211 Von Neapel aus konnte man den neuen Krater nicht sehen, da er auf der Nordostseite des Berges sich befand; aber die Lava¬ flut wendete sich gegen Südosten und war von nun an von der Stadt aus sichtbar. Von meiner Wohnung am Molo konnte ich das wunderbare Schauspiel Tag und Nacht betrachten. Bei Tage verhüllten die dicken Rauchwolken oft jede Aussicht, bis ein lebhafter Wind sie auf Stunden hinwegfegte; bei Nacht aber war der Anblick ein furchtbar großartiger. Meer und Himmel waren von dunkler Glutröthe gefärbt; wie ein feuriger Wasserfall senkte sich der breite Lavastrom über den steilen Abhang hinab und zertheilte sich tiefer unten in mehrere Arme, die wie feurige Schlangen verderbenbringend fortzüngelten. Aus dem Hauptkrater stieg eine schwere, dicke, schwarze Rauchwolke, nur durch einzelne Blitze erhellt, turmhoch empor, und von Zeit zu Zeit erhellten aus der Lavaflut auflodernde Feuersäulen Augenblicke lang die nächste Umgebung. Nun litt es mich nicht länger in Neapel, ich wollte an Ort und Stelle sehen, was ich aus der Ferne mit Erstaunen betrachtet hatte. An eine Besteigung des Berges war nicht zu denken, die Straße, die zum Berge führt, war bereits von der Lava überzogen. So beschloß ich denn, mich an den Fuß des Lavastroms zu begeben, und fuhr am 18. mit der Eisenbahn nach Portici. Schon auf dem Bergabhange begegneten uns die Bewohner der bedrohten „Gegend, Betten, Schubladen, Thüren, Fenster, Fässer, abgehauene Ölbäume auf den Köpfen tragend. Die Ärmsten suchten vor dem heran¬ rückenden Feuermeer, wenigstens was von ihren Habseligkeiten be¬ weglich war, zu retten; das Haus, in dem sie lange Jahre gewohnt, den Weinberg, die Ölpflanzung, den Obstgarten, was alles sie mit ihrer Hände Arbeit und eisernem Fleiße sich geschaffen, mußten sie leider zurücklassen. In einigen Stunden, oft nur Minuten war es eine Wüste von Lavablöcken und Felstrümmern, der Schauplatz trostloser Verheerung, auf dem selbst die Grenzmarken des früheren Besitzthums nicht mehr zu erkennen sind. Der Schwefel- und Kohlendampf wurde immer lästiger und die Hitze der Lava schon fühlbar; endlich standen wir plötzlich vor dem langsam heranrückenden Lavawalle. Die Vorstellung, die man sich von einem Lavastrome macht, trifft wenig mit der Wirklichkeit zusammen. Die Lavaflut ist nicht eine feurige, fließende Masse, sondern ein 5 bis 9 Meter hoher Steinwall, gebildet theils aus schwarzen, theils aus dunkelroth glühenden Felsenblöcken. Und dieser Wall, welcher von der am Boden hinkriechenden flüssigen Lava ge¬ tragen wird, rückt nun sichtlich, ungefähr l/2 bis 1 Meter in der Minute, auf uns zu. Fortwährend lösen sich einzelne mächtige, glühende Blöcke von 14*