86 Dieser Lage verdankt Leipzig sein Emporblühen. Schon in alter Zeit kreuzten sich hier die wichtigsten Handelsstraßen von Süd und Nord, Ost und West. Seitdem aber an deren Stelle die Schienen¬ wege getreten sind, vereinigen sich in Leipzig sechs Eisenbahnen, die es mit den bedeutendsten Städten des In- und Auslandes ver¬ binden. Diese Lage in der Ebene legt auch der Ausbreitung der Stadt kein Hindernis in den Weg. Und so bedeckt sich von Jahr zu Jahr ein angrenzendes Feld um das andere mit neuen Häuserreihen. Die alten Sorben legten vor 1000 Jahren hier ein Fischerdorf an mit Namen Lipsk, d. i. Lindenort, und wahrlich hätten sie keinen günstigeren Platz linden können. Unter dem Schutze und in der Gunst der Landesfürsten blühte das Dorf zu einer Stadt auf, die wegen ihrer zentralen Lage bald das Ziel der Kaufleute wurde. Noch mehr hob sich die Stadt, als Otto der Reiche die Oster- und Michaelis messe begründete und dadurch Leipzig zu einer eigent¬ lichen Handelsstadt machte. Diese Messen, zu denen später noch die Neujahrsmesse kam, haben Leipzig einen Weltruf verschafft. In neuester Zeit hat Leipzig abermals einen bedeutenden Vorteil aus seiner günstigen Lage im Mittelpunkte Deutschlands gezogen, indem es zum Sitze des höchsten deutschen Gerichtshofes, des Reichs¬ gerichtes, erwählt wurde. Die schwierigsten Rechtsstreitigkeiten werden an ihm von 70 der ausgezeichnetsten Rechtsgelehrten ent¬ schieden. So segensreich die zentrale Lage für Leipzig geworden ist, hat sie ihm doch andrerseits auch viel Unsegen gebracht. Oft wurden in seiner Gegend blutige Schlachten geschlagen. Viel hatte die Stadt im Dreißigjährigen und Siebenjährigen Kriege zu leiden. Im Jahre 1813 aber wurde auf seinen Fluren durch die dreitägige Völker¬ schlacht das Schicksal Europas entschieden. Trotz dieser Drangsale ist die Stadt immer rasch wieder aufgeblüht. Hat Leipzig auch nicht die herrliche Lage Dresdens, so darf man es doch eine schöne Stadt nennen. Die alten Mauern, die es ehemals umgaben, sind gefallen, mit ihrem Schutte die tiefen Gräben füllend, und über beide ziehen sich jetzt rings um die alte Stadt herrliche Anlagen. Außerhalb derselben liegen die Vorstädte, die nach den vier Himmelsgegenden in eine Nord- und Süd-, Ost- und Westvorstadt eingeteilt werden. An diese schließt sich eine große Zahl von Vororten, die an Einwohnerzahl gar manche sächsische Stadt übertreffen. Um Leipzig im Innern kennen zu lernen, lenken wir unsere Schritte nach dem Marktplatze mit dem altertümlichen Rathause und dem schönen Siegesdenkmale. Ist das ein Hasten und Jagen, Rennen und Rufen, Wagenrasseln und Pferdetraben! Kaum hat man Zeit, sich die Waren in den hohen Schaufenstern anzusehen. Flüchtig streifen unsere Augen die kostbaren persischen Teppiche, die teuren Pelz waren aus Rußland und die edlen Früchte aus dem warmen Süden. Durch den Menschenstrom arbeiten sich Lastwagen, die das