90. Silber im Meer. 241 sicher, daß er sich irgendwo bemerklich machen würde. Und das tat er. Ich lag in der folgenden Nacht im tiefsten Schlafe, da ging plötzlich neben mir ein Geschrei los, daß ich erstaunt und entsetzt in die Höhe fuhr. Freund Joachim saß auf meinem Bettpfosten. Der Geist des Gesanges war über ihn gekommen. Er trieb seine Kehl¬ blase auf, als sei er das erfahrenste Fröschlein des ganzen Reiches^ und meckerte mit seiner hellen Stimme, wie nur ein Laubfrosch im Frühling meckern kann. Schleunigst war er beim Kragen genommen und in sein Glas zu rück gesperrt. Aber die Frühlingsluft ließ ihm keine Ruhe, noch am Morgen saß er auf der letzten Sprosse seiner Leiter und krähte aus Leibeskräften. Da dachte ich, es sei zu seinem wie zu meinem Besten, ihn zu verabschieden. Ich trug ihn hinaus ins Grüne, ans Wasser, wo seine Kameraden quakten, und setzte ihn auf einen Strauch am Ufer. Daß er die Fähigkeit, sich selber zu erhalten, durch dreivierteljährige Ge¬ fangenschaft verloren haben sollte, darüber hatte ich wenig Sorge, er hatte zu viel Selbständigkeit gezeigt. Ohne Umstände kletterte er von seinem Strauch herab dem Wasser zu und setzte sich auf ein Seerosenblatt. „Möge es dir gut gehen, kleiner Joachim!“ sprach ich. „Der Himmel beschere dir eine Lebensgefährtin und schütze dich vor dem Storch wie vor Frösche fangenden Buben! Dann habe ich dich nicht umsonst aus dem Staub und aus der Tinte gezogen.“ „Brekekekex!“ sagte er und tauchte unter. Emii Budde. 90. Silber im Meer. ^jn Morgen war es ganz still und friedlich zwischen den Schären. Es war kein Leben auf den schmalen Gassen der Fischerdörfer, niemand ging in den hübsch angestrichenen Häuschen aus und ein. Die braunen Fischnetze hingen in guter Ordnung auf dem Trocken¬ plätze, die schweren grünen und blauen Fischerboote lagen mit an¬ gebundenen Segeln auf dem Strande. Keine Frauen arbeiteten an den langen Tischen, wo man sonst Dorsche und Heilbutte zu reinigen pflegte. Die Lotsenhäuser waren schwarz und weiß angestrichen, die Signalstange ragte daneben empor, und der Lotsenkutter lag vertäut sin der Brücke. Dort war ringsumher alles still, nirgends war ein Dampfer in Sicht, der in dem engen Fahrwasser Hilfe gebraucht hätte. Die kleinen Küstenorte hatten ihre Badehäuser geschlossen, ihre Flaggen eingezogen und die schönen Sommerhäuser verriegelt. Niemand Kilnoldt, Lipvelt, Lesebuch für höhere Mädchenschulen. IV. Teil. 16 3 10 15 20 25 30 35