135 Desto besser gelangen ihm ländliche und häusliche Arbeiten im Garten, im Weinberg, auf dem Felde,- seine Hengste hat er selbst auferzogen und besorgt sie selbst im Stalle, recht ein Wirtssohn, dessen Freude immer die Pferde sind. Er ist frühmorgens auf und wenige stunden gesunden Schlafes genügen ihm,- überhaupt ist er gesund, hat starke Nerven und einen hohen wuchs. Er ist kein Iean-Paulischer Held, der Zehnsucht nach den Sternen hat,' nicht für das weite und Umfassende ist er geschaffen, sondern für ein geordnetes, immer wiederkehrendes Erwerbs- und Familien¬ leben. Zwar will er in den Krieg ziehen und aus den gewohnten Ver¬ hältnissen scheiden, aber nicht weil ihm diese zu eng sind, sondern weil' er in der ihm zukommenden Gestaltung seines häuslichen Lebens gestört und gehindert wird, vor den Mädchen in zweierlei Tuch zu prunken, diese Eitelkeit fällt ihm nicht ein. Um Schlüsse des Gedichtes spricht er eine standhafte patriotische Gesinnung aus, aber nur, weil der gewonnene Besitz des Weibes ihn mit dem Gefühl des Eigentums überhaupt erfüllt hat — „nun ist das Meine meiner als jemals," ruft er aus — und weil er dunkel empfindet, daß allein in der Nation, im nationalen Staate die Sphäre gegeben ist, die alles privatglück erzeugt und verbürgt. Buch die Urt, wie feine Liebe zu Dorotheen sich äußert, ist dem Lebenrkreise gemäß, dem er angehört. Nein Wahn und Nausch der Phan¬ tasie stürzt ihn zu des Mädchens Füßen, sondern in stiller Kammer hat er sich einsam gefühlt, die Geschäfte sind ihm öde erschienen, der Vater wird alt, die habe mehrt sich — für wen schaffen und sich mühen? Er entbehrte der Gattin, er sehnte sich nach einer Lebensgefährtin. Sn solcher Stimmung begegnete er Dorotheen,- er sah sie am wagen in froher Ge¬ wandtheit, „s,ah die Stärke des Urms und die volle Gesundheit der Glieder," vernahm ihre verständigen Worte und mit reinem Gefühl ist er im Augenblick entschieden und seine Neigung ist so herzlich, daß sie sicherlich durch ein bleibendes häusliches Glück belohnt werden wird. So ist Hermann ein Vertreter des echten Bürgertums, das der Pfarrer preist, wenn er sagt: Aber jener ist auch mir wert, der ruhige Bürger, Der sein väterlich Erbe mit stillen Schritten umgehet Und die Erde besorgt, so wie es die Stunden gebieten. — Glücklich, wem die Natur ein so gestimmtes Gemüt gab! Und was anders ist der Sinn der ganzen Dichtung von Hermann und Dorothea, als daß in wilder Zeit, in der Auflösung alles Gewordenen doch die heilende Naturkraft sich bewährt und in Haus und Besitz, in Stiftung der Familie, in begrenztem Dasein und wiederkehrender, sich bescheidender Tätigkeit die ewige Ordnung unzerstörbar ist? Viktor Hehn. Gedanken über Goethe'." Berlin 1906. S. 237. 35 40 45 50 55 60 65 70