136 gegen jedermann, zum Diener deines Nächsten, Du aber dienst dir selber. Das ist deine Schuld, wir wissen es alle, daß wir von so viel Elend um¬ geben sind. Kümmern wir uns darum? wir leben im ersten oder doch im zweiten Stock des gesellschaftlichen Wohnhauses. Da ist alles wohl ein¬ gerichtet, behaglich, schön. Denken wir daran, uns zu den Bodenkammern hinauszubemühen oder in die Kellerwohnungen hinabzusteigen, wo das Elend wohnt? wie wenige tun das! Da heißt es: Freiwillige vor! Thristliche Siebestätigkeit! Ich weiß wohl, daß vieles geschieht. Rber noch lange nicht genug. Ruf all den Listen von vereinen, die christliche Siebestätigkeit betreiben, kehrt immer derselbe Kreis von verhältnismäßig wenig Namen wieder. Allgemeine Wehrpflicht sei die Losung! Sonst wird die christliche Siebestätigkeit außerstande sein, ihr Werk zu tun. Rber so unentbehrlich die christliche Liebestätigkeit ist, sie vermag die soziale Frage nicht zu läsen. Siebeserweisung demütigt den Empfänger. Geben ist seliger denn Nehmen, ein nimmer altes Wort! Vas Rlmosen ist für den Empfänger ein Rusdruck seiner Ohnmacht, Erniedrigung, Un¬ freiheit. Nur die Freiheit aber ist das die soziale Frage lösende soziale Gut. Rllein die Freiheit führt zu Bildung und umgekehrt. Freiheit für den vierten Stand wie einstmals für den dritten! Das ist die Losung der Gegenwart. Erziehung des vierten Standes zur Freiheit, zur inneren und zur äußeren Freiheit. Darin besteht die Leistung, die unsere Zeit ihm und sich selber schuldig ist. Die innere Freiheit gibt nur das Ehristentum. Sei selbst ein Thrist, so wirst du Freiheitsluft um dich verbreiten. Das größte Werk, das wahrhaft christliche Bildung, sich selber unbewußt, ver¬ richtet, ist nicht die Liebestätigkeit als solche, sondern die Erziehung anderer zur Freiheit, zur Freiheit von der Welt, zugleich vom Ich. Darum noch einmal: arbeite an dir selbst, daß du ein wahrer Thrist werdest! wahr¬ haft christliche Bildung beherrscht die Welt und befreit die Welt. Mit der inneren Freiheit aber soll die äußere sich verbinden. Darum muß zur christlichen Bildung, die für alles andere die unentbehrliche Grund¬ lage darstellt, soziale Bildung hinzutreten. Es genügt nicht, daß du den Nächsten kennst, der dir unmittelbar gegenübertritt. Du mußt nach Kenntnis der wirtschaftlichen Ordnungen streben, inmitten deren du lebst, von deren Ausgestaltung die Geschichte der Wirtschaft und mittelbar des Volkes abhängt. Die wirtschaftlichen Ordnungen sind ein Teil der Rechts- ordnung. Die Rechtswissenschaft ist nicht so trocken und unersprießlich, wie du denkst. Im Gegenteil, in der Rechtswissenschaft liegt der Schlüssel zum Verständnis der gegenwärtigen sozialen Lage, verstehe das Recht der Gegenwart, so wirst du die wirtschaftlichen Rnliegen der Gegenwart ver¬ standen haben! Die Lösung der sozialen Frage fordert Lösung an erster Stelle nicht von Fragen der Liebestätigkeit, sondern von Fragen der