307 kamr's nicht länger mehr aushalten," und bat so lange, bis es ein¬ willigte. „Aber," sprach es zu ihm, „komm mir ja abends wieder, vor den wilden Jägern schließ' ich mein Türlein; und damit ich dich kenne, so klopf und sprich: „Mein Schwesterlein, laß mich herein." And wenn du nicht so sprichst, so schließ' ich mein Türlein nicht auf." Nun sprang das Rehchen hinaus und war ihm so wohl und war so lustig in freier Luft. Der König und seine Jäger sahen das schöne Tier und sehten ihm nach; aber sie konnten es nicht einholen, und wenn sie meinten, sie hätten es gewiß, da sprang es über das Gebüsch weg und war verschwunden. Als es dunkel ward, lief es zu dem täuschen, klopfte und sprach: „Mein Schwesterlein, laß mich herein." Da ward ihm die kleine Tür aufgetan, es sprang hinein und ruhete sich die ganze Nacht aus seinem weichen Lager aus. Am andern Morgen ging die Jagd von neuem an, und als das Nehlein wieder das Äifthorn hörte und das „Äo, Äol" der Jäger, da hatte es keine Ruhe und sprach: „Schwesterchen, mach mir auf, ich muß hinaus." Das Schwesterchen öffnete ihm die Türe und sprach: „Aber zu Abend mußt du wieder da sein und dein Sprüchlein sagen." Als der König und seine Jäger das Reh- lein mit dem goldenen Äalsband wieder sahen, jagten sie ihm alle nach, aber es war ihnen zu schnell und behend. Das währte den ganzen Tag, endlich aber hatten es die Jäger abends umzingelt, und einer verwundete es ein wenig am Fuß, so daß es hinken mußte und langsam fortlief. Da schlich ihm ein Jäger nach bis zu dem täuschen und hörte, wie es rief: „Mein Schwesterlein, laß mich herein," und sah, daß die Tür ihm aufgetan und alsbald wieder zugeschloffen ward. Der Jäger behielt das alles wohl im Sinn, ging zum König und erzählte ihm, was er gesehen und gehört hatte. Da sprach der König: „Morgen soll noch einmal gejagt werden." Das Schwesterchen aber erschrak gewaltig, als es sah, daß sein Rehkälbchen verwundet war. Es wusch ihm das Blut ab, legte Kräuter auf und sprach: „Geh auf dein Lager, lieb Rehchen, daß du wieder heil wirst." Die Wunde aber war so gering, daß das Rehchen am Morgen nichts mehr davon spürte. And als es die Iagdlust wieder draußen hörte, sprach es: „Ich kann's nicht aus¬ halten, ich muß dabei sein; so bald soll mich keiner kriegen." Das Schwesterchen weinte und sprach: „Nun werden sie dich töten, und ich bin hier allein im Wald und bin verlassen von aller Welt; ich laß dich nicht hinaus." „So sterb' ich dir hier vor Betrübnis," antwortete das Rehchen, „wenn ich das Äifthorn höre, so mein' ich, ich müßt' aus den Schuhen springen!" Da konnte das Schwesterchen nicht anders und schloß ihm mit schwerem Äerzen die Tür auf, und das Rehchen sprang gesund und fröhlich in den Wald. Als es der 20*