322 und er antwortet: „Ein volles, ganz von einer Empfindung volles Herz." Das ist freilich wahr: jeder Liebende ist ein Dichter; er ist es, und wenn er nicht einen einzigen Vers macht. Es fingt und klingt in ihm, er sieht die Welt mit andern Augen an. Was den Dichter macht, den darstellenden Zünftler, das ist die Gabe, für die Empfindung einen sinnlichen Ausdruck, im allgemeinsten Sinne gesagt: ein Bild zu finden. Ein Symbol, in, mit und unter dem er anderen seine Empfindung mitteilt. Die Gabe, die äußere Welt zu einem Abbild seiner inneren zu machen. Jede vollkommene Dichtung spricht zu uns: „Alles Vergäng¬ liche ist ein Gleichnis." Die erscheinende Welt in ihren Tiefen und Höhen wird dem Dichter zum sprechenden Gleichnis: er ist dem träumenden Joseph gleich, vor dem Sonne, Mond und Sterne sich neigen. Kein Dichter in der Welt läßt uns die Macht des Symbolischen so empfinden, wie Goethe. „Ich ging im Walde so für mich hin, und nichts zu suchen, das war mein Sinn. Im Schatten sah ich ein Blümlein stehn, wie Sterne leuchtend, wie Äuglein schön." Eine liebliche Geschichte, sie bedarf keiner Deutung: so mit Sternenaugen angeblickt fühlt sich ein jeder, dem unvermutet ein holdes Glück begegnet. Die Macht, die das Symbolische im Gedicht über das Gemüt hat, empfinden wir, vermögen sie gleichwohl nicht immer zu beschreiben. So ergeht es mir mit einem anspruchslosen Gedicht Uhlands: Graf Eberhards Weißdorn. Der Graf hat ein grünes Reis aus dem heiligen Lande mitgebracht, es in heimische Erde gesteckt; nun sitzt er, ergreift, im Schatten des Baumes. „Die Wölbung, hoch und weit, mit sanftem Rauschen mahnt ihn an die alte Zeit und an das ferne Land." Wer sehnt sich nicht, nach manchem Kreuzzuge des Lebens, daß solch ein Baum der Er¬ innerung ihn umschatte! Dies Symbolische, sei es auch nur zu ahnen und nicht auszusprechen, in ihm liegt die allgemeine Wirkung eines Gedichts, ich möchte sagen, es beschreibt den weiteren Kreis der Natur um den engeren der beschränkten Menschheit. Und es ist im Poetischen so wahr wie in der Wirklichkeit, was Rückert sagt: Großes Allgemeines Spricht aus der Natur, Ein Besondres Kleines Aus den Menschen nur. Auch ihm ist das Zauberwort bekannt gewesen, durch das die Welt zu klingen anhebt, auch ihm ist die Natur beseelt, ein redendes Abbild. Nur dem Zulänglichen verrät sie ihr Geheimnis, sagt Goethe. Keiner