Urofa. 1. „Wie schön lcucht't uns der Morgenstern!" Es war eine schauerliche Nacht; kalt strich der Nordwind über die Hafer¬ stoppeln, und ein blutiger Tag, ein Schlachttag stand bevor. Vergeblich be¬ kämpfte selbst der beherzteste Soldat seine Bangigkeit; denn der Sieg war zweifel¬ haft, gewiß die Arbeit; gewiß das Mähen des Todes unter Freund und Feind. Auf dem wichtigsten und gefährlichsten Posten des Lagers stand ein bärtiger Krieger. Seiner erprobten Wachsamkeit und seines bewährten Mutes wegen hatte man ihn aus einem Häuflein Freiwilliger für jenen Posten ausgewählt, und freudig war er hierher gezogen. Als aber die Stunde des Blutvergießens näher rückte, als beim ersten Grauen des verhängnisvollen Tages die Kugeln mut¬ williger Feinde ihn umsausten, da ergriff auch seine Brust eine namenlose Bangig¬ keit. In der Angst seines Herzens schaute er zum Himmel hinauf, und siehe, hell und klar strahlte im tiefen Osten der Morgenstern! ,,Wie schön leucht't uns der Morgenstern!" fiel ihm aus seiner friedlichen Kindheit plötzlich ein, und eine' seltsame Wehmut erfüllte sein Herz. Er gedachte jener glücklichen Zeit, wo er, neben der Orgel seines Vaters stehend, so oftmals jenen Gesang oder andere Gesänge nach seiner Melodie gesungen; erinnerte sich jener frommen Tage, wo er nicht einzuschlafen vermochte, ohne zuvor gebetet zu haben. Wie war das alles so ganz anders worden! Seine Eltern ruhten lange in Gott, und er selber hatte weder ein Gotteshaus besucht, noch auch mit Schrecken dachte er daran — zu Gott gebetet! Und beim ersten Morgenstrahl kniete er nieder, sandte einen glühenden Herzenserguß empor, und, von einer unwiderstehlichen Sehnsucht ergriffen, gelobte er sich's, sobald man ihn von seinem Posten werde abgelöst haben, in der Kirche des nahegelegenen Dorfes seine An¬ dacht zu verrichten. Thüren und Laden waren noch fest verschlossen und verriegelt. Zwar hatten auch die Dorfbewohner in Erwartung der Dinge, die da kommen sollten, zu schlafen weder vermocht noch versucht; doch aus Furcht vor böswilligen Gästen Auras u, Knerlich, Deutsches Lesebuch II, I. Ausl. 1