8 ctt 3 DO Erbauliches und Beschauliches. 6 * Willst du dir ein hübsch Leben zimmern, mußt ums Vergangne dich nicht bekümmern, und wäre dir auch was verloren, mußt immer tun, wie neu geboren; was jeder Tag will, sollst du fragen, was jeder Tag will, wird er sagen; mußt dich an eignem Tun ergötzen, bas andte tun, das wirst du schätzen, besonders keinen Menschen hassen Und das übrige Gott überlassen. Wolfaang Goethe. 137. Parabeln. a) Der Weinstoch. Am Tage der Schöpfung rũhmten die Bãume gegeneinander froh⸗ loclend ein jeglicher über sich selbst. „Mich hat der Herr gepflanzt“, so sprach die erhabene Ceder; „Festigkeit und Wohlgeruch, Dauer und Stärke hat er in mir vereint. — Jehovahs Huld hat mich zum Segen gesetzt“, so sprach der umschattende Palmbaum; „Nutzen und Schönheit hat er in mir vermählel.“ Der Apfelbaum sprach: „Wie ein Bräutigam unter den Jünglingen prange ich unter den Bäumen des Paradieses.“ Und die Myrte sprach: „Wie unter Dornen die Rose stehe ich unter meinen Geschwistern, dem niedrigen Gesträuche.“ So rũhmten alle, der Ol- und Feigenbaum, selbst die Fichte und Tanne rũhmten sich. Der einzige Weinstock schwieg und sank zu Boden. „Mir“, sprach er zu sich selbst, „scheint alles versagt zu sein, Stamm und Äste, Bluͤten und Frucht; aber so, wie ich bin, will ich noch hoffen und warten.“ Er sank danieder, und seine Zweige weinten. Nicht lange wartete und weinte er; siehe, da trat die Gottheit der Erde, der freundliche Mensch, zu ihm. Er sah ein schwaches Ge— wächs, ein Spiel der Lüfte, das unter sich sank und Hilfe begehrte. Mitleidig richtete er's auf und schlang den zarten Baum an seine Laube. Froher spielten anjetzt die Lüfte mit seinen Reben, die Glut der Sonne durchdrang ihre harten, grünenden Körner, bereitend in ihnen den süßen Saft, den Trank für Götter und Menschen. Mit reichen Trauben geschmückt, neigte bald der Weinstock sich zu seinem Herrn nieder, und dieser kostete seinen erquidenden Saft und nannte ihn seinen Freund.