110 100. Einmal ist keinmal. ihn mit beißenden Reden; der Wolf sagte ihm die ärgsten Schimpfworte; der Ochse stieß ihn mit seinen Hörnern; das wilde Schwein verwundete ihn mit seinen Hauern, und selbst der träge Esel gab ihm einen Schlag mit seinem Hufe. Das edle Pferd allein stand dabei und tat ihm nichts, ob— gleich der Löwe seine Mutter zerrissen hatte. „Willst du nicht,“ fragte der Esel, „dem Löwen auch eins hinter die Ohren geben?“ Das Pferd ant— wortete ernst: „Ich halte es für niederträchtig, mich an einem Feinde zu rächen, der mir nicht schaden kann.“ Nach Asop. 100. Einmal ist keinmal. De ist das erlogenste und schlimmste unter allen Sprichwörtern, und wer es gemacht hat, der war ein schlechter Rechenmeister oder ein boshafter. Einmal ist wenigstens einmal, und daran läßt sich nichts abmarkten. Wer einmal gestohlen hat, der kann sein Leben lang nimmer mit Wahrheit und mit frohem Herzen sagen: „Gottlob! ich habe mich nie an fremdem Gute vergriffen.“ Und wenn der Dieb erhascht und gehängt wird, alsdann ist einmal nicht kein— mal. Aber das ist noch nicht alles, sondern man kann meistens mit Wahrheit sagen: „Einmal ist zehnmal und hundert- und tausendmal.“ Denn wer das Böse einmal angefangen hat, der setzt es gemeiniglich auch fort. Wer A gesagt hat, der sagt auch gern B, und alsdann tritt zuletzt ein andres Sprichwort ein, daß der Krug solange zum Brunnen gehe, bis er bricht. Johann Peter Lebel. *101. Eine Ohrfeige zur rechten Zeit. einer Handelsstadt Norddeutschlands lebte ein Kaufmann namens Müller. Ihm begegnete oft ein junger, wohlgekleideter Mensch, der ihn immer sehr freundlich begrüßte. Herr Müller erwiderte den Gruß zwar gern, aber da er sich nicht erinnerte, den jungen Menschen je zuvor gesehen zu haben, so glaubte er, daß dieser ihn mit einem anderen verwechsele. Eines Tages nun war Herr Müller zu einem Freunde eingeladen, und als er zur bestimmten Zeit in dessen Hause eintraf, fand er denselben jungen Mann schon mit dem Hausherrn im Gespräch. Der Wirt wollte nun seine beiden Freunde miteinander bekannt machen; aber der jüngere sagte: „Das ist nicht nötig; wir kennen uns schon viele Jahre.“ — „Ich glaube, Sie sind im Irrtum“, erwiderte Herr Müller; „ich habe allerdings seit einiger