139 Aber wie war sie verwundert. Der bunteste, fröhlichste Blumengarten um¬ gab sie. in welchem Tulpen, Rosen und Lilien mit den herrlichsten Farben leuch¬ teten, blaue und goldrote Schmetterlinge wiegten sich in den Blüten, in Käfigen aus glänzendem Draht hingen an den Spalieren vielfarbige Vögel, die herr¬ liche Lieder sangen, und Kinder in weißen kurzen Nöckchen, mit gelockten gelben Haaren und hellen Augen, sprangen umher, einige spielten mit kleinen Läm¬ mern. andere fütterten die Vögel oder sammelten Blumen und schenkten sie einander, andere wieder aßen Kirschen, Weintrauben und rötliche Aprikosen. Keine Hütte war zu sehn, aber wohl stand ein großes schönes Haus mit eherner Tür und erhabenem Bildwerk leuchtend in der Mitte des Raumes. Marie war vor Erstaunen außer sich und wußte sich nicht zu finden; da sie aber nicht blöde war, ging sie gleich zum ersten Kinde, reichte ihm die Hand und bot ihm guten Tag. „Kommst du. uns auch einmal zu besuchen?" sagte das glänzende Kind; „ich habe dich draußen rennen und springen sehn, aber vor unserm Hündchen hast du dich gefürchtet." — „So seiß ihr wohl keine Zigeuner- und Spitzbuben." sagte Marie, „wie Andres immer spricht? O freilich ist der nur dumm und redet viel in den Tag hinein." — „Bleib nur bei uns," sagte die wunderbare Kleine, „es soll dir schon gefallen." — „Aber wir laufen ja in die Wette." — „Zu ihm kommst du noch früh genug zurück. Da nimm und iß!" — Marie aß und fand die Früchte so süß, wie sie noch keine geschmeckt hatte, und Andres, der Wettlauf und das Verbot ihrer Eltern waren gänzlich vergessen. Eine große Frau im glänzenden Kleide trat herzu und fragte nach dem fremden Kinde. „Schönste Dame," sagte Marie, „von ungefähr bin ich herein¬ gelaufen, und da wollen sie mich hier behalten." — „Du weißt, Zerina," sagte die Schöne, „daß es ihr nur kurze Zeit erlaubt ist, auch hättest du mich erst fragen sollen." — „Ich dachte," sagte das glänzende Kind, „weil sie doch schon über die Brücke gelassen war, könnt' ich es tun; auch haben wir sie ja oft im Felde laufen sehn, und du hast dich selber über ihr munteres Wesen gefreut; wird sie uns doch früh genug verlassen müssen." „Nein, ich will hier bleiben," sagte die Fremde, „denn hier ist es schön, auch finde ich hier das beste Spielzeug und dazu Erdbeeren und Kirschen; draußen ist es nicht so herrlich." Die goldbekleidete Frau entfernte sich lächelnd, und viele von den Kin¬ dern sprangen jetzt um die fröhliche Marie mit Lachen her, neckten sie und er¬ munterten sie zu Tänzen, andere brachten ihr Lämmer oder wunderbares Spielgerät, andre machten aus Instrumenten Musik und sangen dazu. Am liebsten aber hielt sie sich zu der Gespielin, die ihr zuerst entgegengegangen war, denn sie war die freundlichste und holdseligste boit allen. Die kleine Marie rief einmal über das andre: „Ich will immer bei euch bleiben, und ihr sollt meine Schwestern sein!" worüber alle Kinder lachten und sie umarmten. „Jetzt wollen wir ein schönes Spiel machen," sagte Zerina. Sie lies eiligst in den Palast und kam mit einem goldenen Schächtelchen zurück, in welchem sich glänzender Sa¬ menstaub befand. Sie faßte mit den kleinen Fingern und streute einige Körner