194 Er hat den Knaben wohl in dem Arm, Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm. 2. „Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?“ — „Siehst, Vater, du den Erlkönig nicht? Den Erlenkönig mit Kron' und Schweif?“ — „Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif.“ — „Du liebes Kind, komm, geh mit mir! Gar schöne Spiele spiel' ich mit dir; Manch bunte Blumen sind an dem Strand; Meine Mutter hat manch gülden Gewand.“ — „Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht, Was Erlenkönig mir leise verspricht?“ — „Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind; In dürren Blättern säuselt der Wind.“ — „Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn? Meine Töchter sollen dich warten schön; Meine Töchter führen den nächtlichen Reih'n Und wiegen und tanzen und singen dich ein.“ — 9 8 6. „Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort Erlkönigs Töchter am düstern Ort?“ — „Mein Sohn, mein Sohn, ich seh' es genau, Es scheinen die alten Weiden so grau.“ — „Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt; Und bist du nicht willig, so brauch' ich Gewalt.“ „Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an! Erlkönig hat mir ein Leids gethan!“ — 7 8 Dem Vater grauset's, er reitet geschwind, Er hält in den Armen das ächzende Kind, Erreicht den Hof mit Müh' und Not: In seinen Armen das Kind war tot. 79. Die Hagia Sophia. Hellmuth von Moltke. Briefe über Zustände und Begebenheiten in der Türkei aus den Jahren 1835 bis 1839. 2. Aufl. Berlin, 1876. — Solche Fluten von Verheerungen sind über Konstantinopel zusammengeschlagen, daß fast jede Spur ihres Altertums verwischt worden ist. Die Stadt des Bysas ging in der des Konstantin unter, und die Schöpfung des römischen Imperators wurde von Stambul, dem stehenden Lager eines Tatarenstammes, überdeckt. Zwar ist Konstantinopel voll von Trümmern, aber es sind die Trümmer von gestern, und darin unterscheidet sich die oströmische von der abend— ländischen Hauptstadt. Die, welche die sieben Hügel am Tiber krönt,