, welches feine zweite Heimath werden
sollte. Er lebt zur Zeit in Rom. Seine grösseren Werke sind
„Corsica“, eine auf eigne Durch Wanderung der Insel gegründete
Darstellung von Land und Leuten und ihrer Geschichte. „ W ander-
jahre in Italien“, meisterhaft entworfene historische Bilder und
Schilderungen, und sein grosses Hauptwerk „Geschichte der
Stadt Rom im Mittelalter“ (8 Bände). Zuletzt ein Merk
über „Lucrezia Borgia“. In dem kleinen Epos „Eupho-
rion“ machte er sich auch als Dichter bekannt.
Wilhelm Heinrich Riehl, geb. 1823 zu Biberich am
Rhein, studierte in Marburg, Giessen, Bonn, lebt feit 1853 als
Professor der Staats- und Cameralwissenschaften an der Uni-
versität zu München. Schrieb „die Naturgeschichte des Volkes
als Grundlage einer deutschen Socialpolitik“, enthaltend die Unter-
abtheilungen: „Land und Leute; die bürgerliche Gesellschaft; die
Familie.“ Ferner „die Pfälzer, ein deutsches Volksbild.“ Als
Musikhistoriker schrieb er „Musikalische Charakterköpfe“ und als
componirender Musiker gab er heraus „die Hausmusik“
(50 Lieder). Von seinen zahlreichen Novellen („Culturgeschicht-
liche Novellen“; letzte Sammlung „Aus der Ecke“) gehört die
Mehrzahl zu den besten, die in neuester Zeit geschrieben worden
sind.
Wilhelm Lübke, geb. 1826 in Dortmund, studierte in
Bonn und Berlin. Daselbst zuerst als Gymnalsiallehrer, dann
als Professor der Kunstgeschichte an der Bauakademie thätig.
Später an das eidgenössische Polytechnikum nach Zürich berufen,
zur Zeit in Stuttgart. Gab zuerst heraus „Vorschule der Kirchen-
baukunst im Mittelalter“, dann „die mittelalterliche Kunst
in Westfalen.“ Es folgte der „Grundriss der Kunstge-
schichte“, die „Geschichte der Plastik“, die „Geschichte
der Renaissance Frankreichs“, und „Geschichte der
deutschenRenaissance“. Zu diesen ausgezeichneten grösseren
Werken, welche einer allgemeineren künstlerischen Bildung ent-
gegen kommen, gehört noch ein Band „Kunsthistorische
Studien“, eine Reihe werthvoller Aufsätze, zum Theil biogra-
phischen Inhalts. _______________
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Pierer'sche Hofbuchdruckerei. Stephan Geibel & Co. in Altenburer.
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