120 Lebensbilder. 13. Die Glasscherbe». Nach langem Wandertage müd' und matt, Schritt ich, nein, hinkte schon dem Ziele zu, Dem Städtchen, dessen hoher, schlanker Turm Im Schein des Abendrots herttbersah. Rings blickt' ich um, ob irgend nicht ein Pfad, Ablenkend vonderstaub'genStraße,mir DenWeg verkürzen möge. Sieh! dasaß Ein altes Mütterchen, ein armes Weib, Wohl müder noch als ich, mit nacktem Fuß, Auf ihremRücken tragend hochgetürmt, JnBündcln aufgeschichtet, dürresReis. Sie fragt' ich und erhielt Bescheid, es geh' Nicht weit von hier durch Hecken hin ein Steig, Der grader führ'nnd näher znderStadt. „Auch ich," so sprach sie, „muß des¬ selben Wegs, Und weisen will ichEuchdiercchteBahn, Wenn Ihr ein kleines Viertelstünd¬ chen harrt; Denn ruhen muß ich noch, mein Weg war weit, Die Last ist schwer, und ich bin krank und alt." Doch warten wollt' ich nicht; ein Geldstück warf Ich in der Alten Schoß und ging und fand Denschmalen Steig. Mit einemMale knirscht Mir's unterm Fuß; ich tret' auf Glas und seh' GarvielescharfeScherbenaufdemPfad, Die hier ein Uuvorsicht'gcr weit zer¬ streut. Die starkeSohle doch des Wanderschuhs Beschützt mich, sorglos schreit' ich drüber hin, Doch immer schwerer, immer mehr des Stabs Bedürftig und der Speise und des Tranks. Manch hundert Schritte geh' ich so, da zwingt Ein plötzlicher Gedanke mich zum Steh'n. „Wie, wenn das Mütterchen mit nacktem Fuß In diese Scherben tritt? Die Dämnr'- rung naht, Der Alten Aug' ist blöd'. Soll ich zurück? Sie warnen? — Ich zurück, so müd', erschöpft? Mir lechzt die Kehle, und es brennt mein Fuß, Fast bin ich lahm. — Und doch — und doch; vielleicht Verletzt sich schwer das kranke Weib ; es könnt' Ihr Tod auch sein." Mich saßt' es an wie Angst, Wie kalter Schauer, und ich humpelte Zurück; bei jedem Schritt empfand ich Schmerz, Und fast versagte mir der Fuß den Dienst. Doch kam ich endlich zu dem Platz und sah, Die Alte stets noch ander Straße ruh'», Und bückte mich und las dieScherben auf Bis auf den kleinsten,und ich warf sie all' In einen tiefen Erdriß nächstdemPfad; Da ging ich rückwärts, hielt noch ein¬ mal an Und harrte, ob die Alte käm' des Wegs. Die hob sichjetzt;ich sah sie mühsam geh'n Und stand noch immer wartend, bis vorbei Sie wohlbehalten an der Stelle war, Die ich gereinigt. Da ermannt' ich mich, Schritt fürbaß, und ich weiß nicht, wie es kam,