144 101. Eine Rheinreise. ruhig fließende Wasser, die ernste Gestalt der Berge besonders im Siebengebirge, endlich der freiere Charakter der offen hingebreiteten Land- schast zu gleichen Teilen in Anspruch nehmen. Ist die frühere Strecke romantisch-ritterlich, so geht der Rhein hier in der That im majestätischen Königsmantel. Aber es ist nun, als ob er auf dem Throne einschliefe und durch die weite Ebene hinab nur behaglicher Ruhe pflege, und das ist die Ursache von seinem unrühmlichen Ende. Schwerlich läßt eine zweite Landschaftsstrecke einen so einheitlichen, harmonischen, man möchte sagen idealen Eindruck im Gemüte zurück; es ist wie ein großes landschaft¬ liches Gedicht, das der große Meister zur Freude und Erhebung der Menschen komponiert hat. Daher kommt es auch, daß man der Rhein¬ fahrt nie überdrüssig wird, wenn man auch alles Einzelne kennt. Man sieht Personen, die ihn wohl 20—30 mal auf- und niedergefahren sind, die Reise immer mit neuem Interesse machen. 2. Daran reihen sich die großen geschichtlichen Erinnerungen, die sich an den Strom knüpfen. Er ist recht eigentlich welthistorisch für Deutsch¬ land, nicht so fast in dem Sinn, als hätten sich alle wichtigen Ereignisse hier konzentriert Z, als vielmehr dadurch, daß sich hier das deutsche Wesen in seiner größten Eigentümlichkeit und zu seiner höchsten Blüte entfaltet hat. Tausenderlei Interessen durchkreuzten, trieben und be¬ förderten sich gegenseitig, wodurch denn nicht ein mechanisches Einerlei, das man einen wohlgeordneten Staat nennt, wohl aber ein reiches und kräftiges Zusammenleben erzeugt wurde, das seine argen Schattenseiten hatte, im ganzen aber doch weit mehr Schönes enthielt. Auf den zahl¬ reichen Burgen hausten die Ritter und die edlen Geschlechter, ursprünglich in beständiger Fehde untereinander und mit jeder Macht, die ihre Unab¬ hängigkeit bedrohte, die endlich durch die sinkende Bedeutung des Reiches und die steigende Macht der Fürsten um ihr Ansehen kamen. Neben ihnen saßen am Rhein die drei mächtigen geistlichen Kurfürsten von Mainz, Trier und Köln, deren Macht und Gewicht in einem beständigen Wechsel gegen¬ einander begriffen war. Unten am Rhein erhob sich das mächtige bürger¬ liche Gemeindewesen von Köln, daß den Stapel des Binnenlandes und die Macht der Hansa hinter sich hatte. Gleichsam im Schlepptau von Köln und mit ihm durch die verschiedensten Interessen der Schiffahrt und des Handels verknüpft, erhoben sich die übrigen zahlreichen Neichsstädtchen am Rheine, die sich frühzeitig durch Wohlhabenheit nnd stolzes Selbst¬ bewußtsein auszeichneten. Der Kaiser endlich war durch seine Pfalz¬ grafen vertreten, die sich ihres Ansehens zu wehren und die kaiserlichen 1) — vereinigt.