Wolfgang Müller. 247 Und der Vater kommt gefahren, ungefährdet, wie sie flehn, Drückt die Kinder an den Busen, und kein Räuber ward gesehn. Nur den blanken Säbel fand man, nur die scharf geladne Büchse; Beide waren ihm entsunken hinterm hohen Kruzifixe. 123. Die Johannisopfer. Von Wolfgang Müller. Lorelei. Köln, 1857. 1. Drei Tote fordert Sankt Johann gut, So oft im Sommer sein Festtag lacht; Er holt sie am Grund, ans der Luft, in der Flut — Ihr Läufer, ihr Klimmer, ihr Schwimmer, habt acht! 2. So geht der Glaube im Volk umher, So flüstert er heute der Schloßfrau ins Ohr; Die Herrin von Schoinrath sinnet schwer, Und plötzlich hebt sie sich angstvoll empor. 3. „Heut' ist Johannis, des Heiligen, Tag! Wo sind die Kinder?" ihr Ruf erschallt. Es spricht die Zofe: „Sie spielen im Hag!" Es spricht der Diener: „Sie lärmen im Wald!" 4. Was wird ihr Antlitz so bleich und bang? Drei Buben sind es ja, frisch und gesund! Sie lauschen draußen dem Drosselsang, Sie pflücken die Beeren sich vom Grund. 5. So war es. Sie spielten sich aus dem Haus; Wohl freut sie der tiefe, hochstämmige Forst. Da horch! Ein Schrei'n! Der Falk stürzt heraus, In der höchsten Eiche hat er den Horst. 6. „Das ist der Hühner und Tauben Schreck! Ich klettre hin und hole das Nest!" So ruft der älteste kühn und keck Und schwingt sich hinauf in das starke Geäst. 7. Die beiden andern schauen ihm nach; Er schwankt in der Krone, schon greifet er zu — Doch die Wölfin, die aus den Büschen brach, Sie faßt den jüngsten Knaben im Nu! 8. Und sie reißt ihn mit, laut gellt sein Geschrei; Der älteste sieht es vom Eichenbaum, Ihm vergehen die Sinne, der Zweig bricht entzwei. Er prasselt tief in den Waldesraum. 9. Wie all das Übel der dritte gesehn, Da stürmt er heimwärts taub und blind; Statt über die Brücke ins Schloß zu gehn Stürzt in den Graben das zitternde Kind.