Vilmar: „Die Siegfriedsage". 245 Nitterspiele geübt. Den fröhlichen Jugendspielen sollte im Alter der blutigste Todesernst folgen. 6. Hagen und Volker. Das Heer der Dienstmannen mit den Knechten wird in einer Herberge untergebracht und Dankwarts Hut und Befehlen anvertraut; der hohe Adel geht mit den Königen zu Hofe nach dem Palast des Hunnenbeherrschers. In dem Gedränge im inneren Hofe der Burg findet Hagen Volker, den er aus dem Gesicht verloren, und in dem Bewußtsein, daß es jetzt zum schlimmen Ende gehe, schließen sich die beiden kühnsten Helden des .Burgundenheeres eng aneinander zum Todesbunde; vor einem der Hofgebäude'setzen sie sich auf eine Steinbank, und umher stehen die Hunnenmänncr, die Gewaltigen in ehr¬ erbietigem Schweigen staunensvoll betrachtend. Kriemhild sieht vom Fenster- aus ihren Todfeind, ihr so nahe, dort sitzen; da bricht sie in zornige Tränen aus, und auf die Frage ihrer Umgebung, was sie bewege, ruft sie flehent¬ lich ihre Getreuen um Rache an für das grimmige Leid, das sie von Hagen erduldet. Sechzig Mann wasfnen sich, um ihn und Volker zu erschlagen, und an der Spitze dieser Schar steigt Kriemhild selbst, die Königskrone auf dem Haupte, in den Hof hinab, um Hägens eigenem Munde das Geständnis seiner Mordtat zum Zeugnis für ihr Gefolge zu entlocken: „Ich weiß," sagte sie, „er ist so übermütig, er leugnet mir es nicht; so liegt mir auch nichts daran, was ihm dafür geschehen mag." Volker macht Hagen auf die von der Treppe herabkommende gewaffnete Schar aufmerksam, und dieser entgegnet, in zornigem Kampfesmute entbrennend: „Ich weiß wohl, daß dies alles mir allein gilt, doch vor. denen da reite ich noch unversehrt wieder in Burgundenland. Aber Volker, sagt mir, ob ihr in dem heißen Streite in treuer Liebe bei mir stehen wollt, wie ich euch niemals verlassen werde?" „So lange ich lebe," ist Volkers Antwort, „und wenn alle Heunemecken gegen uns anstürmen, ich weiche von euch, Hagen, nicht einen Fuß breit." „Nun lohne euch Gott vom Himmel, edler Volker, was bedarf ich nun noch mehr? Sie mögen heran¬ kommen, die gewassneten Recken," sagt Hagen, und dieser treue Freundesbund zwischen beiden Helden, der sich nun durch den ganzen folgenden Todes¬ kampf hinzieht, gießt in unsere Herzen einen Tropfen milder Versöhnung mit dem schrecklichen Manne, der uns sonst fast zu ungeheuer erscheinen würde. 7. Hagen und Kriemhild. In dem Augenblick schon tritt Kriemhild an das furchtbare Heldenpaar heran. Volker erinnert daran, daß es sich zieme, vor der Königin aufzustehen, aber Hagen bleibt in ruhigem Trotze sitzen, damit man nicht glaube, er fürchte sich. Doch mit dieser übermütigen Verhöhnung der Sitte verbindet der grimmige Mann einen zweiten, weit grausamern Hohn. Quer über seine Kniee legt er, eben als Kriemhild an ihn herantritt, ein leuchtendes Schwert, an dessen Knopfe ein Jaspis glänzte, grüner als das Gras. Es war Siegfrieds Schwert, der sagen¬ berühmte Balmnng, den Kriemhild sofort erkannte — es war ja das goldene Gehänge, die rotgewirkte Scheide, die sie so oft an ihres Siegfrieds Seite ge¬ sehen hatte. Schmerzlicher war ihr Leid in sechsundzwanzig Jahren nicht