170 Im Goethehaus zu Weimar Goethes, der treue Wächter dieses Allerheiligsten, die Tür des Arbeitszimmers auf und da wurde mir ein rührender Anblick. Ich erinnerte mich aus Eckermanns Gesprächen der gelegentlichen Äußerungen Goethes, die mich hohe Einfachheit hier erwarten ließen; aber wieder war die Wirklichkeit anders. Dieses kleine, niedrige, schmucklose, grüne Zimmerchen mit den dunklen Rou¬ leaus von Rasch, den abgeschabten Fensterbrettern, den zum Teil morsch gewordenen Rahmen war also der Ort, von dem aus sich eine solche Fülle des glänzendsten Lichtes ergossen hatte! Ich fühlte mich tief bewegt; ich mußte mich zusammennehmen, um nicht in eine Weichheit zu geraten, die mir die Kraft zur An¬ schauung geraubt hätte. Nichts ist von seiner Stelle gerückt; Kräuter hält mit from¬ mer Strenge darauf, daß jedes Blättchen, jeder Federschnitzel am Orte bleibe, wo er lag, da der Meister entschlief. Noch zeigt die Ahr die Todesstunde, halb zwölf; sie stockte damals, der Zufall schuf ein Wunderähnliches. Neben ihr steht am Fenster rechts das kleine Schreibtischchen, welches der Großvater für die Enkel machen ließ, die er nach dem Tode des Vaters wieder unter seine eigene Obhut und in seine nächste Nähe nahm. Das Wölfchen war sein Liebling, Walther weniger; Alma mußte, um stillsitzen zu lernen, an dem Schreibtischchen, neben den Brüdern Seiden¬ läppchen zupfen. Da liegen sie noch in einem Briefkuvert. Zier ist jeder Fleck geweihter Boden, und tausend Gegen¬ stände, von denen das Zimmerchen erfüllt ist, reden von dem Wesen und Weben des Geistes. Rings umher an den Wänden laufen niedrige Schränke mit Schiebfächern, in denen Schriften aufbewahrt wurden; darüber befinden sich Bücherschränke, worein Goethe die Sachen stellte, mit denen er sich eben beschäftigte. Das Zolzwerk ist altersbraun, ein Schrank von poliertem und glänzendem Kirschbaum sticht dagegen ab; die Schwiegertochter redete ihm denselben auf; Goethe mochte lange das gleißende Möbel nicht leiden, „das ihn zerstreue". — Darum ist auch kein Kunstwerk im Zimmer, wie man auch vergeblich sich nach einem Spiegel und Sofa umsieht. Letzteres bedurfte er schon deshalb nicht, weil er den ganzen Tag ging oder stand. Er las stehend, er schrieb stehend, er verzehrte selbst sein Frühstück an