339 — D. Aus der deutschen Sage und Geschichte. 142. Das Nibelungenlied. 1. Gar viele Wunder melden die Mären alter Zeit von lobesamen Helden und heißem Kampf und Streit. Von Jubel auch und Festen, von Tränen und Jammerlaut, von schwertgrimmen Gästen sei manches Wunder euch vertraut. Im Reiche der Burgunden wuchs ein Mägdelein; fürwahr, nichts konnte schöner in allen Landen sein. Kriemhild war sie geheißen. Um dieses schöne Weib sollt' es vielen Recken dereinst an Leben gehn und Leib. So wonnig sie auch blühte, noch trug sie andre Zier: der Tugendschmuck der Jungfrau war ohnegleichen schier. Drum tät ihr niemand zürnen; der wunderholden Magd in stiller Minne dienen, hat stolzen Degen wohl behagt. Drei Könige, ihre Brüder, pflagen ihrer Hut: Günther neben Gernot, zwei Recken hochgemut, und Gieselher der junge, ein auserkorner Held. An Sippe, Macht und Schätzen trotzten die drei schier aller Welt. Die hehren Fürsten wohnten zu Worms an des Rheines Strand. Ihr Arm war allen furchtbar, doch mild war ihre Hand. Drum dienten ihnen freudig die besten Recken zumal; wer gäb' euch volle Kunde von ihrer Wundertaten Zahl? Da war Herr Hagen von Tronje, stahlhart, grimm und kühn; sein Bruder, der schnelle Dankwart, tät sich als Marschall mühn; von Metz sein Reffe Ortwin war Truchseß, keck, gewandt; der Küchenwart hieß Rumold, und Sindold war der Schenk genannt. Der Kämmrer auch, Herr Hunold, der sei euch nicht verhehlt; doch neben Hagen der kühnste, ein Held ganz auserwählt war Volker von Alzeie, ein Meister der Fiedelkunst, und höher als sein Bogen stand seine Klinge noch in Gunst. 22*