33. Der Rabe auf dem Schloßhofe zu Merseburg. 85 ritten. Tell hörte in seinem Versteck allerlei Anschläge des Landvogts wider ihn, nahm seine Armbrust und durchschoß den Vogt mit einem Pfeile, daß er¬ töt vom Roß zu Boden sank. Hierauf entfloh Tell über die Gebirge gen Uri. Das Volk aber freute sich überall, wo die Tat ruchbar wurde, daß es seines schlimmsten Gewaltherrn entledigt war. Ferdinand Mhler. 33. Der Rabe auf dem Schlotzhofe zu Merseburg. H^enn man in den ehrwürdigen Dom zu Merseburg vom Schloßhofe aus eintritt, so gelangt man zunächst in eine Kapelle, deren Wände die Bild¬ nisse vormaliger Bischöfe von Merseburg schmücken. In dieser Kapelle ruht auch Bischof Thilo von Trotha. Ein schön in Erz gearbeitetes Kunstwerk U) erhebt sich über seinem Grabe. Der Bischof ist in Lebensgröße darauf, in liegender Stellung, das Haupt, aus dessen Gesichtszügen tiefer Schmerz spricht, auf den Arm gestützt. Neben diesem Grabmale befindet sich ein an¬ deres, dessen Stelle eine ebenfalls schön gearbeitete Erztafel bedeckt, und auf dieser Tafel sieht man einen kopflosen menschlichen Oberkörper, die Arme ir> über dem Rumpfe erhoben. In der einen Ecke erblickt man einen Fuchs, in der anderen einen großen Raben, der einen Ring im Schnabel hat. Beide Denk¬ mäler stehen der Sage nach in Beziehung zueinander. Bischof Thilo von Trotha besaß einen sehr kostbaren Ring, der ihm ungemein lieb und wert war. Beim Waschen pflegte er ihn abzuziehen und 20 in das offene Fenster seines Schlafgemachs zu legen. Eines Tages vermißte der Bischof nach dem Waschen den kostbaren Ring. Nirgends war derselbe aufzufinden; außer ihm hatte das Gemach nur sein alter Kammerdiener be¬ treten, den der geistliche Herr seiner Treue wegen hochschätzte, und den diese Treue gegen allen Verdacht, daß er den Ring entwendet habe, schützte. Allein 25 die Liebe, die der Bischof seinem treuen Diener kundgab, hatte diesem schon längst unter dem übrigen Hofgesinde Neider und Feinde erweckt. Es gelang, ihn bei dem Herrn des Diebstahls zu verdächtigen. Er wurde verhaftet, die Untersuchung wurde eingeleitet und von ihm das Geständnis, daß er den Ring entwendet habe, durch die Folter erpreßt. Seine Aussage war, den 30 Ring habe er auf die Seite gebracht, so daß er nicht wiederzufinden sei. Das Urteil lautete auf Enthauptung. Auf dem Schafott soll der Unglückliche, ob¬ schon vergebens, sein Geständnis widerrufen und erklärt haben, daß er zum Zeichen seiner Unschuld, sobald der Kopf gefallen sei, die Hände über dem Rumpfe gen Himmel erheben werde; dies sei denn auch geschehen. 35