Taler eingenäht gewesen seien, der andre, daß er von dem Gefundenen nichts genommen und das Päcklein nicht versehrt habe. Da war guter Rat teuer. Aber der kluge Richter, der die Ehrlichkeit des einen und die schlechte Gesinnung des andern schon zu kennen schien, griff die Sache so an: Er ließ sich von beiden über das, was sie aussagten, eine feste und feierliche Versicherung geben und tat hierauf folgenden Ausspruch: „Wenn der eine von euch achthundert Taler verloren, der andre aber nur ein Päcklein mit siebenhundert Talern gefunden hat, so kann auch das Geld des letzteren nicht das nämliche sein, auf das der erstere ein Recht hat. Du, ehrlicher Freund, nimmst also das Geld, das du gefunden hast, wieder zurück und behältst es in guter Verwahrung, bis der kommt, der nur siebenhundert Taler verloren hat. Und für dich da weiß ich keinen Rat, als du geduldest dich, bis sich der meldet, der deine achthundert Taler findet.“ So sprach der Richter, und dabei blieb es. Johann Peter Hebel. (Schatzkästlein des Rheinischen Hausfreundes.) 31. Das brave Mütterchen. 1. Es war im Winter, und das Eis stand. Da beschlossen die Ein— wohner von Husum, ein großes Fest zu feiern. Sie schlugen Zelte auf, und alt und jung, die ganze Stadt, versammelte sich draußen. Die einen liefen Schlittschuh, die andern fuhren in Schlitten. In den Zelten erscholl Musik, Tänzer und Tänzerinnen schwenkten sich herum, und die Alten saßen an den Tischen und tranken eins. So verging der ganze Tag, und der helle Mond ging auf; aber der Jubel schien nun erst recht anzufangen. 2. Nur ein altes Mütterchen war von allen Leuten allein in der Stadt geblieben. Sie war krank und gebrechlich und konnte ihre Füße nicht mehr gebrauchen; aber da ihr Häuschen auf dem Deiche stand, konnte sie von ihrem Bette aus aufs Eis hinaussehen und die Freude sich betrachten. Wie es nun gegen den Abend kam, da gewahrte sie, indem sie so auf die See hinaussah, im Westen ein kleines, weißes Wölkchen, das eben am Horizonte aufstieg. Gleich befiel sie eine unendliche Angst. Sie war in früheren Tagen mit ihrem Manne zur See gewesen und verstand sich wohl auf Wind und Wetter. Sie rechnete nach: In einer kleinen Stunde wird die Flut da sein, und wenn dann der Sturm losbricht, sind alle verloren. Da rief und jammerte sie so laut, als sie konnte; aber niemand war in ihrem Hause, und die Nachbarn waren alle auf dem Eise; niemand hörte sie. Immer größer ward unterdes die Wolke und allmählich immer schwärzer; noch einige Minuten, und die Flut mußte da sein, der Sturm losbrechen. Hirts Lesebuch. Ausg. A. Neubtg.