Herr Walther von der Vogelweide 263 „Ihr Herren und Frauen, ich sage euch allen, daß ich durch diese gute Jungfrau, die ihr hier bei mir stehen seht, mich meiner Ge¬ sundheit wieder erfreue. Nun ist sie ledig und frei, wie ich es bin, und mein Herz rät mir, daß ich sie zum Weibe nehme. Wenn dies Gott und euch gefällt, so soll es geschehen. Ist es aber nicht möglich, so will ich unverehelicht sterben; denn Ehre und Leben habe ich von ihr allein! Bei Gottes Hulden aber will ich euch insgesamt bitten, daß es euch wohl gefalle!" Da antwor¬ teten alle, die zugegen waren: „Ja, so ist es ziemlich und recht!" Und da auch geistliche Herren darunter waren, so stand es nicht weiter an, daß sie zusammen getraut wurden. Nach süßem, langem Leben kamen sie zusammen in das ewige Neich der Liebe. Der Dichtung Hartmanns von der Aue nacherzählt von Gustav Schwab* 119. Herr Walther von der Vogelweide. i. „Der kalte Reif tat kleinen Vöglein weh, Daß sie nicht mehr sangen. Jetzt hör ich sie noch lreblrcher als eh, Da die Wiesen prangen." So sang eine jungfrische Männerstimme durch den srühlings- grünen Bergwald. Bald trabte ein prächtiger Schimmel aus dem Busch. An den blauen und roten Bändern, mit welchen die milch¬ weiße Mähne des edlen Tieres durchflochten war, sowie am reich¬ gestickten Zaum- und Sattelzeug erklang gar lieblich ein Kranz von Silberschellen und läutenden Glöcklein. Das zierliche Leder¬ wams, der schmale Stoßdegen an der Seite, die nickende Reiher¬ feder am Samtbarett und das lockig gekräuselte Bart- und Haupt¬ haar hätten wohl auch ohne den hellen Sang und die Fiedel, welche aus dem Reisemantel lugte, den fahrenden Sänger verraten. Nun griff der Reiter zu seinem Saitenspiel. Da kam es von allen Seiten herbeigeschwirrt; da begann es im weiten grünen Bereiche zu musizieren und zu jubilieren, als ob heute Hochzeit wäre im Bergwalde. Und das Schmettern und Singen, das Geigen und Klingen zog heraus ins blühweiße Mühlental. Hier saß ein Häuflein Kinder in den Blumen, sich zu schmücken zum lustigen Ringelreihen. Plötzlich aufspringend, rief der Kleinste: