von Redwitz: Das Lied vom neuen Deutschen Reich. 197 60. Da ward ich aus dem halben Schlaf geweckt: „Schnell fort, ins kronprinzliche Hauptquartier!" O, wie mich das erfreut, doch auch erschreckt!" ... 61. Wie ward bei diesem Satz mein Odem tief! Und freudig Ahnen zog durch meine Brust. Doch Käthchen las jetzt fort mit neuer Lust: „Ich wollte nur noch schließen diesen Brief, 62. Wußt' ich doch ohnedem, wie lang er lief, Und Eurer Angst war ich mir wohl bewußt, Doch sonder Aufschub hatt' ich fortgemußt Und ebenso, wie auf dem Stroh ich schlief. 63. Ich sagte wohl, ein wenig drob verlegen: „Doch ist mein Rock gar schmutzig und zerschlissen." „Ganz eben recht!" sprach rasch der Offizier. 64. „Und nehmt auch mit von gestern jenen Degen, Den Ihr dem toten Leutnant habt entrissen!" Herr Gott, vorm Kriegsgericht, wie bangte mir!" ... 65. Ach, armer Sohn, für deinen Heldenlohn Nun auch noch solche Angst! Doch war gewiß Umsonst nur deine kurze Kümmernis! — Und Käthchen las mit immer stolzerm Ton: 66. „Das Hauptquartier, es lag nicht fern davon. Doch, wie mir Zweifel auch das Herz zerbiß, Kein Wort des Offiziers mich draus entriß, Und ernstlich sann ich auf Verteid'gung schon. 67. Jetzt standen wir vor einem kleinen Schloß. Gesattelt stand im Hof manch edles Roß, Und Adjutanten gingen hin und her. 68. Dann stiegen wir hinauf in einen Saal Voll Ordonnanzen und Lakai'n zumal. O, pochte mir das Herz erwartungsschwer! 69. Und dann, kaum daß ich drinnen sinnend stand, Zu größerm Saal sich eine Tür erschloß, Daß mir das Blut gar heiß zum Kopfe schoß Und mir des Auges Schärfe ganz entschwand. 70. Der Bilderschmuck rings an der reichen Wand, Drauf goldnen Glanz die Morgensonne goß, O, wie das alles wirr zusammenfloß! — Den Degen hielt ich zitternd in der Hand.