412 und dem Arzte vorgestellt zu werden, für Abendbrot und Nachtlager solle ich mich an den Polizeikommissar des Ortes wenden. Dieser nahm meinen Wunsch sehr wohlwollend entgegen und forderte mich auf, ihm in seine Wohnung zu folgen, wo er mir eine Karte überreichte. Diese z Karte gab mir die Berechtigung zu freier Abendmahlzeit und freiem Nacht— lager. Wohlgestärkt durch Suppe, Gemüse, Brot und Bier legte ich mich zur Ruhe und schlief bis zum hellen Morgen. Gegen Mittag fand ich mich auf dem Rekrutierungsbureau ein. Da meine Papiere sich in Ordnung befanden, stand meiner Aufnahme in die Fremdenlegion nichts 10 mehr im Wege. Nachmittags wurde ich dem Arzte vorgeführt. Ein flüchtiges Beschauen, eine Untersuchung des Herzens, eine Prüfung der Augen — und ich war für tauglich erklärt. Wenige Minuten später unterzeichnete ich den Vertrag, in dem ich mich verpflichtete, der französischen Republik als ein treuer, ehrlicher, gehorsamer und tapferer Soldat fünf Jahre lang zu dienen. „Auf Wiedersehen!“ riefen die Kameraden, als ich den Kasernenhof verließ, und „Auf Wiedersehen!“ antwortete ich ge— preßten Herzens. Dann saß ich im Zuge. Der Korporal reichte mir die Hand zum Abschiede — und fort ging's, dem Süden Frankreichs entgegen. Die Dunkelheit war schon hereingebrochen, als wir die Hafenstadt 20 Marseille erreichten. In dem großen Gedränge, das auf dem elektrisch beleuchteten Bahnsteige herrschte, bemerkte ich alsbald eine Menge Gendarmen, deren Blicke forschend über die Ankömmlinge glitten, sowie einige Unteroffiziere, die augenscheinlich ebenfalls auf Beute ausgingen. Meine Kleidung leitete jeden Verdacht ab, und es hätte mir freigestanden, 25 den Bahnhof zu verlassen, um dem „Paris des Südens“ einen Besuch abzustatten, ohne daß man in mir einen unter dem Kriegsgesetz stehenden Legionär vermutet hätte. Aber dazu gehört jedenfalls Geld, und das wenige Geld, das mir noch von meinem Reisegeld geblieben war, reichte nicht einmal mehr zu einem bescheidenen Nachtlager. So stellte ich mich z0 denn dem ersten besten Sergeanten. Bei dem Marseiller Militär hoffte ich die freundliche Höflichkeit wieder zu finden, die ich in Belfort an— getroffen hatte; doch diese Hoffnung verschwand alsbald gänzlich. Mit herrischen Worten wurde ich aufgefordert zu folgen. Der Sergeant führte mich in ein Bureau, und hier fand ich zu meinem größten Erstaunen, daß ich nicht der einzige war, der nach dem Eintritt in die französische Fremdenlegion verlangte. Um den großen Tisch, an dem der Sergeant die Reisepässe entgegennahm, drängten sich Gestalten verschiedenster Art: Elsässer in breiten Filzhüten und blauen Kitteln, zerlumpte Belgier mit Holzschuhen, Deutsche, und in Gehrock und Seidenhut ein Wiener, den 10 goldenen Kneifer auf der Nase. Wir wurden in zwei Gliedern aufgestellt, und von dem Korporal begleitet, durchzog der sonderbare Zug die Straßen von Marseille. Bald umdrängte uns die lärmende Schar der Marseiller Gassenjungen. Sie ballten 35