66. Die 5rau und die Sprache. 343 im Latein unterweisen ließ, oder Vertreterinnen des 15.—16. Jahrhunderts, wie die Schwester Pirkheimers, die mit C. Celtes u. a. in wissenschaftlichem, lateinischem Brieswechsel stand, und die Gemahlin C. Peutingers, die ihren Gatten bei seinen gelehrten Forschungen eifrig unterstützte, sind als Aus¬ nahmen zu betrachten. Am bedeutendsten zeigt sich die schöpferische Kraft des Weibes im Bereiche der Dichtkunst, aber weniger in der dramatischen Poesie als in der lyrischen und epischen, wohl deshalb, weil im Lied und im Roman mehr die Empfindungen des eignen Herzens zum Ausdruck ge¬ bracht werden können, sich also die Subjektivität hier freier entfalten kann. Daher gelingen den Frauen auch die Romane am besten, in denen die psycho¬ logische Entwicklung in den Vordergrund tritt, wie „Das Tagebuch eines armen Fräuleins" von Marie Rathusius, während sie die von außen be¬ einflußte Handlung nicht in gleicher Weise darzustellen vermögen. Eine besonders große Zahl von Romanschriftstellerinnen hat das 19. Jahrhundert gezeitigt; hier verdienen unter andern genannt zu werden von den ältern Fanny Lewald, Luise von Franyois, Gräfin Hahn-Hahn, Johanna Kinkel und aus jüngerer Zeit die realistisch warmherzige Marie von Ebner-Eschenbach, die idealistische Malwida von Maysenbug, die romantisch-phantasiereiche Ricarda Huch, die gegen alles behäbige Philistertum Front machende Helene Böhlau, die in einer vortrefflichen Heimatkunst wurzelnde Klara Viebig und viele andre; unter den lyrischen Dichterinnen aber läßt durch Originalität der Gedanken und Schönheit der Form die westfälische Freiin Annette von Droste-Hülshoff alle hinter sich, wiewohl auch auf diesem Gebiete manche Namen einen guten Klang haben, z. B. für das Lied Carmen Sylva (Elisabeth, Königin von Rumänien), Anna Ritter, Marie Janitschek und Frieda Schanz. Aber nicht allein bei der Wahl des schriftstellerischen oder dichterischen Schaffensgebietes, sondern auch im sprachlichen Ausdruck der Frauen spielt das Gefühl und die Empfindung eine größere Rolle als bei dem Manne, weil dieser in der Regel mehr verstandesmäßig begabt und nüchtern ist. Der Weg vom Kopfe zur Feder geht bei den Gedanken des Weibes durch das Herz; wo dieses nicht beteiligt ist, bleibt die Feder oft unberührt. Mit dieser Eigentümlichkeit hängen die Vorzüge und Mängel zusammen, denen wir im Stile der Frauen begegnen. Vor allem schreiben sie meist einfach und natürlich; wie ihnen die Worte über die Zunge gleiten, bringen sie sie ge¬ wöhnlich auch zu Papier. Die geschraubte und gekünstelte Art der Kanzlei¬ sprache ist ihnen fremd, die langen Perioden und Satzungeheuer der in die Schule des Lateins gegangenen Gelehrten liegen ihnen fern. Selbst in den Zeiten, wo unsre Sprache unter den Händen pedantischer Stubenhocker zu 5 10 15 20 25 30 35